III. Politische Parteien

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AG Staatsrecht I (WS 2006/07)
ass. iur. Kathi Fröhlich, wiss. Mitarbeiterin
III. Politische Parteien
Fall: Am 9. November 2004 gründet sich die »Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative« – Die PARTEI –. Sie gibt sich eine
Satzung und verabschiedet am 31. Juli 2004 ein Parteiprogramm, in dem sie sich zu
Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit bekennt und als ihre Ziele den Kampf gegen
die Massenarbeitslosigkeit, einen gerechten Ausgleich zwischen Arm und Reich, eine nachhaltige Reform des Gesundheitssystems, die Beendigung des Raubbaus an
unserem Planeten, die Einführung von plebiszitären Elementen in das Grundgesetz,
eine Ratifizierung des Grundgesetzes durch das Volk sowie eine Neugliederung des
Bundesgebietes (Sonderbewirtschaftungszone Ost, bauliche Trennung dieser SBZ
vom Bundesgebiet) angibt. Sie leistet ihre Öffentlichkeitsarbeit im wesentlichen über
das Endgültige Satiremagazin „Titanic“ und wirbt für sich u.a. mit dem Slogan „Wir
bauen die Mauer wieder auf!“
Handelt es sich dabei um eine Partei? Wer hat das festzustellen? Kann Die PARTEI, wie
sie es vorhat, bei den Bundestagswahlen 2005 mit einem Listenvorschlag antreten?
1. Parteigründung
▪ im GG behandelt in Art. 21 (anders Weimarer Reichsverfassung 1919, dort nur in Art. 130:
„Die Beamten sind Diener der Gesamtheit, nicht einer Partei.“)
▪ gem. Art. 21 III GG darüber hinaus Regelungen in Bundesgesetz (Parteigesetz)
▪ Begriffsbestimmung in § 2 I ParteiG – dies ist nach st. Rspr. des BVerfG auch der vom GG
verwendete Parteibegriff
▪ im Einzelnen:
Vereinigung von Bürgern: regelmäßig Verein bürgerlichen Rechts (§§ 20 ff. BGB); beachte auch § 2 III ParteiG hinsichtlich des Auslandsbezugs von Parteien;
Dauernd oder für längere Zeit: nicht gegeben bei Bürgerinitiativen, die sich einem
partikulären Ziel widmen;
Einflussnahme auf politische Willensbildung in Bund oder Ländern: nicht ausreichend ist die (dauernde) Einflussnahme auf Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft (kommunale Wählervereinigungen, „Rathausparteien“); dieses Merkmal ist in
der Lehre umstritten, da nicht erkennbar ist, aus welchem Grund hier differenziert
wird
Teilnahme an Bundes- oder Landtagswahlen: vgl. hierzu § 2 II ParteiG: Verlust der
Rechtsstellung als Partei, wenn innerhalb von 6 Jahren keine Teilnahme an solchen
Wahlen; nach BVerfGE 24, 260 ist die Aufstellung von Kreiswahlvorschlägen ausreichend
→ entscheidend ist das „Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse“ insb. Organisation, Mitglieder, Öffentlichkeitsbild = Gewähr der Ernsthaftigkeit der Zielsetzung
▪ Die Gründung von Parteien ist im übrigen frei von staatlichem Einfluss; ein Zulassungsverfahren o. ä. ist nicht vorgesehen. Lediglich bei der Zulassung zu Wahlen sehen die
Wahlgesetze besondere Verfahren vor.
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Fall-Lösung:
1. Gemäß § 18 II BWahlG stellt der Bundeswahlausschuss die Parteieigenschaft eines Bewerbers fest.
2. Er wendet dabei § 2 ParteiG an. Bei der PARTEI handelt es sich um eine Vereinigung, die
sich eine Satzung gegeben hat. Das Parteiprogramm legt die PARTEI auf Ziele fest, die offenkundig nur durch dauernde oder jedenfalls auf längere Zeit angelegte Tätigkeit zu verwirklichen sind, wobei Anliegen auf Bundes- und Landesebene verfolgt werden. Es handelt sich
also weder um eine kommunale Wählervereinigung, noch um eine Bürgerinitiative. Die Partei möchte auch an Bundestagswahlen teilnehmen. Fraglich ist allein, ob sie diese Ziele tatsächlich „ernsthaft“ verfolgt. Die Anbindung an ein Satiremagazin lässt insofern wenigstens
Zweifel aufkommen. Jedoch lassen die tatsächlichen Umstände im Ergebnis nicht den
Schluss zu, dass es sich um eine „Scheinpartei“ handelte. (Insofern wird das ParteiG großzügig ausgelegt, um zu verhindern, dass der Staat entscheidet, welche Anliegen ernstgenommen werden dürfen.) Bei der PARTEI handelt es sich also um eine Partei im Sinne des Parteigesetzes.
