Komplexe Funktionen - Universität Hamburg

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Hans Joachim Oberle
Universität Hamburg
Komplexe Funktionen
Vorlesung an der TUHH im Sommersemester 2013
Freitags, 9:45 - 11:15, Audimax II
Literatur.
R. Ansorge, H.J. Oberle, K. Rothe, T. Sonar:
Mathematik für Ingenieure 2.
Wiley-VCH , 2011.
P. Henrici, R. Jelsch: Komplexe Analysis für Ingenieure.
(2 Bände), Birkhäuser Verlag, Basel, 1998.
R. Remmert, G. Schumacher: Funktionentheorie I u. II.
Springer Verlag, Heidelberg, 2002/2007.
H.J. Oberle
Komplexe Funktionen
SoSe 2013
1. Einleitung und Wiederholung
Das mathematische Gebiet, das in dieser Vorlesung behandelt
wird, heißt auch Komplexe Analysis oder Funktionentheorie,
genauer: Theorie der analytischen Funktionen.
Es behandelt die Analysis (Differentiation und Integration)
komplexer Funktionen f : C ⊃ G → C, wobei G ein Gebiet in
der komplexen Ebene ist.
Zur Erinnerung: Ein Gebiet ist eine offene und zusammenhängende Menge.
Eine Menge G ⊂ C heißt offen, wenn mit jedem Punkt z0 ∈ G auch eine
Kreisscheibe Kε (z0 ) := {z : |z − z0 | < ε} zur Menge G gehört.
Sie heißt zusammenhängend, wenn es zu je zwei Punkten z0 , z1 ∈ G stets
eine diese Punkte verbindende C1 –Kurve c : [0, 1] → G in G gibt.
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Historische Anmerkungen.
Die Funktionentheorie wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert entwickelt. Sie hat drei Väter, die ganz unterschiedliche
Zugänge zu der Theorie analytischer Funktionen entwickelt haben.
Augustin Cauchy (1798-1857; Paris): Komplexe Differenzierbarkeit, Integraldarstellung analytischer Funktionen.
Bernhard Riemann (1826-1866; Göttingen):
Geometrische
Eigenschaften so genannter konformer Abbildungen.
Karl Weierstraß (1815-1897; Münster, Braunschweig, Berlin):
Potenzreihendarstellung komplexer Funktionen.
(Eine elegante Darstellung dieses Zugangs findet man in dem
Buch von Henry Cartan: Elementare Theorie analytischer Funktionen, 1961).
2
3
Wiederholung.
(R, +, ∗, ≤) ist ein vollständiger, angeordneter Körper
R2 = {(x, y) : x, y ∈ R} ist reeller Vektorraum mit Operationen
(x1, y1) + (x2, y2) := (x1 + x2, y1 + y2)
λ (x, y) := (λ x, λ y),
λ∈R
(1.1)
Es lässt sich auf R2 auch eine Multiplikation definieren:
(x1, y1) ∗ (x2, y2) := (x1 x2 − y1 y2, x1 y2 + x2 y1),
(1.2)
so dass C := (R2, +, ∗) ein kommutativer Körper wird mit Nullelement 0 := (0, 0) und Einselement 1 := (1, 0).
4
Inverse Elemente:
−z := (−x, −y),
1/z :=
x
y
,
−
x2 + y 2
x2 + y 2
!
(1.3)
Die reellen Zahlen lassen sich als Teilmenge von C interpretieren
vermöge x := (x, 0).
C ist eine Körpererweiterung von R.
Setzt man i := (0, 1), so lässt sich jede komplexe Zahl eindeutig
schreiben in der Form
z = (x, y) = (x, 0) + (0, 1) ∗ (y, 0) = x + i y
Die komplexe Zahl i heißt imaginäre Einheit. Es gilt i2 = −1.
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Real- und Imaginärteil:
Re (z) := x, Im (z) := y
Konjugiert komplexe Zahl:
Betrag, Modul:
| z | :=
q
z := x − i y = Re (z) − i Im (z)
x2 + y 2
Polarkoordinaten: Zu jeder komplexen Zahl z 6= 0 existieren
eindeutig bestimmte Zahlen r > 0 und φ ∈ ] − π, π] mit
z = r (cos φ + i sin φ) =: r ei φ
(1.4)
Es ist r = |z| der Modul und φ =: arg(z) das Argument der
komplexen Zahl z. Es gelten
z1 ∗ z2 = r1 r2 ei (φ1+φ2),
z n = rn ei n φ
arg(z1 ∗ z2) = arg(z1) + arg(z2)
mod (2 π)
6
y
z
r
φ
0
x
z−−
Abb 1.1. Polarkoordinaten und konjugiert komplexe Zahl
7
Lineare Abbildungen.
Eine Abbildung L : C → C heißt R–linear, wenn gelten
(i) L(z1 + z2) = L(z1) + L(z2), ∀ z1, z2 ∈ C,
(ii) L(λ z) = λ L(z), ∀ λ ∈ R, z ∈ C.
(1.5)
Nach Linearer Algebra besitzt jede R–lineare Abbildung L eine
Matrxdarstellung
x
y
L(z) = A
Beispiele:
!
,
A =
a b
c d
!
.
!
