Chronische myeloische Leukämie (CML)

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Blut- und Immunsystem
Symptome
Die CLL kann in den ersten Jahren ohne Symptome verlaufen
und wird bei der Hälfte der Patienten zufällig gefunden, z. B.
weil die hohe Lymphozytenzahl in einer Blutuntersuchung
auffällt. Der Rest der Patienten fällt entweder durch unspezifische Symptome wie Gewichtsabnahme, Nachtschweiß,
Müdigkeit und Erschöpfung oder durch Lymphknotenvergrößerungen auf. Manchmal sind auch Milz und Leber
vergrößert. Auch Hautausschläge mit Juckreiz sind bei CLLPatienten häufig zu finden. Weil die bösartig veränderten
B-Lymphozyten weniger funktionsfähig sind, ist die Antikörperproduktion eingeschränkt, die Patienten leiden daher
häufiger an Infektionen.
ACHTUNG
Die meisten Patienten mit CLL sterben an Infekten.
Diagnostik
Entscheidend bei der Diagnostik ist das große Blutbild: Es
fällt eine hohe Lymphozytenzahl auf (= Lymphozytose),
definitionsgemäß mindestens 5 000 Lymphozyten/µl Blut.
Gesichert wird die Diagnose durch Immunphänotypisierung
(S. 681) der Lymphozyten, bei der die typischen Merkmale von CLL-Zellen festgestellt werden können. Dabei muss
nachgewiesen sein, dass die Lymphozyten nicht diffus vermehrt sind, sondern sich ein bestimmter „Klon“ massiv vermehrt. Knochenmark- oder Lymphknotenpunktionen sind
meist nicht notwendig.
Die Stadieneinteilung, die sehr wichtig für die Prognose
des Patienten und somit auch für die Therapie ist, richtet
sich hauptsächlich nach der Anzahl der befallenen Lymphknotenregionen sowie nach dem Hb-Wert und der Thrombozytenzahl. Patienten mit einem Hb < 10 und/oder mit zu
wenigen Thrombozyten (< 100 000/µl, Thrombozytopenie)
haben eine schlechtere Prognose und brauchen eine radikalere Therapie. Zur Feststellung von befallenen Lymphknotenregionen im Brust- und Bauchraum sowie von einer
vergrößerten Leber oder Milz müssen bildgebende Untersuchungen wie Sonografie, Röntgen und CT eingesetzt werden.
In der Immunelektrophorese kann die Antikörpermenge
bestimmt werden. Da bei der CLL die B-Lymphozyten betroffen sind, die im Normalfall die Antikörper produzieren,
finden sich auch Veränderungen bei der Antikörpermenge
im Serum: Etwa die Hälfte der Patienten hat zu wenige Antikörper im Blut und ist daher anfälliger für Infektionen.
Zytogenetische Untersuchungen sind wichtig, da bei den
meisten CLL-Zellen verschiedene Mutationen nachweisbar
sind und diese ebenfalls eine Bedeutung für die Prognose
der Patienten haben können.
Therapie
Die Therapie richtet sich nach der klinischen und labortechnischen Risikoeinstufung der Patienten. Diejenigen,
die eine günstige Prognose aufweisen, werden zunächst
nur beobachtet. Alle anderen erhalten eine Chemotherapie.
Verwendet wird z. B. eine Kombination von Fludarabin mit
Rituximab und/oder Cyclophosphamid. Auch der monoklonale Antikörper Alemtuzumab (spezifische Immuntherapie,
„targeted therapy“) kann zur Therapie gegeben werden.
Zusätzlich gibt es noch die Möglichkeit einer Strahlentherapie besonders befallener Bereiche (z. B. große Lymphome
oder Milz) und der hämatopoetischen Stammzelltransplantation (S. 685), die jedoch nur bei Hochrisikopatienten
durchgeführt wird.
706
Weil die Patienten mit CLL anfälliger für Infektionen sind,
müssen sie gegen bestimmte Erreger (Pneumokokken und
Influenza) Impfungen erhalten. Fehlen wichtige Antikörper,
können diese durch die Gabe von Immunglobulinen ersetzt
werden.
Prognose
Die Überlebenszeiten hängen davon ab, wie früh die Erkrankung entdeckt wird, welche klinischen, labortechnischen
und zytochemischen Prognosefaktoren vorliegen und wie
gut die Patienten auf die Therapie ansprechen. Komplett
heilbar ist die CLL nur durch die Stammzelltransplantation.
Chronische myeloische Leukämie (CML)
Definition Chronische myeloische Leukämie (CML)
Bei der chronischen myeloischen Leukämie (CML) vermehren sich
hauptsächlich die Granulozyten. Die CML wird zu den myeloproliferativen Erkrankungen (S. 710) gerechnet.