3. Um an den Bundestagswahlen 2005 teilnehmen zu können, muss die Partei die entsprechenden Voraussetzungen des Bundeswahlgesetzes erfüllen. Gem. dessen § 27 I müssen Parteien, die noch nicht an Wahlen teilgenommen haben, die Unterstützung durch 1 Promille
der Wahlberechtigten jedes Bundeslandes, in dem sie antreten möchte, durch Unterschriftenlisten nachweisen. Maßgeblich ist dabei die Zahl der Wahlberechtigten bei der vorangegangenen Wahl. Erforderlich sind höchstens 2000 Unterschriften pro Bundesland.
Die Partei ist bei der vergangenen Bundestagswahl in Hamburg (1 221 783 Wahlberechtigte)
und Berlin (2 442 795 Wahlberechtigte) angetreten; sie hat 2506 bzw. 7873 Zweitstimmen erhalten.
2. Tätigkeit der Parteien
▪ Art. 21 I 3 GG verlangt, dass die innere Ordnung der Parteien demokratischen Grundsätzen genügt
▪ Anforderungen konkretisiert in §§ 6 ff. ParteiG
▪ beachte: bei Verstoß gegen diese Grundsätze verliert die Partei nicht ihren Status!
▪ erforderlich jedenfalls: innerparteiliche Willensbildung „von unten nach oben“
▪ besondere Anforderungen gelten im Vorfeld von Wahlen (vgl. §§ 21 ff. BWahlG)
→ Parteiorganisation soll weitgehend von staatlichem Einfluss frei bleiben, deshalb ist die
Beschränkung auf die Überprüfung von Wahlvorschlägen gerechtfertigt; diese ist ihrerseits erforderlich, da es sich hierbei um eine der wichtigsten Funktionen der Parteien
handelt und zudem ein Parteiprivileg („Listenprivileg“, vgl. § 27 BWahlG) besteht
▪ Mitwirkung an der politischen Willensbildung durch Teilnahme an den Wahlen ist
wichtigste Funktion der Parteien
▪ weitere Funktionen: Gestaltung des politischen Prozesses, Ausübung der Opposition
(Kontrollfunktion) im Parlament, politische Bildung (vgl. § 1 ParteiG)
▪ Grenze des Einflusses der Parteien: keine Mitwirkung in Verwaltung und Rechtsprechung, da dies nicht „politischer Prozess“
-problematisch insofern Ämterpatronage, vgl. besonders Art. 33 II GG
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3. Wettbewerb der Parteien
▪ GG setzt Mehrparteiensystem voraus, mindestens also zwei Parteien, damit stellt sich die
Frage der Gleichbehandlung der Parteien durch die staatliche Gewalt
▪ möglich: formale oder materiale Gleichheit
-formale Gleichheit: Art. 38 I GG hinsichtlich des Zählwerts von Wahlstimmen, also
eine Vorschrift, die eine Differenzierung unter keinem Gesichtspunkt zulässt
-materiale Gleichheit: Art. 3 I GG, der verlangt, Gleiches gleich, Ungleiches jedoch ungleich zu behandeln und damit Differenzierungsgründe zulässt
▪ BVerfG wählt insofern Mittelweg und verlangt für Parteien Chancengleichheit (direkt aus
Art. 21 I GG)
-auszugleichen sind danach nur nachhaltige Veränderungen außerhalb der Einflussmöglichkeiten der Parteien, nicht jedoch jede auf tatsächlichen Umständen beruhende
Ungleichheit
▪ Niederschlag in § 5 ParteiG:
-Abs. 1: wenn Träger öffentlicher Gewalt Leistungen an eine Partei vornehmen, so
müssen auch andere Parteien berücksichtigt werden (Gleichbehandlung)
-Abs. 2: dabei kann aber nach der Bedeutung der Partei abgestuft werden
→ Vorschrift besonders interessant bei Vergabe von Sendezeit im öffentlich-rechtlichen
Rundfunk sowie bei kommunalen Einrichtungen (Stadthallen)
→ private Rundfunkanstalten sind über die Landesrundfunkgesetze ebenfalls an § 5 ParteiG
gebunden
▪ J. Ipsen, Staatsrecht I, 17. Auflage, München 2005, Rn. 165, hält die Abstufung gemäß § 5 II
ParteiG für einen Verstoß gegen Art. 21 I GG, da die Benachteiligung kleiner Parteien
zwar gerechtfertigt werden könnte durch das Ziel, Splitterparteien zu verhindern, um zu
regierungsfähigen Parlamenten zu kommen; dieses Ziel werde jedoch schon durch die
Sperrklausel des § 6 VI BWahlG verfolgt, eine darüber hinausgehende Benachteiligung
kleiner Parteien widerspreche dem Grundsatz der Chancengleichheit
5. Parteienfinanzierung
▪ Art. 21 I 4 GG verlangt öffentliche Rechenschaft über Parteifinanzierung
▪ zu unterscheiden sind staatliche und private Finanzierung, erstere ist zudem direkt und
indirekt möglich
▪ § 18 ParteiG regelt die direkten staatlichen Zuwendungen wie folgt:
-Abs. II: absolute Obergrenze staatlicher Zuwendung an alle Parteien beträgt 133 Mio.
