Routinedaten aus haus ä rztlichen Arztinformationssystemen

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Originalarbeit 323
Routinedaten aus hausärztlichen
Arztinformationssystemen – Export, Analyse und
Aufbereitung für die Versorgungsforschung
Routine Data from General Practitioner’s Software Systems – Export, Analysis
and Preparation for Research
Autoren
M. Kersting, A. Gierschmann, J. Hauswaldt, E. H.-Pradier
Institut
Institut für Allgemeinmedizin, Medizinische Hochschule Hannover
Schlüsselwörter
▶ Routinedaten
●
▶ BDT
●
▶ Schnittstellen
●
▶ Versorgungsforschung
●
▶ Allgemeinmedizin
●
Zusammenfassung
▼
Abstract
▼
Eine einheitliche und ausgereifte Informationsund Kommunikationstechnologie ist unerlässlich
für die optimale Unterstützung zukünftiger Prozesse im Gesundheitswesen einschließlich der
Versorgungsforschung. Sekundäranalysen von
Routinedaten aus der ambulanten Primär- und
Sekundärversorgung sind häufig auf die Untersuchung von Abrechnungsdaten begrenzt. Ziel
dieser Untersuchung ist das Aufzeigen der Möglichkeiten und Grenzen der Forschung mit Routinedaten, welche aus hausärztlichen Praxen über
die Behandlungsdatentransfer (BDT)-Schnittstelle exportiert und für die Verarbeitung in SPSS
aufbereitet wurden. Im Zeitraum von Mitte 2005
bis Ende 2007 wurden alle 168 Lehrpraxen der
MHH einmalig schriftlich um die Teilnahme an
einer BDT-Datenerhebung gebeten, welche bei
28 Praxen anschließend durchgeführt wurde. Der
Bestand wurde ergänzt um die Daten von 139
anderen Praxen aus dem Projekt „Medizinische
Versorgung in der Praxis“ (MedViP). Der gesamte
Prozess der Datenaufbereitung umfasste einen
kompletten Zyklus von der Erhebung per BDTExport über das Zusammenfügen der Daten in
einer zentralen Datenbank, bis hin zur Aufbereitung dieser Daten für die Forscher, Publikationen
und einem Feedback-Bericht für die teilnehmenden Praxen. Dabei sollten Möglichkeiten und
Grenzen des Verfahrens systematisch herausgearbeitet werden. Von 168 Lehrpraxen der MHH
haben 68 (40,5 %) Interesse signalisiert, wobei
28 (16,7 %) letztlich erfolgreich erhoben werden
konnten. Bei 15 (8,9 %) war aus technischen und
bei 26 (15,5 %) aus administrativen Gründen keine Erhebung möglich. Die BDT-Schnittstelle ist
in den einzelnen Arztpraxisinformationssysteme
(AIS) unterschiedlich implementiert, was sich
auch auf die Erhebungsmöglichkeiten auswirkte.
Mit den MedViP-Daten zusammen befinden
sich aktuell 167 Praxen mit insgesamt 974 304
An advanced and integrative information technology (IT)-landscape is needed for optimal support of future processes in health-care, including
health services research. Most researches in the
primary care sector are based on data collected
for reimbursement. The aim of this study is to
show the limits and options of secondary analysis based on data that was exported via the “Behandlungsdatentransfer” (treatment data transport) BDT-interface in the software systems of
German general practitioners and afterwards
prepared for further research in SPSS. From the
middle of 2005 to the end of 2007 all 168 teaching practices of the Hannover Medical School
(MHH) were invited to join the study. Finally
routine data from 28 practices could be collected
successfully. The data from 139 other practices
which had been collected for the project “Health
Care in Practice” (“Medizinische Versorgung
in der Praxis” – MedViP) was also added to the
pool. The process of data preparation included
a complete cycle from data collection, merging
the data in a relational database system, via statistics and analysis to publishing and generating
a feedback report for the participating practices.
During the whole study the limits and options of
this method were systematically identified. Of
the 168 practices, 68 (40.5 %) were interested to
participate. From 28 (16.7 %) physicians the data
could be exported from their software systems.
In 15 (8.9 %) cases no collection was possible due
to technical and in 26 (15.5 %) to administrative
reasons. The method of data extraction varied,
as the BDT-interface was differently implemented by the software companies. Together with
the MedViP data, the database at the MHH now
consists of 167 practices with 974 304 patients
and 12 555 943 treatments. For 44.1 % of the
11 497 899 prescription entries an anatomic therapeutic chemical (ATC) code could be applied,
Key words
▶ routinely collected data
●
▶ BDT
●
▶ interfaces
●
▶ health services research
●
▶ primary care
●
Bibliografie
DOI http://dx.doi.org/
10.1055/s-0030-1249689
Online-Publikation: 20.5.2010
Gesundheitswesen 2010;
72: 323–331
© Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York
ISSN 0941-3790
Korrespondenzadresse
M. Kersting
Medizinische Hochschule
Hannover
Carl-Neuberg-Straße 1
30625 Hannover
kersting.markus@
mh-hannover.de
Kersting M et al. Routinedaten aus hausärztlichen Arztinformationssystemen … Gesundheitswesen 2010; 72: 323–331
324 Originalarbeit
Patienten und 12 555 943 Behandlungen in der Datenbank des
Instituts für Allgemeinmedizin der Medizinischen Hochschule
Hannover (MHH). Den 11 497 899 Verordungseinträgen konnte
in 44,1 % der Fälle durch Abgleich mit den Arzneimittelstammdaten des Wissenschaftlichen Instituts der Ortskrankenkassen
(WIdO) ein Wirkstoff nach Anatomisch-Therapeutisch-Chemischer (ATC)-Klassifikation zugeordnet werden. Aus dem gesamten Datenbestand konnten mehrfach erfolgreich ein konsistentes Set von SPSS-Dateien für die Forscher sowie FeedbackBerichte für die teilnehmenden Praxen im Portable Document
Format (PDF) erstellt werden. Die BDT-Schnittstelle ist bereits
vor langem (1994) definiert worden, erlaubt jedoch immer noch
Zugang zu interessanten Informationen, insbesondere Behandlungsdaten. Diese liegen häufig in Freitextfeldern vor, was die
Auswertung erschwert. Kodierte Informationen wie Wirkstoffe
(ATC) lassen sich zum Teil extrahieren und sind leicht für die
Forschung aufzubereiten. Inhalt und Qualität der Daten liegen
vor allem in der Hand der Nutzer, also der Ärzte und Dokumentare. Für die Versorgungsforschung wären mehr klassifizierte
Daten hilfreich, dies könnte eine weiter entwickelte Schnittstelle vermutlich besser transportieren als BDT.
