Media Smart Ein Werbeerziehungsprojekt in Großbritannien

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Autoren: Guth, Birgit / Knabenschuh, Silke
Titel: Media Smart. Ein Werbeerziehungsprojekt in Großbritannien, Deutschland und
anderen Ländern.
Quelle: merz. medien + erziehung. 49. Jahrgang, Heft 1/05. München 2005. S. 37-41.
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Verlag: kopaed verlagsgmbh.
Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.
Birgit Guth / Silke Knabenschuh
Media Smart
Ein Werbeerziehungsprojekt in
Großbritannien, Deutschland und anderen
Ländern
Mit dem Werbekompetenz-Projekt Media Smart (www.mediasmart.org.uk) gelang es in
Großbritannien, Werbeerziehung als Unterrichtsgegenstand in der Grundschule einzuführen.
Die Zusammenarbeit von Werbung treibender Industrie, Medienpädagogen und
Kultusministerium ermöglichte die Bereitstellung kostenloser Lehrmittel, die Kindern zwischen
sechs und elf Jahren helfen, Werbung im heutigen Alltag zu hinterfragen. Das Projekt stieß auch
in Holland, Belgien und Deutschland auf Interesse. Da in deutschen Grundschulen bislang kein
fester Rahmen für Werbeerziehung existiert, könnte eine Adaptation des Media Smart-Materials
eine zeitgemäße Ergänzung bieten.
Als Werbeerziehungsprojekt stellt Media Smart in England seit zwei Jahren eine
Besonderheit auf medienpädagogischem Gebiet dar. Das Projekt wurde von der Werbung
treibenden Industrie ins Leben gerufen und wird durch diese finanziell gefördert. Media
Smart bietet allen Grundschullehrerlnnen die Möglichkeit, ein kostenloses Lehrmittelpaket
für die schulische Werbeerziehung anzufordern. Das Programm hat zum Ziel, Kinder über
Werbeformen, ihre Produktionsmechanismen und Absichten aufzuklären sowie die
kindliche, kritische Selbstreflexion in Bezug auf die eigenen Konsumgewohnheiten und
Produktvorlieben anzuregen. Entgegen der üblichen Praxis des Sponsorings sind aber auf
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dem Unterrichtsmaterial keine Markennamen oder Firmenlogos sichtbar. Die Initiative wird
vom Kultusministerium, von Elternverbänden und Medienpädagogen unterstützt. Auch
durch die intensive Zusammenarbeit mit anerkannten Experten konnten die Initiatoren die
Gemeinnützigkeit ihres Projekts glaubhaft machen und nachhaltige Akzeptanz bei
LehrerInnen finden. Innerhalb der letzten zwei Jahre hat sich Media Smart somit in vielen
Primary Schools der Länder England, Schottland, Wales und Nord-Irland etabliert.
Motive der Industrie
Trotz ernstzunehmender Ambitionen und gemeinnützigen Absichten der Werbung
Treibenden ist die Frage nach ihrer Motivation für die Förderung eines nichtkommerziellen Werbekompetenz-Projekts berechtigt. Doch obwohl dies zuerst unüblich
scheinen mag, gibt es für die Industrie gute Gründe: Veränderungen in der
Medienlandschaft durch technische Innovationen schufen gerade in den letzten Jahren
neue Flächen für die Werbung und begünstigten die Präsenz von Werbung im heutigen
Alltag.
Somit ist Werbung über alle Generationen und Bevölkerungsschichten hinweg ein
dauerhaft wahrnehmbares Alltagsphänomen geworden. Media Smart bietet den am
Wirtschaftsprozess Beteiligten eine Möglichkeit, aktiv verantwortlich zu handeln und einen
Beitrag zur Heranbildung eines mündigen Verbrauchers zu leisten. Mit ihrer
flächendeckenden und dauerhaften Projektplanung verfolgen die Initiatoren die Vision, die
heutige Generation von Schülern mit Werkzeugen auszustatten, welche sie befähigen, die
Funktion und Wirkung von Werbung zu hinterfragen, zu bewerten und individuell in ihre
eigene Lebenswirklichkeit einzuordnen. Als spätere Erwachsene können sie dieses
Wissen an ihre eigenen Kinder weitergeben und sie zu einem reflektierten Umgang mit
Werbung anleiten. Mit dem Projekt Media Smart möchten Werbung Treibende außerdem
dazu beitragen, den Dialog mit der Bevölkerung über die Funktion von kommerzieller
Kommunikation als Voraussetzung und integralen Bestandteil einer sozialen
Marktwirtschaft zu verbessern.
