ravel tschaikowsky rimskij-korsakow

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RAVEL
»Le tombeau de Couperin«
TSCHAIKOWSKY
»Rokoko-Variationen«
RIMSKIJ-KORSAKOW
»Scheherazade«
GERGIEV, Dirigent
IONIT, Ă, Violoncello
Freitag
12_05_2017 20 Uhr
Samstag
13_05_2017 19 Uhr
VALERY GERGIEV
Strauss
Ab 31. März im Handel erhältlich
MAURICE RAVEL
»Le tombeau de Couperin« (Ein Denkmal für Couperin)
Suite für Orchester
1. Prélude: Vif
2. Forlane: Allegretto
3. Menuet: Allegro moderato
4. Rigaudon: Assez vif
PJOTR ILJITSCH TSCHAIKOWSKY
Variationen über ein Rokoko-Thema für Violoncello und
kleines Orchester op. 33
1. Thema: Moderato assai, quasi andante – Moderato semplice
2. Variation I: Tempo della Thema
3. Variation II: Tempo della Thema
4. Variation III: Andante sostenuto
5. Variation IV: Andante grazioso
6. Variation V: Allegro moderato
7. Variation VI: Andante
8. Variation VII e Coda: Allegro vivo
NIKOLAJ RIMSKIJ-KORSAKOW
»Scheherazade« (nach »Tausend und eine Nacht«)
Symphonische Suite für Orchester in vier Sätzen op. 35
VALERY GERGIEV, Dirigent
ANDREI IONIT,Ă, Violoncello
Das Konzert am 12. Mai 2017 wird per Livestream
auf www.medici.tv und www.takt1.de/gergiev übertragen und
im Anschluss in deren Mediatheken verfügbar sein.
118. Spielzeit seit der Gründung 1893
VALERY GERGIEV, Chefdirigent
ZUBIN MEHTA, Ehrendirigent
PAUL MÜLLER, Intendant
2
»Hommage an die
französische Musik
des 18. Jahrhunderts«
PETER JOST
WIDMUNG
MAURICE RAVEL
(1875–1937)
»Le tombeau de Couperin«
(Ein Denkmal für Couperin)
Suite für Orchester
1. Prélude: Vif
2. Forlane: Allegretto
3. Menuet: Allegro moderato
4. Rigaudon: Assez vif
LEBENSDATEN DES KOMPONISTEN
Geboren am 7. März 1875 in Ciboure
(Département Basses-Pyrénées / Südwestfrankreich); gestorben am 28. Dezember 1937 in Paris.
ENTSTEHUNG
Die 6-sätzige Originalfassung für Klavier
wurde während des 1. Weltkriegs zwischen
Juli 1914 und November 1917 in SaintJean-de-Luz und Lyons-la-Forêt komponiert. Die spätere, auf vier Sätze verkürzte Transkription für Orchester entstand
nach Kriegsende im Juni 1919.
Die Klavierfassung erschien 1918 mit Widmungen aller sechs Sätze an im 1. Weltkrieg gefallene Freunde Ravels: 1. Jacques
Charlot, 2. Jean Cruppi, 3. Gabriel Deluc,
4. Pierre et Pascal Gaudin, 5. Jean Dreyfus,
6. Joseph de Marliave. Die Orchesterfassung wurde ein Jahr später ohne Widmungen veröffentlicht.
URAUFFÜHRUNG
Klavierfassung: Am 11. April 1919 in Paris
in der Salle Gaveau im Rahmen eines Konzerts der »Société Musicale Indépendante« (Solistin: Marguerite Long, Witwe von
Joseph de Marliave); Orchesterfassung:
Am 28. Februar 1920 in Paris (»Orchestre
Pasdeloup« unter Leitung von RhenéBaton). Ballettfassung (auf der Orchestersuite basierend unter Weglassung des
»Prélude«): Am 8. November 1920 in Paris
im Théâtre des Champs-Elysées (Schwedisches Ballett; Choreographie: Jean Borlin
und Rolf de Maré; Dirigent: Désiré-Émile
Inghelbrecht).
Maurice Ravel: »Le tombeau de Couperin«
3
Maurice Ravel in seinen letzten Lebensjahren (um 1930)
Maurice Ravel: »Le tombeau de Couperin«
4
ORIGINAL UND BEARBEITUNG
Bearbeitungen haben einen großen Stellenwert in Ravels Werkkatalog. Der Komponist
der Masken und Fassaden liebte es, musikalischen Strukturen eine neue, anders­
artige klangliche Einkleidung zu geben. Er
tat dies mit Werken fremder Musiker – die
mit Abstand bekannteste Bearbeitung ist
seine Orchestrierung von Modest Mussorgskijs »Bildern einer Ausstellung« –, noch
viel häufiger jedoch mit seinen eigenen. So
existieren von einer ganzen Reihe von Klavierwerken auch Orchesterfassungen: Der
Bogen reicht von den frühen Kompositionen »Menuet antique« (1895 / Orchesterversion 1929) und »Habanéra« (1895 /
1907) über die »Pavane pour une infante
défunte« (1899 / 1910), »Une barque sur
l’océan« und »Alborada del gracioso« aus
den »Miroirs« (1904–05 / 1906 bzw.
1918), den original vierhändigen Kinderstücken »Ma mère l’oye« (1908–10 /
1911–12) und den »Valses nobles et sentimentales« (1911 / 1912) bis zu »Le tombeau de Couperin«.
Anders als bei original für das Orchester
entworfenen Werken, denen Klavierentwürfe oder -auszüge vorangingen (wie für
»La Valse«, 1919–20), ließen sich allzu
pianistisch entworfene Stücke nur mit
Mühe oder gar nicht fürs Orchester bearbeiten. Für die Orchesterfassung von »Le
tombeau de Couperin« wurden deshalb nur
vier der insgesamt sechs Teilsätze der Klavierversion – »Prélude«, »Fugue«, »Forlane«, »Rigaudon«, »Menuet« und »Toccata«
– berücksichtigt; »Fugue« und »Toccata«
enthalten so speziell auf das Klavier zugeschnittene Passagen, dass Ravel auf sie
verzichtete. Da nun der glanzvolle Abschluss durch die »Toccata« fehlte, vertauschte er die Positionen von »Rigaudon«
und »Menuet«, denn die temperamentvollen Eckteile des »Rigaudon« boten ein ungleich wirkungsvolleres Finale für die Orchestersuite als das schlichte »Menuet«.
Obwohl Ravel, von kleinen harmonischen
und spieltechnischen Zusätzen abgesehen,
die Klavierversion taktgenau übertrug, ist
der klangliche Unterschied frappierend.
Durch die Transparenz des relativ klein besetzten Orchesters und der äußerst nuancierten Instrumentation, in der Streicher
und Holzbläser dominieren und Hörner und
Trompete nur im Schlusssatz gewichtigere
Einsätze haben, werden die Eleganz und
Klarheit der Musik zusätzlich betont, die
harten Dissonanzen der Klavierfassung
dagegen eher abgemildert. Mit Ravels Einverständnis hat man wenig später eine
Choreographie für die letzten drei Sätze
entworfen; diese erneut verkürzte Fassung des »tombeau« wurde mit dem
Schwedischen Ballett am 8. November
1920 im Pariser Théâtre des ChampsÉlysées erfolgreich uraufgeführt.
EIGENWILLIGE HOMMAGE
Mit dem Titel »tombeau« greift Ravel die
französische Tradition instrumentaler
»tombeaux« des 17. und frühen 18. Jahrhunderts auf. Das »Grabmal« für einen
berühmten Musiker ist als musikalisches
»Denkmal« zu verstehen und verarbeitet
normalerweise Originalmusik des Geehrten
oder benutzt zumindest dessen typische
Stilcharakteristika. Vor diesem Hintergrund erweist sich Ravels Hommage als
recht eigenwillig. Die Berufung speziell auf
François Couperin (1668–1733) mag sich
etwa für die »Forlane« über die Vorlage aus
einem entsprechenden Satz von Couperins
kammermusikalischen »Concerts royaux«
erklären; nach eigenem Zeugnis jedoch
Maurice Ravel: »Le tombeau de Couperin«
5
Ravels eigenhändige Titelzeichnung für die Erstausgabe der Klavierfassung (1918)
stellt Ravels Suite »weniger eine Hommage
an Couperin dar als vielmehr an die gesamte französische Musik des 18. Jahrhunderts«.
Die Erwartung einer Totenklage, die der
Titel weckt, wird zunächst in der Klavierfassung durch die Widmungen der Einzelsätze an gefallene Kriegskameraden sowie
das von Ravel eigenhändig entworfene Titelblatt der Erstausgabe mit einer dekorativen Urne verstärkt. Jedoch befremdet
bereits der Tonfall der »Prélude«: Statt
elegischer Trauer wartet das Eröffnungsstück mit gelöster Heiterkeit auf. In den
nachfolgenden Tanzsätzen erfährt dieser
Eindruck durch melancholische (»Forlane«),
volkstümlich-archaisierende (MusetteAbschnitt im »Menuet«) oder pastorale
(Mittelteil des »Rigaudon«) Untertöne
zwar Differenzierungen, aber keine grundsätzliche Änderung. Bedenkt man zudem,
dass ein großer Teil des Zyklus wie auch der
Titel bereits im Juli 1914, also noch vor
Ausbruch des Krieges, entworfen wurde,
so erscheint die Benennung »tombeau«
nicht in erster Linie als eine historische
Spiegelung aktueller Trauerfälle, sondern
bezieht sich offenbar unmittelbar auf die
Couperin-Zeit und ihre Musik selbst.
