Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht betr

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Kabinettsvorlage des Innenministers vom 25. 4. 1962
NW 30/725 Umdruck
Betr.: Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht betr. die Verfassungsbeschwerde der Freien
Demokratischen Partei, Landesverband Nordrhein-Westfalen, gegen den Bescheid des Westdeutschen
Rundfunks Köln vom 1. 3. 1962 – 2 BvR 158/62 –
Bezug: Punkt 2 der TO der 722. Kabinettssitzung am 3. 4. 1962
Der Westdeutsche Rundfunk Köln hat den politischen Parteien zur Vorbereitung der Landtagswahl
1962 kostenlose Sendezeiten zur Verfügung gestellt. In Übereinstimmung mit der Praxis, wie sie sich bei
den meisten Rundfunkanstalten im Bundesgebiet herausgebildet hat, hat der Intendant des WDR die
Sendezeiten für die im Landtag vertretenen Parteien unterschiedlich nach der Zahl ihrer bei der letzten
Landtagswahl errungenen Mandate festgesetzt; für die nicht im Landtag vertretenen Parteien hat er
Sendezeiten reserviert. Die Freie Demokratische Partei beantragte darauin am 21. 2. 1962 ausdrücklich
die Zuteilung zahl- und zeitgleicher Sendezeiten und bat um förmlichen endgültigen Bescheid. Diesen
Antrag lehnte der Intendant mit Schreiben vom 1. 3. 1962 ab. Der Verwaltungsrat des WDR stimmte
der Entscheidung des Intendanten in seiner Sitzung vom 15. 3. 1962 zu. Die Freie Demokratische Partei,
Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V., hat gegen den Bescheid des Intendanten des WDR vom 1.
3. 1962 Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erhoben. Sie ist der Auassung, daß die
Zuteilung geringerer Sendezeiten an die Beschwerdeführerin im Verhältnis sowohl zur CDU als auch zur
SPD den Art. 3 Abs. 1 und 3 in Verbindung mit Art. 21 Abs. 1 GG verletzt.
2. Das Bundesverfassungsgericht hat der Landesregierung gemäß § 94 BVerfGG Gelegenheit zur
Äußerung gegeben.
3. Der Westdeutsche Rundfunk Köln, gegen dessen Intendanten sich die Verfassungsbeschwerde
richtet, unterliegt der Aufsicht des Landes gemäß § 24 des Gesetzes über den Westdeutschen
Rundfunk Köln vom 25. 5. 1954 (GS. NW. S. 446). Im übrigen ist die zu erwartende Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts nicht nur für die Landtagswahl 1962, sondern für die Zuteilung
von Sendezeiten zu Zwecken der Wahlwerbung schlechthin von grundsätzlicher Bedeutung. Eine
Stellungnahme der Landesregierung erscheint daher geboten. Dagegen kommt ein Beitritt des Landes
zu dem vor dem Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfahren nicht in Betracht: Das Gesetz über das
Bundesverfassungsgericht sieht eine solche Möglichkeit bei Verfahren über eine Verfassungsbeschwerde
nicht vor. Der Interministerielle Ausschuß für Verfassungsfragen hat dem anliegenden Entwurf einer
Stellungnahme zugestimmt. Ich darf demgemäß vorschlagen, folgenden Beschluß zu fassen:
In dem Verfahren betr. die Verfassungsbeschwerde der Freien Demokratischen Partei, Landesverband
Nordrhein-Westfalen, gegen den Bescheid des Westdeutschen Rundfunks Köln vom 1. 3. 1962–2 BvR
158/62 – gibt die Landesregierung die der Kabinettsvorlage des Innenministers vom 25. 4. 1962 beigefügte
Stellungnahme ab.
gez. Duues
Die Landesregierung an den Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts als Vorsitzenden des Zweiten
Senats, Karlsruhe 30. 4. 1962
In dem Verfahren betr. die Verfassungsbeschwerde der Freien Demokratischen Partei, Landesverband
Nordrhein-Westfalen, gegen den Bescheid des Westdeutschen Rundfunks Köln vom 1. 3. 1962–2 BvR
158/62 – nimmt die Landesregierung des Landes Nordrhein-Westfalen wie folgt Stellung:
I. Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet.
