Verfassungsfeindlich, aber erlaubt

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Seite 9 / Nr. 15
POLITIK
Persönlich erstellt für: asbl asti
Tageblatt
Mittwoch,
18. Januar 2017
Klare Worte auf dem Tor einer Filiale der NPD-Partei in Essen
Verfassungsfeindlich, aber erlaubt
DEUTSCHLAND Karlsruher Richter lehnen ein Verbot der rechtsextremen Partei NPD ab
Von unserem
Korrespondenten
Stefan Uhlmann, Berlin
Das deutsche
Bundesverfassungsgericht
lehnt ein Verbot der NPD ab.
Hauptargument ist deren
Bedeutungslosigkeit. Ein
erster Verbotsantrag war
2003 gescheitert. Die Partei
hat an Bedeutung massiv
verloren. Die AfD hat ihr
den Rang abgelaufen.
Die NPD genießt weiter das Parteienprivileg in Deutschland.
Das Bundesverfassungsgericht
lehnte gestern ein Verbot der
rechtsextremen Partei ab. Die
NPD sei zu schwach, um ihre
verfassungsfeindlichen
Ziele
durchzusetzen, argumentierten
die Richter. Damit scheiterte der
zweite Anlauf, die 1964 gegründete Partei verbieten zu lassen.
Im Jahr 2003 zogen Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat gemeinsam nach Karlsruhe.
Es kam nicht einmal zur mündlichen Verhandlung. Weil die
Führungsebene der Partei mit
V-Leuten des Verfassungsschutzes durchsetzt war und ein Teil
des Beweismaterials darauf fußte, verwarf das Gericht den Verbotsantrag. Die Spitzel wurden
abgezogen, 2013 reichte der
Bundesrat einen neuen Antrag
ein. Bundesregierung und Bundestag hielten sich zurück, aus
Skepsis über die Erfolgsaussichten.
Dieses Mal nahm sich das Gericht viel Zeit. Seit der mündli-
chen Verhandlung sind zehn
Monate vergangen. Zwei Stunden lang begründete Verfassungsgerichtspräsident Andreas
Voßkuhle das Urteil. Die NPD
verfolge verfassungsfeindliche
Ziele, sei dem Nationalsozialismus wesensverwandt und strebe
planvoll danach, die freiheitlichdemokratische Grundordnung
zu beseitigen. Es fehle jedoch an
„konkreten Anhaltspunkten von
Gewicht“, die eine Durchsetzung der Ziele möglich erscheinen lassen. Mit anderen Worten:
Die NPD ist zu unbedeutend,
um die deutsche Demokratie
ernsthaft zu gefährden.
Hohe Hürden
für Parteiverbot
Tatsächlich ist der NPD anhaltendes Siechtum zu bescheinigen. Als Einzelkämpfer sitzt der
ehemalige Parteichef Udo Voigt
im Europaparlament. Allerdings
verfügt die NPD über rund 340
kommunale Mandate, etwa 260
davon in Ostdeutschland.
Parteien haben in Deutschland
eine herausgehobene Stellung,
sie wirken laut Grundgesetz an
der politischen Willensbildung
des Volkes mit. Für ein Verbot
gibt es hohe Hürden. Es kann allein vom Bundesverfassungsgericht verhängt werden und ist
nur zulässig, wenn eine Partei
die demokratische Grundordnung beeinträchtigen oder beseitigen will. Hinzukommen muss
eine aktiv-kämpferische und ag-
I-Revolution im
Klassenzimmer
S. 10
gressive Haltung. Der Europäische Gerichtshof verlangt überdies eine „konkrete Gefahr“ für
die Demokratie. Erst zweimal
wurden in der Bundesrepublik
Parteien verboten, 1952 die
NSDAP-Nachfolgerin Sozialistische Reichspartei (SRP) und
1956 die Kommunistische Partei
Deutschlands (KPD).
