Zwischen Fürsorge und Autonomie HP

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Zwischen Fürsorge und Autonomie –
Ethische Herausforderungen der Altenpflege
Fachtagung „Ethik in der Pflege“
Nürnberg – 7. Dezember 2006
1. Zum Begriff Fürsorge
2. Zum Begriff Autonomie
3. Bedingungen, innerhalb derer die Ethik entschieden
wird
4. Pflegeethik auf dem Hintergrund ethischer Konzepte
Gekürzte Fassung – Es gilt das gesprochene Wort.
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1. Zum Begriff der Fürsorge
Fürsorge meint: sich kümmern um andere, sorgen für andere, im Hinblick auf die
Pflege: unterstützen, helfen, heilen, lindern.
Abgrenzungen sind vorzunehmen gegenüber der
-
Sozialfürsorge (als Einrichtung des Wohlfahrtsstaates)
-
Assoziation von Armut und Erniedrigung
-
Paternalismus (als Ausdruck einer Fürsorge, die den anderen
auch da klein hält oder klein macht, wo Eigeninitiative möglich
sind)
In den letzten Jahren wurde im Bereich der Sozialen Arbeit und der Pflege immer
wieder Kritik am Fürsorgebegriff (ähnlich wie am Begriff der Nächstenliebe) geübt:
Er beschreibe Pflege als zu emotional und individuell, zu wenig professionell.
Häufig wird mit Fürsorge eine bestimmte Haltung charakterisiert: das Herz „am
rechten Fleck“ und eine hilfreiche Hand. Weil diese Assoziation nicht die Ausrichtung
einer Profession der Pflege wiedergibt, wird vielfach vom Begriff der Fürsorge
abgesehen. Im Hinblick auf die Professionalisierung sozialer Arbeit/ Pflege wird
heute eher von Fürsorglichkeit gesprochen. Die entsprechende Bezeichnung im
Bereich der Pflegewissenschaften ist care.
Unter Fürsorglichkeit ist eine Haltung zu verstehen, die zur Folge ganz bestimmte
Verhaltensweisen hat: sich hilfsbedürftigen Menschen zuwenden, sie zu verstehen
suchen, ihnen helfen, sie unterstützen. Im Gegensatz zur Fürsorge ist sie nicht
eigentlich organisiert, auch wenn sie natürlich innerhalb bestimmter Strukturen
erfolgt. Fürsorglichkeit lässt dem Hilfebedürftigen auch ausreichend Freiraum und die
Nutzung seiner verbliebenen Ressourcen.
Fürsorglichkeit in der Pflege nimmt ernst, dass Pflege immer ein wechselseitiges
Geschehen ist. Der/ die Pflegende ist dem pflegebedürftigen Menschen gegenüber in
der aktiven Haltung, doch kann – mit zeitlicher Versetzung – auch sie zur
Pflegebedürftigen werden (Vgl. Janosch: Ich mach dich gesund, sagt der Bär). Damit
wird deutlich, dass Pflege letzten Endes einen Ausdruck der menschlichen
Gemeinschaftsbezogenheit darstellt:
„Pflege ist Ausdruck der Grundbewegung des Menschen zum Menschen. Mit dieser
Grundbewegung erkenne ich nicht nur die Bedürftigkeit und die Schwäche des
anderen an. Die Krankheit und die Vergänglichkeit des anderen sind auch potentiell
meine eigene. Mit dieser Bewegung hin zum anderen gebe ich menschlicher
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Verfasstheit einen Ausdruck… Es ist die Manifestation gemeinsamen Menschseins,
die in Kenntnis menschlicher Verletzbarkeit erlebbar wird.“ (Marianne Arndt: Pflege
und Ethik zwischen Macht und Hilflosigkeit, in: Claudia Wiesemann u.a. (Hg.): Pflege
und Ethik. Leitfaden für Wissenschaft und Praxis, Stuttgart 2003, 11-19, 18)
2. Zum Begriff der Autonomie
Autonomie meint als Wort (aus dem Griechischen) die Eigengesetzlichkeit, also die
Fähigkeit und Möglichkeit zu selbst bestimmtem Leben. Diese Vorstellung und das
damit verbundene Menschenbild verdanken wir als Grunddenkform der Aufklärung,
deren Anliegen die Befreiung aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit war.
Aus diesem Menschenbild heraus entwickelt sich die bei uns heute gebräuchliche
Denkweise der Ethik. Deren Zielvorstellung heißt Selbstbestimmung, was bedeutet,
dass jeder Mensch seine Entscheidungen für sich selbst treffen und durchführen
kann. Hinter dieser Einstellung steht der Ausdruck von Lebensgefühl und –stil – jeder
muss wissen, was zu ihm/ ihr passt –, den wir heute in unserer Gesellschaft überall
antreffen können.