by matching the entries to the master data from the Scientific Institute of Local Health-Care Funds (“Wissenschaftliches Instituts
der Ortskrankenkassen” – WIdO). Periodically consistent sets of
SPSS files could successfully be created for further research and
feedback reports for the participating practices were generated as portable document format (PDF) files. The BDT-interface
seems quite out of date, but can still reveal interesting information, especially on data about medical treatments and findings.
Much of the data is contained in fields based on free text, which
makes analysis difficult. Coded information, like agents, as ATC,
could partially be extracted from the data, which afterwards
was easy to prepare for further research. Quality and content of
the data depend mainly on the data enterer, the physicians and
their practice staff. Future research could be improved by more
classified and coded data, which would better be transported
through an interface more advanced than BDT.
Hintergrund
▼
Ziele
▼
Sekundäranalysen von Routinedaten aus der Primärversorgung
beschränken sich häufig auf Abrechnungsdaten [1, 2] und verzichten damit möglicherweise auf ebenfalls elektronisch verfügbare Informationen aus dem Kontext der hausärztlichen Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT).
Dem dringenden Bedürfnis elektronischer Kommunikation zwischen den Akteuren im Gesundheitswesen, auch sektorenübergreifend, versuchen Entwicklungen, z. B. von elektronischer Gesundheitskarte und zugehöriger Telematik – Infrastruktur [3]
oder elektronischer Arztbrief [4], zu entsprechen. Bei deren Entwicklung spielt die Nutzung im Rahmen der Versorgungsforschung selten eine führende Rolle, ebenso wie in den häufig
noch durch Insellösungen geprägtem IKT-Umfeld im primären
Sektor und den ca. 200 in Deutschland eingesetzten Systemen
[5].
Eine rationale Analyse der zunehmend komplexen Strukturen
und hoch interdependenten Prozesse im Gesundheitswesen sowie deren Ergebnisse für die medizinische Versorgung ist ohne
IKT nicht mehr vorstellbar, ebenso wenig wie effektive Praxisorganisation, strukturierte Behandlungsprogramme, Leitlinienimplementation, internes Qualitätsmanagement und externe Qualitätssicherung. Die wissenschaftliche Nutzung und Analyse anfallender Routinedaten und IKT-Instrumente ist notwendig und
sinnvoll [6–10].
Es liegt also nahe, unter den verschiedenen Teilnehmern des
deutschen Gesundheitswesens nach bereits verfügbaren elektronischen Prozessen und Daten zu forschen und diese statistisch aufzubereiten. Die weit verbreitete Familie der xDTSchnittstellen [11] scheint neben der Möglichkeit erbrachte
Leistungen zu übertragen auch dazu geeignet, weitere dokumentierte Behandlungsdaten zeitnah, strukturiert und elektronisch an einer ihrer Entstehungsquellen, den hausärztlichen
Praxen, zu erheben.
Hauptziel dieser Untersuchung ist das Aufzeigen der Möglichkeiten und Grenzen der Forschung mit Routinedaten, welche aus
hausärztlichen Praxen über die Behandlungsdatentransfer
(BDT)-Schnittstelle exportiert wurden. Als Fragen lassen sich
ableiten: „Welche Aussagen lassen sich zu Zugänglichkeit, Inhalt
und Qualität der Daten machen?“, „Wie können die Daten für die
weitere Analyse in einem Statistikprogramm aufbereitet werden?“ und „Können aus den Daten neue, bisher nicht verfügbare
Informationen gewonnen werden?“. Die inhaltliche Beantwortung medizinisch-wissenschaftlicher Fragestellungen ist nicht
Teil dieses Artikels. Dazu finden sich motivierende Themen und
Ziele in Arbeiten, die auf dem hier vorgestellten Verfahren aufbauen, etwa zu Hausbesuchen [12], Schwindel [13] oder dem
Artikel über Grippeschutzimpfungen von Hauswaldt et al. in
diesem Heft.
Methoden
▼
Überblick
Die Untersuchung basiert auf einer einmaligen Erhebung und
Zusammenführung von Routinedaten aus den Arztpraxisinformationssystemen (AIS) hausärztlicher Praxen. Die mittels
BDT-Schnittstelle exportierten Daten wurden am Institut für
Allgemeinmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover
(MHH) aufbereitet und in Form von anonymisierten SPSS-Dateien den dortigen Forschern für ihre Projekte zur Verfügung
gestellt.
Über das Durchlaufen eines kompletten Zyklus von der Erhebung, über die Aufbereitung, bis hin zur Auswertung, Publikationen und Erzeugung eines Feedback-Berichts für die teilnehmenden Praxen wurden die technischen Möglichkeiten und
Grenzen der Erhebung und Nutzung für die Versorgungsforschung von hausärztlichen Routinedaten, insbesondere über die
BDT-Schnittstelle, systematisch herausgearbeitet.
▶ Abb. 1.
Einen Überblick des gesamten Prozesses zeigt ●
Kersting M et al. Routinedaten aus hausärztlichen Arztinformationssystemen … Gesundheitswesen 2010; 72: 323–331
Originalarbeit 325
Arzt / Praxis
Anfragen und Praxenberichte
BDT-Daten und Feedback zu den Berichten
ArztpraxisInformationssystem (AIS)
BDT-Export
(Direkt/Externes
Tool/Aus
Datensicherung)
BDT-Datei(en)
Pseudonymisieren
und Verschüsseln
(Java)
Übertragung
(E-Mail, Web, Post
oder persönlich)
Praxenberichte
(PDF)
Datenbank
(MySQL)
Java/SQL
BDT-Datei
(verschlüsselt)
ODBC/SQL
(SPSS-Skript)
Import
(Java/SQL)
BDT-Datei
Entschlüsseln
BDT-Datei
(verschlüsselt)
SPSS-Dateien
Forscher/MHH
Abb. 1
Überblick der Datenerhebung und Datenaufbereitung.
