Chinesische Küche (August 2007) - Dr. Heines

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In Fortsetzung des Themas ‚China’ bringe ich diesen Monat einen Auszug aus
einem Standardwerk chinesischer Kochkunst: Ken Hom: ‚Essen wie in China’:
„Es gibt in der Küche jedes Landes für jede Art von Unwohlsein Speisen und Getränke, die dagegen helfen sollen – die Heilmittel sind so zahlreich wie die Krankheiten.
Was die chinesische Heilkunde auf diesem Gebiet so bemerkenswert macht, ist die
Tatsache, dass sie im Lauf der Zeit die Beschäftigung mit den heilenden und medizinischen Eigenschaften des Essens zu einer Wissenschaft und einer Kunst erhoben
hat. Schon als Kind bekam ich nicht etwa automatisch ein gängiges Medikament verschrieben, sondern ich wurde zuerst mit Heilkost behandelt. Besonders oft gab es in
diesen Fällen bei uns bok choy oder andere Kohlgerichte, chinesischen Broccoli,
Bittergurke oder verschiedene Fleischgerichte und Saucen. Es waren auch sehr exotische Kräuter und Wurzeln darunter, deren Namen ich nicht kannte. Alle Speisen wurden genau nach Bedarf verwendet, je nachdem, ob mir kalt oder heiß war; ob ich
Appetit hatte oder nicht; ob ich Magenbeschwerden oder Kopfweh hatte; ob ich apathisch oder hyperaktiv war. Für jegliche Beschwerden gab es ein passendes Hausmittel. Anstelle eines Rezepts vom Arzt verabreichte man mir ein speziell für jeden Fall
zubereitetes wohlschmeckendes Gericht.
Diese Kost hat mir stets geholfen, und sei es nur deshalb, weil meine Mutter vorher
erzählt hatte, dass sie helfen würde. Darüber hinaus habe ich Zeit meines Lebens immer
viel davon gehalten, dass die Chinesen auf die medizinischen Eigenschaften des
Essens genauso achten wie Nahrhaftigkeit und Genuss. Es ist mir auch zur Gewohnheit geworden - wie es in China üblich ist - nicht allzu viel Fleisch zu essen. Essen aus
Körnern und Getreide und Gemüse, Fisch und Fleisch stellen die wichtigsten
Bestandteile einer gesunden und wertvollen Ernährung dar. Ich halte es auch für
sinnvoll, Essen als etwas Heilendes für Körper und Seele zu betrachten, wie dies bei
Buddhisten und anderen religiösen Vegetariern der Fall ist.
Essen als Medizin
Bemerkenswert ist, dass die erste wissenschaftliche Abhandlung über heilenden
Eigenschaften der verschiedenen Nahrungsmittel im ersten Jahrhundert v. Chr. in
China abgefasst wurde. Über dieses Buch, »Das klassische Werk der inneren Medizin
des Gelben Herrschers«, dessen Autor bis heute nicht bekannt ist, schrieb der
chinesische Wissenschaftler Jingfeng: »Die Grundlagen der Ätiologie, Pathologie,
Pathogenese, Therapie und Prävention von Krankheiten sind hier dargelegt sowie die
Basis einer diätetischen Behandlung.« Die Chinesen waren demnach unter den ersten,
die Ernährung und Gesundheit miteinander in Beziehung gehaben: Man ist, was man
isst.
Früher schon, während der Zhou-Dy(1030– 256 v. Chr.), gehörten Ernährungsexperten zeitweise zum Kreis der höchsten medizinischen Fachleute am Hof. Ein wegweisendes Modell für die Behandlung von Krankheiten entstand zu dieser Zeit: Gutes
und richtiges Essen und Trinken sind Grundlagen für die Heilung von Krankheiten.
