Jugendliche mit bikulturellem Hintergrund Cheryl Feldmann

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JUGENDLICHE MIT BIKULTURELLEM
HINTERGRUND IM PROZESS IHRER
IDENTITÄTSENTWICKLUNG
HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN FÜR DIE
INTERKULTURELLE SOZIALE ARBEIT
Diplomarbeit für die Staatliche Abschlussprüfung
im Fachbereich Sozialwesen, Studiengang Soziale Arbeit,
an der Katholischen Fachhochschule NRW, Abteilung Köln
vorgelegt von:
Cheryl Feldmann
Matr.Nr.: 211252
am 13. März 2006
Erstkorrektor:
Prof. Dr. Josef Freise
Zweitkorrektor:
Dipl. Sozialpädagoge Mustafa Bayram
1
Inhaltsverzeichnis
Einleitung _________________________________________ 4
1. Grundlegende Aspekte von Kultur ___________________ 7
1.1 Begriffsbestimmung _____________________________________ 7
1.2 Multikulturelle Gesellschaft ______________________________ 13
1.3 Migrantengruppen______________________________________ 18
1.4 Bikulturalität __________________________________________ 21
1.5 Interkulturelle Zwischenwelten ___________________________ 23
1.6 Resümee Kultur _______________________________________ 27
2. Identität / Identitätsentwicklung ____________________ 28
2.1 Begriff „Identität“ ______________________________________ 28
2.2 Modelle der Identitätsentwicklung _________________________ 29
2.2.1 Erikson ________________________________________________ 29
2.2.2 Marcia ________________________________________________ 31
2.2.3 James, Mead und Athens: Symbolischer Interaktionismus ________ 34
2.2.4 Ahbe: Das bordieusche Kapitalkonzept _______________________ 35
2.2.5 Keupp _________________________________________________ 39
2.3 Kulturelle Identität _____________________________________ 44
2.4 Resümee Identität ______________________________________ 45
3. Situation bikultureller Jugendlicher_________________ 47
3.1 Jugendliche und ihre Sozialisation _________________________ 47
3.2 Gesellschaftliche Rahmenbedingungen _____________________ 51
3.2.1 Rahmenbedingungen des Aufwachsens_______________________ 51
2
3.2.2 Soziale und gesellschaftliche Partizipation als Bedingung des
Aufwachsens ___________________________________________ 56
3.3 Jugendmilieus _________________________________________ 58
3.4 Lebenswelt bikultureller Jugendliche _______________________ 62
3.4.1 Sozialisation bikultureller Jugendlicher mit Elternteilen
unterschiedlicher Nationalitäten ____________________________ 63
3.4.3 Sozialisation bikultureller Jugendlicher mit Migrationshintergrund _ 70
3.5 Bikulturelle Identität ____________________________________ 74
3.5.1 Erfahrungsberichte einzelner Jugendlicher ____________________ 74
3.5.4 Empirische Untersuchung von Khounani _____________________ 85
3.6 Resümee _____________________________________________ 89
4.Handlungsmöglichkeiten der Interkulturellen Sozialen
Arbeit ____________________________________________ 92
4.1 Was bedeutet Interkulturelle Soziale Arbeit? _________________ 92
4.2 Interkulturelle Erziehung und Bildung ______________________ 96
4.2.1 Grundlage______________________________________________ 98
4.2.2 Ziele __________________________________________________ 99
4.2.3 Interkulturelles Lernen mit dem Ziel Interkultureller Kompetenz__ 111
4.2.4 Interkulturelle Trainings _________________________________ 114
4.3 Handlungsansätze _____________________________________ 115
4.3.1 Interkulturelles Lernen in der Schule________________________ 115
4.3.2 Außerschulische Angebote _______________________________ 118
4.3.3 Angebote der Jugendhilfe ________________________________ 121
4.4 Resümee ____________________________________________ 124
Fazit ____________________________________________ 126
Literaturliste _____________________________________ 131
Erklärung _______________________________________ 138
3
Einleitung
Einleitung
In Köln und in vielen anderen Städten gehören interkulturelle Begegnungen zum
Alltag. Allein die Fahrt in der Straßenbahn eröffnet die Möglichkeit
interkulturelle Erfahrungen zu sammeln und mit Menschen anderer Kulturen
Kontakt aufzunehmen - manchmal muss man dazu nur seine Augen und seine
Ohren öffnen.
In der vorliegenden Arbeit untersuche ich die Identitätsentwicklung bikultureller
Jugendlicher. „Was bedeutet denn bikulturell?“ Diese Frage habe ich sehr oft
gestellt bekommen, während ich meine Arbeit schrieb. Der verwendete Begriff
„bikulturell“ beschreibt zum einen Menschen, deren Elternteile aus zwei
unterschiedlichen Kulturkreisen stammen und zum anderen Individuen mit
Migrationshintergrund.
Die Arbeit versucht herauszufinden, inwieweit die Identitätsbildung bikultureller
Jugendlicher sich von denen der deutschen Jugendlichen unterscheidet. Die
These, die dieser Arbeit zugrunde liegt, geht von einer komplexeren
Identitätsentwicklung bikultureller Jugendlicher aus.
Angesichts der unterschiedlichen kulturellen Paarkonstellationen und der
verschiedenen
Kulturkreise,
denen
Jugendliche
angehören,
ist
eine
Generalisierung von besonderen Problemen und Ressourcen aller bikulturellen
Jugendlichen nicht möglich. Allgemeingültige Aussagen sind in diesem Kontext
schwer
zu
treffen,
da
Gruppeneinteilung
zu
Pauschalisierungen
und
Stereotypisierung führen kann.
Die Frage nach der eigenen Identität hat sich wohl schon jeder Mensch gestellt.
Bis vor einigen Jahrzehnten war die Identitätsbildung weitestgehend durch die
Familie, die Schicht und den Berufsstand bestimmt. Es gab klare Vorstellungen,
an denen sich Menschen orientierten.
Heutzutage können Jugendliche zwischen sehr vielen Möglichkeiten der
Lebensgestaltung wählen, das ihnen häufig schwer fällt. Aufgrund der sich
wandelnden Lebensverhältnisse und Globalisierung ergeben sich veränderte
Rahmenbedingungen des Aufwachsens, welche sich dementsprechend auf die
Identitätsbildungsprozesse auswirken.
4
Einleitung
Das Leben in der westlichen Welt, auf das Bezug genommen wird, entpuppt sich
als schwierig, da Jugendliche von vielfältigen Einflüssen geprägt werden und sich
in einer reizüberfluteten Welt positionieren müssen.
Jugendliche stehen im Prozess ihrer Identitätsentwicklung vor einer doppelten
Aufgabe: Sie müssen in eine Gesellschaft hineinwachsen und sich etablieren, um
letztlich gesellschaftsfähig zu sein. Dieses geht nicht ohne Anpassung an die
gesellschaftlichen Bezüge. Sie müssen dafür sorgen, dass sie ein zukunftsfähiges
soziales Netzwerk aufbauen, in der sie Beziehungen zu anderen Menschen pflegen
und weiterentwickeln. Eine andere Aufgabe, die sich den Jugendlichen stellt, ist
die individuelle Persönlichkeitsentwicklung, die sie von anderen Menschen
unterscheidbar macht. Das Finden der eigenen und der gesellschaftlichen Rolle
stellt eine große Herausforderung dar.
Wie wirkt es sich aus, wenn sich zwei Kulturen in einer Person „treffen“?
Bikulturelle
Jugendliche
müssen
sich,
neben
den
allgemeinen
Entwicklungsproblemen noch mit weiteren Aufgaben auseinander zu setzen:
Sie müssen sich, abgesehen von den in Deutschland geltenden Normen und
Wertvorstellungen, zusätzlich mit den Lebensmodellen der Herkunftskultur des
ausländischen Elterteils bzw. der Elternteile beschäftigen. Die verschiedenen
Lebenswelten, die daraus resultieren, bestimmen den Hauptteil dieser Arbeit.
Die Beschäftigung mit der dürftigen Literatur zu dieser Thematik hat es
stellenweise schwer gemacht, diese Unterschiede heraus zu arbeiten und lässt auf
eine bestehende Forschungslücke schließen. In der Literatur findet man unzählige
Untersuchungen zu den Migrationsfolgegenerationen, aber kaum Literatur, die
sich mit bikulturellen Kindern und Jugendlichen beschäftigt. Deshalb beziehe ich
mich in meiner Arbeit größtenteils auf Literatur vom Verband für binationale
Familien und Partnerschaften e.V., die sich ausgiebig mit der Lebenswelt
bikultureller Paare auseinander setzen.
Auf Sekundärliteratur wird zum Teil zurückgegriffen, da es nicht möglich
gewesen ist, die entsprechende Literatur zu beschaffen.
Zugunsten des Textflusses habe ich in der Arbeit teilweise auf die Nennung beider
Geschlechter verzichtet.
5
Einleitung
Neben der bestehenden Forschungslücke zu der Thematik basiert die Auswahl des
Themas auf dem Hintergrund meiner eigenen bikulturellen Identität. Als Tochter
einer philippinischen Mutter und eines deutschen Vaters habe ich oft meine
eigene Identität hinterfragt und verfolge mit der Arbeit somit persönliche
Interessen.
Die Arbeit gliedert sich in vier Kapitel mit zugehörigem Resümee, die ersten
beiden Kapitel sind theoretischer Natur:
Im ersten Kapitel setze ich mich zunächst mit den grundlegenden Aspekten von
Kultur auseinander, in der wichtige Begrifflichkeiten erörtert werden.
Anschließend analysiere ich im zweiten Kapitel Identitätsmodelle, wobei unter
anderem auch auf die kulturelle Identität Bezug genommen wird.
Neben der theoretischen Auseinandersetzung mit Kultur und Identität folgt das
dritte Kapitel, welches den Hauptteil der vorliegenden Arbeit darstellt. Dabei
setze ich mich mit den Lebenswelten bikultureller Jugendlicher auseinander.
Abgesehen
von
allgemeinen
Sozialisationsinstanzen
werden
zudem
Erfahrungsberichte einzelner Jugendlicher und eine empirische Untersuchung
hinzugezogen.
Im letzten Teil dieser Arbeit werden Handlungsmöglichkeiten der Interkulturellen
Sozialen Arbeit vorgestellt.
6
Kultur
1. Grundlegende Aspekte von Kultur
Im folgenden Kapitel werden zentrale Begriffe für den Gesamtzusammenhang
dieser Arbeit näher erläutert.
Um zu verstehen, wer Jugendliche mit bikulturellem Hintergrund sind, muss
vorab der Begriff der Kultur erläutert werden, denn er bildet die Grundlage aller
weiteren Ausführungen (Punkt 1.1). Multikulturelle Gesellschaft ist, aufgrund der
zunehmenden Globalisierung in aller Munde und bedarf gleichfalls einer
Erklärung (Punkt 1.2). Des Weiteren sollen die Migrantengruppen beschrieben
werden, da viele Jugendliche aus diesen entstammen bzw. Migrantengruppen und
Einheimischengruppen sich im Laufe der Zeit vermischt haben (Punkt 1.3). Mit
dem Konzept der Interkulturellen Zwischenwelten wird der Begriff der
Bikulturalität dargestellt (Punkt1.5). Ein abschließendes Resümee soll zur
Vertiefung der Ausführungen dienen.
1.1 Begriffsbestimmung
Der Begriff Kultur ist ein sehr allgemeiner und umfassender Begriff, der
zahlreiche Bücher und Zeitschriften füllt. Daher ist es nicht möglich eine einzige
allgemeingültige Definition zu nennen.
In der Soziologie versteht man unter Kultur:
„Die raum-zeitlich eingrenzbare Gesamtheit gemeinsamer materieller und
ideeller Hervorbringungen, internalisierter Werte und Sinndeutungen sowie
institutionalisierter Lebensformen von Menschen“ (Schäfers 2001: 196).
Diese Definition kann aufgeteilt werden in folgende drei Bereiche:
a) Die ideelle Kultur, bezogen auf einen Komplex von Vorstellungen,
Werten und Normen.
b) Die symbolische Kultur, die sich auf verbale und nonverbale Artikulation
bezieht, wie zeichnerische, musikalische, tänzerische, mathematische usw.
c) Die materielle Kultur, zu der Werkzeuge, Maschinen, Gebäude, Gemälde
etc. gehören.
7
Kultur
Diese Kulturbereiche sind sehr eng miteinander verbunden, stehen in vielfacher
Beziehung zueinander und beeinflussen sich gegenseitig (Vgl. Reinhold 1997:
346).
Nieke hat sich ausführlich mit dem Begriff der Kultur auseinander gesetzt und
definiert im Zusammenhang der interkulturellen Erziehung und Bildung, Kultur
als „Gesamtheit der kollektiven Deutungsmuster einer Lebenswelt“ (Nieke
1995:49).
Das bedeutet, dass sich jeder Mensch in einer Lebenswelt einordnet, die ihm
Orientierungen und Sicherheiten gibt. Die jeweilige Kultur bezieht sich auf die
allgemeingültigen und geteilten Werte, Normen und Bedeutungen der Mitglieder
einer Lebenswelt, die das Verhalten, die Einstellungen und Handlungen
bestimmen (Vgl. Freise/Schier 1999: 464).
Das Eisbergmodell, welches in der interkulturellen Bildungsarbeit verwendet
wird, eignet sich, um den Begriff der Kultur zu verdeutlichen:
Abbildung 1: Eisbergmodell
Die Kunst:
Theater,
Musik, Malerei,…
Die Alltagskultur:
Feste feiern, Essen, Kleiden,
Wohnen…
Institutionalisierte Kultur:
Sprache, Gesetze, Heirat, Sexualität
Produktion, Geselligkeit,…
Internalisierte Kultur:
Sauberkeitsvorstellungen, Ordnungsmuster,
geschlechtsspezifische Rollenmuster, Zeitgefühl,
Raumorientierung, Gestik, Mimik…
(Quelle: Freise 2005: 17)
8
Kultur
An der Spitze des Eisberges steht die Kunst mit ihren Facetten, wie beispielsweise
Theater, Musik, Malerei, Architektur.
Das alltägliche Leben steht in Verbindung zur Kultur, durch die Art und Weise
wie man Feste feiert, welche kulinarischen Speisen gegessen werden, durch die
Kleidung die getragen wird, die jeweilige Wohnkultur und vieles mehr.
Institutionalisierte Kultur bezieht sich auf Sprache, Gesetze und gesellschaftliche
Bräuche. Zudem bezieht sie sich auch auf Normen, Werte und Verhaltensweisen,
die wir für selbstverständlich halten und verinnerlicht haben. Zum Beispiel auf
länderbezogene Heiratsvorschriften, Formen der erlaubten und unerlaubten
Sexualität, in Produktionsweisen und in Formen der Geselligkeit.
Am Fuß des Eisberges steht die internalisierte Kultur. Diese beinhaltet kulturelle
Vorstellungen, wie beispielsweise zu Sauberkeit und Ordnung, zu Zeit- und
Raumorientierung, zu Gestik und Mimik etc. Diese werden schon sehr frühzeitig
erlernt und internalisiert, so dass darüber diskutiert wird, ob sie nicht als Teil des
Erbgutes anzusehen sind (Vgl. Freise 2005: 16-17).
Barth bezieht sich in seiner Auseinandersetzung mit dem Kulturbegriff
ausschließlich auf Alltagskulturen:
„Also z.B. die guten Sitten beim Essen und Trinken, wie man sich begrüßt, wie
man einen Flirt beginnt, wie man sich verabredet, ob man auf der Strasse etwas
essen darf, welchen Abstand beim Reden man als angenehm empfindet, welche
Länge von Gesprächspausen als gültig empfunden werden, wie Gestik und Mimik
gedeutet und wahrgenommen werden und vieles mehr“ (Barth 1998: 15).
Diese alltäglichen Dinge bilden einen kulturellen Code, den jeder Mensch bzw.
jede Kommunikationsgemeinschaft unbewusst und ungewusst beherrscht und
dementsprechend
einsetzt.
Dieser
Code
beinhaltet
eine
Reihe
von
Interaktionregeln, genauer gesagt von selbstverständlichen Regeln, die nur in
Abgrenzung zu einer fremden, nicht gewohnten Regel beschrieben und erklärt
werden können (Vgl. Barth 1998: 16).
9
Kultur
Folgendes
Beispiel
soll
verdeutlichen,
wie
unterschiedlich
solche
Interaktionsregeln sein können:
In vielen Ländern gibt es Regeln dafür, wie sich Gast und Gastgeber zu verhalten
haben. Thema ist eine Einladung zum Abendessen bei einer philippinischen
Familie um 20 Uhr. Die Einladung wird dankend von dem deutschen Ehepaar
angenommen. Die philippinische Frau fängt an, um kurz vor 20 Uhr den Tisch zu
decken, da klingelt es an der Tür.
Dies ist ein gutes Beispiel dafür, wie unterschiedlich die Interaktionsregeln in den
jeweiligen Ländern sind. Auf den Philippinen ist es üblich, mindestens eine halbe
Stunde nach der vereinbarten Zeit zu erscheinen (oder sogar noch später), da das
pünktliche Eintreffen als aufdringlich empfunden wird. Im Gegensatz dazu wird
ein pünktliches Erscheinen in Deutschland positiv gewertet und gilt als Zeichen
der Zuverlässigkeit. Eine Verspätung dagegen kann als unhöfliche Geste
interpretiert werden.
Dies bestätigt, „dass Kultur die Gestaltungskraft ist, die alle landestypischen
Regeln für die dort lebende Gesellschaft plausibilisiert“ (Rohe 2000: 67).
Ergänzend dazu, soll an dieser Stelle die Kulturdefinition vom Center for
Contemporary Cultural Studies genannt werden, die laut Barth, die umfassendste
und für die Bedingungen einer multikulturellen Gesellschaft die geeignetste ist:
„Die Kultur einer Gruppe oder Klasse umfasst die besondere und distinkte (klare
und deutliche) Lebensweise einer Gruppe oder Klasse, die Bedeutungen, Werte
und Ideen, wie sie in den Institutionen, in den gesellschaftlichen Bedeutungen, in
Glaubenssystemen, in Sitten und Bräuchen, im Gebrauch der Objekte und im
materiellen Leben verkörpert sind. Kultur ist die besondere Gestalt, in der dieses
Material und diese gesellschaftliche Organisation des Lebens Ausdruck findet“
(Barth 1998: 15).
Eine Kultur enthält im symbolischen Sinne die Landkarte der Bedeutungen,
welche zum Beispiel die genannten Interaktionsregeln für ihre Mitglieder
verständlich machen. Diese Landkarten sind in Form gesellschaftlicher
Organisationen und Bedeutungen objektiviert, durch die das Individuum
wiederum zu einem gesellschaftlichen Individuum wird.
10
Kultur
Auf der einen Seite bezeichnet Kultur, wie die Beziehungen einer Gruppe
strukturiert sind, auf der anderen Seite, wie diese Formen erfahren, verstanden
und interpretiert werden. Menschen sind durch Geschichte, Gesellschaft und
Kultur geformt. Demzufolge werden diese Ausgangsbedingungen transformiert
und weiterentwickelt, wodurch letztlich Kultur reproduziert und vermittelt wird
(Barth 1998: 15).
Die oben genannte Definition stammt aus der Jugendforschung. Jugendliche
bilden häufig Subkulturen, die unabhängig von der ethnischen Zugehörigkeit oder
Staatsangehörigkeit durch Mode, Design, Musikrichtung und andere Trends die
herrschende Kultur in Frage stellen (Barth 1998: 15). Diese Thematik wird im 3.
Kapitel noch ausführlicher behandelt.
„Wichtige kulturprägende Faktoren sind die Sprache, die nationale, religiöse und
schichtenspezifische Zugehörigkeit, die durch die Arbeit geprägte Lebensweise
sowie die regionale und geographische Eingebundenheit (Stadt, Land, Klima)“
(Vgl. Freise/Schier 1999: 464).
Eine Besonderheit der Definition vom Center for Contemporary Cultural Studies,
die oben genannt wurde, besteht in der Dynamik des Kulturbegriffes. Sie
verhindert von pauschalen Kulturen zu sprechen, wie etwa die rein deutsche, die
rein türkische Kultur usw. „Die Definition erfasst sowohl die Ausdifferenzierung,
als auch die Weiterentwicklung des kulturellen Selbstverständnisses einer
Gruppe“ (Barth 1998: 16).
Auch Freise hebt hervor, dass der Kulturbegriff „dynamisch“ sein und kulturelle
Überschneidungssituationen mit einbeziehen muss. Zur Realität gehört, dass
Menschen verschiedene Rollen in ihrem Leben besetzen und mehreren Kulturen
gleichzeitig angehören.
Beispiele für solche kulturellen Überschneidungssituationen:
¾ „Ich bin Mutter und Studentin“.
¾ „Ich verstehe mich als Künstler und Weltbürger“.
¾ „Ich bin ein schwedischer Moslem“.
¾ „Ich bin eine amerikanische Christin“.
11
Kultur
Mit dem Kulturbegriff muss behutsam umgegangen und aufpasst werden, dass
nicht ein statischer Kulturbegriff Stereotypen bildet und zu falschen
Abgrenzungen führt (Vgl. Freise 2005: 18).
Die Ethnologin Krasberg versteht Kultur hingegen „im Sinne einer kulturellen
Identität, d.h. in der Art und Weise des Denkens, sich die Welt vorzustellen und zu
gestalten. Aber: Kultur wird erst in der Grenzüberschreitung wahrnehmbar, im
Gegenüber einer fremden Kultur, sei es in der Ferne oder im eigenen Land“
(Krasberg 1998: 31).
Sie betrachtet Kultur ebenso als etwas dynamisches, „als eine stets in der
Veränderung begriffene Spiegelung, ausgehend von einer anderen, fremden
Kultur“ (Krasberg 1998: 31).
Kultur geht immer vom Menschen aus. Dieses besagt, dass sich in einem
Kulturkontakt nicht nur im abstrakten Sinne Kulturen begegnen, sondern
Menschen. Jede Begegnung mit einer fremden Kultur zeigt auch immer einen
Aspekt oder eine kulturelle Erscheinung der eigenen Kultur. Die eigene Kultur
programmiert Flecken in der Wahrnehmung, das bedeutet, dass in der Begegnung
mit der fremden Kultur, die eigene nie in ihrer Gesamtheit beleuchtet wird,
sondern immer nur bestimmte Aspekte. Welche das sind, hängt auch von der
Spezifität der fremden Kultur ab.
In der Begegnung mit einem Franzosen werden beispielsweise andere Facetten
sichtbar, als bei der Begegnung mit einem Einheimischen von einer fernen Insel.
Deshalb ist Fremdheit relativ zu sehen, bedeutet aber nicht eine Bewertung
dessen, was in der eigenen Kultur erkennbar wird.
„Streng genommen wird in der Begegnung mit der fremden Kultur zuallererst die
eigene Kultur erkannt, auch wenn die fremde wahrgenommen wird“ (Krasberg
1998: 42).
Eine wichtige Erkenntnis aus der Ethnographie ist, dass die eigene Kultur nur mit
Hilfe fremder Kulturen wahrgenommen werden kann. Das bedeutet, es besteht
eine gegenseitige Abhängigkeit zwischen den Kulturen.
Wie man klar erkennen kann, gibt es weit und eng gefasste Kulturbegriffe. Um zu
verdeutlichen, wie vielfältig der Begriff der Kultur ist oder ferner die
Beschreibungen, wird im Folgenden eine etwas andere Ansicht dargelegt.
12
Kultur
Heinz Bude bezeichnet Kultur als „das Ganze als Rest. Überall auf der Welt
funktionieren Banken wie Banken, Bibliotheken wie Bibliotheken und Flughäfen
wie Flughäfen. Aber da ist noch ein alltäglicher Rest, der dem Beobachter das
Ganze als fremdartig und erstaunlich erscheinen lässt. Das ist die Kultur“ (Bude
1995: 775).
1.2 Multikulturelle Gesellschaft
Der Begriff der „multikulturellen Gesellschaft“ wird in vielfacher Weise
beschrieben und mit unterschiedlichen Inhalten gefüllt. Deshalb bedarf er einer
Präzisierung. Für einige beschreibt er eine bestehende Situation, in der
unterschiedliche kulturelle Ethnien nebeneinander leben. Für andere stellt der
Begriff
ein
Konzept
dar,
dass
das
Zusammenleben
in
einer
Einwanderungsgesellschaft regelt (Vgl. Brack 1999: 71).
Brack bezieht sich in seiner Auseinadersetzung mit dem Begriff der
multikulturellen Gesellschaft auf zwei Definitionen:
Zum einen auf Miksch, der multikulturelle Gesellschaft als ein Konzept sieht, in
dem „Menschen mit verschiedener Abstammung, Sprache, Herkunft und
Religionszugehörigkeit so zusammenleben, dass sie deswegen weder benachteiligt
noch bevorzugt werden“ (Miksch 1993, zit. n. Brack 1999: 71).
Miksch macht zwei Anmerkungen, nämlich dass sich die Minderheitenkultur in
den meisten Lebensbereichen der Mehrheit anpassen muss, wobei auch die
multikulturelle Gesellschaft von der Mehrheitskultur bestimmt wird. Eine
Beeinflussung durch die Minderheiten wird dabei nicht ausgeschlossen. In der
Regel ist es üblich, dass sich eine Gesellschaft auch durch die Minderheiten
verändert (Vgl. Miksch 1993, zit. n. Brack 1999: 71).
Zum anderen bezieht Brack sich auf Geissler, der den Begriff ähnlich definiert,
sich dabei aber konkret auf Deutschland bezieht:
„Multikulturelle Gesellschaft bedeutet die Bereitschaft, mit Menschen aus
anderen Ländern und Kulturen zusammenzuleben, ihre Eigenart zu respektieren,
ohne sie zu germanisieren oder assimilieren zu wollen. Das heißt auf der anderen
Seite, ihnen wenn sie es wollen, ihre kulturelle Identität zu lassen, aber
gleichzeitig von ihnen zu verlangen, dass sie die universellen Menschenrechte und
13
Kultur
die Grundwerte der Republik […] achten und zweitens die deutsche Sprache
beherrschen“ (Geissler o. J., zit. n. Brack 1999:71).
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass eine multikulturelle Gesellschaft
durch ethnisch-kulturelle Vielfalt gekennzeichnet ist.
Schulte bezieht sich auf Heckmann, er formuliert:
„Bei ethnischen Gruppen handelt es sich um Teilbevölkerungen von staatlich
verfassten Gesamtgesellschaften, die durch Vorstellungen gemeinsamer Herkunft,
ein Zusammengehörigkeitsbewusstsein, Gemeinsamkeiten von Kultur und
Sprache, eine auf eigenen und fremden Zuschreibungen beruhende kollektive
Identität
gekennzeichnet
und
durch
gemeinsame
Institutionen
und
Beziehungssysteme verbunden sind“ (Heckmann 1988, zit. n. Schulte 1992: 12).
Der Begriff der multikulturellen Gesellschaft taucht im deutschen Sprachgebrauch
erstmals Anfang der 80er Jahre im Blickfeld der Bildungsarbeit in evangelischen
Akademien auf. Ende der 70er Jahre gibt es eine Debatte um das
Einwanderungsland Deutschland, die von Einwanderorganisationen initiiert wird,
mit dem Ziel, bürgerlich-republikanische Gleichbehandlung der Einwanderer
durchzusetzen. Durch den Begriff bzw. die Rede der multikulturellen Gesellschaft
wird die Debatte um das Einwanderungsland Deutschland abgelöst. Der Begriff
hat zunächst hauptsächlich eine strategisch-politische Funktion. In dieser Zeit
wird der Begriff der multikulturellen Gesellschaft eingangs synonym zu dem
Begriff des Einwanderungslands verwendet. Der Erhalt der kulturellen Identität
der Einwanderer ist ein politisches Ziel, das sowohl von Nationalstaatsideologen,
wie auch von Einwanderorganisationen gleichermaßen angestrebt wird. Somit
bietet sich das Ausweichen auf die kulturelle Dimension an.
Sehr früh stellt sich jedoch heraus, dass die angeworbenen Arbeitnehmer nicht nur
vorübergehend bleiben, sondern in Deutschland ein neues Leben beginnen. Im
Jahre 1983 gab es einen Versuch, die angeworbenen Arbeitnehmer durch das
Rückkehrhilfegesetz zur freiwilligen Rückkehr zu bewegen. Dieser Versuch
scheitert und führt zu einem deutlichen Stimmungswandel innerhalb der
Einwanderungsgruppen. Seither ist nicht mehr die Rede vom Einwanderungsland,
sondern von einer multikulturellen Gesellschaft (Vgl. Barth 1998: 10).
14
Kultur
Positionen zur Multikulturellen Gesellschaft
Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich auf Schulte, der sich in seinem
veröffentlichten Referat „Multikulturelle Gesellschaft: Zu Inhalt und Funktion
eines vieldeutigen Begriffs“ ausgiebig mit der Thematik beschäftigt (Vgl. Schulte
1992: 11ff).
Ablehnende Positionen: Multikulturelle Gesellschaft als Bedrohung
Ablehnende Positionen sind einem eher rechten politischen Spektrum zuzuordnen,
in dem multikulturelle Gesellschaft in der Regel als Bedrohung oder Gefahr
gewertet und von daher abgelehnt wird. Grundsätzlich kann man zwischen zwei
Richtungen
unterscheiden:
den
spontanen
Widerständen
und
den
programmatischen und organisierten Formen der Ablehnung.
Als spontane Formen der Ablehnung bezeichnet Schulte distanzierte, ablehnende
oder aggressive Einstellungen und Haltungen von einheimischen Gruppen
gegenüber bestimmten Ausländern. Für die Entstehung und Entwicklung solcher
spontanen Artikulationen sind begründete oder unbegründete soziale Ängste von
zentraler Bedeutung. Verursacht werden solche Einstellungen und Ängste
hauptsächlich durch die gesellschaftlichen Strukturen und Mechanismen, „die
sich (real oder vermeintlich) in verunsichernder oder negativer Weise auf
Individuen und soziale Gruppen auswirken. Hierzu gehören insbesondere die sich
verschärfenden Konkurrenzmechanismen auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt,
die Tendenzen der Individualisierung, der Mangel an sozialen Infrastrukturen und
Vernetzungen im Wohn- und Freizeitbereich sowie unzureichende Möglichkeiten
aktiver Gestaltung in verschiedenen Lebensbereichen“
Den programmatisch entwickelten und politisch organisierten Formen der
Ablehnung liegen in der Regel Sichtweisen zugrunde, die als nationalsozialistisch,
ethnozentristisch, rechtextremistisch und rassistisch bezeichnet werden. Ein
Beispiel dazu ist die Nationalistische Partei Deutschland (NPD), die in
Deutschland, vor allem in den neuen Bundesländern großen Zuspruch findet (Vgl.
Schulte 1992: 14-15).
15
Kultur
Kennzeichnend für solche Sichtweisen sind in der Regel, die Annahmen von
Schulte (Schulte 1992: 16-17), dass
¾ Volk, Kultur und Identität homogene Gebilde sind,
¾ zwischen dem eigenen Volk und seiner Kultur einerseits und fremden
Völkern und Kulturen andererseits grundlegende Gegensätze bestehen,
¾ eine Ausgrenzung des Heterogenen erforderlich ist, wenn der soziale
Friede, die eigene Identität und die gesellschaftliche Integration
gesichert werden sollen, und
¾ die Völker bzw. Kulturen ungleichwertig sind, wobei das jeweils
eigene als das Höherwertige, das jeweils fremde als das Minderwertige
gilt.
Schulte betont:
„Die spontanen und organisierten Formen der von rechts erfolgenden Ablehnung
einer multikulturellen Gesellschaft sind so insgesamt durch Tendenzen bestimmt,
soziale und politische Probleme- unabhängig davon, ob diese im Zusammenhang
mit Einwanderungsprozessen stehen oder nicht- auf der Grundlage und mit der
Hilfe
einer
pauschalen
oder
selektiven
sozialen
Diskriminierung
der
Zugewanderten bzw. noch Zuwanderern zu lösen“ (Schulte 1992: 17).
Befürwortende Positionen: Multikulturelle Gesellschaft als Chance, Ideologie
und kritisch- emanzipatorischer Multikulturalismus
Eine Befürwortung des Multikulturalismus ist mit sehr unterschiedlichen
Begründungen, Interessen und Zielvorstellungen verbunden. Von einem
einheitlichen Multikulturalismus kann deswegen nur bedingt gesprochen werden.
Es haben sich zwei Positionen herauskristallisiert, zum einen die ideologische,
zum anderen die kritisch-emanzipatorische Sichtweise.
Nach Schulte werden Denkweisen als ideologisch bezeichnet, wenn sie unwahre,
unvollständige oder halbwahre Aussagen über die Wirklichkeit enthalten und von
ihrer Funktion herrschaftsstabilisierend und legitimierend wirken. Ideologische
Tendenzen können als solche beschrieben werden, wenn folgende Sichtweisen
vorherrschend sind:
16
Kultur
¾ Überschätzung
der
Bedeutung
kultureller
Faktoren
und
Unterschätzung struktureller und gesellschaftspolitischer Faktoren
¾ Generalisation von Kultur(en) im allgemeinen und von Migrantenkultur(en) im Besonderen
¾ Instrumentalisierung und Funktionalisierung der Migranten und ihrer
Kulturen für Interessen der Aufnahmegesellschaften
Die ideologischen Vorstellungen einer multikulturellen Gesellschaft können sich
auch auf die Interessenslagen einzelner sozialer Gruppen oder Schichten beziehen.
Kritisch
emanzipatorischer
Zusammenleben
Multikulturalismus
von
einheimischer
ist
der
Versuch,
Bevölkerung
das
und
Einwanderungsminderheiten weder durch soziale Diskriminierung noch mit Hilfe
einer Assimilation oder Segretion dieser Minderheiten zu gestalten. Die
Einwanderungsminderheiten sollen dabei die Möglichkeiten haben, ihre
Lebenswelt aufrecht zu erhalten und weiter zu entwickeln. Daneben sollen
Einheimische und Einwanderer in Austauschbeziehungen, geleitet von dem
Prinzip der Gleichberechtigung zueinander stehen. Das Ziel der gesellschaftlichen
Konkretisierung
des
Multikulturalismus,
ist
eine
Emanzipation
der
Einwanderungsminderheiten zu ermöglichen und Prozesse der Demokratisierung
im politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Bereich zu fördern. Dabei muss
der rechtliche Rahmen beachtet werden, wie beispielsweise der Grundsatz der
Menschenwürde, die Grundrechte usw.
Schulte
nennt
die
gesellschaftlichen
Voraussetzungen
und
politischen
Rahmenbedingungen, die aus emanzipatorischer Perspektive von zentraler
Bedeutung sind:
¾ die Annerkennung der Einwanderungssituation und somit die
Zugehörigkeit
der
Einwanderungsminderheiten
zu
den
Aufnahmegesellschaften,
¾ die Annerkennung der multikulturellen Gesellschaft als ansatzweise
bestehender Tatbestand, als dynamischer Prozess und als noch zu
verwirklichendes Ziel,
17
Kultur
¾ die rechtliche Emanzipation der Einwanderer, d.h. die Aufhebung der
vor allem im Ausländerrecht verankerten besonderen staatlichen
Disposition über die Betroffenen und deren rechtliche und politische
Gleichstellung,
¾ die Schaffung und Sicherung von Möglichkeiten zur wirksamen
gesellschaftspolitischen
Partizipation,
Selbstorganisation
und
Interessensvertretung der Einwanderer,
¾ der Abbau von, in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen
bestehenden ethnischen Stratifikationen und
¾ die Einleitung und Durchführung von wirksamen Maßnahmen zur
Einschränkung
und
Bekämpfung
von
Diskriminierung,
Ausländerfeindlichkeit und (Kultur)Rassismus.
Abschließend fasst Schulte zusammen:
„Schließlich ist zu berücksichtigen, dass kritisch emanzipatorische Vorstellungen
eines
multikulturellen
Zusammenlebens
nur
dann
einige
Erfolgs-
und
Realisierungschancen haben, wenn auch außerhalb des Ausländer- bzw.
Immigrantenbereichs gesellschaftliche und politische Veränderungen stattfinden“
(Vgl. Schulte 1992: 27).