Die Vorstellung von der Autonomie des Menschen und seiner daraus abgeleiteten
Selbstbestimmung geht von einem Menschen aus, der in bestimmten Kategorien
existiert: Er ist sich seiner selbst bewusst, kann für sich und andere entscheiden,
trägt die Verantwortung und kann sie auch sprachlich zum Ausdruck bringen. Schnell
ist zu erkennen, dass dies nur für einen ganz bestimmten Kreis der Menschen zutrifft.
Andere wie Kinder, Demente, Bewusstlose etc. sind dabei ausgeschlossen.
3. Bedingungen, innerhalb derer die Ethik entschieden wird
Ethisches Handeln in der Pflege vollzieht sich innerhalb bestimmter Realitäten, die
jeweils durch Gegensätze und daraus entstehende Spannungsfelder beschrieben
werden können.
1. Zunächst ereignen sich die ethischen Herausforderungen in dem schon
beschriebenen
gegenseitigen
Angewiesen
sein
von
Pflegenden
und
Pflegebedürftigen. Pflege gibt es nur, weil es Pflegebedürftige gibt. Wiederum sind
Pflegebedürftige auf die Präsenz und konkrete Hilfeleistung von Pflegenden
angewiesen.
Was
so
selbstverständlich
erscheint,
beinhaltet
ethisches
Spannungspotential, denn damit ist eine eindeutige Zuordnung von „oben“ und
„unten“ oder Macht und Ohnmacht unmöglich.
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2. Eine weitere Grundbedingung für das Pflegeverhältnis sind sehr deutliche
Differenzen in wesentlichen Faktoren der Pflege: Solche Differenzen lassen sich
hinsichtlich der Zeit, Kraft und Verantwortung beschreiben. Konkret heißt das: Alte
Menschen haben sehr viel Zeit, während für die Altenpflegerin die Zeit, die für jeden
Bewohner hat, sehr eingeteilt und knapp bemessen ist. Die Spannkraft der
Pflegenden ist in der Regel der der alten Menschen bei weitem überlegen. Weiterhin
sind ganz bestimmt Unterschiede hinsichtlich der Verantwortung auszumachen. Die
Pflegende hat nicht nur für sich, sondern auch für die pflegebedürftigen Menschen,
im Fall des Managements auch für eine Organisation Verantwortung. Dem
gegenüber lässt sich die Verantwortlichkeit des alten Menschen als relativ gering –
im Wesentlichen auf sich bezogen – charakterisieren.
3. Von daher leitet sich auch ein weiterer Tatbestand ab, der die Pflegebeziehung mit
bestimmt: Die Selbst- und Fremdeinschätzung. Alte Menschen halten sich für
gewöhnlich für nicht besonders bedeutsam, am ehesten vielleicht noch für einen
bestimmten Menschen wie etwa den Lebenspartner. Wenn sie nach ihrem eigenen
Eindruck „zu nichts mehr nütze“ sind, wollen sie oft auch nicht mehr leben. Dem
gegenüber sind die Pflegenden in der Einschätzung alter Menschen weitaus
wichtiger, denn ohne sie könnte eine Reihe von Menschen nicht zurecht kommen.
Somit besteht in der Einschätzung alter Menschen ein großes Defizit in der
„Wichtigkeit“ von ihnen selbst und den Pflegenden. Die Pflegenden selbst wiederum
erleben sich oft als gesellschaftlich nicht bedeutungsvoll. Vielfach werden sie ebenso
gering geschätzt wie die alten Menschen, für die sie da sind, in unserer Kultur
angesehen werden.
4. Zu den Bedingungen, innerhalb derer das ethische Denken sich ereignet, gehört
die Unterschiedlichkeit ethischen Denkens überhaupt. Ethik entsteht immer im
Kontext eines ganz bestimmten Menschenbildes, das in einer Gruppe vorherrschend
ist. Jeder Mensch übernimmt davon etwas, verändert und erweitert sein EthikVerständnis jedoch im Laufe seines Lebens durch die individuellen Eindrücke. Wir
haben es in der Folge bei der Ethik immer mit einer intellektuellen und emotionalen
„Schnittmenge“ zwischen allgemeinem Menschenbild und eigener Biographie
einerseits und der zwischen kollektiver und individueller Kultur andererseits zu tun.
Somit ist die Regel, dass die ethischen Anschauungen und daraus resultierende
Handlungen zwischen Pflegenden und Pflegebedürftigen in vielen Fällen höchst
verschieden sein können.