Rekrutierung
Im Zeitraum von Mitte 2005 bis Ende 2007 wurden alle 168
Lehrpraxen der MHH einmalig schriftlich um ihre Teilnahme gebeten. Mit der Anfrage wurden die Praxen um eine kurze Auskunft zu ihrem eingesetzten AIS, sowie dem Umfang der Nutzung von elektronischer Dokumentation gebeten.
Im Projekt „Medizinische Versorgung in der Praxis“ (MedViP)
[14, 15] der Abteilung Allgemeinmedizin der Universitätsmedizin Göttingen wurden Export und Auswertung von BDT-Routinedaten erstmals verwendet, um krankheitsbezogen praxisepidemiologische Fragen zu beantworten und Patienten zu identifizieren, die dann nach Reidentifikation durch den eigenen Hausarzt von diesem zur Teilnahme an weiteren, klinisch orientierten
Studien eingeladen wurden. Im Gegensatz zum MedViP-Projekt
wurde bei unserer Erhebung nicht nur ein Zweijahreszeitraum,
sondern der gesamte verfügbare Zeitraum der Praxistätigkeit
erhoben, also die gesamte vom Arzt jemals in seinem AIS erfasste und über BDT auslesbare Dokumentation. Ferner wurden
den teilnehmenden Ärzten keine Honorare oder Aufwandsentschädigungen in Aussicht gestellt oder gezahlt. 88 (52,4 %) Praxen haben schriftlich oder per Fax geantwortet. Von 28 (31,8 %)
dieser Praxen konnten die Daten erfolgreich erhoben werden.
Für die späteren Auswertungen wurden zusätzlich noch die
BDT-Dateien von 139 Praxen aus dem MedViP-Projekt in die Datenbank der MHH importiert.
Behandlungsdatentransfer (BDT)
Die BDT-Schnittstelle gehört zur Gruppe der xDT-Schnittstellen
[11], ebenso wie die Abrechnungsdatentransfer-(ADT)-Schnittstelle, welche zur Übertragung der abzurechnenden Leistungen
der Ärzte, im Prinzip einer BDT-Untermenge, an die Kassen bzw.
KVen genutzt wird. Ursprüngliche Intention von BDT war dem
Arzt eine komplette Übernahme seiner Stamm- und Behandlungsdaten in ein neues AIS zu ermöglichen. Die Entwicklung
der BDT-Satzbeschreibung wurde durch das Zentralinstitut für
kassenärztliche Versorgung [16], früher Köln, jetzt Berlin, durchgeführt. Dort ist auf Anfrage auch die letzte offizielle Spezifikation zu BDT (Version 2/94) [17] erhältlich, auf der die Entwick-
lungen des hier beschriebenen Projekts basieren. Struktur und
Aufbau eines BDT-Datensatzes ist an ADT angelehnt. Es handelt
sich um eine oder mehrere zusammenhängende Textdateien.
Deren generelle Struktur ist durch die 14 BDT-Satzarten, wie
„Datenträger-Header“, „Praxisdaten“, „Behandlungsdaten“ usw.
bestimmt. Innerhalb der Satzarten sind alle Informationen
in BDT-Feldern (einer Zeile) abgelegt. Die Art des Feldes ist
durch eine vierstellige Zahl gekennzeichnet. Den Aufbau illustriert
▶ Abb. 2.
●
Erhebung, Pseudonymisierung
Die Implementierung der BDT-Schnittstelle wurde von den Systemherstellern unterschiedlich umgesetzt, woraus sich folgenden Varianten der Erhebungsart ergaben:
▶ Direkter Export durch den Benutzer (Arzt, Mitarbeiter) möglich.
▶ Kein direkter Export möglich – Das Erstellen des BDT-Datensatzes geschah durch den Systemhersteller, auf Basis einer
Datensicherungskopie, die an diesen geschickt wurde. Die erstellten BDT-Dateien wurden zurück in die Praxis geschickt
und dort weiterverarbeitet.
▶ Kein direkter Export möglich – Zum Exportieren war ein separates Programm des Herstellers erforderlich, welches der
MHH für den Export in den teilnehmenden Praxen zur Verfügung gestellt wurde.
▶ Kein Export möglich.
Bei Systemen mit der Möglichkeit zum direkten Export war es in
der Regel erforderlich, sich die BDT-Schnittstelle einmalig vom
Softwareanbieter freischalten zu lassen oder für den Export
einen Tages-Freischaltcode vom Anbieter anzufordern.
Den teilnehmenden Praxen wurde angeboten, alle erforderlichen Schritte mit persönlicher oder telefonischer Unterstützung durch die MHH oder komplett eigenständig, mithilfe
schriftlicher Anleitungen durchzuführen. In jedem Fall kam ein
eigens entwickeltes Java-Programm zum Einsatz, mit welchem
noch in der Arztpraxis die BDT-Dateien pseudonymisiert und
verschlüsselt wurden. Pseudonymisierung bedeutet hier, dass
alle personenbezogenen Daten (BDT-Felder) aus einer zuvor ex-
Kersting M et al. Routinedaten aus hausärztlichen Arztinformationssystemen … Gesundheitswesen 2010; 72: 323–331
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Abb. 2 Auszug aus einer BDT-Datei mit
Erläuterung zum Aufbau.
portierten Datei entfernt wurden, wie z. B. „3101 (Name des Versicherten)“. Lediglich die systeminterne Patientennummer
(BDT-Feld „3000“) musste in der Datei verbleiben, um alle Informationen beim späteren Einlesen in die Datenbank wieder patientenbezogen zusammensetzen zu können. Die pseudonymisierte und mit dem öffentlichen Schlüssel des Instituts für Allgemeinmedizin chiffrierte Datei wurde anschließend per E-Mail,
Web-Upload, persönlich oder per Post an das Institut geliefert
und dort für den Datenbankimport wieder entschlüsselt.