Chinaexperte und Wissenschaftler Frederick W. Mote schrieb: „Es sollte uns nicht
erstaunen, dass in einer Gesellschaft, in der das Essen eine vorrangige Rolle spielt und
in der eine bisher einzigartige Vielfalt von Lebensmitteln und Garmethoden existiert,
versucht wird, die heilenden Eigenschaften der Ernährung zu erforschen. Alle
materiellen Dinge betrachtete man dort als Teil eines organischen Kosmos, dessen
Bestandne der gleichen Dynamik verhaftet sind, zu ihr gehören, auf sie reagieren und
untereinander in Beziehung stehen ... Unter diesem Gesichtspunkt wird alles, was der
Mensch isst, als Medizin betrachtet.“
So gesehen entwickelten die chinesischen Wissenschaftler und Gelehrten die theoretischen und praktischen Grundlagen der Ernährungsheilkunde. Mote fährt fort: „Man
findet im Reich der Mitte kaum ein Gericht, dem nicht das Rezept eines weisen Gelehrten zugrunde liegt, der schon vor Jahrhunderten lebte und bei der Zusammenstellung
der Zutaten einen gesundheitlichen Zweck im Auge hatte.“
Dies scheint mir etwas übertrieben, wahr ist jedoch, dass die chinesische Küche keine
Unterscheidung kennt zwischen Heilkost und anderem Essen.
Es gibt unzählige Nahrungsmittel und Gerichte in der chinesischen Küche, die in bestimmten Fällen als therapeutisches Mittel verabreicht werden. Dies bedeutet, dass
vieles, was täglich gegessen wird, bei Bedarf auch als Medizin dienen kann, und umgekehrt spezifisch Medizinisches oft alltägliche Lebensmittel sind. Solche Lebensmittel
mit doppelter Natur sind zum Beispiel Ingwer, Zimt, Blätter und Rinde des chinesischen Gelbholzbaums, chinesische Zwiebeln, Knoblauch, chinesische Jamswurzel,
Essig, Eier, Sesam, Mungbohnen und Reis. Wein ist ebenfalls Getränk und medizinischer Wirkstoff zugleich, was auch früher schon der Fall war, denn die Wörter ‚Wein’
und ‚Medizin’ haben im Chinesischen die gleiche Herkunft und wurden einst durch
das gleiche Schriftzeichen dargestellt. Wir ‚modernen’ Menschen heutzutage sind
begreiflicherweise von der naturwissenschaftlichen Medizin und deren Therapien
eingenommen und beeindruckt von den modernen Theorien über Krankheiten und
deren Behandlung.
Doch zwischen Essen und Medizin wurde vor dem 20. Jahrhundert überall auf der
Welt kein großer Unterschied gemacht. Die Chinesen unterschieden sich hier aber
dahingehend von den meisten anderen Kulturen, dass sie die Ernährung als grundlegend für die Gesundheit erkannt hatten. Sie hatten auch erkannt, dass
Mangel,
Maßlosigkeit und
falsche Wahl
beim Essen zu Krankheiten führen.
Es dauerte viele Generationen, bis eine streng medizinische Kost als solche definiert,
kategorisiert und bei ganz bestimmten Krankheiten verordnet wurde. Vieles ähnelt
sich immer noch in Küche und Krankenzimmer. Daher erhält man heute zum Beispiel
chinesische Datteln, Pfeffer, Kristallzucker und Hiobssamen sowohl im Lebensmittelgeschäft als auch beim Kräuterhändler und kann diese Zutaten zum Kochen oder als
Medizin verwenden.
Als wichtigstes Ziel bei der Verwendung des Essens als Heilmittel soll ein harmonisches Gleichgewicht zwischen dem Körper und dessen Bedarf an Nahrung hergestellt und beibehalten werden. Schon immer wurden dabei die ‚vier natürlichen
Eigenschaften’ des Körpers und der Speisen beachtet: kalt, heiß, kühl und warm. Diese
werden mit Bedacht durch die ‚fünf Geschmacksarten’ salzig, sauer, süß, scharf und
bitter ergänzt. Chinesische Ärzte (die auch Ernährungsfachleute sind) haben schon
immer versucht, krankhafte Unausgewogenheiten des Patienten wieder ins Gleichgewicht zu rücken. Daher wird bei Fieber ‚kühle’ Kost verabreicht, bei Kältegefühlen
Warmes und Heißes. Mit den vier Eigenschaften müssen die Geschmacksarten harmonisch zusammenwirken, so wirkt Salziges zum Beispiel abschwellend bei Beulen,
Bitteres ist gut gegen Feuchtigkeit, Saures hilft bei Durchfall und so weiter.
