Neurologie und Psychiatrie in der Altenpflege_916789

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Inhalt
Geleitwort ................................................ 7
Vorwort zur 7. Auflage .......................... 8
– Störungen des Erlebens der eigenen
Person und der Umwelt
(Ich-Störungen) ..................................... 27
– Sonstige Störungen ............................... 27
Grundlagen .............................................. 9
– Begriffsbestimmung und geschichtliche Entwicklung von Neurologie
und Psychiatrie ........................................ 9
Neurologische Syndrome ......................... 11
– Lähmungen ............................................ 11
– Sensibilitätsstörungen ........................... 12
– Extrapyramidalmotorische Störungen 12
– Neurogene Blasenstörungen ................. 13
– Neuropsychologische Störungen .......... 13
Technische Hilfsuntersuchungen
in der Neurologie ...................................... 15
– Neurophysiologie .................................. 15
– Ultraschall-Diagnostik .......................... 16
– Labordiagnostik .................................... 16
– Bildgebende Untersuchungsmethoden 16
Psychiatrische Diagnostik ........................ 19
– Allgemeine Psychopathologie .............. 22
– Bewusstseinsstörungen ......................... 22
– Orientierungsstörungen ......................... 23
– Aufmerksamkeitsstörungen .................. 23
– Gedächtnisstörungen ............................. 23
– Wahrnehmungsstörungen ...................... 24
– Denkstörungen ...................................... 24
– Gefühlsstörungen (Affektstörungen) .... 25
– Störungen des Antriebs
und der Psychomotorik ......................... 26
– Zwänge .................................................. 26
Neurologische Krankheitsbilder ...... 29
– Durchblutungsstörungen ....................... 29
– Akute Durchblutungsstörungen
des Gehirns ............................................ 29
Tumoren des Zentralnervensystems ...... 32
– Schädel-Hirn-Verletzungen ................... 34
– Traumatische Querschnittslähmung ...... 37
– Entzündungen
des Zentralnervensystems ..................... 39
– Erkrankungen des extrapyramidalmotorischen Systems ............................ 43
– Ausgewählte Erkrankungen
des peripheren Nervensystems .............. 48
– Ausgewählte Kopfschmerzerkrankungen ......................................... 50
– Epilepsie ................................................ 52
Psychiatrische Krankheitsbilder ..... 59
– Symptomatische psychische Störungen
(Psychische Störungen als Symptom
einer Schädigung oder Irritation
des Gehirns) .......................................... 59
– Demenz ................................................. 65
– Demenz bei Alzheimer’scher
Erkrankung ............................................ 67
– Vaskuläre Demenz ................................ 72
– Demenz bei Pick’scher Erkrankung ...... 73
– Normaldruck-Hydrozephalus ................ 74
– Demenz bei Creutzfeld-Jakob’scher
Erkrankung ............................................ 74
– Demenz bei Lewy-Körper-Krankheit ... 75
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–
–
–
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Inhalt
Abhängigkeit und Missbrauch .............. 75
Schizophrenie ........................................ 83
Affektive Störungen .............................. 92
Reaktionen auf schwere Belastungen
und Anpassungsstörungen ..................... 99
Neurotische Störungen ........................ 101
Schlafstörungen ................................... 105
Intelligenzminderung .......................... 109
Suizid und Suizidgefahr ...................... 111
– Gerontopsychiatrische
Versorgungsstrukturen ......................... 118
– Psychopharmaka in der Altenpflege ... 122
– Nichtmedikamentöse
Behandlungsformen ............................ 127
– Ausgewählte rechtliche
Bestimmungen .................................... 131
Spezielle Themen der
Versorgung und Behandlung .......... 115
– Internetseiten für die Altenpflege ....... 140
– Literatur ............................................... 142
– Neurologische Rehabilitation .............. 115
Sachwortverzeichnis ........................ 143
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Anhang ................................................. 137
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8
Vorwort zur 7. Auflage
Anlässlich der 7. Auflage wurde dieses Buch
wieder überarbeitet. Struktur und Auswahl der
Themen richten sich nach dem Lehrplan für die
Altenpflegeausbildung des Bayerischen Kultusministeriums. Bestand sind dadurch Abschnitte über die geschichtliche Entwicklung
von Neurologie und Psychiatrie, neurologische
Rehabilitation, gerontopsychiatrische Versorgungsstrukturen und Schlafstörungen. Die Kapitel wurden aktualisiert. Die Darstellung einiger allgemeinpsychiatrischer Krankheitsbilder
habe ich beibehalten, weil sie zum Alltag der
Altenpflege gehören – auch wenn dies das Berufsbild im engeren Sinne nur eingeschränkt
vorsieht.
Mein Anliegen war es, die wesentlichen Informationen zu den einzelnen Themen zu vermitteln und trotzdem kompakt und verständlich zu
bleiben. Für Leser, die weitergehende oder spezielle Interessen haben, möchte ich auf die Informationsmöglichkeiten hinweisen, die das Internet bietet. Eine Auswahl interessanter Seiten
für Altenpfleger/innen findet sich im Anhang.
Ebenfalls in den Anhang mit aufgenommen
wurde eine Tabelle, in der die psychiatrischen
Krankheitsbezeichnungen nach ICD-9 und
ICD10 gegenübergestellt sind. Sie ist dazu gedacht, Altenpfleger/innen, deren Ausbildung
eine Weile zurück liegt, die Umstellung auf die
neue amtliche Klassifikation zu erleichtern.
Es wurde mehrfach der Wunsch geäußert, einen
eigenen Abschnitt über Anatomie und Physiologie des Nervensystems mit aufzunehmen. Ich
habe dies aus zwei Gründen nicht getan: zum
einen wäre das Buch dadurch noch umfangreicher (und teurer)geworden, zum anderen gibt es
zu diesem Thema hervorragende Lehrbücher
für Pflegepersonen, die ein derartiges Unterfangen überflüssig machen (z.B. J. S. Schweigler.
Der Mensch – Anatomie und Physiologie.
Schritt für Schritt Zusammenhänge verstehen.
Stuttgart–New York 1998).
Viele mögen sich daran stören, dass im Text
immer nur vom »Altenpfleger« und vom »Patienten« gesprochen wird. Natürlich gibt es wesentlich mehr Altenpflegerinnen und möglicherweise auch Patientinnen als Altenpfleger
bzw. Patienten, aber um der Lesbarkeit willen
habe ich die nach wie vor gebräuchliche männliche Form beibehalten.
Mein Dank gilt meinen Schülern und Kritikern,
die erheblich zu dem Bemühen um Verbesserung beigetragen haben.
Deggendorf, 2005
P. Hahn
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Psychiatrische Diagnostik
Die Diagnose einer psychiatrischen Störung
erfolgt durch eingehende Untersuchung des Patienten, die eine genaue Befragung (Exploration) sowie den internistischen und neurologischen Befund umfasst. Bei bestimmten
Erkrankungen (z.B. Demenz) sind die Betroffenen selbst kaum in der Lage, über die Entwicklung des Beschwerdebildes zu berichten. In diesem Fall hilft die Befragung der Angehörigen
(Fremdanamnese) weiter. Am Ende der Untersuchung werden die Befunde festgelegt, getrennt nach allgemein-körperlichem, neurologischem und psychopathologischem Befund
(näheres hierzu s.u.).
Ähnlich wie in der Neurologie ist es auch in der
Psychiatrie häufig erforderlich, den erhobenen
Befund durch Zusatzuntersuchungen weiter abzuklären. Hierbei unterscheidet man somatische (körperliche) Untersuchungen von psychologischen bzw. psychopathometrischen.
Wesentliche somatische Untersuchungsmethoden sind:
– EEG
– Computertomogramm oder MRT
– EKG
– Labordiagnostik (Blut- und Liquoruntersuchungen).
Psychologische Untersuchungsmethoden dienen dazu den persönlichen Eindruck des Untersuchers durch objektive Befunde zu überprüfen
und das Ausmaß der Störung zu erfassen.
»Tests« dürfen aber in ihrer Aussagekraft nicht
Laborbefunden, z.B. Leberwerten, gleichgesetzt werden. Sie liefern immer nur Richtlinien,
die im Zusammenhang mit dem klinischen Eindruck bewertet werden müssen.