Pathophysiologie
Ursache ist die Mutation einer Vorläuferzelle im Knochenmark, die zu unkontrollierter Vermehrung und längerem
Überleben der Nachkommen dieser Zelle führt. In den
­allermeisten Fällen beginnt die Erkrankung mit der Entstehung des sog. Philadelphia-Chromosoms in der betroffenen
­Vorläuferzelle. Dabei werden Teile des Chromosoms 9 auf
Chromosom 22 umgelagert. Weil die Veränderung in einer
Vorläuferzelle auftritt, lässt sie sich später in fast allen Bestandteilen des hämopoetischen Systems nachweisen. Wenn
kein Philadelphia-Chromosom vorliegt (selten), spricht man
von einer atypischen CML. Die Ursachen für die Entstehung
des Philadelphia-Chromosoms sind wiederum weitgehend
unbekannt. Strahlung (z. B. Hiroshima) oder chemische Stoffe können eine Rolle spielen.
Die CML läuft in 3 Phasen ab, die jeweils von neuen Mutationen der Krebszellen gekennzeichnet sind. Die Krankheit
beginnt schleichend mit der chronischen Phase (3 – 6 Jahre),
dann beschleunigt sich die Erkrankung über etwa ein Jahr
(Akzelerationsphase), wobei immer mehr unreife Blasten
im Knochenmark produziert und ins Blut ausgeschwemmt
werden. Am Ende gleicht die CML aufgrund des hohen Blastenanteils einer akuten Leukämie (sog. Blastenkrise).
Symptome
Die Symptome sind je nach Krankheitsphase unterschiedlich: In der chronischen Phase sind wenige Symptome, vor
allem Müdigkeit, Erschöpfung und Nachtschweiß, zu beobachten, manchmal auch eine Milzvergrößerung (Splenomegalie). Vergrößerte Lymphknoten, wie sie bei der CLL zu
finden sind, treten hier nicht auf. In der Akzelerationsphase
entsteht durch die verdrängende Wirkung im Knochenmark
zusätzlich eine Anämie und Blutungen bzw. Hämatome. Die
Milzvergrößerung nimmt zu, manchmal haben die Patienten auch Fieber. In der Blastenkrise zeigen die Patienten
schließlich die Symptome einer akuten Leukämie (S. 703).
Diagnostik
Neben Anamnese und körperlicher Untersuchung spielt die
Blutuntersuchung die wichtigste Rolle. Die Gesamtzahl der
Leukozyten ist stark erhöht (Leukozytose, v. a. Granulozyten) – die CML verursacht die höchsten Leukozytenzahlen
aller Leukämien (bis > 500 000/µl). Meist haben die Patienten auch eine Anämie. Im großen Blutbild sind in der
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13
Erkrankungen der L­ eukozyten und hämato­logische ­Neoplasien
Abb. 13.20Blastenkrise.
13.5.3 Lymphome
Definition Maligne Lymphome
Die Gruppe der bösartigen Lymphome umfasst verschiedene
Erkrankungen, deren wichtigstes Symptom die vergrößerten
Lymphknoten sind („Lymphom“ = Lymphknotenvergrößerung).
Sie werden eingeteilt in Hodgkin-Lymphome („Morbus Hodgkin“) und Non-Hodgkin-Lymphome (NHL). Zu unterscheiden sind
die Formen unter dem Mikroskop durch das Fehlen oder Vorhandensein von Hodgkin-Zellen.
Pathophysiologie
Thieme, 2012.
chronischen Phase der CML noch wenige Blasten (unreife
Vorläuferzellen) zu sehen. Deren Anzahl steigt jedoch mit
der Akzelerationsphase bis hin zur Blastenkrise immer weiter an, sodass sie hier über 30 % der weißen Blutkörperchen
ausmachen (▶ Abb. 13.20).
ACHTUNG
Auch Patienten mit CML können bei stark erhöhter Leukozytenzahl Durchblutungsstörungen in verschiedenen Organen entwickeln, da sich sog. „leukämische Thromben“ bilden (aus weißen
Blutkörperchen).
Im Blutausstrich sind alle Reifestufen der Granulozyten
zu erkennen. Die Knochenmarkpunktion zeigt eine stark
erhöhte Zellanzahl im Knochenmark, ein Hauptmerkmal
­
aller myeloproliferativen Erkrankungen. Das Vorliegen einer
CML kann in der zytogenetischen Untersuchung unter anderem durch die Feststellung des Philadelphia-­Chromosoms
gesichert werden.
Therapie
Die Art der Therapie hängt vom Nachweis des PhiladelphiaChromosoms ab. Patienten, die diese Mutation vorweisen,
können mit einer zielgerichteten Therapie durch einen Tyrosinkinase-Inhibitor (Imatinib) behandelt werden. Bei den
meisten Patienten wird auf diese Weise ein vollständiger
Rückgang der Krankheit (Remission) erreicht. In zweiter
Linie/bei Rezidiv werden weitere Tyrosinkinase-Inhibitoren
(Nilotinib, Dasatinib) eingesetzt. Daneben stehen noch die
Stammzelltransplantation (bisher einzige Heilungsoption)
und weitere medikamentöse Behandlungen zur Verfügung.
Wichtig ist auch die unterstützende symptomorientierte
Therapie (z. B. Entfernung der Milz, Substitution von Erythro- oder Thrombozyten).
Prognose
Dank der zielgerichteten Therapie durch Imatinib ist die
Prognose der Patienten mit Philadelphia-Chromosom sehr
gut. Patienten, die diese Mutation nicht aufweisen, haben
eine schlechtere Prognose.