jährlich (zur Anpassung an einen Preisindex vgl. § 18 VI ParteiG)
-Abs. V: relative Obergrenze staatlicher Zuwendung ist die Summe der Einnahmen der
Partei aus Mitgliedsbeiträgen, Mandatsträgerbeiträgen, Spenden von natürlichen und
juristischen Personen, Einnahmen aus Unternehmenstätigkeit und Beteiligungen, Einnahmen aus sonstigem Vermögen und Einnahmen aus Veranstaltungen und Veröffentlichungen (vgl. § 24 IV Nr. 1 – 7 ParteiG) – die Partei darf also maximal zur Hälfte
staatlich finanziert sein
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-Abs. III: direkte staatliche Zuwendung (sog. Globalzuweisung), bestehend aus:
• Pauschale pro Wählerstimme (0,85 € jeweils für erste 4 Mio. Wähler, 0,70 € für
jede weitere Stimme), § 18 III, IV ParteiG
• 0,38 € pro 1,00 € Mitgliedsbeiträge und Spenden, § 18 III Nr. 3 ParteiG, für max.
3300,00 € pro natürliche Person, § 18 III ParteiG
▪ im Einkommensteuergesetz finden sich weitere Regeln zu den indirekten staatlichen
Zuwendungen (steuerliche Begünstigung von Spenden):
• Zuwendungen an Parteien mindern die Steuerschuld für den Betrag um 50% (bis
zu max. 825 €), § 34 g EStG
• Zuwendungen an Parteien sind zudem steuerlich absetzbar bis zu einem Betrag
von 1650 €, § 10 II EStG
• steuerliche Begünstigung von Unternehmensspenden ist verfassungswidrig
(BVerfGE 85, 264 [315])
→ problematisch hieran die doppelte Begünstigung durch zwei verschiedene Modelle sowie
der Höchstbetrag von insgesamt 2475 €, der möglicherweise der Anforderung des BVerfG
widerspricht, dass Beträge nur bis zu einer Höhe begünstigt werden dürfen, die für einen
durchschnittlichen Einkommensempfänger erreichbar sind (vgl. Ipsen, a.a.O., Rn. 180 f.)
▪ Anforderungen an Rechenschaftsbericht sind geregelt in §§ 23 ff. ParteiG
-§ 23 I ParteiG bestimmt, dass zum Ende des Kalenderjahres (Rechnungsjahres) ein
Rechenschaftsbericht vorzulegen ist
-ausreichend für die Einhaltung der vorgesehenen Fristen ist die Einreichung eines
(möglicherweise falschen) Rechenschaftsberichts mit dem Vermerk eines Wirtschaftsprüfers (anders bei Parteispendenaffäre der CDU 1998/2000)
-§ 24 ParteiG enthält detaillierte Anforderungen an die Rechnungslegung
6. Ende der Parteien
▪ Partei kann sich selbst auflösen, je nach Satzung oder Organisationsform
▪ möglich zudem: Verbotsverfahren gem. Art. 21 II GG
Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung:
Die freiheitliche demokratische Grundordnung ist eine Ordnung,
„die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes
nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor
allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht
auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.“ (BVerfGE 2, 1
[12f.])
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Sie umfasst damit nur einen Teilbereich der in Art. 79 III GG besonders geschützten
Grundsätze.
Gefährdung des Bestandes des Bundesrepublik Deutschland: betrifft insbesondere die
Abschaffung der föderalen Struktur, also eine zentralstaatliche Programmatik
nach den Zielen der Partei oder dem Verhalten ihrer Anhänger: maßgeblich ist nicht
nur die „offizielle“ Äußerung der Partei, sondern auch das tatsächliche Verhalten von
Anhängern (beachte: nicht Mitglieder) es stellen sich dennoch im Einzelfall schwierige
Zurechnungsfragen (vgl. BVerfGE 107, 339 – NPD-Verbot)
darauf ausgehen: bereits die Absicht genügt, sie muss aber hinreichend – und damit
auf Tatsachen gestützt – nachweisbar sein
▪ Parteien, die diese Kriterien erfüllen sind verfassungswidrig; das Verbot kann beantragt
werden von der Bundesregierung, dem Bundestag oder dem Bundesrat (§ 43 I BVerfGG)
▪ hierüber hat dennoch allein das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden; unzulässig ist
demnach ein einfaches Verbot (vgl. dazu Art. 9 II GG – Verbot von rechtswidrigen Vereinen) oder eine Benachteiligung bestimmter Parteien ohne Verbotsverfahren
▪ bis zur Entscheidung über das Verbot, die konstitutiv wirkt, genießt die Partei die vollen
und gleichen Rechte
→ weiteres Privileg der Parteien = Verbotskompetenz nur bei BVerfG zur Sicherung des
freien Parteiwesens
▪ Verbotsverfahren geregelt in §§ 43 ff. BVerfG, Vollzug eines Verbots in §§ 32 f. ParteiG
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