Man kann sie in drei große Gruppen einteilen:
• Leistungstests
Sie dienen zum Erkennen psychischer Störungen, insbesondere im Bereich der kognitiven Funktionen (z.B. beginnende Demenz). Beispiele: Benton-Test, HamburgWechsler-Intelligenz-Test. Im weiteren
Sinne gehören hierzu auch Verfahren, um
neuropsychologische Störungen wie Aphasie, Apraxie etc. zu erfassen. Als Beispiel
sei hier der Mini-Mental Status Test angeführt, mehr wegen seiner weiten Verbreitung
als seiner wissenschaftlichen Bedeutung
(Tabelle 3).
• Persönlichkeitsdiagnostik
Persönlichkeitstests sollen helfen, vorherrschende Persönlichkeitszüge zu erfassen. In der Gerontopsychiatrie ist ihre Bedeutung gegenüber den Leistungstests eher
nachrangig. Beispiele: MMPI (MinnesotaMultiphasic-Personality-Inventory), FPI
(Freiburger Persönlichkeits-Inventar)
• Verfahren zur Beurteilung des Schweregrades einer Störung
Auch wenn die Diagnose häufig feststeht,
möchte man in der Regel wissen, wie ausgeprägt die Störung ist, und ob in der Behandlung Fortschritte erkennbar sind bzw.
ob eine Verschlechterung eingetreten ist.
Hierzu bedient man sich sogenannter Skalen. Beispiele: Hamilton-Depressions- Skala
oder Geriatric-Depression-Score bei Depressionen, Syndrom-Kurztest bei kognitiven
Störungen, Barthel-Index bei Störungen der
Aktivitäten des täglichen Lebens. Weitere
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Beispiele für solche Skalen finden sich weiter unten bei den einzelnen Krankheitsbildern
Trotz dieser Bemühungen um möglichst objektive Befunde kommt es für die endgültige
Diagnose wie auch die Behandlung sehr auf das
Gespür des Psychiaters an; ebenso wichtig ist,
welche Auffassung er über die Entstehung der
Erkrankung hat.
Während es beispielweise in der Allgemeinmedizin beim Anblick einer geröteten Rachenmandel keine großen Zweifel an einer
Mandelentzündung gibt, so kann man in der
Psychiatrie angesichts eines depressiven Pa-
Psychiatrische Diagnostik
tienten durchaus verschiedene Meinungen über
die Entstehung dieser Depression haben. Aus
diesem Grunde gab und gibt es innerhalb der
Psychiatrie unterschiedliche Lehrmeinungen
sowohl über die Entstehung der einzelnen Erkrankungen als auch ihre Einteilung.
Dies ist auch nicht verwunderlich, denn in die
Beurteilung menschlichen Verhaltens gehen
immer kulturspezifische, weltanschauliche oder
religiöse Aspekte mit ein.
Auch die Frage, was normal und was abnorm
ist, hängt mit der Einstellung des jeweiligen
Betrachters zusammen. Um diese sehr persönlichen Aspekte möglichst zu reduzieren, wurde
Orientierung
Zeit
Ort
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
Jahr
Jahreszeit
Datum
Wochentag
Monat
Land/Staat
Bundesland
Stadt/ Ortschaft
Klinik/Heim/Praxis
10. Stockwerk
1
1
1
1
1
1
1
1
1. Auto
2. Blume
3. Kerze
1
1
1
1. 93
2. 86
3. 79
4. 72
5. 65
oder
1. O
2. I
3. D
4. A
5. R
1
1
1
1
1
1
Merkfähigkeit
Der Untersucher nennt folgende drei Gegen stände und fordert
den Patienten auf, die Begriff zu wiederholen. Der Untersucher
wiederholt die Wörter solange, bis der Patient alle drei gelernt hat
(höchstens 6 Wiederholungen)
Aufmerksamkeit und Rechenfähigkeit
Von 100 an sind jeweils 7 abzuziehen. Falls ein Rechenfehler gemacht wird und die darauf folgenden Ergebnisse »verschoben«
sind, wird nur ein Fehler gegeben.
Falls der Patient die Aufgabe nicht durchführen will oder kann,
RADIO rückwärts buchstabieren lassen:
Tabelle 3: Mini-Mental Status Test
1
1
1
1
1
1
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Psychiatrische Diagnostik
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Tabelle 3: Fortsetzung
Erinnerungsfähigkeit
Der Untersucher fragt nach den drei zuvor genannten Wörtern
1. Auto
2. Blume
3. Kerze
1
1
1
Der Untersucher zeigt zwei Gegenstände und fordert den Patienten auf, sie zu benennen
1. Armbanduhr
2. Bleistift
1
1
Der Untersucher fordert den Patienten auf, nachzusprechen
3. »Sie leiht ihm
kein Geld mehr«
1
Der Untersucher lässt den Patienten folgendes Kommando befolgen:
4. »Nehmen Sie
dieses Blatt in
die rechte Hand«
5. »Falten Sie es in
der Mitte«
6. »Legen Sie es
auf den Boden«
1
Der Untersucher bittet den Patienten, die folgende, aufgeschriebene Aufforderung zu Lesen und zu befolgen
7. Bitte schließen
Sie die Augen
1
Der Untersucher fordert den Patienten auf
8. einen vollständigen Satz zu
schreiben
1
Der Untersucher lässt den Patienten eine vorgegebene Figur malen. Die Seiten und Winkel müssen stimmen, die überschneidenden Linien ein Viereck bilden
9. nachzeichnen
1
Sprache
Punkte insgesamt
1
1
30
Bewertung: Leichte bis mittelgradige Demenz unter 20, schwere Demenz unter 10 Punkten.
Demenzen im Frühstadium können mit diesem Test schwer erfasst werden
eine international verbindliche Einteilung der
psychiatrischen Störungen entwickelt, in der
auch klare Richtlinien festgelegt wurden, unter
welchen Voraussetzungen eine psychiatrische
Diagnose zu stellen ist. Hierbei handelt es sich
um den Diagnosenschlüssel der Weltgesundheitsorganisiation (ICD = International Classification of Diseases), der derzeit in der zehnten
Überarbeitung vorliegt und deshalb kurz als
ICD-10 bezeichnet wird. Diese KrankheitsKlassifikation ist seit dem 1.1.2000 in Deutschland verbindlich. Jeder Diagnose ist eine
Schlüsselnummer zugeordnet, die vom Arzt angegeben werden muss. In der Psychiatrie haben
sich dadurch viele Krankheitsbezeichnungen
geändert.
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Erkrankungen des extrapyramidalmotorischen Systems
gegebenenfalls unter Zuhilfenahme weiterer
Maßnahmen wie Reittherapie
• Ergotherapeutische Behandlung
– Üben von Ziel- und Feinmotorik
– Verbesserung bestimmter Funktionsabläufe
–
wie Essen, Ankleiden etc.
Beschaffung von Hilfsmitteln
• Psychiatrische Behandlung
– symptomatische Behandlung psychischer
–
Symptome durch Psychopharmaka und Psychotherapie
Teilnahme an Selbsthilfegruppen
• Differenzialdiagnose
Aufgrund der komplexen Symptomatik der MS
muss bei der Abklärung der Symptome auch an
viele andere Erkrankungen gedacht werden,
insbesondere Rückenmarkstumoren, stoffwechselbedingte Störungen (funikuläre Spinalerkrankung) sowie entzündliche Prozesse des
ZNS.
Die MS darf ferner nicht mit der amyotrophischen Lateralsklerose verwechselt werden.
Die ALS (auch MAL = myatrophische Lateralsklerose) ist eine Systemkrankheit des Nervensystems, die fast ausschließlich die Motorik betrifft. Typisch sind Symptome sowohl des
ersten als auch des zweiten Neurons, also
gleichzeitig zentrale und periphere Lähmungserscheinungen. Neben spastischen Lähmungen
findet man Muskelatrophien und spontane
Muskelzuckungen, sogenannte Faszikulationen. Im Gegensatz zur MS fehlen sensible
Störungen. Die Erkrankung führt über eine
Lähmung der Atemmuskulatur fast immer zum
Tode. Die genaue Ursache ist noch unbekannt,
der Verlauf kann medikamentös verzögert
werden, z.B. durch Riluzol (Rilutek®). Die
Erkrankung tritt gehäuft nach dem 55. Lebensjahr auf, Männer sind häufiger betroffen als
Frauen.