Maurice Ravel: »Le tombeau de Couperin«
6
Im Wissen, dass diese französische Musik
des 18. Jahrhundert unwiederbringlich der
Vergangenheit angehört, aber ihre Formen
(»Prélude«, in der Klavierfassung auch
»Fugue« und »Toccata«) und Tänze (»Forlane«, »Menuet« und »Rigaudon«) immerhin noch als Vorlagen für zeitgenössische
Adaptationen dienen können, gibt sich der
tiefere Sinn des Suitentitels zu erkennen.
Der vorherrschend heitere Ton von Ravels
eigenwilliger Huldigung fußt auf einer an
sich konträren Haltung, die von bizarren
bis zu elegischen Momenten reicht. Die
Heiterkeit erweist sich als künstlich, als
Versuch der Objektivierung, letztlich als
probates Mittel, um der dahinter stehenden,
nur für Momente aufblitzenden Trauer um
das Verlorene Herr zu werden.
»…KEIN ROSENKAVALIER«
In seinem Ravel-Buch bemühte sich der
Musikkritiker Hans Heinz Stuckenschmidt,
die Annäherung des französischen Komponisten an klassizistische Strömungen ab
etwa 1914, für die »Le tombeau de Couperin« geradezu exemplarisch steht, von jedem restaurativen Verdacht freizusprechen: »Der radikale Modernist Ravel hat
nicht etwa seinen Frieden mit der bequemen Mehrheit der Hörer gemacht, als er
diese Tänze schrieb.« Und pointiert fügte
er hinzu: »Der ›tombeau de Couperin‹ ist
kein ›Rosenkavalier‹.«
Stuckenschmidt spielt hier auf die angeblich
»affirmative« Haltung von Richard Strauss’
musikalischer Komödie an. Immerhin sprach
Strauss selbst von einer »Mozart-­Oper«,
und ein zeitgenössischer Kritiker warf ihm
vor, sie »buhle um die Gunst der Menge«.
Gemeinsam ist beiden Komponisten der
Versuch eines Brückenschlags zwischen
Vergangenheit und Gegenwart, allerdings
mit ganz unterschiedlichen Mitteln und,
sonst wäre Stuckenschmidts Bonmot kaum
zu erklären, mit ganz anders­artiger Wirkung. Denn Ravels Orchestersuite wurde
zwar beifällig aufgenommen, Strauss’ Oper
entwickelte sich jedoch rasch zum Publikumsrenner, und nicht Wenige sahen sich
veranlasst, die Rückkehr des »Ultramodernen« ins konservative Lager zu feiern.
Dabei mutet Ravels Stil des »tombeau« als
konsequente Weiterentwicklung seiner musikalischen Ästhetik an, während der »Rosenkavalier«, zumal im Vergleich mit der
vorausgegangenen »Elektra«, unverkennbar eine Neuorientierung in der Entwicklung des Schaffens von Strauss darstellt.
Insofern ist »Le tombeau de Couperin«,
wenngleich anders als von Stuckenschmidt
gemeint, tatsächlich kein »Rosenkavalier«.
GESTALTUNGSMITTEL
Während Ravel Form und Bewegungstypik
der historischen Vorlagen, gleichsam als
ahistorische Elemente, aus dem 18. Jahrhundert genau übernimmt, wirken »Prélude« genauso wie »Menuet«, »Forlane«
oder »Rigaudon« doch sehr fremdartig in
ihrer Melodik und Harmonik. Dabei verschränkt der Komponist Archaik und Moderne auf subtile Art. Modale, kirchentonartliche Wendungen wechseln mit alterierten, tonal mehrdeutigen Klängen. Vorzeichnung und Bassführung legen zwar
eine bestimmte Tonart für jeden der Suitensätze nahe; doch scheint die Tonika,
wenn überhaupt, meist nur mit fremden
Nebennoten auf – lediglich der »Rigaudon«
endet mit klarem C-Dur-Akkord !
Ravel nutzt zwar das ganze chromatische
System, balanciert aber die Einzelakkorde
so aus, dass sich aparte Reizklänge erge-
Maurice Ravel: »Le tombeau de Couperin«
7
ben, die den Hörer in einen Schwebezustand zwischen klassischer und moderner
Harmonik versetzen. Auch die nach außen
so klare Formgebung wird gleichsam subkutan durch irreguläre Perioden und asynchrone Rhythmen unterlaufen; namentlich
in der »Forlane« führt dies passagenweise
zu starker Irritation bis hin zum Eindruck
bizarrer Deformierung. Man glaubt, »vergangene Musik« zu hören, jedoch in eigentümlicher Verzerrung, die man sich zunächst kaum zu erklären vermag.
Ravel bleibt dem Ausdruck dieser Musik,
ihrer einfachen Satztechnik und klaren Linienführung bis hin zu charakteristischen
melodischen Verzierungen wie Vorschlägen, Pralltrillern und Mordenten treu, reichert sie aber mit den spezifischen Merkmalen seiner zeitgenössischen Tonsprache
an. Er beschwört nicht die Musik der Vergangenheit in konservativer Rückschau,
sondern vergegenwärtigt ihre Qualitäten,
indem er sie in seiner eigenen Sprache für
die Gegenwart fruchtbar zu machen sucht.
Die extreme Stilisierung dieser höfischen
Formen und Tänze dürfte ihm, dem Meister
der Maske und Maskierung, besonders entgegen gekommen sein.
Maurice Ravel: »Le tombeau de Couperin«
8
Auf Sinnsuche in
der Vergangenheit
NICOLE RESTLE
PJOTR ILJITSCH TSCHAIKOWSKY
(1840–1893)
Variationen über ein Rokoko-Thema für
Violoncello und kleines Orchester op. 33
1. T
hema: Moderato assai, quasi andante
– Moderato semplice
2. V
ariation I: Tempo della Thema
3. V
ariation II: Tempo della Thema
4. Variation III: Andante sostenuto
5. Variation IV: Andante grazioso
6. Variation V: Allegro moderato
7. V
ariation VI: Andante
8. V
ariation VII e Coda: Allegro vivo
Bearbeitung von Wilhelm Fitzenhagen
LEBENSDATEN DES KOMPONISTEN
Geboren am 25. April (7. Mai) 1840 in Wotkinsk (Wjatka / Ural); gestorben am 25.
Oktober (6. November) 1893 in St. Petersburg.
ENTSTEHUNG
Tschaikowsky komponierte sein (einziges)
Cellokonzert in den Monaten Dezember
1876 und Januar 1877 für den aus Deutschland stammenden Cellisten Wilhelm Fitzenhagen (1848–1890), dem er unvorsichtigerweise erlaubte, den Cellopart nach seinen Vorstellungen beliebig zu modifizieren.
Von diesem Recht machte Fitzenhagen
ausgiebig Gebrauch: Er überarbeitete den
Solopart, änderte die Reihenfolge der Variationen und ließ eine von ihnen ganz weg:
Tschaikowskys Original besteht aus acht
Variationen, Fitzenhagens Bearbeitung aus
sieben. Dennoch diente letztere als Vorlage
für die Druckfassungen von 1878 (mit Klavierbegleitung) bzw. 1889 (mit Orchester).
Tschaikowskys Originalversion erschien
erst 1956 im Druck.
Pjotr Iljitsch Tschaikowsky: Rokoko-Variationen
9
WIDMUNG
RUHE VOR DEM STURM
Das Werk ist dem aus Seesen bei Braunschweig stammenden Cellisten (Karl Friedrich) Wilhelm Fitzenhagen gewidmet. Fitzenhagen war Professor für Violoncello am
Moskauer Konservatorium und führender
Interpret der Kammermusikwerke Tschaikowskys, von denen er zahlreiche uraufgeführt hat.
Tschaikowskys Variationen über ein Rokoko-Thema für Violoncello und Orchester, ein
heiteres, elegantes, graziöses Werk, entstand in einer Zeit, in der der Komponist
auf die schwerste Krise seines Lebens zusteuerte: Im Sommer 1876 teilte er seinem
Bruder Modest schriftlich mit, er habe
beschlossen »eine gesetzliche eheliche
Verbindung einzugehen – mit wem auch
immer«. Nicht der Wunsch, eine Familie zu
gründen, bewog ihn zu dieser Entscheidung; vielmehr wollte er den Gerüchten
über seine Homosexualität, die in Moskau
kursierten, ein Ende bereiten. Wie fatal
sich dieser Entschluss auf die Psyche
Tschaikowskys auswirkte, ist hinlänglich
bekannt. Die im Juli 1877 geschlossene Ehe
mit seiner ehemaligen Schülerin Antonina
Iwanowna Miljukova geriet für den Komponisten zum Desaster, das in einer Nervenkrise endete. Es folgten Flucht, Trennung
und Rekonvaleszenz in der Schweiz und
Italien. Als Dokument seiner Genesung und
wiedererwachten Schaffenslust gilt das
berühmte Violinkonzert, das Tschaikowsky
im schweizerischen Clarens zusammen mit
dem von ihm schwärmerisch verehrten Geiger Iossif Kotek ausarbeitete.