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In der Blastenkrise werden die unreifen Blasten massiv vom
Knochenmark in das Blut ausgeschwemmt. Die Symptome verschlechtern sich plötzlich. Aus: Arastéh et al., Duale Reihe Innere Medizin,
Die malignen Zellen des Hodgkin-Lymphoms entwickeln
sich in Lymphknoten aus mutierten B-Lymphozyten. Als
Risikofaktoren für die Erkrankung gelten eine Epstein-BarrVirusinfektion (S. 1282) und eine zelluläre Abwehrschwäche
(z. B. HIV-Infektion, immunsuppressive Therapie). Ihre Vermehrung verursacht eine Lymphknotenvergrößerung. Von
hier aus können sie sich über die Lymph- und Blutbahn im
gesamten Körper ausbreiten.
Die Non-Hodgkin-Lymphome kommen etwa 5-mal häufiger vor als die Hodgkin-Lymphome. Hier lösen genetische
Veränderungen in B- oder in T-Zellen die Umwandlung in
bösartige Zellen aus. Je unreifer die betroffenen Zellen dabei sind, desto schneller können sie sich vermehren und
desto schneller wachsen die Lymphome. Solche schnell
wachsenden Lymphome nennt man dann „hochmaligne“
(aggressiv). Je differenzierter und reifer die betroffene Zelle ist, desto langsamer vermehrt sie sich und desto weniger
bösartig ist das Lymphom („niedrigmaligne“ oder indolent). NHL können primär die Lymphknoten befallen (z. B.
diffuses großzelliges B-Zell-Lymphom) oder außerhalb der
Lymphknoten auftreten (z. B. Lymphome des Magen-DarmTraktes oder der Haut). Es gibt auch leukämische NHL wie
die CLL.
Symptome
Das führende Symptom
der Lymphome ist eine schmerzlose, derbe, zum Teil massive Lymphknotenschwellung im Halsbereich (bei Morbus Hodgkin die häufigste Lokalisation), im Brust- oder
Bauchbereich oder an anderen Lymphknotenstationen
(▶ Abb. 13.21). Daneben können auch Raumforderungen
in anderen Organen entstehen, z. B. im HNO-Bereich oder
im Gehirn.
●● B-Symptomatik (S. 742)
●● Vergrößerung von Milz (Splenomegalie) und Leber (Hepatomegalie)
●● erhöhte Infektanfälligkeit, Anämie und Blutungsneigung
durch eine Verdrängung der gesunden Blutzellen
●● Besondere organbezogene Symptome entstehen, wenn
das Lymphom auf andere Organe übergreift, z. B. wenn
es auf die Nerven im Spinalkanal drückt (z. B. Lähmungen
oder Störungen des Tastsinns).
●● Lymphknotenvergrößerungen:
Einteilung
Die Hodgkin-Lymphome werden nach ihrer Histologie (nach
den überwiegend vorhandenen Zelltypen) in „klassische“
und „Lymphozyten-prädominante“ Hodgkin-Lymphome eingeteilt. Am häufigsten ist das klassische Hodgkin-­Lymphom.
707
Blut- und Immunsystem
Abb. 13.21Lokalisation der Lymphknotenschwellungen.
zervikal,
supraklavikulär
nuchal, okzipital,
submandibulär
Mund/Rachen
infraklavikulär
mediastinal
hilär
axillär
Milz
Leber
paraaortal
mesenterial
Knochenmark
iliakal
inguinal
Nach Arastéh et al., Duale Reihe Innere Medizin, Thieme, 2013.
Die NHL sind sehr heterogen. Sie werden nach folgenden
Kriterien eingeteilt:
●● klinisch (niedrigmaligne bis hochmaligne = aggressive)
●● morphologisch (nach dem Aussehen der verschiedenen
Zelltypen)
●● immunphänotypisch (nach den Oberflächenmarkern)
●● molekulargenetisch (nach ihren genetischen Besonder­
heiten)
Für beide Lymphomarten gibt es WHO-Klassifikationen, in
denen die genauen Untertypen festgelegt sind.
▶ Tab. 13.4 zeigt eine Auswahl von Untergruppen der NHL
und ihre Besonderheiten.
Diagnostik
Die Verdachtsdiagnose ergibt sich durch die Anamnese und
die körperliche Untersuchung des Patienten. Die Diagnose
wird dann gesichert durch eine Lymphknotenentnahme mit
histologischer Untersuchung. Manchmal müssen mehrere
Lymphknoten entnommen werden, bis der Nachweis gelingt. Nur beim Morbus Hodgkin treten die einkernigen sog.
Hodgkin-Zellen (einkernig, ▶ Abb. 13.23a) und die mehrkernigen Sternberg-Reed-Zellen auf (▶ Abb. 13.23b). Diese
Zellen sind bei einem NHL nicht nachweisbar und deshalb
ein wichtiges diagnostisches Kennzeichen für das HodgkinLymphom.
