2. Verfassungsrecht: Die Ordnung des Grundgesetzes

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Universität Frankfurt am Main
PD Dr. Friederike Wapler
2. Verfassungsrecht: Die Ordnung des Grundgesetzes
Das Grundgesetz (GG) ist die Verfassung Deutschlands. Sie enthält die Grundrechte (Art. 1-19 GG),
die Staatsstrukturprinzipien (Art. 20 GG) sowie die Grundzüge der Staatsorganisation.
Hinweis: Die Abschnitte 2.2.2.3, 2.2.3 und 2.2.4 dieses Teils des Skripts wurden in der Vorlesung noch
nicht besprochen. Sie sind Thema der Vorlesung am 09.05.
2.1 Grundrechte und Grundrechtsbindung
2.1.1 Grundrechte als subjektive Rechte gegen den Staat
Die Grundrechte (Art. 1-19 GG) sind im Grundgesetz als subjektive Rechte der Individuen gegen den
Staat ausgestaltet. „Subjektives Recht“ bedeutet, dass sie Rechtsansprüche begründen, die auch
eingeklagt werden können. Die Bürger/innen können also Verletzungen ihrer Grundrechte vor den
Gerichten geltend machen. Grundsätzlich muss jedes Gericht prüfen, ob durch eine staatliche
Maßnahme Grundrechte der Kläger/innen verletzt werden. Die zentrale Kontrollinstanz ist jedoch
das Bundesverfassungsgericht, vor dem Verfassungsbeschwerde erhoben werden kann (Art. 93 I Nr.
4a GG).
2.1.2 Die Bindung aller staatlichen Gewalten an die Grundrechte
Art. 1 III GG bestimmt, dass alle staatlichen Gewalten an die Grundrechte gebunden sind, also die
Gesetzgebung, die Verwaltung und die Rechtsprechung.
Auch darüber, dass die staatlichen Institutionen die Grundrechte beachten, wacht das
Bundesverfassungsgericht. Die letzte Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des staatlichen
Handelns liegt damit bei der unabhängigen Justiz.
Beispiel: Der Bund erlässt ein Gesetz zur sogenannten „Vorratsdatenspeicherung“: Alle
Telekommunikationsverbindungsdaten müssen bei den Anbietern sechs Monate lang gespeichert
werden. Unter bestimmten Umständen können die Strafverfolgungsbehörden auf diese Daten
zugreifen. X ist der Meinung, dass damit seine Grundrechte verletzt werden. Was kann er tun?
X kann Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz erheben (Art. 93 I Abs. 1 GG). Verstößt das
Gesetz gegen Grundrechte der Betroffenen, so kann das Bundesverfassungsgericht das Gesetz für
nichtig erklären. Es darf dann nicht mehr angewendet werden. Im Fall der Vorratsdatenspeicherung
hat das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2010 festgestellt, dass das Gesetz gegen AR. 10 GG (Brief-,
Post- und Fernmeldegeheimnis) verstieß (BVerfGE 125, 260).1 Die Vorratsdatenspeicherung ist
seitdem in Deutschland nicht mehr zulässig.
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„BVerfGE 125, 260“ ist ein Hinweis auf die Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts: Sie finden
die Entscheidung zur Vorratsdatenspeicherung im 125. Band dieser Sammlung auf den Seiten 260 ff. Die
Entscheidungen des Bundesverfassungsgericht finden Sie in der Regel auch im Internet, wenn Sie die Fundstelle
in einer Suchmaschine eingeben. Über die Unibibliothek können Sie Gerichtsentscheidungen auch über die
juristischen Datenbanken („juris“, „jurion“, „beck online“ u.a.) im Volltext abrufen. Neuere Entscheidungen des
Bundesverfassungsgerichts findet man über das Datum oder das Aktenzeichen auch unter
www.bundesverfassungsgericht.de.