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Materialien
Die englischen Media Smart-Lehrmittel verbinden unterschiedliche Medienarten und
stellen eine integrierte Lernumgebung dar:
• 18 Arbeitsblätter für aufeinander aufbauende Unterrichtseinheiten, die sich mit den
klassischen Werbemedien Fernsehen, Radio, Zeitschriften und Plakate
auseinandersetzen. Die Kinder erfahren z.B., wo Werbung im Alltag auftaucht, was eine
Marke ist und warum es Marken gibt. Das Material setzt sich auch mit der
Differenzierung von Kaufwünschen und wahren Bedürfnissen auseinander. Die Kinder
sollen zwischen notwendigen, wünschenswerten und überflüssigen Konsumgütern
unterscheiden und autonome Konsumentscheidungen im Alltag treffen lernen. Da es
bei der Verbrauchererziehung auch um die Vermittlung von Handlungskompetenzen
geht, werden Strategien für richtiges Einkaufen und für die Qualitätsbeurteilung von
Waren angeboten.
• Im Lehrerbegleitheft wird einleitend die Notwendigkeit frühzeitiger Werbeerziehung
und die Selbstverantwortlichkeit von Werbung Treibenden gegenüber der Zielgruppe
Kind erläutert. Im Hauptteil finden sich didaktische Hinweise zu jedem Aufgabenblatt
und Erläuterungen zu den jeweiligen Lernzielen. Je nach Altersgruppe kann der
Schwierigkeitsgrad einzelner Übungen variiert werden. Zuletzt werden curriculare
Anknüpfungspunkte der Übungen tabellarisch aufgezeigt, die sich an den
entsprechenden Lehrplänen des Landes orientieren. Die Unterrichtsgestaltung ist eher
lehrerzentriert: Lehrerinnen verteilen die Arbeitsblattkopien und regen anschließend
Unterrichtsgespräche und -diskussionen an.
• Das VHS-Video eignet sich zur Einführung und Veranschaulichung des Themas im
Unterricht. Ein Kurzfilm erzählt von der Grundschülerin Lotti, die sich zwischen
verschiedenen Geburtstagswünschen entscheiden muss. Dabei wird demonstriert, dass
Lotti bei der Auswahl vielen Umwelteinflüssen ausgesetzt ist: Schulfreunde, Eltern,
Bruder und Werbung. Durch reflektiertes Nachdenken gelingt es Lotti schließlich, eine
eigenständige Entscheidung zu treffen. Die episodenhafte Struktur der einzelnen
Szenen ermöglicht es, das Thema schrittweise zu erarbeiten. Das Video beinhaltet
darüber hinaus einen exemplarischen Kinder-Fernsehwerbespot mit dazugehörigem
„Making Of“. Die Kinder können an einem Alltagsbeispiel erfahren, wie ein Werbefilm
entsteht und mit welchen Mitteln Werbemacher arbeiten, um ein Produkt attraktiv
erscheinen zu lassen.
• Die Elterninformationen geben in knapper Form Auskünfte darüber, wie Eltern dazu
beitragen können, den eigenverantwortlichen Umgang ihrer Kinder mit Werbung und
Konsum zu fördern. Lehrkräfte können das Papier kopieren und es den Schülern
mitgeben.
• Die Internetseite bietet ausführlichere Informationen für Eltern und Lehrer zu den
Themen Werbung und Medienkompetenz. In der Lehrersektion können die Materialien
kostenlos heruntergeladen werden. Sie enthält zudem eine umfassende Linkliste zu
relevanter Fachliteratur. Der Email-Kontakt wurde von Lehrkräften häufig genutzt, um
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Kritik zu äußern oder Fragen zu stellen. Kinder können die Website nutzen, um allein
oder gemeinsam mit den Eltern das Thema Werbung spielerisch zu vertiefen.
• Anhand zweier verschiedener Feedback-Formulare, jeweils für Lehrer und für Eltern,
sollen Anwendbarkeit und Nutzen des Materials nach seinem Gebrauch in der Schule
evaluiert werden.
