Rechtliches Urteile und Entscheidungen Schmerzensgeld Unterlassene Desinfektion vor Injektion ist ein grober Behandlungsfehler Ein grober Behandlungsfehler ist zweifellos der Super-GAU für jeden Arzt. Rechtlich gesehen handelt es sich dabei um eine nicht angemessene, nicht sorgfältige, nicht fachgerechte oder nicht zeitgerechte Behandlung des Patienten durch einen Arzt. Juristische Konsequenz eines groben Behandlungsfehlers ist die Erleichterung der Beweisführung für den Patienten im Arzthaftungsprozess. Desinfektion vor Injektionen - Rechtsprechung stellt höchste Anforderungen Der Fall Eine Notärztin führte bei einem Patienten in dessen Wohnung eine Quaddelbehandlung im SchulterNacken-Bereich durch. Einige Tage später klagte der Patient über Benommenheit und stark anhaltende Schmerzen. Eine anschließende Krankenhauseinweisung erbrachte nach entsprechenden Untersuchungen die Diagnose einer Blutvergiftung, die bereits zu einer beatmungspflichtigen Störung mit Funktionsversagen von Leber und Niere geführt hatte. Als Auslöser der Blutvergiftung wurde das Bakterium Staphylococcus aureus identifiziert. Es folgte eine langwierige stationäre intensivmedizinische Behandlung mit künstlichem Körperkoma. Die Blutvergiftung führte zu einem Absterben des Bindegewerbes an beiden Unterarmen, sodass eine 10-wöchige stationäre Rehabilitationsbehandlung erforderlich wurde. Der Patient behauptete, dass die Injektionen ohne eine Desinfektion oder Reinigung der Hände der Notärztin und ohne eine Desinfektion der Einstichstellen vorgenommen worden seien. Hierdurch seien die Erreger der Blutvergiftung in den Körper gelangt. Die Notärztin bestritt dies und behauptete, sie habe die Einstichstellen mit einem in Alkohol getränkten Pad abgetupft. Die Notärztin vertrat die Ansicht, dass eine Desinfektion der Hände im Bereitschaftsdienst und jedenfalls beim sogenannten Quaddeln nicht erforderlich sei und verwies auf fehlende Einrichtungen für eine vollständige Desinfektion. Die Entscheidung Das Gericht verurteilte die Notärztin zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 10.000 €. Im Rahmen einer notärztlichen Behandlung im Haus eines Patienten sei eine Desinfektion der Einstichstelle einer Injektion zwingende Voraussetzung und entspreche dem Hygienestandard. Würden wie im Streitfall weder die Einstichstelle noch die Hände des Arztes ausreichend desinfiziert und komme es dadurch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer Sepsis, begründe dies einen groben Behandlungsfehler. Die Desinfektion der Hände sei nach den geltenden Hygienestandards erforderlich. Der Notärztin sei zwar dahingehend zu folgen, dass die apparativen Voraussetzungen für eine vollständige Desinfektion im häuslichen Umfeld regelmäßig nicht gegeben seien und wohl auch nicht vorgelegen hätten. Gleichwohl sei der Anforderung, die eigenen Hände zumindest zu reinigen und den Versuch einer Desinfektion zu unternehmen bzw. sterile Handschuhe zu tragen, zu genügen. Denn gerade beim Quaddeln kämen die Hände des behandelnden Arztes in einen sehr intensiven Kontakt mit den Einstichstellen auf der Haut des Patienten, sodass die Gefahr der Übertragung etwaiger körpereigener Bakterien des Arztes bzw. solcher von ihm „mitgeschleppter“ Bakterien besonders groß sei. (OLG Naumburg, Urteil vom 20.08.2009, Az.: 1 U 86/08). Marburger Bund Bayern Bavariaring 42 80336 München Tel. 089/45 20 50 10 Fax 089/4 52 05 01 10 Internet: www.mb-bayern.de E-Mail: [email protected] Fazit Die Einhaltung der Hygienestandards gehört überall, auch im notärztlichen Einsatz, zu den unverzichtbaren, fundamentalen Anforderungen ärztlichen Handelns. Ihr völliges Unterlassen ist nach der Rechtsprechung schlechterdings nicht nachvollziehbar. Das von der Notärztin geschilderte Verhalten keinerlei Hygienemaßnahme bezüglich der eigenen Hände, kurzes Abtupfen der Einstichstellen mit einem Alkoholpad – stellt einen Fehler dar, der einem Notarzt auf keinen Fall unterlaufen darf. Wichtiger Hinweis Ein Patient, der Arzthaftungsansprüche geltend macht, muss konkret darlegen und beweisen, dass ein Behandlungsfehler vorliegt, der zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen geführt hat. Darüber hinaus muss er die Ursächlichkeit des Behandlungsfehlers für den Gesundheitsschaden nachweisen. Hinsichtlich dieser Kausalität gilt jedoch dann etwas anderes, wenn ein grober Behandlungsfehler oder ein gravierender Aufklärungsfehler festgestellt werden kann. Wird die Eignung des Fehlers für die Herbeiführung der gesundheitlichen Beeinträchtigung bejaht, so findet eine Beweislastumkehr zu Lasten des Arztes statt. Als Folge der Beweislastumkehr muss er nachweisen, dass der eingetretene Gesundheitsschaden "durch eine andere Ursache bedingt ist“. Verbleibende Zweifel gehen voll zu seinen Lasten. Marburger Bund Bayern Bavariaring 42 80336 München Tel. 089/45 20 50 10 Fax 089/4 52 05 01 10 Internet: www.mb-bayern.de E-Mail: [email protected]