1. Die von der Beschwerdeführerin mit Bezug auf die Zuteilung von Sendezeiten an die Freie
Demokratische Partei zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gestellte Frage ist nach Auassung
der Landesregierung bereits durch die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 3. 9. 1957
(BVerfGE 7, 99 [108]) und vom 23. 8. 1961 – 2 BvR 286/61 –) der Sache nach entschieden. Danach können
die den einzelnen Parteien zugeteilten Sendezeiten nach der Bedeutung der Parteien verschieden bemessen
werden, und es kann auch die bisherige Vertretung der Parteien in den Parlamenten berücksichtigt
werden, wenn nur gewährleistet bleibt, daß allen an der Wahl teilnehmenden Parteien eine angemessene
Redezeit zur Verfügung steht. Diese Feststellung des Bundesverfassungsgerichts mag, soweit sie in der
Entscheidung vom 3. 9. 1957 getroen worden ist, möglicherweise als obiter dictum (so Hans-Justus Rinck
in DVBl. 1958 S. 226) gewertet werden können; im Beschluß vom 23. 8. 1961 gehört sie aber jedenfalls
zu den tragenden Gründen der Entscheidung, da sie dort als Grundlage der Prüfung der Frage gedient
hat, ob die Beschwerdeführerin angemessen berücksichtigt worden ist, und da auf dieser Grundlage
die angemessene Berücksichtigung bejaht und die Verfassungsbeschwerde verworfen worden ist. Die
Beschwerdeführerin versucht, die Bedeutung dieser Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts unter
Berufung auf die in den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 21. 2. 1957 (BVerfGE 6, 273
[280]) und vom 24. 6. 1958 (BVerfGE 8, 51 [64f]) entwickelten Grundsätze abzuwerten. Hierzu ist darauf
hinzuweisen, daß das Bundesverfassungsgericht in seiner ersten Entscheidung zur Frage der Sendezeiten
vom 3. 9. 1957 selbst auf den Beschluß des Ersten Senats vom 21. 2. 1957 Bezug genommen und damit in
voller Würdigung der dort entwickelten Grundsätze über die Chancengleichheit der politischen Parteien
die Zulässigkeit einer unterschiedlichen Zuteilung von Sendezeiten nach der Bedeutung der Parteien
bejaht hat.
2. Die Beschwerdeführerin glaubt, gestützt auf ein Rechtsgutachten von Prof. Werner Weber über
„Die Bemessung der Sendezeiten für die Wahlpropaganda der politischen Parteien im Rundfunk“,
die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 3. 9. 1957 und vom 23. 8. 1961 einschränkend
dahingehend interpretieren zu dürfen, daß – entgegen dem dort niedergelegten Grundsatz – „innerhalb
des Kreises der großen, von Anbeginn ständig im Bundestag vertretenen und in Bund oder Ländern
auch an der Regierungsverantwortung beteiligten Parteien, konkret gesprochen im Verhältnis zwischen
CDU/CSU, SPD und FDP“, die Sendezeiten nicht verschieden zugemessen werden düren, das
Bundesverfassungsgericht habe den Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien in solcher Strenge
entwickelt, daß sich eine weitergehende Ausdeutung der Entscheidungsgründe damit nicht vertrüge. Die
Beschwerdeführerin berücksichtigt hierbei indessen nicht die Eigenart der durch die Gewährung von
Sendezeiten erbrachten Leistung der öentlichen Gewalt, die im Gutachten Weber an anderer Stelle (s.
