Feuilleton regional 36 NUMMER 288 MONTAG, 14. DEZEMBER 2015 Neues von Lisa Beck Jazz vom Feinsten Ausstellung in der Galerie Unikat Cholet/Känzig/Papaux im Jazzclub Augsburg VON SYBILLE SCHILLER VON ERIC ZWANG-ERIKSSON Eigentlich müsste jeder Augsburger Kunstschaffende Prof. Lisa Beck kennen. Die 1927 in Augsburg geborene Künstlerin, einst Dozentin an der Werkkunstschule Augsburg, später an der Fachhochschule, hat zwischen 1961 und 1990 Generationen von Künstlern unterrichtet und war wegweisend für deren Schaffen. Nun behauptet Ulli Nerdinger, der Sohn von Becks langjährigen Kollegen Eugen Nerdinger, in seiner Galerie Unikat (Auf dem Kreuz 20) für die dort gezeigten Arbeiten: „Lisa Beck … wie sie keiner kennt!“ Die Aussage erschließt sich Besuchern schon im ersten Ausstellungsraum, wenn sie staunen, wie begabt Beck bereits als Kind war. Es ist, als hätte die spätere Grafikerin und Kalligrafin nie etwas anderes gemacht, als gezeichnet und geschrieben. Inzwischen 88 Jahre alt, ist sie keineswegs müde, sondern führt wie eh und je mit sicherer Hand Stifte und Pinsel. Auch das Lisa Beck ist in „Unikat“ dokumentiert. Dazu Nerdinger: „Ihr Stil ist sogar freier geworden.“ In der Ausstellung sind noch nie öffentlich präsentierte Zeichnungen vor Kopien der Originale zu sehen, Bilder von Wichtelmännchen und Märchenfiguren wie „Schneewittchen“ und „Dornröschen“. So erzählt Beck in einer ihrer selbst illustrierten Geschichten vom „Hummelchen“, zu dem Käferchen krabbeln und Schmetterlinge fliegen. Galerist und Grafiker Ulli Nerdinger schlägt in der Schau einen illustrierten Lebensbogen von dem Kind Lisa Beck über ihre Professorentätigkeit bis zu freien, erst in den letzten zehn Jahren entstandenen Arbeiten. Die Künstlerin selbst nennt diese „zweckfreie Arbeiten und lineare Kompositionen“. Als Königsdisziplin des Jazz gilt allgemein das Klavier-Trio. Eine Formation mit klarer Rollenverteilung: das Schlagzeug als Bollwerk des Rhythmus, das Piano als Harmonieund Melodieinstrument und der Bass als pulsierendes Bindeglied dazwischen. Das französisch-schweizerische Trio, das am Freitagabend im Jazzclub ein Feuerwerk an anspruchsvollem Modern Jazz entfachte, brach mit dieser Tradition. Klassische Phrasen und Anleihen aus der populären Musik fanden sich im Klangkosmos des französischen Pianisten Jean Christophe Cholet, dessen sensibles Spiel vor Einfallsreichtum nur so strotzte. Im extremen Abdämpfen der Saiten übernahm er gleich den Part des Rhythmikers. Der Schweizer Drummer Marcel Papaux indes liebte das reduzierte Spiel, gewürzt mit blitzartigen, lyrisch schönen Ausbrüchen. Der Klang stand im Vordergrund seiner grazilen Schöpfungen, während Lands- und Mittelsmann Heiri Känzig seinem Kontrabass zuweilen perkussive Ausbrüche entlockte. Das war Musik, die nicht in eine Schublade zu stecken ist. Zwar hatte der filigrane musikalische Austausch, den die Herren betrieben, seine Wurzeln im modernen Jazz europäischer Couleur. Doch tummelten sich viele weitere Stilformen im Klangbild, als dass ein Obergegriff all das fassen kann. Mal abstrakt, oft komplex und immer vom Kuss der Muse beflügelt, galoppierte das Gespann trialogisch durch den Abend. Zwei Stunden währte das facettenreiche Konzert und bescherte ein musikalisches Erlebnis allererster Güte. European Jazz at its best. O