1.3 Migrantengruppen
Wird der Begriff „multikulturelle Gesellschaft“ beschreibend verwendet, benennt
er den Zustand, der durch die dauerhafte Anwesenheit von Migranten eingetreten
ist (Vgl. Hamburger 1991: 70). Ergänzend zu den bisherigen Ausführungen zur
Thematik der multikulturellen Gesellschaft wird nun auf die drei großen
Migrantengruppen in Deutschland eingegangen. Da ein Großteil der Jugendlichen,
auf die in Kapitel drei Bezug genommen wird, aus diesen Migrantengruppen
kommen, stellt es eine Notwendigkeit dar, auf diese genauer einzugehen und den
geschichtlichen Hintergrund zu beleuchten. In diesem Abschnitt sollen anhand des
Artikels „Multikulturelle Gesellschaft“, die Migrantengruppen dargestellt werden
(Vgl. Barth 1998: 10-17).
18
Kultur
In der Bundesrepublik lassen sich drei große Migrantengruppen unterscheiden:
ausländische Arbeitnehmer, Flüchtlinge und Spätaussiedler.
Für jede dieser Gruppen gibt es unterschiedliche gesetzliche Regelungen, die die
Einreise,
den
Aufenthalt,
die
Beendigung
des
Aufenthaltes
und
die
Partizipationsmöglichkeiten an sozialen Leistungen bestimmen. Des Weiteren
sind die Migrantengruppen durch soziale, politische, religiöse und kulturelle
Differenzierungsprozesse gekennzeichnet.
Ausländische Arbeitnehmer sind durch die Anwerbevereinbarungen der
Bundesrepublik mit Italien (1955), mit Spanien und Griechenland (1960), mit der
Türkei (1961), mit Marokko (1963), mit Portugal (1964), mit Tunesien (1965) und
mit dem ehemaligen Jugoslawien (1968) eingereist. Im Jahre 1973 ist die
Anwerbephase gestoppt worden. Die Bedingungen der Migration haben sich
durch die europäische Einigung für Staatsangehörige aus Italien, Spanien,
Griechenland und Portugal grundlegend verändert. Viele Menschen aus den
ehemaligen Anwerbeländern haben sich seit der Öffnung der Grenzen der EU, in
den reicheren Ländern der EU niedergelassen. Durch das Assoziationsabkommen
zwischen der Europäischen Union und der Türkei haben sich auch für türkische
Staatsangehörige einige sozial- und ausländerrechtlichen Begünstigungen
ergeben, sofern sie als Arbeitnehmer eingereist oder Familienangehörige sind.
Gänzlich verändert haben sich die Gegebenheiten für Staatangehörige aus dem
ehemaligen Jugoslawien. Durch den Zerfall des Staates und den Bürgerkrieg hat
eine große Flüchtlingsgruppe in Deutschland Zuflucht gesucht. Ein kleiner Teil
dieser Flüchtlingsgruppe ist bei den angeworbenen Familienangehörigen
unterkommen, so dass deren Aufenthaltsstatus gesichert ist. Der größere Teil
hingegen, hat versucht einen Flüchtlingsstatus zu erhalten.
Nach der Wiedervereinigung Deutschlands sollte eine aufenthaltsrechtliche
Lösung für die ehemaligen Vertragsarbeiter aus der DDR gefunden werden. Die
größten nationalen Gruppen waren Staatsangehörige aus Vietnam, Mozambique
und Angola. Die ehemaligen Vertragsarbeiter haben, obwohl es logischerweise so
hätte folgern müssen, nicht den gleichen Rechtstatus bekommen, wie ihn die
angeworbenen Arbeitnehmer aus Deutschland erlangt haben.
Neue
Wanderungsmuster
haben
sich
kommunistischen Staaten ergeben.
19
nach
dem
Zusammenbruch
der
Kultur
Vereinbarungen über Werkvertragsarbeitsverhältnisse und andere kurzfristige
Arbeitsverhältnisse sind mit den meisten Mittel- und Osteuropäischen Ländern
getroffen worden. Das führte dazu, dass auch aus diesen Ländern neue Gruppen
von Arbeitsmigranten einreist sind.
Die Migrantengruppe der Flüchtlinge wird oft als Asylanten bezeichnet. Der
Begriff Asylant ist 1980 in die Debatte eingeführt worden, er hat ausschließlich
negative Bedeutungsmerkmale. Asylant und Wirtschaftsflüchtling werden in der
politischen Abhandlung fast gleich verwendet. Im Folgenden werden die Begriffe
erläutert, die die Verwaltung den Flüchtlingen gegeben hat. Sie richten sich im
Wesentlichen nach dem Asylverfahren:
¾ Asylbewerber sind diejenigen Flüchtlinge, die einen Antrag gestellt
haben, über den noch nicht entschieden worden ist.
¾ Asylberechtigte sind Flüchtlinge, über deren Asylantrag positiv
entschieden worden ist.
¾ Bona-fide-Flüchtlinge sind Flüchtlinge, über deren Antrag positiv
entschieden worden ist, der aber noch nicht rechtskräftig ist, weil von
staatlicher Seite Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt worden sind.
¾ Bürgerkriegsflüchtlinge, sind diejenigen, die aus einem Gebiet fliehen,
in dem Krieg oder Bürgerkrieg herrscht. Diese Flüchtlinge haben kein
Anrecht auf einen Asylstatus, da keine individuelle Verfolgung
nachgewiesen werden kann.
¾ De-facto-Flüchtlinge sind diejenigen deren Asylantrag abgelehnt
wurde, die aber aus humanitären und faktischen Gründen nicht
abgeschoben werden können.
¾ Kontingentflüchtlinge werden aus völkerrechtlichen oder humanitären
Gründen durch den politischen Beschluss der Bundesrepublik
aufgenommen. Zum Beispiel die Boatpeople der 70er Jahre und in
neuerer Zeit russische Juden.
Zudem gibt es noch spezielle Maßnahmen und Altfallregelungen, auf die aber
nicht im Detail eingegangen wird.
Die letzte Migrantengruppe, die Barth beschreibt, ist die der Aussiedler. Sie
gehören zu den deutschen Volkszugehörigen, die nach der Ausführung gesetzlich
geregelter Vorraussetzungen und nach Erhalt eines Aufnahmebescheides, die
definierten Aussiedlungsgebiete verlassen und in Deutschland einreisen.
20
Kultur
Dies ist die einzige Migrantengruppen, für den der Begriff Einwanderer
vorgesehen wird, denn nur sie besitzen mit der Annerkennung des
Aussiedlerstatus alle Bürgerrechte. Dennoch sind sie sozial und individuell
gesehen auch Migranten und keine wirklichen deutschen Staatsbürger. Die
individuellen
Problemlagen
der
Aussiedler
ähneln
denen
anderer
Migrantengruppen (Vgl. Barth 1998: 12-13).
Nach Josef Freise gibt es noch eine vierte Migrantengruppe, nämlich die der
Ausländer ohne geregelten Aufenthaltsstatus. Diese Gruppe ist datenmäßig nicht
erfassbar und es gibt nur wenige gesicherte sozialwissenschaftliche Erkenntnisse
über diese Gruppe. Über die Zahl dieser Migranten kann nur spekuliert werden.
Es reisen Menschen mit Touristenvisum ein und bleiben in Deutschland. Zudem
werden aus Osteuropa zunehmend Frauen eingeschleust und zur Prostitution
gezwungen (Vgl. Freise 2005: 87).
1.4 Bikulturalität
Nachdem die Begriffe Kultur und Multikulturelle Gesellschaft einschließlich der
Migrantengruppen näher erläutert wurden, soll nun auf den Begriff der
Bikulturalität eingegangen werden.
Wießmeier gibt eine allgemeine Definition von Bikulturalität:
„Zwei kulturelle Einflüsse prägen eine menschliche Identität. Ausschlaggebend ist
hierbei, dass dieses Aufeinandertreffen zweier Kulturen nicht nur Kennzeichen
einer vorübergehenden Lebensphase ist, wie z.B. bei einem Auslandsaufenthalt,
sondern elementarer Bestandteil der Lebenserfahrung“ (Wießmeier 1999: 5).
Diese Definition bezieht sich auf Menschen in verschiedenen Lebenssituationen.
Das können Menschen sein mit zwei Elternteilen gleicher Nationalität, die in
einem anderen Land aufwachsen, dort geboren oder dorthin migriert sind, oder
aber Elternteilen, die zwei verschiedene Nationalitäten besitzen bzw. zwei
verschiedenen Kulturkreisen angehören.
21
Kultur
Um dem Begriffsverständis von Bikulturalität näher zu kommen, wird an dieser
Stelle die notwendige Begriffsunterscheidung von Pandey zwischen binational
und bikulturell vorgenommen (Vgl. Pandey 1990: 15-19).
Der Begriff binational setzt bei der Nation an. Er orientiert sich an dem
juristischen Konstrukt der Nationalität. Es handelt sich also um Elternpaare und
deren Kinder, die zwei verschiedenen Nationen angehören. Folgende Beispiele
sollen dies verdeutlichen:
Ein Mädchen hat einen griechischen Vater und eine deutsche Mutter, binational
ist auch ein Junge, der einen deutschen Vater und eine indische Mutter hat.
Ein anderes Mädchen ist hingegen nicht binational, denn ihre Eltern kommen
beide aus Italien und sie leben seit vier Jahren in Deutschland. Aber sie wächst
bikulturell auf, das heißt mit zwei verschiedenen Kulturen, nämlich mit der
deutschen und der italienischen. Diese Beispiele machen deutlich, dass es sich bei
binational um die Staatsangehörigkeit der Eltern handelt.
Bikulturell bedeutet hingegen, das Aufwachsen in zwei Kulturen, unabhängig
davon, welcher der beiden Elterteile eine andere Staatsangehörigkeit hat.
Beide Begriffe können nicht eindeutig einem bestimmten Personenkreis
zugeordnet werden. Beispielsweise haben nicht alle Kinder, die als binational
beschrieben werden zwei Staatsangehörigkeiten (Vgl. Pandey 1990:15-16).
In dieser Arbeit wird der Begriff „bikulturelle“ Jugendliche verwendet.
Angesichts der Globalisierung sollte er gesellschaftliche Akzeptanz erlangen. Jede
sechste Eheschließung in Deutschland ist heute eine binationale und jedes fünfte
Kind hat mindestens einen ausländischen Elternteil. Die Tendenz ist steigend
(Vgl. Spohn 2004: 47).
Für die Verankerung des Begriffes spricht auch die Geschichte. Seit der deutschen
Reichsgründung 1871 hat es stets etwas Anrüchiges sich mit Fremden
einzulassen. Fremd sind nicht nur, wie heute, die Inder, Chinesen oder Türken
gewesen, sondern auch beispielsweise die benachbarten fremden Franzosen und
Engländer. Kinder aus solchen Verbindungen haben vielfach als minderwertig
und problembelastet gegolten. „Rassenmischung“, wie sie damals bezeichnet
wurde, ist verpönt gewesen und schon lange vor dem dritten Reich von Politikern,
Publizisten und Wissenschaftlern als schädlich für das Gemeinwesen angesehen
worden.
22
Kultur
Der Ausdruck für diese Abneigung wird auch im Sprachgebrauch sichtbar, wie
z.B. die Bezeichnung „Rheinland- Bastarde“, womit Kinder schwarzer
Angehöriger der französischen Besatzungstruppen nach dem ersten Weltkrieg
gemeint worden sind. Die schlimmen Folgen des Rassenwahns unter den
Nationalsozialisten sind bekannt (Vgl. Pandey 1990: 17-18). Das Adjektiv
bikulturell hingegen impliziert etwas Positives
1.5 Interkulturelle Zwischenwelten
Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf Gemende, die sich in ihrem Buch
„Interkulturelle Zwischenwelten“ ausgiebig mit Bewältigungsmustern des
Migrationsprozesses auseinandersetzt (Gemende 2002: 21-34).
Der Begriff der Interkulturellen Zwischenwelt beschreibt sehr anschaulich die
Lebenslagen bikultureller Jugendlicher mit Migrationshintergrund und gibt einen
Einblick, was es bedeutet, mit zwei Kulturen aufzuwachsen.
Als erstes soll der Begriff der kulturellen Zwischenwelt beschrieben werden.
Deren Grundlage sind psychische, soziale, kulturelle Widersprüchlichkeiten und
das jeweilige Pendeln zwischen den Welten.
„Zwischenwelt nennen wir jenen psychischen, sozialen und kulturellen Standort,
den ein Mensch bezieht, wenn er unter dem Anspruch eines einheitlichen
Lebensentwurfs versucht, gegensätzliche Lebenswelten, von denen er abhängig
ist, zusammenzufügen“
(Hettlage–Varjas/Hettlage 1984, zit. n. Gemende 2004: 24).
Um eine Persönlichkeit zu entwickeln und diese wiederum sozial vermitteln zu
können, werden die Bestandteile der unterschiedlichen Welten miteinander
verbunden. Das Konzept der Zwischenwelt beschreibt einen Denk- und
Handlungsprozess, da sich das Verhältnis zu den verschiedenen Lebensformen der
Migranten kontinuierlich verändert.
23
Kultur
Die Lebenswelt der Migranten „wird laufend ausgebaut, neu definiert, verändert,
verfeinert und nimmt ständig eine neue Gestalt an. Seine Dynamik lebt davon, die
(Kultur-)Spannungen auszugleichen und zu einem entspannt(er)en Selbst- und
Weltbezug zu gelangen, ohne dabei jedoch ein Ende anvisieren zu können“
(Hettlage–Varjas/Hettlage 1984, zit. n. Gemende 2004: 24).
Die bezeichnete Zwischenwelt ist somit dynamisch, ähnlich wie der Kulturbegriff
und kann sich biographisch, individuell und auf unterschiedliche ethnische
Gruppen beziehen.
„Zwischenwelten sind keine Übergangsmuster des Handelns von einer
Gesellschaft zur anderen, sondern dauerhafte Handlungsmodi, die in bestimmten
Situationen und biographischen Phasen besonders herausgefordert werden, aber
eben auch latent vorhanden sind“ (Gemende 2004: 24).
Interkulturelle Zwischenwelten soll als Kategorie für die eben genannten
Handlungsweisen verstanden werden.
„Interkulturelle Zwischenwelten sind eigenständige, multiple, ambivalente und
veränderliche Wahrnehmungs- und Handlungsmuster, die MigranntInnen in
einem widerständigen Wechselspiel zwischen sich und ihrer Umwelt entwickeln.
Sie sind Ausdruck der Bewältigung der Verbundenheit eines Menschen mit
mindestens zwei ethnisch-kulturellen Kontexten und seines Vermögens, sich in ein
produktives Verhältnis zu den sich daraus ergebenen kollektiven sozialen
Anforderungen (z.B. zum Verhalten der Geschlechter und Generationen, der
Arbeitswelt u.a.) und ihren strukturellen Bedingungen zu setzen“ (Gemende 2004:
30).
In der folgenden Ausführung werden die in der oben genannten Definition
relevanten Begriffe, welche die interkulturellen Zwischenwelten bestimmen,
erläutert:
Eigenständig bedeutet, dass es sich um permanente Lebensformen von Migranten
handelt. Interkulturelle Zwischenwelten sind Ausdruck von Veränderung durch
den Zuzug von Migranten und sie variieren nach individuellen, sozialen und
gesellschaftlichen Bedingungen.
24
Kultur
Ambivalent sind interkulturelle Zwischenwelten, weil Individualisierung des
modernen Menschen zugleich auch Vergesellschaftung in unterschiedlichen
sozialen Beziehungen und unterschiedliche Emotionalität bedeutet. Daraus
resultiert, dass in je spezifischer Weise keine klare Grenze zwischen Freiheit und
kollektiver Abhängigkeit des Individuums besteht. Diese Uneindeutigkeit müssen
die Migranten grenzüberschreitend in zwei Gesellschaften bewältigen. Sie stehen
vor der Konfrontation sich zwischen Fremdenangst aus eigener Verunsicherung
der Einheimischen heraus und ihrer Assimilationsanforderung zu sehen.
Multipel bedeutet, dass Migranten zu vielfältigen sozialen Kontexten gehören, die
individuell gewichtet werden. Die Zugehörigkeit zur Aufnahmegesellschaft und
zur Herkunftsgesellschaft können die Wahrnehmung der eigenen Person
überlagern und beeinflussen dementsprechend auch die Bewältigung anderer
kollektiver Anforderungen, z.B. das Frau-Sein.
Widerständig
sind
interkulturelle
Zwischenwelten,
da
sie
in
Zugehörigkeitsbestrebungen und Annerkennungskämpfen in der jeweiligen
Aufnahmegesellschaft entwickelt werden. Außerdem sind sie Ausdruck für die
Bewältigung der Entfremdung von der Herkunftsgesellschaft.
Dynamisch sind interkulturelle Zwischenwelten, weil sie sich individuell
unterscheiden und auch innerhalb der Migrantengruppen verschieden sind.
Deshalb wird auch der Plural „Interkulturelle Zwischenwelten“ benutzt. Der
Lebensentwurf der Migranten ändert sich permanent.
Im Hinblick auf die erläuterten Begriffe ist erkennbar, dass sich Zwischenwelten
nicht nur an den Polen Aufnahmegesellschaft und Herkunftsgesellschaft messen
lassen.
Interkulturelle Zwischenwelten bedeuten nicht nur die einseitige Entwicklung der
Migranten
hin
zur
Aufnahmegesellschaft,
sondern
sie
„beschreiben
Handlungsmuster in der Migration, in denen sich das Individuum zu sich und zu
unterschiedlichen kollektiven Norm- und Wertstrukturen von Herkunfts- und
Aufnahmegesellschaften in ein Verhältnis setzt und diese zu eigenständigen
Handlungsmustern integriert“ (Gemende 2004: 32).
25
Kultur
Des Weiteren bedeutet Zwischenwelt ein psychisches, soziales und kulturelles
Gleichgewicht zwischen verschiedenen kollektiven Anforderungen herzustellen.
Kennzeichen der Interkulturellen Zwischenwelten ist das Bewältigungsmuster,
das den Versuch zur Herstellung von Normalität in Entscheidungszwängen
beschreibt. Interkulturelle Zwischenwelten beziehen sich auf aktiv handelnde
Menschen,
deshalb
wird
ihnen
prinzipiell
ein
produktiver
Charakter
zugeschrieben.
Das Adjektiv „interkulturell“, auf das im letzten Kapitel noch eingegangen wird
hebt den interaktiven Charakter der Entwicklung von Zwischenwelten hervor. Es
gibt nicht nur die eine Zwischenwelt, sondern Menschen bilden je individuelle
Zwischenwelten. Darüber hinaus ist das Wort interkulturell zu einem Schlagwort
geworden, vor allem in der Erziehungswissenschaft, um ethnische Differenz und
den Umgang damit darzulegen (Vgl. Gemende 2004: 32).
26
Kultur
1.6 Resümee Kultur
Aus dem ersten Kapitel ist erkennbar, dass Kultur mehr als eine Definition,
Multikulturelle Gesellschaft nicht nur eine Utopie, Migrantengruppen deutsche
Realität und Bikulturalität mehr als das bloße „in zwei Kulturen leben“ bedeutet.
Zusammenfassend betrachtet, stellt die Dynamik des Kulturbegriffes eine
Wichtigkeit dar, die nicht unterschätzt werden darf. Denn, wenn pauschal von
Kulturen gesprochen wird, ist die Konsequenz von Vorurteilen nicht weit entfernt.
Deshalb ist es ratsam bei der Begegnung mit dem Fremden, seine eigene Herkunft
nicht zu vergessen. Je nach subjektivem Empfinden eines Menschen von Kultur,
handelt er auch danach.
Wenn das Verständnis für multikulturelle Gesellschaft nicht nur als statische
Situation, in der unterschiedliche kulturelle Ethnien nebeneinander bestehen,
verstanden wird, sondern als ein Konzept des Zusammenlebens, dann ist der
Begriff zukunftsfähig. Demzufolge zieht die ethnisch kulturelle Vielfalt
notwendige gesellschaftliche und politische Veränderungen mit ein. Wie zum
Beispiel die Einbettung des Begriffes Bikulturalität, denn das ist zwangsläufig
unentbehrlich.
Die Anzahl bikultureller Kinder und Jugendlicher ist aufgrund der Globalisierung
steigend. Wie Kultur und andere Aspekte die Identität dieser Jugendlichen
bestimmen und entwickeln, soll im nächsten Kapitel näher beschreiben werden.
27
Identität
2. Identität / Identitätsentwicklung
„In ähnlicher Weise wie Kultur ist auch Identität als ein historischgesellschaftliches Phänomen und als ein dynamischer, in vielfältiger Weise
bedingter, aber auch beeinflussbarer Prozess zu begreifen“ (Schulte 1990: 23).
In diesem Kapitel wird der Begriff der Identität näher erläutert. Zunächst wird
etwas zum Ursprung und zu der allgemeinen Definition gesagt. Um zu einem
brauchbaren Arbeitsbegriff, für die hier vorliegende Arbeit zu gelangen wird
einleitend eine Definition aus der Entwicklungspsychologie genannt (Punkt 2.1).
Anschließend geht es weiter mit Modellen der Identitätsentwicklung, die sich
neben soziologischen Theorien überwiegend auf die Entwicklungspsychologie
stützen. Klassische Theorieansätze werden Neuen gegenübergestellt (Punkt 2.2).
Eng daran geknüpft wird im letzten Abschnitt auf die kulturelle Identität bzw.
bikulturelle Identität eingegangen (Punkt 2.3). Im abschließenden Resümee wird
die Thematik in Kontext zu bikulturellen Jugendlichen gesetzt (Punkt 2.5).
2.1 Begriff „Identität“
Die Geschichte des Identitätsbegriffs hat ihren Anfang in der Antike. Das
lateinische idem (=dasselbe) deutet ursprünglich auf Gleichheit, Artgleichheit
oder wesensgleiche Übereinstimmung hin (Vgl. Walkenhorst 1999: 19).
Eine ähnliche Definition findet man heutzutage im Brockhaus, der den Begriff der
Identität, als die Gleichheit mit sich selbst definiert (Der Brockhaus 2002: 401).
Um zu einem brauchbaren Arbeitsbegriff zu gelangen, wird die allgemeine
Definition
von
Oerter
und
Dreher
aus
der
Entwicklungspsychologie
hinzugezogen, die als Einführung dient (Vgl. Oerter/Dreher 2002: 290ff). Die
Definition ist von drei Komponenten bestimmt. Zunächst durch die einzigartige
Kombination von persönlichen, unverwechselbaren Daten des Individuums wie
beispielsweise Name, Alter, Beruf, Geschlecht usw. Dadurch kann das
Individuum von allen anderen Personen unterschieden werden. In diesem sehr
allgemeinen Verständnis lässt sich Identität somit auf Gruppen oder Kategorien
von Personen anwenden.
28
Identität
Die zweite Komponente ist in einem engeren psychologischen Sinn zu sehen und
meint die einzigartige Persönlichkeitsstruktur, verbunden mit dem Bild, das
andere von dieser haben.
Die dritte Komponente bezieht sich auf das individuelle Verständnis für die
eigene Identität, die Selbsterkenntnis und der Sinn für das, was man ist bzw. sein
will. Dies ist ein entscheidender Punkt für die Entwicklung im Jugendalter (Vgl.
Oerter, Dreher 2002: 290).
2.2 Modelle der Identitätsentwicklung
Im
Folgenden
werden
drei
klassische
Theorieansätze
zwei
Neuen
Identitätskonstruktionen gegenübergestellt.
2.2.1 Erikson
Der
bekannteste,
vieldiskutierte
und
wohl
meistzitierte
Ansatz
der
Identitätsentwicklung ist der von Erikson von 1956. In seinem Buch Identität und
Lebenszyklus beschreibt er Identität wie folgt:
„Das bewusste Gefühl, eine persönliche Identität zu besitzen beruht auf zwei
gleichzeitigen Beobachtungen: der unmittelbaren Wahrnehmung der eigenen
Gleichheit und Kontinuität in der Zeit, und der damit verbundenen Wahrnehmung,
dass auch andere diese Gleichheit und Kontinuität erkennen“ (Erikson 1991: 18).
Erikson versteht die Identitätsentwicklung als eine psychosoziale Entwicklung, in
der das Individuum ständig in Wechselwirkung mit sich und der Gesellschaft
steht. Er vertritt die Auffassung, dass der Mensch in den verschiedenen
Entwicklungsphasen, die er durchläuft, wie beispielsweise Kindheit und
Adoleszenz, eine zentrale psychosoziale Krise zu bewältigen hat (siehe Abbildung
2). Diese Krisen werden in den jeweiligen Entwicklungsphasen bzw.
Lebensphasen deutlich. Überwunden werden sie durch das Lösen der jeweils
vorherigen Aufgabe, so dass ein „nicht Überwinden“ der Krise auch Folgen für
die kommenden hat (Vgl. Erikson 1991: 149).
29
Identität
Abbildung 2: Die Phasen der psychosozialen Entwicklung nach Erikson unter
Hervorhebung der Jugendphase (Zeile V)
(Quelle Erikson 1991: 150-151)
30
Identität
Die Krise der Adoleszenz bezeichnet eine der Hauptkrisen nach Eriksons Modell,
da der Jugendliche in dieser Lebensphase eine eigene Position herausbilden und
finden muss, die ihn wiederum zu einer Ich-Identität führt. Erreicht wird die IchIdentität durch die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Erwartungen und
den eigenen Fähigkeiten. Wenn die Gesellschaft diese Fähigkeiten erkennt und
akzeptiert, kann sich das Individuum als anerkanntes Mitglied der Gesellschaft
fühlen und die psychosoziale Krise wäre überwunden. Durch diese beidseitige
Annerkennung entsteht eine feste und irreversible Identität, die den Menschen in
seinem weiteren Leben handlungsfähig macht. Wird die genannte Aufgabe nicht
gelöst, so kommt es nach Erikson zu einer Identitätsdiffusion (siehe Tabelle). Die
noch kommenden Phasen werden dadurch negativ beeinflusst und eventuell nicht
lösbar sein (Vgl. Erikson 1991: 136 ff).
2.2.2 Marcia
Die Ausführungen, auf die im Folgenden Bezug genommen wird, sind von Karl
Haußer, der in seiner Veröffentlichung „Identitätspsychologie“ von 1995 sehr
präzise die Modelle der Identitätsentwicklung darstellt. In der nachstehenden
Ausführung wird der Entwicklungspsychologe und Jugendforscher James E.
Marcia vorgestellt. Er erweitert das Modell der psychosozialen Entwicklung von
Erikson und ergänzt es wesentlich, indem er es empirisch überprüfbar macht.
Durch das so genannte Identity-Status–Interview erschuf er ein Instrument zur
Erhebung von Identitätszuständen, auf das an dieser Stelle nicht näher
eingegangen wird. Er ist nicht wie Erikson auf altersgebundene Phasenthematiken
und
irreversible
Krisenlösungen
fixiert.
Um
Marcias
Konzept
der
Identitätszustände zu verstehen, soll im Folgenden der Bezug zu Erikson
herausgearbeitet werden:
Laut Erikson tritt das Kind nach dem Schulalter in die Adoleszenz ein, wobei es
Überzeugungen und Orientierungen weitestgehend von den Eltern übernimmt,
wie beispielsweise die Auffassung, dass es unbedingt notwendig sei nach der
Schule ein Studium zu beginnen. In der Adoleszenz kommt es zu einem diffusen
Zustand, zu einer Identitätsverwirrung, in der das Übernommene in Frage gestellt
wird. Eine eigene Festlegung in beruflicher, ethnischer, partnerschaftlicher oder
politischer Richtung ist jedoch noch nicht möglich, laut Erikson.
31
Identität
Im günstigen Fall treten nach dieser Identitätsverwirrung verschiedene
Orientierungs- und Entscheidungsalternativen ins Bewusstsein, wie zum Beispiel
der Einfluss eines Berufsberaters, der dem Jugendlichen eine Ausbildung rät, um
erst einmal Praxiserfahrungen zu sammeln. Dieser Zwiespalt zwischen
Übernommenen und verschiedenen Alternativen, steigert sich zu einem
krisenhaften psychosozialen Moratorium, aus dem als Krisenlösung eine eigene
erarbeitete Identität entsteht. Das ist zum Beispiel die Auflehnung des
Jugendlichen, gegen den Rat der Eltern aus eigener Initiative eine Ausbildung zu
beginnen. Dieser schemenhafte Weg der Identitätsentwicklung nach Erikson
während und nach der Jugendphase, ist in Abbildung 3 mit einem Pfeil
gekennzeichnet. Die Abbildung zeigt in Form eines Vierfelderschemas die vier
Identitätszustände nach Marcia, die auf dem eben beschriebenen Ansatz von
Erikson beruhen.
Abbildung 3: Die vier Identitätszustände nach Marcia und der hypothetische
Verlauf einer Identitätskrise im Jugendalter nach Erikson
Krise
Keine Krise
Innere
Erarbeitete
Übernommene
Verpflichtung
Identität
Identität
Keine
Moratorium
Diffuse
Innere Verpflichtung
oder
Identität
diffuse Identität
(Quelle: Haußer 1995: 80)
„Ein vorübergehender ebenso wie ein stabiler Identitätszustand eines Menschen
ist nach Marcia gekennzeichnet durch das Bestehen bzw. Nichtbestehen einer
inneren Verpflichtung in den jeweiligen Gegenstandsbeziehungen und durch das
Vorkommen
bzw.
Ausbleiben
einer
Krise
in
den
gegenwärtigen
Gegenstandsbeziehungen oder auf dem Weg zu ihnen“ (Haußer 1995: 80).
32
Identität
Diese vier Identitätszustände nach Marcia werden nun im Einzelnen erläutert:
Übernommene Identität beschreibt den Zustand, in dem eine klare innere
Verpflichtung eingegangen wird, zum Beispiel in beruflicher oder politischer
Hinsicht. Dabei sind die Orientierungen in der Regel eng mit den Auffassungen
der Eltern verknüpft. In diesem Zustand wird keine echte Krise durchgemacht.
Menschen
mit
diffuser
Gegenstandsbeziehungen
Identität
empfinden
keinerlei
innere
in
den
betreffenden
Verpflichtung,
sind
entscheidungsunfähig, desorientiert und zeigen keinerlei Interessen. In diesem
Identitätszustand kann es zu einer Krise kommen, aber nicht zwangsläufig.
Menschen im Moratorium befinden sich im Kampf zwischen verschiedenen
Alternativen, aus denen sie wählen können und für die der Mensch sich innerlich
verpflichten kann. Das Moratorium ist notwendigerweise mit einer Krise
verbunden. Dem Menschen in diesem Zustand ist bewusst, dass er sich früher
oder später entscheiden muss.
Erarbeitete Identität bedeutet, dass Menschen eine Krise durchlebt haben und
demzufolge den Identitätszustand erreicht haben. Einflüsse der Eltern und anderer
Bezugspersonen werden dabei kritisch geprüft. Durch diese Auseinandersetzung
sind sie zu einem eigenen Standpunkt gelangt, dem sie sich verpflichtet fühlen.
„Marcia sieht in seinem Identitätskonzept weder eine Stufenfolge, also eine
Sequenz der stetigen Vervollkommnung im Sinne von Erikson, noch ein
altersgebundenes Schema menschlicher Identitätsentwicklung und auch nicht ein
Merkmal, das homogen die gesamte Lebenswelt eines Menschen umfasst“
(Haußer 1995: 82).
Nach Marcia sind Identitätszustände reversibel, das heißt dass der Weg von jedem
Identitätszustand in einen anderen während der gesamten Lebensspanne offen ist
(Haußer 1995: 82).
33
Identität
2.2.3 James, Mead und Athens: Symbolischer Interaktionismus
Der erste Identitätspsychologe James (1890) hat eine sehr wichtige begriffliche
Unterscheidung vollzogen. Er differenziert die Innenperspektive, „I“ von der
Außenperspektive „Me“. „I“ wird bezeichnet als der Wissende und Erfahrene,
„Me“ hingegen, ist der von anderen Personen Erfahrene (Vgl. Haußer: 38).
Diese fundamentale Unterscheidung von „I“ und „Me“ wird von Mead (1934,
dt.1973) weitergeführt. In seinem Hauptwerk „Geist, Identität und Gesellschaft“
von 1934 geht es um die fundamentale Frage, wie Menschen ihre Handlungen
aufeinander abstimmen. Kern seiner Handlungstheorie ist die Analyse der
sozialen Funktion von Sprache. Nach seiner Auffassung kann sich erst durch das
Symbolsystem Sprache das kooperative menschliche Handeln und die planvolle
Interaktion zwischen Individuen gestalten. Aus dieser Grundannahme hat sich der
Begriff des symbolischen Interaktionismus herauskristallisiert, der als übliche
Bezeichnung für seine Theorie verwendet wird (Vgl. Baumgart: 120).
Mit „I“ reagiert eine Person auf die Haltungen anderer. Es bezeichnet das Wesen,
den Willen und die Einmaligkeit dieser Person. Somit sind Individualität,
Selbstanspruch und auch biographische Unverwechselbarkeit garantiert. „Me“
wird dagegen von Bestimmungen und Gewohnheiten gelenkt und ist stets
vorhanden. „Me“ muss über das Verhaltensrepertoire verfügen, das auch alle
anderen in einer Gesellschaft besitzen. Sonst könnte es nicht Mitglied einer
Gesellschaft sein. Dieses Verhaltensrepertoire bezieht sich beispielsweise auf
Gewohnheiten und Reaktionen eines Individuums. Somit steht „Me“ für soziale
Anpassung, soziale Annerkennung und Funktionsfähigkeit in der Gesellschaft, die
wiederum eine Existenzsicherung mit sich ziehen. Durch das innere Aushandeln
zwischen „I“ und „Me“ entwickelt sich nach Mead das „Self“. Das bedeutet, dass
jedes Individuum seine Identität in der Auseinandersetzung zwischen dem
persönlichem „I“ und dem sozial angepassten „Me“ entwickelt (Vgl. Haußer: 39).
Das innere Aushandeln wird von Athens (1994) weiterentwickelt, indem er den
Prozess
des
Aushandelns
zwischen
individuellen
Bedürfnissen
und
gesellschaftlichen Ansprüchen näher erläutert. Laut Athens geschieht es in Form
von Selbstgesprächen oder wie er sie auch bezeichnet als innere Zwiegespräche.
Schon im Kindesalter kann man dies beobachten, kleine Kinder bringen sich die
Auffassungen anderer durch spielerische innere Rollenspiele näher.
34
Identität
Bei Jugendlichen und Erwachsenen setzen sich, die bei Kindern laut
vorgetragenen Rollengespräche, meistens unbewusst und schweigend fort. Durch
diese inneren Rollenspiele bzw. Selbstgespräche entsteht letztendlich das Selbst,
das sich als fließender, ständig weiterentwickelnder Prozess durch das Leben
zieht.
Die Differenzierung des „I“ und „Me“ Meads sind nach Athens noch
reichhaltiger. Er macht eine weitere Differenzierung in „Us“ und „Them“. Das
„Us“ oder auf deutsch „Wir“, bezeichnet die primären Bezugsgruppen, wie etwa
Eltern, Geschwister, und in anderen Kulturen auch weitere Mitglieder der
Großfamilie,
wie
beispielsweise
Tanten
und
Onkel.
Diese
Menschen
beanspruchen einen engen Bezug zum Individuum und haben von daher einen
großen Einfluss. „US“ kann das Individuum unter Druck setzten, aber auch bei
schwierigen Entscheidungen unterstützend sein. Zu den „Us-Stimmen“ gehören
aber noch die jeweiligen Meinungen der Peergroup, in welcher der Jugendliche
viel Zeit verbringt.
Das „Them“ bezeichnet die „Sie-Stimmen“. Das sind unter anderem Lehrer, der
Arbeitgeber, die Polizei usw. Das „Them“ konfrontiert das Individuum mit
verschiedensten, oft auch gegensätzlichen Erwartungen einer Gesellschaft.
Des Öfteren benötigt das Individuum eine ganze Versammlung von inneren
Gesprächspartnern in seinem Kopf, um unterschiedliche Ansichten und
Meinungen für sich klarzustellen.
Diese vier Stimmen bezeichnet Athens als „phantom-community“, die unser
Handeln ausmachen und bestimmen (Vgl. Freise: 122 f).
Das innere Aushandeln wird auch in dem Identitätskonzept von dem Autorenteam
um Keupp beschrieben, auf das im Punkt 2.2.5 näher eingegangen wird.
2.2.4 Ahbe: Das bordieusche Kapitalkonzept
Im folgenden Auszug handelt es sich um die Ausführungen von dem Autor Ahbe,
der die Bedeutung und das Wechselspiel der verschiedenen Ressourcen für die
Identitätsentwicklung junger Erwachsener diskutiert. Er geht in seinem Aufsatz
systematisch
auf
das
bordieusche
Kapitalkonzept
ein
und
zeigt
die
Anschlussfähigkeit, an die in der Identitätsforschung genutzte Begrifflichkeit
(Vgl. Ahbe 1998: 207-222).