Datenbank und Entwicklung
Die Datenbank- und Anwendungstechnologie wurde aus dem
MedViP-Projekt [14, 15] und den Vorarbeiten von Weitling [18]
übernommen und weiterentwickelt. Als Datenbanksystem kam
MySQL [19] unter Ubuntu [20] zum Einsatz. Sämtliche Softwaremodule wurden in Java [21] mit Eclipse [22] entwickelt. Alle
selbst entwickelten Komponenten des Projekts sind quelloffen,
unterliegen der GNU General Public License (GPL) [23] und sind
auf Anfrage von den Autoren frei erhältlich.
Die aus der BDT-Spezifikation abgeleiteten Zusammenhänge
und Strukturen bilden die Basis für das verwendete Datenbankschema. Es sollte alle relevanten Informationen aus allen BDT▶ Abb. 3 zeigt ein ScheDateien der Praxen aufnehmen können. ●
ma der Datenbank, in dem neben Variablenname und -typ auch
die Kennung des BDT-Feldes vermerkt ist, aus dem die ursprüngliche Information stammt. Als Primärschlüssel der Praxen dient
die Arztnummer (BDT-Feld „0201“). Dies bedeutet, dass Ärzte in
Praxisgemeinschaften (mit separater Abrechnung) später als
eigene „Praxis“ gezählt werden. Während des Imports wurden
lediglich Prüfungen des Datentyps vorgenommen. Bekannte
BDT-Fehler bestimmter AIS wurden korrigiert. Inhaltliche Plausibilitätsprüfungen wurden an dieser Stelle nicht durchgeführt.
Datenimport und Wirkstoffe
Der Import der pseudonymisierten BDT-Dateien in die Datenbank erfolgte durch das entsprechende Java-Modul. Es liest die
Datei zeilenweise ein, setzt die gefundenen Informationen in Relation zueinander, z. B. alle Behandlungen zu einem Patienten,
und generiert die entsprechenden (Structured Query Language)
SQL-Befehle. In diesem Schritt wurden auch die BDT-Felder mit
möglichen Inhalten zu Medikamenten geprüft, insbesondere
Feld „6210 (Medikament verordnet auf Rezept)“. Sofern in dem
dortigen Texteintrag vorhanden, wurde die enthaltene Pharmazentralnummer (PZN) extrahiert. Diese wurde mit den Arzneimittelstammdaten des Wissenschaftlichen Instituts der AOK
(WIdO) verglichen, um den Wirkstoff zu ermitteln und diesen
als Anatomisch-Therapeutisch-Chemische (ATC) [24] Klassifikation mit in der Datenbank zu hinterlegen. Konnte keine PZN bestimmt werden, wurde ein Textvergleich der Verordnung mit
den WIdO-Daten durchgeführt. Nur im Fall einer eindeutigen
Zuordnung wurden der ATC-Code mit in die Datenbank übernommen.
Anonymisierung, Datenansichten, SPSS
Forscher und Doktoranden, welche für ihre Projekte Daten aus
dem Pool benötigten, erhielten aus Gründen der Performance
und Sicherheit keinen direkten Zugriff auf die Tabellen der Datenbank. Entweder erfolgte der Zugriff auf freigegebene, anonymisierte Datenansichten (Views) oder es wurde mit bereits aus
der Datenbank exportierten SPSS-Dateien gearbeitet. Für jede
▶ Abb. 3 dargestellte Tabelle wurde je eine anonyme Sicht erin ●
stellt. Das Erstellen der SPSS-Dateien erfolgte durch Exportieren
der kompletten View – Inhalte über Open Database Connectivity
(ODBC) aus SPSS-Syntax-Skripten heraus, welche auch die Variablen und Werte mit entsprechenden Labels aus dem BDT-Kontext versehen. Die ersten Spalten aller SPSS-Dateien sind identisch (Praxis-ID, Patient-ID, Geburtsdatum, Geschlecht, Datum),
wodurch sich diese durch die Forscher leicht verknüpfen und aggregieren lassen. Die in den Views und SPSS-Dateien verwendeten Nummern (IDs) der Patienten und Praxen wurden bereits
während des Importierens in die Datenbank neu vergeben und
sind aus Sicht der Forscher vollständig anonym und über alle
SPSS-Dateien und Views hinweg eindeutig. Zugriff auf die Dateien und Views haben die Mitarbeiter des Instituts der Autoren,
eine Nutzung durch Dritte ist nicht vorgesehen.
Zu bestimmten Zeitpunkten wurde ein konsistentes Set von
SPSS-Dateien aus der Datenbank erstellt, mit dem die Forscher
– unabhängig von der Datenbank – arbeiten konnten. Durch
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Originalarbeit 327
Abb. 3
Datenbankschema der MySQL-Datenbank.
dieses Verfahren konnte gewährleistet werden, dass laufende
Analysen durch das Importieren neuer BDT-Dateien nicht beeinträchtigt wurden, wie es in dem begrenzten, aber langen Erhebungszeitraum mehrmals vorkam. Die ersten Auswertungen der
Daten wurden ursprünglich mit SPSS Version 13 durchgeführt.
Alle Ergebnisse in diesem Artikel sind mit SPSS Version 16 berechnet worden.