43
Erkrankungen des
extrapyramidalmotorischen
Systems
Willkürliche Bewegungen werden über die
Pyramidenbahn vermittelt. Das motorische
System außerhalb der Pyramidenbahn (extrapyramidalmotorisches System) reguliert die Feinabstimmung der beabsichtigten Bewegung und
hat die Aufgabe, scheinbar automatisch ablaufende Bewegungen oder Muskelaktivitäten, wie
Haltung, Mimik, Gestik, Gangbild zu steuern.
Die anatomischen Grundlagen dieses Systems
liegen in den sogenannten Basalganglien: im
Nucleus caudatus (Schweifkern), Nucleus
lentiformis (Linsenkern), in der Substantia nigra (schwarzer Kern) u.a.
Erkrankungen des extrapyramidalmotorischen
Systems führen nicht zu Paresen, sondern zu
Störungen der Bewegungsabläufe, die entweder
reduziert (Parkinson-Syndrom) oder überschießend (Chorea) sein können.
Parkinson Syndrom
Etwa 100 bis 200 von 100.000 Menschen leiden an einem Parkinsonsyndrom. Das Erkrankungsrisiko nimmt vom 50. Lebensjahr an
ständig zu und findet seinen Gipfel im siebten
bis achten Lebensjahrzehnt.
Symptome
Das Parkinson-Syndrom geht mit Rigor, Tremor und Akinese sowie vegetativen und psychischen Störungen einher. Diese Symptome
wurden bereits im Abschnitt »Extrapyramidalmotorische Störungen« (S. 12) dargestellt. Weitere Symptome können sein:
– Blickkrämpfe
– plötzliches Erstarren (Freezing)
– Verkleinerung der Handschrift (Mikrographie)
– Veränderung der Stimme: sie wird leiser und
höher
– Störung der Haltungsreflexe: Beeinträchti-
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Neurologische Krankheitsbilder
gung der automatischen Ausgleichbewegungen, wenn der Körper aus dem Gleichgewicht gebracht wird, erhöhte Sturzneigung
Psychisch stehen Verlangsamung der Denkabläufe sowie depressive Verstimmung im Vordergrund. Parkinsonpatienten wirken wegen
des starren Gesichtsausdrucks und der Denkverlangsamung oft geistig abgebaut, haben
jedoch in der Regel keine intellektuellen Störungen. Nur bei einem kleinen Teil der Fälle
entwickelt sich zusätzlich eine Demenz (möglicherweise durch Kombination mit anderen degenerativen Erkrankungen).
Verlauf
Bevor die charakteristischen Symptome der
Krankheit erkennbar sind, klagen die Betroffenen über eher unspezifische Beschwerden
wie
– Schmerzen in den Extremitäten, allgemeine
–
–
Steifigkeit (Verwechslung mit rheumatischen Symptomen möglich)
Schwierigkeiten bei feinmotorischen Leistungen wie Schreiben, Stricken, Eindrehen
von Schrauben
Minderung der allgemeinen Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit, traurige Verstimmung (Verwechslung mit Depression
möglich)
Beim Vollbild der Erkrankung kann man drei
Verlaufstypen beobachten:
schließlich durch Zittern (Ruhe- und Haltetremor), kann schon vor dem 20. Lebensjahr
auftreten und ist zehnmal häufiger als der
Parkinson-Tremor.
Das Parkinson-Syndrom verläuft über Jahre
und kann dabei über zunehmende Gelenksversteifung zur Bettlägerigkeit führen. Eher
selten sind Verläufe mit tödlichem Ausgang
als Folge von Komplikationen, wie Pneumonie
der Sepsis (ausgehend von Dekubitalgeschwüren). Das jeweilige Krankheitsstadium wird
mittels der Skala von Hoehn und Yahr angegeben, siehe hierzu Tabelle 4.
Stadium
Symptomatik
I
einseitige Symptomatik
II
beidseitige Symptomatik
III
gestörte Haltungsreflexe, Gleichgewichtsstörungen, Hinstürzen
IV
voll ausgebildete Symptomatik
mit schwerer Behinderung
V
rollstuhlpflichtig oder bettlägerig
Tabelle 4: Stadieneinteilung der Parkinson
Krankheit nach HOEHN und YAHR
Ursachen
Beim Parkinson-Syndrom wurden eine Reihe
von Veränderungen des Gehirns gefunden:
– Neuropathologisch zeigt sich ein Pigment-
– Äquivalenztyp: Rigor, Tremor und Akinese
sind annähernd gleichmäßig ausgeprägt.
– Akinetisch-rigider Typ: Akinese und Rigor
–
stehen im Vordergrund, während der Tremor
im Hintergrund steht, mitunter auch fehlt.
Tremordominanz-Typ: Es besteht vorwiegend ein Tremor bei minimaler Ausprägung
von Akinese und Rigor. Dieser Verlaufstyp
wird oft mit dem senilen Tremor verwechselt, einer Spätform des sogenannten essentiellen Tremors. Dieser äußert sich aus-
–
verlust in der Substantia nigra; in diesem Bereich finden sich auch Veränderungen der
Zellen in Form von sogenannten Lewy-Körpern (allerdings ein eher unspezifisches Zeichen).
Neurochemisch besteht eine Störung des
Gleichgewichts zwischen den Neurotransmittern Azetylcholin und Dopamin. Der
Mangel an Dopamin beruht wahrscheinlich
auf einer verminderten Bildung in der vom
Zelluntergang betroffenen Substantia nigra.
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Erkrankungen des extrapyramidalmotorischen Systems
Den Ursachen nach kann man das ParkinsonSyndrom wie folgt einteilen:
• Idiopathisches Parkinsonsyndrom
= Parkinsonsche Krankheit
(67 % der Fälle)
Zugrunde liegt eine primär degenerative Erkrankung, deren eigentliche Ursachen unbekannt sind. Eine genetische Komponente wird
angenommen.
45
mente nach einer gewissen Zeit wieder abklingt. An erster Stelle stehen hier Neuroleptika
sowie bestimmte Medikamente gegen Bluthochdruck.
Auf die seltenen Formen von Parkinsonismus
im Rahmen bestimmter neurologischer Systemkrankheiten (insgesamt 5 % aller Fälle) soll
hier nicht näher eingegangen werden.
Therapie
• Postenzephalitische Form (4,3 %)
Das Parkinsonsyndrom bleibt als Folge einer
Enzephalitis zurück. Die Economo- Encephalitis, die nach dem 1. Weltkrieg auftrat, galt lange
als häufigste Ursache dieser Form, spielt aber
heute keine Rolle mehr. In letzter Zeit werden
Parkinson-Syndrome im Zusammenhang mit
AIDS-Enzephalopathien und der Lyme-Borreliose diskutiert.
• Vaskuläre Form (7,7 %)
Parkinsonismus als Folge einer Durchblutungsstörung ist viel seltener als weithin
angenommen. Sie wird am ehesten in Zusammenhang mit der subkortikalen arteriosklerotischen Enzephalopathie (Morbus Binswanger, vaskuläre Demenz) beobachtet.
• Toxische Form (0,6 %)
Sie tritt auf bei Vergiftungen mit bestimmten
Stoffen wie Mangan (z.B. bei Grubenarbeitern)
und Kohlenmonoxid (z.B. Auspuffgase) oder
MPTP (= Methylphenyltetrahydropyridin),
erstmals festgestellt in der Drogenszene, jetzt in
der Forschung verwendet zur Erzeugung von
experimentellem Parkinsonismus bei Versuchstieren. Toxische Ursachen von Parkinson-Syndromen fallen zahlenmäßig kaum ins Gewicht,
spielen aber eine wichtige Rolle für das Verständnis der Krankheitsentstehung.