Laufzeit in der Galerie Unikat, Auf dem Kreuz 20, bis 19. Dezember, Di bis Fr 16 bis 19 Uhr Ein gelungenes Beispiel der Moderne: Augsburgs Kongresshalle. Der Architekt Max Speidel konzipierte sie mit offenen und fließenden Räumen und bettete den Bau sensibel in den Wittelsbacher Park ein. Das Bild zeigt die Kongresshalle 1972 bei der Fertigstellung. Foto: Fred Schöllhorn Als der Beton nach Augsburg kam Baugeschichte Der Wirtschaftsboom und Wachtsumsglaube prägten die Architektur der 1960er und 70er Jahre. Aber: An der Modernisierung von Städten entzündete sich viel Streit VON ANGELA BACHMAIR Es war einmal eine Zeit, in der man an immerwährendes Wachstum und unaufhaltsamen Fortschritt glaubte, in der man sich ohne Skrupel des erreichten Wohlstands freute und noch nichts von Globalisierung und deren verstörenden Auswirkungen wusste. In dieser Zeit – wir reden von den 1960er und 70er Jahren – änderten sich Städte rasant, wurden sie für Autoverkehr, Industrie und Handel umgebaut. Auch Augsburg strebte nach einer neuen Urbanität, wollte im Gleichschritt mit dem Wirtschaftsboom eine moderne Stadt sein. Also wurde viel gebaut, keineswegs bescheiden, sondern groß, raumgreifend, wuchtig, wie es dem neuen Selbstbewusstsein entsprach. Der Baustoff der Wahl war in dieser Zeit Beton, mit dem sich große Flächen und Volumina schnell realisieren ließen. Die zahlreichen Bauwerke, die zwischen 1960 und 1980 in Augsburg entstanden, präsentiert jetzt eine Ausstellung im Architekturmuseum Schwaben unter dem Titel „Blickpunkt Moderne“. Die Schau entstand in Kooperation des Museums mit dem Baugeschichtler Olaf Gisbertz (TU Braunschweig) und dem Kunsthistoriker Jörg Stabenow (heute FH Dortmund, früher Uni Augsburg) sowie dessen Studenten. Fotos unterschiedlicher Fotografen (unter anderem Petra Eisinger und Heinz Egner, dazu aktuelle Aufnahmen von Museumsmitarbeitern) sowie erläuternde Texte entfalten ein dichtes Panorama der modernen Baukunst und erinnern an intensive Auseinandersetzungen in der Stadt. Beides hängt eng zusammen: die Modernität der Architektursprache und der Streit darüber. Die alte Stadt Augsburg zu modernisieren, dafür hatte der Nachkriegs-Stadtbaurat Walther Schmidt seit Beginn der Fünfzigerjahre gekämpft. Dagegen gab es immer wieder Proteste, die heftiger wurden. Die Stadtplaner gingen aber auch brachial vor und zerstörten für die Modernisierung nicht wenige Altbauten, die den Bürgern lieb und teuer waren: Für das Kaufhaus Neckermann riss man das alte Stetteninstitut ab, für den neuen Kaiserhof das neobarocke Hotel gleichen Namens aus dem 19. Jahrhundert, für die Kongresshalle den beliebten Ludwigsbau. Wen wundert’s, dass die Neubauten erst einmal Hassbauten waren und noch für lange Zeit einen schlechten Ruf hatten, zumal sie sich auch noch alles andere als zurückhaltend gaben, sondern als kolossale Kerle im städtischen Bauensemble reichlich präpotent dastanden. Der Kaiserhof 2000 etwa, den der Baulöwe Otto Schnitzenbaumer 1971 bis 73 nach dem Vorbild der Münchner „Citta 2000“ errichtete, dominiert mit seiner Größe, den zehn Stockwerken Höhe, bis heute den Königsplatz. Gleichwohl ist der Koloss mit seiner Fassade aus Sichtbeton und dunklem Glas, die die Augsburger Architekten Brockel + Müller entwarfen, nüchtern und sachlich gestaltet. Überhaupt zeichnen