SWR2 MUSIKSTUNDE

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SWR2 MUSIKSTUNDE
Individualisten und Kollektive
Kleine Ensembles “auf eine gantz neue Besondere art”, Folge 4
Freitag, Freitag, 18.05.2012, 9.05 – 10.00 Uhr
Karl Dietrich Gräwe
Wäre es nach dem Willen des Münchner Hornvirtuosen Franz Strauss gegangen,
dann hätte sein Sohn Richard sich auf das Studium Mozarts und Mendelssohns
beschränken dürfen. Heimlich verfiel Sohn Richard zwar dem Bann Richard
Wagners, aber Mozart blieb zeitlebens auch für ihn die höchste Instanz. Als 17jähriger Gymnasiast schrieb Richard Strauss eine Serenade für 13 Bläser, die dem
Dirigenten Hans von Bülow, dem damaligen Leiter der Meininger Hofkapelle, so gut
gefiel, dass er sie in das Reiseprogramm seines Orchesters aufnahm.
Unverkennbare Vorbilder: Die Serenaden Mozarts, allen voran die Gran Partita in Bdur, ebenfalls für 13 Instrumente. Die Serenade hatte Erfolg, und Bülow ermutigte
den jungen Strauss zu einem weiteren Werk dieser Art. Strauss war 20, als er die
Suite in B-dur, wieder für 13 Blasinstrumente, folgen ließ. Bei der Uraufführung, 1884
in München, verdiente er sich gleich die ersten Sporen als Dirigent, auch darin
erfolgreich, denn ein Jahr später war er 2. Kapellmeister der Meininger Hofkapelle.
Richard Strauss, der künftige Inszenator instrumenten- und farbenreicher
Orchesterpanoramen – und am Anfang wie zuletzt am Ende seiner Laufbahn, erweist
er, sicher im Sinne seines Vaters, dem Serenadenstil Mozarts seine Observanz.
Richard Strauss
Suite B-dur für 13 Bläser op. 4
1. Satz: Praeludium (Allegretto)
Niederländisches Bläserensemble
Ltg.: Edo de Waart
Philips 438 733-2, LC 00305
CD I, Track 2
5’54“
Mit 20 Jahren komponierte Richard Strauss eine Suite in B-dur für 13 Bläser. Das
Niederländische Bläserensemble spielte daraus den 1. Satz: Praeludium.
In den ersten Opern Puccinis machte sich bereits ein Grundzug bemerkbar, den man
als „sinfonisch“ bezeichnen könnte. Sein erster anhaltender Opernerfolg, „Manon
Lescaut“, und die letzte Oper Verdis, der „Falstaff“, kamen im Abstand einer Woche
in Mailand heraus. Wachablösung in der Domäne des italienischen Melodramma.
Dem alten Verdi war das Sinfonisch-Verschmelzende der Schreibweise Puccinis
nicht entgangen. Misstrauisch knurrte er: „Oper ist Oper, Sinfonie ist Sinfonie“.
Puccinis allererste Oper, „Le Villi“, war ein allzu kurzlebiger Sensationserfolg
gewesen, der zweite Versuch, „Edgar“, geriet gleich zum Fiasko. Der Verleger Giulio
Ricordi, der eine untrügliche Witterung für Talente und Genies hatte, stärkte ihm mit
Zuspruch und Geld das schwankende Selbstvertrauen und schickte ihn zur
Aufmunterung sogar zu den Bayreuther Festspielen. Der Besuch brachte Puccini
Erfahrungen ein, die ihn in seinen sinfonischen Neigungen bestärkten und sich in
seinen nächsten Werken prompt auswirken sollten. Da war dieser lang gezogene
elegische Zug, der Sog der Vorhaltsspannungen, da waren die Harmoniefolgen, die
trügerisch-verheißungsvollen Sequenzen, die Halbschlüsse, die sich immer ferneren
Bezirken öffnen. Das muss Puccini nicht unbedingt erst bei Wagner gelernt haben,
aber der „Tristan“ in Bayreuth hat sicher eine Ader berührt, die in ihm selber pochte,
2
und Verdi hat den Braten gerochen. Bevor sich Puccini 1893 in Mailand mit „Manon
Lescaut“ als der neue Opern-Souverän Italiens akkreditierte, hatte er seiner Ader
schon öfter freien Lauf gelassen und Orchesterstücke geschrieben. 1890 auch einen
Streichquartettsatz, er gab ihm den Titel „Crisantemi“ – „Chrysantemen“ und dachte
dabei an die Blumen mit den herbstlich und vergänglich lodernden Köpfen. Die
„Crisantemi“ sind ein vierstimmiger instrumentaler Trauergesang, komponiert zu
nächtlicher Zeit unter dem Eindruck des Todes. Amedeo von Savoyen, Herzog von
Aosta, ein Mitglied der königlichen Familie, war gestorben. Aber für einen Puccini
bedeutet ein Streichquartett nicht, dass er die Hohe Schule der „absoluten Musik“
reitet. Wenig später bringt er die „Crisantemi“ als Zitat in einer Oper unter, passender
Weise im todtraurigen 4. Akt der „Manon Lescaut“.