Erfolgsgeschichte von Media Smart
Media Smart wurde im November 2002 von der britischen Kultusministerin Tessa Jowell
offiziell lanciert. Bei der Pressekonferenz wies sie auf die hohe Relevanz von
Medienkompetenz-Förderung hin.
Als nächstes wurde die Homepage ins Netz gestellt und alle Grundschulen mit einem
persönlichen Anschreiben über das kostenlose Projekt informiert. Daraufhin bestellten
insgesamt 1500 Schulen 4600 Pakete. Durch Ankündigungen in der Tages- und
Fachpresse sowie durch die Schaltung eines Trailers in vielen Fernsehsendern wurde auf
das Projekt zusätzlich aufmerksam gemacht. Im vergangenen Mai wurden die Schulen
erneut verständigt, was eine Anfrage nach weiteren 2300 Paketen nach sich zog. Durch
ein beauftragtes Forschungsinstitut, das die Tauglichkeit der Materialien für Lehrer und
Schüler kontinuierlich untersucht, konnte inzwischen eine neue Version entwickelt werden.
Diese wurde aufgrund der Forschungsergebnisse umstrukturiert beziehungsweise
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inhaltlich erweitert. Die neuen Materialien setzen sich mit diversen Werbeformen
auseinander, denn deren Integration wurde von Lehrerinnen gefordert: Werbung mit
Tieren, Werbung für Kinder oder gemeinnützige Organisationen. Ferner sind die
Arbeitsmaterialien nach Altersgruppen (6 bis 7 und 7 bis 11 Jahre) gebündelt und in ihrer
didaktischen Ausrichtung handlungsorientierter. Die Organisatoren haben sich zum Ziel
gesetzt, 10.000 Schulen bis Ende 2004 mit ihrem Material zur Werbeerziehung
auszustatten.
Umsetzungsweisen in Belgien und den Niederlanden
Eine weitere Besonderheit des Projekts liegt in der Ambition seiner Initiatoren, Media
Smart europaweit zu verbreiten. Eine Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission
im Rahmen der „E-Learning Initiative“ der zuständigen Generaldirektion Erziehung und
Kultur wird angestrebt. Die englischen Media Smart Verantwortlichen sind sehr bemüht,
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die eigene Projektentwicklung transparent zu machen, und stellen ihre Ressourcen für
andere europäische Länder zur Verfügung. Zum Zweck des Informations- und
Erfahrungsaustausches treffen sich die Projektverantwortlichen der beteiligten
europäischen Länder regelmäßig in Brüssel.
Derzeit arbeiten neben England vor allem Belgien, Holland und Deutschland an der
nationalen Entwicklung des Projekts, wobei die Initiatoren aus unterschiedlichen
Berufsfeldern kommen. In Belgien rief der Verband belgischer Werbetreibender (UBA)
Media Smart ins Leben. Er wird das Unterrichtsmaterial und den Markennamen Media
Smart aus England eins zu eins übernehmen und es in die Landessprachen französisch
und flämisch übersetzen. Finanzielle Unterstützung wurde gewonnen, so dass das
Material im Februar 2005 erscheinen wird. Die Förderer hoffen, im nächsten Jahr
Unterstützung durch die Regierung zu erhalten.
Materialien aus der Media Smart-Reihe in Großbritannien
In den Niederlanden erhielt das Projekt den Titel „Reklame Rakkers“ und wird in seiner
Zielsetzung leicht verschoben: Die Initiatoren planen umfangreiche Elternarbeit, wollen ein
eigenes Fernsehformat produzieren und einen jährlichen Wettbewerb für den besten
„Reklame Rakker“ organisieren. Media Smart wurde durch die Staatssekretärin des
Ministeriums für Erziehung, Kultur und Wissenschaft an die Stiftung Kinderconsument, die
sich mit Jugendschutz im Internet befasst, herangetragen. Da es sich bei der Stiftung um
eine renommierte soziale Einrichtung handelt, konnten ein Expertenbeirat und finanzielle
Förderung in kürzester Zeit rekrutiert werden. Das Unterrichtsmaterial wird gemäß der
englischen Vorlage in eine holländische Sprachversion übersetzt. Als
Erscheinungszeitraum ist Februar 2005 anvisiert.