URAUFFÜHRUNG
Bearbeitung von Wilhelm Fitzenhagen: Am
18. (30.) November 1877 in Moskau im
3. Symphoniekonzert der Kaiserlich-Russischen Musikgesellschaft (Orchester der
Kaiserlich-Russischen Musikgesellschaft
unter Leitung von Nikolaj Rubinstein; Solist: Wilhelm Fitzenhagen). Die unverfälschte Originalfassung nach Tschaikowskys Autograph wurde erstmals am 24.
April 1941 in Moskau aufgeführt (Dirigent:
Aleksandr Melik-Pashaev; Solist: Daniil
Shafran).
FREUNDSCHAFTSGABE
FÜR EINEN KOLLEGEN
Seine Rokoko-Variationen, das andere große Werk für solistisches Streichinstrument
und Orchester, stehen hingegen am Anfang
jener Krise. Im Dezember 1876 erwähnt
Tschaikowsky in einem Brief an seinen Bruder Anatol eher beiläufig, er schreibe gegenwärtig einige Variationen für Solocello
und Orchester. Gewidmet hat er sie dem
deutschen Cellisten Wilhelm Fitzenhagen,
einem Schüler Theodor Müllers und Fried-
Pjotr Iljitsch Tschaikowsky: Rokoko-Variationen
10
rich Grützmachers, der wie Tschaikowsky
Professor am Moskauer Konservatorium
war; möglicherweise war er sogar der Auftraggeber des Konzerts. Fitzenhagen, der
auch selbst komponierte, besaß großes
künstlerisches Renommee; außerdem
stand er im Ruf, einer der besten Lehrer
seiner Zeit zu sein. Als Künstler wie als Pädagoge war er eine wichtige Persönlichkeit
des Moskauer Musiklebens. Da Tschaikowsky wenig Erfahrung mit der Spieltechnik
des Violoncellos hatte, ließ er sich von Fitzenhagen hinsichtlich der Gestaltung des
Soloparts beraten; außerdem gestand er
ihm zu, die Cellostimme nach eigenem Gutdünken abzuändern. Der »Kollege« nahm
sich in der Folge große Freiheiten heraus
– nicht nur bei der eigenen Cellostimme,
sondern auch bei der Gesamtkonzeption
des Stücks, indem er nämlich die Reihenfolge der Variationen umstellte und eine
sogar wegließ: Während Tschaikowsky ursprünglich acht Variationen komponiert
hatte, kommen in Fitzenhagens Bearbeitung nur sieben vor…
»DIESER IDIOT FITZENHAGEN«
1878, im Vorfeld der von Fitzenhagen betreuten Erstveröffentlichung der Fassung
für Cello und Klavier empörte sich der Verleger Jurgenson gegenüber Tschaikowsky:
»Abscheulicher Fitzenhagen ! Er besteht
darauf, Änderungen an Deinem Cellostück
vorzunehmen, es für das Instrument passender zu machen. Und er behauptet, Du
hättest ihn dazu autorisiert. Um Himmels
willen ! Tschaikowsky revu et corrigé par
Fitzenhagen !« Auch der Komponist ärgerte sich über die künstlerische Eigenmächtigkeit des Musikers und beschwerte sich
einem Freund gegenüber: »Dieser Idiot
Fitzenhagen war gerade bei mir. Schau,
was er aus meinem Stück gemacht hat – er
hat alles geändert !« Gleichwohl ließ er das
Werk drucken, wie es der Cellist eingerichtet hatte, und in Fitzenhagens Fassung
wurden die Rokoko-Variationen weltberühmt. Erst Mitte des 20. Jahrhunderts
rekonstruierte man die Originalversion und
publizierte sie im Rahmen der Tschaikowsky­-Gesamtausgabe.
MUSIKALISCHER BLICK ZURÜCK
Der Titel »Variationen über ein Rokoko-Thema« deutet an, dass Tschaikowsky sich in
diesem Stück stilistisch an Vergangenem
orientiert – an der Musik Haydns und vor
allem Mozarts. Die Werke dieser beiden
Komponisten waren – wie aus seinen
Schriften und Kritiken hervorgeht – für
Tschaikowsky der Inbegriff des Rokoko-­
Stils. Haydn schätzte er zwar als »notwendiges und wichtiges Glied in der Kette des
symphonischen Schaffens«, doch seine
Musiksprache empfand er als zu oberflächlich, kühl und glatt. »Genial«, so Tschaikowskys Meinung, sei er nicht gewesen,
ganz im Gegensatz zu Mozart, den er ein
»ausdrucksstarkes, vielseitiges, tiefgründiges Genie« nennt und der für ihn nur hinsichtlich seiner Instrumentalmusik veraltet ist. »Im Bereich der Oper hat er bis
heute keinen einzigen Rivalen«, heißt es
1873 in einem Musikfeuilleton. Seit den
Zeiten Mozarts und Haydns hätten sich die
Kompositionsverfahren und die Instrumentationstechniken so stark verändert,
»dass der Rokoko-Stil, in dem beide Komponisten zu uns sprechen, in schroffem
Gegensatz steht zur inneren Zerrissenheit
der Romantik oder gar zur schwungvollen
Linienführung und dem grellen Kolorit unserer zeitgenössischen Kunst«.
Pjotr Iljitsch Tschaikowsky: Rokoko-Variationen
11
Pjotr Iljitsch Tschaikowsky mit Frau Antonina (1877)
Pjotr Iljitsch Tschaikowsky: Rokoko-Variationen
12
KLASSISCH KONZIPIERT,
ROMANTISCH EMPFUNDEN
In seinen Rokoko-Variationen beschwört
nun Tschaikowsky jene ihm angeblich so
fern liegende Klangsprache des 18. Jahrhunderts. Tatsächlich erscheint vieles direkt von Haydn und Mozart entlehnt – beispielsweise die Orchesterbesetzung, die
mit Streichern sowie je zwei Flöten, Oboen,
Klarinetten, Fagotten und Hörnern dem
damals üblichen Instrumentarium entspricht. Auch das Thema selbst wirkt – zumindest auf den ersten Blick – dem Musikstil der Mozart-Zeit nachempfunden: Es
gibt sich tändelnd, grazil und elegant,
schmeichelt dem Ohr mit seinem regelmäßigen, achttaktigen Bau. Der rhythmische
Gestus, zwei auftaktige Sechzehntel und
eine sich anschließende Achtelfigur im
2/4-Takt, korrespondiert mit zahlreichen
Werken Haydns und Mozarts und wurde
gern und häufig in den damals so beliebten
Contretänzen verwendet. Trotzdem: Wie
eine originale Melodie von Haydn oder Mozart klingt das Thema nicht. Das liegt vor
allem an seiner harmonischen Gestaltung,
die ganz Tschaikowskys eigene ist. Sie verleiht dem Thema eine schmachtende Süße
und lässt keinen Zweifel daran, dass es von
einer romantisch empfindenden Seele komponiert wurde.
VIRTUOS UND KONTEMPLATIV
In den sich anschließenden Variationen, die
jeweils einen anderen musikalischen Charakter haben, kann der Solist sämtliche
Register seines Könnens ziehen: Die Melodie wird virtuos ausgeschmückt, in kleine
Motive aufgespalten und von brillantem
Laufwerk konterkariert. Daneben gibt es
immer wieder besinnliche Ruhepunkte, beispielsweise wenn das Thema im 3/4-Takt
erscheint oder nach Moll eingetrübt wird.
Das Werk endet mit einer furiosen und
virtuosen Schlusscoda. Wie beim berühmteren Violinkonzert steht der Solist im Vordergrund: die Funktion des Orchesters ist
es in erster Linie, dem Spiel des Solocellos
den klanglichen Boden zu bereiten. Stellenweise wird jedoch das eine oder andere
Instrument zum konzertierenden Partner
des Solisten, indem es Themenmotive spielerisch aufgreift und in direkten Dialog mit
ihm tritt.
GROSSES LOB VON FRANZ LISZT
Wilhem Fitzenhagen hatte mit Tschaikowskys
Rokoko-Variationen großen Erfolg. Unter
dem Eindruck der deutschen Erstaufführung
beim Wiesbadener Musikfest 1879 schrieb er
an den Komponisten: »Ich machte mit Deinen
Variationen Furore. Ich gefiel damit so sehr,
dass ich dreimal herausgerufen wurde, und
sogar während des Vortrags gab es nach dem
Andante (in d-Moll) Beifallsstürme. Liszt
sagte zu mir: ›Sie spielen wunderbar ! Das
ist wahre Musik !‹« Schon bei der Moskauer
Uraufführung im November 1877 war das
Werk zeitgenössischen Presseberichten zufolge außerordentlich gut angekommen.
Tschaikowsky weilte zu diesem Zeitpunkt
allerdings schon im Ausland, um sich an der
Seite des jungen Geigers Iossif Kotek von
den Schrecken seiner Kurzzeit-Ehe mit Antonina Miljukowa zu erholen.
Pjotr Iljitsch Tschaikowsky: Rokoko-Variationen
13
Die Kunst des
poetischen
Gedankens
DORIS SENNEFELDER
NIKOLAJ RIMSKIJ-KORSAKOW
(1844–1908)
»Scheherazade«
(nach »Tausend und eine Nacht«)
Symphonische Suite für Orchester
in vier Sätzen op. 35
LEBENSDATEN DES KOMPONISTEN
Geboren am 6. (18.) März 1844 in Tichwin
(Bezirk Nowgorod / Russland); gestorben
am 8. (21.) Juni 1908 in Ljubensk (Bezirk
St. Petersburg / Russland).