Giacomo Puccini
“Crisantemi” (Andante mesto)
Hagen Quartett
DG 447 069-2, LC 00173
Track 5
8’00”
„Crisantemi“, der Streichquartettsatz des 32-jährigen Giacomo Puccini, gespielt vom
Hagen-Quartett.
Der junge Samuel Barber galt im Jahr 1936 als einer der fortschrittlichen
Konservativen Amerikas, die über die Gabe verfügten, beim Publikum sofort Anklang
zu finden. Bei einem Aufenthalt in Rom schrieb er seine 1. Sinfonie, dazu ein
Streichquartett, eingedenk der Modelle, die die Wiener Klassiker als Erbe
hinterlassen hatten. Das belgische Pro-Arte-Quartett brachte das Opus 11 in Rom
zur Uraufführung. Mit dem Quartett in seiner Gesamtanlage von drei Sätzen war
Barber zuerst nicht ganz glücklich und hat nachgebessert. Ohnehin war es der
Mittelsatz, ein Molto adagio, das nicht nur den beiden andere Sätzen, sondern dem
ganzen Oeuvre Samuel Barbers noch den Rang ablaufen sollte. Und das lag nicht
nur an dem Quartettsatz selbst, sondern an einer Fassung für Streichorchester, die
Barber wenig später folgen ließ. Arturo Toscanini hob dieses „Adagio for Strings“ mit
den Streichern des NBC-Orchesters in einer Radioübertragung aus der Taufe,
machte danach noch eine Schallplattenaufnahme, und wieder war ein Werk auf der
Welt, dessen alles überstrahlende Berühmtheit das übrige Schaffen eines
Komponisten in den Schatten stellt. Als der amerikanische Präsident Franklin D.
Roosevelt starb, war Barbers Adagio die Musik, die bei der Rundfunkübertragung der
Trauerfeierlichkeiten in den Hörern Stürme der Empfindungen auslöste: diese Elegie
in b-moll, die sich über 8 Minuten in langen, geduldigen Fortschreitungen auf einen
Höhepunkt zu bewegt und dann wieder resigniert in sich zurücksinkt. Bei dem Erfolg
der chorischen Streicherfassung hätte man beinahe vergessen, dass diese Musik
aus dem Satz eines Quartetts hervorgegangen war.
Samuel Barber
Streichquartett op. 11
2. Satz: Molto adagio
Tokyo String Quartet
BMG/RCA 09026 613867-2, LC 00316
Track 3
8’01“
3
Das Tokyo String Quartet spielte Barbers berühmtes Adagio in der originalen
Fassung, und so war es zuerst, als Mittelsatz des Streichquartetts op. 11, auch
gedacht.