Voßkuhle hob trotz der Ablehnung eines NPD-Verbots den
Wert des Urteils hervor. Das Gericht formulierte die Maßstäbe
neu, wann die freiheitlich-demokratische Grundordnung als gefährdet gilt. Vereinzelte Gewalt
und Aktionen der Einschüchterung reichen nicht. Dem müsse
man mit Polizei und dem Strafrecht beikommen. Und Voßkuhle betonte auch: „Ein Parteiverbot ist kein Gesinnungs- und
Weltanschauungsverbot.“
Für seine Mahnung hat Voßkuhle gute Gründe. Das „rechtsextreme
Personenpotenzial“
stieg 2015 laut Verfassungsschutzbericht um 1.600 auf
22.600. Die Mitgliederzahl der
NPD stagniert zwar bei gut
5.000. Aber andere rechtsextreme Parteien und Bewegungen
wie „Die Rechte“, „Der III. Weg“
oder die „Identitären“ haben
Zulauf.
Nationalistische
Positionen
haben auch in der Alternative
für Deutschland (AfD) Platz gefunden. Die AfD ist laut Umfragen zur drittstärksten Kraft geworden und wird im September
wohl schaffen, was der NPD nie
gelang: den Einzug in den Bundestag.
KOMMENTAR
Werner Kolhoff
An der Grenze zur Blauäugigkeit
URTEIL DES BUNDESVERFASSUNGSGERICHTS
Das Karlsruher Urteil zur
NPD ist ein herber Rückschlag. Die Richter haben es
aus grundsätzlichen Erwägungen erneut abgelehnt, die
Auflösung der Partei zu verfügen. Sie sei nicht stark genug, um den Rechtsstaat kaputt zu machen. Einmal
mehr zeigt sich: Rechtsstaaten lassen sich sehr lange verhöhnen, ehe sie wehrhaft
werden. Die Grenze zur
Blauäugigkeit ist nah. Bei der
NPD ist der Bezug zu Hitler
kein schiefer Vergleich:
Auch der wurde demokratisch gewählt, um sich dann
aller Regeln der Demokratie
und Menschenrechte zu entledigen. Aber das Verfassungsgericht hat immerhin
festgestellt, dass die NPD tatsächlich die Werte des
Grundgesetzes bekämpft.
Und deshalb hat es die staatlichen Instanzen in Nebensätzen ermuntert, antidemokratische Aktivitäten dieser
Neonazis, ob es Einschüchterungen sind oder die Nutzung verfassungsfeindlicher
Symbole, mit allen rechtsstaatlichen Mitteln zu verfolgen. Damit sind zwei Instanzen am Zuge, die sich dem
Tajani neuer EP-Präsident
Nachfolger von Martin Schulz gewählt / S. 12, 13
Verfahren ziemlich feige entzogen haben: Bundestag und
Bundesregierung. Nun
möchte man von ihnen sehen, dass die NPD umso
schärfer überwacht wird, dass
antifaschistische Initiativen
ausreichend und unbürokratisch gefördert werden, dass
die Bundespolizei einschreitet, wenn lokale Polizeibehörden Hassdemonstrationen nicht unterbinden und
dass gegen rechte Hetze im
Netz vorgegangen wird.
Das Urteil setzt erneut hohe
Hürden für Partei- und Organisationsverbote und präzisiert sie. Das muss man akzeptieren. Aber Deutschland
darf sich von Leuten, die
„Gas geben“ wollen, brennende Flüchtlingsheime bejubeln und Bürgermeister bedrohen, nicht auf der Nase
herumtanzen lassen. Und
auch nicht von anderen Menschenfeinden wie den Salafisten. Unsere Demokratie muss
gegenüber allen ihren Herausforderern liberal und
rechtsstaatlich bleiben, sagt
Karlsruhe im Kern. So
schwer es auch fällt. Ja, liberal
und rechtstaatlich schon.
Aber nicht doof.
„Er braucht keine
Prostituierten“
S. 14
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