Doppelbilder - Thieme Connect

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9.8 Augensymptome: Doppelbilder
Unilateraler Gesichtsfelddefekt
Tab. 9.18 • Ursachen unilateraler Gesichtsfelddefekte
Verdachtsdiagnose
wegweisende Befunde
Makulaläsion, Papillenveränderungen, Retrobulbärneuritis
Zentralskotom, Fixation mitbetroffen → ophthalmologisches Konsil
Kompression des N. opticus, Retinopathie,
Simulation
isolierter temporaler Halbmond, konzentrische GFEinschränkung → ophthalmologisches Konsil
vordere ischämische Optikusneuropathie, hemiretinaler Arterienverschluss, Glaukom
altudinale Hemianopsie → ophthalmologisches
Konsil
Retinitis pigmentosa (s. S. 483), Glaukom,
Chloroquintherapie
Ringskotom → Anamnese, ophthalmologisches
Konsil
9.8 Augensymptome: Doppelbilder
Spezielle Diagnostik bei Doppelbildern
▶ Basisdiagnostik s. S. 231.
▶ Klinische Einordnung der Doppelbilder:
• Fixation und Folgebewegung in die 9 Kardinalrichtungen → Hinweise auf die Parese/den Ausfall eines bestimmten Augenmuskels:
– Die Doppelbilder weichen stärker auseinander, wenn der Blick in die Funktionsrichtung des gelähmten Muskels bewegt wird. Beispiel: Sind die Doppelbilder beim Blick nach links am stärksten ausgeprägt → Parese des linken
M. rectus lateralis oder des rechten M. rectus medialis.
– Nystagmus in der Hauptaktionsrichtung eines paretischen Muskels → muskelparetischer Nystagmus (kann bei sonst schwer zu beurteilenden Befunden die
Diagnose ermöglichen).
• Besteht eine bestimmte kompensatorische Kopfhaltung?
– Kopf nach rechts oder links gedreht → H.a. Parese M. rectus lateralis (N. abducens, selten N. oculomotorius).
– Kopf gehoben oder gesenkt → H.a. Parese M. rectus superior oder M. rectus inferior (N. oculomotorius).
– Kopf zur Schulter geneigt, Gesicht zur gleichen Schulter gedreht, Kinn gesenkt
(Torticollis ocularis) → H.a. Parese M. obliquus superior (N. trochlearis).
• Bielschowsky-Kopfneige-Test: S. 624.
• Cover-Test: Beide Augen fixieren ein Objekt, dann ein Auge abdecken und gleichzeitig das andere Auge beobachten. Kommt es zu einer Einstellbewegung, so bestand/besteht eine manifeste Schielabweichung (auch bei konkomitierendem
Schielen).
▶ Vorgehen bei Unklarheit, von welchem Auge das Doppelbild generiert wird:
• Zur Doppelbild-Analyse soll der Patient in die Richtung mit maximalem Abstand
der Doppelbilder blicken. Das Bild des betroffenen Auges („falsches Bild“) ist weiter peripher. Erkennbar, wenn Augen einzeln abgedeckt werden (der Patient
muss angeben, ob inneres [„echtes“] oder äußeres [„falsches“] Bild verschwindet). Zur Vereinfachung für den Patienten vor ein Auge farbiges Gläschen halten
und stabförmige Lichtquelle (als Fixationspunkt) verwenden.
• DD paralytisches/konkomitantes Schielen: Paralytisches Schielen ist bedingt durch
Läsion von Augenmuskel(-n), Augenmuskelnerv(-en) oder Läsion im Kerngebiet
der Augenmuskelnerven. Beim konkomitanten Schielen tritt Schielen bei gleichzeitiger Blickbewegung beider Augen auf, während die Beweglichkeit jedes ein-
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Neurologische Leitsyndrome und Leitsymptome
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Doppelbilder konstant in einer Blickrichtung
▶ Einer peripher-nervalen Läsion entsprechende Störung:
• Zur möglichen klinischen Zuordnung s. Tab. 9.19.
• Zu möglichen Ursachen s. Tab. 9.20.
• Befunde bei Paresen der Augenmuskelnerven s. Abb. 9.3.