Analysen, Berichte und Feedback
Wichtige Kennzahlen zum Datenbestand wurden regelmäßig
per SQL aus der Datenbank abgefragt, zum einen, um die Softwaremodule zu prüfen und weiterzuentwickeln, zum anderen,
um Inhalt und Umfang der Datenbank zu skizzieren. In diesem
Zusammenhang sollen vier Methoden kurz vorgestellt werden:
BDT-Dateianalyse, zwei Beispielanalysen ins SPSS, sowie die Praxenberichte. Eine Analyse der BDT-Dateien bestand darin, während des Imports Metadaten, etwa die Häufigkeiten aller vorkommenden BDT-Felder, in einer Protokolldatei zu hinterlegen,
um diese Informationen später in SPSS auszuwerten. Dort wurde geprüft, ob sich Auffälligkeiten bei der Häufigkeitsverteilung
wichtiger BDT-Felder in Abhängigkeit vom eingesetzten AIS ergaben. Ferner wurde für diesen Artikel, um die Nutzbarkeit für
weitere quantitative Analysen zu skizzieren, beispielhaft eine
fiktive Quer- sowie eine Längschnittstudienfrage an die BDT-Datenbank gestellt und zwar: „In wie vielen Praxen sind 2001 Befunde im AIS elektronisch dokumentiert worden?“ und „Hat sich
das Verhältnis der Anzahl der Kontakte pro Patient und Jahr seit
1996 verändert?“. In beiden Fällen wurden Häufigkeiten der
Kontakte (Einträge in der Tabelle „Behandlung“) sowie die jeweils zugehörige Anzahl der Patienten und gefüllter Befund-
felder (BDT-Felder „6220“–„6225“), aggregiert nach Jahr und
Praxis per SQL ermittelt. Für die erste Frage wurden in SPSS nach
dem Jahr 2001 gefiltert, ein Quotient Befunde/Behandlungen
berechnet und die Praxen danach gruppiert. Im zweiten Fall
wurde nach Jahr (ab 1996) in SPSS gefiltert, ein Quotient
Behandlungen/Patienten berechnet und daraus per Aggregation
ein Durchschnitt für die Jahre erstellt. Im letzten Schritt eines
Zyklus der BDT-Datenauswertung sind Berichte für die teilnehmenden Praxen erstellt worden. Darin erhielten sie neben den
wichtigsten Kennzahlen ihrer gelieferten Daten auch die Anzahlen zu den Vorkommen von kodierten Informationen, wie Verordnungen (ATC, PZN), Diagnosen (ICD) und dem Vergleich dieser Werte mit dem Durchschnitt aller Praxen. Die Berichte wurden mit einem eigens dafür entwickelten Java-Programm als
Portable Document Format (PDF)-Datei erzeugt und den Praxen
per E-Mail oder Post zugestellt. Anbei erhielten die Teilnehmer
einen kurzen Fragebogen, in dem sie um eine Einschätzung zu
Informationsgehalt, sowie Validität und Qualität der Daten gebeten wurden.
Ergebnisse
▼
Rekrutierung
Von 168 Lehrpraxen der MHH haben 88 (52,4 %) auf die Anfrage
geantwortet. Von allen antwortenden MHH-Praxen haben 68
(77,3 %) Interesse an einer Teilnahme signalisiert. 15 (17,0 %) haben eine Teilnahme abgelehnt und 5 (5,7 %) haben einer Teilnahme mit Vorbehalt, etwa einer vorherigen Rücksprache mit ihrem
Systembetreuer, zugestimmt.
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328 Originalarbeit
Dokumentation und elektronische Patientenakten
Auf die Frage wie sie Behandlungen, Befunde usw. dokumentieren, gaben 36 (40,9 %) an, sämtliche medizinische und nichtmedizinische Angaben elektronisch in ihrem AIS zu dokumentieren. Teilweise elektronisch zu dokumentieren gaben 33 (37,5 %)
Praxen an. 10 (11,4 %) würden demnach das AIS nur für die Abrechung nutzen und 9 (10,2 %) machten hierzu keine Angabe. Ob
sie die elektronische Übertragung von Patientenakten mit anderen Praxen nutzen würden, beantworteten 72 (81,8 %) mit „Nein“
und 8 (9,1 %) mit „ Ja“. Ebenfalls 8 (9,1 %) machten dazu keine Angabe.
Erhebung
Bei 28 (31,8 %) Praxen konnte eine Datenerhebung erfolgreich
durchgeführt werden. In 41 (46,6 %) Fällen war keine Erhebung
möglich. Dies war bei 15 (17,0 %) aufgrund technischer Hürden
und bei 26 (29,5 %) aus administrativen Gründen nicht möglich,
weil sich mangels personeller oder zeitlicher Ressourcen seitens
des Instituts oder der Praxis kein Termin vereinbaren ließ. Bei 24
(27,3 %) Praxen wurde die Erhebung durch einen Mitarbeiter des
Instituts durchgeführt. 4 (4,5 %) Praxen waren in der Lage, den
BDT-Export nach telefonischer oder schriftlicher Anleitung komplett selbst durchzuführen. Bei 22 (25,0 %) der Praxen war ein
direkter Export aus dem AIS (mit oder ohne Freischaltung) möglich und bei 6 (6,8 %) musste für die Erstellung der BDT-Daten
eine Sicherung an den Systemhersteller geschickt werden oder
es war ein spezielles Exporttool verfügbar.
BDT-Datenbank
Zum aktuellen Zeitpunkt (Oktober 2009) befinden sich in der
Datenbank am Institut für Allgemeinmedizin der MHH die Daten aus den 28 Lehrpraxen der MHH sowie Daten von 139 Praxen aus dem MedViP-Projekt. Die MedViP-Daten stammen vornehmlich aus den Jahren 2000–2002, weshalb hier eine hohe
Datendichte erkennbar ist. Daten aus den MHH-Praxen liegen in
Einzelfällen bis weit über 20 Jahre in die Vergangenheit (bis zum
Erhebungszeitpunkt) vor.
Die 167 Praxen umfassen 974 304 Patienten und 12 555 943 Behandlungen. Es liegen 19 242 258 Gebührenziffern, 4 828 330
Abrechnungsdiagnosen sowie 11 497 899 Medikationseinträge
(aus den BDT-Feldern 6 211–6 215) vor. In letzteren konnte bei
4 213 550 (33,6 %) Einträgen eine PZN extrahiert werden und in
5 540 121 (44,1 %) Fällen ein Wirkstoff nach ATC bestimmt werden. Dies bedeutet, dass in 1 326 571 (10,6 %) Fällen eine eindeutige Zuordnung des Wirkstoffs per Textvergleich mit den WiDoDaten möglich war.
Die Daten der importierten Praxen lagen in 174 BDT-Dateien vor.