sich die Augsburger Bauten der Boom-Moderne durch anständige, wenn nicht hin und wieder sogar großartige Architektur aus, wie die Macher der Ausstellung zu Recht betonen. Dass einige Gebäude mittlerweile unter Denkmalschutz stehen, ist richtig. Allen voran steht da die Kongresshalle von Max Speidel (1965 bis 72) mit ihren offenen, fließenden Räumen und der sensiblen Einbettung in den Wittelsbacher Park. Aber auch Kirchen wie St. Simpert (1973/74 von Knopp und Kreutzer), bei der das Dach nach dem Vorbild von Mies van der Rohes Neuer Nationalgalerie in Berlin gebildet ist, und St. Thomas mit den bewegten Kanten (1961 von O. A. Gulbransson) beeindrucken bis heute. Die Königsbrunner Kirche zur göttlichen Vorsehung (1968 bis 70 von Justus Dahinden) ist mit ihrer skulpturalen Ausformung ein außergewöhnliches Bauwerk. Schulen wie die Bebo-Wager-Berufsschule (1965 bis 67 von Wichtendahl und Moll) wurden als weiträumige Anlagen konzipiert, die nichts mehr mit dem alten kasernenartigen Schulbau zu tun hatten. Auch die Olympischen Spiele 1972 wirkten in die Augsburger Bauwelt hinein: die Kanustrecke mit ihren Bauten von Brockel + Müller ist eine einladende Anlage, gebaut für das Freizeitverhalten einer offenen Gesellschaft. Den Rang einer Ikone nimmt der ebenfalls für die Olympiade errichtete Hotelturm ein, 1970 bis 72 wiederum von Brockel + Müller nach dem Vorbild der Twin Towers in Chicago erbaut. Auch die Sporthalle im Wittelsbacherpark (1962 bis 65 von Hugo Gall) mit ihrem aufregenden Hängedach ist eine Architektur-Preziose. Zwiespältige, wenn nicht ablehnende Gefühle erzeugen bis heute die Wohnanlagen gewaltigen Ausmaßes, die in den 60er und 70er Jahren entstanden – SchnitzenbaumerPark (1965 von Ludwig Riegg), Schwabencenter (1968 bis 71 von der Architektengruppe 4) oder der „Skischuh“ genannte Wohnturm in Lechhausen (1974 von Pröll und E. C. Müller). In ihnen sind die zeittypischen Ideen der Verdichtung und der Trennung städtischer Funktionen fast zu weit getrieben. Unter den zwei Dutzend Objekten, die die sehenswerte Ausstellung vorstellt, sticht eines besonders heraus – und fällt auch aus dem Rahmen: die Pädagogische Hochschule an der Schillstraße (1958 bis 62 von Hauenstein, Herdegen, Recknagel) hat noch nicht die Wucht und Massigkeit der wenig später erbauten Beton-Kolosse, sondern ist ein vornehm hingelagertes Ensemble mit schlanken Gebäudeprofilen und wunderbar ausgearbeitetem Sichtmauerwerk. In diesem Bauwerk zeigt sich noch die Sprache der Bauhaus-Moderne; sein Denkmalwert ist unbestritten. O Ausstellung Blickpunkt Moderne. Architektur in Augsburg 1960 – 1980. Im Architekturmuseum Schwaben, Thelottstr. 11, bis 3. April 2016, geöffnet Donnerstag bis Sonntag 14 – 18 Uhr. Eine von Lisa Beck geschriebene und illustrierte Geschichte. Foto: Schiller Feuilleton kompakt Das Jüngste Gericht wird vertagt Theater In dem Stück „Krach im Hause Gott“ rechnen die Himmlischen mit den Sterblichen ab MOZART RESONANZEN Das Echo der sakralen Musik bei Mozart In dem Vortragszyklus „Mozart Resonanzen“ ist am heutigen Montag, 14. Dezember, um 18 Uhr im Annahof in Augsburg Bernd Oberdorfer zu hören. Der evangelische Theologe, der an der Universität Augsburg Professor für systematische Theologie und theologische Gegenwartsfragen ist, spricht über das Echo der sakralen Musik