35
Identität
Ahbe hebt hervor: „Der in der Tendenz wachsende Zwang zur Selbstgestaltung,
zum Selbstentwurf des Subjekts erfordert auch ein größeres Maß an
Identitätsarbeit“ (Ahbe 1998: 208).
Das Individuum muss sich in unterschiedlichen Lebenswelten bewegen und
häufig ist es der Fall, dass das Individuum in diesen Lebenswelten mit
entgegengesetzten Wertesystemen und Handlungsanforderungen konfrontiert
wird. Dieses so genannte „Patchwork“ muss auf das Individuum und auf die
soziale Umwelt bezogen, lebbar bzw. funktionstüchtig gemacht werden. Dadurch
werden elastische, flexible und vor allem bei Jugendlichen diffuse Identitäten
gebildet. Diese Identitäts-Diffusion wird heutzutage nicht mehr wie bei Erikson
als krisenhaftes Moratorium beschrieben, sondern gilt als kulturelle Adaption.
Ahbe hinterfragt, ob jedes Individuum bei den heutigen vielfältigen Optionen
seine Identität selbst frei gestalten kann. Neben den klassischen Aspekten der
sozialpsychologischen Identitätsforschung, wie etwa den unterschiedlichen
Lebensbereichen und sozialen Netzwerken eines Individuums, sieht Ahbe die
Notwendigkeit, die Ressourcenproblematik stärker ins Auge zu fassen.
Insbesondere ist es wichtig, die Ansammlung, den Transfer und den Verlust von
Ressourcen näher zu untersuchen und in einem Konzept zusammenzufassen.
Ahbe bezieht sich auf das gängige Konzept der Kapitalformen von Bourdieu. Den
aus der Ökonomie stammenden Kapitalbegriff erweitert Bourdieu und überträgt
ihn auf alle gesellschaftlichen und sozialen Bereiche. Er unterscheidet drei
Kapitalarten, die in einer sich bedingenden Wechselwirkung zueinander stehen:
Das ökonomische Kapital bezeichnet die finanzielle und materielle Ausstattung
eines Individuums. In der sozialpsychologischen Identitätsforschung wird es mit
den materiellen Ressourcen gleichgesetzt. Diese können selbst erworben oder von
seiten der Eltern und der Herkunftsfamilie zur Verfügung stehen.
Das Sozialkapital beschreibt die Ressourcen eines Individuums aufgrund einer
Gruppenzugehörigkeit. Das bedeutet genauer gesagt, die sozialen Beziehungen,
die ein Individuum pflegt. Diese Ressourcen sind mit gegenseitigem Kennen oder
Anerkennen verbunden. Der Umfang des Sozialkapitals ist von der Ausdehnung
des sozialen Netzwerks abhängig, welches das Individuum mobilisieren kann.
Zudem wird der Umfang bestimmt von dem ökonomischen, kulturellen oder
symbolischen Kapital, das diejenigen verwenden, mit denen das Individuum in
Beziehung steht.
36
Identität
Angeeignet wird Sozialkapital durch bewusste oder unbewusste Investition in
soziale Beziehungen, die im Laufe der Zeit einen unmittelbaren Nutzen
versprechen. Wichtig, um soziale Netzwerke beizubehalten, sind ständige
Austauschkontakte, welche die Beziehung bestätigen. Im Hinblick auf die
sozialpsychologische Identitätsforschung stellt Ahbe fest, dass der Begriff des
Sozialkapitals mit dem der sozialen Ressourcen gleichzusetzen ist. Die Menge des
Sozialkapitals ist für die Identitätsbildung Jugendlicher von großer Bedeutung, da
der Besitz eines dauerhaften sozialen Netzwerkes die Identität grundlegend
bestimmt.
Bedingung für den Aufbau individueller Netzwerke ist das Vorhandensein aller
drei Kapitalformen. Des Weiteren merkt Ahbe an, dass die Qualität der Netzwerke
von dem ökonomischen Kapital abhängt. Bildungsstand, Einkommen und die
permanente Beziehungsarbeit in Form von ständigen Austauschkontakten
erfordern Zeit und Geld. Deshalb ist das ökonomische Kapital zwangsläufig mit
sozialem Kapital verbunden.
Das kulturelle Kapital hat insgesamt drei Formen: inkorporiertes, objektiviertes
und institutionalisiertes Kulturkapital.
Inkorporiertes Kulturkapital bezieht sich auf die internalisierten Haltungen und
Fertigkeiten, die grundsätzlich körpergebunden sind. Das Individuum muss viel
Zeit und Energie in dieses Kapital investieren, weil es nur persönlich erworben
werden kann. Beispiele für inkorporiertes Kapital sind Bildung und Übung.
Objektiviertes Kulturkapital sind zum Beispiel Bücher, Tonträger oder jegliche
Form von Kunst. Sie können materiell übertragen werden, erfordern bei der
Aneignung aber genauso viel Zeit, wie bei dem inkorporierten Kapital.
Institutionalisiertes Kulturkapital sind staatlich anerkannte Abschlüsse und Titel,
die das Individuum erwerben kann. Ein wichtiger Aspekt ist die Weitergabe von
Kulturkapital der Eltern auf die Kinder, da dieses große Bedeutung für die
Identitätsentwicklung Jugendlicher hat. Entscheidend dabei ist nicht nur allein die
häusliche Gemeinschaft, sondern auch die Zeit, die in der Familie zur Verfügung
steht, dieses kulturelle Kapital weiterzugeben.
In der sozialpsychologischen Identitätsforschung wird das kulturelle Kapital mit
den individuellen Ressourcen gleichgesetzt.
37
Identität
Zu dem individuellen Kapital gehören unter anderen auch Gesundheit, Kraft,
Aussehen, Charakter, Temperament und die Fähigkeiten, die für die
Identitätsbildung besonders wichtig sind, wie etwa Rollendistanz, Empathie und
Ambiguitätstoleranz. Ahbe hebt an diesem Punkt hervor, dass diese Fähigkeiten
besonders wichtig sind, „weil im Zuge der Modernisierung die Ausformung,
Konstruktion und Anerkennung der verschiedenen individuellen Identitäten nicht
mehr mit Selbstverständlichkeit erfolgen und weil dem Subjekt ein hohes Maß an
Gestaltungskompetenz und individueller Fähigkeit zum Aushandeln abverlangt
wird“ (Ahbe 1998: 214).
Die Bedeutung bzw. der Nutzen des Ansatzes von Bourdieu besteht darin, dass
die Transformation der Ressourcen beschrieben wird. So kann zum einen
verdeutlicht werden, welcher Preis bei der Transformation von einer Kapitalsorte
in die andere zu zahlen ist und welcher Gewinn erzielt werden kann. Zum anderen
kann so auch die Lebenssituation des Individuums verbessert oder verschlechtert
werden.
Der Alltag besteht aus permanenten Umtauschakten von einem Kapital in ein
anderes. Die gelungene oder misslungene Ressourcentransformation lässt sich
nach Ahbe sehr gut bei Jugendlichen beobachten. In der Übergangsphase vom
Jugendlichen zum jungen Erwachsenen geht es unter anderen darum, die in der
Familie erworbenen Kapitale in einem größeren gesellschaftlichen Rahmen
umzusetzen und zu realisieren. Die jungen Erwachsenen müssen sich in der
Gesellschaft etablieren, indem sie beispielsweise einen Ausbildungsweg finden,
sich für eine berufliche Karriere entscheiden, partnerschaftliche Versuche
unternehmen und vieles mehr. Das bis dahin angesammelte ökonomische, soziale
und kulturelle Kapital muss realisiert werden. Bei Jugendlichen stellt sich das als
besonderes schwierig dar.
Ergänzend zu den Kapitalsorten sind die verschiedenen Milieus zu nennen in
denen sich die Jugendlichen aufhalten. „Die Jugendlichen desselben Milieus
haben mit großer Wahrscheinlichkeit die gleiche Ressourcenlage und eine sich
ähnelnde Wertestruktur. Ressourcen und Werte wiederum bestimmen Reichweite
und Richtung der jeweiligen Identitätsbildungsprozesse“ (Ahbe 1998: 218).
Da jeder nur im Rahmen seines Kapitals und seiner Ressourcen seine Identität
gestalten kann, müssen diese bei der Betrachtung eines Identitätsprozesses immer
mit einbezogen werden.
38
Identität
2.2.5 Keupp
Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf das Autorenteam um Keupp, das
sich zehn Jahre lang umfassend mit der Identitätsforschung beschäftigt hat. Im
Jahre 1999 erscheint erstmalig das Buch „Identitätskonstruktionen- Das
Patchwork der Identitäten in der Spätmoderne“, in dem das Autorenteam seine
Forschungsergebnisse vorstellt. Die nachstehenden Ausführungen helfen dabei,
angesichts der heutigen Zeit zu einem Verständnis der Identitätsentwicklung zu
gelangen.
Mit dem Projekt von Keupp et al. wurde das Ziel verfolgt, „Identitätsarbeit als
aktive
Passungsleistung
des
Subjekts
unter
den
Bedingungen
einer
individualisierten Gesellschaft zu begreifen und sie in ihren wesentlichen
Funktionsprinzipien zu rekonstruieren. Identität verstehen wir als das individuelle
Rahmenkonzept einer Person, innerhalb dessen sie ihre Erfahrungen interpretiert
und das ihr als Basis für alltägliche Identitätsarbeit dient“ (Keupp et al. 2002:
60).
In dieser so genannten Identitätsarbeit versucht das Individuum innere und äußere
Erfahrungen situationsbedingt anzupassen und unterschiedliche Teilidentitäten zu
verknüpfen. Mit „Teilidentität“ oder Selbsterfahrungsbereichen, wie Keupp sie
auch nennt, sind die verschiedenen Rollen, die ein Individuum in seinem Leben
besetzt, gemeint. Diese wird auch als Patchwork Identität bezeichnet. Zum
Beispiel kann ein Mensch gleichzeitig Mutter, Kind, Geschäftsfrau, Ehefrau,
Sportlerin usw. sein.
Die Auswirkungen der globalen und gesellschaftlichen Veränderungen ergeben
fünf Diskursebenen, mit denen sich das Autorenteam beschäftigt. Diese fünf
Diskursebenen
unterscheiden
verschiedene
Spannungsfelder
der
Identitätsdiskussion. Die Abbildung soll einen Rahmen für die weiteren
Ausführungen geben.
39
Identität
Abbildung 4: Fünf Spannungsfelder der Identitätsdiskussion
Anthropologische Konstante
Frage der Modere
Die Identitätsfrage ist zeitlos.
Die
Identitätsfrage
ist
ein
Problem
der
gesellschaftlichen Moderne.
Derselbe bleiben
Sich selber finden
Identität bezeichnet ein So-sein,
Identität ist bezogen auf einen Such- und
etwas Wesenhaftes.
Entwicklungsprozess, auf ein Sicht-selbstFinden
Gefährliche Vielfalt
Vielfalt als Chance
Identität braucht Kohärenz und
Erst
Kontinuität
Kohärenz und Identität möglich.
Personaler Fokus
Soziale Konstruktion
Identität meint die Singularität
Identität
Vielfalt
des
und
Selbsterlebens
Alterität
sind
macht
untrennbar
verbunden
Basale Identität
Narrative Identität
Identität beruht auf basalen innerpsychischen
Identität ist sozial konstruiert. Das
Prozessen, einem Identitätsgefühl.
Medium der Konstruktion
Ist Sprache. Die Strukturierung ist erzählend,
narrativ.
(Quelle: Keupp 2002: 69)
Der
Prozess
der
Identitätsentwicklung
ist
durch
vier
zentrale
Koordinationsleistungen gekennzeichnet. Identität wird bestimmt als relationale
Verknüpfungsarbeit,
als
Konfliktaushandlung
und
als
Ressourcen-
und
Narrationsarbeit. Diese Koordinationsleistungen werden nun erläutert:
Relationale Verknüpfungsarbeit
Der Identitätsprozess ist nicht mit dem Ende der Adoleszenz abgeschlossen,
„sondern der Motor lebenslanger Entwicklung“ (Keupp et al. 2002: 190).
Relationale Verknüpfungsarbeit bedeutet, dass sich das Individuum in einer
ständigen Verknüpfungsarbeit befindet, in der es die Erfahrungen deutet und
versucht, sich selbst zu begreifen. Dabei ordnet das Individuum seine
Selbsterfahrungen
in
unterschiedlicher
Weise.
Zum
einen
werden
die
Selbsterfahrungen einer zeitlichen Perspektive zugeordnet, wobei Vergangenes
mit Gegenwärtigem und Zukünftigem verknüpft wird.
40
Identität
Zweitens werden die Selbsterfahrungen mit den unterschiedlichen Lebenswelten
verknüpft. Somit ergeben sich unterschiedliche Teilidentitäten. Zum Beispiel die
Erfahrungen, die man als Lebenspartner macht, als Berufstätiger, als Sportler usw.
Drittens werden Ähnlichkeiten und Differenzen der Selbsterfahrungen verknüpft.
Das bedeutet, dass schon gemachte Erfahrungen zum Teil bestätigt, aber auch
zum Teil neu formuliert werden. Hinzu kommen noch die Erfahrungen, die von
Grund auf neu sind.
Darüber hinaus bedeutet relationale Verknüpfungsarbeit, dass Identität als
Passungsprozess an der Schnittstelle von Innen und Außen entsteht. Identität
beschreibt
einen
Aushandlungsprozess
des
Individuums
mit
seiner
gesellschaftlichen Umwelt.
Identität als Konfliktaushandlung
Das Individuum sucht nicht nach einem spannungsfreien Gleichgewicht, sondern
versucht aus gegebenen Differenzen, die daraus resultierenden Spannungen zu
ertragen und immer wiederkehrende Krisen zu meistern. Diese differenten
Aspekte bilden eine motivationale Spannung für neue Handlungen und
Identitätsentwürfe. Der Einbezug der Zukunftsperspektive stellt ein weiteres
Konfliktspannungspotenzial dar. Identitätstheoretisch kommt es hier zu einer
wichtigen Differenzierung, in welcher der bislang geltende Standard durch neue
Lebensentwürfe umgestaltet werden kann.
Die Autoren betonen in diesem Zusammenhang: „Die Identitätsarbeit lebt auch
von dem Spannungszustand zwischen dem, was man erreicht hat, und dem, was
man noch erreichen möchte“ (Keupp et.al 2002: 197).
Grundspannungen
werden
als
Quelle
der
Dynamik
im
Prozess
der
Identitätsbildung gesehen. „Passungsverhältnis“ meint eine Dynamik einer
andauernden Aushandlung der Unstimmigkeiten und nicht einen spannungsfreien
Balancezustand.
Die Autoren schlussfolgern: „Identitätsarbeit zielt auf die Herstellung eines
konfliktorientierten Spannungszustandes, bei dem es weder um Gleichgewicht und
Widerspruchsfreiheit noch um Kongruenz geht, sondern um ein subjektiv
definiertes Maß an Ambiguität und des Herausgefordertseins“ (Keupp et.al 2002:
197).
41
Identität
Das jeweils gefundene Passungsverhältnis muss subjektiv stimmig sein. Wird
dieses Maß erreicht, resultiert daraus ein Gefühl der Authentizität.
Identität als Ressourcenarbeit
Auf diesen Punkt wird im Folgenden nicht näher eingegangen, da er im Abschnitt
2.2.3 dieser Arbeit schon ausführlich behandelt wurde.
Identität als Narrationsarbeit
Bei der Narrationsarbeit nehmen die Autoren an, dass die Identitätsbildung im
Wesentlichen mit dem Mittel der Selbstnarration erreicht wird. Selbstnarration
bedeutet, dass das Individuum seine vielseitigen Erfahrungen erzählend
organisiert und somit in einen Gesamtzusammenhang bringt. Dadurch werden
vergangene Ereignisse sichtbar gemacht und dienen des Weiteren dazu, die
Erwartung zukünftiger Ereignisse zu begründen. Diese Selbstnarrationen
verändern sich ständig in sozialen Aushandlungsprozessen. Sie sind das
sprachliche Werkzeug eines jeden Menschen sich zu etablieren. Sie werden von
den Autoren als symbolische Systeme verstanden, die für Rechtfertigung, Kritik
und/oder die Produktion von innerer Stimmigkeit verwendet werden.
Die Gestaltungsmöglichkeiten der Selbstnarration sind sehr vielfältig. Keupp et. al
beziehen sich auf die Teilidentitäten, die sich in den Lebensbereichen
Familie/Partnerschaft, Arbeit und Freunde/Freizeit entwickeln und schlussfolgern
daraus, dass es drei Inhaltsbereiche für Selbstnarrationen gibt.
Sie beziehen sich auf Gergen und Gergen, die auf einer sehr allgemeinen Ebene
drei Formen der Selbstnarration unterscheiden. Zum einen gibt es die
Stabilitätsnarration, bei der die reflektive Erzählposition des Individuums
unverändert bleibt. Zum anderen die progressiven und die regressiven
Narrationen, in denen sich die Position des Individuums auf der Erzähldimension
über die Zeit verändert. In den Untersuchungen von Keupp et.al. wird bestätigt,
dass Jugendliche in der Regel progressive Narrationen formulieren.
Die Geschehnisse der Narration sind nicht nur Narrationen eines einzelnen
Individuums, sondern ebenfalls die Handlungen von anderen. Das bedeutet, dass
narrative Konstruktionen immer handlungstützende Rollenbesetzungen erfordern.
42
Identität
„Eine Selbstnarration kann nur dann erfolgreich aufrechterhalten und
fortgeschrieben werden, wenn die handlungstützenden Rollenträger bereit sind,
die Darstellungen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft mitzutragen“
(Keupp et. al 2002: 213).
Jedes Abwenden eines Teilnehmers bzw. Rollenträgers kann die Selbstnarration
bedrohen, da die Konstruktion eine wechselseitig voneinander Abhängige ist.
Die Autoren ziehen die Konsequenz: „Insofern ist die Stabilität unserer Identität
als Selbstnarration eine öffentliche Angelegenheit“ (Keupp et.al. 2002: 214).
Das Mittel der Selbstnarration wird von den Autoren als zentrales Medium der
Identitätsarbeit hervorgehoben.
Mit dem Begriff der alltäglichen Identitätsarbeit wollen die Autoren um Keupp
deutlich machen, dass Identität nicht etwas angeborenes ist, sondern einen
lebenslangen Prozess darstellt, den das Individuum im Laufe seines Lebens
entwickelt.
Neben den geschilderten situationalen Selbstthematisierungen, gibt es weitere
Konstruktionen, die an dieser Stelle kurz genannt werden sollen.
Als erstes ist der Begriff der „Teilidentitäten“ zu nennen, der am Anfang kurz
erläutert wurde. Teilidentitäten entstehen über die Reflexion situationaler
Selbsterfahrungen und deren Integration. Weiter ist das Identitätsgefühl
anzuführen, das über die Verdichtung biographischer Erfahrungen und
Bewertungen der eigenen Person und der zunehmenden Generalisierung der
Selbstthematisierung und der Teilidentitäten entsteht. Als dritte Komponente sind
die biographischen Kernnarrationen zu erwähnen. Das ist der bewusste Teil des
Identitätsgefühls, der zu einer narrativen Verdichtung der Darstellung der eigenen
Person führt. Diese drei Ergebnisse führen zu der letzten Konstruktion, nämlich
zu der Handlungsfähigkeit. Sie markiert die Funktionalität der Identitätsarbeit für
das Handeln eines Individuums und hat eine innere und eine äußere Komponente.
43
Identität
2.3 Kulturelle Identität
„Kulturelle Identität“ wird in der gängigen Literatur oft mit „kollektiver Identität“
oder auch „Wir-Identität“ gleichgesetzt, die sich unter anderem auf eine Ethnie
beziehen kann (Vgl. Günay 2001: 10).
Kollektive Identität bezeichnet „keine physische Einheit von verschiedenen
Objekten, sondern drückt die Identifikation von jemanden mit etwas aus,
bezeichnet also ein spezifisches, kognitiv und affektiv geprägtes Verhältnis von
Personen zu einem Identifikationsobjekt“ (Nissen 2004: 21).
Kollektive Identität beinhaltet nach Nissen ebenso Empathie als Basis für
Solidarität und Loyalität.
Da Kultur gleichermaßen wie Identität einen dynamischen Grundcharakter hat,
stellen beide einen endlosen Prozess dar.
Günay bezieht sich auf Hall, der kulturelle Identität wie folgt beschreibt:
„Kulturelle Identitäten sind die instabilen Identifikationspunkte oder Nahtstellen,
die innerhalb der Diskurse über Geschichte und Kultur gebildet werden. Kein
Wesen, sondern eine Positionierung. Daher gibt es immer eine Identitätspolitik,
eine Politik der Positionierung, für die es keine absolute Garantie eines
unproblematischen, transzendentalen Gesetzes des Ursprungs gibt“
(Hall 1994 zit. n. Günay 2001: 10).
Günay merkt an, dass für die Sinnkonstruktion kollektiver Identitäten
insbesondere ethnische, religiöse und nationale Identitäten in Betracht gezogen
werden. Darüber hinaus sind aber auch Geschlecht, Generation, soziale Herkunft,
Klasse usw. identitätsbestimmende Elemente.
Die Ethnologin Ulrike Krasberg, die im ersten Kapitel dieser Arbeit schon
erwähnt wurde, versteht kulturelle Identität als eine Art und Weise des Denkens,
sich die Welt vorzustellen und zu gestalten. Diese Definition lässt sich mit dem
Begriff der Teilidentitäten des Autorenteams um Keupp verbinden
Bezogen auf die kulturelle Identität, bildet das Individuum je nach Rolle bzw. Art
und Weise des Denkens, die es situationsgebunden vertritt, kulturelle
Teilidentitäten.
44
Identität
2.4 Resümee Identität
Ebenso wie Kultur, ist auch Identität bzw. die Identitätsentwicklung schwer zu
beschreiben und zu definieren. Im Folgenden soll nun eine Zusammenfassung
dazu dienen, die eben erläuterten Identitätsmodelle in einen Kontext zu den
Jugendlichen mit bikulturellem Hintergrund zu bringen.
Wie in Eriksons Modell beschrieben, geht es um das Finden der eigenen Rolle,
weniger um das Erschaffen einer neuen, individuellen. Der Jugendliche soll eine
Auswahl aus den schon bestehenden Rollen in einer Gesellschaft besetzen. Man
könnte sagen, dass die Gesellschaft ein Angebot für eine Identität bietet, die der
Jugendliche entweder annimmt oder ablehnt. Schafft der Jugendliche es nicht,
sich in einer Rolle wieder zu finden, wird ihm von der Gesellschaft eine Rolle
zugeschrieben, was laut Erikson zu einer diffusen Rollenausprägung führen kann.
Diffusion und die darauf folgende Identitätskrise kann auch entstehen, wenn die
Gesellschaft zu viele Wahlmöglichkeiten anbietet und die Erwartungen an das
Individuum zu hoch sind. An dieser Stelle lässt sich feststellen, dass unter
„besonderen dynamischen Bedingungen schwere Identitätskrisen entstehen
können“ (Erikson 1991: 212).
Ich-Identität kann nach Erikson nur erreicht werden, wenn die Erwartungen der
Gesellschaft und somit die angebotene Rolle den eigenen Vorstellungen, den
individuellen Fähigkeiten und Anforderungen entspricht.
Auf die in der Arbeit bezogene Zielgruppe der bikulturellen Jugendlichen ist das
Modell von Erikson nur begrenzt anwendbar.
Die Annahme, dass ein Identitätsangebot gemacht wird und die angenommene
Rolle dann für immer beibehalten wird, kann als sehr gradlinig und zu
kontinuierlich gesehen werden. Die Voraussetzung für die Validität eines solchen
Modells ist eine Gesellschaft der festen Strukturen und klaren Abläufe. Eine
dynamische Gesellschaft ist nach Erikson der Feind der Ich- Identität.
Marcia ist zu der wichtigen Erkenntnis gelangt, dass die Identität reversibel ist
und nicht mit der Adoleszenz endet, sondern einen lebenslangen Prozess darstellt.
45
Identität
Das Autorenteam um Keupp hat ein sehr umfassendes Modell der
Identitätsentwicklung erarbeitet, das den Symbolischen Interaktionismus nach
James, Mead und Athens und die beschriebenen Kapitalsorten von Ahbe
miteinbezieht.
Ein wichtiger Punkt in Bezug auf bikulturelle Jugendliche, ist die Erkenntnis des
Autorenteams um Keupp, dass das Individuum Teilidentitäten bildet und nicht nur
eine Identität hat. Bezogen auf bikulturelle Jugendliche besitzt zum Beispiel ein
Jugendlicher der in einer deutsch-iranischen Familie aufgewachsen ist
möglicherweise mehr Rollen, in die er hineinschlüpft, als ein deutscher
Jugendlicher. Wenn er zum Beispiel zu Besuch bei seinen Verwandten im
Heimatland ist, hat er eine andere Rolle zu vertreten, als bei seinen deutschen
Verwandten.
In einem Punkt sind sich alle Autoren einig, das Individuum steht in ständiger
Wechselwirkung mit sich und der Gesellschaft.
Was aber ist mit den bikulturellen Jugendlichen, die sich nicht nur mit einer
Gesellschaft auseinandersetzten, sondern mit zwei Gesellschaften - der
Herkunftsgesellschaft und der Aufnahmegesellschaft?
Wie diese Verknüpfung von zwei Gesellschaften im Detail aussieht soll im
nächsten Kapitel näher beschrieben werden
46
Situation bikultureller Jugendlicher
3. Situation bikultureller Jugendlicher
In diesem Kapitel wird auf die Lebenswelt bikultureller Jugendlicher
eingegangen. Zunächst soll der Begriff der Jugend und wichtige Aspekte der
Identitätsentwicklung in der Adoleszenz aufgegriffen werden, denn sie bilden die
Grundlage des Verständnisses von Jugend im Allgemeinen (Punkt 3.1). Da in
dieser Arbeit von bikulturellen Jugendlichen aus Deutschland die Rede ist, muss
angesichts der sich wandelnden Rahmenbedingungen des Aufwachsens in
Deutschland darauf Bezug genommen werden. Dadurch soll ein Einblick in die
verschiedenen Lebenswelten der Jugendlichen gegeben werden (Punkt 3.2). In
den nächsten beiden Abschnitten wird auf die Jugendmilieus der deutschen Shell
Studie und die Lebenswelt bikultureller Jugendlicher eingegangen (Punkt 3.2 und
3.3).
Um
die
Lebenswelt
der
bikulturellen
Jugendlichen
und
deren
Identitätsentwicklung besser zu verstehen, sollen Erfahrungsberichte und eine
empirische Untersuchung von Khounani dienen (Punkt 3.4). Abschließend werden
die einzelnen Abschnitte zusammengefasst und in einen Gesamtzusammenhang
gebracht (3.5).
3.1 Jugendliche und ihre Sozialisation
„Die Jugend von heute“, ein häufig gehörter Satz der älteren Generationen. Aber
wer ist sie und was macht sie aus? Das wird im Folgenden näher erläutert.
Jugend darf nicht als geschlossene Kategorie oder als geschlossenes Phänomen
definiert werden, da die soziokulturelle Beschaffenheit des gegenwärtigen
Gesellschaftssystems
es
nicht
erlaubt.
Dieses
wird
deutlich
in
den
unterschiedlichen Lebensbedingungen und Lebenswelten Jugendlicher, die sie
mehr trennen, als dass sie in eine homogene Gruppe kategorisiert werden können
(Szepan/ Teichmann 1993:84).
Wird der individuelle Lebenszyklus betrachtet, so ist der Jugendliche durch den
Wechsel von der Rolle des Kindes zu der des Erwachsenen gekennzeichnet.
Erkennbar ist dieser Übergang durch die körperlichen, psychisch-seelischen und
sozialen Veränderungen.
47
Situation bikultureller Jugendlicher
Die Erwartungshaltung der Gesellschaft an die Jugend bezieht sich zum einen auf
die Loslösung der Herkunftsfamilie und die Entwicklung einer individuellen
Persönlichkeit, zum anderen soll der Jugendliche sich an gesellschaftliche
Normen und Verhaltensweisen der Erwachsenenwelt anpassen. Dies geschieht
durch den Beruf, die Ausbildung und eigener Familienbildung. Zudem ist diese
Übergangssituation durch die rechtliche und politische Position des Jugendlichen
gekennzeichnet.
Szepan und Teichmann definieren die Phase der Jugend wie folgt:
„Jugend ist die Zeit zwischen Ende der Kindheit (Pubertät), d.h. 14.-15.
Lebensjahr, Ende der Schulpflicht, und dem Beginn des Erwachsenenstatus, d.h.
ungefähr 24.-25. Lebensjahr, wenn die eigene Familie gegründet wird. Mit
anderen Worten: Jugend ist die Übergangssituation zwischen sozialer Unreife
und sozialer Reife“ (Szepan/ Teichmann 1993: 84).
Jugendliche werden von vielen Forschungsgebieten definiert und genannt. In
dieser Arbeit wird auf den Jugendbegriff der Soziologie Bezug genommen.
„Jugend in soziologischer Sicht ist eine soziale Verhaltensphase, das Stadium des
sozialen Rollenübergangs von der Kindes- zur Erwachsenenrolle. Der
Jugendliche erfüllt nicht mehr die Rolle des Kindes und noch nicht die Rolle des
Erwachsenen als eines vollgültigen Trägers sozialer Institutionen. Jugend ist
immer Teil einer spezifischen Gesellschaft und Kultur, durch die sie geprägt
wird“ (Szepan/ Teichmann 1993: 85).
Identitätsbestimmende Bereiche in der Adoleszenz
Kampshoff beschäftigt sich mit den Sozialisationsinstanzen Jugendlicher und
nennt sechs Bereiche, die auf die Identitätsentwicklung Jugendlicher Einfluss
nehmen. Einige der Bereiche sind in den oben genannten Ausführungen als
Übergangssituation wieder zu finden. Kampshoff unterteilt die jeweiligen Punkte
in Personale und Soziale Identität, die auf Goffman zurückzuführen sind (Vgl.
Kampshoff 1996: 60 ff).
48
Situation bikultureller Jugendlicher
Leib- und körperbezogener Bereich
Personale Identität bezieht sich auf das individuelle Körpergefühl, verknüpft mit
Sexualität und Gesundheit, im Zusammenhang der eigenen Lebensgeschichte und
der konkreten Lebenswelt.
Soziale Identität sind die Erkenntnis und das Gefühl, Gemeinsamkeiten in der
Entwicklung und Ausprägung des Körpers, wie Geschlecht, ähnliche körperliche
Symptome oder Krankheiten zu haben. Dieses ist im biographischen und im
situativen Kontext zu sehen.
Soziales Netzwerk
Personale Identität bezieht sich zunächst auf die ursprüngliche Mutter-KindBeziehung. Die im weiteren Verlauf des Lebens in der Familie, bei Freunden, in
Liebesbeziehungen, in der Schule, in Ausbildung und Beruf weiter entwickelt
wird. Durch dieses soziale Netzwerk resultiert wiederum das Selbstwertgefühl des
Jugendlichen.
Soziale Identität meint die soziale Eingebundenheit in eine bestimmte Gruppe.
Diese Eingebundenheit kann positiver und solidarischer Natur sein oder auch
negative Abgrenzung bedeuten. Die Individualität wird beibehalten und geht nicht
verloren.
Arbeit und Leistung
Personale Identität ist die Selbstverwirklichung eines Individuums in einer Arbeit
oder Tätigkeit. Diese kann sich auf den Haushalt, die Freizeit und den Beruf
beziehen. Arbeit und Leistung ist sehr stark von thematischen und motivationalen
Gesichtspunkten geprägt.
Soziale
Identität
besagt
das
Zugehörigkeitsgefühl
oder
gemeinsame
Interessensvertretung mit anderen Personen ausgewählter Berufs- oder sonstiger
Gruppen.
Materielle Bedingungen
Personale Identität bezieht sich auf die Bedingungen, wie ein Mensch aufwächst.
Dabei spielen milieu-, schicht-, kulturspezifische und historisch bedingte
Lebensbedingungen eine Rolle.
49
Situation bikultureller Jugendlicher
Zudem sind auch ökonomische Bedingungen, wie etwa Einkommen, Besitz und
Lebensumwelt für die Entwicklung personaler und sozialer Identität von
Bedeutung.
Soziale Identität meint die Eingebundenheit in eine bestimmte Umgebung,
Schicht usw. Diese muss nicht zwangsläufig ein Leben lang gleich bleiben,
sondern kann sich im Laufe eines Lebens ändern.
Werte, Normen, Moralvorstellungen
Personale
Identität
bezieht
sich
auf
die
individuelle
Wert-
und
Normvorstellungen.
Soziale Identität bedeutet kollektive Orientierungen in einer Gruppe, sie ist
kontext- und situationsgebunden.
Umgang mit Macht und Herrschaft
Personale Identität bezieht sich auf die Rangposition bzw. Verortung in der
hierarchisch aufgebauten Gesellschaft, im familiären Kontext und in Beruf und
Politik.
Soziale Identität ist entweder der Bezug zu einer Gruppe von gesellschaftlich
unterdrückten Individuen oder zu einer Gruppe privilegierter, machtausübender
Personen.
(Vgl. Kampshoff 1996: 60 ff)
Diese genanten Bereiche sind wechselseitig aufeinander bezogen. Um diese
beschriebenen Bereiche in einen Kontext zu setzen, müssen die gesellschaftlichen
Rahmenbedingungen Deutschlands miteinbezogen werden. Diese werden im
nächsten Abschnitt näher behandelt.
50
Situation bikultureller Jugendlicher
3.2 Gesellschaftliche Rahmenbedingungen
Im ersten Abschnitt wird genauer auf den Prozess des Aufwachsens von Kindern
und Jugendlichen in Deutschland eingegangen. Die Aufmerksamkeit richtet sich
insbesondere auf familiäre, mediale, interkulturelle bzw. internationale und
demographische Wandlungsprozesse und Beständigkeiten. Inwieweit Kinder und
Jugendliche einen Zugang zum sozialen und gesellschaftlichen Leben haben, wird
im zweiten Abschnitt erläutert. Eingangs soll darauf hingewiesen werden, dass
bikulturelle Kinder und Jugendliche mit Elternteilen unterschiedlicher kultureller
Herkunft im 12. Kinder und Jugendbericht des Bundesministeriums für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend nicht als eigenständige Gruppe beachtet werden. Sie
sind zu deutschen bzw. auch zu Migrantenjugendlichen zu zählen. Dies soll beim
Lesen beachtet werden.
3.2.1 Rahmenbedingungen des Aufwachsens
Familiäre Lebenswelt
Die Familie ist die primäre Bezugsquelle und Lebenswelt Kinder und
Jugendlicher.
„Sie
können
Auskunft
darüber
geben,
welche
Kommunikations-
und
Unterstützungspartner den Kindern und Jugendlichen in der Familie in welchem
zeitlichen Umfang zur Verfügung stehen, und bieten Hinweise darauf, ob die
familiären Lebenswelten im Prozess des Aufwachsens durch soziale Kontinuitäten
oder Diskontinuitäten geprägt sind“ (BMFSFJ 2005: 58).
Das Bundesministerium hat herausgefunden, dass Kinder und Jugendliche
überwiegend mit einem Geschwisterkind aufwachsen und die Familienform der
klassischen gleicht. Mit klassischer Familienform ist die eheliche Zwei- ElternFamilie gemeint. Darüber hinaus leben sie aber auch häufig in alternativen
Lebensformen der Moderne, wie z.B. in nicht ehelichen Paargemeinschaften, in
Stieffamilien oder in Alleinerziehendenhaushalten. Differenzen ergeben sich bei
dem Vergleich zwischen den neuen und den alten Bundesländern. Darauf wird an
dieser Stelle nicht weiter eingegangen.
Bei ausländischen Familien mit Kindern hat sich herauskristallisiert, dass eheliche
Lebensgemeinschaften weit verbreiteter sind, als in deutschen Familien.
51
Situation bikultureller Jugendlicher
Im Jahr 2000 waren es 86 % gegenüber 78%, der Anteil Alleinerziehender und
nicht-ehelicher Lebensgemeinschaften hat sich verringert, 2 % gegenüber 6%.