Die Größe der BDT-Dateien variierte zwischen einem und knapp
500 Megabyte. Die Häufigkeit einiger wichtiger BDT-Felder
▶ Tab. 1. Dort ist auch die Häufigkeit der eingesetzten AIS
zeigt ●
abzulesen.
Beispiel Querschnitt – Elektronische Befunde
Für das Jahr 2001 liegen Daten aus 159 Praxen vor. Bei 64 (40,3 %)
sind keine elektronischen Befunde in den dafür vorgesehenen
BDT-Feldern zu finden. In 82 (51,6 %) Fällen ist das Verhältnis
Befunde/Behandlungen kleiner als 0,75. Bei 13 (8,2 %) Praxen ist
dieses Verhältnis 0,75 oder größer.
Beispiel Längsschnitt – Kontakte pro Patient
▶ Tab. 2. Die Analyse war durchführbar. Das
Das Ergebnis zeigt ●
Verhältnis von Kontakten pro Patient scheint über die Jahre er-
staunlich stark zu schwanken. Die weitere inhaltliche Interpretation scheint hier nicht sinnvoll. Dazu wären mehr Daten und
zusätzliche Analysen, etwa der Ausreißer, nötig, um Eingabeoder Systemfehler im AIS zu identifizieren und herauszurechnen.
BDT-Dateien Transport aus der Datenbank in die
Statistiksoftware
Der ODBC-Transfer von MySQL nach SPSS verursachte größere
Schwierigkeiten. Datentypen (Zahlen) werden nicht immer korrekt erkannt. Dies macht die gelieferten Ergebnisse unbrauchbar.
Dieses Phänomen gilt für die ODBC-Versionen 3.51 und 5.1, sowie SPSS Version 13–16. Auch das Anpassen der ODBC-Treibereinstellungen änderte daran nichts. Umgehen lässt sich dies,
indem die problematischen Spalten bereits in der Abfrage in
Text und später in SPSS zurück in Zahlen konvertiert werden.
Ebenfalls war es nicht möglich, Abfrageergebnisse mit mehr als
einem Gigabyte zu übertragen. Deshalb wurden derartig große
Abfragen, auf Basis von Variablen, wie dem Geschlecht aufgeteilt. Alternativ wären auch andere Übertragungswege als ODBC,
etwa der Umweg über Textdateien, denkbar. Damit würde man
jedoch SPSS-seitig auf die von uns genutzten Möglichkeiten eigener View-Abfragen aus SPSS heraus und der Automatisierung
der Übertragung mit SPSS-Syntax-Skripten verzichten.
Feedback
Von den 28 teilnehmenden Praxen kamen 4 (14,3 %) Fragebögen
zur Bewertung der Praxenberichte per Fax zurück. Darin
kreuzten 3 (75,0 %) u. a. die Auswahl „Die Daten scheinen korrekt
zu sein“ an und einer (25,0 %) machte zur Datenqualität keine
Angaben.
Diskussion
▼
Eine Erhebung von Routinedaten über die BDT-Schnittstelle der
AIS in allgemeinmedizinischen Praxen und deren Auswertung
ist prinzipiell möglich und sinnvoll, wie auch schon von Himmel
et al. [15] gefolgert. Positiv am Erhebungsverfahren ist – im seltenen Fall eines direkten, freigeschalteten Exports aus dem AIS
– der kaum spürbare Eingriff in den Praxisalltag. Ebenso wenig
sind Beobachtungseinflüsse zu erwarten, da rückwirkend erhoben wird. Ein Vorteil gegenüber Kassendaten ist das verfügbare
Spektrum aller Patienten einer Praxis, so auch der Privatversicherten. Zudem ließen sich Kassenwechsel der Patienten nachvollziehen. Arztwechsel hingegen sind problematisch. Dafür
müsste ein bundesweit einheitliches Patientenpseudonym in
das Verfahren integriert werden.
Bereits auf der Basis der 167 erfassten Praxen lassen sich wichtige Rückschlüsse für weitere Einsatzmöglichkeiten und zukünftige Entwicklungen ableiten. Dass von den 68 interessierten
MHH-Praxen nur 41,2 % Daten liefern konnten, lag nicht zuletzt
an fehlenden personellen Ressourcen seitens des Instituts für
Allgemeinmedizin. Andererseits sollte diesem Zustand von
vornherein vorgebeugt werden, indem den Praxen bereits AISspezifische Anleitungen für den Datenexport zugesandt wurden.
Dass die über ganz Niedersachsen verstreuten Praxen dennoch
eine persönliche EDV-Unterstützung vor Ort benötigten, lässt
die Benutzerfreundlichkeit der implementierten BDT-Schnittstellen in keinem guten Licht erscheinen. Diese Tatsache führte
einerseits zu dem erhöhten Aufwand bei der Erhebung, andererseits auch zu einer „natürlichen Selektion“ der Praxen in
Kersting M et al. Routinedaten aus hausärztlichen Arztinformationssystemen … Gesundheitswesen 2010; 72: 323–331
Adamed Plus
Albis on Windows
ARCOS
ARZTPRAXIS WIEGAND
CompuMED-M1-Sysmed
Data-AL
DAVID
DOCconcept
DOCexpert
DOCexpert Comfort
DORSYMED IV
Duria
INA 4,2/5,1
INA 4,4
LEISYS
M1
MCS-ISYNET
Medical Office
MediStar
PROFIMED WIN
QUINCY PCnet
S3
TurboMed (DOS)
TurboMed@Windows
Summe
AIS
2
5
3
7
1
3
27
6
6
15
2
6
5
1
3
2
7
1
16
1
11
3
9
32
174
Quell-Dateien
79 618
86 393
91 917
97 865
14 016
116 493
577 208
228 889
66 888
216 809
0
88 013
45 277
19 666
98 314
25 659
336 914
19 343
897 688
23 486
148 928
73 336
107 338
929 993
4 390 051
3000 (Pat-Nr.)