• Medikamentöse Form (Parkinsonoid)
Medikamente, die die Aktivität von Dopamin
dämpfen, können gleichzeitig ein Parkinsonoid
hervorrufen, das mit Absetzen der Medika-
Medikamentöse Behandlung
Die medikamentöse Behandlung des Parkinson-Syndroms beruht auf drei Prinzipien:
1. Vermehrtes Angebot von Dopamin durch
Gabe von Dopaminvorstufen (Madopar®,
Nacom®, Striaton®) oder Wirkungsverstärkern (Beispiele: Cabaseril®, Dopergin®,
Parkotil®, PK-Merz®, Pravidel®, Requip®, Sifrol®)
2. Hemmung des Abbaus von Dopamin, z.B.
mittels Movergan®
3. Wiederherstellung des Transmittergleichgewichts durch Dämpfung des cholinergen
Systems mit Anticholinergika wie Akineton®, Tremarit®, Sormodren®.
Das Pflegepersonal sollte bei all diesen Medikamenten besonders auf folgende Nebenwirkungen achten:
– Unruhe, Verwirrtheit und Halluzinationen
– Plötzliches Auftreten von überschießenden
Bewegungen (Hyperkinesien) im Wechsel
mit völliger Steifigkeit (On-off- Phänomen)
– Harnverhaltung (bei Anticholinergika)
– dementielle Symptomatik mit Gedächtnisstörungen und Desorientiertheit (bei Anticholinergika)
Ferner ist es wichtig, dass die Medikamente
streng nach ärztlicher Vorschrift und genau
über den Tag verteilt eingenommen werden.
Ein plötzliches Absetzen kann die Gefahr einer
lebensbedrohlichen akinetischen Krise herauf-
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Psychiatrische Krankheitsbilder
Symptomatische
psychische Störungen
Psychische Störungen als Symptom einer
Schädigung oder Irritation des Gehirns
Einführung und Begriffsbestimmung
Das Verständnis symptomatischer seelischer
Störungen wird durch drei von der neurologischen Krankheitslehre her bekannte Tatsachen
erleichtert:
a) Eine Schädigung des Gehirns kann neben
körperlichen (z.B. Lähmung) auch psychische Symptome hervorrufen (z.B. Depression bei MS oder Hirntumoren, Verwirrtheit bei Enzephalitis).
b) Verschiedene Erkrankungen des Gehirns
können dieselben Symptome bewirken: die
Tatsache, dass ein Patient verwirrt ist, kann
auf einer Durchblutungsstörung, einer degenerativen oder entzündlichen Erkrankung
des Gehirns oder sonstigen Ursachen beruhen. Das Gehirn reagiert auf eine Schädigung mit unspezifischen Symptomen. Das
Symptom selbst verrät nichts über die Ursache.
c) Hirnschädigungen können Symptome hervorrufen, die sich innerhalb einer gewissen
Zeit wieder zurückbilden (z.B. TIA), aber
auch solche, die bestehen bleiben. Dabei
fällt aber auf, daß bei einer vorübergehenden
Störung die Symptome eine gewisse Zeit
über die Schädigung hinaus andauern: bei einer TIA kann eine Kreislaufunterbrechung
von einer Minute Symptome bis zu einer
Dauer von 24 Std. herbeiführen. Man erklärt
sich dies damit, dass bei einer vorübergehenden Störung die Nervenzelle nur in ihrer
Funktion beeinträchtigt ist und einen gewissen Zeitraum braucht, um den »Störrückstand« aufzuarbeiten. Diese Zeit kann bei älteren Menschen deutlich länger sein als bei
jüngeren. Länger dauernde oder schwere
Schädigungen des Gehirns führen hingegen
zu einer Schädigung der Struktur und zum
Untergang der Nervenzelle, so dass eine Erholung nicht mehr möglich ist und ein Defekt entsteht.
Ausgehend von der Tatsache, dass die durch
Hirnschädigung hervorgerufenen psychischen
Symptome sehr verschieden sein können (von
einer leichten Depression über paranoid-halluzinatorische Symptome bis hin zu Demenz und
Koma) und eine Einteilung nach den Ursachen
nicht sinnvoll ist, hat man sich in der ICD-10
entschieden, die einzelnen Störungen überwiegend nach ihrem Erscheinungsbild (Symptomatik) einzuteilen. Lediglich Störungen, die sich
eindeutig auf psychotrope Substanzen zurückführen lassen, sind auch ursächlich aufgelistet.
Psychotrope Substanzen sind Stoffe, die über
eine Wirkung am Gehirn das seelische Befinden verändern können. Hierzu gehören Abhängigkeit erzeugende Mittel, wie Alkohol und
Rauschdrogen, sowie Psychopharmaka.
Schädigungen oder Irritationen des Gehirns
sind in der Regel die Folge anderer Erkrankungen, wie Durchblutungsstörungen, Tumoren, Entzündungen, Stoffwechselstörungen und
Mangelerkrankungen. Da diese Erkrankungen
im höheren Lebensalter zunehmen, sind symptomatische seelische Störungen auch entsprechend häufig in der Altenpflege anzutreffen.
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Allgemeine Symptomatik
Seelische Symptome als Folge einer Irritation
des Gehirns können im Alltag zu sehr unterschiedlichen klinischen Bildern führen. So, wie
sich das Bild eines Malers aus verschiedenen
Farben zusammensetzt, die er auf seiner Palette
hat, findet sich auch bei den symptomatischen
seelischen Störungen eine Palette von Symptomgruppen, die das Erscheinungsbild des Patienten prägen. Zu diesen Symptomgruppen gehören unter anderem Störungen des
Bewusstseins (Verwirrtheit, Delir), der Wahrnehmung (Halluzinose), des Antriebs (katatone
Störung), des Realitätserlebens (wahnhafte
Symptome), der Gemütslage (affektive Symptome), Veränderungen der Persönlichkeit und
Störungen der geistigen Leistungsfähigkeit (kognitive Störungen).
Einzelne dieser Symptome können im Vordergrund stehen, andere können fehlen, so wie
auch im Bild eines Malers die eine oder andere
Farbe vorherrschend sein kann. Im Wesentlichen hängt die klinische Symptomatik davon
ab, in welchem Ausmaß das Gehirn durch die
Grunderkrankung irritiert wird, und welche Bereiche des Gehirns überwiegend betroffen sind.
Einteilung symptomatischer seelischer
Störungen nach ICD-10
Man unterscheidet zwischen Zuständen, die in
jedem Fall den Verdacht auf eine organische
Ursache lenken (organisch-amnestisches Syndrom, Delir), und solchen, die ebenso bei anderen seelischen Störungen beobachtet werden
können (»Andere psychische Störungen aufgrund einer Schädigung oder Funktionsstörung
des Gehirns«).
Organisches amnestisches Syndrom
Gedächtnisstörungen sind ein häufiges psychiatrisches Symptom. Sie können durch Tests
nachweisbar sein, z.B. im Rahmen einer Demenz oder bei leichteren Hirnleistungsstörungen. Häufig werden sie auch nur vom Betroffenen selbst wahrgenommen, z.B. im Rahmen
einer Depression oder bei Erschöpfung. Man
Psychiatrische Krankheitsbilder
unterscheidet deshalb Störungen, bei denen Gedächtnisschwierigkeiten zusammen mit anderen Symptomen auftreten von einer reinen Gedächtnisstörung, dem amnestischen Syndrom.
Bei einem amnestischen Syndrom stehen Gedächtnisstörungen im Vordergrund, Zeichen einer Demenz fehlen.
Es ist gekennzeichnet durch
– extreme Störung des Kurzzeitgedächtnisses
– Desorientiertheit
– ausgeprägte Konfabulationsneigung
Das amnestische Syndrom kennt man schon
lange als alkoholbedingtes Korsakow-Syndrom; auch Medikamente, wie Tranquilizer,
können derartige Gedächtnisstörungen hervorrufen. Unabhängig davon führen aber auch
außerhalb einer Abhängigkeit eine Reihe von
Ursachen zu einem derartigen Zustandsbild.
Hierzu gehören unter anderem Durchblutungsstörungen, Verletzungen und Entzündungen des
Gehirns. In der ICD- 10 unterscheidet man deshalb ein amnestisches Syndrom, das in Folge
einer Schädigung oder Erkrankung des Gehirns
auftritt (F04) von einem amnestischen Syndrom, das durch psychotrope Substanzen, z.B.
Alkohol, verursacht wurde (F10.6).