Kinder und Jugendliche in ausländischen Familien haben häufig mehr
Geschwister, als deutsche Kinder und nur selten keine Geschwister. Es existieren
nicht nur Unterschiede in den Familienformen bei ausländischen und deutschen
Familien. Es ergeben sich darüber hinaus auch Unterschiede bei ausländischen
Familien je nach Herkunftsland. Dreiviertel der Türkinnen und Türken sind
verheiratet, nur 7% leben in nicht-ehelichen Partnerschaften. Bei Personen aus der
EU und bei Aussiedlerfamilien sind weniger als zweidrittel verheiratet. Bei
Aussiedlerfamilien sind nicht eheliche Gemeinschaften deutlich stärker vertreten
als in der türkischen Population.
Die Zeit, die Familien miteinander verbringen und die Interaktionen innerhalb der
Familie sind wesentlich von der Erwerbstätigkeit der Eltern bestimmt. Bei einem
Vergleich zwischen Familien mit und ohne Migrationshintergrund hat sich
ergeben, dass Mütter häufiger nicht erwerbstätig sind. Die amtliche Statistik des
Bundesministeriums bestätigt, dass im Jahr 2003 ausländische Frauen zwischen
25 und 54 Jahren mit unter 18-jährigen Kindern im Haushalt lediglich 43% aktiv
erwerbstätig sind. Bei deutschen Frauen sind 67% erwerbstätig.
Einen generellen Schluss, den das Bundesministerium zieht, ist, dass Kinder
zunehmend seltener mit beiden Elternteilen zusammen sind, aber heutzutage im
allgemeinen, mehr Zeit mit ihren Eltern verbringen als noch vor zehn Jahren.
Institutionelle Lebenswelt
Der Alltag von Kindern und Jugendlichen ist heutzutage weitgehend institutionell
strukturiert.
Dazu
beigetragen
Kinderbetreuungsangeboten,
die
haben
Verlängerung
die
der
Vermehrung
Schulzeit,
von
alltägliche
Unterrichts- und Lernzeiten und eine Fülle von Freizeitangeboten.
„Durch die Schaffung spezieller kindlicher und jugendlicher Lebensräume
verfestigt sich zum einen die Trennung der Lebenswelten von Kindern und
Erwachsenen, zum anderen differenzieren sich mit der wachsenden Vielfalt von
Angeboten die Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen sowohl im Tages- als
auch im Biographieverlauf aus“ (BMFSFJ 2005: 67).
52
Situation bikultureller Jugendlicher
Institutionen bestimmen und begrenzen Handlungs- und Bewegungsräume. Die
zeitliche Strukturierung des Lebensalltags wird mit dem Begriff der
„Terminkindheit“ beschrieben. Vor allem außerschulische und außerfamiliäre
Angebote sowie Verabredungen mit Freundinnen und Freunden, machen dies
deutlich. Die Inanspruchnahme solcher Termine bzw. Angebote hat mit sozialen
und räumlichen Wechseln zu tun. Zum einen erfordert es von Kindern und
Jugendlichen soziale und kognitive Integrationsleistungen, zum anderen bietet die
Terminkindheit weitere Erfahrungs- und Entwicklungsmöglichkeiten. Eine
wichtige Anmerkung, die das Bundesministerium macht, ist, dass nicht alle
Angebote allen Kindern und Jugendlichen gleichermaßen zugänglich sind.
„Soziale, ökonomische und kulturelle Ressourcen sowie Milieuzugehörigkeiten
kanalisieren die Teilnahmemöglichkeiten und führen deswegen häufig zu relativ
sozial homogenen Zusammensetzungen der Nutzergruppen“ (BMFSFJ 2005: 67).
Ein weiterer Begriff, den das Bundesministerium heranzieht, ist der der
„Konsumkindheit“, womit die Freizeitwelten der Kinder und Jugendlichen
gemeint sind. Das kann z.B. das Cliquen-Leben sein. Diese Freizeitwelten sind
von den institutionellen und familiären Lebenswelten weitgehend getrennt.
Zudem hat das Bundesministerium Auflösungstendenzen von altersdifferenzierten
Lebenswelten festgestellt. Das bedeutet, dass Kinder schon früh in biographisch
relevante Entscheidungen mit einbezogen werden, und dass sie sehr früh als
eigenständige Konsumenten agieren. Von der Geschäftswelt werden die Kinder
auch als eigenständig gesehen.
Das Bundesministerium hebt an diesem Punkt hervor:
„Die
wachsende
Bedeutung
und
kompetenzorientierte
Verwertung
außerschulischer Bildungsaktivitäten beinhaltet die Gefahr der Verschärfung
bestehender Ungleichheiten sowie der Entstehung neuer Ungleichheiten, soweit
der Zugang zu ihnen sozial, kulturell und ökonomisch selektiv strukturiert ist“
(BMFSFJ 2005: 68).
53
Situation bikultureller Jugendlicher
Mediale Lebenswelt
Medien gehören zum alltäglichen Erfahrungsfeld und beeinflussen die
Lebensführung von Kindern und Jugendlichen. In den Bereichen der Interaktion,
der Freizeitgestaltung sowie der Wissensaneignung und Bildung wird auf
verschiedene Medien Bezug genommen. Insbesondere werden digitale Medien als
Lern- und Lehrmittel in Schulen und Freizeitbereichen eingesetzt. Medien, wie
das Handy, Fernsehen, Video usw. sind mittlerweile selbstverständliche
Bestandteile der Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen und die Häufigkeit,
diese zu nutzen, hat in den letzten Jahren erheblich zugenommen. Es ergibt sich,
dass Medien viel Zeit gewidmet wird, aber im Leben der Kinder und Jugendlichen
nicht dominieren.
Im Hinblick auf Medien ist zu beachten, dass es alters-, geschlechts-, bildungsund schichtspezifische Unterschiede in der Nutzung und im Zugang zu den
jeweiligen Medien gibt.
Elektronische Massenmedien sind so weit verbreitet, da sie vielfältige
Nutzungsmöglichkeiten bieten, so z.B. dienen sie der Unterhaltung, transportieren
Wissen, Informationen usw.
Darüber hinaus sind Medien ein grundlegender Bestandteil der Arbeitswelt.
Das Bundesministerium verweist darauf, dass Medien zu heimlichen Miterziehern
geworden sind, in denen sich einerseits Probleme und Gefahren bergen, aber
andererseits auch Chancen bieten.
„Da Medienkompetenzen sich zunehmend zu kulturellen und beruflichen
Basisqualifikationen entwickeln, gleichzeitig jedoch soziale Differenzen im
Zugang zu und in der Nutzung von neuen Medien bestehen, kann auf eine
systematische Integration ihres Erwerbs in die öffentliche Erziehung und Bildung
nicht verzichtet werden“ (BMFSFJ 2005: 70).
Internationalisierung von Lebenswelten
Der
Begriff
der
Internationalisierung
meint
den
allmählichen
Prozess
transkultureller Durchdringung, der sich auf wirtschaftliche und soziale
Entwicklungen, auf kulturelle Ausdrucksformen und politische Regelungen
bezieht. Zudem sind die Europäisierung und die Zuwanderung von Migrantinnen
und Migranten als Teil der Internationalisierung zu sehen.
54
Situation bikultureller Jugendlicher
Zum Ausdruck kommt die Internationalisierung durch das Vordringen von
Informationen aus aller Welt, sowie die Integration vereinbarter Rechtsansprüche
in soziale und personale Wahrnehmungs- und Deutungsmuster. In Deutschland
gehört heutzutage die Auseinandersetzung mit anderen Kulturen zu den
selbstverständlichen Merkmalen der Lebensführung und des Aufwachsens.
Für Kinder und Jugendliche ergibt sich daraus konkret eine Ausdehnung der
Erfahrungs- und Aneignungsmöglichkeiten, die den individuellen Horizont
erweitern und bereichernd für Bildungsprozesse sein können. Zugleich kann aber
auch ein Gefühl der Überforderung auftreten. Diese Überforderung äußert sich bei
jungen
Menschen
ohne
Voreingenommenheiten,
Migrationshintergrund
Fremdheitserfahrungen,
dann
z.B.
in
Stereotypisierungen
und
Verunsicherungen. Bei Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund
können unzureichende Anstrengungen bezüglich ihrer Integration in die jeweilige
Aufnahmegesellschaft, zu Ausgrenzungs- und Benachteiligungserfahrungen
führen. Das kann wiederum zu Entwicklungsproblemen und Verhaltensweisen
führen, die eine fähigkeitsgerechte Bildungsbeteiligung erschweren und die
soziale Partizipation beeinträchtigen.
Das Bundesministerium vermutet:
„Angesichts demographischer, ökonomischer und politischer Entwicklungen ist
von einer weiteren Verflechtung und Durchmischung der Nationen und Kulturen
in Deutschland auszugehen“ (BMFSFJ 2005: 72).
Aufwachsen in einer sich alternden Gesellschaft
In Deutschland wachsen Kinder und Jugendliche in einer zunehmend alternden
Gesellschaft
auf.
„Im
Jahr
2030
wird-
nahezu
unabhängig
vom
Zuwanderungsgeschehen- etwa jede dritte Person in Deutschland 60 Jahre alt
oder älter und nur noch jede sechste wird unter 20 Jahre alt sein“
(BMFSFJ 2005: 73).
Durch die Verschiebung der Altersstruktur ergeben sich für Kinder und
Jugendliche Probleme, deren Lösungen noch nicht bereit liegen.
55
Situation bikultureller Jugendlicher
Es können nicht nur Generationenkonflikte entstehen, sondern der Wandel kann
sich auch auf die Lebenslagen von Kindern und Jugendlichen, sowie auf ihre
Entwicklungs- und Bildungschancen beziehen.
3.2.2 Soziale und gesellschaftliche Partizipation als Bedingung des
Aufwachsens
Die soziale und gesellschaftliche Partizipation ist wesentlich von der Position der
Mitglieder in der sozialen Ordnung abhängig. Sie wird bestimmt durch die sozioökonomische Lage, die ethnische Zugehörigkeit, das Geschlecht und durch die
regionalen Lebensbedingungen. Diese Faktoren stehen in enger Wechselwirkung
zueinander.
Die sozio-ökonomische Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen hängt
weitestgehend von dem Bildungsniveau und der dementsprechenden beruflichen
Tätigkeit und daran angeknüpft dem Einkommen, der jeweilige Familienform, der
Anzahl und dem Alter der Kinder ab. Alleinerziehende haben es am schwersten
und sind einem hohen Armutsrisiko ausgesetzt. Insgesamt hat seit 1990 die
Armutssituation der Kinder und Jugendlichen zugenommen. Im Jahre 2003 ist die
Armutsrate bei allen Altersgruppen sehr hoch, besonders stark betroffen sind
Kinder unter fünf Jahren. Das Bundesministerium hat herausgefunden, dass die
sozio-ökonomische Lebenssituation im Kontext zu der Lebensform des
Haushaltes steht.
Die ethnische Zugehörigkeit in Bezug auf die Partizipation am gesellschaftlichen
und
sozialen
Leben
ist
entscheidend,
da
sich
Differenzen
in
der
Bildungsbeteiligung, in den Bildungsabschlüssen, im beruflichen Status der
Eltern, sowie in den unterschiedlichen sozio-ökonomischen Lebenslagen
zwischen jungen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund gezeigt haben.
Zum Beispiel sind bei ausländischen Jugendlichen in den letzten zehn Jahren nur
geringe Veränderungen beim Besuch der unterschiedlichen Schularten zu
beobachten. Die höchsten Zunahmen bezogen auf die Schularten sind bei den
Gesamt- und Sonderschulen zu verzeichnen. Dabei sind jedoch herkunftsbedingte
und geschlechtsspezifische Unterschiede zwischen den unterschiedlichen Gruppen
zu beachten. Darüber hinaus spielt für das Erreichen eines höheren Abschlusses
das elterliche Bildungsniveau eine große Rolle.
56
Situation bikultureller Jugendlicher
Die Geschlechter scheinen sich heutzutage in Deutschland in vielen Einstellungsund Handlungsorientierungen, sowie Lebensweisen anzugleichen. Belegt wird
dies
vom
Bundesministerium,
zum
Beispiel
anhand
der
höheren
Bildungsabschlüsse bei Mädchen, der Zunahme weiblicher Studierender usw. Es
gibt nach wie vor Benachteiligungsstrukturen, diese sind aber für die vorliegende
Arbeit nicht weiter relevant.
Ein wichtiger Aspekt für die Beteiligung am sozialen und gesellschaftlichen
Leben Kinder und Jugendlicher ist die Region, in der sie leben. Regionale und
lokale Umwelten stellen für Kinder und Jugendliche primäre Räume zur
Aneignung der dinglichen und sozialen Welt, der Versorgung mit Konsumgütern
und Dienstleistungen, der Ausstattung mit Erziehungs-, Bildungs- und
Unterstützungsangeboten, sowie der Reproduktion und Regeneration dar.
Regionale Ungleichheiten nehmen Einfluss auf das Aufwachsen der Kinder und
Jugendlichen, sie wirken im Wesentlichen über (BMFSFJ 2005: 86)
¾ alters- und haushaltsspezifische sowie soziale und kulturelle Mischungen
bzw. Entmischungen in der Bevölkerungszusammensetzung des sozialen
Umfeldes,
¾ die
Verfügbarkeit
und
die
Qualität
des
Wohnungs-
und
Freiflächenangebots,
¾ den Zugang zu Angeboten für Bildung, Erziehung und Betreuung (z.B.
Schulen, Kindertageseinrichtungen, soziale und kulturelle Angebote),
¾ die Versorgung mit Kommunikations- und Unterstützungsangeboten sowie
mit haushaltsbezogenen Dienstleistungen und Gütern sowie
¾ unterschiedliche
individuelle
sowie
familiäre
sozio-ökonomische
Gestaltungsspielräume und Zukunftsperspektiven im Zusammenhang mit
dem regionalen Arbeitsplatzangebot und mit Armutsrisiken.
Zudem unterscheidet das Bundesministerium drei unterschiedliche Bereiche des
Aufwachsens: Zum einen das Aufwachsen in der Stadt, zweitens das Aufwachsen
auf dem Lande und drittens das Aufwachsen unter dem Aspekt großräumiger
Disparitäten.
57
Situation bikultureller Jugendlicher
So bietet das Aufwachsen in der Stadt eine vergleichsweise hohe Vielfalt sozialer
Erfahrungsmöglichkeiten durch unterschiedliche Betreuungs-, Freizeit- und
Bildungsangebote,
sowie
eine
bunte
Mischung
verschiedener
Bevölkerungsgruppen und –schichten. Jedoch gibt es auch innerhalb von Städten
auch Differenzen je nach Wohnlage.
Das Wohnen in ländlichen Gegenden hat sich weitestgehend der städtischen
Lebenswelt angenähert, jedoch ist der Zugang zu den eben genannten Angeboten
oftmals schwieriger zu erreichen, da ländliche Räume durch geringere
infrastrukturelle Dichte gekennzeichnet sind. Kinder und Jugendliche, die auf dem
Land wohnen, profitieren in der Regel von geringen Verkehrsbelastungen. Die
Möglichkeiten
interkulturelle
Erfahrungen
zu
machen,
sind
allerdings
eingeschränkt, da in ländlichen Gebieten kaum ausländische Familien leben.
Aufwachsen unter dem Aspekt großräumiger Disparitäten meint z.B. die
Ungleichheiten des Aufwachsens zwischen Ost- und Westdeutschland.
3.3 Jugendmilieus
Nachdem der Begriff der Jugendlichen allgemein und die gesellschaftlichen
Rahmenbedingungen geklärt wurden, wird nun genauer auf die Jugendmilieus in
Deutschland eingegangen. An dieser Stelle soll darauf aufmerksam gemacht
werden, dass bikulturelle Jugendliche nicht separat genannt werden und somit
unter deutsche und ausländische Jugendliche fallen. Die Jugendmilieus sollen
einen Einblick über die allgemeine Situation der Jugendlichen in Deutschland
geben.
In der 13. Shell Studie wurde herausgefunden, „dass Wertorientierungen (falls sie
das
je
gewesen
sein
sollten)
keine
stabilen
und
klar
trennenden
Verhaltensprädikatoren mehr sind, denen in einer 1:1 –Entsprechung bestimmte
Handlungen folgen. Dennoch hängen die Wertorientierungen nicht nur eng mit
den Sozialisationsvoraussetzungen, sondern auch mit der eigenen Zukunftssicht
und den Lebensplanungsmustern zusammen“
(Deutsche Shell, Band 1, 2000: 138).
58
Situation bikultureller Jugendlicher
In einer Befragung der 13. Shell Studie werden die Zusammenhänge zwischen
Sozialisationsbilanz, Lebenshaltungen, Wertorientierungen und Planungsmustern
sehr gut zusammengefasst und die Jugendlichen in fünf verschiedene Jugendtypen
eingeteilt.
Dadurch
werden
Gruppenunterschiede
in
den
Lebenslaufvoraussetzungen, in den Einstellungen und biographischen Absichten
deutlich. Im Folgenden werden die fünf Typen näher beschrieben:
Die „Distanzierten“ (17%)
Zu dieser Gruppe gehören überwiegend junge Männer, dessen Durchschnittsalter
19,6 Jahre beträgt. Überwiegend sind Berufsschüler, junge Arbeiter, Arbeitslose
und zum Teil Studenten vertreten, die wenig Wertorientierung haben. Der
Ausländeranteil ist in dieser Gruppe am stärksten, insbesondere der Anteil der
türkischen Jugendlichen. Das Bildungsniveau der Eltern ist das niedrigste
gegenüber dem der Vergleichsgruppen. Über die Hälfte der Jugendlichen lebt in
Großstädten und industriellen Mittelstädten. Sie sind häufig streng erzogen und
würden ihre eigenen Kinder anders erziehen. Dementsprechend sind die Eltern
und andere Verwandte als Bezugspersonen wenig wichtig. Die Jugendlichen
dieser Gruppe leben stark gegenwartsorientiert und fühlen sich schlecht auf die
Zukunft vorbereitet. Genussorientierung steht deutlich vor Leistungsorientierung,
zudem sind sie nicht sehr anpassungsbereit und ziehen sich stark ins Privatleben
zurück. Die Jugendlichen dieser Gruppe sehen viel fern und sind die Arbeit
betreffend nur durchschnittlich mobilitätsbereit. Das Interesse an Politik ist in
dieser Vergleichsgruppe sehr niedrig. Die Auffassung Ausländer und Deutsche
könnten voneinander lernen, ist in dieser Gruppe am niedrigsten. Es besteht nicht
nur ein geringes Interesse an Politik, sondern auch an der europäischen Einigung.
Viele Jugendliche nehmen Europa als irrelevant für sich selbst wahr und sehen
eher Nachteile als Vorteile für das Individuum.
Die „Freizeitorientierten“ (16%)
Diese Gruppe besteht zu zwei Dritteln aus jungen Frauen. Das Durchschnittsalter
beträgt, wie in der ersten Gruppe, 19,6 Jahre. Der Ausländeranteil unter den
Jugendlichen in dieser Gruppe ist am niedrigsten. Sie kommen größtenteils aus
ländlichen Gebieten, nur wenige wohnen in Großstädten.
59
Situation bikultureller Jugendlicher
Das Bildungsniveau der Eltern ist ein wenig höher als das der ersten Gruppe,
dennoch liegt es unter dem Durchschnitt der anderen Vergleichsgruppen. Nur
einige Jugendliche sind der Auffassung, sie seien streng erzogen worden und
würden ihre Kinder ähnlich wie ihre Eltern erziehen. Die Eltern haben als
Bezugspersonen eine eher unwichtige Stellung. Der Beruf spielt eine
unwesentliche Rolle, sie interessieren sich stärker für ihr Freizeitleben mit
Freunden, Hobbys usw. Die Jugendlichen ziehen, stärker als die erste Gruppe, ein
genussorientiertes Leben dem leistungsorientierten Leben vor, zudem ziehen sie
sich ebenfalls in das Privatleben zurück. Sie glauben eher als die erste Gruppe,
dass sie ihre Zukunft nach eigenen Vorstellungen gestalten können, sind aber
dennoch nicht sehr optimistisch. Der gesellschaftliche Pessimismus ist in dieser
Gruppe
am
stärksten
ausgeprägt.
Das
politische
Interesse
in
dieser
Vergleichsgruppe ist am niedrigsten von allen. Die Meinung, dass Deutsche und
Ausländer voneinander lernen können, ist ebenfalls nicht weit verbreitet. In dieser
Gruppe ist die Ausländerfeindlichkeit am stärksten ausgeprägt. Die Zustimmung
zur Irrelevanz von Europa für den Einzelnen ist in dieser Gruppe am stärksten
ausgeprägt.
Die „Vielseitigen“ (25%)
In diesem Viertel aller befragten Jugendlichen sind gleichermaßen Jungen und
Mädchen vertreten. Das Durchschnittsalter beträgt 19,4 Jahre und ist somit die
jüngste Vergleichsgruppe. Jeder Zehnte dieser Gruppe ist ein ausländischer
Jugendlicher. Sie kommen überwiegend aus Klein- und Großstädten. Das
Bildungsniveau der Eltern ist mittelmäßig. Der Erziehungsstil der Eltern ist
keineswegs streng, sondern als demokratisch anzusehen. Die Jugendlichen dieser
Gruppe verfügen über ausgesprochen hohe Persönlichkeitsressourcen und
glauben, dass sie ihre Zukunft nach eigenen Vorstellungen gestalten können. Im
Gegensatz zu den erstgenannten Gruppen verfügen sie über eine klare
Lebensplanung mit positivem Blick in die Zukunft. Sie sind äußerst
mobilitätsbereit und leistungsorientiert. Die Eltern und andere Bezugspersonen,
wie z.B. Freunde spielen eine überdurchschnittlich wichtige Rolle. Die
Fernsehnutzung liegt im mittleren Bereich. Zudem ist das Technikinteresse in
dieser Gruppe vergleichsweise stark ausgebildet. Das Interesse an Politik und an
Europa ist ebenfalls sehr hoch.
60
Situation bikultureller Jugendlicher
Die Jugendlichen dieser Gruppe sind der Überzeugung, dass Deutsche und
Ausländer gleichermaßen voneinander lernen können.
Die „Modernen“ (22%)
Diese Gruppe macht ca. ein Fünftel der befragten Jugendlichen aus und besteht zu
60% aus jungen Männern. Das Durchschnittalter beträgt 19,5 Jahre. Überwiegend
kommen die Jugendlichen aus Mittel- und Großstädten. Das Bildungsniveau der
Eltern ist relativ hoch. Es sind überdurchschnittlich viele Schüler in dieser Gruppe
zu verzeichnen. Jeder Zehnte dieser Gruppe ist ein deutscher Jugendlicher. Die
Herkunftsfamilie spielt für diese Jugendlichen eine geringe Rolle, Eltern und
Geschwister sind von durchschnittlicher Bedeutung, andere Bezugspersonen eher
unwichtig. Jedoch sind gute Freunde für diese Jugendlichen sehr wichtig. Ihre
persönlichen Ressourcen sind durchschnittlich. Die eigene Zukunftssicht ist recht
zuversichtlich, die gesellschaftliche Zukunft wird von dieser Vergleichsgruppe
sogar am optimistischsten bewertet. Die Jugendlichen sind vielseitig interessiert
und glauben, dass sie ihre Zukunft nach eigenen Vorstellungen gestalten können.
Des Weiteren ist anzumerken, dass sie sehr mobilitätsbereit sind, was den Beruf
angeht. Das Technikinteresse ist in dieser Gruppe am stärksten ausgeprägt.
Darüber hinaus ist das Politikinteresse außergewöhnlich hoch und die meisten
Jugendlichen sehen Europa als Chance und erhoffen sich Vorteile dadurch.
Hinsichtlich der Lebenskonzepte ist ihnen eine familienzentrierte Lebensführung
am unwichtigsten. Diese Jugendlichen bilden die Hoffnungsträger der Wirtschaft,
da überdurchschnittlich viele Studenten vertreten sind. Die Jugendlichen dieser
Gruppe sind der Meinung, dass Ausländer eher von Deutschen lernen können als
umgekehrt.
Die „Traditionellen“ (20%)
Diese Gruppe macht ein Fünftel aller Jugendlichen aus, das Durchschnittsalter
beträgt 19,7 Jahre und stellt somit die älteste Gruppe dar. 51% sind Frauen.
Studenten sind in dieser Gruppe überproportional vertreten. Sie erscheinen als
äußerst konservativ und angepasst. Insgesamt ist in dieser Gruppe das höchste
Bildungsniveau zu verzeichnen. Sie leben überwiegend auf dem Lande, kommen
aus Dörfern in der Nähe von Mittel- und Großstädten oder aus industriellen
Kleinstädten.
61
Situation bikultureller Jugendlicher
Die Beziehung der Jugendlichen zu ihren Eltern, ist als demokratisch anzusehen
und die meisten würden ihre Kinder genauso wie ihre Eltern erziehen. Die
gesellschaftliche Zukunft sehen diese Jugendlichen sehr positiv, auch ihrer
eigenen Zukunft sehen sie optimistisch entgegen. Sie sind sehr zukunftsorientiert
und
betonen
die
Rücksichtsnahme
auf
andere
Menschen
von
allen
Vergleichsgruppen am stärksten. Deshalb werden sie als die Sozialorientierten
bezeichnet, da ihnen eine interessante Tätigkeit wichtiger ist als ein hohes Gehalt.
Medien sind ihnen weniger wichtig, attraktiver ist für diese Jugendlichen der
Sozial- und Bildungsbereich. Der Großteil der Jugendlichen vertritt die Meinung,
dass Deutsche und Ausländer gleichermaßen voneinander lernen können. In dieser
Gruppe ist das Interesse an Politik im Allgemeinen und an Europa am größten. Sie
erhoffen sich durch die europäische Einigung persönliche Vorteile (Vgl. Deutsche
Shell, Band 1, 2000: 138-155).
3.4 Lebenswelt bikultureller Jugendliche
In den nachstehenden Ausführungen werden die Lebenswelten bikultureller
Jugendlicher im Hinblick auf ihre Identitätsentwicklung näher erläutert. Nachdem
die Identitätsentwicklung nach Keupp et. al als Patchwork Identität beschrieben
wurde, soll an dieser Stelle ein anderer Begriff hinzugefügt werden, der ergänzend
sehr gut zu dem der Patchwork Identität passt: Generation Crossover.
Ursprünglich ist er ein Synonym aus der Musikszene und bezeichnet einen
bestimmten Musikstil. Crossoverbands charakterisieren Grenzgänger zwischen
Jazz, Rock, Folk und Pop. Crossover ist ein Synonym für schräg, schrill und
innovativ. Auf die Lebenswelt Jugendlicher bezogen, bedeutet dies, Neues zu
gestalten, alte Muster „über Bord zu werfen“, der eigenen Kreativität freien Lauf
zu lassen und damit wiederum eine Vielfalt an Möglichkeiten zu entdecken.
Crossover ist ein Netzwerk für Jugendkultur, das vom Bundesjugendministerium
gefördert wird. Spohn hat sich ausgiebig mit dieser Thematik auseinandergesetzt
und
merkt
an,
„die
Jugend
ist
ein
Zustandsbeschreibung“ (Spohn 2004: 29).
62
Generationenbegriff
und
keine
Situation bikultureller Jugendlicher
Die Gruppe der bikulturellen Jugendlichen ist sehr vielfältig. Im Folgenden sollen
die unterschiedlichen Lebenswelten von Kindern aus Familien mit einem
deutschen Elternteil und einem ausländischen Elternteil und Kindern aus
Migrantenfamilien dargestellt werden.
3.4.1
Sozialisation
bikultureller
Jugendlicher
mit
Elternteilen
unterschiedlicher Nationalitäten
Wird heutzutage im deutschen Sprachgebrauch von einer bikulturellen,
binationalen oder sogar interkulturellen Beziehung gesprochen, so ist damit eine
„intermarriage“ gemeint. Der Begriff stammt aus den USA, die hinsichtlich
dieser Thematik eine lange Forschungstradition haben (Vgl. Elschenbroich: 364).
Binationale bzw. bikulturelle Paare sind angesichts der sich wandelnden
Lebensverhältnisse, ein stetig wachsender Teil der deutschen Gesellschaft. Wie
im ersten Kapitel erwähnt, ist jede sechste Eheschließung in Deutschland eine
binationale. Hinsichtlich der bevorzugten Länder bei der Partnerwahl sind
geschlechtsspezifische Besonderheiten festzustellen. Deutsche Männer haben
überwiegend Beziehungen mit Frauen aus osteuropäischen Ländern, mit großem
Abstand folgend dann Frauen aus Asien und anderen EU-Staaten. Deutsche
Frauen indessen gehen überwiegend Beziehungen mit türkischen Partnern ein,
folgend von Partnern aus EU Staaten, wie z.B. Italien, den Niederlande usw. Im
Jahre 2002 wurden 719.250 Kinder geboren, davon 155.245 Kinder binational.
Das bedeutet, dass jedes fünfte Kind bikulturell aufwächst. Neben den ehelich
geborenen Kindern, sind noch die unehelich geborenen Kinder deutscher Mütter
zu verzeichnen. Insgesamt sind 170.915 Geburten registriert. Einige von ihnen
könnten ausländische Väter haben, die statistisch nicht erfasst sind, den Anteil der
bikulturellen Kinder aber noch einmal erhöhen würden (Vgl. StöckerZafari/Wegner 2004: 17-22).
Binationale Kinder und Jugendliche wachsen in einer bikulturellen Situation auf,
die geprägt ist von beiden Kulturen der Eltern, dem Migrationskomplex und den
Reaktionen der Umwelt. Mit Migrationskomplex sind die Migrationserfahrungen
und -verarbeitung des ausländischen Elternteils gemeint (Vgl. Pandey 1990: 3753).
63
Situation bikultureller Jugendlicher
Ob diese bikulturelle Situation für Kinder und Jugendliche als belastend oder als
bereichernd anzusehen ist, wird im Folgenden näher erörtert. Nachstehende
Aspekte oder Spannungsfelder sind nach Pandey benannt (Vgl. Pandey 1990:
87ff):
Zweisprachigkeit
Für eine zweisprachige Erziehung eines Kindes in einem bikulturellen Elternhaus
sprechen vor allem folgende Gründe (Pandey 1990: 129):
¾ Die Eltern können sich mit dem Kind in ihrer eigenen Sprache besser und
direkter mitteilen als in einer Fremdsprache.
¾ Das Kind erfährt durch die Zweisprachigkeit der Familie, dass die
ausländische Sprache genauso viel wert ist, wie die inländische.
¾ Das Kind kann sich mit seinen ausländischen Angehörigen verständigen
und hat keine Sprachprobleme bei Besuchen im Heimatland.
¾ Die Zweisprachigkeit stärkt das Selbstwertgefühl des Kindes
Diese Gründe für Mehrsprachigkeit gelten unabhängig davon, ob die ausländische
Sprache des Elternteils eine international gebräuchliche ist oder nicht.
Es gibt verschiedene Methoden zur zweisprachigen Erziehung. Zum einen können
die Sprachen nacheinander gelernt werden, zum anderen können sie auch
gleichzeitig gelernt werden. Letzteres ist in bikulturellen Familien eher der Fall.
In einer bikulturellen Familienwelt aufzuwachsen, in der mehrere Sprachen
gesprochen werden, erfordert von den Kindern und Jugendlichen, sich mit
unterschiedlichen kulturellen Zusammenhängen auseinander zu setzen. Aus
diesen Teilen des interkulturellen Lebenszusammenhangs versuchen die Kinder
und Jugendlichen wiederum ihre eigene Identität zu finden bzw. herauszubilden.
Die andere Sprache stellt eine wichtige Verbindung zum ausländischen Teil dar
und ist teilweise die einzige Möglichkeit mit im Ausland lebenden Verwandten
und Familienmitgliedern zu kommunizieren. Eine gute sprachliche Kompetenz in
der dominanten Umgebungssprache, also deutsch, ist ebenfalls sehr wichtig. Sie
befähigt dazu, sich am sozialen, ökonomischen und politischen Leben der
deutschen Gesellschaft zu beteiligen.
64
Situation bikultureller Jugendlicher
Das monolinguale Bildungssystem Deutschlands bekräftigt die Unverzichtbarkeit
einer guten deutschen Sprachkompetenz, um letztendlich eine erfolgreiche
Bildungskarriere einzuschneiden.
Die frühste Kindheit und das soziale und gesellschaftliche Wissen, die kulturellen
Normen und Werte, die durch diese Sprachen vermittelt werden, sind sehr eng mit
der Entwicklung einer gefestigten persönlichen Identität verbunden. Die Kinder
und
Jugendlichen,
die
mehrsprachig
in
unterschiedliche
soziale
und
gesellschaftliche Gruppen hineinwachsen, erleben ihre Mehrsprachigkeit als
Ergänzung und Bereicherung. Für sie gehört es zum selbstverständlichen Alltag,
sich in zwei verschiedenen Sprachen und Welten zu bewegen. Damit die
Mehrsprachigkeit ausgewogen ist, bedarf es einer entsprechenden Förderung in
den jeweiligen Sprachen.
Mehrsprachigkeit, die unter günstigen Bedingungen gelernt wurde, bringt sehr
häufig Vorteile in anderen Entwicklungsbereichen mit sich. Mehrsprachigkeit
erfordert ein höheres Maß an Reflexion über Sprache und mehr Flexibilität und
Kreativität beim Einsatz von Sprache. Das sprechen zweier Sprachen kann sich
auch auf andere kognitive Leistungen auswirken, wie z.B. das mathematische
Denken. Die Vorzüge zweisprachiger Erziehung sind zudem von der dahinter
stehenden Grundhaltung der Eltern abhängig, die positiv sein sollte.
Kinder und Jugendliche, die sich in mehreren Sprachen ausdrücken können, haben
oft die wichtigen Aufgaben der Verbindung und Vermittlung zweier
unterschiedlicher Kulturen.
Mehrsprachigkeit
wird
als
eine
Quelle
der
Anerkennung
und
Selbstwertentwicklung gesehen, da Wissen, das über mehr als nur eine Sprache
erfasst wird, umfangreicher und komplexer ist. Mehrsprachige Kinder und
Jugendliche haben oft das Gefühl, mehr oder besser Bescheid zu wissen über
kulturelle Gegebenheiten. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Sprachen reflektieren
und vergleichen sie mehr, reagieren flexibel und stellen sich schnell auf neue
Situationen ein. Regeln und logische Zusammenhänge können sie schneller
erkennen, da sie es aus ihrem bikulturellen Lebensalltag gewohnt sind.
Die Umwelt fördert zunehmend solche besonderen Fähigkeiten. Mehrsprachigkeit
wird als Kompetenz und als zusätzliche Qualifikation anerkannt. Dennoch gibt es
Unterschiede. Je nachdem, um welche Sprache es sich handelt, erfahren die
Kinder und Jugendlichen unterschiedliche Wertschätzung.
65
Situation bikultureller Jugendlicher
Religion
Von vielen Menschen werden Ehen mit Personen anderer Religionen
gesellschaftlich und von anderen Religionsgemeinschaften nicht akzeptiert.
In Deutschland begegnen viele Menschen Personen anderer Religionen,
insbesondere in der heutigen Zeit Muslimen, mit Angst und Abwehr. Die Medien
verstärken diese Angst und lassen Vorurteile wachsen. Binationale Familien
bleiben von solchen Ängsten und Vorurteilen oft nicht verschont. Wenn die
Religion in einer bikulturellen Familie Oberhand gewinnt, führt dies zwangsläufig
zu Konflikten. An dieser Stelle soll aber betont werden, dass solche Konflikte
auch bei gleichen Religionszugehörigkeiten entstehen können. Es muss
berücksichtigt werden, dass Religiosität in anderen Teilen der Welt einen ganz
anderen Stellenwert hat, als in Deutschland bzw. in Europa. Das zeigen
gegenwärtig die Medien. Nicht nur für einen Muslim, sondern auch für einen
christlichen Filipino, kann die in Deutschland zum Teil herrschende
Ungläubigkeit erschreckend sein. Leider gibt es kein Patentrezept über den
Umgang mit verschiedener Religiosität. Für einige Paare scheint die Konversion
in die andere Religion die einzige Möglichkeit, ein konfliktfreies Leben zu führen.
In diesem Falle ist die Religionszugehörigkeit des Kindes schon entschieden.
Andere bikulturelle Paare lassen ihre Kinder religionslos aufwachsen oder sind
der Meinung, dass diese selbst entscheiden sollten welcher Religion sie angehören
möchten. In manchen Familien werden Kinder deshalb mit Ritualen beider
vertretenen Religionen vertraut gemacht, zum Beispiel durch Geschichten,
Gebete. Lieder usw. In manchen Fällen überlässt ein Elterteil dem anderen auch
die religiöse Erziehung.