4
13 611
0
0
0
2
0
81
13
955
0
222
0
0
0
0
59 284
0
0
4
1 686
0
0
0
75 862
3622 (Größe)
4
13 611
0
0
0
2
0
96
13
963
0
226
0
0
0
0
58 757
0
0
2
1 686
0
0
0
75 360
3623 (Gewicht)
507 408
275 975
167 129
379 764
51 662
744 484
1 734 601
1 200 421
399 283
1 330 806
706 770
384 261
204 217
95 809
562 963
76 683
308 932
173 586
6 489 935
113 036
588 522
0
310 272
2 867 745
19 674 264
5001 (GNR)
105
353
287 502
185 011
31 907
243 295
1 110 168
2
0
0
128 230
55 707
32 295
16 940
0
16 011
695 271
82 093
1 507 779
183 374
109 580
384 767
187 332
45 422
5 303 144
diagnose)
diagnose)
377 300
137
218 546
181 617
899
0
1 570 765
218 212
69 858
211 149
356 336
64 884
101 457
53 283
93 009
744
64 765
129 228
1 375 668
67 890
281 938
0
75 591
550 169
6 063 445
6205 (Behandlungs-
6000 (Anrechnungs-
Tab. 1 Häufigkeit der AIS und BDT-Felder. Aufsummierte Häufigkeiten ausgewählter BDT-Felder. Bestimmt aus den 174 verfügbaren BDT-Dateien.
273 947
109 011
841 668
150 083
121 814
423 286
1 015 942
23 447
258 190
998 576
214 755
132 729
46 148
33 169
331 861
28 270
712 185
20 892
2 553 513
34 642
221 093
702 608
460 080
1 606 959
11 314 868
auf Rezept)
6210 (Medikament
19 252
87 914
156 089
75 340
1 552 814
14
956 782
12 840
52 920
464 112
8 840
28 767
0
0
25 804
14 753
44 340
2
574 723
9 628
247 036
0
103 287
106 759
4 542 016
6220 (Befund)
Originalarbeit 329
Kersting M et al. Routinedaten aus hausärztlichen Arztinformationssystemen … Gesundheitswesen 2010; 72: 323–331
330 Originalarbeit
Tab. 2 Auswertung Längsschnittbeispiel. Ergebnis des Längsschnittbeispiels.
Jahr
Kontakte/Patienten
Anzahl Praxen
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2014
2020
2094
2095
5,92
5,93
6,45
6,41
7,00
6,46
6,79
4,91
5,76
9,22
8,47
6,32
1,00
1,00
1,00
1,00
62
65
68
73
80
159
162
113
32
25
27
21
1
2
1
1
Abhängigkeit vom eingesetzten AIS. Dies geht auch teilweise
▶ Tab. 1 hervor. Zwar gehören die Systeme „Turbomed“,
aus ●
„David“, „Medistar“ und „DocExpert comfort“ ohnehin zu den
am häufigsten eingesetzten AIS [5], diese ermöglichten aber
auch einen direkten BDT-Export (nach Freischaltung), was die
Erhebung vereinfachte. Aus Sicht der Autoren stellen andere Verfahren der Erhebung, etwa per Datensicherung über den Systemhersteller, keine ausreichende „Implementierung“ der BDTSchnittstelle dar.
Sind die Hürden der Erhebung erst einmal genommen, lassen
sich die BDT-Dateien mit den entwickelten Programmen recht
▶ Abb. 3) offenbart begut verarbeiten. Das Datenbankschema (●
reits wichtige Aussagen: Es gibt eine Trennung zwischen Abrechungs- und Behandlungsdaten. Dies manifestiert sich unter
anderem in zwei separaten Diagnosefeldern („6000“ und
„6205“). Interessant, weil bisher kaum zugänglich, ist hier der
Behandlungsteil der Daten. Dieser Bereich der elektronischen
Dokumentation von Befunden wird auch zunehmend von den
Ärzten genutzt, wie die Antworten auf die Dokumentationsart
▶ Tab. 1 anund die Häufigkeit der gefunden Befundfelder in ●
deuten. Dort und im Datenbankschema lassen sich auch die
Grenzen erkennen: Viele Informationen sind in Freitexten abgelegt. Hier neue Ansätze des Informationsextraktes zu entwickeln
[25], könnte sich als fruchtbar erweisen, etwa um Diskrepanzen
in der Dokumentation zwischen Behandlung und Abrechnung
effizienter analysieren zu können, wie von Erler et al. [26] manuell durchgeführt.
Anders sieht dies bei Feldern mit kodierten Informationen aus,
insbesondere den ICD-Diagnosen und den abgerechneten Gebührennummern des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes
(EBM) [27]. Diese lassen sich erwartungsgemäß gut weiter verarbeiten. Sie sind den Patienten eindeutig zuzuordnen, lediglich
die zeitliche Zuordnung scheint minimal auf Quartalsniveau zuverlässig und sinnvoll zu sein. Behandlungsdiagnosen und Verordnungen dagegen scheinen tagesgenau erfasst und auswertbar zu sein.
Die Medikationsfelder beinhalten Freitext. Sofern darin eine PZN
enthalten war, ließen sich zuverlässig Wirkstoffe bestimmen
und auswerten. Der Datenbestand macht aber deutlich: Nur in
33,6 % der Fälle ist eine PZN verfügbar, vermutlich weil diese von
den Systemen gar nicht gespeichert werden oder der Arzt dies
bewusst abgestellt hatte. Hier wäre aus Sicht der Forschung eine
Speicherung des Wirkstoffes als ATC zu jeder Verordnung wün-
schenswert. Aus derartig kodierten Informationen lässt sich
leicht ein Feedback-Bericht für die Praxen generieren, welcher
hilft, das ganze Verfahren zu überprüfen und weiterzuentwickeln. Dies wurde bereits durch die wenigen Rückmeldungen
der Ärzte deutlich, nach denen das gesamte Verfahren offensichtlich keine auffälligen Systemfehler mehr zu enthalten
scheint. Ein Problem der Auswertung von Verordnungen ist, dass
hier keine Kontrolle darüber vorliegt, ob der Patient das Rezept
eingelöst hat, wie es immerhin mit den Daten der Kassen möglich ist. Ein Vergleich beider Bestände könnte interessant sein.
