Dirigent Dirk Kaftan, Regisseur Ludger Engels

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VERDI BESCHREIBT SEELENZUSTÄNDE
Das Produktionsteam im Gespräch: Dirigent Dirk Kaftan, Regisseur Ludger
Engels, Bühnenbildner Marc Bausback, Kostümbildner Sebastian Ellrich und
Dramaturgin Juliane Votteler zu Don Carlos
Juliane Votteler: Verdi hat Don Carlos für die Grand Opéra in Paris 1867 in
einer fünfaktigen Fassung in französischer Sprache geschrieben. 1884 wurde an
der Mailander Scala eine vieraktige Fassung in italienischer Sprache
aufgeführt. Warum spielen wir die vieraktige italienische und nicht die
fünfaktige französische Fassung?
Dirk Kaftan: Rein musikalisch fehlt der erste, der sogenannte FontainebleauAkt, weil es im weiteren Verlauf Rückbezüge und Querverweise auf diesen Akt
gibt. Aber inhaltlich ist es richtig, dass wir ihn nicht spielen. Denn die
Liebesgeschichte zwischen Carlos und Elisabeth, die dort erzählt wird, beruht
auf einer Fiktion der beiden Figuren.
Juliane Votteler: Wesentlich in Schillers Drama ist das Thema der Befreiung
Flanderns. Schiller stellt die politischen Verhältnisse und das Thema der
Glaubenskriege ins Zentrum seines Werkes. Dieser Umstand hat Verdi nicht so
sehr interessiert.
Ludger Engels: Die klare Trennung der Zeitebenen bei Schiller – die der
historischen Begebenheit in Spanien im 16. Jahrhundert und die der Aufklärung
im 18. Jahrhundert – hebt Verdi auf. Er entzeitlicht den Konflikt, indem er sich
auf die Figuren und die persönlichen Schicksale konzentriert. Verdi geht viel
stärker auf die idealisierten Vorstellungen von Liebe, Freiheit und Gleichheit
ein. Die Politik wird nur in kurzen Momenten wie im Autodafé oder dem
Volksaufstand als Rahmenhandlung eingesetzt. Er schwächt die politische
Dimension der Figuren ab und stellt deren Zerrissenheit und Einsamkeit in den
Vordergrund. Deswegen haben wir uns auch nicht für eine historische Deutung
entschieden, sondern uns um eine neutralisierte Symbolsprache bemüht.
Juliane Votteler: Wie ist das in der Musik?
Dirk Kaftan: Die Ideale der Aufklärung kann man sehr klar in der Musik
nachweisen. Der Freiheitsbegriff wird in der Melodie deutlich, beispielsweise
bei den flandrischen Deputierten. Verdi setzt ein spanisches Kolorit ein, um die
kalte, strenge Atmosphäre des Ortes und die Eingeschlossenheit der Situation zu
umreißen. Ein zentrales Moment dieses Kolorits ist Ebolis Schleierlied. Es ist
eine Inszenierung der spanischen Hofgesellschaft. Die Musik ist eine Maske,
doch aus einem fast verlogenen Konversationston bricht die individuelle
emotionale Situation der Figuren durch. Hinzu kommt, dass Verdi eine sehr
deutliche Tonartendramaturgie und -Charakteristik verwendet. Wir merken an
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den Tonarten, wo wir emotional sind. Des-Dur beispielsweise ist die Tonart der
Illusion, des Traumes und der Sehnsucht. Die repräsentative Tonart ist das
platte, vulgäre C-Dur: sie steht für das Hofzeremoniell und die
Machtinstrumente des Hofes.
Juliane Votteler: Sebastian, hast Du die spanische Szenerie in der Entwicklung
der Kostüme berücksichtigt?
Sebastian Ellrich: Ich habe die Kostüme nicht naturalistisch entwickelt,
sondern artifizielle Bilder für die zentralen Motive des Stücks gesucht: Das
„Nichtloskommen vom Tod“, das durchgängig präsent ist, zeige ich durch das
Einsteppen von Gerippen. Mir war vor allem wichtig, ein Bild zu finden für die
Last, die das System den Figuren auferlegt. Das Korsett – ein Zitat der
spanischen Hofmode und des spanischen historischen Ursprungs – ist ein klares
Zeichen für eine Einengung, die sowohl körperlich als auch geistig und
moralisch stattfindet. Zwingt man aus politischen Gründen eine Königin dahin,
wird sie in eine Form gepresst, die ihr selbst nicht entspricht und aus der sie
versuchen muss, sich herauszuarbeiten. Der Befreiungskampf ist nicht nur
politisch, sondern vor allen Dingen sehr persönlich. Die Figuren trennen sich
nach und nach ganz bewusst von formellen, einengenden Kleidungsstücken. Sie
entledigen sich ihrer Lasten und dies kann zu einer geistigen Befreiung führen.