Mit gegenseitigem Einfühlungsvermögen und Respekt ist das Zusammenleben
von Menschen unterschiedlicher Religion möglich. Es ergibt sich daraus die
Notwendigkeit, klare Vereinbarungen bezüglich der Religion zu treffen, damit das
Kind und der Jugendliche in seiner Identität keine Diffusion erfährt.
Familienrollen
Jedes Individuum spielt in seinem Leben verschiedene Rollen, in denen er sich
präsentieren muss, darunter fallen auch Familienrollen. Was er oder sie als
Schwester, Bruder, Vater, Mutter usw. für Aufgaben erfüllen muss, wird zum
großen Teil durch die Bezugsgruppen bestimmt.
66
Situation bikultureller Jugendlicher
Diese orientieren sich wiederum an den Werten und Normen der jeweiligen
Kultur. Dementsprechend sind auch Familienrollen kulturell bedingt verschieden.
In bikulturellen Familien kann es aufgrund verschiedener Rollenerwartungen zu
Konfliktsituationen kommen.
Angstphantasien richten sich vor allem auf das Heranwachsen der Tochter, wenn
der Vater aus einem patriarchalisch geprägten Kulturkreis kommt. Die Mütter
befürchten oft der Vater könnte der eigenen Tochter die Freiheit entziehen. Die
Väter hingegen sind der Auffassung, ihre Tochter werde durch vorzeitige sexuelle
Erfahrungen verdorben. Des Öfteren entstehen Konflikte, weil der Vater an seinen
kulturüblichen Rollenmustern festhält und diese durchzusetzen versucht. Diese
Vorstellungen sind nicht nur in der islamischen Kultur zu finden, sondern auch in
anderen religiösen Kulturkreisen vertreten. Es stellt sich heraus, dass durch die
Sorgen der Mutter um die Tochter und der Verbundenheit des Vaters in die
deutsche Kultur, solche Konflikte gar nicht oder nur in geringem Maße auftreten.
Die Pubertät des Sohnes und die Ablösung von der Familie erweisen sich ebenso
als problematisch, da die Ablösung in vielen Kulturen nicht oder in einer anderen
Weise erfolgt.
Solche beschriebenen Rollenkonflikte können gelöst werden, wenn einer der
beiden Partner sich von seinen kulturüblichen Verhaltensweisen bzw. Rollen löst.
Daraus kann resultieren, dass eine einseitige Anpassung stattfindet, indem der
Partner das andere kulturelle Muster auf Dauer übernimmt. Dies ist allerdings
selten der Fall, da der ausländische Partner sich zwangsweise an die deutschen
Muster anpassen muss. Bei einem Besuch im Heimatland verhält es sich in der
Regel so, dass der deutsche Partner sich den dortigen Rollen anpasst.
In
bikulturellen
Familien
sind
vorübergehende
Anpassungen
je
nach
Lebensbereich und Situation sehr häufig anzutreffen. In der Gesellschaft
ausländischer Freunde verhält man sich z.B. anders, als bei deutschen Freunden.
Der „goldene Mittelweg“ scheint auf Dauer eine Lösung für klare Familienrollen
zu sein, denn dadurch werden neue Rollen kreiert, mit der beide Partner
einverstanden sind. Für bikulturelle Kinder und Jugendliche sind diese
verschiedenen Rollenübernahmen der Eltern, je nach Situation, sehr wichtig, da
sie einen Wegweiser darstellen. Dadurch lernen sie, wie mit den unterschiedlichen
Rollenerwartungen umgegangen werden kann, ohne sich aufzugeben oder zu
verlieren.
67
Situation bikultureller Jugendlicher
„Gerade die Distanz zu den Rollenerwartungen, die die Kinder in bikulturellen
Familien lernen (müssen), bietet eine Chance, das Spiel auf der Weltbühne zu
durchschauen und umso besser und leichter mitspielen zu können“
(Pandey 1990: 202).
Bezogen auf die Identitätsentwicklung von Kindern und Jugendlichen bedeutet
dies, dass Eltern ein klares Rollenverhalten, je nach Situation bzw. kultureller
Umgebung, vorleben müssen, damit die Kinder und Jugendlichen eine gesunde
Identität herausbilden können.
Auseinandersetzung mit der Umwelt
Manche Menschen gehen davon aus, dass bikulturelle Paare aufgrund massiver
kultureller Unterschiede keinen dauerhaften Bestand haben. Angehörige derselben
sozialen, nationalen und religiösen Gruppe haben eine größere Aussicht, dass
ihnen die Stabilität von Paarbeziehungen zugeschrieben wird. Dieses Phänomen
wird als Endogamieregel bezeichnet. Binationalen bzw. bikulturellen Paaren
werden oft Fragen über ihr Zusammenleben gestellt, die sie als zwiespältig
erleben. Auf der einen Seite sehen sie die Neugier und das Interesse der
Menschen, auf der anderen Seite werden aber auch persönliche Grenzen
überschritten. Solche Fragen würden ausbleiben, wenn der Partner aus dem
gleichen Land käme.
Bikulturelle Paare stoßen gesellschaftlich auf unterschiedliche Widerstände.
Abhängig von verschiedenen Merkmalen, wie Hautfarbe, sozialer Status,
Wohnort, sozialem Umfeld usw. werden sie dementsprechend ablehnend und
diskriminierend oder freundlich empfangen. Die Herkunft des ausländischen
Elternteils spielt dabei eine große Rolle, da nicht alle Länder auf dieser Welt
gleiches gesellschaftliches Ansehen genießen. Es ist eine Hierarchie der
Nationalitäten
und
kulturellen
Werte
zu
beobachten.
Durch
das
Zusammenwachsen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union entwickelt sich
eine Distanz zu außereuropäischen Staaten, insbesondere gegenüber wirtschaftlich
schwächeren Ländern. Besonders deutlich ist diese Distanz zwischen Afrika und
Asien zu beobachten. Menschen, die aus diesen Kontinenten stammen, erfahren
oft allein aufgrund ihrer Herkunft eine ablehnende Haltung. Diese kann durch
einen hohen Bildungsstand und berufliche Qualifikationen gemildert werden.
68
Situation bikultureller Jugendlicher
Akzeptiert die Gesellschaft die bikulturelle Beziehung wirkt sich das positiv auf
die Entwicklung des Paares aus. An dieser Stelle soll betont werden, dass
Sympathien und Antipathien gegenüber bestimmten Ländern von der Weltpolitik
mitbestimmt werden und somit einem zeitlichen Wandel unterliegen.
Die Zustimmung der eigenen Familie und der Umwelt kann sehr entlastend sein
und sich positiv auf die Selbstwahrnehmung des bikulturellen Paares auswirken.
Bikulturelle Paare machen häufig Erfahrungen mit Diskriminierung. Zum einen
erleben
sie
strukturelle
Diskriminierung,
zum
anderen
gesellschaftliche
Diskriminierung. Mit struktureller Diskriminierung sind z.B. das deutsche
Verwaltungshandeln und die Nichtanerkennung ausländischer Berufs- und
Studienabschlüsse gemeint. Mit gesellschaftlicher Diskriminierung ist z.B. die
Benachteiligung bei der Arbeits- und Wohnungssuche gemeint. Aber auch das
Verhalten einiger Mitbürger, wie etwa die Frage: „Haben Sie das Kind
adoptiert?“, ist als gesellschaftlich diskriminierend einzustufen.
Wenn sich Vorurteile gegenüber der bikulturellen Familie zuspitzen, kann es für
die Kinder und Jugendlichen bedeuten, dass sie einen Teil des Selbst als
minderwertig ansehen und kein positives, integriertes Bild ihres Selbst
entwickeln. Somit hat Diskriminierung Einfluss auf die Identität der Kinder und
Jugendlichen. Es ist notwendig, dass die Eltern auf zwei Ebenen gleichzeitig
handeln. Zum einen müssen sie ihr Kind positiv stärken, damit es den Vorurteilen
standhalten kann. Zum anderen sollen sie auf die Umwelt der Kinder und
Jugendlichen gestaltend einwirken, damit die Vorurteile ihre Wirkung verlieren.
Die seelische Stärkung des Kindes ist verbunden mit der Bekämpfung der eigenen
Vorurteile der Eltern, da sie diese sonst auf dem Weg der Kulturübertragung an
das Kind und den Jugendlichen weitergeben. Durch den Abbau gegenseitiger
Vorurteile wird die Beziehung der Eltern gefestigt, was dem Kind und dem
Jugendlichen mehr Sicherheit gibt. Zudem wirkt sich die gegenseitige Akzeptanz
positiv auf das Selbstwertgefühl des Kindes und des Jugendlichen aus und somit
auch auf die Identitätsentwicklung. Kontakt zu anderen bikulturellen und
ausländischen Kindern verstärkt die Erfahrung kultureller Vielfalt und verhindert,
dass sich das Kind als Außenseiter erlebt.
Durch das Vorbild der Eltern lernen die Kinder und Jugendlichen mit
Konfliktsituationen und Diskriminierungserfahrungen umzugehen.
69
Situation bikultureller Jugendlicher
Staatsangehörigkeit
Kinder, die in einer deutsch-ausländischen Ehe geboren werden, sind deutsche
Staatsbürger (Abstammungsprinzip). Ob sie zusätzlich zu der deutschen noch die
Staatsangehörigkeit ihrer ausländischen Elternteile erwerben, richtet sich nach
deren Heimatrecht. Seit 1. Januar 2000 gilt in Deutschland ergänzend zum
Abstammungsprinzip das Geburtsortprinzip. Unter bestimmten Voraussetzungen
ist das Kind automatisch mit der Geburt Deutsche oder Deutscher, auch wenn
keines der Elternteile die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt. In diesem Fall
müssen sich die Kinder aber nach Erreichen der Volljährigkeit für eine
Staatsangehörigkeit entscheiden (Vgl. Beauftragte der Bundesregierung für
Migration, Flüchtlinge und Integration 2005: 9).
Ob bikulturelle Kinder und Jugendliche eine oder zwei Staatsangehörigkeiten
haben, kann sich auf ihre Identitätsentwicklung auswirken. Denn, wenn sie sich
auf die zweifache Staatsangehörigkeit berufen können, fühlen sie sich vielleicht in
ihrer Bikulturalität bestärkt, was ihnen dann wiederum mehr Sicherheit und
Selbstwertgefühl gibt.
3.4.3
Sozialisation
bikultureller
Jugendlicher
mit
Migrationshintergrund
Jugendliche mit Migrationshintergrund haben neben generellen Problemen in der
Entwicklung noch die zusätzliche Aufgabe zu lösen, sich mit den konkurrierenden
Lebensmodellen der Herkunftskultur und der Aufnahmekultur auseinander
zusetzen. Freise merkt an, dass die fremde Kultur nicht überbewertet werden darf,
da erst die Anhäufung von Belastungen, wie etwa die Scheidung der Eltern, zu
Entwicklungsproblemen führt (Vgl. Freise 2005: 124-130). Wie bei den
gesellschaftlichen Rahmenbedingungen klar zu ersehen ist, gibt es neben der
beschriebenen alltäglichen Identitätsarbeit noch weitere Aspekte, die auf die
Kinder und Jugendlichen Einfluss nehmen, wie z.B. der schichtspezifische
Bildungszugang. Jugendliche mit Migrationshintergrund unterscheiden sich von
den Jugendlichen mit Elternteilen zwei unterschiedlicher Nationalitäten, dadurch,
dass sie durch die Familie keinen direkten Zugang zu der Aufnahmekultur
Deutschlands haben. Somit ist die gesellschaftliche Akzeptanz eine andere.
70
Situation bikultureller Jugendlicher
Im Folgenden werden fünf Aspekte der Orientierungsproblematik von
Migrantenjugendlichen aufgeführt. Diese beziehen sich schwerpunktmäßig auf
Jugendliche, die aus den orientalischen Kulturen stammen.
Kulturelle Werte und Normen
Kulturelle
Werte
und
Normen
entsprechen
einer
bestimmten
Form
gesellschaftlicher Lebenspraxis. Wenn sich das Land ändert, so müssen sich
dementsprechend auch die kulturellen Vorstellungen verändern bzw. anpassen.
Gemeint ist nicht eine völlige Anpassung, sondern in dem Maße, dass sie noch
dienlich ist. Für die Migrantenjugendlichen bedeutet das, dass sie zwischen den
kulturellen Werten und Normen der Herkunftskultur ihrer Eltern, und den
traditionellen Werten und Normen des Aufnahmelandes stehen. Dadurch entsteht
in den meisten Fällen eine Spannung zwischen aktueller Lebenspraxis und
kultureller Tradition, welches für die meisten Jugendlichen einen Konflikt
darstellt. Es ergibt sich die Frage nach dem persönlichen Sinn, denn für die
Migrantenjugendlichen gelten nicht nur die kulturellen Bedeutungen der
Herkunftskultur ihrer Eltern. Auernheimer merkt an: „Möglich ist als Ausweg
eine
stillschweigende
persönliche
Umdeutung
kultureller
Traditionen“
(Auernheimer 1988: 126).
Dadurch ergeben sich Probleme bei der Sinn- und Identitätsfindung. Verstärkt
werden diese durch die zunehmende Individualisierung in Deutschland, die häufig
in großer Konkurrenz zu den Kulturen der Migrantenjugendlichen steht.
In orientalischen Kulturen legitimiert z.B. erst die Heirat den Auszug aus dem
Elternhaus, bis dahin unterstehen die Kinder und Jugendlichen weitestgehend der
Weisungsbefugnis ihrer Eltern. Die Migrantenjugendlichen erleben, dass dieses
nicht der deutschen Realität entspricht. Die meisten Jugendlichen aus westlichen
Kulturen verlassen ihr Elternhaus, wenn die Ausbildung oder das Studium dies
erfordert und wenn die finanziellen Möglichkeiten gegeben sind. Die in
orientalischen Gesellschaften bestehende und starke Rollentrennung steht in
Konkurrenz zu der Deutschen Kultur, da es in der deutschen Kultur eine geringere
geschlechtspezifische Rollentrennung gibt. Eine weitere Unterscheidung bezieht
sich auf die Religion, die z.B. in der türkischen Kultur oft konstitutiver
71
Situation bikultureller Jugendlicher
Bestandteil
des
Aufwachsens
ist.
In
Deutschland
hingegen
wird
die
Religionserziehung eher leger gestaltet (Vgl. Freise 2005: 127).
Bezugsgruppenproblematik
Die eben beschriebene Entfremdungs- und Sinngebungsproblematik steht in enger
Verbindung zu der Bezugsgruppenproblematik. Migrantenjugendliche haben oft
Schwierigkeiten sich selbst zu verwirklichen, da sie durch die Gesellschaft
verunsichert
werden.
Zum
einen
erleben
sie
eine
Missbilligung
der
Herkunftskultur, zum anderen eine Ablehnung der Aufnahmegesellschaft. Diese
Problematik ergibt nicht nur eine Handlungsunsicherheit, sondern auch Probleme
bei der sozialen Selbstzuordnung und Selbstdefinition. Wie im zweiten Kapitel
dieser Arbeit herausgearbeitet wurde, gehört die Bestimmung der eigenen
Stellung in der Gesellschaft zu den Aufgaben der Identitätsbildung. Da dieses für
die Migrantenjugendlichen sehr schwierig ist, kommt es häufig zu einer
ethnischen Selbstzuordnung, der sie sich zwangsläufig nicht entziehen können.
Innere Konflikte entstehen für die Migrantenjugendlichen einerseits durch die
Diskriminierung, andererseits durch die Konfrontation mit Ausländerfeindlichkeit.
Diskriminierung gehört für viele Jugendliche zum Alltag in Deutschland. Viele
fühlen sich der Herkunftskultur der Eltern nicht verbunden aber der deutschen
Peer-group auch nicht zugehörig. Eine Lösung könnte hier in einem
Zusammenschluss
in
generationenspezifischen
eigenen
Ausländergruppen
bestehen (Vgl. Auernheimer 1988: 127).
Verhinderung von Lebensentwürfen
Die Identitätsentwicklung ausländischer Kinder und Jugendlicher wird durch
rechtliche, wirtschaftliche und kulturelle Aspekte geprägt, die zum Teil die
Verwirklichung von Lebensentwürfen be- oder verhindern. Die rechtliche Lage
verspricht teilweise keine klare Lebensplanung für Migrantenjugendliche.
Die
ausländerrechtlichen
Bestimmungen
und
die
Unsicherheiten
im
Aufenthaltserlaubnisrecht sind immens. Zudem sehen viele Jugendlichen ihre
Zukunftsperspektiven aufgrund der Jugendarbeitslosigkeit wenig positiv (Vgl.
Auernheimer 1990: 128).
72
Situation bikultureller Jugendlicher
Ein weiterer Punkt, der die Selbstverwirklichung der Migrantenjugendlichen
erheblich beeinflusst, ist der Druck der Eltern. Oft ist es nicht der eigene Wille der
Eltern,
sondern
der
soziale
Druck
der
islamischen
Glaubens-
und
Kulturgemeinschaft, der beispielsweise türkische Eltern dazu bewegt, ihren
Kindern mehr Reglementierengen aufzuerlegen, als sie das selbst eigentlich
möchten (Vgl. Freise 2005: 128).
Ansehen der Herkunftskultur
Die Identitätsentwicklung von Migrantenjugendlichen ist auch davon abhängig,
inwieweit sich die Herkunftsgruppe am politischen und kulturellen Leben in
Deutschland beteiligt und sich mit diesem auseinandersetzt. Ein entscheidender
Punkt ist, inwieweit die Minorität Gewissheit über ihre Lage und ein
Selbstbewusstsein entwickelt.
Gesellschaftliche Einschränkungen
Die
gesellschaftlichen
Einschränkungen
beziehen
sich
auf
die
Aneignungsmöglichkeiten. Migrantenjugendliche sind oft in zweifacher Weise
vom kulturellen Erbe ausgeschlossen, zum einen von der Herkunftskultur, zum
anderen
von
der
Aufnahmegesellschaft.
Da
in
Deutschland
viele
Migrantenjugendliche als Ausländer gelten und in ihrer Heimat als Deutsche, ist
es für sie sehr schwierig sich zuzuordnen. Auernheimer hebt hervor: „Je mehr
ausländische Jugendliche über kulturelle Mittel verfügen oder sich verfügbar
machen, desto eher werden sie zur eigenen Orientierung fähig“ (Auernheimer
1990: 129).
Der Schlüssel kultureller Mittel stellt die Sprache dar. Migrantenjugendliche
haben die Möglichkeit, sich in beiden Kulturen zu bewegen und sogar eine
Vermittlerrolle einzunehmen.
73
Situation bikultureller Jugendlicher
3.5 Bikulturelle Identität
In diesem Abschnitt wird durch einzelne Erfahrungsberichte realitätsnah auf die
bikulturelle Identität eingegangen. Die Erfahrungsberichte beziehen sich auf
Bücher und andere Publikationen vom Verband für binationale Familien und
Partnerschaften. Die einzelnen Berichte wurden so ausgewählt, dass man einen
groben Überblick bzw. Einblick in verschiedene bikulturelle Konstellationen
erhält. Exemplarisch werden drei Erfahrungsberichte dargestellt.
Im letzten Unterabschnitt wird auf die Ergebnisse von Khounani Bezug
genommen, der mit drei Stichproben-Gruppen die bikulturelle Identität
untersucht. An dieser Stelle soll noch darauf hingewiesen werden, dass die
Erfahrungsberichte zum Teil gekürzt sind, da sie sonst den Rahmen dieser Arbeit
überschritten hätten.
3.5.1 Erfahrungsberichte einzelner Jugendlicher
Miriam (14), Mutter Deutsche, Vater Türke
„Nach meiner Geburt zogen meine Eltern mit mir nach Istanbul. Dort lernte ich
sprechen (natürlich Türkisch). Als wir dann nach einem Jahr wieder nach
Deutschland zogen, konnte mich erstmal keiner so richtig verstehen. Obwohl
meine Mutter auch in der Türkei immer Deutsch mit mir geredet hatte, konnte ich
natürlich am Anfang erstmal besser Türkisch sprechen.
Wir fuhren von nun an jeden Sommer in den Ferien in die Türkei. Als ich neun
Jahre alt war, flog ich auch einmal alleine zu meinen Verwandten. In der Türkei
ist es toll. Vor allem das Meer und das Superwetter im Sommer. Letztes Jahr war
ich zum ersten Mal in Adana. Von dort kommt mein Vater. Aber jetzt lebt außer
meinem Onkel die ganze Familie in Istanbul. Dort finde ich es auch spitze. Die
Läden werden dann geschlossen, wenn die Verkäufer keine Lust mehr haben zu
arbeiten, zumindest die bakkallar, das sind die kleinen Lebensmittelgeschäfte, die
fast an jeder Ecke stehen. Manche sind sogar bis ca. 12 Uhr nachts geöffnet.
Was ich auch noch super finde, ist meine Riesenfamilie. In den Ferien treffen sich
alle entweder bei meiner Oma oder bei einem meiner vielen Onkel. Am lustigsten
wird es meistens abends. Die Kinder spielen und toben, machen Quatsch und sind
total ausgelassen. So was wie „um 10 Uhr geht’s ab ins Bett“ oder so, gibt es dort
nicht. Jeder geht dann schlafen, wann er will. Meistens ist das bei uns so gegen 2
Uhr nachts. (Natürlich in den Ferien!).
74
Situation bikultureller Jugendlicher
[…]
Wenn ich in Deutschland bin, spreche ich nur mit meinem Vater Türkisch. Ich
kann es nicht leiden, wenn er anfängt, Deutsch mit mir zu reden, es kommt mir
dann immer ganz ungewohnt vor. Ich tue dann einfach immer so, als hätte ich ihn
nicht verstanden, oder als hätte ich ihn nicht gehört. Eigentlich kann mein Vater
es selber nicht ausstehen, Deutsch mit mir zu reden, aber manchmal macht er es,
um mich zu ärgern. Bei meiner Mutter ist das genauso. Wenn sie anfängt, aus
Versehen mit mir Türkisch zu reden, dann kriege ich immer einen totalen
Anfall!!! Ich hasse das. Meistens reagiere ich dann einfach gar nicht darauf.
Obwohl… manchmal ist es ja auch ganz praktisch, dass meine Mutter Türkisch
kann und mein Vater Deutsch, denn wenn wir uns etwas sagen wollen, was die
anderen nicht verstehen sollen, können wir das wunderbar machen.
Manchmal hat mich in Deutschland auf der Straße oder in der U-Bahn jemand
gefragt, ob ich aus der Türkei komme. Angeblich sieht man das an meinen Augen.
Aber wenn mich jemand so was fragt, finde ich das eher witzig, als dass ich mich
darüber ärgere. Einmal ist mir aber was ziemlich blödes passiert. Ich wollte mit
einer Freundin eine Fete feiern. Weil viele, die wir eingeladen hatten, nicht
wussten, wie sie zu unserem Haus kommen sollten, wollten wir vom
Hauptbahnhof bis zu unserem Haus Pfeile mit Kreide auf die Straße malen. Am
nächsten Tag sollte in Bonn eine riesige Demo stattfinden, und überall gab es
dafür schon Vorbereitungen. Ich war gerade dabei, den zweiten Pfeil zu malen, da
kam so ein blöder Typ von ca. 50 Jahren an, stellte sich groß vor mir auf, und
faselte irgendwas wie: „Go in your land, bla bla bla!!!“ Ich hab erst gar nicht
kapiert, was der wollte und habe gesagt, ich würde ihn nicht verstehen. Da hat er
doch prompt das ganze in einem total schlechten Englisch wiederholt. Ich habe
ihn dann verstanden und gemerkt, dass er was gegen Ausländer hatte. Ich habe
einfach gesagt: „Tut mir leid, ich verstehe sie nicht!“ (Auf Deutsch). Er hat sich
dann noch mal auf Englisch wiederholt, und als ich einfach nicht mehr reagiert
habe, hat er angefangen, auf deutsch loszuschimpfen: ich solle gefälligst in mein
Land abhauen und nicht hier herkommen und die Straßen vollkritzeln, in meinem
Land würde ich das auch nicht tun. Diese ganzen Scheißausländer kämen hierher
und dann würden sie auch noch demonstrieren. (Dabei war die Demo am nächsten
Tag gar nicht gegen Ausländerfeindlichkeit oder so.)
75
Situation bikultureller Jugendlicher
Ich sagte dann, ich sei Deutsche, aber er schimpfte immer weiter. Als er dann
sogar anfangen wollte, mich zu treten, haben sich endlich ein paar Leute
eingemischt. Sie sagten ihm, es sei besser, Pfeile zu malen als Hakenkreuze, und
dann haben sie mich vor dem blöden Typen gefragt, ob sie auch noch ein paar
Pfeile malen sollen. Irgendwann ist der Typ dann weggegangen. Ich war total
fertig. Das war vor ca. einem Jahr. Sonst ist mir aber eigentlich noch nichts in der
Art passiert, ich hätte gar nicht gedacht, dass man mir so ansieht, dass ich
HALBtürkisch bin!!!
Im großen und ganzen bin ich aber eigentlich total froh, und ehrlich gesagt auch
ein bisschen stolz darauf, dass ich nicht nur einfach Deutsch bin und noch eine
andere Sprache verstehe! Ich finde es auch total toll, dass ich so viele Verwandte
in der Türkei habe!
Manchmal fragen mich Freundinnen, ob ich später mal ein Kopftuch tragen muss.
Diese Frage finde ich echt total blöd! Warum sollte ich? Nur weil mein Vater aus
der Türkei kommt? Als wenn in der Türkei alle Frauen ein Kopftuch aufziehen
würden! Ich glaube, mein Vater würde das gar nicht gut finden, wenn ich auf
einmal mit Kopftuch rumlaufen würde! Die einzige, die in meiner Familie in der
Türkei ein Kopftuch aufzieht, ist meine Oma! Und das auch nur, wenn sie
rausgeht oder betet. Meine Oma ist die einzige bei uns, die religiös ist. Aber sie
geht auch nicht in die Moschee. Einmal als ich noch jünger war, habe ich in einer
Zeitschrift ein Bild mit tief verschleierten Frauen gesehen. Ich habe mich gefragt,
wo dieses Bild gemacht wurde und dann las ich unter dem Bild: „Die Frauen in
der Türkei“ oder so ähnlich! Ich habe damals gar nicht verstanden, was das sollte,
denn ich habe in der Türkei noch nie solche Frauen gesehen. Letztes Jahr ist mir
dann zum ersten Mal eine einzige Frau begegnet, die verschleiert war, aber ich
war mir ehrlich gesagt noch nicht einmal sicher, ob das eine Türkin war, denn ich
habe sie nicht verstanden, als sie mit ihrem Mann geredet hat! Na ja, vielleicht
hatte sie auch einfach nur einen starken Dialekt!“ (Miriam Salgar zit. nach IAF
1999: 59-62)
76
Situation bikultureller Jugendlicher
Shirin (12), Mutter Deutsche, Vater aus der Karibik
„Ich heiße Shirin, bin zwölf Jahre alt und wohne in Dortmund. Meine Mutter ist
Deutsche, mein Vater stammt aus der Karibik und ist in England aufgewachsen.
Ich schreibe euch mal meine zehn Tops auf, worüber ich mich im Moment am
meisten ärgere.
1. Dumme Erwachsene
Wenn Kinder glauben, dass Afrika ein Land ist, kann ich das noch verstehen, aber
auch Erwachsene glauben das oft. Manche meinen, es gäbe die Sprache
afrikanisch. Wenn ich sage, dass mein Vater aus der südlichen Karibik stammt
und die Insel Nevis heißt, glauben sie einfach nicht, dass es diese Insel gibt.
2. Dummdreiste Erwachsene
Das sind die Schlimmsten. Sie bezweifeln einfach das, was Kinder sagen, und
sind eingeschnappt, wenn ein Kind oder Jugendlicher, sie korrigiert. Wenn ich
zum Beispiel erkläre, wo Nevis liegt, das wollen sie dann nicht wissen. Kann ich
was dafür, wenn ihre Welt in Mallorca endet? Manchmal sind sogar Lehrer so. In
der Grundschule hatte ich eine Freundin, die kam aus Ghana. Unsere Lehrerein
war der Ansicht, alle Schwarzen, die aus Afrika kommen, sind Katholiken.
Daphne und ihre Familie sind nicht katholisch. Wir haben es ihr mit vereinten
Kräften erklärt. Aber nein, Daphne musste vier Jahre in den katholischen
Religionsunterricht gehen.
3. Kosmetik
Letzte Woche bin ich in einen Drogeriemarkt gegangen und wollte einen
Abdeckstift gegen Pickel kaufen. Die Verkäuferin war nett und half mir beim
suchen. Natürlich gab es keinen Abdeckstift für meine Hautfarbe, natürlich auch
keine Abdeckcreme oder sonst irgendwas, auch keine Pflegemittel für meine
Haare, das war mir schon klar. Der Verkäuferin war das sehr unangenehm, sie
wurde richtig rot.
4. Friseurbesuche
Früher habe ich mal versucht, mit meiner Mutter einen Friseur aufzusuchen,
Spitzen abschneiden, musste mal sein. Obwohl ich erst neun Jahre alt war, merkte
ich wie die Friseurinnen um mich herumschlichen oder im Pausenraum
verschwanden. Ich habe nie mehr einen Friseur besucht.
77
Situation bikultureller Jugendlicher
5. Zeitschriften
Manche in meiner Klasse lesen Bravo Girl oder Young Miss. Da geht es um
Mode, Schminktipps und Frisuren. Da brauche ich gar nicht reinschauen! Für
braune und schwarze Mädchen gibt es da gar nichts. Zehn Seiten, wie sich ein
Blondie im Sommer pflegt: Sonnenschutz, Frisuren für den Strand, wie hält die
Sonnenbräune besonders lang usw. Obwohl es manchmal schwarze Models und
Moderatorinnen gibt, was ja schon ein Fortschritt ist - für ganz normale Mädchen
wie mich ist nichts dabei.
6. Rentner
Manche Rentner benehmen sich Kindern gegenüber oft unmöglich. Nur am
schimpfen und am Maulen. An meiner Schulbushaltestelle ist es besonders
schlimm. Wir sind morgens immer zu fünft, vier von uns sehen nicht typisch
deutsch aus. Die fünfte ist zwar blond und blass, hat aber lange Haare. Und
manchmal geht es da richtig ab.
7. Familie
Manche Leute denken, ich müsste unglücklich sein, weil mein Vater nicht bei uns
lebt. Das ist auch so im Fernsehen. Die armen Alleinerziehenden. Ich kann das gar
nicht verstehen. Ich habe väterlicherseits noch drei kleine Geschwister,
mütterlicherseits noch einen älteren Bruder, dazu hatte ich noch einen
Pflegebruder, mein großer Bruder hat wiederum väterlicherseits noch eine kleine
Halbschwester und einen älteren Bruder. Wir kennen uns alle. Als ich noch jünger
war, habe ich das manchmal nicht auf die Kette gekriegt. Besonders als mein
älterer Bruder noch die kleine Schwester bekam, da war ich eifersüchtig und
wollte nicht einsehen, dass ich mit ihr nicht verwandt bin. Ich habe beschlossen,
dass sie meine Cousine ist. Nach außen treten wir immer alle als Geschwister auf,
kapiert sonst sowieso niemand und passt auch gut, weil wir alle braun bis schwarz
sind.
Auf der neuen Schule habe ich richtig gemerkt, dass es in machen Familien ganz
anders ist. Es gibt bei uns zum Beispiel welche, da sind vier Kinder, die haben nur
einen Vater, und der lebt auch noch bei ihnen. Für mich ist das komisch. So ein
Vater, der immer zu Hause ist, ist doch eher eine Mutter.
78
Situation bikultureller Jugendlicher
8. Manche Kinder
Es gibt wirklich noch Kinder, die mich fragen: „Warum bist du schwarz und deine
Mutter weiß. „Ich fass es einfach nicht. „Gut“, sage ich, „hast du schon mal mit
Wasserfarben gemalt? Du nimmst also dunkelbraun und Weiß und mischt es, was
passiert dann?“ Manche kapieren es dann immer noch nicht, ich kann ihnen dann
auch nicht helfen.
9. Rassismus
Ich hasse es, wenn ich angestarrt werde. Und noch mehr hasse ich es, wenn die
Leute glauben, ich würde es nicht merken. Neulich bin ich mit meinen zwei
Freundinnen (wir sehen alle drei nicht typisch deutsch aus) aus einem Geschäft
rausgeschmissen worden. Wir standen am Süßwarenregal und wollten was
aussuchen. Die Verkäuferin wieder mit diesem typischen „Ich sortier hier ein“Blick, bei dem auch dem Blödesten auffällt, dass sie aufpasst, dass wir nichts
klauen. An der Kasse musste dann meine Freundin die Hand öffnen. So was aber
auch, nichts gestohlen. Natürlich entschuldigt sich niemand bei ihr. Mit dummen
Ausländerkindern kann man es ja machen. Als wir nachfragen, was das soll, regt
sie sich auf und wir bekommen Ladenverbot, sie droht schließlich mit der Polizei.
Ich sage ihr: „Sie machen sich doch lächerlich“, da wird sie völlig wütend. Wir
haben am nächsten Tag dann drei deutsch aussehende Mädchen in den Laden
geschickt. Erwartungsgemäß passierte gar nichts.
10. Unter den Tisch kehren
Mich macht es wütend, dass die Dinge hier nicht beim Namen genannt werden
dürfen. Es darf einfach keinen Rassismus geben. Wenn man nicht drüber spricht,
gibt es das Problem nicht. Am meisten regt mich auf, wenn Leute, die gar nicht
betroffen sein können, ihre Meinung sagen. Da sagt dann einer auf dem Schulhof:
„Du siehst aus, als wenn du in die Scheiße gefallen wärst“, und ich finde, das ist
eine rassistische Beschimpfung. „Nein, das hat er nicht so gemeint“, sagen die
Erwachsenen. „Sind doch Kinder“
(Shirin zitiert nach Massingue 2005: 57-59).
79
Situation bikultureller Jugendlicher
Rita (26), Mutter Finnin, Vater Deutscher
„Menschen, die ich hier in Deutschland kennen lerne, sind oft erstaunt, wenn sie
mitbekommen, dass ich Halbfinnin bin. Weil man es nicht merkt. Nicht am
Aussehen, nicht an der Sprache, nicht am Verhalten. Ich bewege mich, als sei ich
hier zuhause, und nur hier. Perfekte Anpassung. Deutschland ist meine Heimat.
Als Kind war es immer schön, nach Finnland zu fahren. Es war Abenteuer.
Fliegen, reisen, die Cousins sehen und mit ihnen durch den riesigen Garten toben.
In der Sauna machten sie es so heiß, dass wir vier Halbfinninen (ich habe drei
Geschwister) brüllend raus rannten- nur kurz vor den beiden Ganzfinninen. Im
Sommerregen den entlaufenden Hund suchen. Der Regen war warm, und dass wir
nass waren merkte ich erst, als uns unsere Mutter mit einem Regenschirm besorgt
entgegenkam.
Später riss der Kontakt zu Gleichaltrigen ab. Mit 14 hatte ich den Anschluss zu
den früheren Freunden verloren, mit der Familie reisen war langweilig, und ich
wusste nicht, was ich in Finnland verloren hatte. Heimatlos war ich dort.
[…]
Meine Mutter und ich sprechen heute deutsch miteinander. Finnisch zu reden fühlt
sich fremd und künstlich an. Aber ich freue mich, wenn sie mir auf Finnisch
schreibt. Und manchmal wünsche ich mir, es käme wieder eine Zeit, in der
Finnisch für uns beide die nächste, die gemeinsame Sprache ist.
Zwei wichtige Dinge habe ich von meiner Mutter mitbekommen. Finnisch und
eine Nähe zum Glauben. Es sind zwei Dinge, die auch untereinander verbunden
sind. Noch heute ist es eine besondere Art von Heimat, einen zweisprachigen
Gottesdienst zu besuchen.
Es ist anstrengend, wie ein Pendel an einer langen Schnur von einer Seite zur
anderen zu pendeln. Nicht umsonst habe ich lange versucht, mich für eine der
Seiten zu entscheiden, mich auf einer Seite festzumachen, damit das Pendeln
aufhört.
Es ist nichts, was ich mir ausgesucht habe. Und wenn ich die Wahl gehabt hätte,
ich hätte es wahrscheinlich nicht gewählt. Als ich mit Anfang zwanzig viel mit
Bauernsöhnen zu tun hatte, war ich neidisch, als ich bemerkte, wie fest sie an
einem Ort verwurzelt waren. Und traurig, dass es mir nicht so ging und nie so
gehen würde.