STOFFVORLAGE
»Alf laila wa-laila« (arabisch; Tausend und
eine Nacht), eine Sammlung von über 300
Märchen, Novellen, Legenden, Anekdoten,
Fabeln und Parabeln indischen und persischen Ursprungs, die noch im 16. Jahrhundert Gegenstand zahlreicher Überarbei-
tungen war, deren Anfänge aber bis ins
8. Jahrhundert zurückreichen; sie wird
durch eine Rahmenerzählung zusammengehalten, in deren Mittelpunkt Königin
Scheherazade steht: Die kluge Tochter eines königlichen Wesirs lenkt die Aufmerksamkeit ihres blutrünstigen Gatten und
Königs von Samarkand auf spannend erzählte Geschichten, vereitelt damit erfolgreich ihre bevorstehende Hinrichtung und
gewinnt zuletzt das Vertrauen und die Liebe ihres Mannes zurück.
ENTSTEHUNG
Pläne zu einem Orchesterwerk über orientalische Sujets beschäftigten den Komponisten offenbar »seit langem« – der genaue Zeitpunkt ist allerdings unbekannt,
darf aber mit der Bearbeiter-Tätigkeit
Rimskij-Korsakows für Alexander Borodins
unvollendete Oper »Fürst Igor« in Zusammenhang gebracht werden ( Winter
1887/88). Beginn der Komposition im Februar 1888 in St. Petersburg; Beendigung
im Juli 1888 in Rimskij-Korsakows Sommerfrische in Neshgowizy (Bezirk Luga) am
Tscheremenezkij-See südlich von St. Petersburg.
Nikolaj Rimskij-Korsakow: »Scheherazade«
14
»PROGRAMM«
Rimskij-Korsakow war sich lange Zeit unsicher, ob er den einzelnen Sätzen seiner
»symphonischen Suite« deskriptive Titel
oder sogar Inhaltsangaben beifügen sollte.
Ursprünglich plante er eine rein formale
Satzfolge mit den Bezeichnungen »I Prélude – II Ballade – III Adagio – IV Finale«, die
er in einem Brief an Alexander Glasunow zu
»I Prélude – II Erzählung – III Rêverie – IV
Karneval in Bagdad« konkretisierte. Auf
Anatolij Ljadows Rat formulierte
Rimskij-Korsakow schließlich die Überschriften »I Das Meer und Sindbads Schiff
– II Die Geschichte des Prinzen Kalender –
III Der junge Prinz und die junge Prinzessin
– IV Fest in Bagdad / Das Meer / Das Schiff
zerschellt am Felsen mit dem ehernen Reiter / Epilog«. Bei Drucklegung der Partitur
jedoch entschied sich der Komponist für
ein bloßes Durchnummerieren der vier Sätze ohne jede weitere Bezeichnung.
WIDMUNG
»A Monsieur Wladimir Stassow« (Herrn
Wladimir Stassow gewidmet); der Kunstwissenschaftler und Kritiker Wladimir
Stassow (1824–1906) prägte die Bezeichnung »Mächtiges Häuflein« auf die Gruppe
nationalrussischer Komponisten um Milij
Balakirew und war deren emphatischer
Wortführer in der Öffentlichkeit.
URAUFFÜHRUNG
Am 22. Oktober (3. November) 1888 in St.
Petersburg (Orchester der von Rimskij-Korsakows Verleger Beljajew organisierten
»russischen Symphoniekonzerte« unter
Leitung von Nikolaj Rimskij-Korsakow).
AUF DER SUCHE NACH
­MUSIKALISCHER IDENTITÄT
Man nimmt es heute als musikhistorische
Binsenweisheit hin: Wie in Spanien, Frankreich oder Skandinavien, so habe sich im
19. Jahrhundert eben auch in Russland im
Zuge eines verstärkt national geprägten
Kunstverständnisses eine eigene, national
gefärbte Musiksprache entwickelt. Freilich
dürfte der Weg dorthin in Russland etwas
weiter gewesen sein als in anderen Ländern: Das 1636 von Patriarch Joasaph ausgesprochene Verbot der Instrumentalmusik unter Androhung von schweren Freiheitsstrafen und Kirchenbann mag dabei
ebenso seine Spuren im kollektiven Bewusstsein hinterlassen haben wie später
dann der Siegeszug der italienischen Oper
unter dem Einfluss der kaiserlich-russischen (!) Hofkapellmeister Galuppi, Paisiello oder Cimarosa. So war Michail Glinka
(1804–1857) einer der ersten, der sich
nachhaltig und vor allem auch erfolgreich
für die Schaffung einer nationalen Musik
einsetzte; als Marksteine gelten seine Oper
»Ein Leben für den Zaren« (1836), in der
einfache Menschen des russischen Volkes
als Protagonisten agieren, sowie seine romantische Märchenoper »Ruslan und Ljud­
milla«, uraufgeführt 1842.
Erst in den 1860er Jahren aber bildete sich
jener Kreis von Musikern, der als das so
genannte »Mächtige Häuflein« in die Geschichte eingehen sollte und sich dezidiert
dem nationalen Gedanken verschrieb.
Stellvertretend für seine Mitglieder Milij
Balakirew, Modest Mussorgskij, Alexander
Borodin, Nikolaj Rimskij-Korsakow und
Cesar Cui formulierte der Kunstkritiker
Wladimir Stassow als geistiger Führer der
Gruppe die folgenden programmatischen
Leitlinien: »Wir haben unserem echten rus-
Nikolaj Rimskij-Korsakow: »Scheherazade«
15
Nikolaj Rimskij-Korsakow kurz nach seiner Heirat (1872)
Nikolaj Rimskij-Korsakow: »Scheherazade«
16
sischen Lied in der Kunst Geltung verschafft. Es verzehnfacht unsere Kräfte,
wenn wir es begreifen. Es klingt schon in
unseren Opern und Symphonien. Wir verleihen ihm neue Flügel. Fliege vorwärts !
[...] Jenen Zeiten entgegen, wo unser Volk
in Freiheit und Glück seine Lieder anstimmen wird.«
DAS »MÄCHTIGE HÄUFLEIN«
UND SEINE GEGENSPIELER
Obschon ungefähr genauso alt wie seine
Mitstreiter, übernahm Milij Balakirew innerhalb des »Mächtigen Häufleins« eine
Art Vaterrolle, indem er seine Freunde mit
den verschiedensten Werken bekannt
machte und zu ersten Kompositionsversuchen anregte; mit der Gründung der »Freien Musikschule« 1862 trat er zudem ganz
offen in Opposition zu einer traditionell
westlich geprägten Richtung, wie sie beispielsweise von Anton und Nikolaj Rubinstein vertreten und an den von ihnen ins
Leben gerufenen Konservatorien in St.
Petersburg und Moskau gelehrt wurde. Im
Unterschied zu diesen beiden Instituten
wurden an der Freien Musikschule keine
Aufgaben gestellt und keine Prüfungen abgelegt; der Unterricht – der allerdings nur
aus dem Fach Chorsingen bestand – fand
meist abends statt, um auch Berufstätigen
die Teilnahme zu ermöglichen.
Ohne Zweifel war die Freie Musikschule damit ein Reflex auf die spezifische Situation
des »Mächtigen Häufleins«, deren Mitglieder – bar jeder akademischen Musikausbildung – streng genommen als komponierende Laien gelten mussten. Wett gemacht
wurde dieses Manko freilich durch den intensiven künstlerischen Austausch unter
den Freunden, wie er sich im Korsett eines
Konservatorium-Lehrplans wohl kaum hät-
te entwickeln können. Als Forum für die
entstehenden Arbeiten dienten die Konzerte der Freien Musikschule, die in der Regel
der »nationalen« Musik gewidmet waren,
während Anton Rubinstein – als Vertreter
der Gegenpartei – in den Veranstaltungen
der Kaiserlich-Russischen Musikgesellschaft meist Werke von deutschen Komponisten dirigierte.
Sein prominentester Schüler, Pjotr Iljitsch
Tschaikowsky, geriet unter diesen Umständen geradezu zwangsläufig in die Rolle des
westlich orientierten Antipoden zu den
Komponisten des »Mächtigen Häufleins«.
Trotzdem waren er und vor allem
Rimskij-Korsakow durchaus in der Lage,
sich über kleinliche Feindbilder hinwegzusetzen und sich ihrer gegenseitigen Wertschätzung zu versichern. So schrieb
Tschaikowsky 1875 warmherzig an
Rimskij-Korsakow, »dass ich mich einfach
vor Ihnen verneige und zu Ihnen und Ihrer
edelmütigen künstlerischen Bescheidenheit und Ihrem erstaunlichen starken Charakter ehrfurchtsvoll aufschaue«.