Juliane Votteler: Die Kostüme erscheinen aber nicht historisch.
Sebastian Ellrich: Die Kostüme sind nur leicht inspiriert von spanischen
Silhouetten. Man wird Formen wiedererkennen, die die spanische Historie
zitieren, aber grundsätzlich sind es moderne Kostüme, weil wir das Stück auch
in eine moderne Situation übersetzt haben. Die Ausgestelltheit und Kühle einer
Öffentlichkeit und das Beobachtet-Werden sind ungeheuer aktuelle Themen.
Dadurch, dass auch Verdi sich von den historischen Figuren entfernt, finde ich
die historische Zuordnung nicht wichtig.
Juliane Votteler: Gegenüber Schiller haben die Figuren bei Verdi eine größere
Eindeutigkeit. Verdi scheint geradliniger zu sein.
Ludger Engels: In der Oper ist Posa eindeutig. Die Intrige, die er einfädelt, ist
ganz offensichtlich nur Mittel zum Zweck: Um Carlos zu schützen, geht er die
Allianz mit Philipp ein. Gegen Eboli ist es eine offensichtliche Feindschaft.
Gerade im Terzett Eboli, Carlos, Rodrigo im 1. Bild des 2. Aktes geht Posa im
Affekt – von Eboli provoziert – so weit, dass er sie umbringen will. Hier stehen
sich zwei ebenbürtige Menschen gegenüber. Beide gehen bis zum Letzten, um
ihre Interessen durchzusetzen. Ich habe immer mehr Verständnis für diese Frau
in ihrer unendlichen Verletztheit gewonnen. Sie teilt – als einzige Figur – ihre
Gefühle auf eine beeindruckende, einfache Art und Weise ehrlich mit. So eine
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starke Persönlichkeit ist dann auch dementsprechend stark verletzt und holt zum
Gegenschlag aus. Sie ist für mich eine viel freiere Person als Posa. Sie hält an
ihrem Idealismus fest und gerinnt beinahe zu einer Freiheitsstatue.
Juliane Votteler: Hat die Schillersche Vorlage in den Überlegungen zum
Bühnenbild eine Rolle gespielt oder ist das Raum-Konzept mehr aus der Musik
heraus entstanden?
Marc Bausback: Der Ausgangspunkt war für mich zuallererst der Text. Die im
Stück erwähnten Orte spielten für mich zunächst eine untergeordnete Rolle. Ein
„Ort“ entsteht eher aus dem Verhältnis der Figuren zueinander. Ein zentrales
Moment ist die Unfähigkeit aller Figuren, ihre Ziele zu erreichen. Jeder hat eine
Vision, ein vorgestelltes Bild – das von der großen Liebe oder das vom befreiten
Volk – und gleichzeitig das Unvermögen, auf dieses Bild zuzugreifen. Alles
Ersehnte rückt stets aus ihrem Erreichbarkeitshorizont, sobald sie sich darauf zu
bewegen. Das erinnerte mich an die Bilder des Fotografen Thomas Struth, der
u.a. Bilder von Museumsbesuchern beim Betrachten von Gemälden
aufgenommen hat: Man ist immer eine Ebene weiter weg vom Objekt der
Begierde und auf die eigene Rolle als Betrachter zurückgeworfen. Mein
Raumkonzept arbeitet daher der den Figuren eingeschriebenen Unerreichbarkeit
zu. Ein Bild wird ins (Bühnen-)Bild gehängt, welches das Betrachten selbst
thematisiert und mit der Erwartung des Zuschauers in Bezug auf das Betrachtete
spielt.
Juliane Votteler: Das Thema der Überwachung spielt eine große Rolle. Wie ist
es dazu gekommen?