Stadieneinteilung (Staging) • Wenn gesichert ist, dass es sich
um ein Hodgkin-Lymphom oder ein NHL handelt, muss eine
genaue Untersuchung des Patienten zum Staging erfolgen:
708
Es muss genau definiert werden, wie weit die Erkrankung
schon fortgeschritten ist; dies ist unerlässlich zur richtigen
Therapieplanung. Zum Staging gehören neben der genauen Anamnese (Frage nach der B-Symptomatik!) und der
Tastuntersuchung (Lymphknotenvergrößerungen?) auch
alle wichtigen Laborwerte, eine Ultraschalluntersuchung
des Abdomens, eine Röntgenthorax-Untersuchung (▶ Abb.
13.24), CT, MRT und ggf. eine Knochenmarkuntersuchung.
Bei Non-Hodgkin-Lymphomen muss zusätzlich noch eine
molekulare Diagnostik durchgeführt werden, um bestimmte
Mutationen in den Krebszellen zu finden, die bei bestimmten Untergruppen der NHL häufig vorkommen.
Ann-Arbor-Klassifikation • Die Einteilung der Hodgkin-­
Lymphome in 4 Stadien erfolgt nach der Ann-Arbor-­
Klassifikation. Diese Einteilung stützt sich darauf, wie viele
Lymphknotenregionen in welchen Körperregionen befallen
sind. Je mehr Regionen befallen sind und je weiter diese
voneinander entfernt sind, desto fortgeschrittener ist die
Erkrankung. Im Stadium IV sind bereits ein oder mehrere
Organe außerhalb der Lymphknoten disseminiert befallen
(diffuse Verteilung der bösartigen Zellen). Außerdem unterscheidet die Ann-Arbor-Klassifikation zwischen HodgkinLymphomen ohne („A“) oder mit („B“) Fieber, Nachtschweiß
und/oder Gewichtsverlust. Daher hat die B-Symptomatik,
ein Begriff, der mittlerweile auch für viele andere Krankheitsbilder verwendet wird, ihren Namen.
Auch bei den NHL wird die Ann-Arbor-Klassifikation zur
Einteilung verwendet, sie ist aber leicht abgewandelt und
es wird zusätzlich zwischen einem vorwiegenden Befall der
Lymphknoten („primär nodaler Befall“) und einem überwiegenden Befall anderer Strukturen („primär extranodaler
Befall“, meist an der Haut oder im Magen-Darm-Trakt) unterschieden.
Therapie
Die Therapie des Hodgkin-Lymphoms ist immer kurativ (auf
Heilung ausgelegt), sie sollte nach festgelegten Therapieprotokollen erfolgen, in denen Strahlen- und Chemotherapie
kombiniert werden. Je nach Stadium des Lymphoms (AnnArbor-Klassifikation) und den individuellen Risikofaktoren
des Patienten wird die Therapie unterschiedlich aggressiv gewählt. Beispiele für 2 wichtige Therapieansätze sind
das sog. ABVD-Schema und das sog. BEACOPP-Schema. Die
Namen leiten sich von den ersten Buchstaben der verwendeten Krebsmedikamente ab. Zwischen den verschiedenen
Therapiezyklen wird das Ansprechen auf die Therapie durch
erneute Staginguntersuchungen kontrolliert. Bei Rezidiven
kann auch eine Hochdosis-Chemotherapie mit Stammzelltransplantation in Frage kommen.
Die Therapien bei den NHL sind aufgrund der verschiedenen Untergruppen sehr unterschiedlich. Auch hier werden
Chemotherapien (v. a. nach dem R-CHOP-Schema) und Bestrahlungen, in einigen Fällen auch Immuntherapien und
Stammzelltransplantation eingesetzt. Bei den aggressiveren
hochmalignen NHL wird wie beim Morbus Hodgkin ein kurativer (auf Heilung ausgelegter) Therapieansatz verfolgt.
Niedrigmaligne NHL verlaufen zum Teil über Jahre ohne
großes Fortschreiten der Erkrankung, sodass zunächst nicht
aggressiv behandelt werden muss. Ansonsten werden auch
hier verschiedene Therapieregimes mit Chemotherapie und
Bestrahlung eingesetzt. Eine Heilung ist jedoch seltener
möglich als bei den hochmalignen NHL.
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13
Erkrankungen der L­ eukozyten und hämato­logische ­Neoplasien
Tab. 13.4 Auswahl einzelner Non-Hodgkin-Lymphome und ihre Besonderheiten.
diffuses großzelliges BZell-Lymphom (DLBCL)
Burkitt-Lymphom
Besonderheiten
●● häufigstes
●● häufig
NHL, sehr aggressiv
Befall von weiteren Organen (Gastrointestinaltrakt, ZNS, Lunge, Hoden)
in manchen Gegenden von Afrika endemisch und häufig mit EBV und HIV assoziiert
behandelt wie eine ALL, weil es so schnell wächst
●● kann die Hirnhäute befallen: Prophylaxe notwendig (Chemotherapie oder Bestrahlung des Liquorraums)
●● ist
●● wird
Multiples Myelom
(= Plasmozytom)
●● Pathophysiologie:
Es handelt sich um ein aggressives B-Zell-NHL, bei dem sich Plasmazellen unkontrolliert
vermehren und einheitliche Immunglobuline ohne Funktionalität (auch Paraproteine) oder ImmunglobulinLeichtketten produzieren.