In jedem Fall wird die Zusammenstellung der Zutaten sorgfältig vorgenommen, die
Dosierung ist von größter Wichtigkeit; das zu erreichende Ziel bleibt stets die harmonisierende Wirkung der verabreichten Medizin. Gute ‚medizinische’ Köche, zu denen
ich auch meine Mutter zähle, bereiten Heilkost so zu, dass sie dem Gaumen schmeichelt und leicht verdaulich, gesund und nahrhaft ist. Weder soll der Patient merken noch
soll es ihn stören, dass er gerade Medizin verabreicht bekommt.
Im modernen Sprachgebrauch nennt man die Behandlung von Krankheiten mit der alltäglichen Nahrung Ernährungstherapie. Fachleute berücksichtigen bei ihrer Anwendung das Alter, das Geschlecht und die persönlichen Lebensumstände des Patienten.
Jahrhundertelang wurde über geeignete Zutaten und Rezepte für bestimmte Gebrechen Buch geführt und über sie beraten. Von Heilkundigen und verständigen Laien
wurden sie stets beachtet. Es gibt genaue Vorschriften für die Zubereitung von Heilmitteln für Krankheiten wie Erkältung, Grippe, Bronchitis, ansteckende Gelbsucht,
Schlaflosigkeit und Mumps.
Diese Aufstellung umfasst alle bekannten Gebrechen bis zur ungenügenden Milchsekretion bei Wöchnerinnen. Die Chinesen hatten schon immer die Fähigkeit, eine
sichere Diagnose stellen zu können.
Wir sollten nicht allzu leichtfertig und gönnerhaft die sonderbar anmutende Verbindung
belächeln, welche die Chinesen zwischen Essen und Gesundheit sehen.
Im Westen ist man nämlich gerade dabei, genau diesen Zusammenhang in stärker
werdendem Maß zu erkennen. Auch wenn die chinesischen Lehren in dieser Hinsicht
vielen wenig überzeugend erscheinen, sollte man nicht außer acht lassen, dass die
Menge der gesammelten empirischen Daten, auf welchen die praktischen Schritte und
Verhaltensweisen beruhen, beeindruckend groß und auch für uns heute wertvoll ist.
Die chinesische Ernährungslehre hat eine lange Geschichte und wurde sorgfältig entwickelt.
Die große Vielfalt an Gerichten mit heilender Wirkung ist auch dem westlichen Auge
durchaus vertraut. Da gibt es Brei und Eintöpfe mit Fleisch, Fisch oder Eiern,
Fleischbrühe, die beruhigt und Schmerz lindert, milde Kräutertees, Säfte, schwach
alkoholische Getränke, süßes Gebäck, Pfannkuchen, süße oder salzige gedämpfte
gefüllte Klöße und Teigtaschen. Bitteres oder Unansehnliches wird selten verschrieben.
Wie man sieht, ist die Nahrhaftigkeit der Speisen der wichtigste Teil der Ernährungstherapie. Es sind keine Wundermittel, und doch vollbringen diese Gerichte, von einer
fürsorglichen Mutter als Medizin gereicht, wahre Wunder.
Wie stark die hiermit verbundenen Traditionen sind, kann man heute im modernen
China sehen. China ist im Wesentlichen eine bäuerliche Nation (dies ist eine Feststellung, die durchaus nicht despektierlich gemeint ist); es liegt daher die Vermutung
nahe, dass Traditionen dort dauerhaft sind und keinem schnellen Wandel unterliegen.
Tatsächlich hat die Lockerung der zentralen Kontrolle über die Produktion den Markt
der medizinischen Kräuter wieder aufblühen lassen. In manchen Gegenden macht der
Kräuteranbau sogar ein Fünftel der gesamten Anbaufläche aus. Bei diesen speziellen Produkten liegen die Gewinne höher als bei Weizen oder Hirse, und bei entsprechender Nachfrage genügt schon ein kleines Stück Land für ein gutes Auskommen.