S. 16) im Prinzip zutreend gewürdigt ist. Auf der Grundlage dieser Fehlbeurteilung des angefochtenen
Verwaltungsaktes gerät die Beschwerdeführerin alsdann in die Zwangslage, die Entscheidungen des
Bundesverfassungsgerichts vom 3. 9. 1957 und vom 23. 8. 1961 gegen die Entscheidungen des Gerichts
vom 21. 2. 1957 und vom 24. 6. 1958 durch einschränkende Interpretation verteidigen und andere
Bewertungsmaßstäbe aufstellen zu müssen, die sachlich nicht gerechtfertigt sind. Die Landesregierung
des Landes Nordrhein-Westfalen ist demgegenüber der Auassung, daß sich die in den Entscheidungen
vom 3. 9. 1957 und vom 23. 8. 1961 als zulässig erkannte Dierenzierung zwanglos an die vom
Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsätze zur Chancengleichheit der Parteien anfügt, wenn
nur die Eigenart der durch die Gewährung von Sendezeiten erbrachten Leistung der öentlichen Gewalt
sachgerecht und wirklichkeitsbezogen berücksichtigt wird.
a) Der Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien bedarf, angesichts der gradlinigen und
kontinuierlichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. nur BVerfGE 1, 208 [255]: 3, 9
[26]: 3, 383 [393]: 4,375 [382]: 6,273 [280]: 8,51 [64]) als solcher keiner Begründung. Er bedarf jedoch
der klärenden Bezugsetzung zu den verschiedenartigen Sachverhalten, anhand deren er entwickelt
worden ist und für die er gilt oder zur Geltung kommen kann. Es wird dann deutlich, daß das zur
Erhaltung der Chancengleichheit der Parteien Erforderliche nicht ein für allemal im Sinne einer absolut
formalen Gleichbehandlung aller Parteien feststeht, sondern sich nach der Eigenart des Tätigwerdens der
öentlichen Gewalt im Einzelfall bestimmt.
aa) Der Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien ist vom Bundesverfassungsgericht zunächst zu
Fragen der Zulässigkeit von beschränkenden Maßnahmen des Gesetzgebers im förmlichen Wahlverfahren
entwickelt worden. Das Bundesverfassungsgericht hat hier auf die formalisierte Wahlrechtsgleichheit
abgestellt, nach der Dierenzierungen im Sinne von Belastungen oder Beschränkungen einzelner
Parteien einer „besonderen Rechtfertigung“ bedürfen und nur zulässig sind, wenn und soweit sie
aus verfassungsrechtlich relevanten übergeordneten Gründen zwingend geboten sind (Sperrklausel,
Unterschrienquorum, Teilnahme von Wählergruppen und Listenprivileg bei Kommunalwahlen).
bb) Der Grundsatz der Chancengleichheit ist dann als auch für Maßnahmen des Gesetzgebers außerhalb
des förmlichen Wahlverfahrens verbindlich anerkannt worden, und zwar zur Frage der Zulässigkeit
von Dierenzierungen bei der steuerlichen Begünstigung von Spenden für Parteien (BVerfGE 6,
273). Hier ging es nicht mehr um die Dierenzierung bei Belastungen oder Beschränkungen, sondern
um eine Dierenzierung bei steuerlichen Förderungsmaßnahmen des Gesetzgebers zu Gunsten der
Parteien. Das Bundesverfassungsgericht hat hier, für Maßnahmen des Gesetzgebers außerhalb des
förmlichen Wahlverfahrens, den Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien herausgearbeitet und
für Recht erkannt, daß auch in diesem Bereich besondere, aus der Verfassungsstruktur sich ergebende
verfassungsrechtliche Gründe erforderlich sind, um eine Dierenzierung zwischen den Parteien zu
rechtfertigen. Zu einem vergleichbaren Sachverhalt ist in der Folge ausgesprochen worden, daß solche
Dierenzierungen auch dann unzulässig sind, wenn das Gesetz zwar in seinem Wortlaut eine ungleiche
Behandlung vermeidet, aus seiner praktischen Auswirkung sich aber eine oenbare Ungleichheit ergibt,
und diese ungleiche Auswirkung gerade auf die rechtliche Gestaltung zurückzuführen ist (BVerfGE 8, 51
[64f]).