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2.1.3 Arten von Grundrechten: Freiheitsrechte und Gleichheitsrechte
Freiheits- und Gleichheitsrechte sind unterschiedliche Arten von Grundrechten:
2.1.3.2 Freiheitsrechte
Das Grundgesetz enthält eine Reihe von Rechten, die den Individuen für bestimmte Lebensbereiche
Freiheiten garantieren. Staatliche Eingriffe in diese Freiheitsbereiche (auch „Schutzbereiche“
genannt) müssen gerechtfertigt sein, d.h. es muss einen guten Grund geben, das Grundrecht
einzuschränken. Meist sind Einschränkungen auch nur dann erlaubt, wenn es dafür eine gesetzliche
Grundlage gibt. Eine wichtige sachliche Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen sind die Rechte
anderer: Niemand soll seine Freiheit auf Kosten anderer ausüben können.
Wichtige Freiheitsrechte sind:
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•
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die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 I GG) als das Recht, zu tun und zu lassen, was man
möchte. Die allgemeine Handlungsfreiheit findet ihre Grenzen in den Rechten anderer, in der
verfassungsmäßigen Ordnung und im Sittengesetz (wobei letzteres in der
verfassungsrechtlichen Diskussion und in der Rechtspraxis kaum noch eine Rolle spielt). Auch
die wirtschaftliche Privatautonomie wird durch die allgemeine Handlungsfreiheit geschützt
(etwa das Recht, Verträge abzuschließen und über sein Eigentum zu verfügen);
das Allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 I i.V.m. 1 I GG), das u.a. die Privat- und
Intimsphäre gegen staatliche Eingriffe schützt. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst
darüber hinaus das sogenannte „Recht der informationellen Selbstbestimmung“, das auch als
„Grundrecht auf Datenschutz“ bekannt ist. Damit ist gemeint, dass das Individuum
grundsätzlich selbst bestimmen darf, wer Kenntnis von seinen persönlichen Daten erhält.
Dieses Recht ist im Grundgesetz nicht ausdrücklich geregelt, sondern wurde vom
Bundesverfassungsgericht in der Auslegung des Art. 2 I i.V.m. 1 I GG entwickelt.
Speziellere Freiheitsrechte sind etwa die Glaubensfreiheit (Art. 4 GG), die Meinungs- und
Pressefreiheit (Art. 5 GG) und die Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG).
2.1.3.3 Gleichheitsrechte
Gleichheitsrechte garantieren den Individuen ein Recht auf Gleichbehandlung. Ob ein
Gleichheitsrecht verletzt ist, wird üblicherweise nach der folgenden Formel geprüft: „Gleiches darf
nicht ungleich und Ungleiches nicht gleich behandelt werden.“ Ungleichbehandlungen können
gerechtfertigt sein, wenn es einen sachlichen Grund für sie gibt, ansonsten sind sie
verfassungswidrig. Wichtige Gleichheitsrechte sind:
•
•
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der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 I GG), der allgemein verbietet, Gleiches ungleich und
Ungleiches gleich zu behandeln,
spezielle Gleichheitssätze in Art. 3 II und III GG, die etwa Ungleichbehandlungen aufgrund des
Geschlechts, der Herkunft oder der Religion verbieten,
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weitere spezielle Gleichheitssätze wie das Recht der nichtehelichen Kinder auf
Gleichbehandlung (Art. 6 V GG) und das beamtenrechtliche Leistungsprinzip (Art. 33 GG).
Beispiel: Der Gesetzgeber verbot Frauen, nachts zu arbeiten („Nachtarbeitsverbot“). Das Gesetz
wurde vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt, weil es gegen das Recht der betroffenen
Frauen auf Gleichbehandlung aus Art. 3 I, II 1 GG verstieß. Das Bundesverfassungsgericht fand keinen
überzeugenden sachlichen Grund dafür, dass Männer nachts arbeiten durften, Frauen aber nicht
(BVerfGE 85, 191).
2.2 Die Staatsstrukturprinzipien
Die Ordnung des Grundgesetzes ist von vier sogenannten „Strukturprinzipien“ geprägt, die in Art. 20
GG aufgeführt werden:
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Bundesstaatsprinzip
Demokratieprinzip
Rechtsstaatsprinzip
Sozialstaatsprinzip
Daneben legt Art. 20 GG fest, dass Deutschland eine Republik ist. Damit ist gemeint, dass die
Bundesrepublik keinen König als Staatsoberhaupt hat, also keine Monarchie ist, wie etwa
Großbritannien oder Spanien.