Die traditionelle chinesische Medizin erfreut sich nach wie vor ungeschmälerter Wertschätzung. In Nanjing wird zur Zeit eine Sammlung von mehr als 100000 medizinischen
Rezepten zusammengestellt, die größte, die je in dieser Art in einem Band veröffentlicht wurde. In der Provinz Jiangsu hat sich in den letzten fünf Jahren die Zahl der
Krankenhäuser, die mit traditioneller Kräutermedizin, Akupunktur und Akupressur
arbeiten, verdoppelt. Eine Ausbildungsstätte für Ärzte und Schwestern in diesem
Bereich wurde 1984 eröffnet.
Auf meinen Chinareisen begegnete ich in Geschäften und an Essständen immer
wieder dem Nebeneinander von Ernährung und Medizin, u. a. im größten Kräuterund Gewürzmarkt in Chengdu, der Hauptstadt der Provinz Sichuan.
Dieser 1984 neu eröffnete Markt ist aus mehreren kleineren Märkten entstanden.
Doch die große überdachte Fläche ist auch so immer noch zu klein; manche
Händler weichen schon auf die umliegenden Gehwege und Gassen aus. Die Düfte
auf diesem Markt sind ausgesprochen kräftig und wohlriechend. Dort findet man in
groben Leinensäcken riesige Mengen von Kräutern, Wurzeln, Rinden, getrockneten
Pilzen, Samen aller Art, getrockneten Früchten und anderen ausgefallenen
Waren; die Behälter und Warentheken quellen über von all den Gewürzen und
Kräutern. 
Auf den ersten Blick schien es sich nur um einen riesigen Kräuter- und Gewürzmarkt zu handeln, doch bei näherem Hinsehen lag der Schwerpunkt vor allem
bei den Heilpflanzen und -produkten. Am Tag meines Besuchs dort war der Markt
gedrängt voll und machte fast den Eindruck eines Basars und es herrschte eine
geradezu exotische Atmosphäre. Ich schaute den Verkäufern zu, den Großund Einzelhändlern, wie sie inmitten von getrockneten Schlangenhäuten sowie
Affen-, Rinder- und Ziegenknochen und -skeletten die Preise aushandelten.
Überall türmten sich Berge von getrockneten Zitrusfrüchten, Wespennestern, getrockneten Seesternen und Seegurken, getrockneten Krabben und
Kammuscheln. Ich versuchte die vielen verschiedenen Haufen und Berge von
Pflanzen, Wurzeln und Kräutern zu zählen – bei 200 hörte ich auf.
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Im Gemüsemarkt der Gebrüder Tang im 13. Arrondissement von Paris findet man eine vergleichbare Atmosphäre.
An einem anderen Tag nahm ich an einem Festessen teil, das im Heilkostrestaurant
von Tongrentang gegeben wurde und bei dem es typische medizinische Speisen
gab. Ich trank bitteren Wolfsbeerenlikör, der gegen Störungen der Nierenfunktion hilft, und Geißblatt-Tee; ich nahm ein bißchen vom Hasen mit schwarzen
Sesamsamen, probierte Ginsengsuppe, schwarze Hühnerbrühe und noch viele
andere der insgesamt 20 Gänge des Menüs. Jedes Gericht hat bei einem bestimmten Leiden heilende Wirkung. Für mich war es eher ein faszinierendes als ein kulinarishes Ereignis, doch als ich das Lokal verließ, fühlte ich mich sehr gesund.
Bei einer anderen Gelegenheit sprach ich mit Song Rongcan, einem gebildeten
jungen Mann und Inhaber eines hoch angesehenen Gourmet-Heilkostrestaurants in Chengdu. Er erzählte mir von seiner Familie, die sich seit drei Generationen
mit dem Anbau von medizinischen Kräutern und der Zubereitung von Heilkost beschäftigt. Er ist erst 28 Jahre alt und schon Leiter der Produktionseinrichtung für
medizinische Kräuter, nachdem er drei Jahre lang Geschäftsführer des Gesundheitskost-Restaurants in Tongrentang gewesen war. Den Speisen seines Restaurants werden kein Glutamat, Salz oder andere Zusätze beigegeben. Bei richtiger
Dosierung umfassen seine Kräuter genau die erwähnten ‚fünf Geschmacksarten’
Und ergänzen die ‚vier natürlichen Eigenschaften’.
