Durchbruch in der Tiermedizin Durchbruch in der Tiermedizin

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Gesunde Gelenke
Stammzellentherapie bei Sehnen- und Bänderschäden
Durchbruch
in der Tiermedizin
Foto: Schreiner
Vor wenigen Jahren hatten Fachkreise vorausgesagt, wie gravierend die Stammzellenbiologie
in die Medizin eingreifen könnte. Jetzt ist sie
Realität geworden, und in Zukunft wird noch
viel mehr möglich sein. Auch in der Tiermedizin
hat man das Stadium bloßer Forschung verlassen. Ein Beispiel dafür ist die tierärztliche
Klinik im fränkischen Großwallstadt. Hier
wird bereits mit der Stammzellentherapie bei
Pferden gearbeitet – und das mit erstaunlichen
Erfolgen .Vor allem bei der Behandlung
chronischer Sehnen- und Bänderschäden
konnten bereits gute Ergebnisse
erzielt werden.
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Zur Geschichte der Stammzellenforschung
Die Grundlagenforschung zu embryonalen Stammzelle (ES) gibt es seit fast
30 Jahren. Sie wurde ursprünglich auf zwei getrennten Gebieten betrieben:
in der Maus-Embryologie und in der Reproduktionsbiologie beim Menschen. 1981 gelang es erstmalig, ES-Zellen aus Mäusen zu isolieren. Vor
allem zwei erstaunliche Eigenschaften machten sie für die Forscher zum
Objekt der Begierde: die fortwährende Teilungsfähigkeit und die Fähigkeit,
jede spezialisierte Zelle hervorzubringen sowie alle Gewebearten zu bilden.
Schon Ende der 70er-Jahre war es im Reagenzglas gelungen, menschliche
Embryonen zu erzeugen. Eine neue Ära der Forschung begann 1998, als es
James Thompson von der Wisconsin-Madison University (USA) gelang,
Zellen aus humanen Blastozysten zu isolieren, in einer Kultur am Leben zu
erhalten und vor allem dort auch zu vermehren.
Stammzellen sind wahre Kraftwerke des Lebens. Obwohl es
sich um eine noch nicht ausdifferenzierte unspezialisierte Zellform handelt, sind sie doch der
Ursprung jedes komplexen Organismus. Aus Stammzellen kann
sich praktisch jede Zellart und
damit jedes Gewebe entwickeln.
Muskeln, Knochen, Bänder, Nerven, Haut, innere Organe – alles
hat diesen einen einzigen Ursprung. Zu Beginn wurde an embryonale Stammzellen geforscht.
Sie werden aus frühen Embryonen von Säugertieren, den Blastozysten, isoliert. Nach der Befruchtung durchläuft die Eizelle
eine Reihe von Zellteilungen,
die nach etwa vier Tagen das
Blastozystenstadium erreicht hat.
Eine Blastozyste besteht aus ungefähr 200 Zellen. Für die Gewinnung dieser Zellen werden 30 bis
40 Zellen aus der inneren Zellmasse entnommen. Der Embryo
stirbt bei diesem Eingriff ab, was
eine brisante ethische Diskussion
auslöste.
Keine ethischen Bedenken
Wer die Stammzellenforschung
in erster Linie mit der Debatte um
die Zerstörung von Embryonen
verbindet, ist jedoch nicht mehr
ganz auf dem Laufenden. Stammzellen findet man nämlich nicht
nur dort. Sie sind auch nach der
Geburt im Körper vorhanden. In
dem Fall werden sie als adulte
oder auch somatische Stammzellen bezeichnet. Sie tummeln
sich selbst beim ausgewachsenen
Lebewesen im Knochenmark, im
Gehirn, in der Leber sowie im
Fettgewebe und vor allem dort in
erstaunlich hoher Konzentration.
Sie sind ein Leben lang für die Bildung neuer, spezialisierter Zellen
verantwortlich. Im Gegensatz zu
den embryonalen Stammzellen
ist ihr Selbsterneuerungs- und
Differenzierungspotenzial allerdings geringer.