Delir (Verwirrtheitszustand)
Der Begriff »Delir« war in der traditionellen
Psychiatrie meist für Zustände von Verwirrtheit
und Halluzinationen im Zusammenhang mit
Alkoholentzug gebräuchlich. Tatsächlich können delirante Zustände auf einer Vielzahl von
Ursachen beruhen, die diese charakteristische
Symptomatik auslösen. Deshalb hat man in der
ICD-10 den Begriff weiter gefasst, insbesondere die bei älteren Patienten zu beobachtenden
Verwirrtheitszustände werden nun als Delir
bezeichnet. Wie auch bei anderen Störungen
wird auch hier zwischen einem hirnorganisch
ausgelösten Delir (F05) und einem Delir im Zusammenhang mit psychotropen Substanzen wie
Alkohol (F10.4) oder Benzodiazepinen (F13.4)
unterschieden.
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Symptomatische psychische Störungen
Symptomatik
– Bewussteinsveränderung mit Desorientiertheit und Verkennung der Umgebung
(z.B. wenn ein verwirrter Patient im Krankenhaus glaubt, er sei jetzt zu Hause und
müsse Kohlen aus dem Keller holen)
– unzusammenhängendes, »verwirrtes« Denken
– verzerrte Wahrnehmung, Halluzinationen
(meist optisch)
– Antriebsstörungen in Form von Unruhe und
Getriebenheit, gelegentlich im Wechsel mit
völliger Antriebslosigkeit.
– vegetative Störungen wie Tag-Nacht- Umkehr oder vermehrtes Schwitzen
– kognitive Störungen mit Beeinträchtigung
der Merkfähigkeit, Auffassung, Konzentration
– affektive Störungen mit Bedrücktheit,
Ängstlichkeit, Gereiztheit oder Euphorie
Delirante Zustände entwickeln sich meist rasch,
können Minuten bis Stunden dauern, aber auch
tage- bis wochenlang anhalten. Nach Abklingen
des Delirs besteht in der Regel eine Erinnerungslücke (Amnesie).
Häufige Ursachen
In der Gerontopsychiatrie treten delirante Zustände oft im Zusammenhang mit einer Demenz auf.
Isolierte Verwirrtheitszustände kommen bei
Unverträglichkeit von Medikamenten (Antidepressiva, Anti-Parkinson Medikamente),
Austrocknung (Exsikkose) und Stoffwechselstörungen (Hypoglykämie) vor.
Im Übrigen können delirante Zustände bei allen
unten aufgeführten Ursachen symptomatischpsychischer Störungen auftreten.
61
Andere psychische Störungen
aufgrund einer Schädigung oder
Funktionsstörung des Gehirns
Diese Gruppe von psychischen Störungen umfasst eine Reihe von Zustandsbildern, die, anders als Delir und amnestisches Syndrom, nicht
auf den ersten Blick organisch wirken. Sie
kommen in ähnlicher Form auch bei anderen
psychiatrischen Störungen vor, weshalb gerade
bei älteren Personen eine sorgfältige Diagnostik
erforderlich ist.
• Organische Halluzinose
Leitsymptom sind Halluzinationen auf allen
Sinnesgebieten, die oft als sehr wirklichkeitsnah empfunden werden. Die Betroffenen
sehen ganz realistisch Personen im Zimmer, hören Leute nach sich rufen oder spüren Käfer
über die Haut krabbeln.
Eine Sonderform organischer Halluzinose ist
der sogenannte Dermatozoenwahn: Die Betroffenen leiden unter der wahnhaften Überzeugung, von Hautparasiten (= Dermatozoen) befallen zu sein. Sie spüren winzige Tierchen
(Käfer, Würmer, Läuse) über ihre Haut krabbeln (taktile Halluzinose) und leiden unter entsprechendem Juckreiz. Gelegentlich werden die
Tierchen auch im Genitalbereich oder in der
Mundhöhle angegeben. Die Patienten entwickeln umfangreiche Waschrituale, die dann tatsächlich zu Hautschäden führen können, welche wiederum wahnhaft interpretiert werden.
Oft führen sie als Beweis kleine Schachteln mit
den »Tierchen« bei sich, die meist Hautschüppchen etc. enthalten.
Die Krankheit tritt selten vor dem 50. Lebensjahr auf und befällt vorwiegend Frauen. Häufig,
aber nicht immer, finden sich zusätzlich weitere
Zeichen eines organischen Psychosyndroms.
Meist leben die Betroffenen isoliert in einer
reizarmen Umgebung (was bei älteren Personen auch andere halluzinatorische Erlebnisse
auslösen kann, siehe hierzu auch S. 91).
Therapeutisch bringen Psychopharmaka oft
Besserung. Im Umgang mit dem Betroffenen
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Psychiatrische Krankheitsbilder
Stadium I (selbständige Lebensführung weitgehend erhalten),
Stadium II (selbständige Lebensführung eingeschränkt) und
Stadium III (selbständige Lebensführung aufgehoben).
Eine genauere Einteilung findet sich in der so-
genannten »globalen Verschlechterungsskala
(GDS)« nach Reisberg, die vereinfacht in
Tabelle 5 dargestellt ist.
Verlaufsformen
Die Bezeichnung Alzheimer’sche Erkrankung
galt lange Zeit nur einer eher selten auftretenden, oft familiär gehäuften präsenilen Demenz.
Stadium
Beschreibung
1.Unauffällig
Keine Gedächtnisstörungen, normale Befunde
2. Fragliche Störungen
(werden nur vom Betroffenen selbst
bemerkt)
Vergessen, wo vertraute Gegenstände hingelegt wurden und wie
gut bekannte Menschen heißen
Im Gespräch und bei der Untersuchung keine sicheren Gedächtnisstörungen nachweisbar
3. Geringe Störungen
(werden oft vertuscht
oder überspielt)
Stärkeres Nachlassen der Merkfähigkeit mit eindeutigen Störungen
in mehr als einem der folgenden Bereiche:
– Zurechtfinden an einem fremden Ort
– Verminderte Leistung und Versagen bei beruflichen Anforderungen (fällt Mitarbeitern auf)
– Wortfindungsstörungen und Schwierigkeiten sich an Namen von
Bekannten zu erinnern (wird von der Umgebung bemerkt)
– Behalten nur eines kleinen Teils eines gelesenen Textes
– Schlechtes Behalten von Namen neu vorgestellter Personen
– Verlegen oder Verlieren von Wertgegenständen
Verringerte Leistungsfähigkeit im Beruf oder sozialen Umfeld (von
den Betroffenen häufig verleugnet)
Bei der Untersuchung zumindest testpsychologischer Nachweis
von Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen
4. Mäßige Störungen
Eindeutige Störungen, unter anderem mit:
Fehlender Kenntnis aktueller oder kurz zurückliegender Ereignisse
Problemen mit dem Erinnern des eigenen Lebenslaufs
Störungen bei schwierigeren Denk- oder Rechenaufgaben
Problemen, sich an unbekannten Orten zurechtzufinden oder beim
Umgang mit Geld (Einkaufen, Verreisen)
Leichte Feststellbarkeit dieser Störungen im Gespräch oder bei der
Untersuchung
5. Mittelschwere
Störungen
– Unfähigkeit, alleine zurechtzukommen (auf Hilfe Dritter angewiesen) Im Gespräch oder bei der Untersuchung Störungen von:
– Erinnerung an wichtige Dinge des täglichen Lebens wie die eigene Telefonnummer, Adressen oder Namen naher Angehöriger
– Häufig Desorientierung zur Zeit oder zum Ort
– Probleme bei der Auswahl passender Kleidungsstücke
– unter Umständen Vernachlässigung der Körperpflege
Tabelle 5: Stadieneinteilung der Alzheimer-Krankheit (Globale Verschlechterungs-Skala) nach
Reisberg (gekürzt)
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Demenz bei Alzheimer’scher Erkrankung
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Tabelle 5: Fortsetzung
Stadium
Beschreibung
6. Schwere Störungen
Auftreten schwerer Störungen, z.B.:
– Gelegentliches Vergessen der Namen von Partnern
– Fehlendes Erinnern kurz zurückliegender Ereignisse oder wichtiger eigener früherer Erfahrungen
– Schwierigkeiten beim Rechnen von Zahlen zwischen eins und
zehn
– Gestörte Wahrnehmung von zeitlichen Veränderungen, auch in
Bezug auf die Umwelt (Jahreszeiten)
– Persönlichkeitsstörungen
– Eventuell zusätzliche Störungen wie Wahn vorstellungen, Halluzinationen, Unruhe, Angst, aggressives Verhalten oder fehlender
Antrieb
Vollständige Abhängigkeit von der Hilfe Dritter, auch beim An- und
Auskleiden und der Körperpflege
Gestörter Tag-Nacht-Rhythmus
Unter Umständen Kontrollverlust für Blasenent leerung und Stuhlgang
7. Sehr schwere
Störungen
Extreme Verminderung des Wortschatzes mit weit gehendem oder
völligem Verlust der Sprachfähigkeit
Verlust der Gehfähigkeit, Probleme beim Sitzen
Verlust der Fähigkeit zu lächeln
Häufig Kontrollverlust für Blasenentleerung und Stuhlgang
Es zeigte sich jedoch, dass die seit langem bekannte Demenz des höheren Lebensalters, die
sogenannte senile Demenz, zu denselben Veränderungen des Gehirns führt, wie die von A. Alzheimer beschriebene Krankheit. Man bezeichnete die senile Demenz deshalb als senile
Demenz vom Alzheimer-Typ (SDAT).