cc) Ein weiterer Fall für die Anwendung des Grundsatzes der Chancengleichheit ergab sich bei der – auch
in diesem Verfahren wieder implizierten – Frage der unterschiedlichen Zuteilung von Sendezeiten an
Parteien durch die Rundfunkanstalten. Auch hier ging es nicht um die Dierenzierung bei Belastungen
oder Beschränkungen einzelner Parteien durch Maßnahmen der öentlichen Gewalt, sondern um die
Dierenzierung bei Maßnahmen der „gewährenden Verwaltung“ zu Gunsten der Parteien (BVerfGE
7, 99, bestätigt durch Beschluß vom 23. 8. 1961–2 BvR 286/61 –). Das Bundesverfassungsgericht hat den
Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien als verbindlich herausgestellt, jedoch ausgesprochen, daß
dieser Grundsatz nicht erfordere, alle Parteien in gleichem Umfange zu Wort kommen zu lassen. Die
Besonderheit des Sachverhalts lag hier darin, daß die Rundfunkanstalt – anders als der Gesetzgeber bei
der Gewährung von Steuervergünstigungen, mit der nur eine Förderungsmöglichkeit geschaen wurde –
durch Gewährung von Sendezeiten selbst unmittelbar fördernd gegenüber einzelnen Parteien tätig wurde.
b) Diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zeigt, nach Auassung der Landesregierung
des Landes Nordrhein-Westfalen mit Deutlichkeit, daß – was die Beschwerdeführerin verkennt –
zunächst zwei Gruppen von Maßnahmen der öentlichen Gewalt unterschieden werden müssen:
Maßnahmen der öentlichen Gewalt, die Belastungen oder Beschränkungen einzelner Parteien im
förmlichen Wahlverfahren bewirken, und Maßnahmen zur Förderung der Parteien außerhalb des
förmlichen Wahlverfahrens, die sich auf die einzelnen Parteien verschieden auswirken. In der letzteren
Gruppe ist schließlich zu unterscheiden zwischen Förderungsmaßnahmen, mit denen nur eine von den
Parteien und ihren Anhängern selbst – im freien Spiel der Kräe – wahrzunehmende Möglichkeit einer
Drittleistung zu Gunsten der einzelnen Parteien erönet wird, und solchen, mit denen der Staat selbst
unmittelbar fördernd durch Eigenleistung eingrei. In den Fällen von Belastungen und Beschränkungen
gilt die formale Wahlrechtsgleichheit, mit der Folge, daß Dierenzierungen nur zulässig sind, wenn
und soweit sie aus verfassungsrechtlich relevanten Gründen zwingend geboten sind. In den Fällen der
Förderung von Parteien gilt die Chancengleichheit der Parteien dagegen mit der Maßgabe, daß im Falle
einer unmittelbaren Eigenleistung der öentlichen Gewalt jeder Partei ein nach der Natur der Sache sich
ergebender Mindestanteil einzuräumen ist, im übrigen aber nach der Bedeutung der Parteien dierenziert
werden darf.
3. Die von der Beschwerdeführerin geforderte Zuteilung gleicher Sendezeiten und insoweit die
Gleichstellung mit den beiden großen Parteien – CDU und SPD – ist hiernach nicht geboten. Dabei
kann dahingestellt bleiben, ob nicht eine solche Gleichstellung überhaupt zulässig wäre. Der Grundsatz
der Chancengleichheit der Parteien bedeutet: Gleiche „Startbedingungen“ der einzelnen Parteien
gemäß ihren eigenen Kräen. Das heißt, daß die öentliche Gewalt sich im Prinzip jeder Einwirkung
auf das vorhandene Kräeverhältnis der Parteien zu enthalten hat; sie hat sich grundsätzlich neutral
zu verhalten. Ergibt sich aus übergeordneten Gesichtspunkten die Notwendigkeit einer Einußnahme
im Wege von Belastungen oder Beschränkungen, so ist die öentliche Gewalt an die Voraussetzung
des „zwingenden Grundes“ gebunden. Glaubt die öentliche Gewalt, die Arbeit der Parteien als der
maßgeblichen Träger der politischen Willensbildung des Volkes (Art. 21 Abs. 1 GG) fördern zu sollen
oder zu müssen, so ist sie verfassungsrechtlich gehalten, das gegebene Kräeverhältnis der vorhandenen
Parteien zu respektieren. Die öentliche Gewalt darf – und soll – das Gesamtniveau der Parteien fördern,
die Wirkungsmöglichkeiten der Parteien in deren Gesamtheit steigern; sie darf aber nicht in einer
Weise fördern, die das vorhandene Kräeverhältnis verändert; sie muß ihre Förderungsmaßnahmen
für das Parteiwesen so einrichten, daß trotz staatlichem Eingri die kra eigener Arbeit der einzelnen
Parteien begründete Gewichtsverteilung im parteipolitischen Kräeverhältnis optimal erhalten bleibt.