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Die Spezialisierung der jeweiligen
Stammzelle wird von der Umgebung bestimmt, in welcher sie
sich befindet. Und hier wird es
für die Human- und auch die Veterinärmedizin interessant. Nicht
nur für Patienten mit schweren
chronischen, degenerative Krankheiten wie z.B. Morbus Parkinson, Leukämie oder mit Rückenmarksverletzungen (z.B. Querschnittslähmung) eröffnen sich
vielversprechende Behandlungsmöglichkeiten. Auch altersbedingt verschlissene GewebeStrukturen, wie z. B. Gelenksknorpel, könnten zur Neubildung angeregt werden. Aufwendiges Einsetzen von „Ersatzteilen“ (z.B. künstliche Gelenke),
die nach einigen Jahren erneuert
werden müssen, würden der Vergangenheit angehören. Bänderverletzungen, oft das Aus für
Hochleistungssportler, könnten
ganz einfach auskuriert werden.
„Aus alt mach neu ...”
Nein, lassen Sie sich nicht von
diesem Spruch beirren. So einfach ist es nun auch nicht. Aber
man könnte die wunderbaren Eigenschaften der Stammzellen so
auf einen Punkt bringen. Die
Stammzellentherapie nutzt die
Tatsache, dass die Stammzellen
auch nach einer Verletzung, zerstörtes Gewebe wieder regenerieren. Dieses Prinzip wird auch in
der Veterinärmedizin vor allem
bei der Behandlung von Pferden
mit Sehnen- und Fesselträgererkrankungen schon recht erfolgreich angewandt.
Seit etwa drei Jahren arbeitet man
mit Stammzellen aus dem Knochenmark. So auch in der Tierklinik im fränkischen Großwallstadt. Dort haben Dr. Holger
Fischer, Dr. Karl Gräf und Dr.
Kerstin Fischer diese faszinierende Möglichkeit bereits aufgegriffen und in die Praxis umgesetzt.
Vor einer Stammzellentherapie
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Gesunde Gelenke
Dr. Holger Fischer gehört zum
Team der Tierklinik in Großwallstadt, das mit der Stammzellentherapie arbeitet.
werden etwa 10 ml Knochenmark aus dem Brustbein des zu
behandelnden Pferdes punktiert.
Der Vorteil: Da es sich um
körpereigene (autologe) Zellen
handelt, bleiben Abstoßungsreaktionen praktisch aus (Prinzip
der Eigenblutspende vor Operationen). Der Nachteil: „Der Eingriff wird in erster Linie unter
Vollnarkose vorgenommen und
die birgt natürlich immer Risiken“, so Dr. Holger Fischer. Er
erklärt weiter: „Um diese zu vermeiden, wurden auch am stehenden, lediglich sedierten Pferd
Knochenmarkspunktionen vorgenommen. Da entfällt das
Risiko natürlich. Leider sind mir
aus dem Kollegenkreis bereits
drei Fälle bekannt, wo das Pferd
während dieses kleinen Eingriffs
verstarb. Die Ursachen dafür
wurden nicht gefunden.“
Nur ca. 0,001 – 0,01% der kernhaltigen Zellen im unaufbereiteten Knochenmark sind tatsächlich Stammzellen. Da aber eine
höheren Stammzellenkonzentration bessere Erfolge verspricht,
wird das restliche Punktat im Labor unter speziellen Bedingungen
angezüchtet.
Etwa 21 Tagen nach dem Entnahmedatum haben sich die enthaltenen Stammzellen deutlich
vermehrt und werden in die erkrankte Stelle injiziert. Die dadurch anfallenden Laborkosten
lassen allerdings den Preis der Behandlung in die Höhe schnellen.
Ein weiterer Nachteil: Es dauert
mindestens 21 Tage, bis eine Verletzung aktiv behandelt werden
kann. „Das ist ein großer
Negativaspekt“, gibt Fischer zu
bedenken. „Je frischer eine Verletzung der Sehne ist, umso
günstiger stehen die Heilungschancen. Je mehr Zeit verstreicht, desto weiter ist die
Vernarbung bereits fortgeschritten.“
Stammzellen aus Körperfett
Aber zum Glück muss man sich
nicht mit den Nachteilen abfinden, denn die Forschung ist
schon wieder einen Schritt weiter.
Auch im Körperfettgewebe finden
sich Stammzellen. Um diese zu
gewinnen, werden am stehenden, lediglich sedierten Pferd 8
bis 10g Fettgewebe durch Fettabsaugung entnommen. Danach
bleibt in dem lokal betäubten Bereich an der Seite der Schweifrübe
Entnahme von Fettgewebe zur Stammzellengewinnung.
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Ultraschallbild der Hufrolle (Collateralband und tiefe Beugesehne).
lediglich ein etwa 1cm langer Schnitt. Das Risiko der Vollnarkose entfällt damit vollständig. Innerhalb von nur 24 Stunden nach der
Entnahme wird das Punktat labortechnisch
aufbereitet. Danach sind darin zwischen
300.000 bis 500.000 Stammzellen enthalten.