2.2.1 Das Bundesstaatsprinzip
Die Bundesrepublik ist ein Bundesstaat: Sie besteht aus mehreren Gliedstaaten (den Bundesländern),
die sich zu einem Gesamtstaat (der Bundesrepublik) zusammengeschlossen haben. Wichtige
Merkmale des Bundesstaates sind:
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•
Im Bundesstaat besitzen die Gliedstaaten selbst Staatsqualität: Alle deutschen Bundesländer
haben eine eigene Verfassung, eine Regierung und ein Parlament, und sie erlassen eigene
Landesgesetze.
Die Gliedstaaten haben aber nicht die volle staatliche Souveränität, sondern geben Teile ihrer
Hoheitsgewalt an den Gesamtstaat ab. So vertritt beispielsweise nur der Bund die
Bundesrepublik nach außen (Art. 32 I GG). Die Rechtsordnung in den Ländern muss von der
Struktur her der im Bund entsprechen (Homogenitätsprinzip, Art. 28 I 2 GG): Alle
Bundesländer müssen die Grundrechte achten und in ihren Verfassungen eine
demokratische, rechts- und sozialstaatliche Ordnung sicherstellen.
Im Verhältnis des Bundes- zum Landesrecht gilt die einfache Formel: „Bundesrecht bricht
Landesrecht“ (Art. 31 GG). Wenn der Bund und ein Land also dieselbe Materie auf unterschiedliche
Weise geregelt haben, hat das Bundesgesetz Vorrang. Das entgegenstehende Landesrecht darf nicht
angewendet werden.
Beispiel: Art. 102 GG lautet: „Die Todesstrafe ist abgeschafft.“ In der Hessischen Verfassung hingegen
ist die Todesstrafe für besonders schwere Verbrechen vorgesehen. In Art. 21 I der Hessischen
Verfassung heißt es: „Ist jemand einer strafbaren Handlung für schuldig befunden worden, so können
ihm auf Grund der Strafgesetze durch richterliches Urteil die Freiheit und die bürgerlichen
Ehrenrechte entzogen werden. Bei besonders schweren Verbrechen kann er zum Tode verurteilt
werden.“
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Wegen des Grundsatzes „Bundesrecht bricht Landesrecht“ (Art. 31 GG) darf in Hessen nicht die
Todesstrafe verhängt oder vollstreckt werden. Die Verfassungsbestimmung darf nicht angewendet
werden, weil die Regelung im Grundgesetz Vorrang hat.
2.2.2 Das Demokratieprinzip
Das Demokratieprinzip ist in Art. 20 II GG festgeschrieben: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“
Jede staatliche Entscheidung muss demnach letzten Endes (also u.U. mit Zwischenschritten
2.2.2.3) auf das Volk zurückzuführen sein.
2.2.2.1 Repräsentative und plebiszitäre Elemente im Grundgesetz
Das Volk entscheidet nach Art. 20 II 2 GG „in Wahlen und Abstimmungen“.
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In Wahlen wählt das Volk Repräsentanten, die dann stellvertretend für die Bürger/innen
wichtige staatliche Entscheidungen treffen, z.B. Gesetze beschließen. Wichtigstes Beispiel
sind die Wahlen zum Bundestag: Die Bürger/innen wählen Abgeordnete, die dann als
Repräsentant/innen des Volkes im Bundestag die Gesetze verabschieden. Die Abgeordneten
des Bundestages sind frei und in ihren Entscheidungen nur ihrem Gewissen verantwortlich
(Grundsatz des freien Mandates, Art. 38 GG; mehr zum Thema Wahlen unter 2.2.2.2). Die
Wahlen sind Ausdruck eines repräsentativen Demokratieverständnisses. „Repräsentative
Demokratie“, bedeutet, dass das Volk Vertreter wählt, die dann die Staatsgewalt
gewissermaßen stellvertretend für die Wähler/innen ausüben.
Mit Abstimmungen sind hingegen Entscheidungen gemeint, die das Volk unmittelbar trifft,
also z.B. Volksbegehren oder Volksentscheide. Man nennt diese auch plebiszitäre Elemente
(„plebs“ = lat. Volk) oder Elemente unmittelbarer Demokratie. Im Grundgesetz ist die
Volksabstimmung derzeit nur für den Fall vorgesehen, dass die Aufteilung der Bundesländer
neu geregelt werden soll (Art. 29 GG). Es wird jedoch seit vielen Jahren diskutiert, ob das
Grundgesetz nicht um plebiszitäre Elemente angereichert werden sollte.