Herr Song ließ für mich vier Gerichte auftragen und klärte mich über deren spezifische medizinische Eigenschaften auf. Long ma tongzi ji ist Ein Geericht aus jungem Hahn, der mit getrockneten Seesternen vier Stunden doppelt gedämpft wird,
dann noch einmal 40 Minuten gedämpft und anschließend in einer pikanten kräftigen Brühe serviert wird. Es unterstützt die Nierenfunktion und soll auch dem Sexualleben sehr zuträglich sein. Zi kou niurou ist eine kalte Vorspeise aus Rindfleisch, das mit zwei verschiedenen Kräutern geschmort wird, was den Rindfleischscheiben einen unverwechselbaren Geschmack verleiht. Dieses Gericht
soll wohltuend für die Haut und die Magenschleimhaut sein; es schmeckte
überdies sehr gut. Als nächstes versuchte ich fu ling baozi, eine Art mit Hackfleisch
gefülltes Brötchen. Bei diesem Gericht nimmt man zum Gehenlassen des Teigs
statt Hefe einen anderen speziellen Pilz. Dieser Pilz wächst in der Nähe von Nadelbäumen und wird als Verjüngungsmittel oder als Mittel gegen das Altern
empfohlen. Song Rongcan meinte, gehacktes Schlangen- und Schildkrötenfleisch
hätte die gleichen Eigenschaften. Die Brötchen schmeckten wie die leckeren
baozi, den Pilz schmeckte man kaum heraus. Zum Schluss probierte ich auch
etwas du zhong yoahua, ein pfannengerührtes Gericht aus Schweinenieren und
einer bestimmten Baumrinde. Es ist, so sagt man, besonders ‚gut für die Nieren’,
jenes menschliche Organ, das in der chinesischen Ernährungsheilkunde ‚Tor zum
Leben’ genannt wird. Es ist jener Teil des Körpers, der bei mangelhaftem oder
sehr üppigem Essen und Trinken leidet und daher besonders geschützt und
gepflegt werden muss. Das Rezept für dieses Gericht ist 2000 Jahre alt und
wurde von Zhang Zhongjing, einem berühmten Arzt der Han-Dynastie, zusammengestellt. Insgesamt betrachtet, waren meine Erfahrungen mit der chinesischen
Ernährungsheilkunde und der medizinischen Kost faszinierend. Welche
gesundheitlichen Auswirkungen es auch haben mag, in den meisten Fällen war es
ein Vergnügen, den Anordnungen des Arztes Folge zu leisten.
Vegetarische Küche
Die ausschließlich vegetabilisch, also an pflanzlicher Kost ausgerichtete Küche ist
so alt wie die chinesische Kultur, mindestens 4000 Jahre alt. Die unerschöpfliche
Vielfalt an Kulturpflanzen in China hatte zur Folge, dass Gemüse und Getreide zum
wichtigsten und bekanntesten Teil des Essens der Chinesen wurden. Ein Großteil
der angesehenen Küche aus Sichuan, einer Gegend mit einer außergewöhnlichen
Vegetation, hat stark vegetarischen Charakter, ist jedoch nicht buddhistisch. Es bedurfte keiner Regierungserlasse oder religiöser Verbote, um die Menschen zum
Verzehr der vielen Gemüsesorten anzuregen. Fleisch wurde nur selten verwendet, oft auch nur für die Zubereitung von Fleischbrühen.
Rein vegetarisches Essen hingegen ist in China relativ neu. Erst mit dem sich
verbreitenden Buddhismus in den ersten sechs Jahrhunderten n. Chr. kam
diese Art des Kochens langsam auf; sie wird heute lediglich von einer Minderheit
praktiziert, und nur relativ wenige Chinesen folgen den Leitlinien des Vegetarismus. Die Zahl der Buddhisten wird zusammen mit den Taoisten auf nur ungefähr 20 Millionen geschätzt, das sind kaum zwei Prozent der Gesamtbevölkerung. Die in der buddhistischen Religion verankerte Achtung jeglichen Lebens hat
sich in China mit der Einführung neuer Zutaten, Rezepte und Stilelemente beim
Kochen bemerkbar gemacht, die das kulinarische Erbe aller Chinesen bereicherte. Es
war nicht der Buddhismus, der rein pflanzliche Proteinquellen in die chinesische
Küche einführte; die Chinesen verwendeten beispielsweise schon immer Hülsenfrüchte, vor allem Soja- und Mungbohnen. Der Buddhismus hat aber diesen Speisen
zu noch größerer Bedeutung verholfen, und seine Glaubensanhänger bereiteten sie in
einer so neuen und verlockenden Weise zu, dass viele Chinesen fortan auf Fleisch in
ihrem Essen weitgehend verzichteten.