RIMSKIJ-KORSAKOWS WERDEGANG
1844 als Sohn eines 60-jährigen Vaters
und einer 42-jährigen Mutter im nordrussischen Tichwin gebor en, hatte
Rimskij-Korsakow sich schon bald den
strengen Erziehungsmaßnahmen seines
älteren Bruders Woin fügen müssen, der
ihn 1856 auf die Marine-Kadetten-Schule
in St. Petersburg geschickt und ihm zeitweise sogar den Musikunterricht bei seinem Klavierlehrer Fjodor Kanille untersagt
hatte. Trotzdem kam 1861 über Kanille der
Kontakt zu Milij Balakirew zustande, der
den 17-Jährigen zu seiner ersten Symphonie anregte und diese 1865 auch uraufführte. Rimskij-Korsakow hatte zu diesem
Nikolaj Rimskij-Korsakow: »Scheherazade«
17
Nikolaj Rimskij-Korsakow (Gravur von I. Helmitsky, um 1890)
Zeitpunkt eine fast dreijährige Weltumseglung in militärischer Mission absolviert und
konnte sich nun – als frischgebackener
Offizier – wieder verstärkt der Musik widmen. So entstand 1868 die Symphonische
Suite »Antar«, in der Rimskij-Korsakow
seine Hörer, ähnlich wie später in der
»Scheherazade«, in die Märchenwelt des
Orients entführte. Exemplarisch verwirklichte Rimskij-Korsakow in diesem Werk
bereits das, was er erst viel später in seinen ästhetischen Schriften postulieren
sollte: »Die Musik als eine grundlegende
schöpferische Kunst ist eine Kunst des
poetischen Gedankens, ausgedrückt in der
Schönheit eines musikalischen, tonlich-­
rhythmischen Gewebes.«
Als Rimskij-Korsakow 1871 überraschenderweise zum Professor für Komposition,
Instrumentation und Leiter der Orchester-
klasse an das St. Petersburger Konser­
vatorium berufen wird, fasst er damit sozusagen im Lager der musikalischen Gegner Fuß – und dies, obwohl er sein Wissen
nicht akademisch-systematisch, sondern
instinktiv-nachahmend erworben hatte.
Rimskij-Korsakow aber nutzt die Gelegenheit, eigene Lücken zu schließen, und besucht anfänglich sogar Veranstaltungen
seiner Kollegen. Bis 1878 dauern seine verspäteten Lehrjahre, in deren Verlauf er
sich u. a. mit Palestrina, Bach und Händel
beschäftigt und die ihn schließlich zu der
Aussage veranlassen, erst die »Aneignung
der harmonischen und kontrapunktischen
Technik« habe seinem Schaffen neue, lebendige Kräfte verliehen und ihm die Hände für eine weitere kompositorische Tätigkeit gelöst. Als Hauptwerk jener Jahre darf
seine Oper »Die Mainacht« gelten.
Nikolaj Rimskij-Korsakow: »Scheherazade«
18
Durch den Tod Mussorgskijs im Jahr 1881
wird seine eigenschöpferische Tätigkeit
jedoch wieder unterbrochen; aufopferungsvoll bearbeitet Rimskij-Korsakow
Mussorgskijs musikalischen Nachlass.
Auch sonst setzt er sich für die Belange
des »Mächtigen Häufleins« ein – so 1874,
als er von Balakirew für einige Zeit die Leitung der Freien Musikschule übernimmt,
oder 1883, als er neben Balakirew zum
zweiten Dirigenten der Hofsängerkapelle
avanciert. Später allerdings wird
Rimskij-Korsakows Verhältnis zum Zieh­
vater des »Mächtigen Häufleins« belastet,
ist dieser doch als einziger von der großzügigen Förderung der Komponistengruppe durch den Kunstmäzen Mitrofan Beljajew ausgeschlossen. Rimskij-Korsakow
hingegen fungierte als Leiter und erster
Dirigent der von Beljajew gestifteten
»russischen Symphoniekonzerte«, die ihm
in der Saison 1888/89 u. a. als willkommenes Forum für seine soeben abgeschlossene »Scheherazade«-Suite dienten.
ZUR ENTSTEHUNG DER
»SCHEHERAZADE«
Bereits im Winter 1887/88 war Rimskij-­
Korsakow auf den Gedanken gekommen,
eine – wie es in der »Chronik meines musikalischen Lebens« heißt – »Orchesterkomposition über das ›Scheherazade‹-Sujet
aus ›Tausend und einer Nacht‹ sowie eine
Ouvertüre auf Themen der orthodoxen Liturgie [heute bekannt unter dem Titel
›Russische Ostern‹] zu schreiben«. Beide
Projekte waren jedoch auf den Sommer
verschoben worden; zu sehr hatte ihn die
Fertigstellung von Borodins Oper »Fürst
Igor« in Beschlag genommen. Nun aber,
während eines Landaufenthalts in Neshgowizy am Tscheremenezkij-See, stand sei-
nen kompositorischen Vorhaben nichts
mehr im Wege.
Zu seiner viersätzigen symphonischen Suite »Scheherazade« ließ Rimskij-Korsakow
sich dabei durch einzelne Episoden und
Bilder aus der arabischen Märchensammlung von »Tausend und einer Nacht« anregen; dargestellt werden – so der Komponist in seiner Chronik – »das Meer und
Sindbads Schiff, die Geschichte des Prinzen Kalender, der junge Prinz und die junge Prinzessin, das Fest in Bagdad und das
an dem Felsen mit dem ehernen Reiter zerschellende Schiff«. Um aber zu verhindern,
dass allzu eifrige Zuhörer nach einem konkreteren Programm fahnden würden, verzichtete Rimskij-Korsakow schließlich auf
jegliche Satzbezeichnungen: Weder die
ursprünglich vorgesehenen neutralen Angaben »Prélude, Ballade, Adagio und Finale« noch die später geplanten Überschriften wurden veröffentlicht. Denn nicht um
das Nachbuchstabieren einzelner Märchen
war es Rimskij-Korsakow zu tun; vielmehr
sollte die Aura jener sagenumwobenen
Textsammlung eingefangen werden, die
Geschichten aus Indien, Persien, Syrien,
Arabien und Ägypten enthält und deren
Ursprünge bis auf das 8. Jahrhundert zurückgehen.
Zusammengehalten wird dieses Konglomerat von Erzählungen, Anekdoten, Märchen,
ja sogar ganzen Romanen durch die allseits
bekannte Rahmenhandlung von der schönen Scheherazade: Um ihr Leben zu retten
und um, anders als ihre Vorgängerinnen,
nach der Hochzeitsnacht mit ihrem Gatten,
dem Sultan Schachriar, sofort getötet zu
werden, erzählt Scheherazade tausend
und eine Nacht lang ihre faszinierenden
Geschichten, bis sie von ihrem Mann als
Nikolaj Rimskij-Korsakow: »Scheherazade«
19
würdige Sultanin anerkannt wird. In
Rimskij-Korsakows Vertonung ist dieser
Rahmen als formgebendes Element beibehalten. Scheherazade wird hier von der
Solovioline verkörpert: Ein sich schlängelndes, orientalisch anmutendes Motiv, das im
ersten Satz zunächst in hoher Lage auf der
E-Saite erklingt und später in vielfacher
Weise verarbeitet wird, mag dabei ihre Anmut und ihre grazilen Erzählgesten versinnbildlichen. Auch dem hartherzigen Sultan, der – überzeugt von Falschheit und
Untreue nicht nur der eigenen, sondern
aller Frauen – von seinem grausigen Tun
zunächst nicht ablassen will, ist ein eigenes Motiv zugeordnet. Es erscheint gleich
zu Beginn des ersten Satzes, noch bevor
Scheherazade (bzw. die Solovioline) anhebt
zu erzählen. Neben den Vortragsbezeichnungen »fortissimo« und »pesante«
(schwer, schwerfällig) ist es vor allem
durch polternd abfallende Quartsprünge
und einen imposanten Triller gekennzeichnet. Eindeutiger hätte Rimskij-Korsakow
die Opposition der Geschlechter wohl kaum
in Töne setzen können...
KALEIDOSKOP DER SINNE
Auch wenn Rimskij-Korsakow zum Zeitpunkt der Entstehung seiner »Scheherazade« über das Stadium kontrapunktischer
Studien längst hinaus war, halfen ihm doch
die dabei erworbenen Fertigkeiten, im Umgang mit dem musikalischen Material eine
ganz eigene Technik zu entwickeln: Statt
seine Motive in vorgegebene Formen zu
gießen, unterwarf er sie einer permanenten Veränderung und Weiterentwicklung.
So vermengt sich etwa das Motiv des Sultans im ersten Satz mit unablässig aufund absteigenden Dreiklangsbrechungen,
bis schließlich das Wogen des Meeres akus-
tisch im Vordergrund steht: Sindbad der
Seefahrer kämpft mit den Naturgewalten;
erst als das Meer sich beruhigt, ist er gerettet.
Zu Beginn des zweiten Satzes spinnt Scheherazade ihren Erzählfaden fort; im Espressivo der Solovioline spiegelt sich der
Liebreiz ihrer Worte, denen sich der Sultan
nicht entziehen kann. So betritt nun – verkörpert durch ein mit Vorschlägen verziertes, lustig springendes Motiv im Fagott –
Prinz Kalender die Szene. Eine fanfarenartige Wendung von Posaune und Trompete
gibt den Startschuss zu immer neuen, offenbar nicht ganz ungefährlichen Abenteuern. Doch alles geht gut aus: Versöhnlich
erscheint das Motiv des Prinzen schließlich
in der Flötenstimme, begleitet von Arpeggien der Harfe, die wirkungsvoll zum orientalischen Kolorit der Passage beitragen.
Noch mehr klangliche Exotik bietet der
dritte Satz, in dem sich Prinz und Prinzessin – so suggeriert es die Musik – einem
erotischen Spiel hingeben: Die weich fließende Melodie der Streicher im 6/8-Takt
mag dabei die Liebkosungen der beiden
beschreiben; rasch auf- und abfahrende
Figuren, vornehmlich in den Holzbläsern,
signalisieren das Aufflammen der Emotionen in drückend-schwüler Luft. Tamburin,
Triangel und Becken sorgen für eine reizvolle »couleur locale«.