Humor ist, wenn er zielsicher die Pointe treffen will, eine Sache der Organisation. Der
amerikanische Komponist Charles Ives, ganz sicher mit Humor begabt, rechnete zu
seinen besten Werken ein Stück für Klavier und Streichquartett, das ganze 18 Takte
lang ist und kaum mehr als 2 Minuten dauert. Er nannte es „Hallowe’en“. Hallowe’en:
der Abend vor Allerheiligen, da läuft man in Masken und Kostümen herum, entzündet
Freudenfeuer, das ausgelassene Treiben mutet chaotisch an und sucht doch seine
eigene Ordnung, es ist nicht alles ganz geheuer. Charles Ives organisiert auf engem
Raum seine verschiedenen Klangebenen und Tonarten zu einem wimmelnden,
schwirrenden Kunterbunt, das sich seines Zieles aber sehr wohl bewusst ist: Plötzlich
sind sich die Rhythmen einig, und ehe das Stück vorbei ist, raffen sich die Akkorde in
der unverblümtesten aller Tonarten zusammen, in C-dur. Dann folgen noch ein paar
polternde Schläge – wer weiß, wann der letzte kommt.
Charles Ives
“Halowe’en”
Leipziger Streichquartett
Steffen Schleiermacher, Klavier
MDG 307 1143-2, LC 06768
Track 13
2’14”
Am Schluss wird’s unheimlich, zwar ist ein zuverlässiges C-dur gewonnen, doch man
weiß nicht, was die Schläge bedeuten und wie lange das so weitergeht. Es ist ein
Scherz von der Art, wie Haydn ihn am Schluss seines Streichquartetts Es-dur op. 33
Nr. 2 anstellt. Charles Ives nannte sein Zweiminutenstück „Hallowe’en“ und stellte
den Ausführenden frei, es nach Belieben zu wiederholen, dann aber in immer
schnellerem Tempo. Das Leipziger Streichquartett und Steffen Schleiermacher am
Klavier haben sich in unserer Aufnahme mit einem Durchlauf begnügt.
Das Werk des Künstlers liegt widersprüchlich im Schnittpunkt von öffentlicher
Darstellung und intimem Selbstgespräch, ist sowohl Verlautbarung für Gott und die
Welt als auch innerer Monolog, der keinen draußen was angeht. Dimitri
Schostakowitsch kam 1960 nach Dresden, um zu einem Film über die im Krieg
zerstörte Stadt die Musik zu schreiben. Der Anblick der Verwüstung mag sich mit der
traumatischen Erfahrung „Leningrad“ überlagert haben, dem Leid und Leiden der von
den Deutschen belagerten, ausgezehrten und doch nicht bezwungenen Heimatstadt.
Bevor Schostakowitsch sich auftragsgemäß der Film-Partitur zuwandte, brachte er
seine Erschütterung vorab in einem Streichquartett zum Ausdruck, in seinem
Quartett Nr. 8 in c-moll. Schon diese Vierer-Konstellation konnte ihren Drang zu
expandierender Klangfülle nicht verhehlen. Der Bratschist und Dirigent Rudolf
Barshai hatte dem Komponisten bereits mit seiner Orchestrierung und
Komplettierung von Bachs „Kunst der Fuge“ imponiert. Jetzt durfte er einige der
Streichquartette von Schostakowitsch zu „Kammersinfonien“ umarbeiten, darunter
auch jenes in Dresden entstandene in c-moll. Die Tonfolge D-Es-C-H, die Initialen
des Namens Dimitri Schostakowitsch, zieht ihren roten Faden bindend durch alle 5
Sätze, jenem magischen Siegel B-A-C-H absichtsvoll ähnlich, dessen Abwandlung
es ja auch ist. Barshai in seiner Bearbeitung fächert das Spektrum des reinen
Streicherklangs so komplex und extrem wie möglich auf. Er vertieft das
Bassfundament durch Kontrabässe, lässt einzelne Gruppen in zwei- und dreifacher
4
Teilung spielen, weist der Violine oder dem Cello solistische Rollen zu, verschärft die
Gegenüberstellung von Soli und Tutti. Im 4. Satz, einem Largo, bringt das Solo-Cello
in hoher Lage und in der unerwarteten Tonart Fis-dur ein Zitat aus der Oper „Lady
Macbeth von Mzensk“, eine Kantilene der Hauptfigur Katerina - ein eindringlicher
Lichteffekt im Dämmer des vorherrschenden c-moll.