●● Symptome: Die Patienten leiden häufig unter Knochenschmerzen und Frakturen, weil die Myelomzellen
die Osteoklasten (knochenabbauende Zellen) stimulieren. Da funktionsuntüchtige Immunglobuline gebildet werden, sind die Patienten vermehrt infektanfällig. Auch ein Überschuss an Kalzium im Blut durch den
Knochenabbau (▶ Abb. 13.22a) und eine Beteiligung der Niere (Myelomniere) mit nephrotischem Syndrom
(S. 538) und Niereninsuffizienz (S. 540) ist häufig. Weitere Symptome: Panzytopenie (durch die Verdrängung
der normalen Blutzellen), erhöhte Blutviskosität, erhöhtes Risiko für Zweittumoren).
●● Diagnostik: Die Patienten scheiden im Urin sog. Bence-Jones-Proteine aus (Teile von abgebauten Antikörpern). Auffällig ist die sog. Sturzsenkung (extrem beschleunigte BSG)! Die Antikörper können in der
Immun­elektrophorese meist im γ-Bereich nachgewiesen werden (sog. monoklonale Gammopathie, ▶ Abb.
13.22b).
●● Therapie: nur angezeigt bei Beschwerden. Bei jüngeren Patienten führt man eine Hochdosischemotherapie
mit anschließender Stammzelltransplantation und Erhaltungstherapie durch, bei älteren Patienten eine kombinierte Chemotherapie. Unterstützende Maßnahmen sind die lokale Bestrahlung der Knochen, Gabe von
Immunglobulinen, Behandlung der Nierenerkrankung und Infektprophylaxe (Impfungen).
CLL
chronische lymphatische Leukämie (S. 705)
MALT-Lymphome
(= Mukosa-­assoziierte
­Lymphome)
primär gastrointestinale Lymphome, meist im Magen, häufig ist die Ursache eine Infektion mit Helicobacter
pylori. Für Ausführliches siehe Kap. „Verdauungssystem“ (S. 584).
Hautlymphome (Mycosis
fungoides und SézarySyndrom)
●● niedrigmaligne
T-Zell-Lymphome, die die Haut betreffen
zunächst juckendes Ekzem, danach schuppende Plaques und Tumorbildung sowie Lymphknotenschwellung. Beim Sézary-Syndrom kommt es zu einer generalisierten Rötung des gesamten Körpers (Erythrodermie) und zur verstärkten Verhornung an den Handflächen und Fußsohlen.
●● Therapie: zunächst lokale Glukokortikoide und Bestrahlung der betroffenen Haut mit UV-Licht, im fortgeschrittenen Stadium Chemotherapie
●● Symptome:
Abb. 13.22Multiples Myelom.
Albumin
α1 α β γ
2
Normalbefund
a
b
Albumin
α1
α2
β
γ
a Im Schädelröntgen sieht man generalisierte „dunkle Flecken“, die Ausdruck der Knochenschädigung sind (sog. Osteolysen). Die-
ser Befund wird daher auch als „Schrotschussschädel“ bezeichnet. Aus: Reiser, Kuhn, Debus, Duale Reihe Radiologie, Thieme, 2011.
b Immunelektrophorese. Hier fällt ein ganz typischer ­Befund auf: 2 hohe Zacken, die wie ein „M“ erscheinen (sog. M-­Gradient). Die
zweite Zacke entsteht durch die Erhöhung der Gammaglobuline, die von den entarteten Plasmazellen gebildet werden. Man spricht
daher auch von einer monoklonalen Gammopathie.
709
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NHL
13
Blut- und Immunsystem
Abb. 13.23Typische Zellen bei Hodgkin-Lymphom.
a
b
Aus: Arastéh et al., Duale Reihe Innere Medizin, Thieme, 2013.
Abb. 13.24Röntgenthorax-Aufnahme bei einem Lymphom.
sie den normalen Körperzellen im Wachstum ähnlicher sind. Patienten mit niedrig malignen Lymphomen überleben daher relativ
lange, versterben aber ziemlich sicher irgendwann an den Komplikationen ihrer Krankheit.
WISSEN TO GO
Lymphome
Durch das Lymphom ist der Mittelfellraum deutlich verbreitert
(Pfeile). Der Patient ist ein Kind. Aus: Gortner, Meyer, Sitzmann, Duale
Reihe Pädiatrie, Thieme, 2012.
Prognose
Ohne Therapie verlaufen in der Regel alle Lymphome ­tödlich.
Die Prognose eines Hodgkin-Lymphoms ist durch die
Therapie insgesamt sehr gut, 70 – 90 % der Patienten werden geheilt. Je früher das Lymphom dabei erkannt wird
und je niedriger das Stadium im Staging ist, desto besser
sind die Heilungschancen. Der relativ günstigen Prognose
stehen jedoch die Langzeitschäden der Strahlen- und Chemotherapie gegenüber, sodass auch hier an alternativen
Therapien (z. B. der Einsatz von monoklonalen Antikörpern) geforscht wird.