Obwohl durch wissenschaftliche Untersuchungen keine Unterschiede zwischen einer
präsenilen und einer senilen Verlaufsform nachgewiesen werden konnten, unterscheidet man
nach ICD-10 einen Typ 1 und einen Typ 2 der
Erkrankung:
• Demenz bei Alzheimer-Krankheit mit
frühem Beginn (Typ 2)
– Erkrankung vor dem 65. Lebensjahr
– rascherer Verlauf
– vermehrt neuropsychologische Störungen,
wie Aphasie und Apraxie
– nicht selten traten bereits vorher ähnliche
Fälle in der Familie auf
• Demenz bei Alzheimer-Krankheit mit
spätem Beginn (Typ 1)
– Erkrankung nach dem 65. Lebensjahr, gewöhnlich in den späten siebziger Jahren
– langsamerer Verlauf
– vorwiegend Gedächtnisstörungen
Diese Form wurde früher als senile Demenz bezeichnet. Eine Demenz im höheren Lebensalter
ist aber in keinem Fall eine normale Alterserscheinung, sondern immer Ausdruck einer
ernsthaften Erkrankung des Gehirns.
Ursachen
Die eigentliche Ursache der Alzheimer- Krankheit ist nach wie vor unbekannt. Aufgrund der
intensiven Forschung der letzten Jahre liegen
aber eine Reihe von Befunden vor, die sich
vielleicht bald wie ein Puzzle zusammensetzen
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Psychiatrische Krankheitsbilder
1. Gedankenlautwerden, Gedankeneingebung oder Gedankenentzug, Gedankenausbreitung
2. Kontrollwahn, Beeinflussungswahn, Gefühl des Gemachten deutlich be zogen auf Körperoder Gliederbewegungen oder bestimmte Gedanken, Tätigkeiten oder Empfindungen; Wahnwahrnehmungen.
3. Kommentierende oder dialogische Stimmen, die über den Patienten und sein Verhalten sprechen, oder andere Stimmen, die aus einem Körperteil kommen.
4. Anhaltender, kulturell unangemessener und völlig unrealistischer Wahn, wie der, eine religiöse
oder politische Persönlichkeit zu sein, über menschliche Kräfte und Möglichkeiten zu besitzen
(z.B. das Wetter kontrollieren zu können oder im Kontakt mit Außerirdischen zu sein).
5. Anhaltende Halluzinationen jeder Sinnesmodalität, begleitet entweder von flüchtigen oder undeutlich ausgebildeten Wahngedanken ohne deutliche affektive Beteiligung, oder begleitet
von anhaltenden über wertigen Ideen, oder täglich für Wochen oder Monate auftretend.
6. Gedankenabreißen oder Einschiebungen in den Gedankenfluss, was zu Zerfahrenheit, Danebenreden oder Neologismen führt.
7. Katatone Symptome wie Erregung, Haltungsstereotypien oder wächserne Biegsamkeit, Negativismus, Mutismus und Stupor.
8. Negative Symptome wie auffällige Apathie, Sprachverarmung, verflachte oder inadäquate Affekte (dies hat zumeist sozialen Rückzug und ein Nachlassen der sozialen Leistungsfähigkeit
zur Folge). Es muss sichergestellt sein, dass diese Symptome nicht durch eine Depression
oder eine neuroleptische Medikation verursacht werden.
Um die Diagnose Schizophrenie stellen zu können, müssen mindestes ein eindeutiges Symptom
der Gruppe 14, oder zwei Symptome der Gruppe 58 fast ständig für die Dauer eines Monats vorhanden sein.
Tabelle 6: Diagnostische Merkmale der Schizophrenie nach ICD-10
Verlaufsformen
Halluzinationen und Wahn beherrschen das Erscheinungsbild. Diese Verlaufsform setzt oft
erst nach dem 30. Lebensjahr ein, verläuft eher
schubweise und spricht in der Regel gut auf
medikamentöse Behandlung an.
vor, stehen aber im Hintergrund. Oft findet sich
eine deutliche Antriebsverarmung, gelegentlich
auch Antriebssteigerung. Die Erkrankung setzt
meist gegen Ende der Pubertät ein, verläuft
eher langsam fortschreitend und hat insgesamt
eine ungünstige Prognose, d.h. sie geht häufiger
in ein Residuum über als andere Schizophrenieformen.
• Hebephrene Schizophrenie
• Katatone Schizophrenie
Bei der hebephrenen Schizophrenie treten vorwiegend Denkstörungen, Antriebsstörungen,
Gefühlsverflachung, z.T. mit »läppischer« Heiterkeit, und gestörter Realitätsbezug auf. In ihrem Verhalten wechseln die Patienten oft sehr
schnell zwischen Angepasstheit und Eigenwilligkeit. Halluzinationen und Wahn kommen
Bei dieser Verlaufsform stehen die Antriebsund Bewegungsstörungen im Vordergrund. Die
Patienten können hochgradig angespannt und
erregt, aber auch stuporös sein. Halluzinationen
und Wahn fehlen selten, stehen aber eher im
Hintergrund. Die Prognose ist meist günstig.
• Paranoide Schizophrenie
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Suizid und Suizidgefahr
hinderte vermehrt dazu neigen, vieles auf
sich zu beziehen und dadurch Symptome eines Wahns zeigen können, ist bei diesem
Personenkreis die Abgrenzung zu einer endogenen Psychose schwierig. Bevor man
deshalb hochpotente Neuroleptika einsetzt,
sollte man sich eingehend mit der persönlichen Situation des Betroffenen befassen, zumal geistig Behinderte vermehrt mit Nebenwirkungen reagieren können.
Therapeutische Möglichkeiten
Früherkennung und rechtzeitige Förderung sind
die üblichen Grundsätze im Umgang mit geistiger Behinderung. In der Altenpflege stehen
aber mehr die Verhaltensprobleme älterer geistig Behinderter im Vordergrund. Oft kommen
sie nach einem Todesfall in der Familie relativ
überraschend in ein Heim und zeigen entsprechende Anpassungsstörungen.
Im Umgang ist einfühlendes und unverkrampftes Verhalten wichtig, das aber gleichzeitig klar und eindeutig sein soll. Die Übertragung von Verantwortung und Aufgaben in
überschaubarem Rahmen steigert das Selbstwertgefühl der Betroffenen und fördert ihre Integration.
Bei Verstimmungszuständen sollte man dem
Behinderten Zeit geben. Nicht selten können
Provokationen durch das Pflegepersonal der
Anlass für Erregungszustände und Verhaltensentgleisungen Behinderter sein.
Eine medikamentöse Therapie mit mittelpotenten Neuroleptika (Eunerpan®, Dipiperon®)
kann bei anhaltender Unruhe notwendig werden.