Tab. 9.19 • Augenmuskelnerven, äußere Augenmuskeln und Befunde bei Doppelbildern/
Paresen (nach Mumenthaler)
Nerv
Muskel
Haupt- funktion
primäre Abweichung
des paretischen Bulbus
Maximum
der Doppelbilder beim
Blick nach
Stellung und
Art der Doppelbilder
N. oculomotorius
M. rectus
medialis
Adduktion
temporal
nasal
nebeneinander, gekreuzt
M. rectus superior
Elevation
(v. a. bei Abduktion)
unten + temporal
oben + temporal
schräg
M. rectus inferior
Senkung
(v. a. bei Abduktion)
oben + temporal
unten + temporal
schräg
M. obliquus
inferior
Elevation
(v. a. bei Adduktion)
unten + nasal
oben + nasal
schräg
N. trochlearis
M. obliquus
superior
Senkung
(v. a. bei Adduktion)
oben + nasal
unten + nasal
schräg
N. abducens
M. rectus lateralis
Abduktion
nasal
temporal
nebeneinander, ungekreuzt
Neurologische Leitsyndrome und Leitsymptome
zelnen Auges normal ist (bei kongenitaler oder früh erworbener Sehschwäche
eines Auges).
• Vertikale Doppelbilder?
– Maximale Doppelbilder bei Adduktion des befallenen Auges → Parese M. obliquus superior oder inferior.
– Maximale Doppelbilder bei Abduktion des befallenen Auges → Parese M. rectus
superior oder inferior.
▶ Spezielle Zusatzdiagnostik:
• Camsilon-(Tensilon-)Test bei unklaren und untypischen Fällen zum Ausschluss
einer okulären Myasthenie (S. 698).
• Kranielles MRT mit Darstellung der Orbita mit Fettsättigung vor/nach KM
(S. 104): Raumforderung? Pseudotumor orbitae etc.?
• Glukosetoleranztest zum Ausschluss einer diabetischen Ursache (S. 51).
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9.8 Augensymptome: Doppelbilder
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9.8 Augensymptome: Doppelbilder
Okulomotoriusparese rechts Trochlearisparese rechts Abduzensparese rechts
Blick nach vorn:
Blick nach vorn:
Blick nach vorn:
Blick nach links:
Blick nach links:
Blick
nach links:
Blick nach rechts:
Blick nach rechts:
Blick
nach rechts:
Blick nach oben:
Blick
nach oben:
Blick nach unten:
Ptosis
Blick nach vorn,
gehaltene Lider:
Bulbusstand
außen unten,
Mydriasis
Bulbusstand
außen oben,
Mydriasis
Blick
nach unten:
Abb. 9.3 • Befunde bei Paresen der Augenmuskelnerven
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Neurologische Leitsyndrome und Leitsymptome
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Verdachtsdiagnose
wegweisende Befunde
I. Läsion der Augenmuskelnerven
kryptogen, kongenital
Ausschlussdiagnose!
Trauma
Anamnese (oft Trochlearisparese bds.), CCT
Aneurysma (S. 352)
langsam zunehmend (manchmal auch plötzlich), v. a. N. III, evtl.
Schmerzen/Hypästhesie V1
Tumor
langsam zunehmend
Karotis-Sinus-cavernosusFistel (S. 351)
(pulsierender) Exophthalmus, gestaute Konjunktival- und Fundusvenen
Hirndruck
v. a. N. abducens und N. oculomotorius; s. S. 627
Tolosa-Hunt-Syndrom
s. S. 305
Raeder-Syndrom
s. S. 300
Infektionen
z. B. Botulismus (s. S. ), Diphtherie, Lues (s. S. 431), Sinusitis
Pharmaka
z. B. INO oder äußere Ophthalmoplegie bei Phenytoinintoxikation
basale Meningitis
Fieber, Meningismus, andere neurologische Ausfälle, Allgemeinsymptome, Liquor
Meningeosis neoplastica
(S. 396)
Anamnese, Liquorzytologie (Tumorzellen)
Sarkoidose (S. 456)
v. a. N. facialis, Anamnese
Guillain-Barré-Syndrom
s. S. 682
Fisher-Syndrom
assoziiert mit Ataxie, Areflexie; Liquor!