80
Situation bikultureller Jugendlicher
Ich bin genervt, wenn Leute mich für toll halten, weil ich aus zwei Ländern
komme. Da, wo Licht ist, ist auch Schatten. Ich habe ein paar Dinge
mitgenommen.
Ich bin froh, dass wir zweisprachig aufgewachsen sind. Als Kind konnte ich die
Brücke meiner Mutter nach Finnland mitbenutzen, aber irgendwann wurde es
Zeit, mir meine eigene Brücke zu bauen. Das war durch die Sprache leichter. Und
es war gut nicht nur mit meiner Mutter Finnisch zu reden, sondern die Sprache
auch mit anderen zu teilen. Das machte Spaß, und das Weiterlernen geschah von
selbst.
Ich bin aber auch froh darüber, dass meine Mutter die Zweisprachigkeit nicht
dogmatisch gesehen hat. Sie hörte irgendwann auf, finnisch mit uns zu reden. Wir
wollten es nicht mehr, uns war es zu anstrengend geworden. Und sie hatte Sorge,
wir könnten ihr gegenüber verstummen, wenn sie weiterhin darauf bestünde,
Finnisch zu sprechen.
Für mich ist das Ziel von Sprache, Beziehung zu ermöglichen. Wenn die
Beziehung unter dem Festhalten an einer Sprache leidet, verliert die Sprache ihren
eigentlichen Sinn.
Offene Fragen?
Natürlich gibt es die. Wie meine Eltern es am besten gemacht hätten und teilweise
auch gemacht haben, weiß ich heute natürlich. Aber wie soll ich diese Ratschläge
für mein Leben befolgen? Was ist meine Muttersprache, die ich vielleicht
irgendwann einmal mit meinem Kind reden sollte? Meine Muttersprache ist
Deutsch. Und Finnisch ist es auch.
Vielleicht werde ich viel auf Finnisch singen mit meinem Kind. Und vor allem die
Weihnachtslieder, die dürfen nicht fehlen.
Soll mein Partner auch noch Finnisch lernen? Die Sprache ist wirklich sehr anders
als die Deutsche. Natürlich kann man sie lernen, aber ist es mir wirklich so
wichtig, dass ich darauf bestehen soll? Funktioniert das überhaupt, auf etwas
bestehen, den Partner zu etwas bringen wollen? Kann ich ihn nicht eigentlich nur
bitten und hoffen, dass er versteht, weshalb es mir wichtig ist?
Im eigenen Übersetzen der Ratschläge in mein Leben wird mir klar, dass es wohl
die einfachen Antworten nicht gibt. Dass es sie für mich nicht gibt, und dass es
auch für meine Eltern immer wieder ein NeuAusbalancieren, NeuZusammenfügen
der beiden Kulturen war.
81
Situation bikultureller Jugendlicher
Und für mich, für mich wird es wohl eine lebenslange Übung bleiben - das
Pendeln genießen zu lernen und anzunehmen, dass beide Seiten ein Teil von mir
sind.
Zwei bleiben und eins werden. Der Ausdruck von Erich Fromm passt nicht nur zu
Liebe zwischen zwei Menschen, sondern auch zur Liebe zu zwei Zuhausen.
Eigentlich hat Zuhause keinen Plural. Für mich hat es doch einen“
(Oldenburg, Rita zit. nach IAF, 2004: 6-9).
Nasima (Alter unbekannt) Mutter und Vater aus Afghanistan
„Adoleszenz, wann war denn das? Da war ich in der Neunten, Zehnten, Elften,
Zwölften, da war ich immer noch das brave Mädchen. Ich hatte ja Ziele. Ich war
auf der Realschule und mein Vater wollte, dass ich dann aufhöre und heirate. Das
hat er mir nie direkt gesagt. Er hat es mir über meine Mutter vermittelt und dies
auch nicht direkt, so dass ich fühlen musste, was das richtige ist. Ich hatte immer
das Gefühl den Traum meiner Mutter zu leben. Meine Mutter hat mich irgendwie,
so insgeheim, so indirekt beeinflusst und gesagt, ja, sie wollte ja immer Lehrerin
werden, aber sie hatte ja nie die Chance dafür. Das habe ich als Kind immer
gehört und fand das ganz spannend.
Wenn du hier aufwächst, dann kriegst du ja die deutsche Kultur mit und hast den
Wunsch, auch so was zu machen. Ich wollte auch etwas machen, nicht nur Geld
verdienen, selbstständig werden, einen Beruf haben, der dich ein bisschen
unabhängig macht von dem Mann, wenn du verheiratest bist. Ich habe nie
gedacht, dass ich nicht heirate. Es war mir klar, dass die Eltern das irgendwie
machen. In der Pubertät habe ich mir deswegen nie Sorgen gemacht, überhaupt
hatte ich nicht die Interessen wie so viele andere Mädchen, Kosmetik, Kleidung,
Figur, was weiß ich. Ich hatte immer das Gefühl, ich muss was lernen. Das war
für mich immer ganz wichtig. Für die Oberstufe hat sich meine Mutter eingesetzt
und zu meinem Vater gesagt, ich wolle weiter lernen und keine Lehre machen. Sie
hat es durchgesetzt und ich habe das dann gemacht.
Und dann, als ich 18 war, hat meine Mutter entschieden, dass ich heirate. Es gibt
zwei Arten bei uns: die eine, du bist verheiratet, aber die Tochter wird noch nicht
freigegeben, d.h. sie wird noch nicht ins andere Haus geschickt. Die andere, die
Tochter wird ganz von zu Hause weggeschickt und verheiratet, d.h. sie gehört
dann nicht mehr zu der Familie. Zuerst habe ich halt gedacht, na ja, es wird nur
82
Situation bikultureller Jugendlicher
das eine passieren, ich werde verheiratet, aber ich werde noch nicht weggeschickt.
Mir war ja noch nicht ganz klar, was das heißt, ich hatte das ja noch nie hier
mitbekommen, noch nie bei einem anderen Mädchen erlebt, was das heißt, was
das für Erfahrungen sind, keine Ahnung. Noch nie hatte ich mich verliebt. Und
dann habe ich dort geheiratet und erst danach kamen meine Probleme.
Ich habe Abitur gemacht und wollte Medizin studieren. Das hat nicht gleich
geklappt und ich musste mich schnell entscheiden und hab eine Ausbildung als
Krankenschwester gemacht. Wenn ich das nicht getan hätte, dann, okay, dann
hätte ich zurück nach Afghanistan gemusst. Du kannst ja nicht rumlungern und
der wartet dort und schreibt dir irgendwelche Liebesbriefe, die jeder kennt, meine
Eltern, seine Eltern. Doch der Wunsch Medizin zu studieren wurde immer stärker,
aber es ging halt nicht so, wie ich dachte. Die Eltern machten nicht so mit, das
nervte mich.
[…]
Dann war mir klar, ich werde nicht nach Afghanistan gehen, nicht zu diesem
Mann, ich will die Scheidung. Es gab ja überhaupt keinen Grund, außer: ich will
es nicht mehr, weil ich eine andere Vorstellung von meinem Leben habe. Das war
es, ja. Ich habe es meiner Mutter gesagt, und sie hat das dann irgendwie geregelt
und plausibel gemacht.
Meine Mutter hatte viele Vorstellungen und Träume, doch nach einer gewissen
Zeit hat sie sich völlig in die Religion verrannt. Die hat fünfmal am Tag gebetet
und den Koran gelesen. Ich glaube, das war ihr einziger Halt.
[…]
Damals ist das so eine Art, du bist ohnmächtig und es fällt alles über dich her und
du weißt gar nicht, wo du anfangen sollst. Jetzt wüsste ich einen Ausweg, jetzt
habe ich so meine Strategie, jetzt weiß ich, was ich will und wie ich es hinkriege,
ich kann mich auch durchsetzten.
Es gab auch eine Zeit, da musste ich meine afghanische Kultur verleugnen, ich
wollte damit nichts mehr zu tun haben. Ich wollte Urlaub machen und so Sachen.
Davor lag noch mein Auszug. Ich habe damals diesen Schritt getan, indem ich
einen Tag zuvor gesagt habe, am Freitag ziehe ich aus. Ich habe eine Freundin
bestellt, die holt mich ab, eine öffentliche Person, die nichts mit uns zu tun hat
und vor der man das Gesicht wahren muss. Meine Angst war, dass sie mich nicht
rauslassen. Mein Vater ist an dem Tag nicht zur Arbeit gegangen, er hat gesagt er
83
Situation bikultureller Jugendlicher
ist krank, das hat er noch nie gemacht. Meine Mutter war fix und fertig, die hat
mich beschimpft. Ich habe geweint, mein Bruder war fix und fertig. Ich bin nicht
von meiner Vorstellung abgerückt und am nächsten Tag hat mein Vater gesagt,
okay, sag deiner Freundin, sie braucht nicht zu kommen, ich werde dich
hinbringen. Das habe ich gemacht. Und anstatt Freitag bin ich dann Sonntag dahin
gegangen. Mein Vater hat den Koffer hingestellt und hat gesagt, wenn du was
brauchst, sag Bescheid und ist dann gegangen. Und ich stand in diesem Zimmer
und wusste gar nicht, was ich da anfangen sollte. Ich war so unglücklich. Da war
nichts, ich hatte keine Freundin da, nichts zu essen, gar nichts. Ich habe mich echt
allein gelassen gefühlt. Am liebsten wäre ich wieder heimgegangen. Aber das
ging ja nicht. Mit der Zeit haben sich auch meine Eltern daran gewöhnt. Sie haben
es akzeptiert.
Und ich habe immer gedacht, ich brauche mehr Freiheit. Ich wollte ins Kino
gehen, abends weggehen, das fand ich toll. Ich glaube aber, es ging um etwas
anderes, es ging darum mich selbst zu finden, wer ich bin und was ich will, nicht
um diese Kinogänge. Ich bin trotz alledem nicht viel ins Kino oder in Discos
gegangen. Wichtig war mir, mich auf meine Sachen zu konzentrieren, meine
Ausbildung und später mein Studium, das war Freiheit. Vieles war schön, hat mir
gut getan, hat mich aber nicht im Sinne ausgefüllt und glücklich gemacht. Ich
hatte alles wie abgehackt.
Aber ich wurde dadurch trotzdem nicht deutsch. Es ging darum sich anzupassen,
ich wollte einfach mal so sein, dass man nicht mehr überall auffällt. Ist mir nicht
gelungen, geht ja auch nicht, das habe ich erst hinterher bemerkt. Verletzt haben
mich Bemerkungen wie, du kannst ja deutsch, hast du eine deutsche Mutter?
Nein, habe ich immer gesagt, meine Eltern sind beide aus Afghanistan. Das fand
ich immer ganz schlimm. Auch wenn ich perfekt gesprochen habe, du wirst
immer als Ausländer erkannt. Ich hatte dann immer mehr das Gefühl, mir fehlt
irgendwas, das kann es nicht sein, ich fühlte mich nicht glücklich. Man kann
einfach nicht eins nehmen und das andere lassen, es ist leider bei uns Migranten
so. Wir müssen einfach ein Zwischending suchen.
Wir sind beides, das war so schwierig. Ich bin auch nicht nur Afghanin, das kann
ich auch nie werden. Du bist immer halb, ich werde nie eine echte Afghanin sein
und ich werde auch nie eine echte Deutsche sein. Ich bin immer ein halbes Ding
zwischen beidem“ (Nasima zit. nach Schnabel, IAF, 2004: 10-12).
84
Situation bikultureller Jugendlicher
3.5.4 Empirische Untersuchung von Khounani
Khounani hat eine Vergleichsuntersuchung zur familiären Erziehungssituation in
mono- und bikulturellen Familien im Hinblick auf die multikulturelle
Handlungsfähigkeit erstellt. Die Untersuchung wird an 156 Kindern und
Jugendlichen
und
den
entsprechenden
Elternpaaren
durchgeführt.
Die
Altersspanne der Jugendlichen erstreckt sich von zwölf bis neunzehn Jahren.
Khounani unterteilt die Probanden in drei Stichprobengruppen: in eine
Hauptgruppe und in zwei Vergleichsgruppen. Die Hauptgruppe besteht aus
bikulturellen Familien aus dem islamisch-westlichen Kulturkreis, das heißt ein
Elterteil kommt aus Deutschland und das andere aus einem islamischen
Kulturkreis. Die anderen beiden Gruppen, sind binationale Familien, in denen die
Eltern jeweils aus einem westlich-westlichen Kulturkreis kommen, und
monokulturelle Familien, bei denen beide Eltern aus Deutschland kommen (Vgl.
Khounani 2000: 11-14).
Im Folgenden wird eine Tabelle dargestellt, welche die sozio-demograhpischen
Angaben der Jugendstichprobe zeigen.
85
Situation bikultureller Jugendlicher
Abbildung 5:
(Quelle: Khounani 2000: 138)
86
Situation bikultureller Jugendlicher
Im Folgenden wird auf die Ergebnisse des Jugendfragebogens Bezug genommen.
An dieser Stelle ist anzumerken, dass die Jugendlichen fast ausschließlich das
Gymnasium besuchen, deshalb sind die Ergebnisse nicht auf alle bikulturellen
Kinder und Jugendliche übertragbar. Zusammenfassend kommt Khounani auf
folgende Ergebnisse (Vgl. Khounani 2000: 137-152):
¾ Jugendliche
aus
deutsch-islamischen
Familien
nehmen
die
Minderheitenproblematik in Deutschland am stärksten wahr, generell
sehen sie diese aber als nicht besonders problematisch. Deutscheuropäische Jugendliche beurteilen die Minderheitenproblematik bzw. die
gleichen Rechte für Minderheiten wenig problematisch.
¾ Deutsch-europäische Jugendliche sind sozial engagierter und wünschen
sich an der Spitze des Landes eine starke Führerpersönlichkeit, die
deutsch-islamischen Jugendlichen vertreten diesen Wunsch hingegen
nicht.
¾ Jugendliche aus deutsch-islamischen Familien haben stärkere Vorbehalte
gegen
die
Forderung,
dass
sich
Ausländer
an
die
deutschen
Lebensverhältnisse anpassen bzw. angleichen sollten.
¾ Nach einer Einschätzung aller Jugendlichen geht es in deutsch-islamischen
Familien am strengsten zu, in europäisch-deutschen Familien dagegen
weniger streng.
¾ Deutsch-islamische
Jugendliche
haben
eine
größere
persönliche
Änderungsbereitschaft, sind hilfsbereiter und kulturell offener als deutsche
Jugendliche.
¾ Das Verhältnis zu den Eltern wird von deutsch-islamischen Jugendlichen
tendenziell besser beurteilt als in den anderen beiden Gruppen.
¾ Die Kommunikationssituation bzw. die Gespräche mit den Eltern sind in
deutsch-islamischen Familien am stärksten, wobei es signifikante
geschlechtsspezifische Unterschiede gibt. An dieser Stelle kann nicht
weiter darauf eingegangen werden.
¾ Hinsichtlich der Freundschaften, die Jugendliche knüpfen, ist zu
verzeichnen, dass deutsch-deutsche Jugendliche die meisten Freunde
haben. Deutsch-islamische Jugendliche im Gegensatz dazu die wenigsten,
jedoch
den
höchsten
nationalitätenorientierte
Ausländeranteil.
Tendenz
87
zur
Es
besteht
Gruppenbildung,
aber
eine
auch
Situation bikultureller Jugendlicher
Integrationsprozesse sind festzustellen. Bei den deutsch-deutschen
Jugendlichen ist jeder sechste Freund ein Ausländer, in der deutscheuropäischen Gruppe jeder fünfte und bei den deutsch-islamischen
Jugendlichen jeder zweite. Generell haben binationale Jugendliche sehr
viele Freunde aus unterschiedlichen Kulturkreisen.
¾ Deutsch-deutsche Jugendliche urteilen im Gegensatz zu den beiden
anderen Gruppen konservativer und sympathisieren mit der CDU und zum
Teil mit rechten Parteien. Dies betrifft allerdings eher männliche
Jugendliche. Deutsch-europäische Jugendliche sympathisieren mehr mit
einer großen Koalition. Deutsch-islamische Jugendliche bevorzugen eher
Grüne, SPD und linke Gruppierungen.
Khounani fand heraus, „dass Jugendliche aus binationalen Familien deutlich
mehr wichtige Impulse für multikulturelle Handlungsfähigkeit bekommen können
als Jugendliche aus monokulturellen Familien. In den Bereichen soziale
Sensibilität,
Konfliktfähigkeit,
Durchsetzungsfähigkeit
und
Selbstvertrauen
konnten partielle Vorteile bei Jugendlichen aus bikulturellen Familien belegt
werden“ (Khounani 2000: 185).
Ursachen dafür sind zu sehen in
¾ den umweltbedingten höheren Anpassungs- und Ausgleichsleistungen
dieser Jugendlichen in ihrer täglichen Kommunikation und Kooperation,
¾ der eindeutig intensiver geförderten Ich-Stärke des Kindes sowohl in
deutsch-europäischen als auch in deutsch-islamischen Familien,
¾ der Förderung von Offenheit und Flexibilität (vor allem in deutscheuropäischen Familien),
¾ der entwicklungsfördernden dichteren Kommunikation in bikulturellen
Familien (vor allem in deutsch-islamischen Familien),
¾ dem
höher
bewerteten
Erziehungsziel
„Anpassungsfähigkeit“
in
bikulturellen Familien (vor allem in deutsch-islamischen Familien). Die
Orientierung wird stärker auf eine Balance zwischen persönlicher und
sozialer Identität gelegt. Kinder in bikulturellen Familien werden
offensichtlich stärker zu flexiblen normorientierten Anpassungsleistungen
88
Situation bikultureller Jugendlicher
an die „anderen Verhältnisse“ im Aufenthaltsland angehalten (Khounani
2000: 185-186).
Khounani schlussfolgert: „Diese Vorteile bikultureller Familienkonstellationen
werden aber offensichtlich unter verschiedenen Lern-Umwelt-Bedingungen
erreicht“ (Khounani 2000: 186).
Das wichtigste Ergebnis Khounanis, ist die geringe Andersartigkeit bikultureller
Jugendlicher.
Bei
den
drei
untersuchten
Gruppen
überwiegen
die
Gemeinsamkeiten, nicht die Unterschiede.
Khounani vermutet, dass sich das Erziehungsverhalten der drei Gruppen immer
mehr
angleicht.
So
zum
Beispiel,
das
sich
das
deutsch-deutsche
Erziehungsverhalten mehr in der Multikulturalität bewegt, während sich das in
binationalen Familien mehr den deutschen Bedingungen angleicht
(Vgl. Khounani 2000: 186).
3.6 Resümee
Zusammenfassend sei festgestellt, dass Jugendliche nicht in eine geschlossene
Kategorie zusammen zu fassen sind, weder rein deutsche Jugendliche, noch
bikulturelle Jugendliche.
Die gegenwärtigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zeigen, dass Kinder
und Jugendliche nicht die gleichen Möglichkeiten bzw. den gleichen Zugang zum
gesellschaftlichen
Leben
haben.
Zudem
erfordert
die
Anpassung
an
Veränderungen der familiären Lebensformen von Kindern und Jugendlichen eine
neue Bewältigung im Alltag, sowie in den sozio-emotionalen Beziehungen.
„Dadurch entstehen einerseits Chancen für entwicklungs- und Lernprozesse,
andererseits können psychosoziale Belastungen aber auch zu entwicklungs- und
Lernverzögerungen führen“ (BMFSFJ 2005: 62)
Eine weitere wichtige Schlussfolgerung des Bundesministeriums ist die
Benachteilung von Migrantenkindern und Jugendlichen, denen angesichts der
Globalisierung in der Zukunft eine größere Aufmerksamkeit geschenkt werden
sollte.
89
Situation bikultureller Jugendlicher
Das Bundesministerium betont in diesem Zusammenhang:
„Auf jeden Fall ergeben sich Anforderungen an das Erziehungs- und
Bildungssystem- vom frühkindlichen Alter bis in die Sekundarschulen hineinunterschiedliche soziale, sprachliche und kulturelle Voraussetzungen von
zugewanderten Kindern und Jugendlichen zu berücksichtigen. Dabei müssen sich
die Konzepte auf unterschiedliche Typen von Migranten und Migrantinnen, d.h.
auf differierende Migrationsmotive, sprachliche Vielfalt, zeitliche Perspektiven
hinsichtlich der Bleibeabsichten sowie auf unterschiedliche Einstellungen zur
Herkunfts- und Ankunftsregion einstellen“ (BMFSFJ 2005: 72).
Den bikulturellen Jugendlichen, die mit zwei unterschiedlichen Elternteilen und
Kulturen aufwachsen, sollte mehr Beachtung geschenkt werden. Sie bilden in
vielerlei Hinsicht die Hoffnungsträger für einen gelingenden interkulturellen
Alltag, da sie wie auch die bikulturellen Migrantenjugendlichen, zwischen den
Kulturen vermitteln können. Angesichts der heutigen angespannten Lage der
Welt, in der schlechte Nachrichten bezüglich der sich auseinanderklaffenden
Welten zwischen Orient und Okzident alltäglich sind, stellt die Beachtung der
bikulturellen Jugendlichen eine Notwendigkeit dar. Wer könnte besser die
Position des Vermittlers einnehmen, als diejenigen, die mit beiden Kulturen
vertraut und aufgewachsen sind?
Im Hinblick auf die Identitätsentwicklung bikultureller Jugendlicher sollen
zusammenfassend noch einige Aspekte genannt werden:
Der Schlüssel zur Bikulturalität stellt die Sprache dar, denn wenn beide Sprachen
beherrscht werden, ist es für die Jugendlichen einfacher in beiden Welten
Identitäten zu finden.
Vergleicht man die Erfahrungsberichte mit den Ergebnissen von Khounani stellt
sich heraus, dass die Lebenswelten bikultureller Jugendlicher sehr wohl
unterschiedlich sind, je nachdem welchen kulturellen Hintergrund sie haben und
aus welchem gesellschaftlichen Milieu die Jugendlichen kommen. Die
Untersuchung von Khounani bezieht sich auf Kinder und Jugendliche, die das
Gymnasium besuchen. Hier ist von einem höheren Lebensstandard der Eltern
auszugehen, als bei Kindern und Jugendlichen anderer Schulformen.
90
Situation bikultureller Jugendlicher
Eine Längsschnittstudie, in denen alle Schulformen vertreten sind, wäre
notwendig.
Der kulturelle Hintergrund der bikulturellen Jugendlichen spielt eine große Rolle,
insbesondere unter dem Aspekt, in wieweit die Jugendlichen erkennbar sind als
bikulturell oder wie sie sich oft selbst sehen - als Ausländer. Die Deutsch-Finnin
Rita hat aufgrund ihres Aussehens in Deutschland keine Probleme, da man ihr,
wie sie selbst schreibt, ihre bikulturelle Identität nicht ansieht. Die zwölfjährige
Shirin hingegen fällt mit ihrer dunklen Haut ständig auf, obwohl sie in
Deutschland aufgewachsen und geboren ist. Zudem erleben Kinder und
Jugendliche, denen man die andere kulturelle Herkunft ansieht mehr
Diskriminierungserfahrungen als Kinder und Jugendliche, denen man die
bikulturelle Identität nicht ansieht. Aufgrund dessen ergeben sich auch
unterschiedliche Lebenswelten und Identitäten.
Inwieweit die unterschiedlichen Lebenswelten der bikulturellen Jugendlichen, mit
denen der deutschen Jugendlichen verbunden werden können, soll im nächsten
Kapitel beschrieben werden.
91
Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit
4.Handlungsmöglichkeiten der Interkulturellen Sozialen
Arbeit
Im vierten und letzten Kapitel werden Handlungsansätze der Interkulturellen
Sozialen Arbeit aufgezeigt. Zunächst wird der Begriff der Interkulturellen
Sozialen Arbeit erklärt, damit die Handlungsfelder verdeutlicht werden (Punkt
4.1). Als nächstes wird auf die Interkulturelle Erziehung und Bildung
eingegangen, die in Bezug auf bikulturelle Jugendliche als Grundlage dient,
zudem ist sie im Kontext Sozialer Arbeit zu sehen. Anschließend werden die
Begriffe des Interkulturellen Lernens mit dem Ziel Interkultureller Kompetenz
näher beschrieben, da sie als Basis für diese beiden Arbeitsbereiche gelten (Punkt
4.2). Dann werden einige Handlungsansätze dargestellt, die für bikulturelle
Jugendliche von Bedeutung sind (Punkt 4.3). Abschließend wird in einem
Resümee
der
Inhalt
des
Kapitels
zusammengefasst
und
in
einen
Gesamtzusammenhang gebracht (Punkt 4.4).
4.1 Was bedeutet Interkulturelle Soziale Arbeit?
Staub-Bernasconi hat sich umfassend mit der Sozialen Arbeit in Verbindung mit
Kultur beschäftigt. Für sie ist die Interkulturelle Soziale Arbeit eine Suche nach
Erklärungen und die Übersetzung von einer Kultur in die andere (Vgl. StaubBernasconi 1995: 311-315).
Die Interkulturelle Soziale Arbeit versucht plausibel zu machen, weshalb sich
gerade diese Vorstellungen vom menschlichen Zusammenleben und nicht andere
kulturell verfestigt und verbreitet haben.
„Ihr Ziel ist es, mindestens zwei Kulturen in ein Verhältnis zu setzen, ihre
besonderen Entstehungs- und Erhaltungsbedingungen zu klären, Verständnis
dafür zu schaffen und schließlich danach zu fragen, ob und aufgrund welcher
Vorstellungen und Handlungsspielräume ihrer Mitglieder eine bestimmte
Veränderung gewünscht wird“ (Staub-Bernasconi 1995: 311).
92
Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit
Methoden und Verfahren sind zum einen als Situations- und Geschichtswissen zu
beschreiben, zum anderen das Erklärungswissen, aufgrund dessen man die eigene
und die fremde Gesellschaft und Kultur in Beziehung setzt.
Zudem sollten alle Beteiligten die Frage beantworten können, aus welchen
Gründen sie sich mit der jeweiligen Kultur bzw. den Kulturelementen
identifizieren, welche Elemente sie hinterfragen oder sogar ablehnen.
Die damit verbundenen Erklärungen helfen die Lebenszusammenhänge und die
daraus entstandenen sozialen Strukturen und kulturellen Vorstellungen zu
verstehen.
Die Übersetzungsleistung, wie sie von Staub-Bernasconi beschrieben wird, zeigt
auf, wo in der eigenen Kultur bestimmte Denk- und Strukturmuster, der jeweilig
anderen Kultur wieder zu finden sind und auch umgekehrt.
Die Beschäftigung mit unterschiedlichen Wertehaltungen und –vorstellungen
stellt eine Notwendigkeit dar, um dementsprechend auf kulturelle Antworten zu
stoßen.
Interkulturelle Arbeit ermöglicht ohne Bewertungen ein Hinzulernen über die
eigene,
sowie
die
fremde
Kultur
und
Geschichte.
Natürlich
können
Kulturvergleiche nicht vermieden werden, aber die eigene Kultur sollte dabei
nicht als Maßstab gesetzt werden. Es soll ein gegenseitiges Lernen stattfinden, das
über die gemeinsame Wahrnehmung und Erklärung von Differenzen und
Konvergenzen erfolgt. Interkulturelle Soziale Arbeit soll als gegenseitige
Entscheidungshilfe dienen (Vgl. Staub-Bernasconi 1995: 311-315).
Der Begriff der Interkulturellen Sozialen Arbeit wird an verschiedenen deutschen
Fachhochschulen der Sozialen Arbeit als ein Studienschwerpunkt beschrieben.
Folgendermaßen wird er definiert:
„Interkulturelle Arbeit ist problem- und ressourcenorientiert, fördert den
Austausch zwischen Menschen unterschiedlicher kultureller Herkunft, hilft dabei
die Tendenzen zur gegenseitigen Abschottung von Mehrheit und Minderheiten
abzubauen, wechselseitige Akzeptanz gegenüber kulturellen Besonderheiten
weiter zu entwickeln und Probleme, die sich aus der Zuwanderung für die
Migrantinnen und Migranten und für die Aufnahmegesellschaft ergeben, auf der
Grundlage humanitärer Grundsätze zu bearbeiten.
93
Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit
Neben der Vorbereitung auf inländische Aufgaben und Arbeitsfelder soll der
Studienschwerpunkt eine Befähigung zur Übernahme von sozialarbeiterischen
und sozialpädagogischen Tätigkeiten innerhalb Europas und weltweit fördern“
(FH Düsseldorf 2006).
Freise erörtert den Begriff noch genauer und nimmt folgende Differenzierungen
vor, die zum Verständnis des Begriffs Interkulturelle Soziale Arbeit beitragen
(Vgl. Freise 2005 19-21):
¾ Interkulturelle Soziale Arbeit stellt eine Querschnittsaufgabe jeglicher
Sozialer Arbeit dar. Die kulturelle Dimension wird in den verschiedensten
Handlungsfeldern thematisiert. Angesichts der Globalisierung gibt es in
der Sozialen Arbeit kein einziges Handlungsfeld, das nicht durch
kulturelle Mehrheit gekennzeichnet ist. In Beratungsstellen kommen
beispielsweise Menschen unterschiedlicher kultureller Herkunft, von daher
sind Verständigungsprobleme ebenso zu beachten wie auch kulturelle
Hintergründe. Die Interkulturelle Soziale Arbeit muss alle Bereiche der
Sozialen Arbeit auf die Problemstellungen untersuchen, die sich aufgrund
des
Aufeinandertreffens
von
Menschen
einheimischer
und
fremdkultureller Herkunft ergeben. Zum Beispiel, ob Personen mit
Migrationshintergrund in den interkulturellen Teams, bei den allgemeinen
Regeldiensten vertreten sind, ob es in den jeweiligen Behörden
Informationen
in
den
gängigen
Migrantensprachen
gibt,
ob
Dolmetscherdienste in den Sozialämtern verfügbar sind usw.
¾ Interkulturelle Soziale Arbeit bezieht sich immer auf spezifische
Handlungsfelder,
in
denen
aufgrund
des
Aufeinandertreffens
verschiedener Kulturen besondere Problemlagen entstehen. Das gilt z.B.
für die Gemeinwesenarbeit, in Stadtteilen mit hohem Migrantenanteil oder
für die städtische Jugendberufshilfe usw.
Zu beachten ist, dass Interkulturelle Soziale Arbeit nicht mit
Migrationssozialarbeit gleichzusetzen ist. Denn Interkulturelle Soziale
Arbeit hat sowohl Deutsche, als auch Migranten als Zielgruppe. Die Silbe
„inter“
soll
die
Beziehungen
zwischen
hervorheben und nicht voneinander abgrenzen.
94
verschiedenen
Gruppen
Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit
¾ Neben den eben genannten Differenzierungen ist noch eine weitere zu
nennen, nämlich Themen des internationalen Austausches. Durch die
Globalisierung finden immer mehr Menschen ihre Zukunft im Ausland,
gewollt und ungewollt. Insbesondere junge Menschen haben den Wunsch
oder sehen es als notwendig an, eine Zeit ihres Lebens im Ausland zu
verbringen, z.B. als Freiwillige, Studierende, Weltenbummler usw.
In so genannten interkulturellen Trainings können sie sich auf solche
Auslandsaufenthalte
vorbereiten
und
interkulturelle
Kompetenzen
erwerben. Dazu später mehr.
Die Soziale Arbeit wird auch verstärkt mit internationalen Aufgaben
konfrontiert, so z.B. in der Flüchtlingssozialarbeit, oder bei der Begleitung
von Frauen, die in die Prostitution verschleppt wurden usw.
¾ Die letzte Unterscheidung, die Freise vollzieht ist, dass Interkulturelle
Soziale Arbeit sowohl sozialpädagogische als auch sozialarbeiterische
Handlungsfelder abdeckt. Sozialpädagogische Ansätze sind stärker
begegnungsorientiert, sie wollen dabei helfen, Horizonte zu erweitern und
Vorurteile
abzubauen.
Jugendbegegnungen,
Dies
wie
geschieht
auf
z.B.
bei
interkulturellen
internationalen
Stadtteilfesten.
Sozialarbeiterische Ansätze hingegen sind stärker auf die Regelung von
Konflikten und Problemen ausgereichtet. So z.B. die interkulturelle
Mediation im Stadtteil und die Krisenintervention bei Gewalttätigkeiten
zwischen ethnisch geprägten Jugend-Peer-Gruppen. Freise merkt an, dass
interkulturelle
Konflikte
auch
das
politische
Geschehen
bzw.
Auseinandersetzungen beeinflussen. Oft sind die Konfliktursachen nicht
kultureller Natur, aber dennoch werden Konflikte ethnisiert und kulturell
ausgetragen.
95
Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit
Freise verbindet die beiden letzt genannten Differenzierungen Interkultureller
Sozialer Arbeit und fasst sie in einem Schema zusammen:
Abbildung 6: Bespiele Interkultureller Arbeit in vier Dimensionen
innergesellschaftlich
international
____________________________________________________________________
Sozialarbeit
Interkulturelle
Begleitung von Flüchtlingen
Stadtteilarbeit
bei freiwilligen Rückehrer-
Gemeinwesenbezogene
programmen
Interkulturelle Mediation
Beratung verschleppter
Ausländischer Frauen
_____________________________________________________________________
Sozialpädagogik
Integrationskurse für
Internationale Jugend-
Neuzuwanderer
begegnungen
Interkulturelle Jugendarbeit
Städtepartnerschaften
im Stadtteil
Interkulturelle Trainings
Antidiskriminierungs-und
für Auslandsaufenthalte
Zivilcouragetrainings
_____________________________________________________________________
(Quelle: Freise 2005: 21)
4.2 Interkulturelle Erziehung und Bildung
Ergänzend zu dem Schema von Freise soll etwas genauer auf die Interkulturelle
Erziehung und Bildung eingegangen werden. Beide Bereiche sind sozusagen als
Grundlage für die Arbeit mit bikulturellen und monokulturellen Kindern und
Jugendlichen anzusehen.
Laut Nieke lassen sich in Bezug auf die Interkulturelle Erziehung und Bildung
verschiedene Richtungen der Akzentuierung differenzieren, mit welcher die
Aufmerksamkeit jeweils auf etwas Bestimmtes gelegt werden soll. Im Folgenden
sollen einige Schwerpunkte Interkultureller Erziehung und Bildung genannt
werden (Vgl. Nieke 1995: 18-30).
Alle Konzepte Interkultureller Erziehung sind z.B. eng verbunden mit der
Förderung von Zweisprachigkeit.
96
Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit
In einigen Fällen ist es so, dass sich Interkulturelle Erziehung nur auf die
Förderung von Zweisprachigkeit reduziert. Dabei muss man vorsichtig sein, da es
sich um zwei verschiedene Zielsetzungen handelt, die keinen notwendigen
Zusammenhang haben, d.h. Interkulturelle Erziehung ist grundsätzlich auch ohne
Zweisprachigkeit möglich und umgekehrt.
Interkulturelle Erziehung ist eine der möglichen pädagogischen Antworten auf
eine Zuwanderung über Staats- und Kulturgrenzen hinweg.
Es gibt zwei Zielsetzungen in Bezug auf die Förderung von Zweisprachigkeit:
Zum einen die Erhaltung der Muttersprache, definiert als Verkehrssprache des
Herkunftslandes, zwecks Erhalts der Rückkehrfähigkeit. Zum anderen das
Anknüpfen an die tatsächliche Familiensprache zwecks besseren Erlernens des
Deutschen als Zweitsprache. Neben diesen beiden Zielsetzungen werden
Positionen zum Erhalt der Muttersprache vertreten, die sich mit den Zielsetzungen
Interkultureller Erziehung verbinden lassen.
Ein anderes Beispiel ist die Interkulturelle Erziehung als community education.
Damit sind Vorstellungen einer Öffnung der Schule in ihr soziales Umfeld, in den
Stadtteil und in das Gemeinwesen gemeint.
Die Rede von der neuen pädagogischen Aufgabenstellung, die sich durch die
Zuwanderung von Menschen über Staats- und Kulturgrenzen hinweg ergeben hat,
verwendet tendenziell den Begriff der Interkulturellen Erziehung. Es gibt jedoch
noch einige anderer Bezeichnungen, wie z.B. die antirassistische oder
multikulturelle Erziehung etc., die teilweise synonym verwendet oder den Akzent
des jeweils gemeinten etwas anders setzten. An dieser Stelle wird aber nur auf den
Begriff der bikulturellen Erziehung im Detail eingegangen.