Daraus folgt, daß parteifördernde Maßnahmen des Gesetzgebers oder der gewährenden Verwaltung, die
nach dem Gesichtspunkt orientiert sind, das Ausgangskräeverhältnis der Parteien bei der konkreten
Förderungsmaßnahme zu respektieren, nicht verfassungswidrig sein können.
Beispiele:
(1) Die öentliche Hand ist nicht verpichtet, die Arbeit der Parteien nanziell zu unterstützen. Soweit sie
dies aber – aus freier Entschließung – tut (die Zulässigkeit solchen Tuns ist in BVerfGE 8,51 klar bejaht),
ist sie berechtigt, die nanzielle Förderung der Parteien so zu staeln, daß keine Partei ein unangemessenes
Gewicht erhält.
(2) Die Kommunen sind nicht verpichtet, den Parteien zur Wahlwerbung Plakatächen zur Verfügung
zu stellen. Soweit sie dies aber – im Interesse der Vermeidung des sog. wilden Plakatierens und der damit
verbundenen Verunstaltung des Stadtbildes – tun, sind sie gehalten, durch Zuteilung von Plakatächen
nicht das vorhandene Kräeverhältnis der Parteien zu beeinussen.
Die öentliche Gewalt – ganz gleich in welcher Form sie auritt – ist also, wie die Landesregierung des
Landes Nordrhein-Westfalen meint, nicht gehindert, Förderungsmaßnahmen zu Gunsten der Parteien
nach dem vorhandenen – meßbaren – Kräeverhältnis zu staeln.
4. Die im angefochtenen Bescheid des Westdeutschen Rundfunks getroene Dierenzierung ist hiernach
zulässig, wenn nicht sogar geboten. Die Zuteilung von Sendezeiten bedeutet nicht nur – und nicht
einmal in erster Linie – eine Chance der Parteien, sich zur Kenntnis und Wirkung zu bringen; sie ist
vielmehr, wie die Beschwerdeführerin selbst zutreend vorträgt (Gutachten Weber S. 16), für sich allein
eine Manifestation der Bedeutung einer politischen Gruppierung. Die wahlberechtigte Bevölkerung
mißt der Tatsache, daß und wie o und in welchem Umfang eine Partei im Rundfunk oder Fernsehen
zur Sprache und „ins Bild“ kommt, eine selbständige Bedeutung zu, und zwar ohne Rücksicht darauf, in
welchem Maße es der einzelnen Partei gelingt, den Hörfunk- oder Fernsehteilnehmer „anzusprechen“.
Es ist unbestreitbar, daß die Tatsache des Vorhandenseins, des Daseins, in Hörfunk und Fernsehen für
sich allein eine maßgebliche Werbewirkung auslöst, die vom Inhalt der Sendung unabhängig ist und
der Werbewirkung der Sendung selbst zumindest gleichkommt (vgl. hierzu Gutachten Weber S. 16).
Insofern bedeutet die Einräumung von Sendezeiten – für sich allein – eine Förderungsmaßnahme, die
der nanziellen Förderung oder etwa der Förderung durch Zurverfügungstellung von Plakatächen voll
vergleichbar ist.