Noch aber ist der Sultan nicht besänftigt,
wie sein heftig dreinfahrendes Motiv zu
Beginn des vierten Satzes zeigt. Unter Einsatz all ihrer Fabulierkünste – hörbar im
zwei- bis dreistimmigen Akkordspiel der
Solovioline – gelingt es Scheherazade freilich noch einmal, ihn erzählend in ihren
Bann zu ziehen: Ein straff rhythmisierter
Nikolaj Rimskij-Korsakow: »Scheherazade«
20
Tanzrhythmus steht für das Fest in Bagdad, das sie nun beschreibt; mit kreisenden Dreiton-Figuren steigert sich das Geschehen bis zur Ekstase. Ein mächtiger
Tam-Tam-Schlag gegen Ende des Satzes
führt schließlich zurück zur Geschichte von
Sindbad dem Seefahrer, dessen Schiff am
Magnetberg zerschellt. Verwoben in einen
prachtvollen symphonischen Satz tauchen
hier alle bedeutsamen Themen der vorhergehenden Sätze wieder auf – als faszinierendes Kaleidoskop der Sinne und in genialer Entsprechung zur literarischen Vorlage der Komposition: So wie sich nämlich
eine gute Märchenerzählerin gerade dadurch auszeichnet, dass sie die altbekannten Geschichten immer wieder neu mit motivischen Überwucherungen auszuschmücken vermag, variiert auch Rimskij-Korsakow unaufhörlich seine Motive.
MÄRCHENWELT
UND RUSSISCHE REALITÄT
Mit der »Scheherazade«, dem »Capriccio
espagnol« und der Ouvertüre »Russische
Ostern« ging – nach Rimskij-Korsakows
eigener Einschätzung – jene Periode seines
kompositorischen Schaffens zu Ende, in
der er noch unbeeinflusst von Richard
Wagner und in Beschränkung auf das »herkömmliche Glinka-Orchester« an der Perfektionierung von Instrumentation und
Orchesterbehandlung gearbeitet hatte.
Und vielleicht gelang es ihm in dieser Zeit
besonders überzeugend, seine Vorstellung
von der Kunst als der »bezauberndsten,
hinreißendsten Lüge« in Musik umzusetzen, hatte er doch gerade in »Scheherazade« das Äußere, das prachtvolle Schau­
gewand der Komposition zu deren innerster Essenz werden lassen.
Inwieweit Rimskij-Korsakow sich mit diesem sinnlichen Orchestergemälde von den
hehren Idealen des »Mächtigen Häufleins«
und dessen Suche nach einer nationalen
Identität entfernt hatte, sei einmal dahingestellt. Jedenfalls kam Rimskij-Korsakow
nicht umhin, sich aus der schillernden Märchenwelt seiner Kompositionen wieder der
Realität zuzuwenden. Der Tod der Mutter
und zweier seiner Kinder sowie die Entfremdung von Balakirew belasteten ihn
schwer; hinzu kam, dass 1897 die Uraufführung seiner Oper »Sadko« am Kaiserlichen Theater in St. Petersburg durch eine
Intrige vereitelt wurde. Allerdings geriet
die Premiere an der russischen Privatoper
in Moskau mit Fjodor Schaljapin in der
Hauptrolle dann zu einem umso größeren
Erfolg. Mehr und mehr verlagerte sich
Rimskij-Korsakows kompositorische Tätigkeit nun in den Bereich der Oper, und in
rascher Folge entstanden »Mozart und
Salieri«, »Die Zarenbraut«, »Das Märchen
vom Zaren Saltan« und »Der unsterbliche
Kaschtschej«.
Erst durch die dramatischen Ereignisse
des sog. »St. Petersburger Blutsonntags«
(9. bzw. 22. Januar 1905), als Elitetruppen
im Auftrag der Regierung mit brutaler Gewalt eine friedliche Massendemonstration
von Arbeitern beendeten, wird diese Serie
von Bühnenwerken unterbrochen. Rimskij-­
Korsakow unterschreibt eine Erklärung
seiner Studenten, in der gegen das Vorgehen der Regierung protestiert wird, und
gerät somit unversehens zur Symbolfigur
jener Freiheitsbewegung. Wenig später
wird er vom Dienst suspendiert, worauf
seine Kollegen Glasunow und Ljadow unter
Protest ihr Entlassungsgesuch einreichen.
Die Situation spitzt sich zu, und auf Anweisung des Zaren ist es in der Hauptstadt
Nikolaj Rimskij-Korsakow: »Scheherazade«
21
zeitweise sogar verboten, Werke von
Rimskij-­
K orsakow aufzuführen. Doch
schließlich darf er ans Konservatorium zurückkehren, und in seinen Erinnerungen
hakt er die Ereignisse jener Tage mit der
lakonischen Bemerkung ab, er habe »nicht
die geringste Lust, über diese lange Pause
in [seinem] musikalischen Leben noch weitere Worte zu verlieren«.
Seine Opernsatire »Der goldene Hahn«, die
er 1906 nach einer literarischen Vorlage
von Alexander Puschkin konzipiert, spricht
indes eine deutliche Sprache: Unter dem
Deckmantel einer Märchenerzählung übt
hier Rimskij-­Korsakow – anders als in der
»Scheherazade«, wo sich meisterhafte Instrumentationskunst in den Dienst einer
poetischen Idee stellt – unverhohlen die
bitterste und bissigste Gesellschaftskritik; eine buntschillernde, kühne Harmonik
dient dazu, die Morbidität des korrupten
Zarenregimes bloß­zustellen. Die zahlreichen Anspielungen werden verstanden;
nach Ablehnungsbekundungen des Bolschoi- und des Mariinsky-Theaters folgt
1908 das generelle Verbot durch die Zensur. Die umjubelten Erstaufführungen im
Jahr darauf – zunächst durch eine private
Operntruppe in Moskau, dann auch am Bolschoi-Theater – kann Rimskij-Korsakow
nicht mehr miterleben. Am 8. (21.) Juni
1908 erliegt er auf seinem Landgut Ljubensk einem Herzanfall.
Scheherazade (Arthur Rackham, um 1900)
Nikolaj Rimskij-Korsakow: »Scheherazade«
22
Valery
Gergiev
DIRIGENT
In Moskau geboren, studierte Valery Gergiev zunächst Dirigieren bei Ilya Musin am
Leningrader Konservatorium. Bereits als
Student war er Preisträger des Herbert-­
von-Karajan-Dirigierwettbewerbs in Berlin.
1978 wurde Valery Gergiev 24-jährig Assistent von Yuri Temirkanov am Mariinsky
Opernhaus, wo er mit Prokofjews Tolstoi-­
Vertonung »Krieg und Frieden« debütierte.
Seit mehr als zwei Jahrzehnten leitet er nun
das legendäre Mariinsky Theater in St. Petersburg, das in dieser Zeit zu einer der
wichtigsten Pflegestätten der russischen
Opernkultur aufgestiegen ist.
Mit den Münchner Philharmonikern verbindet Valery Gergiev seit der Saison 2011/12
eine intensivere Zusammenarbeit. So hat
er in München mit den Philharmonikern und
dem Mariinsky Orchester alle Symphonien
von Dmitrij Schostakowitsch und einen
Zyklus von Werken Igor Strawinskys aufgeführt. Seit der Spielzeit 2015/16 ist
Valery Gergiev Chefdirigent der Münchner
Philharmoniker. Als »Maestro der Stadt«
wendet er sich seitdem mit Abo- und
Jugendkonzerten, öffentlichen Generalproben, dem Open Air Konzert »Klassik am
Odeonsplatz« und dem Festival MPHIL
360° sowohl an die Münchner Konzert­
besucher als auch mit regelmäßigen Live­
stream- und Fernseh­übertragungen aus
der Philharmonie im Gasteig an das inter­
nationale Publikum.
Seit September 2016 liegen die ersten CD-­
Aufnahmen des orchestereigenen Labels
MPHIL vor, die seine Arbeit mit den Münchner Philharmonikern dokumentieren. Weitere Aufnahmen, bei denen besonders die
Symphonien von Anton Bruckner einen
Schwerpunkt bilden, sind in Vorbereitung.
Reisen führten die Münchner Philharmoniker mit Valery Gergiev bereits in zahlreiche
europä­ische Städte sowie nach Japan, China, Korea und Taiwan.
Künstlerbiographie
23
Andrei
Ioniță
VIOLONCELLO
2013 und den 2. Preis beim ARD-Musikwettbewerb in München 2014 sowie den
Sonderpreis für die beste Interpretation
eines Auftragswerks. Der große internationale Durchbruch erfolgte 2015 mit dem
1. Preis des Tschaikowsky-Wettbewerbs in
Moskau.
Der 1994 in Bukarest geborene Cellist erhielt zunächst seine Ausbildung an der Musikschule Iosif Sava in Bukarest bei Ani-­
Marie Paladi. Seit 2012 studiert er bei Jens
Peter Maintz an der Universität der Künste Berlin. Wichtige musikalische Impulse
holte er sich außerdem bei David Geringas,
Steven Isserlis, Heinrich Schiff, Wolfgang
Boettcher, Gary Hoffman und Wolfgang
Emanuel Schmidt.