Ohne große Zeitverzögerung und unter Ultraschall- oder Röntgenkontrolle werden sie in
den geschädigten Bereich injiziert. Dr. Holger
Fischer: „Wir können so frische Verletzungen
mit minimalen Zeitverzögerungen behandeln. Die Heilungschancen sind dadurch
weitaus günstiger.“ Das bedeutet auch, dass
die vierbeinigen Patienten schneller wieder
bewegt werden und ins Training zurückkehren können.”
Ein absoluter Pluspunkt bei der Verwendung
von Fettstammzellen, und das wird jeden
Pferdehalter erleichtert aufatmen lassen, sind
die Kosten. „Vor allem der geringere Laboraufwand macht sich hier bemerkbar“, so Fischer. „Mit der Behandlung und dem Klinikaufenthalt belaufen sich die Gesamtkosten
auf etwa 1400 Euro. Das ist deutlich weniger
als bei der Stammzellentherapie mit Knochenmark.“
Die Tierklinik in Großwallstadt ist die einzige,
die in Deutschland mit Fettstammzellen arbeitet. Dr. Holger Fischer und seine Kollegen
stützen sich dabei auf die Erkenntnisse der
fortgeschrittene Forschung in den USA. Er
verriet uns im Gespräch, dass ein enger Kontakt zu Prof. Dr. Dave D. Frisbie besteht, der
im Moment am Orthopaedic Research Center
der Colorado State Universität tätig ist und
sich auf Lahmheiten und orthopädische Erkrankungen von Sportpferden spezialisiert
hat. Zusammen riefen sie „2F-Stemcells“ ins
Leben – ein tiermedizinisches Labor, das an
die Tierärztliche Klinik für Pferde Großwallstadt angegliedert ist. Modernste Ausstattung
zur Aufbereitung der Stammzellen und qualifizierte Mitarbeiter ermöglichen eine gleichbleibend hohe Qualität. Fischer selbst studierte an der Universität Mailand. Seit 14 Jahren
ist er praktizierender Tierarzt in Großwallstadt. Seine Motivation als ehemaliger Handwww.bayernspferde.de
baller ist auch privater Natur. Seine Kniegelenke wurden durch den jahrelangen Leistungssport in Mitleidenschaft gezogen. „Bei
mir käme irgendwann nur der Einsatz künstlicher Gelenke in Frage“, gibt Fischer zu bedenken. Für ihn wäre da die Möglichkeit der
Regeneration körpereigener Strukturen der
weitaus verlockendere Lösungsansatz.
Erfolgsquoten machen Mut
Die Langzeitergebnisse, die in Amerika und in
der kurzen Zeit hier in Deutschland mit Fettstammzellen bereits erzielt wurden, geben Anlass zur Freude. „Wir haben hier bei uns etwa
40 Behandlungen durchgeführt und konnten
im Ultraschall sichtbare, deutlich bessere Heilungserfolge erzielen“, schwärmt Fischer. „Da
können bisher übliche Therapien wie z.B. mit
Hyaluronsäure einfach nicht mithalten.“
Auch die Stabilität der Heilungsergebnisse,
selbst unter sportlicher Belastung der Patienten, ist nach Aussage des Veterinärmediziners
beeindruckend.
Ein ungewöhnlicher Versuch, der 2003 in
Amerika gemacht wurde, veranschaulicht die
unglaubliche Wirkung der Stammzellen. Man
hatte Ziegen ein Kreuzband durchtrennt
sowie den medialen Meniskus entfernt und
damit das Krankheitsbild einer klassischen
schwere Arthrose nachgestellt. Die Tiere wurden danach mit autologen Fettstammzellen
behandelt. Man konnte eine deutliche Regeneration des medialen Meniskus beobachten
sowie den Nachweis erbringen, dass übertragene Zellen im neu geformten Gewebe vorhanden waren. Zusammenfassend ließ sich also klar feststellen, dass die Übertragung von
mesenchymalen adulten Stammzellen die Regeneration des Meniskengewebes stimuliert.
Die Funktion der Stammzelle bei der Regeneration von Gewebe ist allerdings noch nicht
vollständig erforscht. Fischer: „Wir wissen
noch nicht genau was da abläuft, doch fest
steht, es funktioniert. Und die Erfolge ermuti■
gen uns, weiter zu forschen.“
A. Strehle
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