Beispiel: In vielen Mitgliedstaaten der Europäischen Union entscheidet das Volk über wesentliche
Änderungen im Europäischen Recht, insbesondere dann, wenn die Mitgliedstaaten Hoheitsrechte an
die EU übertragen. Für Deutschland wird diskutiert, ob über solche Gesetzesänderungen neben
Bundestag und Bundesrat auch das Volk abstimmen sollte. Derartige Volksabstimmungen könnten
auf Bundesebene nur durch eine Grundgesetzänderung eingeführt werden.
Hinweis: In den Bundesländern und den Gemeinden gibt es inzwischen vielfältige Formen des
Volksbegehrens und des Volksentscheids.
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2.2.2.2 Die Wahlrechtsgrundsätze
Das Wahlrecht zum Bundestag ist in Art. 38 GG geregelt: Wahlberechtigt sind alle volljährigen
deutschen Staatsbürger/innen. An den Wahlen zum Europaparlament und an den Kommunalwahlen
können hingegen auch Unionsbürger/innen, d.h. die Angehörigen der Mitgliedstaaten der
Europäischen Union, teilnehmen (Art. 28 I 3 GG). In einigen Bundesländern (jedoch nicht in Hessen)
wurde das Wahlalter zu dem jeweiligen Landtag auf 16 Jahre gesenkt.
Die Wahlen sind nach Art. 38 I GG allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim.
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Allgemeinheit der Wahl bedeutet, dass alle Bürger/innen wählen dürfen, sofern sie 18 Jahre
oder älter sind und die deutsche Staatsangehörigkeit haben.
Unmittelbar ist die Wahl, wenn es zwischen Stimmabgabe und Sitzverteilung keine
zwischengeschaltete Instanz gibt. Ein Wahlmännersystem, wie es die USA kennen, wäre in
Deutschland nicht zulässig.
Die Wahl ist frei, wenn die Stimmabgabe nicht von Zwang oder Druck begleitet ist. Man darf
weder zum Wählen gezwungen werden, noch dazu, sich für eine bestimmte Partei zu
entscheiden.
Gleichheit der Wahl ist gegeben, wenn jede Stimme gleich viel zählt (Zählwertgleichheit) und
jede Stimme den gleichen Einfluss auf das Wahlergebnis hat (Erfolgswertgleichheit).
Die Wahl muss geheim sein, damit die Stimmabgabe nicht beeinflusst werden kann. Die
Stimmabgabe darf daher nicht öffentlich bekannt werden.
Beispiel: Die Erfolgswertgleichheit der Stimmen wird durch die sogenannte
Sperrklausel beeinträchtigt: In den Bundestag können nur Parteien einziehen, die mindestens 5% der
abgegebenen Stimmen erhalten haben. Die Sperrklausel wird deswegen für zulässig gehalten, weil
sie verhindert, dass zu viele kleine Parteien („Splitterparteien“) in den Bundestag einziehen (BVerfGE
129, 300). Man fürchtet, dass die Funktionsfähigkeit des Parlaments in Gefahr ist, wenn viele kleine
Parteien sich nicht auf eine Regierung einigen können. In der Weimarer Republik (1919-1933) gab es
keine Sperrklausel, und die Zersplitterung des Parlaments in viele Kleinparteien wird als einer der
Gründe für das Scheitern dieser ersten deutschen Demokratie angesehen.
Hinweis: Für die Wahlen zum Europaparlament hat das Bundesverfassungsgericht aber jüngst eine
Drei-Prozent-Sperrklausel für verfassungswidrig erklärt. Begründung: Die Erfolgswertgleichheit sei
beeinträchtigt. Die Parteienzersplitterung sei im Europäischen Parlament aber nicht so gefährlich für
das Funktionieren der EU, da aus dem Europäischen Parlament heraus keine Regierung gewählt wird
(BVerfG, Urteil v. 26.02.2014, Az. 1 BvE 2/13 u.a.).