Beim Non-Hodgkin-Lymphom ist die Prognose nicht so
gut. Patienten mit hochmalignen NHL können je nach Alter,
Stadium, Allgemeinzustand und Laborkriterien in 4 verschiedene Risikogruppen eingeteilt werden, eine Heilung
ist je nach Risikogruppe nur bei 25 – 75 % der Patienten
möglich.
Merken Prognose
In der Regel können hochmaligne Lymphomzellen besser abgetötet werden: Die Krankheit fällt durch den rasanten Verlauf
schneller auf und durch das sehr schnelle Wachstum der Krebszellen ergeben sich außerdem gute Angriffspunkte für die Krebsmedikamente. Die langsamer wachsenden Krebszellen der niedrig
malignen Lymphome sind dagegen schlechter zu „erwischen“, da
710
Unterschieden werden die Hodgkin-Lymphome und die
heterogene Gruppe der hoch malignen bis niedrig malignen Non-Hodgkin-Lymphome (NHL). Symptome sind vor
allem Lymphknotenvergrößerungen, Raumforderungen
(„Tumoren“) in anderen Organen, Splenomegalie und Hepatomegalie sowie „B-Symptomatik“ (Gewichtsverlust,
Nachtschweiß und Fieber). Die Diagnostik wird gesichert
durch die Entnahme und histologische Untersuchung der
Lymphknoten. Anschließend erfolgt die Stadieneinteilung
(Staging) nach der Ann-Arbor-Klassifikation. Dabei zählt
vor allem die Frage nach der Anzahl und der Verteilung der
befallenen Lymphknotenstationen und das Vorhandensein
von B-Symptomatik. Die NHL müssen nach molekularen
Kriterien weiter in Untergruppen eingeteilt werden. Therapeutisch werden Chemotherapie, Bestrahlungen, zum
Teil auch Immuntherapien und Stammzelltransplantationen eingesetzt. Während Hodgkin-Lymphome durch die
heutigen Therapien eine gute Prognose haben, haben NHL
eine deutlich schlechtere Prognose.
13.5.4 Myeloproliferative
­Neoplasien (MPN)
Definition Myeloproliferative Neoplasien (MPN)
Myeloproliferative Neoplasien (auch bekannt als „chronisch-myeloproliferative Erkrankungen – CMPE oder „myeloproliferatives
Syndrom“ – MPS) sind Erkrankungen des höheren Lebensalters,
bei denen sich Zellen einer oder mehrerer Zellreihen im Knochenmark unkontrolliert vermehren und ins Blut übertreten. Die gebildeten Zellen sind normal ausgereift und funktionstüchtig.
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a Hodgkin-Zelle.
b Sternberg-Reed-Zelle. Sie entsteht, wenn sich mehrere Hodgkin-Zellen verbinden.
Erkrankungen der L­ eukozyten und hämato­logische ­Neoplasien
Allgemeines
Pathophysiologie
Krankheitsbilder • Je nach betroffener Zellreihe entwickeln
sich verschiedene Krankheitsbilder:
●● Polycythaemia vera (PV)
●● chronisch myeloische Leukämie (CML): Sie wird bei den
Leukämien (S. 706) behandelt.
●● essenzielle Thrombozythämie (ET)
●● und Osteomyelofibrose (OMF, auch chronisch idiopathische Myelofibrose (cIMF).
„Polycythaemia vera“ bedeutet übersetzt ungefähr „echte
Vermehrung von Blutzellen“. In den meisten Fällen ist die
Erkrankung erworben. Die Betroffenen weisen fast alle eine
typische Genmutation auf (sog. JAK2-Mutation), die dazu
führt, dass sich die Erythrozyten unabhängig von Erythropoetin vermehren (sog. primäre Erythrozytose oder primäre
Polyglobulie, S. 701).
Durch die unkontrollierte Vermehrung der Erythrozyten
erhöht sich die Blutviskosität (das Blut wird „zähflüssiger“).
Zusätzlich besteht häufig eine Thrombo- und Leukozytose
durch die ebenfalls gesteigerte Granulo- und Thrombopoese. Durch diese Veränderungen erreicht das zähflüssige Blut
die kleinen Endarterien nur schwer, wodurch die Sauerstoffversorgung einzelner Organe gestört wird (sog. Mikrozirkulationsstörung).
Therapie • 
Die einzige kurative Therapieoption ist die
Stammzelltransplantation. Sie sollte nur nach genauer Abwägung des Risikos und nur bei jüngeren Patienten erfolgen.
Polycythaemia vera
Definition Polycythaemia vera
Bei der Polycythaemia vera (PV) vermehren sich die Erythrozyten unkontrolliert. Hämoglobin (Hb) und Hämatokrit (Hkt) sind
erhöht.
Symptome
Vor allem in Gehirn und Lungen kommt nicht genug Sauerstoff an, was zu Ohrensausen, Schwindel, Sehstörungen,
Kopfschmerzen und Atemnot bei Belastung (Belastungsdyspnoe) führen kann. Auffällig bei den Patienten ist das stark
gerötete Gesicht („Plethora“ genannt) mit Neigung zur Zyanose. Auch Hände und insbesondere Füße können plötzlich
schmerzhaft überwärmt und gerötet sein („Erythromelalgie“ genannt). Juckreiz und Brennen treten besonders häufig
durch den Kontakt mit warmen Wasser auf. Die Patienten
haben in der Regel einen hohen Blutdruck, Milz und Leber
sind vergrößert (Splenomegalie). Selbst die kleinen Gefäße
am Herzen können beteiligt sein, der Sauerstoffmangel am
Herzmuskel kann Angina-pectoris-Beschwerden verursachen (▶ Abb. 13.25).
