Im Osterstau ist Zeit nicht Geld

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Im Osterstau ist Zeit nicht Geld
Weshalb wir lieber warten als Marktpreise zu akzeptieren
Monika Bütler
NZZ am Sonntag, 24. April 2011
Über Ostern in den Süden – ein teurer Spass. Die Strassen sind verstopft, die
Züge überfüllt und lärmig. Flugtickets kosten ein Vielfaches des normalen
Tarifs (sofern es überhaupt noch freie Plätze gibt). Auch wer zeitlich ausweicht,
"zahlt": Verlorene Ferientage, zusätzliche Hotelnächte oder protestierende
Familienmitglieder machen den Vorteil der Feiertage oft wieder zunichte.
Der Preis als Steuerungsgrösse für die knappen Transportkapazitäten ist eher
die Ausnahme als die Regel. Einigermassen akzeptierte Marktwirtschaft
herrscht eigentlich nur im Flugzeug. Sonst zahlen die Benutzer lieber in
"Sachwerten": In Form von eingeschränktem Komfort, langen Wartezeiten,
blanken Nerven. Die Abneigung gegen eine Lenkung der Nachfrage durch Preise
ist von links bis rechts riesig. Road-Pricing, nach Zeit und Strecke abgestufte
Tarife in Öffentlichen Verkehrsmitteln oder Marktmieten gelten abwechselnd,
meist sogar gleichzeitig, als ungerecht, unsozial, oder wirtschaftsfeindlich.
Transport ist also kein Sonderfall. So manches Gut scheint uns zu heikel für
den Markt: Schulbildung, Organspenden, der Platz im Zivilschutzraum – und
die österliche Fahrt durch den Gotthardtunnel. Tatsächlich gibt es Ausnahmen,
bei denen die Zuteilung über den Marktpreis nicht immer zur gewünschten
Verteilung führt. Beispiele sind lebensnotwendige Güter wie Lebensmittel zu
Krisenzeiten. Doch Preiskontrollen alleine führen nicht weiter. Es braucht
gleichzeitig eine Rationierung der Mengen, damit wirklich alle davon profitieren
können. Konsequenterweise müsste im Wohnungsmarkt nicht nur der Preis,
sondern auch die zugeteilte Menge reguliert werden: Nicht mehr als 25
Quadratmeter pro Person.
Den Wunsch nach einer bezahlbaren Wohnung im Zürcher Seefeld oder den
Ostersonntag am Lago Maggiore kann ich durchaus verstehen. Doch hat die
Zuteilung ohne Preismechanismus ihre Schattenseiten. Ist es wirklich so viel
besser, Dutzende von Bewerbungsdossiers für Mietwohnungen zu schreiben –
und am Ende doch ohne Wohnung dazustehen, weil der Familienname auf -ic
endet? Man muss schon ziemlich naiv sein, um zu glauben, dass alle die
gleichen Chancen haben. Nicht die Bedürftigen kommen in den Genuss der
tiefen Preise, sondern die Schlauen oder die Vernetzten. Wo der Handel
verboten wird, blüht der Schwarzhandel. So werden viele günstige Wohnungen
zu einem höheren Preis untervermietet – unter der Hand aber nicht unbedingt
fair oder bedürfnisgerecht.
Richtig teuer wird der Verzicht auf den Preismechanismus langfristig. Künstlich
verbilligte Tarife – zum Beispiel für die Bahnfahrt in den Stosszeiten zwischen
Zürich nach Bern – gehen auf Kosten der Mittel zum Ausbau der Kapazitäten.
Gleichzeitig fördern sie die Verschwendung. So ist die Wohnfläche pro
Einwohner heute 50% höher als noch vor 30 Jahren. Schliesslich bedeutet der
Verzicht auf Preise als Mittel der Zuteilung auch stets eine unsichtbare Hand
im Hintergrund: Eine menschliche Hand, die entscheidet - nicht immer
transparent -, wem was zusteht.
Erstaunlich ist, wie populär die im Einzelfall nervigen und besonders in der
langen Frist ineffizienten Mechanismen trotz allem sind. Schon fast paradox
wird es beim Verkehr. Die vielen Staus und Überlastungen sind ungerecht und
wirtschaftsfeindlich, soweit sind alle einig. Doch das Warten im Stau scheint
uns weniger unsympathisch als differenzierte Preise. Weder das auf der linken
Seite beliebtere Road-Pricing, noch die von rechts portierte VIP-Spur auf der
Autobahn haben die geringste Chance. Der Verkehrsstau gehört sozusagen
zum nationalen Kulturerbe.
Mein Vater würde die Osterstaus allerdings vermissen. Den Stress einer Reise
zu Stosszeiten nähme er zwar nie freiwillig auf sich. Doch an Feiertagen
schaltet er jeweils das Radio an mit den Verkehrsmeldungen. Und geniesst es
leise, seine Ruhe zu haben.
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