5. Die Landesregierung des Landes Nordrhein-Westfalen ist hiernach der Auassung, daß der
Westdeutsche Rundfunk berechtigt, wenn nicht sogar verpichtet war, im angefochtenen Bescheid das
Maß der Sendezeiten zwischen CDU, SPD und FDP unterschiedlich festzulegen. Das ist im Verhältnis
zwischen CDU und SPD nicht so sehr augenfällig. Der FDP aber, die seit 1958 mit elf von insgesamt 200
Abgeordneten im Landesparlament vertreten ist, bei der Bundestagswahl 1961 11,7 % der Stimmen und
bei den Kommunalwahlen 1961 in den Kreisen 10,2% der Stimmen erreicht hat, hätte der WDR durch
Zuteilung von gleichen Sendezeiten ein politisches Gewicht attestiert, das diese Partei aus eigener Kra im
Lande Nordrhein-Westfalen bisher nicht erreicht hat.
6. Soweit danach bei der Zuteilung von Sendezeiten eine Dierenzierung zwischen den einzelnen Parteien
verfassungsrechtlich zulässig ist, stellt sich die Frage, nach welchen Maßstäben diese Dierenzierung zu
orientieren ist.
a) Es bedarf dabei aus Anlaß der vorliegenden Verfassungsbeschwerde keiner Auseinandersetzung
mit der Frage nach der Abgrenzung des Kreises der für eine Zuteilung von Sendezeiten überhaupt
in Betracht kommenden Parteien. Die Landtagswahl wird, wie die Bundestagswahl, nach einem aus
Mehrheits- und Verhältniswahlelementen kombinierten Wahlsystem durchgeführt, das im Ergebnis
auf eine reine Verhältniswahl mit vorgeschalteter Mehrheitswahl in den Wahlkreisen hinausläu.
Mit Rücksicht auf diese Vergleichbarkeit der Verhältnisse bei Bundestags- und Landtagswahlen ist
die Landesregierung der Auassung, daß auch bei der Zuteilung von Sendezeiten für Zwecke der
Wahlwerbung im Zusammenhang mit der Landtagswahl die vom Bundesverfassungsgericht in seinen
Entscheidungen vom 3. 9. 1957 – (BVerfGE 7,99 [108]) und vom 23. 8. 1961 – 2 BvR 286/61 – aus Anlaß
von Bundestagswahlen entwickelten Grundsätze zu gelten haben. Danach sind im allgemeinen nur solche
Parteien bei der Zuteilung von Sendezeiten zu berücksichtigen, für die Landeslisten im Sendebereich der
Rundfunkanstalt zugelassen sind.
b) Die Beschwerdeführerin verlangt, auch insoweit gestützt auf das Gutachten von Weber (S. 18), eine
Gleichstellung der im Landtag vertretenen „großen Parteien“ einerseits bei gleichzeitiger Dierenzierung
zu allen anderen Parteien.
aa) Die Landesregierung ist mit der Beschwerdeführerin der Auassung, daß das Vertretensein im
Landtag als zulässiger Maßstab für die Teilnahme oder Nichtteilnahme an Förderungsmaßnahmen gelten
kann. Dagegen erscheint zweifelha, ob die Gleichbehandlung aller im Landtag vertretenen Parteien
immer in vollem Umfang dem Grundsatz der Chancengleichheit entspricht. Das mag noch der Fall sein,
wenn die Parteien im Landtag nahezu gleich stark vertreten sind. Es ist aber auch denkbar, daß die Zahl
der Mandate sehr stark voneinander abweicht, etwa wenn einzelne Parteien nur mit einem oder wenigen
Abgeordneten vertreten sind. Es taucht dann die Frage auf, ob eine Gleichbehandlung der im Landtag
vertretenen Parteien überhaupt zulässig ist. Diese Frage kann hier indes auf sich beruhen. Es genügt die
Feststellung, daß eine Gleichbehandlung der im Landtag vertretenen Parteien jedenfalls nicht geboten ist,
wenn der Umfang der Vertretung der einzelnen Parteien im Landtag stark dieriert.