2.2.2.3 Die Notwendigkeit einer demokratischen Legitimation aller staatlichen Maßnahmen
Die repräsentative Demokratie bringt es mit sich, dass das Volk weder über jedes Gesetz unmittelbar
abstimmen kann noch einen unmittelbaren Einfluss auf die meisten staatlichen Handlungen hat. Um
die staatlichen Handlungen trotzdem an das Volk rückzubinden, wird eine mittelbare demokratische
Legitimation der staatlichen Gewalten verlangt. Diese Legitimation wird dadurch hergestellt, dass
alles staatliche Handeln letzten Endes auf gesetzlichen Grundlagen beruhen muss, also auf Gesetze
zurückgeht, die von den demokratisch gewählten Parlamenten verabschiedet wurden.
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Die demokratische Legitimation wird also über die Bindung der staatlichen Gewalten an das Gesetz
erreicht ( mehr dazu unter 2.2.3.2).
Beispiel: Hundebesitzerin X erhält vom Ordnungsamt ihrer Heimatgemeinde einen Bescheid über die
Hundesteuer. Der Bescheid beruht auf der Hundesteuersatzung der Gemeinde. Die Gemeinde durfte
die Hundesteuersatzung erlassen, weil das Kommunalabgabengesetz sie dazu ermächtigt. Das
Kommunalabgabengesetz wurde vom Hessischen Landtag verabschiedet, dessen Abgeordnete
demokratisch gewählt wurden. Der Hundesteuerbescheid lässt sich also mittelbar auf eine
Entscheidung eines demokratische gewählten Parlaments zurückführen und ist damit demokratisch
legitimiert.
2.2.3 Das Rechtsstaatsprinzip
Dass die Bundesrepublik ein Rechtsstaat ist, steht nicht ausdrücklich im Grundgesetz. Aus der
Zusammenschau mehrerer Bestimmungen des Grundgesetzes hat sich aber im Laufe der Jahre in den
Rechtswissenschaften eine relativ klare Kontur des Rechtsstaatsprinzips entwickelt. Dieser Grundsatz
besteht aus mehreren Elementen. Die wichtigsten sind:
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Gewaltenteilung
Grundsatz der Gesetzesbindung
Bestimmtheitsgebot
Rückwirkungsverbot/Vertrauensschutz
Effektiver Rechtsschutz
Faires Verfahren
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2.2.3.1 Gewaltenteilung
Der Grundsatz der Gewaltenteilung soll bewirken, dass keine Instanz im Staat die gesamte Macht in
den Händen hält. Die Macht wird auf unterschiedliche Institutionen aufgeteilt, die kooperieren
müssen, aber auch einander kontrollieren sollen. Die drei klassischen staatlichen Gewalten sind:
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Legislative (Gesetzgebung)
Exekutive (Regierung und Verwaltung, „vollziehende“ [d.h. gesetzesausführende] Gewalt)
Judikative (Rechtsprechung)
Im Grundgesetz finden sich die drei Gewalten in Art. 20 II 1 und III GG. Danach wird die Staatsgewalt
neben dem Volk „durch besondere Organe der Gesetzgebung, vollziehenden Gewalt und
Rechtsprechung ausgeübt“.
Die Gewaltenteilung ist in der Ordnung des Grundgesetzes aber nicht so zu verstehen, dass die
Gewalten gegeneinander abgeschottet sind. Vielmehr gibt es zahlreiche Stellen, an denen sich die
Gewalten verschränken. Im Sinne eines effektiven Zusammenspiels und einer funktionierenden
Kontrolle werden derartige Durchbrechungen des Gewaltenteilungsprinzips für zulässig erachtet.
Beispiele:
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Das Bundesverfassungsgericht (Judikative) kann Gesetze für nichtig erklären und übernimmt
damit eine Aufgabe, die eigentlich der Legislative zusteht.
Die Gemeindevertretungen sind Teil der Verwaltung (Exekutive), werden aber demokratisch
gewählt und können mit den kommunalen Satzungen rechtliche Regelungen erlassen, haben
also in begrenztem Rahmen legislative Befugnisse.
Die Regierung ist Teil der Legislative, weil sie Gesetzesanträge in den Bundestag einbringen
kann. Sie ist gleichzeitig die Spitze der öffentlichen Verwaltung und damit Teil der Exekutive.