A =
λ 0
0 λ
A =
cos φ − sin φ
sin φ
cos φ
(Streckungen),
!
(Drehungen).
8
Definition (1.6)
Eine R-lineare Abbildung L : C → C heißt
C–linear, wenn (1.5) (ii) sogar für alle λ ∈ C gilt.
Hierzu genügt es nachzuweisen, dass L(i) = iL(1) gilt (Übungsaufgabe!). Nun sieht man mit der Matrixdarstellung
L(i) = i L(1) ⇐⇒
⇐⇒
a b
c d
b
d
!
0
1
!
!
= i
a
c
= i
!
=
a b
c d
!
−c
a
!
1
0
!
Damit ist L genau dann eine C-lineare Abbildung, wenn sie durch
eine Matrix folgender Gestalt beschrieben wird
A =
a −c
c
a
!
.
(1.7)
9
Drehungen und Streckungen sind vom Typ (1.7), sie stellen also
C–lineare Abbildungen dar, während Spiegelungen an Ursprungsgeraden (wegen ihrer negativer Determinante) keine C-linearen
Abbildungen sind.
In diesem Zusammenhang ist es naheliegend zu fragen, wann sich
eine C1–Funktion f : C → C in erster Näherung durch eine Clineare Funktion approximieren lässt. Dies bedeutet gerade, dass
die Jacobi-Matrix Jf (x, y) eine C-lineare Abbildung beschreibt,
dass also nach (1.7) mit f = u + i v gilt:
∂v
∂u
∂v
∂u
=
und
= −
.
(1.8)
∂x
∂y
∂y
∂x
Dies sind die so genannten Cauchy – Riemannschen Differentialgleichungen.
10
Konvergenz.
Per Definition gilt für eine komplexe Folge (zn) = (xn + i yn):
lim z = z
n→∞ n
:⇐⇒
⇐⇒
lim | zn − z | = 0
n→∞
lim x = x
n→∞ n
und
lim y = y.
n→∞ n
Satz von Bolzano, Weierstraß:
Jede beschränkte Folge (zn)
besitzt eine konvergente Teilfolge.
Folgerung (1.9)
Der Körper der komplexen Zahlen ist
vollständig, d.h. jede Cauchy-Folge in C ist konvergent.
Der Beweis erfolgt wie im reellen Fall, vgl. (8.2.19).
11
Konvergenzkriterien für Reihen.
Majorantenkriterium, Quotientenkriterium und Wurzelkriterium
gelten analog auch für komplexe Reihen
|ak | ≤ bk ∧
∞
X
bk kvgt. ⇒
∞
X
ak abs. kvgt.
k=0
k=0
∞
a
X
k+1 ak abs. kvgt.
≤ q < 1 ⇒
a k
k=0
∞
q
X
k
|ak | ≤ q < 1 ⇒
ak abs. kvgt.
k=0
Analog gelten auch Umordnungssatz (8.4.11) und Reihenproduktsatz (8.4.13) für komplexe Reihen.
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Potenzreihen.
∞ a (z − z )k mit a , z ∈ C
Jede Potenzreihe f (z) =
0
0
k
k=0 k
besitzt einen Konvergenzradius r ∈ [0, ∞], so dass f (z) für
| z − z0 | < r absolut konvergiert und für | z − z0 | > r divergiert.
P
Gleichmäßige Konvergenz liegt auf jeder (abgeschlossenen)
Kreisscheibe K ρ(z0) := {z : |z − z0| ≤ ρ} mit 0 < ρ < r vor.
Prominente Beispiele (mit r = ∞) sind
• Exponentialfunktion:
exp(z) :=
∞
X
1
k=0
• Sin/Cos:
k!
zk
∞
X
(−1)k
z 2k+1,
sin(z) :=
(2k + 1)!
k=0
cos(z) :=
∞
X
(−1)k
k=0
(2k)!
z 2k .
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Die folgenden Umformungen sind aufgrund der lokal gleichmäßigen Konvergenz der verwendeten Potzenzreihen gerechtfertigt
exp(iy) =
∞
X
1
k=0
k!
(i y)k =
∞
X
1 k k
i y
k!
k=0
∞
X
∞
X
1
1
2k
2k
=
i y
+
i2k+1 y 2k+1
(2k)!
(2k + 1)!
k=0
k=0
∞
∞
X
X
(−1)k
(−1)k 2k
y
+ i
y 2k+1
=
(2k)!
(2k + 1)!
k=0
k=0
= cos(y) + i sin(y)
exp(z)
= exp(x + i y) = exp(x) cos(y) + i sin(y)
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sin(z)
= sin(x + i y) = sin(x) cos(i y) + cos(x) sin(i y)
cos(iy) =
∞
X
(−1)k
k=0
sin(iy)
(2k)!
(i y)2k =
∞
X
1
y 2k = cosh y
(2k)!
k=0
∞
X
∞
X
(−1)k
y 2k+1
2k+1
=
(iy)
= i
(2k + 1)!
(2k + 1)!
k=0
k=0
= i sinh(y)
sin(z)
= sin(x) cosh(y) + i cos(x) sinh(y)
Aufgaben.
• Leiten Sie eine analoge Formel für cos(z) her.
• Bestimmen Sie alle z ∈ C mit sin z = 2.
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