bb) Soweit die Beschwerdeführerin im übrigen glaubt, zulässige Dierenzierungsmerkmale aus
einer angeblichen Parallele zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts über die Zulässigkeit
eines qualizierten Unterschrienquorums herleiten zu können, geht sie fehl. Zunächst sei in
diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß es sich bei den im nordrhein-westfälischen
Landtag nicht vertretenen, aber an der Landtagswahl teilnehmenden politischen Parteien nicht
nur um solche handelt, die „bisher noch keinen demokratischen Vertrauensbeweis“ aufzuweisen
haben. Es sind darunter vielmehr, wie z. B. die Gesamtdeutsche Partei, politische Parteien, die in
anderen Länderparlamenten vertreten sind und an der Regierungsverantwortung im Bund und in
anderen Ländern teilgenommen haben oder noch teilnehmen. Die Beschwerdeführerin läßt außer
Betracht, daß – wie vorstehend unter a) bereits erwähnt – für eine Zuteilung von Sendezeiten für
die Wahlpropaganda nur solche Parteien in Betracht kommen, deren Wahlvorschläge zugelassen
worden sind. Bei der Zulassung von Wahlvorschlägen wird aber bereits durch die Einführung eines
qualizierten Unterschrienquorums dafür Sorge getragen, daß nur echte politische Parteien und
keine Zufallsbildungen von kurzer Lebensdauer sich um die Stimmen der Wähler bewerben; dadurch
soll die Gefahr der Stimmenzersplitterung möglichst eingedämmt werden. Dieser Zweck ist nach
der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sogar der einzige ein Unterschrienquorum
rechtfertigende Gesichtspunkt (vgl. BVerfGE 3, 19). Ist danach aber das Wahlzulassungsverfahren bereits
so ausgestaltet, daß einer unerwünschten Stimmenzersplitterung in dem verfassungsrechtlich überhaupt
zulässigen Ausmaß entgegengewirkt wird, und können danach nur solche Wahlvorschläge zugelassen
werden, hinter denen echte politische Parteien und nicht nur Zufallsgruppierungen stehen, so erscheint es
nicht zulässig, bei der Zuteilung von Sendezeiten an politische Parteien, deren Wahlvorschläge zugelassen
sind, abermals auf den Gesichtspunkt der Verhütung einer unerwünschten Stimmenzersplitterung
zurückzugreifen, wie es Weber (Gutachten S. 16) versucht. Dieser Gesichtspunkt ist vielmehr durch die
Ausgestaltung des Wahlzulassungsverfahrens bereits „verbraucht“.
cc) Die Beschwerdeführerin glaubt weiter, eine sachlich gerechtfertigte Unterscheidung zwischen den
politischen Parteien auch danach treen zu können, ob diese auch an der Regierungsverantwortung
beteiligt sind. Eine derartige Unterscheidung ist nach Ansicht der Landesregierung für die Zuteilung
von Sendezeiten im Wahlkampf kein sachlich gerechtfertigtes Dierenzierungsmerkmal. Es ist vielmehr
aus Gründen der Chancengleichheit geboten, einer politischen Partei auch dann den ihr nach anderen –
zulässigen – Dierenzierungsmerkmalen zu gewährenden Anteil an den Sendezeiten zuzusprechen, wenn
sie in allen parlamentarischen Gremien in Opposition steht.
dd) Die Beschwerdeführerin will den Grundsatz der formalen Wahlgleichheit nur auf solche
Förderungsmaßnahmen angewandt wissen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit einer
Neuwahl stehen. Dagegen ist sie der Auassung, daß Förderungsmaßnahmen zwischen den Wahlen
(die Ermöglichung der laufenden Kontaktpege durch Rundfunksendungen, die Ausschüttung
von Haushaltsmitteln an die Parteien für deren politische Arbeit) weniger strengen Maßstäben
unterliegen. Insoweit hält die Beschwerdeführerin eine Dierenzierung nach den prozentualen
Anteilen an den Mandaten im Bundestag oder in den Landtagen für zulässig. Auch einen solchen
Dierenzierungsmaßstab hält die Landesregierung nicht für sachgerecht. Die Chancengleichheit der
politischen Parteien ist unteilbar. Die politische Wirklichkeit verlangt, daß Förderungsmaßnahmen,
die eine politische Partei im Laufe einer Wahlperiode erfährt, auch im Hinblick auf die für Neuwahlen
unerläßlichen Ausgangspositionen zu werten sind und daher mit diesen Neuwahlen in untrennbarem
Zusammenhang stehen. Deshalb kann für eine Förderung der politischen Parteien zwischen den Wahlen
nichts anderes gelten als bei den Neuwahlen selbst.