Einen weiteren interessanten Aspekt zu den Inhalten wird
▶ Tab. 1 deutlich: Es gibt BDT-Felder für Größe und Gewicht
aus ●
des Patienten („3622“, „3623“). Diese werden in einigen Fällen
sogar genutzt und könnten damit wichtige Informationen für
Auswertungen liefern – wenn sie an der korrekten Stelle abgelegt wären und nicht irgendwo im Befundtext untergehen. Man
kann folglich nicht alle Unzulänglichkeiten des Verfahrens dem
betagten BDT-Standard anrechnen. Zwar definiert dieser etwa
für Größe und Gewicht keine Maßeinheiten, was für zuverlässige Auswertungen unzureichend ist. Andererseits ist es, wenn
der Arzt diese Daten überhaupt erhebt, Aufgabe der Systemhäuser, dafür zu sorgen, dass diese Daten im korrekten BDT-Feld
landen. Einen anderen interessanten Weg, geht hier das Content-Projekt [28], welches die zu dokumentierenden Items vorgibt und seine eigene Exportschnittstelle mitbringt.
Seitens der Datenbanktechnologie scheint MySQL nicht die optimale Lösung zu sein. Das Zusammenspiel mit SPSS über ODBC
bereitete Probleme. Für konsistente Imports wurde auf „InnoDB“
als Speichertechnologie gesetzt, um auf Transaktionen und referentielle Integrität zurückgreifen zu können. Dadurch blieb aber
der Weg für Volltextindizes und damit eine schnelle Ad-hoc-Recherche in den Freitextfeldern verbaut, wie dies von „MyISAM“Tabellen unterstützt wird. Als Datenbank wären vielleicht PostgreSQL [29] oder kommerzielle Systeme mit besserer Anbindung
an gängige Statistikprogramme besser geeignet. Java hat sich dagegen als Anwendungsplattform bewährt, vor allem vor dem
Hintergrund der heterogenen IT-Landschaft unter den niedergelassenen Ärzten. Verschlüsselung, Import und Zuordnung der
Wirkstoffe stellten technisch gesehen keine großen Hürden dar.
Die Auswertung der Daten auf der Basis von SPSS-Datei-Sets
hatte große Vorteile gegenüber SQL-intensiven Ansätzen. Den
Forschern wird ein anonymer, konsistenter und temporär abgeschlossener Datensatz bereitgestellt, mit dem sie autark arbeiten
können. Bei einer Größenordnung von weniger als 200 Praxen
kommen nur wenige Gigabyte an SPSS-Nutzdaten zusammen,
die modernen Arbeitsplatzrechnern keine Schwierigkeiten bereiten. Diese Möglichkeit der dezentralen Auswertung entlastete
EDV-Personal und Serverressourcen. Das Verfahren ist sicherlich
auch mit anderen Statistikprogrammen durchführbar, ebenso
wie ein direkter SQL/ODBC-Zugriff auf die freigegebenen Views
eines – ebenfalls austauschbaren – Datenbanksystems.
Die beiden kurzen Beispielanalysen liefern inhaltlich keinen
Mehrwert, zeigen aber bereits deutlich Schwierigkeiten mit dem
Umgang der Daten auf, welche die Forscher im Blick haben
müssen. Zum einen lässt sich festhalten, dass beide Verfahren
ohne weiteres möglich sind, zum anderen ist die Interpretation
der Ergebnisse mitunter schwierig, weshalb die Forscher ent▶ Abb. 3 an
sprechendes Hintergrundwissen und das Schema in ●
die Hand bekamen.
Abschließend wird die Erhebung als wichtiger Schritt für weitere zukünftige Entwicklungen bewertet. Die verfügbaren Daten
sind für die Versorgungsforschung interessant, insbesondere die
Kersting M et al. Routinedaten aus hausärztlichen Arztinformationssystemen … Gesundheitswesen 2010; 72: 323–331
Originalarbeit 331
nicht in ADT und damit nicht den Daten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) enthaltenen Datenfelder. Deren Vollständig und Validität zu bewerten bedarf allerdings noch weiterer Analysen, um eine solide wissenschaftliche Basis zu erhalten, die das Krankengeschehen dann direkter und umfangreicher
als ADT abbilden könnte. Ohne dies muss man sich bei der Auswertung von BDT-Daten auf jene Praxen und AIS beschränken,
bei denen die Vollständig und Validität der untersuchten Felder
nach eingehender Prüfung als gegeben angesehen werden kann.
Der Reduktion auf die für eine bestimmte Fragestellung gültigen
Daten erfolgte in unseren Auswertungen innerhalb von SPSS
durch die jeweiligen Forscher.
Für eine Erhebung von Routinedaten ist die BDT-Schnittstelle
grundsätzlich geeignet, könnte aber weitaus besser sein, wenn
sie zugänglicher, besser implementiert wäre und weiterentwickelt würde. Noch besser wäre eine Ablösung durch eine (Extensible Markup Language)XML-basierte [30] Schnittstelle, basierend z. B. auf „Health Level 7/Clinical Document Architecture
(HL7/CDA)“ [31], mit der es möglich sein sollte, anhand allgemein verfügbarer XML-Schemas die Daten auf Datentypen, Konsistenz und Plausibilität zu prüfen. Allerdings bräuchte auch
eine neue Schnittstelle entsprechende politische Unterstützung,
etwas, das BDT zu fehlen scheint. Die Initiative zum einheitlichen Arztbrief der Systemhersteller gibt Anlass zur Hoffnung
[32] und bietet Ansatzpunkte für die Zukunft. Abgesehen vom
Transportformat für Behandlungsdaten fehlt ein bundesweit
einsetzbares Pseudonymisierungsverfahren für Patienten und
Ärzte. Unser Ansatz erfüllt seinen Zweck innerhalb unseres Instituts, für das bundesweite Auffinden und Auswerten von Patienten und Behandlungsdaten müsste eine zentrales System
integriert werden, wie z. B. vom TMF e.V. angeboten [33].
Inhalt und Qualität der Daten liegen vor allem in der Hand der
Nutzer, also der Ärzte und Dokumentare. Für die Versorgungsforschung wären mehr klassifizierte Daten hilfreich, dies könnte
eine neue Schnittstelle vermutlich besser transportieren als
BDT.
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