Mehrfach ging er als Preisträger bei internationalen Wettbewerben hervor. So erspielte er sich u. a. den 1. Preis der Aram
Khachaturian International Competition
Im Rahmen des Festivals »Chamber Music
Connects the World« der Kronberg Academy
musizierte er 2014 an der Seite von Gidon
Kremer und Christian Tetzlaff. 2015 gab
er sein Debüt in der Berliner Philharmonie
als Solist mit dem Deutschen Symphonie-­
Orchester. In der Saison 2016/17 standen
und stehen weitere Debüts an, darunter mit
dem Tokyo Philharmonic Orchestra und dem
Czech Philharmonic Orchestra. Regelmäßig
tritt Andrei Ioniţă auf Einladung von und
zusammen mit Maestro Valery Gergiev auf,
wie auch bei seinem aktuellen Debüt mit den
Münchner Philharmonikern.
Von der BBC wurde Andrei Ioniţă als New
Generation Artist ausgewählt. Bis 2018
erhält er die Möglichkeit, mit den BBC Orchestern zu spielen sowie Aufnahmen in
den BBC Studios zu machen. Andrei Ioniţă
spielt ein Violoncello von Giovanni Battista
Rogeri, 1671 in Brescia gefertigt.
Künstlerbiographie
24
Altlasten der
Vergangenheit
Herbert von Karajans verhindertes Gastspiel
bei den Münchner Philharmonikern
GABRIELE E. MEYER
Neben dem Bühneneingang zum großen
Konzertsaal im Gasteig hängt ein kaum zu
übersehendes Plakat der Münchner Philharmoniker, worauf in großen Lettern der
Name Herbert von Karajan prangt. Der
schon damals gefeierte Dirigent hatte für
sein Münchner Debüt 1948 Werke von Mozart, Debussy und Brahms gewählt. Die
drei Auftritte sollten in der Aula der Universität, dem Konzertsaal der Münchner
Philharmoniker nach 1945, stattfinden; die
Tonhalle war am 25. April 1944 bei einem
verheerenden Bombenangriff auf die Innenstadt zerstört worden. Am 26. November 1948 veröffentlichte auch der »Münchner Merkur« unter der Rubrik »Veranstaltungen« die genauen Daten der drei Termine: »Die Münchener Philharmoniker, Aula
der Universität. Konzert. Freitag, 3. 12.
(1. Auff. i. Abonn.), Samstag, 4. 12. (2.
Auff. i. Abonn.), jew. 18.30, Sonntag, 5.
12. (auß. Abonn.), 17 U.: 5. Philharmonisches Konzert. Ltg.: Herbert v. Karajan,
Mozart: Haffner-Symph.; Debussy: La mer;
Brahms: 1. Symph. c-moll.« Man kann sich
lebhaft vorstellen, wie gespannt Musik-
freunde und Kritiker hierzulande dem Ereignis entgegenfieberten.
Umso größer mag die Enttäuschung für die
Münchner gewesen sein, als sie erfuhren,
dass das »V. Philharmonische Konzert am
3., 4. und 5. Dez. wegen Einreiseschwierigkeiten Herbert von Karajans verlegt werden mußte«. Die hektische Aktivität hinter
den Kulissen hatte offenbar nichts ausrichten können. Zwei Tage später informierte
der »Merkur« seine Leser über die Verlegung auf einen späteren Zeitpunkt und das
Recht zur Kartenrückgabe. »Die außer
Abonn. gekauften Eintrittskarten werden
bis spätestens Montag, 6. 12., mittags 12
Uhr an der Kasse der Philh. (Rathaus-Stadthauptkasse) zurückgenommen.« Damit war
klar, dass mit einem Auftritt Karajans in
absehbarer Zeit nicht zu rechnen war.
Am 6. Dezember 1948 war, wiederum im
»MM« und unter dem Namenskürzel »gl«,
ein inzwischen eingegangener, möglicherweise lancierter, Brief mit der Überschrift
»Fragen um Karajan« an die Öffentlichkeit
Aus der Orchestergeschichte
25
Das Ankündigungsplakat zu Karajans Gastdirigaten bei den Münchner Philharmonikern
Aus der Orchestergeschichte
26
gelangt, in dem über die Gründe von Karajans Einreiseverbot Mutmaßungen angestellt wurden: »Wir lesen mit Erstaunen,
daß das kommende Abonnementkonzert
der Münchner Philharmoniker verschoben
werden muß, weil sich Einreiseschwierigkeiten für den Dirigenten Herbert von Karajan ergeben haben. Wir können nicht
begreifen, daß es dreieinhalb Jahre nach
Kriegsende nicht möglich sein soll, einen in
Österreich zugelassenen Dirigenten über
die deutsche Grenze zu bringen. Das Programm der Konzerte mit Karajan liegt seit
Monaten fest, es ist seit Wochen plakatiert. Viele Deutsche schätzen Karajan
sehr hoch, manche stellten ihn über Furtwängler. In einer der größten amerikanischen Zeitschriften lasen wir kürzlich,
daß man in Amerika Karajan als den gegebenen Nachfolger Toscaninis ansieht. Warum darf er nicht nach Deutschland ? Sind
es grenztechnische Schwierigkeiten oder
politische ? Wir möchten bei dieser Gelegenheit sagen, daß wir schon lange nicht
begreifen, weswegen es leichter ist, auf
legalem Wege nach der Schweiz oder Großbritannien oder nach den Vereinigten Staaten zu gelangen als nach Österreich ? Oder
sollte man es Karajan mehr verübeln, daß
er während des Dritten Reiches mit der
Berliner Staatskapelle [öfter] im Ausland
konzertiert hat, als Furtwängler [mit] den
Philharmonikern ?«
Der Brief ist in mehrfacher Hinsicht inte­
ressant, scheint er doch von einem Kenner
der damaligen Musikszene verfasst worden
zu sein. So gab es den indirekt angesprochenen Konflikt zwischen Furtwängler und
Karajan in der Tat, wobei möglicherweise
der Umstand eine Rolle gespielt haben
dürfte, dass Karajan 1935 sich nochmals
um Aufnahme in die NSDAP bemüht hatte,
Furtwängler aber nie Mitglied gewesen
war. Karajans erster Parteieintritt am
8. April 1933 in Ulm blieb zwar formell gültig, ruhte aber wegen des ab Juni 1933
geltenden Verbotes der NSDAP in Österreich. 1939 erfolgte dann doch die Rückdatierung auf den 1. Mai 1933. In Furtwänglers Augen ließ sich Karajan nur allzu
bereitwillig von den Nationalsozialisten
manipulieren, was angesichts der zahlreichen, auch parteinahen Konzerte nicht von
der Hand zu weisen ist. Und noch im Dezember 1944 begann er mit dem Reichs-­
Bruckner-Orchester in Linz mit dem erklärten Ziel zu arbeiten, es zum besten Orchester des Reiches zu formen. Nach seinem
letzten Konzert im Februar 1945 mit der
Berliner Staatskapelle setzte sich Karajan
nach Oberitalien ab. − Die bereits in der
amerikanischen Presse formulierte Überlegung zu einer Toscanini-Nachfolge durch
Karajan hingegen kam viel zu früh, weil der
italienische Dirigent und glühende Anti­
faschist weder Furtwängler noch Karajan
als seinen Nachfolger akzeptiert hätte.
»Ich will nichts mit Furtwängler, Karajan
und anderen zu tun haben, die im Dienste
Hitlers und der Nazis gestanden haben.«
Dank der Vermittlung eines britischen Offiziers konnte Karajan sehr bald nach
Kriegsende wieder auftreten. Die im Herbst
1945 von den Amerikanern anberaumten
Befragungen nach Parteizugehörigkeit und
seinen Beziehungen zu den nationalsozialistischen Machthabern wurde zunächst
ohne schriftliche Belege beiseite gelegt.
Karajan habe »genug gelitten«, hieß es.
Schon am 12. Januar 1946 gab er in Wien
sein erstes Konzert. Nun aber war es die
sowjetische Besatzungsmacht, die ihn
wegen seiner NSDAP-Mitgliedschaft mit
Berufsverbot belegte; die Aufhebung erfolgte erst 1947. Karajan scheint die Unterbrechung nicht sonderlich angefochten
Aus der Orchestergeschichte
27
Herbert von Karajan (1938)
zu haben, hatte er doch inzwischen Walter
Legge kennengelernt, der ihm sogleich eine
Reihe von Schallplattenaufnahmen bei Columbia Records (später EMI) mit seinem
neu gegründeten »Philharmonia Orches­
tra« ermöglichte. Warum also die geplante
Konzertserie mit den Münchner Philharmonikern im letzten Moment wegen angeblicher Einreisebeschränkungen abgesagt
wurde, bleibt rätselhaft. Zwar kam es in
den Nachkriegswirren und bei den ob der
Masse an auszuwertenden Fragebögen und
anderem Informationsmaterial teilweise
überforderten Siegermächten auch zu
widersprüchlichen Entscheidungen, doch
war Karajans Entnazifizierung zu diesem
Zeitpunkt schon abgeschlossen. Vielleicht
haben spontane politische Animositäten
auf lokaler Ebene die Einreise verhindert,
vielleicht die amerikanische Besatzungsmacht in Bayern ein unvermitteltes Veto
ausgesprochen. Die drei Konzerte mit den
Münchner Philharmonikern wurden allerdings ebensowenig nachgeholt wie Karajan
auch später nie mehr für ein Gastspiel zu
gewinnen war.
Aus der Orchestergeschichte
28
Münchner
Klangbilder
TITELGESTALTUNG ZUM
HEUTIGEN KONZERTPROGRAMM
»Rimskij-Korsakow entwickelte in seinem
Werk ›Scheherazade‹ eine ganz eigene musikalische Technik. Durch den Einsatz von
auf- und absteigenden Dreiklangsbrechungen verändert sich das Stück unentwegt.