bei Mozart. Dessen geistliche Musik gehören zu den bekannten, aber auch zu den noch zu entdeckenden Seiten seines Werks. Oberdorfer untersucht das Verhältnis zwischen Musik und Glaube, zwischen Aufklärung und Liberalismus und schaut damit als Theologe in benachbarte Disziplinen. (AZ) VON CLAUDIUS WIEDEMANN Angesichts der Gewalt rund um den Globus wäre es denkbar, dass das Jüngste Gericht nicht mehr lange auf sich warten lässt. Diese Idee bildet den Kern von Felix Mitterers Drama „Krach im Hause Gott“. Nach der Uraufführung vor wenigen Wochen in Iserlohn gastierte die Produktion in der Stadthalle Gersthofen. So mancher hatte sich von einer himmlischen Komödie (so der Untertitel) jedoch anderes erwartet. Konnte man Mitterer mit Stücken wie „Sibirien“ und „In der Löwengrube“ bislang als sozialkritischen Volksautor kennenlernen, so hat er sich nun dem Gerichtsdrama mit theologisch-philosophischem Anstrich gewidmet. Das Gericht als Ort dramatischer Handlung lockt Autoren stets, obgleich mit der Ortswahl die Handlung stark eingeschränkt ist. Alles steht und fällt mit dem Thema und den Schauspielern. Hatte Dürrenmatt einst in „Die Panne“ durch übermäßigen Alko- holgenuss die Verhandlung aus dem Ruder laufen lassen, blieben bei Mitterer die Positionen der Akteure von Beginn bis Ende unverändert. Man wusste auch nicht, ob es um die Schuld der Menschheit oder das Satan, Gott und der Heilige Geist sitzen über die Menschheit zu Gericht, können sich aber nicht einigen. Foto: Michael Hochgemuth Verhältnis von Mann und Frau ging. Das machte die Verhandlung zäh. An einem altarähnlichen Tisch hatten Gott, Jesus und der Heilige Geist Platz genommen. Per Hubschrauber gesellt sich bald Satan (kongenial Bernhard Bettermann) hinzu. Für die Muttergottes ist kein Platz, das hat Gott so entschieden. Obwohl das Spiel von Sebastian Sash als schwuler Hl. Geist amüsante Ausformungen erfuhr und der stets auf Verführung bedachte Satan für wenige Momente teuflischen Vergnügens sorgte, trat alles auf der Stelle. Die gegen Ende eingeführte Figur der Muttergottes (sehr engagiert Mimi Fiedler) wirkte wie ein Fremdkörper. So vertagt Gott das Jüngste Gericht wegen Müdigkeit und sprach damit manchem Zuschauer aus der Seele. Pianist Jean Christophe Cholet im Jazzclub Augsburg. Foto: Zwang-Eriksson Zum Tod von Franz Krautwurst An der jungen Universität Augsburg hat er mit einem breiten Spektrum in den 70er Jahren die Musikwissenschaft begründet und insbesondere die musikwissenschaftliche Landesforschung etabliert. Im Alter von 92 Jahren ist Prof. Franz Krautwurst nun in Erlangen gestorben, der Stätte seines ersten Wirkens. An der dortigen Universität hatte er 1950 promoviert und 1956 habilitiert. Maßgebliche Impulse verlieh Krautwurst der Erforschung von Leben und Werk des Komponisten Valentin Rathgeber (1682–1750). Franz Krautwurst Über den fränkischen Benediktinermönch, der viele seiner Werke in Augsburg drucken ließ, darunter das vierbändige „Augsburger Tafel-Confect“, schrieb er zahlreiche wegweisende Artikel. Die Valentin-RathgeberGesellschaft ernannte Krautwurst zu ihrem Ehrenmitglied. Der Bezirk Unterfranken verlieh ihm den Wolfram-von-Eschenbach-Kulturpreis, auch das Bundesverdienstkreuz trug er. In Augsburg gab Krautwurst bis 2002 das Neue Musikwissenschaftliche Jahrbuch heraus. (loi)