Die Beteiligung der Thrombozyten führt einerseits zu
Thrombosen und Embolien (hohe Thrombozytenzahlen!)
und andererseits zu Blutungen (z. B. Nasenbluten), da die
Thrombozyten in ihrer Funktion gestört sind.
Weitere Symptome können sein: Knochenschmerzen,
Gewichtsverlust, Müdigkeit, Juckreiz, Netzhautblutungen
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Gemeinsame Merkmale • Bei allen Krankheitsbildern können zunächst alle 3 Zellreihen im Knochenmark vermehrt
sein (Leuko-, Erythro- und Thrombozytose), zudem sind die
Übergänge oft fließend. Die Patienten können an Gichtsymptomen (Hyperurikämie) und einer Milzvergrößerung leiden, die durch den Abbau einer großen Anzahl von Zellen
zustande kommen. Mit der Zeit sklerosiert das Knochenmark zunehmend, das bedeutet, es wandelt sich von funktionsfähigem Knochenmark immer mehr in Bindegewebe
um. Der Körper beginnt dann häufig, kompensatorisch auch
außerhalb des Knochenmarks Blut zu bilden (in der Leber,
der Milz oder den Lymphknoten), diese Blutbildung ist aber
nicht sehr effektiv (sog. extramedulläre Blutbildung).
Abb. 13.25Symptome bei Polycythaemia vera.
Sehstörung
Bluthochdruck
schmerzhafte Hände und Füße
Symptome bei
Polycythaemia vera
gerötetes Gesicht,
Schwindel,
Kopfschmerz
Thrombosen
Vergrößerung von
Milz und Leber
Blutungen
Brustschmerz
711
Blut- und Immunsystem
sowie Sauerstoffunterversorgung an der Nasenspitze, den
Lippen und an den Fingern.
Diagnostik
Im Blutbild sind neben den Erythrozyten häufig auch die
Leukozyten und die Thrombozyten erhöht, manchmal finden sich auch kernhaltige Erythrozytenvorläufer. Die Erythrozytenzahlen liegen über 5,5 Mio./µl (5,0 Mio./µl) oder
das Hämoglobin über 18,5 g/dl (16,5 g/dl) oder der Hämatokrit über 52 % (49 %) bei Männern (Frauen). Wichtig ist,
dass eine sekundäre Erythrozytose ausgeschlossen (S. 697)
ist! Meist gelingt der Nachweis der genetischen Mutation
(JAK2-Mutation) bei den betroffenen Zellen. In der Knochenmarkpunktion findet man eine Hyperplasie (übermäßiges
Wachstum) aller 3 Zellreihen. Weil der Körper versucht, die
unkontrollierte Vermehrung der Zellen zu verhindern, sind
die Erythropoietinspiegel zu niedrig. Durch den insgesamt
erhöhten Zellumsatz sind LDH und die Harnsäure typischerweise erhöht.
Therapie
Durch eine Aderlasstherapie (therapeutische Blutentnahme, z. B. 2-mal wöchentlich Abnahme von je 300 – 500 ml
Blut) werden der Hämatokrit und der Eisenspiegel gesenkt
(▶ Abb. 13.26). Der sinkende Eisenspiegel sorgt dafür, dass
das Wachstum der Erythrozyten abgebremst wird. Ziel ist
ein Hkt-Wert von maximal 45 %.
ACHTUNG
Während der Aderlasstherapie kommt es zum gewollten Eisenmangel! In dieser Situation darf man jedoch kein Eisen substituieren, da Eisen die Bildung der roten Blutkörperchen anregt. Auch
die Thrombozytenzahlen steigen beim Aderlass an.
Führen die Aderlässe nicht zum gewünschten Hkt-Abfall,
kann eine medikamentöse Therapie mit Interferon-α durchgeführt werden. Die Therapie mit Zytostatika (Hydroxyharnstoff) ist nur noch 2. Wahl. Um das Verklumpen der
Erythrozyten zu verhindern, werden zusätzlich Thrombozytenaggregationshemmer gegeben (ASS 100 mg).
Prognose
Die durchschnittliche Überlebensrate liegt bei etwa 10 (bis
20) Jahren (ohne Therapie bei 1 – 3 Jahren). Die meisten Patienten sterben durch eine Blutung oder eine Thrombose.
Abb. 13.26Aderlasstherapie.
WISSEN TO GO
Polycythaemia vera (PV)
Bei der Polycythaemia vera kommt es (in den meisten
Fällen aufgrund einer erworbenen Genmutation) zu einer übersteigerten Erythrozytenproduktion. Daneben ist
auch die Proliferation der Granulo- und Thrombozyten
gesteigert. Das Blut ist insgesamt dicker, was zu typischen
Hyperviskositätssymptomen führt: z. B. Ohrensausen,
Schwindel, Atemnot bei Belastung, gerötetes Gesicht, hoher Blutdruck, evtl. auch Angina-pectoris-Beschwerden,
Thrombosen und Embolien. Aufgrund der Funktionsstörung der Thrombozyten treten auch Blutungen auf.