Die bedrohliche, stürmische See wird von
den sich wiederholenden Dreiklangsbrechungen repräsentiert. Mittendrin befindet sich ein kleines Schiff – ein Symbol für
Sindbad, welcher sich kämpfend gegen die
Naturgewalt auflehnt. Mein Ziel war es, die
Dreiklangsbrechungen und den Kampf mit
dem Meer in den Fokus meiner Gestaltung
zu rücken. Durch die Auflösung des Horizontes, der Außerkraftsetzung der Schwerkraft und den sich bedrohlich auftürmenden Wassermassen, die im Zentrum das
kleine Schiff umschließen, wird dem Werk
ein visuelles Gesicht verliehen.«
(Nastassja Abel, 2017)
DIE KÜNSTLERIN
Ich heiße Nastassja Abel, bin 26 Jahre alt
und habe Raumkonzept & Design an der
Akademie Mode & Design (AMD) in München
studiert. Aufgewachsen bin ich in Moskau
und in Erlangen. Nach meinem Abitur war
es mein großer Wunsch, Design in München
zu studieren. Heute bin ich Trainee Art bei
der Werbeagentur Heye.
Nastassja Abel
29
Sonntag
21_05_2017 17 Uhr
8. Kammerkonzert
Münchner Künstlerhaus am Lenbachplatz
»K. UND K. – VON ÖSTERREICH NACH
UNGARN«
FRANZ SCHREKER
»Der Wind« für Violine, Violoncello,
­Klarinette, Horn und Klavier
ZOLTÁN KODÁLY
Intermezzo für Streichtrio
JOSEF LABOR
Trio für Klarinette, Viola und Klavier g-Moll
ERNST VON DOHNÁNYI
Sextett für Klarinette, Horn, Streichtrio
und Klavier C-Dur op. 37
ALBERT OSTERHAMMER, Klarinette
MIA ASELMEYER, Horn
KATHARINA SCHMITZ, Violine
VALENTIN EICHLER, Viola
ELKE FUNK-HOEVER, Violoncello
ROGLIT ISHAY, Klavier
Freitag
26_05_2017 20 Uhr f
Samstag
27_05_2017 19 Uhr h4
PJOTR ILJITSCH TSCHAIKOWSKY
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1
b-Moll op. 23
HECTOR BERLIOZ
»Symphonie fantastique« op. 14
SEMYON BYCHKOV, Dirigent
JEAN-YVES THIBAUDET, Klavier
Donnerstag
01_06_2017 13_30 Uhr ÖGP
Freitag
02_06_2017 20 Uhrk4
Samstag
03_06_2017 19 Uhrd
PJOTR ILJITSCH TSCHAIKOWSKY
»Francesca da Rimini« e-Moll op. 32
GUSTAV MAHLER
Symphonie Nr. 5 cis-Moll
SEMYON BYCHKOV, Dirigent
Vorschau
30
Die Münchner
Philharmoniker
CHEFDIRIGENT VALERY GERGIEV
EHRENDIRIGENT ZUBIN MEHTA
1. VIOLINEN
Sreten Krstič, Konzertmeister
Lorenz Nasturica-Herschcowici,
Konzertmeister
Julian Shevlin, Konzertmeister
Odette Couch, stv. Konzertmeisterin
Claudia Sutil
Philip Middleman
Nenad Daleore
Peter Becher
Regina Matthes
Wolfram Lohschütz
Martin Manz
Céline Vaudé
Yusi Chen
Iason Keramidis
Florentine Lenz
Vladimir Tolpygo
Georg Pfirsch
Bernhard Metz
Namiko Fuse
Qi Zhou
Clément Courtin
Traudel Reich
Asami Yamada
BRATSCHEN
Jano Lisboa, Solo
Burkhard Sigl, stv. Solo
Max Spenger
Herbert Stoiber
Wolfgang Stingl
Gunter Pretzel
Wolfgang Berg
Beate Springorum
Konstantin Sellheim
Julio López
Valentin Eichler
2. VIOLINEN
VIOLONCELLI
Simon Fordham, Stimmführer
Alexander Möck, Stimmführer
IIona Cudek, stv. Stimmführerin
Matthias Löhlein, Vorspieler
Katharina Reichstaller
Nils Schad
Clara Bergius-Bühl
Esther Merz
Katharina Schmitz
Ana Vladanovic-Lebedinski
Michael Hell, Konzertmeister
Floris Mijnders, Solo
Stephan Haack, stv. Solo
Thomas Ruge, stv. Solo
Herbert Heim
Veit Wenk-Wolff
Sissy Schmidhuber
Elke Funk-Hoever
Manuel von der Nahmer
Isolde Hayer
Das Orchester
31
Sven Faulian
David Hausdorf
Joachim Wohlgemuth
KONTRABÄSSE
Sławomir Grenda, Solo
Fora Baltacigil, Solo
Alexander Preuß, stv. Solo
Holger Herrmann
Stepan Kratochvil
Shengni Guo
Emilio Yepes Martinez
Ulrich von Neumann-Cosel
FLÖTEN
Michael Martin Kofler, Solo
Herman van Kogelenberg, Solo
Burkhard Jäckle, stv. Solo
Martin Belič
Gabriele Krötz, Piccoloflöte
OBOEN
Ulrich Becker, Solo
Marie-Luise Modersohn, Solo
Lisa Outred
Bernhard Berwanger
Kai Rapsch, Englischhorn
KLARINETTEN
Alexandra Gruber, Solo
László Kuti, Solo
Annette Maucher, stv. Solo
Matthias Ambrosius
Albert Osterhammer, Bassklarinette
Ulrich Haider, stv. Solo
Maria Teiwes, stv. Solo
Robert Ross
Alois Schlemer
Hubert Pilstl
Mia Aselmeyer
TROMPETEN
Guido Segers, Solo
Florian Klingler, Solo
Bernhard Peschl, stv. Solo
Markus Rainer
POSAUNEN
Dany Bonvin, Solo
Matthias Fischer, stv. Solo
Quirin Willert
Benjamin Appel, Bassposaune
TUBA
Ricardo Carvalhoso
PAUKEN
Stefan Gagelmann, Solo
Guido Rückel, Solo
SCHLAGZEUG
Sebastian Förschl, 1. Schlagzeuger
Jörg Hannabach
Michael Leopold
HARFE
Teresa Zimmermann, Solo
FAGOTTE
ORCHESTERVORSTAND
Raffaele Giannotti, Solo
Jürgen Popp
Johannes Hofbauer
Jörg Urbach, Kontrafagott
Stephan Haack
Matthias Ambrosius
Konstantin Sellheim
HÖRNER
Paul Müller
INTENDANT
Jörg Brückner, Solo
Matias Piñeira, Solo
Das Orchester
32
IMPRESSUM
TEXTNACHWEISE
BILDNACHWEISE
Herausgeber:
Direktion der Münchner
Philharmoniker
Paul Müller, Intendant
Kellerstraße 4
81667 München
Lektorat:
Christine Möller
Corporate Design:
HEYE GmbH
München
Graphik:
dm druckmedien gmbh
München
Druck:
Gebr. Geiselberger GmbH
Martin-Moser-Straße 23
84503 Altötting
Peter Jost, Nicole Restle,
Doris Sennefelder und
Gabriele E. Meyer schrieben ihre Texte als Originalbeiträge für die Programmhefte der Münchner
Philharmoniker. Künstlerbiographien: nach Agenturvorlagen. Alle Rechte
bei den Autorinnen und
Autoren; jeder Nachdruck
ist seitens der Urheber genehmigungs- und kostenpflichtig.
Abbildungen zu Maurice
Ravel: Theo Hirsbrunner,
Maurice Ravel – Sein Leben, sein Werk, Laaber
1989. Abbildungen zu
Pjotr Iljitsch Tschaikowsky: David Brown, Peter
Tschaikowsky im Spiegel
seiner Zeit, Zürich / Mainz
1996. Abbildungen zu Nikolaj Rimskij-Korsakow:
Josif Filippowitsch Kunin,
Nikolai Andrejewitsch
Rimski- ­K orsakow, Berlin
1981; wikimedia commons.
Abbildungen zur Orchestergeschichte: Archiv der
Münchner Philharmoniker;
w ik im e di a
commons.
Künstlerphotographien:
Marco Borggreve (Gergiev), Daniel Delang (Ionit,ă).
Medienpartner:
Gedruckt auf holzfreiem und
FSC-Mix zertifiziertem Papier
der Sorte LuxoArt Samt
Impressum
HAUPTSPONSOR
UNTERSTÜTZT
SONNTAG, 16. JULI 2017, 20.00 UHR
V A L E RY G E R G I E V D I R I G E N T
Y U J A W A N G KL AV I E R
MÜNCHNER PHILHARMONIKER
BR AHMS: KONZERT FÜR KL AVIER UND
ORCHESTER NR.1 D - MOLL OP.15
MUSSORGSKI J: »BILDER EINER AUSSTELLUNG«
(INSTRUMENTIERUNG: M AURICE R AVEL)
KARTEN: MÜNCHEN TICKET TEL. 089/54 81 81 81
UND BEKANNTE VVK-STELLEN
WWW.KLASSIK−AM−ODEONSPLATZ.DE
’16
’17
DAS ORCHESTER DER STADT
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