Media Smart in Deutschland
In Deutschland wird Media Smart durch einen eigens gegründeten Verein „Media Smart
e.V.“ getragen, dessen Ziel die „Förderung von Medienkompetenz bei Kindern und
Jugendlichen“ ist. Für die erfolgreiche Entwicklung des Projekts ist es für die Initiatoren
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bedeutsam, mit fachkompetenter Unterstützung zu arbeiten. Deshalb wurde eine
Expertengruppe gegründet, die sich regelmäßig trifft, um die deutsche Fassung des Media
Smart Materials zu entwerfen und eine intensive Begleitforschung zur Evaluation und
Optimierung der Materialien anzustellen. Für die Expertengruppe konnten folgende
Personen gewonnen werden: Prof. Dr. Stefan Aufenanger (Medienpädagogik an der
Universität Mainz), Dr. Norbert Neuß (Mitglied im Vorstand der Gesellschaft für
Medienpädagogik und Kommunikationskultur), Rainer Smits (Gemeinsame Stelle
Programm, Werbung und Medienkompetenz der Arbeitsgemeinschaft der
Landesmedienanstalten), Leopold Grün (Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen) sowie Uta
Brumann (Redakteurin, Grundschullehrerin) und Winfried Kneip (Redakteur, Lehrer für
Deutsch und Kunst).
Damit das Material auch bei deutschen Lehrerinnen Anklang findet, muss es der
Unterrichtspraxis hiesiger Grundschulen entsprechen. Dies betrifft besonders seine
didaktische Ausrichtung, denn in deutschen Grundschulen wird in aller Regel
fächerübergreifend und projektorientiert gearbeitet. Es sollte den Lehrerinnen ermöglicht
werden, ein Projekt zum Thema Werbung durchzuführen, das in einem zeitlich
überschaubaren Rahmen realisierbar ist und handlungs- und produktorientierte
Unterrichtsprinzipien berücksichtigt. Auch soll das Material den Ansprüchen von
Grundschullehrerinnen und deren kritischer Sichtweise inhaltlich gerecht werden. Man
wird daher das englische Material entsprechend anpassen beziehungsweise ergänzen. Im
Vergleich zum englischen Material soll verstärkt auch auf Vermarktungsmechanismen, die
Verwertungskette eines Produkts / eine Marke und auf ästhetische Gestaltungsmittel
eingegangen werden. Dies soll in der deutschen Version aufgegriffen werden, um
sicheres Strukturwissen über Werbung zu vermitteln, den Umgang mit beworbenen
Produkten zu rationalisieren und die autonome Entscheidungsfähigkeit von jungen
Konsumenten zu fördern. Als Erscheinungszeitraum für das Unterrichtsmaterial ist
Februar 2005 vorgesehen.
Es besteht kein Zweifel darüber, dass in Anbetracht der starken Verdichtung von
Werbemaßnahmen mehr denn je Bedarf nach Werbeerziehung besteht. Wie aus den
Forschungsergebnissen des Deutschen Jugendinstituts zur Werbeerziehung in
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Grundschulen hervorging, wird diese aber oftmals nur rudimentär behandelt, was unter
anderem daran liegt, dass in Grundschulen die entsprechenden Lehrmittel fehlen.1 Hier
könnte eine deutsche Version der Media SmartMaterialien eine passende Ergänzung
bieten. Die Grundlage für die erfolgreiche Einführung des Projekts in deutschen
Grundschulen liegt in der Akzeptanz von Werbung als einem wirtschaftlichen und
sozialisationsrelevanten Bestandteil unserer Gesellschaft. So erscheint es sinnvoll, Kinder
über die für sie selbstverständlich gewordene Werbung und deren Einfluss auf ihre
Lebenswelt aufzuklären. In diesem Sinne sollte die moralisch geführte Diskussion um den
„geheimen Verführer Werbung“ abgelegt und die frühe Auseinandersetzung gefördert
werden.
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Verarbeitung in elektronischen Systemen.
1 siehe Deutsches Jugendinstitut (Hg.) (1997). Werbepädagogik in der Grundschule, Opladen; Deutsches
Jugendinstitut (Hg.) (1999). Werbe- und Konsumerziehung international, Opladen.
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