2.2.3.2 Grundsatz der Gesetzesbindung
Der Grundsatz der Gesetzesbindung steht in Art. 20 III GG:
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Der Gesetzgeber ist an die Verfassung gebunden. Gesetze können gegen die Verfassung
verstoßen und dann vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt werden.
Die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden. Sie
müssen alle ihre Entscheidungen im Einklang mit dem geltenden Recht einschließlich der
Verfassung treffen.
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Für die Verwaltung („vollziehende Gewalt“) gilt die Gesetzesbindung besonders streng:
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Der Vorrang des Gesetzes besagt, dass die Verwaltung nicht gegen das geltende Gesetz
handeln darf.
Der Vorbehalt des Gesetzes bringt zum Ausdruck, dass die Verwaltung in der Regel nur auf
der Grundlage einer gesetzlichen Regelung handeln darf.
Beispiel: Die Gemeinde darf eine Hundesteuer nur erheben, wenn es dafür im
Kommunalabgabenrecht eine gesetzliche Grundlage gibt (Vorbehalt des Gesetzes). Die zuständige
Behörde muss sich bei der Erhebung an die festgesetzten Steuersätze halten (Vorrang des Gesetzes).
Der Grundsatz der Gesetzesbindung erfordert eine klare Normenhierarchie. Untergeordnete Normen
müssen mit den jeweils höherrangigen Bestimmungen vereinbar sein, sonst sind sie rechtswidrig.
Dabei gilt, dass die Verfassung das jeweils höchstrangige Gesetz ist. Danach folgen
Parlamentsgesetze und danach das sogenannte „untergesetzliche Recht“, das von
Verwaltungsorganen erlassen werden darf (Rechtsverordnungen und Satzungen). Im Verhältnis des
Bundes zu den Ländern steht das Bundesrecht über dem Landesrecht (Art. 31 GG).
Die Normenhierarchie in der deutschen Rechtsordnung
2.2.3.3 Bestimmtheitsgebot
Das aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Bestimmtheitsgebot besagt, dass staatliche Normen
hinreichend klar und bestimmt sein müssen. Die Bürger/innen müssen den rechtlichen Regelungen
entnehmen können, welches Verhalten von ihnen erwartet wird bzw. welche Handlungen verboten
sind. Normen, die gegen das Gebot der Bestimmtheit verstoßen, sind verfassungswidrig.
Einzelmaßnahmen sind rechtswidrig, wenn sie nicht auf einer hinreichend bestimmten
Rechtsgrundlage beruhen.
Beispiel: In das Hessische Sicherheits- und Ordnungsgesetz wurde im Jahr 2005 eine Regelung
eingefügt, nach der die Polizei „zum Zwecke des Abgleichs mit dem Fahndungsbestand“ auf
öffentlichen Straßen und Plätzen die Kennzeichen von Kraftfahrzeugen automatisiert erheben durfte.
Sie durfte also die Kennzeichen der fahrenden und parkenden Autos mit einer Videokamera
aufzeichnen und die Aufzeichnungen mit den ihnen bekannten verdächtigen Fahrzeugen abgleichen.
Das Bundesverfassungsgericht erklärte die Regelung für verfassungswidrig und nichtig, weil die
Formulierung „zum Zwecke des Abgleichs mit dem Fahndungsbestand“ viel zu unbestimmt war: Sie
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erlaubte der Polizei letzten Endes, zu jeder Zeit und an jedem Ort ohne einen konkreten Anlass die
Kfz-Kennzeichen aufzuzeichnen und abzugleichen (BVerfGE 120, 378).
2.2.3.4 Verfahrensrechte
Schließlich werden dem Rechtsstaatsprinzip und speziellen Verfassungsbestimmungen einige
Grundsätze entnommen, die ein faires Verfahren vor Gerichten und anderen staatlichen Stellen
gewährleisten sollen:
•
•
Art. 19 IV GG enthält ein Gebot effektiven Rechtsschutzes: Gegen alle staatlichen
Maßnahmen muss gerichtlicher Rechtsschutz möglich sein.
Art. 101-104 GG enthalten die sogenannten Justizgrundrechte. Die wichtigsten sind (1) das
Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 S. 2), (2) der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art.
103 I), das strafrechtliche Rückwirkungsverbot (Art. 103 II), das Verbot der Doppelbestrafung
(Art. 103 III) und die Rechtsgarantien bei Freiheitsentziehung (Art. 104).