Diabetes mellitus
v. a. N. III, N. VI, starke Schmerzen, Pupille frei
Migraine ophthalmoplégique (S. 292)
Anamnese, Parese meist gegen Ende der Kopfschmerzphase
(Latenz bis zu 3 Tagen möglich!); MRT, Angiografie, Liquor
II. Läsion der Augenmuskelkerne. Hinweis: Nahezu immer mit anderen zentralnervösen
Symptomen vergesellschaftet!
Hirnstamminfarkt, Hirnstammblutung
plötzlich, immer andere Hirnstammsymptome → s. S. 335
Hirnstammtumoren
v. a. Metastasen, Gliome
Trauma mit Hirnstammkontusion
Anamnese
Syringobulbie
s. S. 610
Multiple Sklerose
s. S. 461
Neurologische Leitsyndrome und Leitsymptome
Tab. 9.20 • Mögliche Ursachen für Doppelbilder durch Ausfall bestimmter Augenmuskeln
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9.8 Augensymptome: Doppelbilder
▶ Keiner peripher-nervalen Läsion entsprechende Störung → Ursache an Auge + Orbita:
Augenmuskeln, mechanische Prozesse, okuläre Myositis, Orbitatumoren, endokrine
Ophthalmopathie (Hyperthyreose mit ggf. unilateralem Exophthalmus, Tachykar239
9.9 Augensymptome: Supranukleäre Blickparesen
die, Diarrhö, andere Hyperthyreose-Zeichen), mitochondriale Myopathie, okuläre
Muskeldystrophie, Moebius-Syndrom, selten myasthene Syndrome.
Inkonstant auftretende Doppelbilder
▶
▶
▶
▶
Myasthene Syndrome: S. 698 ff.
Brown-Syndrom: S. 625.
Myokymie des M. obliquus superior: S. 625.
Internukleäre Ophthalmoplegie = INO (nur sehr kurz bei rascher Blickwendung auftretende Doppelbilder):
• Klinik:
– Gestörter konjugierter Seitwärtsblick mit Adduktionshemmung des nach nasal
bewegten Auges (= Seite der Läsion!) und dissoziiertem Nystagmus des abduzierten Auges.
– Die Konvergenz ist meist intakt.
• Läsionsort: Fasciculus longitudinalis medialis (MFL) zwischen Abduzens- und
Okulomotoriuskern (ipsilateral zur Adduktionshemmung, s. o.).
• Ursachen: Multiple Sklerose, Hirnstamminfarkt, Blutung, Tumor, Entzündung,
metabolisch, toxisch, Anomalie des kraniozervikalen Übergangs, Syringobulbie.
Abb. 9.4 • Internukleäre Ophthalmoplegie
▶ Eineinhalb-Syndrom:
• Klinik: INO (s. o.) + horizontale Blickparese zur Seite der Läsion (= zur Seite des
Auges mit Adduktionshemmung).
• Läsionsort: Ipsilaterales paramedianes pontines Blickzentrum (PPRF) + ipsilateraler Fasciculus longitudinalis medialis (MLF).
• Ursachen: Hirnstamminfarkt, Multiple Sklerose, Blutung, Tumor, metabolisch,
Anomalie des kraniozervikalen Übergangs, Syringobulbie.
9.9 Augensymptome: Supranukleäre Blickparesen
Konjugierte Blickparese (Deviation conjugée)
▶ Hinweis: Zum Nachweis bzw. zur Differenzierung „supranukleär
■
versus periphere
Parese“ a) Lid passiv heben und b) Kopf in die Gegenrichtung der Parese bewegen
(z. B. senken bei Heberparese), während der Patient einen bestimmten Punkt fixiert
→ Puppenkopfphänomen bei supranukleärer Störung.
▶ Der Patient blickt zur Seite der Läsion (→ horizontale Blicklähmung zur Gegenseite):
• Klinik: Kopf und Blick des Patienten sind in die gleiche Richtung gewendet, meist
begleitet von kontralateraler Hemisymptomatik → Patient „blickt seinen Herd
an“. Im Verlauf langsame Rückbildung möglich: Zunächst Rückstellung bis Mittellinie, später Nystagmus bei Blickwendung zur Gegenseite.
• Ursachen: Hemisphärenläsion; Läsion des präzentralen Blickzentrums in der ipsilateralen Area 6 und 8.
• Differenzialdiagnose: Reizung der kontralateralen Seite, z. B. Adversivanfall.
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