Bikulturelle Erziehung wird stets in Verbindung mit einer bilingualen Erziehung
gefordert. Das heißt, dass Zweisprachigkeit erhalten bleiben soll und
höchstmöglich entwickelt werden soll. Es scheint so, als ob Kultur nur ein bloßes
Phänomen von Sprache ist und die Zielbestimmungen denen der Zweisprachigkeit
gleichen.
97
Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit
Fthenakis fordert als Ziel für bikulturelle Erziehung „für die Minorität das
erfolgreiche Operieren in zwei Kulturen einschließlich einer bikulturellen
Identität und für die Majorität eine partielle Teilhabe an der Kultur der
Minorität“ (Vgl. Fthenakis 1985: 339).
Zur
Realisierung
einer
bikulturellen
Erziehung
werden
binational
zusammengesetzte Lerngruppen vorgeschlagen, wie sie unter anderem auch schon
in Bayern im Vorschulbereich erprobt worden sind. Es gibt keine ausdrückliche
Zuordnung
oder
eine
Abgrenzung
zur
Interkulturellen
Erziehung.
In
Auseinandersetzung mit ausgewählter Literatur aus den USA wird lediglich das
Verhältnis einer so bestimmten bikulturellen Erziehung diskutiert.
Es gibt zwei verschiedene Auffassungen von interkultureller Erziehung. Die eine
geht von einem Kontakt oder auch Konflikt zwischen den Kulturen aus. Sie stellt
die Forderung nach der Überwindung dieser Barriere, die offenbar als Grenze
zwischen Flächen oder Räumen vorgestellt wird. Die andere Auffassung vermutet
zwischen den implizit als Flächen oder Räumen gedachten Kulturen einen
Zwischenraum, der mit etwas anderem gefüllt ist, als Kulturellem. Dann kann
jenseits der Bindungen an eine spezifische Kultur in diesen leeren
Zwischenräumen etwas Neues entstehen (Vgl. Nieke 1995: 18-30).
4.2.1 Grundlage
Die meisten Ansätze Interkultureller Erziehung haben, bei aller Verschiedenheit
der eben genannten Akzentuierungen und ihren unterschiedlichen Orientierungen
an verschiedenen Weltanschauungen und Paradigmen für die Konzeptualisierung
pädagogischen Handelns, jedoch einen gemeinsamen Kern:
„Interkulturelle Erziehung wird verstanden als die notwendige Antwort auf die
entstandene und dauerhaft bestehend bleibende Gesellschaft mit Zuwanderern aus
anderen Kulturen sowie mit daraus entstehenden oder schon vorher existierenden
ethnischen Minoritäten, d.h. als Antwort auf eine als dauerhaft zu akzeptierende
multiethnische oder multikulturelle Gesellschaft“ (Nieke 1995: 30).
98
Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit
Hohmann versucht, die gegenwärtig erkennbaren Ansätze im Anschluss an
Fase/van den Berg in zwei Grundrichtungen einzuordnen. Auf ein Schema
gebracht, differenziert er die Ansätze Interkultureller Erziehung folgendermaßen
(Homann, zit. nach Nieke 1995: 31):
Pädagogik der Begegnung
¾ Zur
Kenntnisnahme
der
zugewanderten
Kulturen,
gegenseitige
Information
¾ Repräsentation der fremden Kulturen im öffentlichen Leben für die
Majorität
¾ Gegenseitige kulturelle Bereicherung
Konfliktpädagogik
¾ Bekämpfung von Ausländerfeindlichkeit, Diskriminierung und Rassismus
¾ Beseitigung von Vorurteilen und Ethnozentrismus
¾ Herstellung von Chancengleichheit
Diese Einteilung Interkultureller Erziehung in zwei Grundformen ist vergleichbar
mit den zwei Grundtypen der Reaktion von Einheimischen auf Zuwanderer, von
Majoritäten auf ethnische Minoritäten, nämlich Befremdung und Konkurrenz. Die
Erstellung der Konzepte Interkultureller Erziehung greifen also, wenn der vorher
genannten Einteilung gefolgt wird, diese Reaktionsformen auf und binden sie in
die jeweils vorgeschlagene pädagogische Antwort auf die neue Herausforderung
ein. Die Akzente können dabei jeweils unterschiedlich gesetzt und häufig können
auch Momente beider Grundformen miteinander verbunden werden (Vgl. Nieke
1995: 32).
4.2.2 Ziele
Der Begriff der Interkulturellen Erziehung ist ein Vieldiskutierter, mit vielen
unterschiedlichen Ansichten. Deshalb ist die Zielsetzung, die im Folgenden
erläutert wird, nicht einfach zu handhaben.
99
Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit
Es ist zum Beispiel geboten, dass jede Konzeption von Interkultureller Erziehung
und Bildung, nicht allein auf einen Begriff von Kultur zu fundieren ist, sondern in
einen jeweils zu wählenden Kontext von Allgemeinbildung, Sozialem Lernen und
Politischer Bildung eingebunden sein sollte.
Für diese drei genannten pädagogischen Aufgabenbereiche gibt es, jeweils
mehrere konkurrierende Ansätze.
Die im Folgenden erläuterten Ziele sind nicht nur allein relevant für den Umgang
der Majorität mit den gegebenen kulturellen Minderheiten ausländischer
Herkunft, sie gelten grundsätzlich für jeden Umgang der Majorität mit
lebensweltlichen Minoritäten und auch für den Umgang der Angehörigen
verschiedener Lebenswelten innerhalb der einheimischen Mehrheitskultur
miteinander (Vgl. Nieke 1995: 198-199).
Interkulturelle Erziehung und Bildung lässt sich im Sinne des oben Ausgeführten
nach Nieke in folgenden zehn Zielen konkretisieren (Vgl. Nieke 1995: 198-212):
1. Erkennen des eigenen, unvermeidlichen Ethnozentrismus
Ethnozentrismus
bedeutet
die
nicht
verhinderbare,
also
unvermeidliche
Eingebundenheit des eigenen Denkens und Wertens in die selbstverständlichen
Denkgrundlagen der eigenen Lebenswelt oder Ethnie. Sichtbar wird er nur in der
Konfrontation mit anderen Meinungen, Einstellungen und Sichtweisen. Wenn
Menschen mit unterschiedlichen Deutungsmusterhorizonten, die mit Lebenswelt
oder Kultur beschrieben werden, zusammenleben oder miteinander auskommen
müssen, wie zum Beispiel in der Schule, können Verständnisprobleme entstehen.
Nicht aufgrund der Sprache, sondern dadurch, dass jemand aus der einen Kultur
seine Deutungsmuster für selbstverständlich ansieht und anderen sie auch als
bekannt unterstellt.
Das Ziel oder die Aufgabe Interkultureller Erziehung und Bildung ist es, solche
Verständnisprobleme im gemeinsamen Alltag zu erkennen und sie in ihrer
lebensweltlichen, kulturellen Bedingtheit deutlich zu machen, um so die
entstandenen Missverständnisse aufzuklären oder ihnen vorzubeugen. Zudem soll
ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass jeder Mensch ohne eine solche
Sensibilität für die jeweils andere Kultur unvermeidlich in seinem eigenen
Kulturzentrismus bzw. Ethnozentrismus gefangen bleibt.
100
Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit
Diesen Verständnisproblemen auf den Grund zu gehen, ist etwas anderes, als nur
über die fremde Kultur zu informieren, wie es häufig von Befürwortern
Interkultureller Erziehung gefordert und praktiziert wird. Ausgehend von der
sozialpsychologisch inspirierten Annahme, dass Misstrauen und Angst gegenüber
Angehörigen kultureller Minderheiten durch Unvertrautheit entsteht, kann durch
den Kontakt mit Menschen anderer Kulturen und durch neue Informationen
abgebaut werden. Es zeigte sich jedoch, dass solche Informationen ohne weitere
Einordnung leicht zur Verstärkung der bestehenden Vorurteile führen können und
damit das Gegenteil dessen bewirken, was beabsichtigt wird.
Der erklärte Ethnozentrismus ist notwendig für eine rasche und routinisierte
Orientierung in der Welt und für die Aufrechterhaltung einer alltäglichen
Handlungsfähigkeit - er ist also unvermeidlich. Eine vollständige Überwindung
dieser Eingebundenheit in die Denk- und Wertgrundlagen der eigenen Lebenswelt
scheint also weder möglich noch sinnvoll zu sein. Ziel Interkultureller Erziehung
und Bildung kann demnach also nicht eine völlige Lösung von der kognitiven und
emotionalen Eingebundenheit in die eigene Lebenswelt sein. Vielmehr ist ein
aufgeklärter Ethnozentrismus, ein Bewusstsein von der Unvermeidlichkeit dieses
Eingebundenseins in die Denk- und Wertgrundlagen der eigenen Lebenswelt,
sowie auch davon, dass andere in ihren Lebenswelten in gleicher Weise verankert
sind, sinnvoll. Dieses kann dann wiederum die Grundlage für Interkulturelle
Kompetenz werden.
Interkulturelle Kompetenz meint die Fähigkeit beim Umgang mit anderen, diese
Verschiedenheiten und Schwierigkeiten in Rechnung zu stellen und sie so zu
thematisieren, dass keiner der Beteiligten in seiner Sichtweise der Welt von
vornherein als rückständig oder falsch denkend bewertet wird.
Ethnozentrismus erlaubt weder, dass die eigenen Positionen immer die richtigen
sind, noch kann er zu einer unbegrenzt relativistischen Anerkennung aller anderen
Positionen führen. Aufgeklärter Ethnozentrismus ist die, sehr schwierig zu
erreichende und auszuhaltende Voraussetzung für die im Folgenden dargelegten
weiteren Zielsetzungen Interkultureller Erziehung und Bildung.
101
Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit
2. Umgang mit der Befremdung
Im spielerischen, unverbindlichen Umgang kann das Andere, Unbekannte und
Fremde an einer anderen Kultur interessant sein. In diesem Kontext wirkt es auf
viele Menschen exotisch. Im normalen Alltag verunsichert es jedoch die meisten
Menschen in ihren Handlungsgewissheiten, Weltsichten und Wertüberzeugungen,
weil sich das Fremde auf dieselben Alltagsbereiche richtet, wie die eigenen
Deutungen und Orientierungen. In diesem Fall ist das Andere nicht nur fremd,
sondern befremdlich und erzeugt meist eine Abwehrreaktion. Aus diesem
beschriebenen Abwehrimpuls entsteht die direkte und indirekte Ablehnung, wie
sie sich in Deutschland als Ausländerfeindlichkeit und als Rassismus manifestiert
und bekannt sind, wie schon in Kapitel 1 dieser Arbeit erläutert.
Diese emotionale Reaktion ist nicht nur durch reine Information oder kognitives
Lernen modifizierbar. Es bedarf dazu eines Lernarrangements, in dem auch die
emotionale Beteiligung des Konfrontationserlebnisses sich ausdrücken bzw. zur
Sprache kommen kann, z.B. durch Rollenspiele, dargestelltes Spiel, Pantomime,
nonverbale Ausdrucksformen und ähnliches.
Die neuere Psychologie der Emotionen legt die Möglichkeit nahe, dass Gefühle
nicht unbedingt als psychische Qualität, als unbeeinflussbare Naturgewalt erlebt
und erlitten werden müssen, sondern durchaus durch kognitive Beeinflussung
zugänglich sind. Nieke bezieht sich auf Montana, der von einer Bildung der
Gefühle spricht. Das würde für die Interkulturelle Erziehung bedeuten, dass auch
ein Umgang mit dem Gefühl der Befremdung durch gedankliche Aufarbeitung
möglich und erfolgreich sein kann. So könnte man sich z.B. vorstellen, dass das
Gefühl der Befremdung gegenüber den, als bedrohlich und als Konkurrenz
wahrgenommenen Zuwanderern eine Neugier auf das Andere, auf das schon am
Anfang angespielte Exotische, umgebildet werden könnte.
Viele Versuche interkultureller Verständigung setzen dort an, indem sie
Gelegenheiten zum kennen lernen schaffen, wovon ein Abbau der Befremdung
erwartet wird. Zugleich werden die positiven Seiten der fremdartigen Kultur
präsentiert, in Erwartung, dass dies die Abwehr in Faszination verwandeln könnte.
Das ist der Hintergrund für Feste in pädagogischen Kontexten, in denen
zugewanderte Minderheiten der einheimischen Kultur etwas aus ihren
Heimatländern zeigen. Zum Beispiel wie in den jeweiligen Ländern gekocht,
musiziert oder getanzt wird usw.
102
Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit
Jedoch fehlen systematische Untersuchungen über die Effekte solcher Treffen.
Die unsystematischen Beobachtungen zeigen Erfolge solcher Begegnungen, aber
es ist auch davon zu berichten, dass ohnehin nur die zuwanderfreundlichen bzw.
„offenen“ Einheimischen zu einer solchen Veranstaltung kommen. In diesen
Fällen existiert keine Befremdung, die abgebaut werden müsste.
3. Grundlegung von Toleranz
Toleranz ist ein Hauptbestandteil für gewaltfreies Zusammenleben in einer
pluralistischen Demokratie und darüber hinaus in einer Gesellschaft mit
Gedanken- und Religionsfreiheit, wie in Deutschland. Deshalb muss Erziehung
zur Toleranz eine selbstverständliche Komponente politischer Bildung sein. Im
Kontext von Interkultureller Erziehung und Bildung wird die Zielsetzung
„Toleranz“ jedoch weitaus anspruchsvoller als im üblichen Verständnis
gebraucht. Diesbezüglich wird eine Toleranz gefordert, gegenüber Menschen
anderen kulturellen Hintergrundes, selbst wenn Teile dieser fremden Lebenswelt,
nicht den eigenen Orientierungen und Wertüberzeugungen entsprechen. Dies
erfordert weitaus mehr, als nur ein unbedeutendes bzw. gleichgültiges
Akzeptieren der Vielfalt von Lebensformen. Toleranz beginnt dort, wo ein
Ausweichen nicht möglich ist, nämlich im öffentlichen Bereich, zu dem im
Wesentlichen die Schule zählt. Toleranz ist dann gefordert, wenn das Geltenlassen
anderer Lebensformen und ihrer Wertgrundlagen die eigenen Gewissheiten so in
Frage stellt, dass starke Abwehrimpulse die Entwertung der anderen
Weltorientierungen zur eigenen Entlastung nahe legen.
In der Überschrift wird von Grundlegung gesprochen und nicht von Erziehung zur
Toleranz. Der Grund liegt in der Einsicht, dass diese höchst voraussetzungsvolle
und
komplexe
Einstellung
mit
den
Mitteln
der
Erziehung
und
der
Bildungsarrangements nicht zuverlässig hergestellt werden kann, sondern, dass
mit diesen Mittel zu ihrem Aufbau nur einige Grundlagen vermittelt werden
können.
103
Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit
4. Akzeptanz von Ethnizität
Ethnizität beschreibt das Bewusstsein und die Präsentation der Zugehörigkeit zu
einer Ethnie. In der Öffentlichkeit wird eine solche Präsentation der
dementsprechenden Ethnie nicht als selbstverständlich angesehen. Die Meinung,
dass Angehörige ethnischer Minderheiten sich möglichst unauffällig anzupassen
hätten, überwiegt. Interkulturelle Erziehung und Bildung erfordert jedoch die
Akzeptanz von Ethnizität, das heißt der Präsentation vor allem kulturell bedingter
Andersartigkeiten durch Angehörige ethnischer Minoritäten. Notwendig ist dabei
die Einübung eines reflektierten Umgangs mit dem Fremdheitserlebnis, das durch
die Auseinandersetzung mit der anderen befremdenden Kultur ausgelöst wird und
das eigene kulturelle Selbstverständnis in Frage stellt. Diesbezüglich wäre der
eigene und unvermeidliche Ethno- oder Soziozentrismus ins Bewusstsein zu
heben, um letztendlich zu einer Haltung eines aufgeklärten Eurozentrismus zu
gelangen.
Auf verschiedenen Institutionalisierungsebenen von Erziehung und Bildung kann
sich eine solche Akzeptanz von Ethnizität realisieren, zum Beispiel:
¾ in der verständnisvollen Reaktion auf lebensweltliche, d.h. kulturell
bedingte Äußerungsformen, Kleidungsgewohnheiten und –Vorschriften
oder religiös bestimmten Essensvorschriften im alltäglichen Umgang.
Akzeptanz von Ethnizität respektiert die für die Betroffenen wichtigen
Äußerungsformen, auch wenn sie für den pädagogischen Alltag oft
unbequem sind.
¾ in der Schule, bezogen auf die achtbare Behandlung der Familiensprachen
der Schüler aus Zuwanderminoritäten, die von alltäglicher Sichtbarkeit
sind, beispielsweise mehrsprachige Beschriftungen und Morgengrüße, bis
hin zu Angeboten zum Erlernen dieser Sprachen für die Angehörigen der
Minoritäten, aber auch die der Majorität.
¾ in den Kontext der Zielsetzung einer Akzeptanz von Ethnizität gehört auch
die
Diskussion
über
die
Einführung
eines
meist
islamischen
Religionsunterrichts, parallel zu den obligatorischen Religionslehren der
beiden großen christlichen Konfessionen. Damit wird offiziell und
institutionell das Recht der Minoritäten auf ihre spezifische religiöse
Unterweisung im Rahmen der Schule akzeptiert.
104
Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit
Allerdings ergeben sich bei der Realisierung der genannten Zielsetzungen
regelmäßig große institutionelle Schwierigkeiten.
Die vorgestellte Zielsetzung einer Akzeptanz von Ethnizität ist kein einfaches
Patentrezept, sondern eine handlungsregulierende Orientierung, die mit sehr viel
Umsicht gehandhabt werden muss. Sie muss insbesondere auch die möglichen
Gegenreaktionen einer zu intensivierten Thematisierung von Unterschieden
mitbedenken, wobei die Lösung nicht im Verschweigen oder Betonen der
Gemeinsamkeiten liegen kann, weil diese Unterschiede weiterhin unterschwellig
oder ausdrücklich in den Alltagsdeutungen der Schüler vorhanden und wirksam
sind.
Die Aufgabe von Bildung bezogen auf den Bestand von Gesellschaft und Kultur
ist die Überlieferung dessen, was zu einer gegebenen Zeit Kultur ausmacht, auf
die
nachfolgenden
Generationen.
Heutzutage
gibt
es
viel
mehr
überlieferungsfähige und –würdige Wissensbestände, als in begrenzter Lebenszeit
erlernt und angeeignet werden können. Von daher besteht die wesentliche
Aufgabe von Bildung auch darin, aus diesen Beständen dasjenige auszuwählen,
was gegenwärtig für unbedingt wichtig und tradierenswert gehalten wird. Diese
Auswahl wird mit der Wichtigkeit für die Heranwachsenden in ihrer künftigen
Existenz als Erwachsene begründet, manchmal auch für ihre gegenwärtige
Lebensform.
Zur Erfüllung der genannten Aufgaben müssen sich die professionellen
Fachkräfte der Bildung, wie z.B. Lehrer jeder historischen Ausprägung von
Kultur, jeder Alltagskultur, Lebenswelt und Nationalkultur kritisch prüfend
nähern.
Im Blick auf die Kulturen der zugewanderten Minoritäten ist diese kritische
Auswahl auch Aufgabe Interkultureller Erziehung und Bildung.
Ziel ist nicht, die mitgebrachte Kultur als Ganzes zu überliefern, sondern
Elemente für den Bildungsprozess auszuwählen, die für die künftige Existenz des
Schülers als Erwachsener voraussichtlich wichtig und sinnvoll sein können.
Dieses muss für die Zielsetzung Interkultureller Bildung einer jeweils gesonderten
Betrachtung für die Betroffenen der Minoritätenkulturen und die Angehörigen der
Majoritätskultur unterzogen werden.
105
Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit
Festzuhalten ist, dass diese Auswahl nicht nach den allgemein bewährten Mustern
der Pädagogik und der Fachdidaktiken für einzelne Unterrichtsfächer und
Lernbereiche getroffen werden darf, sondern die Vertreter und Perspektiven der
Minoritätenkulturen hinzugezogen und ihre Argumente berücksichtigt werden
müssen.
5. Thematisierung von Rassismus
Gegenwärtig wird die Feindseligkeit gegen Zuwanderer und ethnische
Minderheiten als Rassismus geäußert. Vor allem sind Angehörige von
Minderheiten, die sich in körperlichen Merkmalen, vor allem in ihrer Hautfarbe
von den Einheimischen unübersehbar unterscheiden, davon betroffen. Deswegen
ist es erforderlich, diese im Alltag verbreitete Haltung in einer pädagogischen
Intension zu thematisieren, das Fragwürdige und Unhaltbare, sozusagen deutlich
werden zu lassen. Wirksam wird dies allerdings nicht durch eine Boykottierung,
sondern muss zunächst das auch bei Kindern weit verbreitete Unbehagen
gegenüber
rassisch
differenten
Menschen,
aufgreifen.
Dadurch
werden
Hintergründe deutlich. Die Hoffnung einer solchen Wirkung liegt darin, dass ein
Bewusstmachen sonst unbewusster Abwertungstendenzen diese blockieren und
zum
Verschwinden
bringen
kann.
Dadurch
wird
deutlich,
dass
die
Abwertungstendenzen gesellschaftlich fragwürdig sind und nicht akzeptiert
werden.
6. Das Gemeinsame betonen
Bei dem Versuch, die Besonderheiten einer Kultur im Sinne von Lebenswelt zu
berücksichtigen, besteht unvermeidlich die Gefahr, dass damit auch eine bereits
nicht mehr gelebte Kultur künstlich fixiert oder sogar restauriert werden kann. Ein
weiterer Aspekt ist, dass Kultur häufig auf Folklore reduziert wird. Das sind aber
nicht die Intentionen der Interkulturellen Erziehung und Bildung. Jedoch finden
sich in der pädagogischen Praxis nicht wenige Beispiele, in denen gegen die gute
Absicht der Initiatoren eben dies geschieht: Reduzierung von Kultur auf Folklore.
Ein Hauptfehler der zu nennen ist, ist eine unzulässige Gleichsetzung von Kultur
und Nation, etwa als „die türkische Kultur“.
106
Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit
Das bedeutet, wenn ein solches Deutungsmuster zur Basis für Bemühungen von
Zuwanderern genommen wird, den Betroffenen damit oft in der Weise Unrecht
geschieht, das eine künstliche Vorstellung von Nationalkultur der Zuwanderer
entsteht. Um einer solchen Gefahr zu entgehen, so Nieke, kann versucht werden,
das auffindbar Gemeinsame zu betonen, statt, wie oft praktiziert nur die
Besonderheiten der jeweiligen Zuwandererkulturen im Kontrast zu den
Lebenswelten der Einheimischen in den Blick zu rücken.
Eine
solche
Zielsetzung
ist
nicht
einfach
zu
realisieren.
Wo
sich
Gemeinsamkeiten auffinden lassen, sind sie oft so selbstverständlich, dass die
pädagogische Zustimmung solcher Gemeinsamkeiten peinlich wirken kann.
Andere
gut
gemeinte
Versuche
konstruieren
in
dieser
Perspektive
Gemeinsamkeiten, die aus der Perspektive der jeweiligen Kultur keineswegs
solche
sind.
So
gibt
es
zum
Beispiel
didaktische
Vorschläge,
in
religionskundlichem Zugang, Gemeinsamkeiten zwischen Christentum und Islam
aufzuweisen, die von Gläubigen beider Seiten nicht akzeptiert werden könnten.
Dennoch ist es wichtig, die beiden Ausgangspunkte für Interkulturelle Erziehung
und Bildung, die Wahrnehmungen und Erlebnisse von Befremdung und
Konkurrenz, so aufzugreifen, dass über das Sichtbarwerden von Gemeinsamkeiten
die Relativität dieser Deutungen herausgestellt wird. Damit kann sich die
Hoffnung verbinden, dass Befremdung und eine Deutung illegitimer Konkurrenz
abgebaut werden können.
7. Ermunterung zur Solidarität
Die Minoritätsangehörigen untereinander sollen zur Solidarität ermuntert werden,
damit ihre Identität gestärkt wird und eine politische Kraft gebildet werden kann.
Aber auch die Majoritätsangehörigen sollen und können sich mit den Minoritäten
solidarisieren, statt sich verachtend abzugrenzen.
Die Minoritäten können sich wahrscheinlich kaum aus eigener Kraft, einen
wirksamen Minderheitenschutz erstreiten. Dazu kann es nämlich nur kommen,
wenn die Majorität bereit ist, den Minoritäten das Recht auf Anderssein
einzuräumen. Das kann nur mit tätiger Unterstützung durch Angehörige der
Majorität erreicht werden.
107
Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit
8. Einüben in Formen vernünftiger Konfliktbewältigung - Umgang mit
Kulturkonflikt und Kulturrelativismus
Von engagierten Pädagogen, als schwierig bezeichneter Bereich Interkultureller
Erziehung ist der Umgang mit Konflikten in Verhaltensorientierungen und
Wertüberzeugungen. Genauer gesagt bedeutet das, dass es für ein und dieselbe
Handlungssituation sich widersprechende Handlungsvorschriften aus den zwei,
beteiligten Kulturen gibt: der deutschen Majoritätskultur, zu der z.B. auch Schule
und Lehrer gehören und der jeweils betroffenen Minoritätskultur in diesem Fall
des Schülers ausländischer Herkunft. Zum Beispiel, wenn ein Vater seiner
Tochter die Teilnahme am Schwimmunterricht verbietet, gerät die Lehrerin
unvermeidlich in den Konflikt, auf der einen Seite, die Auffassung des Vaters als
Erziehungsberechtigtem aus einer anderen Kultur zu respektieren und auf der
anderen Seite, muss die Lehrerin den staatlichen Erziehungsauftrag erfüllen, allen
Kindern das Schwimmen beizubringen.
An solchen alltäglichen Konflikten wird deutlich, dass Verfahren erforderlich
sind, mit denen begründet entschieden werden kann, welcher Anforderung
nachzukommen ist und welche zurückgewiesen werden muss. Diejenigen, die von
dem Konflikt betroffen sind, müssen dabei nachvollziehen können, von welchen
Grundlagen die Entscheidung ausgegangen ist und welche Folgen voraussichtlich
alternative Wege haben würden.
In realen Situationen ist das nicht immer einfach, da man „nicht nicht“ handeln
kann. Die Konflikte müssen also durch eine Entscheidung gelöst werden.
Die Position des Kulturrelativismus, die besagt, dass alle Kulturen als
gleichwertig
anzusehen
sind,
ist
in
praktischen
Situationen
nicht
aufrechtzuerhalten. Bei kulturbedingten Konflikten wäre als Lösung denkbar,
vernünftige Formen der Beachtung verschiedener Sichtweisen und Wertungen zu
verwenden oder sogar gegebenenfalls neu zu erproben.
Die
gängigen
Formen
nordwesteuropäischen
sind
von
Majoritätskultur
den
Selbstverständlichkeiten
geprägt
und
wirken
der
damit,
möglicherweise auf Angehörige anderer Kulturen ungerecht. In dieser Aussage
drückt sich eine selbstverständliche und nur schwer in Frage zu stellende
Dominanz der Orientierungen von Moderne, aber auch von Urbanität und sozialer
Mittelschicht gegenüber allen anderen Möglichkeiten von Weltorientierungen aus.
108
Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit
Diese benannte Dominanz ist jedoch mit guten Gründen gegenwärtig kaum zu
rechtfertigen.
9.
Aufmerksamwerden
auf
Möglichkeiten
gegenseitiger
kultureller
Bereicherung
In sehr vielen praktischen Ansätzen Interkultureller Erziehung und Bildung steht
der Gedanke im Vordergrund, dass durch die Übernahme von Elementen aus
anderen Kulturen die eigene bereichert werden kann. Zudem kann Interkulturelle
Erziehung und Bildung anregen seinen Horizont zu erweitern. Auch die schon
vorher genannten Bemühungen um die Folklore der zugewanderten Minoritäten
sind aus diesem Gedanken entstanden.
Wichtig dabei ist allerdings, dass die engen Grenzen gesehen werden müssen, die
diesem Bemühen gesetzt sind. Zugewanderten Minoritäten werden überwiegend
von der Majorität in ihrer nationalen, gesellschaftlichen und kulturellen Herkunft
als rückständig angesehen, so dass die allgemeine Bereitschaft grundsätzlich
gering ist von diesen als rückständig angesehenen Kulturen etwas in die eigene
Lebensgestaltung zu übernehmen.
Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass Übernahmen von Kulturelementen aus
Minderheitenkulturen in den Lebensstil von Angehörigen der Majoritätskultur
eher selten sind. Die Übernahme von Bereicherungseffekten ist stark
asymmetrisch verteilt. Bezogen auf die Funktionalität, Attraktivität und den
Prestigewert der Kultur- und Lebensformen sind offenbar für die Angehörigen
von Mehrheit und Minderheiten je unterschiedliche Ausprägungen vorhanden.
10. Aufhebung der Wir-Grenze in globaler Verantwortung
Auch ein Konzept Interkultureller Erziehung und Bildung muss sich der
Herausforderung
stellen,
gattungsgeschichtlichen
die
in
der
Verantwortung
Ethik
formuliert
der
planetaren
worden
ist.
Für
und
die
Interkulturelle Erziehung und Bildung bedeutet das eine besonders zentrale
Umakzentuierung
ihrer
Aufgabe.
Im
Hinblick
auf
die
Probleme
des
Zusammenlebens von Angehörigen verschiedener Kulturen innerhalb eines
Nationalstaates besteht die Aufgabe Interkultureller Erziehung und Bildung in der
produktiven Bearbeitung der beiden Grundtendenzen der Abwehr und
Abgrenzung, nämlich der wahrgenommenen Befremdung und Konkurrenz.
109
Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit
Die jeweilige Wir-Grenze wird durch diese stark emotional eingebundenen
Reaktionen markiert, an der die Solidarität endet und die Ablehnung und
Feindseligkeit, mindestens aber die Gleichgültigkeit gegenüber denen, die jenseits
dieser Grenze lokalisiert werden, begründet werden kann.
Die „Wir–Grenze“ muss neu und anders bestimmt werden. Das Wir dürfen nun
nicht mehr Teile der Menschheit sein, sondern es muss alle Menschen
einschließen und auch die noch nicht Geborenen zu berücksichtigen versuchen.
Daraus ergibt sich die Aufgabe, die Bearbeitung von Befremdung und
Konkurrenz auf alle Menschen und Lebenswelten, über die bisher stillschweigend
unterstellte Grenze eines Territorialstaates hinweg auszudehnen. Es ist also
festzuhalten, dass Interkulturelle Erziehung und Bildung auf eine globale
Verantwortung für alle hinarbeiten müssen. Zudem dürfen sie sich nicht auf ein
vernünftiges Zusammenleben in Kleinräumen, in der Stadt, in der Nachbarschaft
etc. beschränken (Vgl. Nieke 1995: 198-212).
110
Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit
Werden diese Ziele den geläufigen Lerndimensionen kognitiv, affektiv und
handlungsbezogen zugeordnet, ergibt sich laut Nieke folgende Matrix
Abbildung 7:
Zieldimension
begegnungsorientiert
konfliktorientiert
kognitiv
(3)Grundlegen von Toleranz
(1)Erkennen des eigenen,
unvermeidlichen
Ethnozentrismus
(5)Thematisieren von
Rassismus
(10)Aufheben der WirGrenze in globaler
Verantwortung
affektiv
(4)Akzeptieren von
Ethnizität
handlungsbezogen
(6)das Gemeinsame betonen
(2) Umgehen mit der
(=konativ)
(7)Ermuntern zur Solidarität
Befremdung
(9)Aufmerksamwerden auf
(8)Einüben in Formen
Möglichkeiten gegenseitiger
vernünftiger
kultureller Bereicherung
KonfliktbewältigungUmgang mit Kulturkonflikt
und Kulturrelativismus
(Quelle: Nieke 1995: 212)
4.2.3 Interkulturelles Lernen mit dem Ziel Interkultureller Kompetenz
Rohe definiert Interkulturelles Lernen folgendermaßen:
„Als
interkulturelles
Lernen
bezeichnet
man,
wenn
Menschen
aus
unterschiedlichen Kulturkreisen sich im gegenseitigen Miteinander bemühen,
andere kulturelle Orientierungssysteme zu begreifen. Die fremdkulturellen
Kommunikationspartner agieren nach unterschiedlichen Handlungs- und
Denkmustern, Wahrnehmungen und Denkansätzen.
111
Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit
Diese sollte man erkennen und wahrnehmen, um auf ein fremdes kulturelles
Verhalten adäquat reagieren zu können. Dies ist unbedingt notwendig, um die im
interkulturellen Zusammenleben beziehungsweise Arbeiten entstehenden Konflikte
zu erkennen und zu meistern“
(Rohe 2000: 68).
Grundprobleme des interkulturellen Lernens
Die Wahrnehmung anderer Kulturen wird häufig damit verbunden, nicht fassbare
oder widersprüchliche Informationen zu sinnvollen bekannten Mustern zu
sortieren, um damit unbewusst das Fremde auszuschalten. Deshalb muss ein
vermehrter Kontakt zwischen interkulturellen Gruppen nicht zwangsläufig zu
einem interkulturellen Lernprozess führen. Häufige kulturelle Regelverletzungen
sind große emotionale Reaktionen wie z.B. Angst, Empörung, Abscheu und
Ablehnung,
die
Idealisierungen
eine
und
Auseinandersetzung
Exotisierungen
des
mit
der
Fremden
Kultur
geschehen
verhindern.
dazu
im
Umkehrschluss. Zu Anfang erweckt dies den Eindruck einer scheinbaren
Offenheit für Fremdkulturen, fremde Verhaltensmuster und Wertmaßstäbe, steht
aber einer wirklichen Auseinandersetzung mit der Kultur kontraproduktiv
gegenüber. Häufig wird das Fremde ignoriert und vorgegeben, etwas verstanden
oder akzeptiert zu haben, wobei das Fremde tatsächlich jedoch nur in vertraute
Schemata übersetzt wird. Exotismus ist nicht die Erklärung für das wirkliche
Verständnis für andere Kulturen, sondern vielmehr eine Idealisierung alles
Fremden. Daraus resultieren wiederum exotische Idealvorstellungen oder
Stigmatisierungen. Eine Pseudonähe zu der fremden Kultur und eine Scheinwelt
werden aufgebaut, wie sie teilweise in den Reiseprospekten wieder zu finden ist.
Exotismus zielt zwar ursprünglich auf Interkulturelles Lernen ab, ein sinnvoller
Lernprozess findet jedoch nicht statt (Vgl. Rohe 2000: 68).
112
Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit
Phasen interkulturellen Lernens
¾ Die generelle Kulturgebundenheit menschlichen Verhaltens erkennen und
akzeptieren können.
¾ Fremdkulturelle Muster als fremd wahrnehmen können, ohne sie (positiv
oder negativ) bewerten zu müssen.
¾ Eigene Kulturstandards identifizieren und ihre Wirkung in der Begegnung
mit einer Fremdkultur abschätzen können (own-culture-awareness).
¾ Deutungswissen über bestimmte fremde Kulturen erweitern: relevante
Kulturstandards
identifizieren
und
dazu
weitergehende
Sinnzusammenhänge in der Fremdkultur herstellen können.
¾ Verständnis und Respekt für fremdkulturelle Muster entwickeln können.
¾ Erweiterung der eigenen kulturellen Optionen: Mit kulturellen Regeln
flexibel umgehen können; selektiv fremde Kulturstandard übernehmen
können; zwischen kulturellen Optionen situationsadäquat und begründet
wählen können.
¾ Zu und mit Angehörigen einer fremden Kultur konstruktive und
wechselseitig befriedigende Beziehungen aufbauen, mit interkulturellen
Konflikten praktisch umgehen können
(Rohe 2000: 69).
Folgende Aspekte sind z.B. beim Interkulturellen Lernen zu berücksichtigen:
¾ Gibt es Übereinstimmungen bei beiden Kulturen (kulturelle Identitäten),
gibt es Abweichungen (kulturelle Differenzen)? Was kann verbunden
werden (kulturelle Kompatibilitäten), welche Unterschiede können
nebeneinander existieren (kulturelle Tolerierbarkeiten)?
¾ Welche Einstellungen von mir kann ich mit Blick auf das Fremde ändern?
Keine Anpassung birgt ein großes Konfliktpotenzial. Eine völlige
Adaption des Fremden sollte vermieden werden, da dies eine Verleugnung
der eigenen Identität wäre.
(Rohe 2000:70)
113
Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit
Interkulturelle Kompetenz
Ziel des Interkulturellen Lernens ist die Interkulturelle Kompetenz. Sie zählt als
eine Schlüsselqualifikation der heutigen Zeit. Sie wird wie folgt definiert:
„Interkulturelle
Kompetenz
bedeutet,
Wahrnehmungs-
und
Denkmuster,
Urteilsfähigkeit, Sensibilität und Handlungsweise bei sich und anderen zu
registrieren,
respektieren
und
produktiv
anzuwenden.