Suizid und Suizidgefahr
Suizid bedeutet Selbsttötung eines Menschen,
im allgemeinen Sprachgebrauch wird auch der
weniger glückliche Begriff Selbstmord verwendet. »Erweiterter Suizid« liegt vor, wenn andere
Personen in den Suizid miteinbezogen, d.h. mit
in den Tod genommen werden. Unter einem Pa-
111
rasuizid versteht man einen Suizidversuch, der
mehr als Hilferuf begangen wird.
Entstehungsbedingungen
Entgegen einer weit verbreiteten Meinung entspringen suizidale Impulse nahezu immer seelischen Ausnahmezuständen. Der »Bilanzselbstmord« oder »Freitod«, der durch vernünftig
abwägende Überlegungen zustande kommt, ist
die absolute Ausnahme. Auch die Meinung, wer
sterben wolle, den solle man sterben lassen,
wird durch die Tatsache widerlegt, dass nur ein
geringer Teil der Betroffenen einen überlebten
Suizidversuch wiederholt.
Die Zahl der pro Jahr in der Bundesrepublik
durch Suizid Verstorbenen liegt bei ca. 12.000.
Die Anzahl der Suizidversuche wird auf das
3–10fache geschätzt (hohe Dunkelziffer!).
Suizide werden von Anfang an als solche geplant und oft unter gleichzeitiger Anwendung
mehrerer Methoden durchgeführt. Suizidversuche erfolgen häufig spontan, sie können demonstrativ sein, in jedem Fall aber wird
der Tod in Kauf genommen.
Suizidversuche, die von vornherein den Charakter eines Versuches haben, nehmen mit zunehmendem Lebensalter ab. Hingegen steigt
die Zahl der vollendeten Suizide im Alter deutlich an. Voraussetzung eines Suizidversuches
ist meist das Gefühl, sich einer unerträglichen
oder unlösbar erscheinenden Situation nur
durch den Tod entziehen zu können. Damit stellen depressive Zustände aller Art einen Nährboden für suizidales Handeln dar. Besonders depressive Episoden, aber auch depressive
Zustände im Rahmen einer Schizophrenie oder
einer hirnorganischen Störung führen über die
krankhaft veränderte Sicht der eigenen Situation häufig zum Suizid. Bei Depressiven findet sich Suizid zu 15 % als Todesursache. Parasuizide werden häufig im Rahmen einer akuten
Belastungsreaktion begangen.
Suizid richtet sich zwar gegen die eigene Person, enthält aber nicht selten auch eine aggressive Komponente, die sich gegen andere Personen richtet. Auslöser sind insbesondere als
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Ausgewählte rechtliche Bestimmungen
sich durch den Wechsel von An- und Entspannung vor allem für Personen, denen die völlige
Konzentration und Ruhe beim Autogenen Training schwer fällt.
• Sozialpädagogische Maßnahmen
In der Altenpflege beinhaltet Sozialpädagogik
soziale Fürsorge im Umfeld von Behinderung
und Erkrankung, so z.B. Hilfen und Beratung
im Alltag, was von versicherungsrechtlichen
Angelegenheiten (z.B. Berentung) über die Organisation ärztlicher und pflegerischer Hilfen
bis zur Essensbeschaffung reichen kann.
Sozialpädagogen sind aber auch als Therapeuten in der Alterspsychiatrie unentbehrlich
geworden. Sie wirken an der Milieugestaltung
mit (was Zusammenarbeit mit den übrigen
Berufsgruppen erfordert) und leiten Gruppen.
Dabei können auch Überschneidungen mit den
sozialen Aktivitäten der Beschäftigungstherapeuten vorkommen.
Abschließende Bemerkung
Die therapeutischen Möglichkeiten in der Alterspsychiatrie schließen sich nicht gegenseitig
aus, sondern bedingen einander. Die Forderung
nach einem Behandlungsteam, in das sich die
verschiedenen Berufsgruppen integrieren, ist
angebracht, aber nicht immer realistisch. In vielen Einrichtungen der Altenpflege steht das
erforderliche Personal nicht zur Verfügung oder
ist nicht entsprechend qualifiziert. Dadurch ergibt sich für Altenpfleger die Notwendigkeit,
über ihre eigentlichen pflegerischen Aufgaben
hinaus, Ansätze der anderen Berufsgruppen mit
in ihre Tätigkeit einzubeziehen, was auch in
den entsprechenden Ausbildungsplänen seinen
Niederschlag gefunden hat.
Dort, wo verschiedene Berufsgruppen in einem
Team zusammenarbeiten, empfiehlt es sich, gelegentlich daran zu denken, dass ein Team immer mehr mit den Patienten als mit sich selbst
beschäftigt sein sollte.
131
Ausgewählte rechtliche
Bestimmungen
Betreuung
Am 1.1.1992 trat das »Gesetz zur Reform des
Rechts der Vormundschaft und Pflegschaft für
Volljährige« (Betreuungsgesetz) in Kraft. Damit wurden die Gebrechlichkeitspflegschaft
und die Entmündigung durch die »Betreuung«
ersetzt. Die Voraussetzungen für eine Betreuung regelt der § 1896 des Bürgerlichen Gesetzbuches: »Kann ein Volljähriger auf Grund einer
psychischen Krankheit oder einer körperlichen,
geistigen oder seelischen Behinderung seine
Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen, so bestellt das Vormundschaftsgericht
auf seinen Antrag hin oder von Amts wegen einen Betreuer«.
Psychische Krankheiten im Sinne des Betreuungsgesetzes sind:
– endogene Psychosen
– seelische Störungen als Folge von Krankheiten oder Verletzungen des Gehirns
– Abhängigkeitserkrankungen (z.B. Alkoholismus)
– schwere Neurosen und Persönlichkeitsstörungen
Geistige Behinderungen sind angeborene oder
frühzeitig erworbene Intelligenzdefekte verschiedener Schweregrade.
Unter seelischen Behinderungen versteht das
Gesetz bleibende psychische Beeinträchtigungen, die Folgezustände von psychischen
Krankheiten sind (z.B. schizophrenes Residualsyndrom, alkoholisches Korsakow-Syndrom).
Medizinisch nicht ganz korrekt wird hierzu
auch der sogenannte »Altersabbau«, die Demenz, gerechnet, die eigentlich seelische Folge
einer körperlichen Krankheit ist.
Die Voraussetzungen für eine Betreuung sind
von einem psychiatrisch erfahrenen Gutachter
(Arzt) festzustellen. Erfolgt die Bestellung eines Betreuers auf Antrag des Betroffenen, kann
ein Attest des Hausarztes genügen. Im Gegen-
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Spezielle Themen der Versorgung und Behandlung
satz zur früheren Gebrechlichkeitspflegschaft
spielt die Frage der Geschäftsfähigkeit für die
Anordnung einer Betreuung keine Rolle mehr,
sehr wohl aber die Frage nach der Einwilligungsfähigkeit.
Umfang einer Betreuung
Anstelle einer pauschalen Einengung der persönlichen Rechte bietet das Betreuungsgesetz
die Möglichkeit, den Umfang der Betreuung
den persönlichen Bedürfnissen des Betroffenen
anzupassen. Mögliche Wirkbereiche sind z.B.
die Gesundheitssorge, die Vermögenssorge, die
Entscheidung über die Teilnahme am Fernmelde- oder Postverkehr. Dabei kann der Betreuer nicht ohne weiteres über den Kopf des
Betreuten hinweg entscheiden, er muss vielmehr dessen Wünsche berücksichtigen, sofern
sie nicht seinem Wohl zuwiderlaufen.
Eine Reihe von Entscheidungen des Betreuers
müssen vom Gericht genehmigt werden, so
etwa die Unterbringung mit Freiheitsentzug
(hierzu gehört auch die regelmäßige mechanische Behinderung in einem Pflegeheim),
besonders riskante ärztliche Behandlungen,
Sterilisation sowie die Kündigung der Wohnung des Betreuten.
Zum Schutz des Betreuten kann vom Gericht
auch ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet
werden. In diesem Fall kann der Betreute bestimmte Rechtsgeschäfte (z.B. Vermögensangelegenheiten, Anerkennung einer Vaterschaft)
nur dann tätigen, wenn die Einwilligung des
Betreuers vorliegt.