Marc Bausback: Genau dieses Betrachten ist eng verwandt mit dem
Überwachen. Der Großinquisitor ist in Don Carlos die ultimative
Kontrollinstanz. Letztlich entscheidet er über Macht, Liebe und Tod. Das wird
umso bedrohlicher, je mehr er weiß. Über die Überwachungskameras haben er
und seine Anhängerschaft stets die Möglichkeit, alles zu erfassen, und werden
somit zur permanenten Gefahr für alle.
Dirk Kaftan: Die Musik des Großinquisitors wird der Szene, in der sich Philipp
und er begegnen, regelrecht übergestülpt wie ein Gitter. Philipps Tonart ist FDur, die des Großinquisitors f-Moll. Wie er ihn am Ende ihrer
Auseinandersetzung mit in diese Dunkelheit reißt, ist unglaublich dramatisch
gestaltet.
Ludger Engels: Philipp kann gar nicht anders, er muss sich in dieser Musik
bewegen. Am Ende ihrer Begegnung erkennt Philipp seine absolute
Abhängigkeit vom Großinquisitor. Diese Musik ist eine Charakterstudie zweier
Männer, die sich bekriegen. Ich finde es beeindruckend, wie Verdi mit Worten
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wie „Sire“ und „Frate“ das Hierarchiegefüge klarstellt und dem Sarkasmus und
dem, was zwischen den Zeilen steht, Raum gibt. Das sind Momente von nackter,
roher Gewalt.
Dirk Kaftan: Ein absolutes Novum ist, dass Verdi über das ganze Stück hinweg
vier Fagotte besetzt. Dadurch ist die tinta dieser Oper ist sehr düster. Das
Fagottmotiv, das für den Großinquisitor steht, kann man in jeder Nummer
nachweisen. Allerdings beginnen die Fagotte erst in seiner großen Szene, richtig
zu sprechen. Gewiss ist dies die Androhung des Todes, aber auch eine
Bündelung aller Klischees, die man mit dieser finsteren, undurchdringlichen
Farbe verbindet. Don Carlos ist sicherlich Verdis musikalisch experimentellstes
Stück. Was ist der Großinquisitor? Ist es die Welt, die mit ihm durch die Tür
hineinkommt? Ist es die Aura der Vernichtungsmaschinerie? Ist es das Symbol
des Vaters? Es ist nicht eindeutig einzugrenzen und dennoch von Verdi genial in
eine Linie gefügt. Verdi ist somit schon eine Stufe weiter: er beschreibt
Seelenzustände.
Juliane Votteler: Carlos und Posa bauen in ihrem Duett im 1. Akt durch ihren
Gleichklang eine Art Gegenpol zu der Liebesbeziehung Mann Frau auf. Diese
Männerfreundschaft ist doch sehr ungewöhnlich bei Verdi.
Dirk Kaftan: In Don Carlos durchbricht Verdi die Rollenklischees von Mann
und Frau musikalisch. Im Duett von Carlos und Posa kommt es zu einer fast
zärtlichen Begegnung. Eigentlich müsste das Duett mit einer Cabaletta eines
Liebesduetts enden. Doch es folgt ein Bruch, da Carlos und Posa sich ein Stück
zu nahe kommen. Mit dieser Intimität wollen, können sie nicht umgehen. Sie
retten sich in eine musikalische Maske, in die Männerpose eines kriegerischen
Marsches. Posas Freiheitskampf läuft auf einer politisch abstrakten Ebene ab. Im
Duett mit Carlos ist diese Freiheit auf der persönlichen Ebene aber weit davon
entfernt, in Erfüllung zu gehen. Denn in der von klaren Regeln und Gesetzen
bestimmten Gesellschaft wären beide für sich selbst doch nicht bereit, die von
ihnen besungene Freiheit – wobei auch die Frage ist, ob beide das Gleiche
meinen – zu leben.
Ludger Engels: Carlos’ und Posas Vorhaben könnte man mit einem EasyRider-Bild beschreiben: Das ist unsere Revolte, das ist unser Punk gegen die
Zustände und gegen die Elterngeneration, gegen die Regierung und gegen die
Gesellschaftsstrukturen. Letztendlich gehen gerade auch jene, die die Strukturen
bestimmen, an ihnen zugrunde. Nur Carlos erkennt, dass als einzige
Möglichkeit, dem Getriebe zu entfliehen, der komplette Ausstieg bleibt.
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