c) Eine Dierenzierung zwischen den einzelnen Parteien nach ihrer Mitgliederzahl kommt nach
Auassung der Landesregierung ebenfalls nicht in Betracht. Angesichts der unbestreitbaren
Strukturunterschiede der politischen Parteien (Mitgliederparteien/Wählerparteien) gibt die
Mitgliederzahl die Gewichtsverteilung der Parteien im parteipolitischen Kräeverhältnis, die bei der
Zuteilung von Sendezeiten zu respektieren ist, nicht zutreend wieder. Eine Dierenzierung nach der
Mitgliederzahl würde daher möglicherweise zumindest mittelbar dem Grundsatz der Chancengleichheit
widerstreiten, wie das vergleichbar in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. 6. 1958
(BVerfGE 8,51) ausgesprochen worden ist.
d) Als brauchbare Maßstäbe für eine Dierenzierung kommen jedoch der Erfolg bei den letzten Wahlen
insgesamt (Bundestags-, Landtags-, Kommunalwahlen), die Stimmenzahl bei der letzten Landtagswahl
und die auf Grund der letzten Landtagswahl errungenen Mandate in Betracht. Diesen Maßstäben ist
gemeinsam, daß sie einen einigermaßen zuverlässigen Rückschluß auf das Stärkeverhältnis der Parteien
zulassen. Die Landesregierung glaubt daher, daß jeder dieser Maßstäbe für die Dierenzierung bei
der Zuteilung von Sendezeiten an politische Parteien herangezogen werden könnte. Jedenfalls hat der
Intendant des Westdeutschen Rundfunks Köln den Rahmen des vertretbaren Ermessens aber nicht
dadurch überschritten, daß er bei der Zuteilung von Sendezeiten zur Landtagswahl nach den von den
Parteien auf Grund der letzten Landtagswahl errungenen Mandaten dierenziert hat. Bei der Förderung
der Wahlwerbung der Parteien durch die Zurverfügungstellung von Sendezeiten für die Landtagswahl
1962 konnte mit Recht auf das Ergebnis der hiermit am ehesten vergleichbaren Landtagswahl 1958
abgestellt werden. Sachgerecht war es auch, wenn sich der Intendant bei der Entscheidung der Frage, ob
auf die Stimmenzahl oder auf die Zahl der errungenen Mandate abzustellen sein, für eine Dierenzierung
nach der Zahl der errungenen Mandate, d. h. also nach dem Endergebnis der Wahl, entschied; denn das
Landeswahlrecht läßt eine grundsätzliche Minderbewertung derjenigen Stimmen zu, die für eine Partei
abgegeben worden sind, die weniger als 5 % der Gesamtstimmenzahl erhalten hat.
II.
Die Landesregierung hat gemäß § 7 des Landeswahlgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 27.
2. 1962 (GV. NW. S. 97) den Wahltag für die Landtagswahl 1962 auf Sonntag, den 8. 7. 1962, festgesetzt.
Hieraus folgt, daß die Wahlvorschläge spätestens bis zum 12. 6. 1962 eingereicht werden müssen (§ 19 Abs.
1, § 20 Abs. 2 LwahlG in Verbindung mit § 193 BGB) und daß spätestens am 16. 6. 1962 über die Zulassung
der Wahlvorschläge zu entscheiden ist (§ 21 Abs. 3 LWahlG). Die Zuteilung der Sendezeiten durch den
Westdeutschen Rundfunk Köln ist oensichtlich an diesem Termin orientiert. Die Landesregierung des
Landes Nordrhein-Westfalen bittet daher zu erwägen, inwieweit diese Terminzusammenhänge bei der
Disposition des Bundesverfassungsgerichts berücksichtigt werden können.
gez. Dr. Sträter
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