Dimitri Schostakowitsch
Kammersymphonie op. 110a
4. Satz: Largo
The Chamber Orchestra of Europe
Ltg.: Rdolf Barshai
DG 429 229-2, LC 00173
Track 4
5’31“
Das Streichquartett Nr. 8 c-moll von Dimitri Schostakowitsch, umgewandelt zur
Kammersinfonie für Streicherchor durch Rudolf Barshai. Barshai war in dieser
Aufnahme auch der Dirigent des Chamber Orchestra of Europe, zu hören war der 4.
Satz, Largo.
Eine Zeppelinreise kann musikalische Spuren hinterlassen. Am 14. November 1919
flog das Leipziger Gewandhauquartett im Zeppelin von Berlin nach Friedrichshafen
am Bodensee. Oben in der Luft und der Erdenschwere ein wenig enthoben, kam der
zu seiner Zeit legendäre Gewandhauscellist Julius Klengel auf den Gedanken, einen
„Hymnus“ für einen Chor von 12 Celli zu schreiben. Dieser „Hymnus“ op. 57, gedacht
als Hommage an den Gewandhauskapellmeister Arthur Nikisch, wurde für kurze Zeit
sehr berühmt. Klengel stand mit seiner Idee nicht allein da. Der Katalane Pablo
Casals, auch einer der überlebensgroßen Erzväter der Cellokunst, sollte noch von
einem richtigen Sinfonieorchester träumen, das nur aus Celli bestand. Keine
Absurdität: Der Ton des Cellos ist wie kein anderer der Schwingung der
menschlichen Stimme verwandt, vielleicht auch dem Pulsieren des Herzens. 1956
versammelte sich im Grand Amphithéatre der Sorbonne in Paris ein Ensemble von
110 Cellisten, um den 80. Geburtstag des Großmeisters zu feiern, 1990 im Théatre
des Champs-Elysées waren es dann sogar 133, die Casals ein Gedenkkonzert
widmeten. Kommen wir auf das von Julius Klengel beabsichtigte Originalmaß
zurück. 12 Cellisten des Leipziger Gewandhausorchesters spielen jetzt seinen
Hymnus op. 57.
Julius Klengel
“Hymnus” für 12 Violoncelli op. 57
12 Cellisten des Gewandhausorchesters Leipzig
mdr KULTUR 88033/2, LC –
CD II, Track 11
6’09“
12 Cellisten des Gewandhausorchesters Leipzig spielten den „Hymnus“ op. 57 aus
der Feder eines ihrer Vorgänger, des einstigen Gewandhauscellisten Julius Klengel.
Ohne Klengel hätte es vielleicht nie die 12 Cellisten der Berliner Philharmoniker
gegeben - Mitglieder des Orchesters natürlich, aber auch eine renommierte
Extratruppe für sich, die nur die logistische Meisterleistung zu vollbringen hat, ihre
individuellen Reisepläne mit den übergeordneten philharmonischen Pflichten in
Einklang zu bringen. Im März 1972 fragte ORF Salzburg bei den Berlinern an, ob ihre
Cellogruppe vielleicht für eine Radio-Produktion des Klengelschen „Hymnus“ zur
5
Verfügung stünde. Im Salzburger Mozarteum schlug die Geburtsstunde „der Zwölf“,
und schon auf dem Rückflug stellte man Überlegungen an, wie dem gelungenen
Experiment Dauerhaftigkeit zu verleihen und ein breiteres Repertoire anzulegen
wäre. In mittlerweile 36 Jahren ist dem philharmonischen Dutzend keine
Musiksprache der Welt mehr fremd, und das Repertoire erstreckt sich in feinster
Crossover-Manier von Horizont zu Horizont. Die 12 Cellisten der Berliner
Philharmoniker spielen das Evergreen „Tea for Two“ aus dem Musical „No, no,
Nanette“ von Vincent Youmans.
Vincent Youmans/arr. Michail Tsygutkin
„Tea for Two“
12 Cellisten der Berliner Philharmoniker
EMI 5 57789-2, LC 06646
Track 5
3’11”
6
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