2.2.4 Sicherung der Staatsstrukturprinzipien gegen Veränderungen von innen und außen
Als Teil des von Menschen gesetzten, positiven Rechts kann eine Verfassung auch von Menschen
wieder abgeschafft werden. Das Grundgesetz enthält einige Regelungen, mit denen eine
fundamentale Veränderung oder vollständige Abschaffung des Grundgesetzes verhindert oder
zumindest erschwert werden soll:
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Die wesentlichen Prinzipien des Staates aus Art. 1 und 20 GG (Menschenwürdegarantie,
Kernbestand der Grundrechte, Staatsstrukturprinzipien) dürfen nicht abgeändert werden
(Art. 79 III GG, sogenannte „Ewigkeitsgarantie“). Auch die Ewigkeitsgarantie als solche darf
nicht abgeschafft werden – das steht zwar nicht im Grundgesetz, wird aber aus der Logik der
Norm abgeleitet: Könnte die Ewigkeitsgarantie einfach aus dem Grundgesetz entfernt
werden, hätte sie keinen Sinn.
Verfassungsfeindliche Vereine (Art. 9 II GG) und Parteien (Art. 21 II GG) können verboten
werden. Vereinsverbote können die Innenminister/innen des Bundes und der Länder
verhängen. Für Parteiverbote ist allein das Bundesverfassungsgericht zuständig (Art. 21 II 2
GG). Ansonsten bestünde die Gefahr, dass die Regierung sich der Konkurrenz der
Oppositionsparteien entledigt, indem sie ihnen Verfassungsfeindlichkeit unterstellt.
Gegen aktiv gegen das gesamte System gerichtete Bestrebungen haben alle Deutschen das
Recht zum Widerstand (Art. 20 IV GG). Diese Recht besteht allerdings nur, wenn tatsächlich
das Staatswesen als solches in Gefahr ist – betrifft die politische Opposition nur Einzelfragen
(wie die Regelung des Datenschutzes, die Förderung der Atomkraft oder die Entsendung von
Truppen ins Ausland), müssen diese im politischen Dialog gelöst werden. Der individuelle
oder gemeinschaftliche politische Protest wird von den Grundrechten der Meinungsfreiheit
(Art. 5 I 1), Pressefreiheit (Art. 5 I 2), der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (Art. 8 und
9 GG) gewährleistet. Auch die politischen Parteien stehen hinsichtlich ihrer Freiheit und
Chancengleichheit unter verfassungsrechtlichem Schutz (Art. 21 GG).
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Fragen zu Kapitel 2.1 und 2.2:
1. Wer entscheidet über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen?
2. Nennen Sie zwei Freiheitsgrundrechte und erläutern Sie ihren Inhalt.
3. Welches Grundrecht schützt die wirtschaftliche Privatautonomie?
4. Wo sind die Gleichheitsrechte im Grundgesetz geregelt und was ist ihr wesentlicher Inhalt?
5. Nennen Sie die Staatsstrukturprinzipien des Grundgesetzes. Wo sind sie geregelt?
6. Was ist ein Bundesstaat?
7. Wie ist das Verhältnis von Bundesrecht zu Landesrecht?
8. Ist es nach dem Grundgesetz erlaubt, über politische Entscheidungen das Volk entscheiden zu
lassen?
9. Nennen Sie die Wahlrechtsgrundsätze des Grundgesetzes und erläutern Sie ihren Inhalt.
10. Was ist eine Sperrklausel? Unter welchen Umständen ist sie bei Wahlen in Deutschland zulässig?
11. Was sind die wesentlichen Elemente des Rechtsstaatsprinzips?
12. Nennen sie die drei Staatsgewalten und erläutern Sie ihre jeweilige Funktion.
13. Welche Durchbrechungen des Gewaltenteilungsprinzips enthält das Grundgesetz?
14. Was besagen die Grundsätze des Vorrangs und des Vorbehalts der Gesetze?
15. Was ist der Inhalt des Bestimmtheitsgebotes?
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16. Durch welche Bestimmungen des Grundgesetzes wird ein faires Gerichtsverfahren gewährleistet?
17. Welche Regelungen enthält das Grundgesetz, die eine Abänderung oder Abschaffung der
Verfassung erschweren?
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