Dies
impliziert
wechselseitiges interkulturelles Verständnis und eine Anpassung an die
vorherrschenden kulturellen Gewohnheiten, so dass daraus eine konstruktive
Zusammenarbeit für beide Gruppen erwächst. Die daraus resultierenden
Ergebnisse sollten für beide Seiten von nutzen sein. Es sollte eine hohe
Toleranzentwicklung gegenüber Inkompatibilitäten sowie die Verständigung auf
eine gemeinsame Wert-, Norm- und Weltorientierung stattfinden“ (Rohe 2000:
70).
4.2.4 Interkulturelle Trainings
Um den Erwerb der Interkulturellen Kompetenz zu unterstützen und das
Interkulturelle Lernen zu fördern, gibt es interkulturelle Trainingsprogramme, die
die Möglichkeit bieten, die Teilnehmer für die interkulturelle Problematik zu
sensibilisieren (Vgl. Bernhard 2002: 197).
Götz und Bieher umschreiben interkulturelle Trainings wie folgt:
„Zunächst sollte man den Teilnehmern die Kulturgebundenheit des Denkens und
Handelns vermitteln, anschließend dazu beitragen, dass sie die fremden Denkund Erlebnisweisen „durchschauen“ lernen und schließlich Verhaltensweisen und
Konfliktlösungsmechanismen erarbeiten, die eine Anpassung an die fremden
Verhältnisse ermöglichen“ (Vgl. Götz, Bieher 2000: 34).
Verschiedene Trainingsformen, einsetzbar je nach didaktischem Ansatz werden
nach Frieshahn folgendermaßen unterteilt (Vgl. Friesenhahn 2001, 68):
¾ Informationsorientierte Trainings zielen auf die Vermittlung von
wichtigen Gegebenheiten des Ziellandes ab. Durch Vorträge, Filme und
Fallbeispiele wird den Teilnehmern ein Eindruck dessen vermittelt, was
die fremde Kultur ausmacht.
114
Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit
¾ In kulturorientierten Trainings wird mit Hilfe von Simulationsspielen,
Selbsterfahrungsübungen,
Rollenspielen
und
Fallbeispielen
den
Teilnehmern die Möglichkeit gegeben, ihre eigene Kultur zu erkennen und
die Unterschiede zu der fremden Kultur wahrzunehmen. Dabei werden die
Teilnehmer für die Besonderheiten der fremden Kultur sensibilisiert und
sie werden ermutigt, sich damit auseinander zu setzen.
¾ Interaktionsorientierte Trainings haben zum Ziel, über den direkten
Kontakt mit Menschen des Gastlandes die Kultur kennen zu lernen. Durch
Rollenspiele und Kommunikationsübungen können kritische Situationen
dargestellt und reflektiert werden.
¾ In Cultur Assimilator Trainings sollen sich die Teilnehmer durch ein
schriftliches Lernprogramm in die Kultur des Gastlandes hineinversetzen.
Es werden verschiedene Episoden geschildert, für die es mehrere
Erklärungsmöglichkeiten des Verhaltens zur Auswahl gibt. Es gibt eine,
aus der Sicht des Gastlandes, richtige Erklärung
4.3 Handlungsansätze
Im Folgenden werden verschiedene Handlungsmöglichkeiten bzw. -ansätze
aufgezeigt, in denen interkulturell gelernt, vermittelt und beraten wird und in der
sich die Lebenswelten aller Jugendlicher vermischen.
4.3.1 Interkulturelles Lernen in der Schule
Jugendliche verbringen in Relation zu der sonstigen Zeit im Leben die meiste Zeit
in der Schule. Sie stellt deshalb eine wichtige Funktion dar.
„Schule
als
kulturelle
Bildungsinstitution
ist
durch
ihre
Form
der
Wissensvermittlung maßgeblich daran beteiligt, jene Standards zu schaffen, die
als allgemein gültige Kulturtechniken angesehen werden.
Sie ist deshalb eine der zentralen Institutionen, die mit ihren Inhalten und
Interventionen mit dazu beiträgt, eine homogene oder heterogene Kultur
herzustellen“ (Schnabel 2004: 14).
Deutschlandweit gibt es schon eine Reihe von Projekten und Prinzipien, die
Interkulturelles Lernen und die Herkunftssprache von Kindern und Jugendlichen
mit in den Alltag einbeziehen.
115
Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit
Im Folgenden soll exemplarisch ein Projekt aufgezeigt werden:
KOALA Projekt
Das KOALA Projekt wird als ein Prinzip und nicht als ein eigenständiges Projekt
verstanden. Es wird bestimmt durch die koordinierte Förderung von Sprachen. Im
Jahr 1991 lief das Pilotprojekt, welches von zwei Lehrerinnen entworfen wurde
an. KOALA soll zu einem selbstverständlichen Bestandteil der Schulprogramme
werden, indem Schulen ihre pädagogischen Konzepte nach den KOALA
Prinzipien neu überdenken und reflektieren.
KOALA ist „Teil eines umfassenden Lernens in herkunftsheterogenen Klassen
und
damit
auch
ein
Baustein,
der
in
die
bestehenden
schulischen
förderpädagogischen Maßnahmen eingefügt werden kann. Es ist kein starres
Programm, wird schulbezogen weiterentwickelt und ist damit auch veränderbar“
(Nakipoglu-Schimang 2004: 65).
In den Ballungsgebieten gibt es einen Großteil türkischer Kinder und
Jugendlicher, die über keine ausreichenden Sprachkenntnisse verfügen und die
mit diesem Stand eingeschult werden. Häufig sind sie auch in der
Herkunftssprache nicht altersgemäß entwickelt. Sie werden vielerorts bis zum
vierten Schuljahr nicht angemessen alphabetisiert, um für die Folgeschuljahre gut
vorbereitet zu sein. Genau an dieser Stelle setzt KOALA an. Das Prinzip will die
Kinder in ihrer Zweisprachigkeit nicht alleine lassen, sondern sie in ihrer
Bikulturalität und Zweisprachigkeit fördern. Ihre Sprachen werden mit dem Ziel
die Sprachkompetenz insgesamt zu erweitern zueinander in Beziehung gesetzt.
Sie sollen dazu befähigt werden, selbstständig mit ihrer Zweisprachigkeit
umzugehen und sie weiterzuentwickeln. Aus diesem Prinzip ergeben sich andere
Konsequenzen und didaktische Prinzipien, als bei einsprachigen Schülern.
Die primäre Voraussetzung für das KOALA Prinzip ist das präventive und
gleichberechtigte Miteinanderarbeiten mit Schülern und nicht nur der Einbezug
ausländischer Lehrpersonen bei Problemstellungen
(Nakipoglu-Schimang 2004: 63-73).
116
Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit
Das KOALA Prinzip, koordiniert auf drei Ebenen, kann schematisch wie folgt
dargestellt werden:
Abbildung 8:
(Quelle: Nakipoglu-Schimang 2004: 73)
117
Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit
4.3.2 Außerschulische Angebote
Im Folgenden wird exemplarisch ein Bereich der außerschulischen Angebote
vorgestellt, der für die Selbstentfaltung von bikulturellen Kindern und
Jugendlichen von Bedeutung ist. Neben dem folgenden Bereich gibt es noch
weitere, wie beispielsweise der Jugendmigrationsdienst oder verschiedene
Angebote
zu
interkulturellen
Themen
in
Jugendzentren,
Interkulturelle
Jugendcafes usw. , auf die aber nicht ausführlicher eingegangen wird.
Hausaufgabenhilfe
Hausaufgabenhilfen als außerschulische Bildungsangebote werden überwiegend
von Trägern der freien Jugendhilfe in sozialpädagogischen Einrichtungen, zum
Teil aber auch in Räumlichkeiten der Schule angeboten und durchgeführt. Diese
Bildungsangebote sind mit keinen oder sehr geringen Kosten für die Eltern
verbunden und zählen somit zu den niederschwelligen Bildungsangeboten. Es
wird
zwischen
zwei
verschiedene
Arten
der
Hausaufgabenbetreuung
unterschieden: zum einen die ausschließliche Hausaufgabenbetreuung und zum
anderen das Konzept der Ganztagsbetreuung, in der die Hausaufgabenbetreuung
eingebettet ist. Die Kinder und Jugendlichen gehen unmittelbar nach Schulschluss
in die Hausaufgabenbetreuung. In dieser Übermittagsbetreuung werden ihnen in
der Regel ein Mittagsessen und Freizeitmöglichkeiten geboten.
Die Inanspruchnahme einer Hausaufgabenhilfe erfolgt meistens auf Wunsch der
Eltern, die ihre Kinder auf freiwilliger Basis anmelden.
Zudem wird die Hausaufgabenhilfe zunehmend von Kindern und Jugendlichen in
Anspruch genommen, die aufgrund schlechter Schulleistungen eine Unterstützung
im Hinblick auf ihre Hausaufgaben benötigen. Bei Migrantenkindern und
jugendlichen liegt der Grund dafür oft in den Sprachschwierigkeiten und den
damit verbundenen Lernschwierigkeiten.
Die Hausaufgabenbetreuung legt den Schwerpunkt auf die schulische Förderung,
wohingegen die Ganztagsbetreuung eine ganzheitliche Versorgung und Aufsicht
stellt. Weitere Gründe, die für eine Inanspruchnahme von außerschulischen
Hausaufgabenhilfen sprechen, sind der Kontakt zu Gleichaltrigen und das soziale
Miteinander.
118
Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit
Die
Hausaufgabenbetreuungen
Schulformen
und
werden
unterschiedlicher
von
Herkunft
Kindern
unterschiedlicher
wahrgenommen,
„diese
Heterogenität bietet die Möglichkeit soziale und interkulturelle Kompetenzen zu
fördern“ (Husemann: 2005: 247).
Die Hausaufgabenhilfe ist als notwendiges Angebot zu verstehen, die einen
bedarfdeckenden Charakter hat. Darüber hinaus hat das Angebot der
Hausaufgabenbetreuung eine kompensatorische Funktion, da Kinder und
Jugendliche mit Migrationshintergrund unterstützt werden, ihre Kompetenzen der
deutschen Sprache zu erweitern. Hinsichtlich der Chancengleichheit und der
Integrationsfähigkeit in der Schule ist dies von besonderer Bedeutung.
Das regelmäßige Erledigen der Hausaufgaben wird von den betreuenden Personen
dementsprechend positiv honoriert, was das Selbstvertrauen und die Motivation in
die Schule zu gehen, verstärkt. Zudem lernen sie Pflichten zu erfüllen, was
wiederum ihre Selbstständigkeit fördert.
Husemann zählt folgende Punkte als Grundanforderung der Hausaufgabenhilfe
auf:
¾ Für eine situationsgerechte Betreuung muss eine ruhige Arbeitsatmosphäre
geschaffen werden. Das bedeutet, dass entsprechende Räumlichkeiten
vorhanden sein müssen.
¾ Die Hausaufgabenhilfe soll ein regelmäßiges Erledigen der Hausaufgaben
gewährleisten. Die Voraussetzung dafür ist Kontinuität, zum einen von
Seiten der Angebotsseite und zum anderen von Seiten der Kinder und
Jugendlichen.
¾ Ergänzend zu den beiden erstgenannten muss eine angemessener
Betreuungsschlüssel gegeben sein, sowie fest angestellte Mitarbeiter mit
Fachkompetenzen.
Ein zentrales pädagogisches Ziel besteht darin, den Kindern und Jugendlichen
Erlebnisse zu ermöglichen, die sich positiv auf die Lernmotivation und das
Selbstkonzept auswirken. Im Folgenden sollen einige Handlungsansätze zur
Unterstützung von Kindern und Jugendlichen aufgezeigt werden.
119
Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit
Eine Möglichkeit liegt z.B. in der Vermittlung der Fähigkeit des selbstregulierten
Lernens. Das bedeutet konkret, die Kinder und Jugendlichen dabei zu
unterstützen, ihr eigenes Leben zu regulieren, damit sie eigenständig Lernziele
bestimmen und Lernstrategien entwickeln, diese einsetzen und gegebenenfalls
verändern. Somit stellt die Förderung der Selbstständigkeit ein wichtiges Ziel dar.
Die gegenseitige Unterstützung der Lernenden kann unter Anleitung von
Betreuern sehr hilfreich sein. Dieses kann nur ermöglicht werden, wenn genügend
Personal vorhanden ist.
Für Schüler mit Migrationshintergrund kann die Hausaufgabenhilfe zusätzlich als
Sprachförderung genutzt werden. Um die deutsche Sprache zu üben und eine
allgemeine Verständigungsbasis zu schaffen, können Regeln aufgestellt werden,
wie z.B. in angemessenen Situationen nur auf Deutsch miteinander zu sprechen.
Dabei soll ihnen nicht verboten werden, in ihrer Herkunftssprache zu
kommunizieren. Wenn z.B. ein türkisches Mädchen mit drei anderen türkischen
Mädchen spielt, kann es Türkisch mit ihnen sprechen. Kommt aber ein deutsches
Mädchen hinzu, sollte wieder auf Deutsch gesprochen werden, damit eine
gemeinsame Verständigungsbasis geschaffen wird.
Eine weitere Möglichkeit des gezielten Lernens der deutschen Sprache ist das
sinnentnehmende Lesen. „Lesen als Schlüsselqualifikation eröffnet die Teilhabe
am sozialen und kulturellen Leben einer modernen Gesellschaft und bietet die
Möglichkeit der zielorientierten und flexiblen Wissensaneignung“ (Husemann
2004: 254).
Die Lesekompetenz hat eine wichtige Funktion bei der Vermittlung des
selbstregulierten Lernens.
Eine weitere Handlungsmöglichkeit liegt in der Stärkung der gesamten
Persönlichkeit. Das bedeutet, dass Kinder und Jugendliche auch außerhalb der
Hausaufgabenbetreuung, bei anderen Aktivitäten, wie beispielsweise beim
Spielen, soziale Anerkennung erzielen können. Die sozialen Komponenten spielen
eine große Rolle, denn wird die gesamte Persönlichkeit der Kinder und
Jugendlichen gestärkt, wirkt sich das positiv auf deren Selbstbewusstsein und auf
die schulische Leistungen aus. Elemente, wie gemeinsames Spiel und andere
Freizeitaktivitäten, sollte die Hausaufgabenbetreuung integrieren.
120
Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Zusammenarbeit mit Schulen und den Eltern
der Kinder und Jugendlichen, der an dieser Stelle jedoch nicht weiter ausgeführt
wird.
4.3.3 Angebote der Jugendhilfe
Freise hat unterschiedliche Angebote der Jugendhilfe hinterfragt, „inwieweit sie
bei auftretenden Problemen eine Unterstützung für die Identitätssuche
zugewanderter Jugendlicher bereitstellen“ (Freise 2005 138-143).
Er betont, dass es in Bezug auf Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund
eine lückenhafte Statistik gibt, da der Anteil der Nichtdeutschen lediglich bei den
Hilfen
zur
Erziehung,
bei
der
In-Obhutnahme,
bei
den
Erziehungsbeistandschaften und den Adoptionen verzeichnet ist. Bei den
Kindertageseinrichtungen, der Jugendarbeit, der Jugendsozialarbeit und den
allgemeinen Fördermaßnahmen für Familien gibt es hingegen keine statistischen
Angaben. Zudem werden in Deutschland bei solchen Statistiken nur diejenigen
genannt, die keinen deutschen Pass besitzen. Beispielsweise werden eingebürgerte
Migranten oder auch die Gruppe der bikulturellen Jugendlichen mit Elternteilen
zwei verschiedener Nationalitäten nicht gesondert erfasst.
Im Folgenden werden nun im Hinblick auf Kinder und Jugendliche mit
Migrationshintergrund die einzelnen Angebote der Jugendhilfe vorgestellt:
Erziehungsberatung (§ 28 SGB VIII)
Die Erziehungsberatung kann von Kindern und Jugendlichen auf direktem Weg
aufgesucht werden, ohne dies vorher mit dem Jugendamt zu klären. Der
Ausländeranteil ist mit über 50% unterrepräsentiert. Die Gründe dafür sind z.B.:
¾ Die Existenz von Beratungsstellen ist nicht hinlänglich bekannt oder wird
nicht in Anspruch genommen, weil man sich eine Beratung in der
Muttersprache wünscht.
¾ Möglicherweise
herrschen
Befürchtungen
vor,
dass
hier
Erziehungsratschläge gegeben werden, die mit dem eigenen kulturellen
Verständnis von Erziehung nicht übereinstimmen.
121
Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit
¾ Ein Teil der Ratsuchenden Migranten geht in die Ausländersozialberatung
und erhält dort Unterstützung auch zu Fragen der Erziehung (Freise 2005:
140).
Freise
betont
in
diesem
Zusammenhang:
„Eigentlich
müssten
die
Erziehungsberatungsstellen von Migrantenfamilien viel stärker in Anspruch
genommen werden, wenn man davon ausgeht, dass viele Migrantenfamilien unter
besonderen Belastungen leiden“ (Freise 2005:140).
Durch die Erziehungsberatung könnten frühzeitig die Identitätsbildungsprozesse
von Heranwachsenden mit Migrationshintergrund unterstützt werden. Das
erfordert von der Erziehungsberatung, dass sie sich interkulturell öffnet.
Sozialpädagogische Familienhilfe (§ 31 SGB VIII) und individuelle
Betreuungen (§ 30 SGB VIII)
In der sozialpädagogischen Familienhilfe sind Migrantenfamilien etwas mehr
vertreten als bei der Erziehungsberatung, sie sind aber dennoch unterrepräsentiert.
Die sozialpädagogischen Fachkräfte machen sich auf den Weg in die Familien.
Dies erfordert in Bezug auf die Migrantenfamilien von den Fachkräften
interkulturelle Kompetenzen. Sie müssen sich mit den Erziehungsstilen, den
großfamiliären Lebenskontexten, mit kulturspezifischen Werten und Normen
auseinandersetzten und diese kennen, um in den Familien adäquat handeln zu
können.
Individuelle Betreuungen richten sich an Kinder und Jugendliche, die erheblich
auffällig oder straffällig geworden sind. Diese individuelle Betreuung kann durch
eine Erziehungsbeistandschaft, durch einen Betreuungshelfer oder durch
Maßnahmen der sozialen Gruppenarbeit zugeteilt werden. Untersuchungen haben
ergeben, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund bei den individuellen
Betreuungen überrepräsentiert sind.
Soziale Gruppenarbeit, z.B. Soziale Trainingskurse (§ 29, 32 SGB VIII)
Soziale Trainingskurse sind Maßnahmen für Jugendliche die sozial auffällig
geworden sind oder die eine richterliche Weisungsauflage erhalten haben. Auch
hier sind Migrantenjugendliche überrepräsentiert.
122
Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit
„Die sozialen Trainingskurse erweisen sich als eine hilfreiche Interventionsform,
die zumindest die Chance der Reintegration in das soziale Umfeld beinhaltet“
(Freise 2005: 141).
Migrantenjugendliche haben oft Probleme mit den kulturellen Vorstellungen und
Sanktionen ihrer Eltern. In sozialen Trainingskursen soll genau auf solche
Problematiken eingegangen werden. In einer aktiven Bearbeitung werden Themen
wie Fremdenfeindlichkeit, religiöse und kulturelle Vorstellungen, Lebensziele und
Wertvorstellungen, Regeln einhalten usw. besprochen.
Die Gespräche über solche Themen können die Identitätsbildungsprozesse positiv
beeinflussen.
Fremdunterbringung (§ 33, 34, 25 SGB VIII)
Der Anteil ausländischer Jugendlicher bei der Fremdunterbringung ist prozentual
geringer als bei gleichaltrigen deutschen Jugendlichen. Bei den In-Obhutnahmen
hingegen, die eine besondere Notsituation voraussetzen, ist ein hoher Anteil
Minderjähriger zu verzeichnen. Das sind überwiegend ausländische Mädchen, die
sich oft in Eigeninitiative um eine Hilfe bemühen.
Bei der Herausnahme von Kindern und Jugendlichen aus Familien ist die
kulturelle Sensibilität von Fachkräften besonders wichtig. Eltern sollen schon
beim Aufnahmegespräch über kulturelle Gewohnheiten, religiöse Verpflichtungen
usw. befragt werden. Es stellte sich heraus, dass der kontinuierliche Kontakt nur
sehr selten gelingt. Kinder und Jugendliche, die in ein Heim aufgenommen
werden, haben es in mehrfacher Hinsicht schwer. Die Frage, ob es zu einem
Bruch in der Familie kommt, befindet sich permanent in ihren Köpfen. Bei
solchen Identitätskrisen hat das Personal des Heimes die Aufgabe, die Kinder und
Jugendlichen aufzufangen und ihnen einen möglichst angenehmen Rahmen zu
bieten (Freise 2005 138-143).
123
Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit
4.4 Resümee
Nachdem die Interkulturelle Soziale Arbeit einschließlich der Interkulturellen
Erziehung und Bildung, die Handlungsfelder und -ansätze beschrieben wurden,
werden zusammenfassend noch einige Aspekte genannt.
Angesichts des zunehmenden Anteils bikultureller Jugendlicher in der deutschen
Gesellschaft, ergibt sich die Notwendigkeit, dass sich die sozialen Institutionen
interkulturell öffnen.
Dies bestätigt auch das Bundesjugendkuratorium, das davon ausgeht, dass in
einigen Jahren der Großteil der Kinder und Jugendlichen in Familien mit
Migrationshintergrund aufwachsen wird. Jugendarbeit, Jugendverbände und
Jugendpolitik müssen sich mit dieser veränderten gesellschaftlichen Realität
auseinandersetzten (Vgl. Beauftragte der Bundesregierung für Migration,
Flüchtlinge und Integration 2005: 160).
Den Jugendverbänden ist dieses durchaus präsent, deshalb haben sie die
interkulturelle Öffnung als gemeinsames Ziel erklärt.
Die beschriebenen Handlungsansätze zeigen, dass diesbezüglich schon Anfänge
bestehen, sie jedoch noch unzureichend sind. Das zeigt auch die Untersuchung
von Freise, die bestätigt, dass Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund
bei den Angeboten der Jugendhilfe nur unterproportional vertreten sind.
„Insgesamt ist der Grad der interkulturellen Öffnung der Verbände und Vereine
vor Ort bzw. in den einzelnen Landesjugenverbänden sehr unterschiedlich
ausgeprägt. Während einige sich gezielt um eine interkulturelle Öffnung
bemühen, ist dies in anderen Verbänden bislang kaum oder gar nicht erfolgt“
(Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration.
2005: 162).
Als ein weiterer Aspekt ist zu nennen, dass interkulturelle Programme immer
noch als Sonderprogramme und nicht als Regelprogramme laufen (Vgl.
Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration 2005:
162).
Zur Realisierung der interkulturellen Öffnung der Regeldienste ergeben sich viele
neue Herausforderungen.
124
Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit
Zum Beispiel muss vermehrt Personal mit bikultureller Herkunft eingestellt
werden, zum einen aufgrund der Sprachen, zum anderen aufgrund der kulturellen
Emphatie. Besonders zu betonen ist hier die Forderung nach Interkultureller
Kompetenz.
Für
die
Hochschulen
stellt
sich
die
Aufgabe,
vermehrt
fremdsprachige Studierende mit Migrationshintergrund auszubilden. Zudem
müssen in einigen Institutionen Sprachvermittler bzw. Dolmetscher für eine
gemeinsame Verständigungsbasis hinzugezogen werden.
Die Hauptfrage, die sich stellt, ist, wie mit Diversität umgegangen werden soll
ohne zu pauschalisieren und abzugrenzen.
Die
interkulturelle
Öffnung
soll
zunächst
nicht
als
eine
spezifische
sozialarbeiterische oder sozialpädagogische Aufgabe verstanden werden, sondern
als ein generelles sozialarbeiterisches Arbeitsprinzip. Nur wenn sie nicht als
spezielle
Arbeitform
und
Methode
für
bestimmte
Arbeitfelder
und
Klientengruppen gesehen wird, kann die multikulturelle Gesellschaft verstanden
werden (Vgl. Kühne 1999: 47).
125
Fazit
Fazit
In der vorliegenden Arbeit untersuchte ich die Identitätsentwicklung bikultureller
Jugendlicher mit den daraus resultierenden Handlungsansätzen. Eingangs wurde
erwähnt, dass sich dies als schwierig erwies, da es kaum verfügbare Literatur zu
dieser Thematik gibt. Angesichts der unterschiedlichen kulturellen Hintergründe
war es sehr schwierig, allgemeine Probleme und Ressourcen zu formulieren. Die
Literatur bezieht sich überwiegend auf Migrantenjugendliche nimmt also keine
Differenzierung zwischen bikulturellen Migrantenjugendlichen und bikulturellen
Jugendlichen mit Elternteilen aus unterschiedlichen Kulturkreisen vor.
Die Ergebnisse, zu denen ich gekommen bin, sollen im Einzelnen noch einmal
zusammengefasst werden:
Einleitend habe ich grundlegende Aspekte von Kultur näher erläutert, die zum
Gesamtverständnis der Arbeit beitragen. Bei der Betrachtung der verschiedenen
Aspekte kristallisierte sich für mich als Punkt heraus, dass der Kulturbegriff als
ein
Dynamischer
gesehen
werden
muss,
um
Stereotypisierungen,
Pauschalisierungen und letztlich Vorurteilen vorzubeugen. Als Konsequenz
daraus sollte jeder Mensch versuchen sich in seiner eigenen kulturellen
Umgebung zu reflektieren, um wiederum andere kulturelle Hintergründe zu
verstehen. Ein weiterer Aspekt, der sichtbar wurde, ist, dass Multikulturelle
Gesellschaft als ein Konzept des Zusammenlebens und des Austausches gesehen
werden muss und nicht als statische Situation, in der Menschen aneinander vorbei
leben. Nur auf diese Weise kann sich ein interkultureller Alltag entwickeln.
Im zweiten Kapitel stellte ich den Begriff der Identität und verschiedene
Identitätsmodelle vor. Dabei zeigte sich, dass die älteren Modelle der
Identitätsentwicklung von Erikson und Marcia nur begrenzt auf bikulturelle
Jugendliche anwendbar sind. Dennoch sind sie wesentlicher Bestandteil der
Identitätsforschung und haben diese vorangetrieben.
Marcia ist zu der wichtigen Erkenntnis gelangt, dass Identität reversibel ist und
somit einen lebenslangen Prozess darstellt.
126
Fazit
Eines der Hauptergebnisse stellen die Untersuchungen des Autorenteams um
Keupp dar. Es hat sich erwiesen, dass das Individuum nicht nur die eine Identität
bildet, sondern je nach Gegebenheiten verschiedene Teilidentitäten. Übertragen
auf bikulturelle Jugendliche bedeutet dies, dass die bikulturelle Identität sich aus
verschiedenen Teilidentitäten heraus bildet. Die Vorsilbe „bi“ setzt dabei den
Akzent auf die zwei Kulturen, mit denen die Jugendlichen aufwachsen. Demnach
bilden Jugendliche in den zwei unterschiedlichen kulturellen Lebenswelten, in
denen sie sich befinden, ihre Teilidentitäten. Damit ist die in der Einleitung
formulierte These bestätigt, dass die Identitätsbildung bikultureller Jugendlichen
weitaus komplexer ist als bei deutschen Jugendlichen.
Aufgrund dieses Resultates wäre es zukünftig wünschenswert, die Jugendlichen in
ihrer Identitätsentwicklung dahingehend zu unterstützten, ihnen ein Bewusstsein
für die Entwicklung dieser Teilidentitäten zu vermitteln, um ihnen zu
verdeutlichen, dass sie sich nicht für eine Kultur entscheiden müssen, da sie in
beiden Kulturen ihre Teilidentitäten finden können.
Im Hauptteil der Arbeit zeigte ich die Sozialisationsinstanzen bikultureller
Jugendlichen und die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen auf. Anschließend
legte ich anhand von Erfahrungsberichten und einer Untersuchung von Khounani
die Unterschiede bikultureller Jugendlicher dar. Zusammenfassend konnte
festgestellt werden, dass Jugendliche, egal welchen Hintergrund sie haben, nicht
in eine geschlossene Kategorie zu fassen sind, da dafür zu viele Unterschiede
innerhalb der Jugendgruppen bestehen. Des Weiteren ergab sich, dass bei den
gegenwärtigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen des Aufwachsens nicht
alle Jugendlichen den gleichen Zugang bzw. die gleichen Möglichkeiten zum
gesellschaftlichen Leben haben. Daraus ergeben sich Anforderungen an das
Erziehungs- und Bildungssystem. Unterschiedliche soziale, sprachliche und
kulturelle Voraussetzungen müssen beachtet werden, um eine Chancengleichheit
sicher herzustellen. Konzepte, die diese beachten sind erforderlich.
Im Hinblick auf die Identitätsentwicklung bikultureller Jugendlicher hat sich als
zentraler Punkt die Sprache erwiesen. Sie stellt den Schlüssel zur Bikulturalität
dar und erleichtert den Jugendlichen, in beiden Welten eine Identität zu finden.
127
Fazit
Durch die Erfahrungsberichte und die empirische Untersuchung ist deutlich
geworden, dass die Lebenswelten der bikulturellen Jugendlichen sich von denen
der deutschen Jugendlichen je nach kulturellem Hintergrund unterscheiden. Nicht
alle kulturellen Gruppen genießen das gleiche gesellschaftliche Ansehen.
Bikulturelle
Jugendliche
unterscheiden
sich
nicht
nur
von
deutschen
Jugendlichen, sondern auch untereinander bestehen große Abweichungen in den
Erfahrungswerten,
beispielsweise
aufgrund
ihres
Aussehens
und
der
unterschiedlichen Wahrnehmung durch das Umfeld.
Im letzten Teil dieser Arbeit stellte ich zunächst die Interkulturelle Soziale Arbeit
und die damit zusammenhängende Interkulturelle Erziehung und Bildung vor.
Begrifflichkeiten wie Interkulturelles Lernen und Interkulturelle Kompetenz
bestimmen diese Arbeitsbereiche.
Abschließend
erörterte
ich
Beispiele
für
Handlungsmöglichkeiten
der
Interkulturellen Sozialen Arbeit. Die Praxisbeispiele zeigen, dass es bereits
Anfänge von Interkulturellem Lernen im Alltag gibt. Diese sind jedoch weder
ausreichend noch zufrieden stellend. Angesichts der Globalisierung und des
zunehmenden Anteils bikultureller Kinder müssen sich die sozialen Institutionen
verstärkt interkulturell öffnen. Die interkulturelle Öffnung muss dabei als
generelles Prinzip der Sozialarbeit verstanden werden.
Zusammenfassend stellte sich heraus, dass wie eingangs schon erwähnt, eine
Generalisierung von Problemen und Ressourcen aller bikulturellen Kinder und
Jugendlicher nicht möglich ist. Es besteht aber eine hohe Übereinstimmung
hinsichtlich einiger Aspekte und eines Themas, das alle Jugendlichen verbindet,
nämlich die häufige und intensive Auseinandersetzung mit Kultur und Identität.
Die Arbeit zeigte, dass das Interesse an bikulturellen Jugendlichen in der
Forschung nicht groß ist, was sehr zu bedauern ist.
Das relativ unerforschte Gebiet der bikulturellen Kinder und Jugendlichen
erfordert in der Zukunft mehr Beachtung, da sie einen immer größeren Teil in der
Gesellschaft ausmachen.
128
Fazit
Deshalb sollte in Zukunft mehr darauf aufmerksam gemacht werden. Angesichts
der sich wandelnden Lebensverhältnisse und der Globalisierung wäre es
wünschenswert, sich mehr mit der Identitätsentwicklung bikultureller Kinder und
Jugendlicher auseinander zu setzen und diese zu stärken. Die auseinander
klaffenden Welten sind unübersehbar und wer könnte besser eine Vermittlerrolle
einnehmen als diejenigen, die in zwei unterschiedlichen Welten aufgewachsen
sind und davon profitieren.
Damit aus den Ressourcen bikultureller Kinder und Jugendlicher Kompetenzen
werden, benötigen sie ein soziales Umfeld, in dem ihnen Interkulturalität als
selbstverständlicher Bestandteil des Alltags vorgelebt wird. Die Jugendlichen
müssen dabei als „normale“ Jugendliche mit anderem kulturellen Hintergrund
gesehen werden. Nur so kann ein interkulturell gelebter Alltag Erfolg haben und
Veränderung bewirken.
Die intensive Beschäftigung mit der Thematik bewegte mich aufgrund meiner
eigenen bikulturellen Identität dazu, meine Jugendzeit noch einmal zu
reflektieren.
Zu Beginn meiner Pubertät mit ca. zwölf Jahren flog ich mit meiner Familie auf
die Philippinen. Dort verdrängte ich meine philippinische Seite in mir und wollte
einfach nur so sein, wie die anderen Jugendlichen in meinem Alter - ein deutsches
Mädchen. Das Land, mit den dazugehörigen Sitten, Bräuchen und Gewohnheiten
war mir fremd und ich mochte meine Zeit dort nicht verbringen. Zudem verstand
ich die Menschen um mich herum aufgrund der Sprache nicht.
Mir war immer bewusst, dass ich anders bin als meine Freundinnen und, ich eine
andere Erziehung als die deutsche genoss. Jedoch konnte ich es damals nie in
einen Zusammenhang bringen bzw. in Worte fassen. Meine Jugendzeit verging,
ohne, dass ich mir viele Gedanken um meine Identität machte.
Mit achtzehn Jahren absolvierte ich einen Europäischen Freiwilligendienst in
Rom, der meinen Horizont bezüglich Kultur noch einmal veränderte. Die
Wahrnehmung der eigenen Kultur wurde mir, wie im ersten Kapitel beschrieben
durch die Grenzüberschreitung bewusst. Aber wer war ich?
Zu diesem Zeitpunkt wollte ich keine Deutsche mehr sein, ich war stolz darauf zu
sagen, dass meine Mutter von den Philippinen kommt.
129
Fazit
Gleichzeitig fühlte ich mich aber heimatlos und identitätslos, da ich keine richtige
Filipina, keine richtige Deutsche und auch keine Italienerin war.
Irgendwann akzeptierte ich dann für mich, dass ich zwischen den Welten lebe,
weder die eine noch die andere Identität besitze, sondern wie sie von Keupp et.al.
beschrieben wurde Teilidentitäten gebildet habe.
Die Motivation und mein Verlangen, sich mit der Kultur meiner Mutter
auseinander zu setzten und meine Familie am anderen Ende der Welt kennen zu
lernen, wurde nach dem Italienaufenthalt immer stärker. Die Faszination,
Verwandte auf der anderen Seite der Welt zu haben, veranlasste mich während
meines Studiums, mein Praxissemester auf den Philippinen zu absolvieren. Ich
machte mich auf den Weg, meine Wurzeln zu entdecken und berufliche
Erfahrungen zu sammeln.
Ich war so überwältigt, meine Oma nach zehn vergangen Jahren in die Arme zu
schließen. Der Aufenthalt dort war großartig und ich lernte meine philippinische
Seite in mir kennen. Die Herzlichkeit der Menschen dort, mit denen ich arbeitete,
meine Großfamilie mit Tanten und Onkeln fünften Grades und die wunderschöne
Natur der Philippinen ließen mich rundum wohl fühlen.
Wie sich in der Arbeit herausstellte, ist der Schlüssel zur Bikulturalität die
Sprache. Während der Arbeit dachte ich oft darüber nach, wie es wohl gewesen
wäre, wenn ich die philippinische Sprache sprechen würde. Es wäre für mich
wahrscheinlich von Grund auf einfacher gewesen, meine Identitäten zu finden,
wenn ich von Kindesalter an beide Sprachen beherrscht hätte.
Ein weiterer Punkt, der mich neben der Sprache in meiner Bikulturalität bestärkt
hätte, wäre eine frühzeitige Förderung gewesen, wie zum Beispiel ein
Aufmerksam machen auf die unterschiedlichen kulturellen Hintergründe in der
Schule, z.B. durch ein interkulturelles Training oder ähnliches. Das blieb damals
leider aus, so dass ich meine Ressourcen erst während meines Studiums entdecken
konnte.
Insgesamt hat mir die Arbeit eine differenzierte Sicht in die Thematik geboten und
mich um ein fundiertes Wissen bereichert.
130
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Erklärung
Erklärung
Ich versichere, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig angefertigt und außer
den angegebenen keine weiteren Hilfsmittel benutzt habe.
Köln, den 13.03.2006
Cheryl Feldmann
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