Buddhistische Köche schaffen in vielen Gerichten die Illusion des deftigen Geschmacks von Schweine-, Rind-, Hühner- und Entenfleisch. Ihre Gerichte, die den Eindruck von Fleisch vortäuschen, sind so verführerisch, dass mancher beim Essen
schon vergessen hat, dass er nicht wirklich Rindfleisch, Schweinefleisch, Huhn,
Abalonen oder ähnliches isst. Allerdings ist mir zu Ohren gekommen, dass einige
buddhistische Restaurants ein wenig mogeln und bei manchen Rezepten Hühnerfond
verwenden.
Einem alten Märchen zufolge war einst ein Taoist bei Leuten zum Esse eingeladen, die,
so stellte sich später heraus, Alchimisten waren. Der Taoist brach in helles Entsetzen
aus, als er sah, dass die beiden Hauptgerichte des Essens scheinbar ein Hund ohne
Fell und ein kleiner Kinderkörper waren, die in klarer Brühe schwammen. Seine Gastgeber ermunterten ihn, doch wenigstens ein wenig von den ‚Spezialgemüsen’, wie
sie die beiden Gerichte nannten, zu kosten. Der Taoist als streng vegetarisch lebender
Mensch lehnte dies natürlich ab. Später erst, als alles at gegessen war, verrieten ihm
seine Gastgeber, dass die beiden abscheulichen Körper die etwas eigenartig aussehenden Wurzeln einer Heilpflanze waren. Hätte er am Essen teilgenommen, so
wäre ihm ewige Jugend und Unsterblichkeit beschieden gewesen. Die Moral dieser
schockierenden Geschichte liegt darin, dass vegetarische Kost dem Fleisch täuschend ähnlich sein kann, dass gute vegetarische Kost mit keinerlei Einschränkung
verbunden ist und darüber hinaus noch Gesundheit ur Wohlergehen beschert.
Kein Märchen, sondern Tatsache ist, dass durch den Buddhismus eine Vielzahl von Ersatzstoffen für Fleisch aus Hülsenfrüchten, Gluten und vor allem Sojabohnen entwickelt
wurde. Weizengluten, ein Stoff, der reich Protein und bestens formbar ist, wird bei der
Zubereitung einer Reihe von Gerichten verwendet, die wie Fleisch schmecken. Der
wahrscheinlich wichtigste buddhistische Fleischersatzstoff aber ist Tofu, der aus Sojabohnen hergestellt wird. Lange bevor der Buddhismus in China Fuß fasste, waren
Sojabohnen schon ein elementarer Bestandteil der chinesischen Küche; der Buddhismus hat aber zweifelsohne deren Verbreitung in ganz China beschleunigt.
Buddhistische Variationen des chinesischen Brauchs, Feiertage mit ganz speziellen
Gerichten zu begehen, führten ebenfalls zur Verbreitung vegetarischer Eßgewohnheiten. Eines dieser Festtagsessen war schon Zeiten der Song-Dynastie bekannt, der
Reisbrei der ‚Sieben Kostbarkeiten und fünf Geschmacksrichtungen’, den man am
elften Tag des zweiten Monats aß. Bald wurde dies bei allen Chinesen, gleich welcher
Konfession, ein beliebtes Gericht.
Buddhismus und die Armut der Bevölkerung sind die Hauptgründe für die geringe
Bedeutung und Verbreitung von Rindfleisch in der chinesischen Küche. Heute sind in
China vegetarische Kost und vegetarische Restaurants immer noch anzutreffen.
Ich habe buddhistische Gerichte an verschiedenen Orten probiert und dabei sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht.
Obwohl die chinesische Kochkunst Gemüse in unzählbaren Variationen verwendet,
bleibt streng vegetarische Küche in China eher die Ausnahme als die Regel.“
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