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Als letzte der Grundvoraussetzungen, unter denen sich Ethik entwickelt, ist der
unterschiedliche Umgang mit der Reflexion über Ethik zu nennen. Während viele
Menschen ihre ethischen Entscheidungen eher nach ihrem Gefühl treffen („Ich kann
so etwas nicht tun.“ Oder: „Ich spüre einfach, dass das so richtig ist.“), kann von
Pflegenden erwartet werden, dass sie ihre ethischen Entscheidungen reflektieren
und
begründen.
Dazu
ist
ethische
Kompetenz
wichtig,
d.h.
wenigstens
Grundkenntnisse über ethische Theorien und die Fähigkeit, die eigene Haltung im
Hinblick auf aktuelle Herausforderungen sprachlich nachvollziehbar darzustellen.
Alle genannten Grundbedingungen, innerhalb derer ethisches Reflektieren und
Entscheiden geschieht, zeigen, dass es dabei individuell sehr verschiedene und
durchaus widersprüchliche Ansätze gibt. Darin liegt die große Schwierigkeit für
Pflegende, zwischen der Fürsorge für Pflegebedürftige einerseits und dem freien
Willen der zu Pflegenden andererseits immer wieder die Balance zu finden.
4. Pflegeethik auf dem Hintergrund ethischer Konzepte
In diesem Rahmen können die bei uns üblicherweise anzutreffenden Ethikkonzepte
hier nur sehr überblickartig benannt werden.
Pflichtenethik: Die Pflichtenethik ist in Deutschland seit der geistesgeschichtlichen
Epoche der Aufklärung weit verbreitet und unter dem Schlagwort Immanuel Kants
vom „Kategorischen Imperativ“ bekannt. Der umgangssprachliche Gebrauch kennt
dafür das Sprichwort „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem
andern zu.“
Gemeint ist damit, dass ich tue, was ich als meine Sache (Pflicht) vernunftgemäß
erkannt habe, um das Handeln mir und anderen gegenüber gut zu gestalten.
Pflichtenethik geht davon aus, dass andere dies auch tun, so dass im menschlichen
Miteinander eine überwiegend vernünftige Umgangsweise entsteht.
Nützlichkeitsethik (Utilitarismus):
Der Utilitarismus (von uti = nützen) fragt als
ethische Haltung danach, welche Verhaltensweise dem größten Teil der anderen
nutzt. Eine Handlung wird dann als gut angesehen, wenn sie dem größeren Teil der
Menschen, die davon betroffen sind, zugute kommt. Schwierig ist dabei, dass
einzelne individuelle Bedürfnisse nicht ausreichend bedacht werden und dass das
„Glück“ der Mehrheit weitgehend undefiniert bleibt bzw. vom Standpunkt des
jeweiligen Betrachters aus benannt wird.
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Christliche Ethik: Die christliche Ethik beruht auf dem christlichen Menschenbild,
wie es sich aus biblisch-theologischer Sicht herleiten lässt. Ihr besonderes
Charakteristikum
ist
der
Aspekt
der
Nächstenliebe
zu
Schwächeren
und
Benachteiligten. Von daher agiert sie in einem Spannungsfeld der Ungleichheit, weil
der christlich motivierte Mensch sich dem anderen zuwendet, ohne von ihm direkt
das Gleiche zu erwarten.
Situationsethik: Bei der Situationsethik liegt die Entscheidung, was als ethisch gut
erkannt wird, nicht nur an den jeweils betroffenen Normen und Werten, sondern auch
an den besonderen Bedingungen der Situation. Somit kann im Hinblick auf die
jeweiligen Umstände im einen Fall etwas als richtig gelten, was im anderen Fall so
nicht entschieden würde. Vorzugsweise arbeitet die Situationsethik dabei nach dem
Prinzip der Güterabwägung (Wenn keine „Lösung“ wirklich gut ist, wird das
bevorzugt, was das „kleine Übel“ darstellt.).
Die Kenntnis der wichtigsten ethischen Grundkonzepte – hier nur skizzenhaft
angesprochen – ermöglicht den Pflegenden, ihren eigenen Standort besser zu
beschreiben und beizubehalten. Ungeachtet dessen bleibt es eine Gratwanderung,
immer
wieder
neu
zwischen
den
Bedingungen,
die
ethisches
Handeln
berücksichtigen muss, und den individuellen Entscheidungen – sowohl bei den
Pflegenden als auch bei den Pflegebedürftigen – den richtigen Weg zu finden.
Prof. Dr. Barbara Städtler-Mach
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