Auswahl des Betreuers
Ein Hauptanliegen des Betreuungsgesetzes ist
die persönliche Betreuung durch einen Einzelbetreuer. Wo dies nicht möglich ist, kann der
Betreuer aus einem »Betreuungsverein« bestellt werden. Als letzte Möglichkeit bleibt der
Rückgriff auf die Betreuungsbehörde. Der Betreuer hat Anspruch auf Beratung (z.B. durch
die Betreuungsbehörde oder das Gericht) sowie
finanzielle Entschädigung.
Beendigung einer Betreuung
Die Betreuung ist aufzuheben, sobald ihre Voraussetzungen nicht mehr bestehen. Spätestens
nach 5 Jahren hat das Gericht über Aufhebung
oder Verlängerung der Betreuung zu entscheiden.
Vorsorgevollmacht und Betreuungsverfügung
Es ist gängige Praxis, jemandem eine Vollmacht zu erteilen, wenn man selbst an der
Ausübung bestimmter Geschäfte (z.B. Bankangelegenheiten) verhindert ist. Nach dem Betreuungsrecht ist eine Betreuung nicht erforderlich, wenn die anstehenden Angelegenheiten
auch durch einen Bevollmächtigten erledigt
werden können. Deshalb ist es sinnvoll, in gesunden Tagen eine Verfügung zu treffen, wer,
für den Fall, dass man selber aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr dazu in der Lage ist,
bestimmte Angelegenheiten (Gesundheitssorge,
Vermögenssorge) oder sämtliche Angelegenheiten (Generalvollmacht) als gesetzlicher
Vertreter wahrnehmen soll. Diese Vorsorgevollmacht muss nach dem Betreuungsrechtsänderungsgesetz aus dem Jahre 1998 schriftlich
erteilt werden und, wenn sie als Ersatz für eine
Betreuung dienen soll, auch Unterbringungsund Behandlungsmaßnahmen ausdrücklich mit
beinhalten. Vorteil einer Vorsorgevollmacht ist
die Möglichkeit, rechtzeitig eine Vertrauensperson als persönlichen Vertreter zu bestimmen,
bevor dies eine anonyme Behörde tut. Mit der
Vertrauensperson können auch wesentliche
Dinge wie z.B. Einstellung zu intensivmedizinischen Maßnahmen oder bestimmten Operationen abgesprochen werden. Nachteil ist,
dass Bevollmächtigte durch keine Behörde
überwacht werden, zeitliche Befristungen nicht
bestehen und letztlich niemand zur Annahme
der Vollmacht gezwungen ist. Im Gegensatz zu
einem Betreuer ist der Bevollmächtigte nicht
verpflichtet, sich mit dem Vollmachtsgeber abzustimmen. Eine Reihe von Angelegenheiten,
die ein Betreuer nur mit Zustimmung des Gerichts erledigen darf (z.B. Wohnungsauflösung,
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Ausgewählte rechtliche Bestimmungen
Verkauf des Hauses, Kreditaufnahme, Abschluss eines Ehevertrages) kann der Bevollmächtigte frei entscheiden. Obwohl die
Vorsorgevollmacht somit einige Vorteile bietet,
beinhaltet sie aber auch, gerade was die rechtliche Stellung des Vollmachtsgebers betrifft, erhebliche Nachteile.
Ein Kompromiss ist die sog. Betreuungsverfügung, die es ermöglicht, bestimmte Personen
als Betreuer vorzuschlagen, sollte sich die Notwendigkeit einer Betreuung ergeben.
Unterbringung in einer geschlossenen
Psychiatrischen Abteilung
Psychiatrische Störungen können es den Betroffenen unmöglich machen, die Notwendigkeit einer Krankenhausbehandlung zu erkennen. In diesem Falle kann die Unterbringung
und Behandlung gegen den Willen des Betroffenen, die Zwangsunterbringung, erforderlich
sein. Das Gesetz bietet hierzu die Möglichkeit
der zivilrechtlichen, der öffentlich-rechtlichen
und der strafrechtlichen Unterbringung.
Zivilrechtliche Unterbringung
(Unterbringung im Rahmen einer Betreuung oder Vollmacht)
§ 1906 BGB
»(1) Eine Unterbringung des Betreuten durch
den Betreuer, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, ist nur zulässig, solange sie zum
Wohl des Betreuten erforderlich ist, weil
1. auf Grund einer psychischen Krankheit oder
geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst
tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt, oder
2. eine Untersuchung des Gesundheitszustandes, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff notwendig ist, ohne die Unterbringung des Betreuten nicht durchgeführt
werden kann und der Betreute auf Grund einer
psychischen Krankheit oder geistigen oder see-
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lischen Behinderung die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann.
(2) Die Unterbringung ist nur mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichtes zulässig.
Ohne die Genehmigung ist die Unterbringung
nur zulässig, wenn mit dem Aufschub Gefahr
verbunden ist; die Genehmigung ist unverzüglich nachzuholen.
(3) Der Betreuer hat die Unterbringung zu beenden, wenn ihre Voraussetzungen wegfallen.
Er hat die Beendigung der Unterbringung dem
Vormundschaftsgericht anzuzeigen.
(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten entsprechend,
wenn dem Betreuten, der sich in einer Anstalt,
einem Heim oder in einer sonstigen Einrichtung aufhält, ohne untergebracht zu sein, durch
mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder
auf andere Weise über einen längeren Zeitraum
oder regelmäßig die Freiheit entzogen wird.«
Die Unterbringung im Rahmen des Betreuungsgesetzes hat im wesentlichen fürsorglichen
Charakter. Der Betreuer nimmt nicht nur die Interessen des Betreuten wahr, er sorgt auch für
die Unterbringung, das Gericht erteilt lediglich
eine Genehmigung. Somit kann der Betreuer
die Unterbringung auch beenden, wenn er mit
der Behandlung des Betreuten nicht zufrieden
ist. Eine Unterbringung zum Schutz Dritter
(z.B. wenn jemand im Zustand der Verwirrtheit
gegen seine Umgebung aggressiv wird) widerspricht dem fürsorglichen Charakter des Gesetzes und ist somit auch im Betreuungsgesetz
nicht vorgesehen. In diesem Falle läge eine Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung
vor, die nur zu einer öffentlich- rechtlichen Unterbringung führen kann.
Da der Betreuer anstelle des Betreuten handelt,
kann er ohne zusätzliche Genehmigung des Gerichts in viele Behandlungsmaßnahmen einwilligen. Zur Sicherheit des Betreuten sieht das
Gesetz aber im § 1904 BGB vor, dass eine Ge-
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Anhang
Ausgewählte psychiatrische Diagnosen nach ICD- 10 im Vergleich mit ICD-9
Quelle: http://www.informatik.fh-luebeck.de/icdger/ icd1.ref.htm
ICD-10
ICD-9
F00.0
Demenz bei Alzheimerkrankheit mit
frühem Beginn
290.1
präsenile Demenz
F00.1
Demenz bei Alzheimerkrankheit mit
spätem Beginn
290.2
senile Demenz
F01
vaskuläre Demenz
290.4
arteriosklerotische Demenz
F04
organisches amnestisches
Syndrom, nicht durch Alkohol oder
andere psychotrope Substanzen
bedingt
294.0
nicht-alkoholische Korsakow-Psychose oder Korsakow-Syndrom
F05.0
Delir ohne Demenz
293.0
akuter Verwirrtheitszustand
F05.1
Delir bei Demenz
290.3
senile Demenz mit akutem Verwirrtheitszustand
F06.0
organische Halluzinose
293.8
andere vorübergehende organische
Psychosen
F06.1
organische katatone Störung
F06.2
organische wahnhafte Störung
F06.3
organische affektive Störung
310
spezifische nichtpsychotische Störungen nach Hirnschädigungen
305.0
Alkoholmissbrauch
F06.4
organische Angststörung
F07
Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen aufgrund einer Erkrankung,
Schädigung oder Funktionsstörung
des Gehirns
F10
Psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol
F10.0
akute Intoxikation
F10.1
schädlicher Gebrauch
F10.2
Alkoholabhängigkeit
303
Alkoholabhängigkeit
F10.4
Alkoholentzugssyndrom mit Delir
291.0
Delirium tremens
F10.6
alkoholbedingtes amnestisches
Syndrom
291.1
alkoholisches Korsakow-Syndrom
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