Wichtige Diagnosekriterien sind der erhöhte Hämoglobin- bzw. Hämatokritwert und der Nachweis der JAK2Mutation. Behandelt wird die PV durch eine regelmäßige
Aderlasstherapie sowie mit Interferon-α und Thrombozytenaggregationshemmern (ASS 100 mg). Die meisten Patienten sterben nach etwa 10 – 20 Jahren durch eine Blutung
oder eine Thrombose.
Essenzielle Thrombozythämie
Definition Essenzielle Thrombozythämie
Bei der essenziellen Thrombozythämie (ET) vermehren sich die
Thrombozyten unkontrolliert (Thrombozytenzahlen > 1 000 000/µl).
Pathophysiologie • Die Ursache ist unklar. Die meisten Patienten erkranken um das 60. Lebensjahr.
Symptome • Bei den meisten Patienten wird die Erkrankung
zufällig entdeckt. Beschwerden können durch Durchblutungsstörungen auftreten, die durch die erhöhte Thrombozytenzahl hervorgerufen werden (z. B. Kopfschmerzen,
Schwindel, Ohrensausen). Außerdem kann die Milz vergrößert sein. Bei der ET können sowohl Blutungen als auch
Thrombosen auftreten. In manchen Fällen geht die Erkrankung in eine akute Leukämie über.
Diagnostik • 
Charakteristisch sind die stark erhöhten
Thrombozyten im Blutbild (Thrombozytose). Im Blutausstrich erkennt man, dass die Thrombozyten zudem bizarr
geformt sind. Im Knochenmark sind typische vergrößerte
Vorläuferzellen der Thrombozyten (Megakaryozyten) zu
finden. Die Leukozyten sind im Gegensatz zu anderen MPE
normal.
Therapie • Die Behandlung richtet sich nach dem Komplikationsrisiko. Ein hohes Risiko haben Patienten > 60 Jahre mit
Thrombose oder Blutungen in der Vorgeschichte bzw. einer
extrem erhöhten Thrombozytenzahl (> 1,5 Mio./µl). Diese
Patienten erhalten einerseits ASS zur Thromboseprophylaxe
und andererseits Medikamente, die die Zellzahl reduzieren
sollen (z. B. Anagrelid, Interferon-α).
ACHTUNG
Die Thrombozyten können auch als Reaktion auf andere Erkrankungen oder Umstände erhöht sein. Hierzu zählen z. B. Infektionen oder andere Entzündungen, chronische Blutungen oder die
Entfernung der Milz (sog. reaktive Thrombozytose). Hier sind die
Thrombozyten jedoch in der Regel niedriger als 1 000 000/µl.
Aus: Kötter, Sökler, Strölin, Hämatologie, Rheumatologie, Dermatologie, Thieme, 2013.
712
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13
Erkrankungen der L­ eukozyten und hämato­logische ­Neoplasien
Definition Osteomyelofibrose
Die Osteomyelofibrose (OMF) ist eine Erkrankung der Stammzellen, bei der es zu einer Fibrose des Knochenmarks und damit
zu einer Störung der Blutbildung kommt. Die Osteomyelofibrose
wird auch chronisch-idiopathische Markfibrose (cIMF) oder Osteomyelosklerose genannt.
Pathophysiologie • Die Ursache ist unbekannt. Man nimmt
an, dass übermäßig Wachstumsfaktoren ausgeschüttet
werden, die die Bindegewebszellen im Knochenmark zum
Wachstum anregen. Dadurch fibrosiert das Knochenmark
und die blutbildenden Zellen werden verdrängt. Die Blutbildung findet bei den Betroffenen außerhalb des Knochenmarks, also in Milz und Leber, statt. Die Milz ist häufig
­massiv vergrößert.
Symptome • Zunächst bestehen meist keine Beschwerden,
da die Erkrankung schleichend verläuft. Mit zunehmender
Knochenmarkfibrosierung leiden die Patienten Müdigkeit,
Gewichtsverlust und Nachtschweiß (B-Symptomatik) und
Komplikationen der gestörten Blutbildung (z. B. Infektionen,
Blutungen). Bei manchen Patienten entwickelt sich eine
akute Anämie.
Diagnostik • Im Blutbild erkennt man zunächst eine Erhöhung
der Leuko- und Thrombozyten, bei fortgeschrittener Erkrankung eine Panzytopenie und Vorstufen der roten und weißen
Blutzellen. Die Erythrozyten sehen außerdem aus wie Tropfen.
Durch die starke Knochenmarkfibrosierung kann in der Punktion kein Knochenmark aspiriert werden (Punctio sicca).
Therapie • Mit Interferon-α kann versucht werden, die Zellzahlen zu reduzieren. Wichtig ist die symptomatische Behandlung: z. B. Gabe von Erythrozytenkonzentraten oder
ASS bei Thrombosegefahr. Bei jüngeren Patienten und hohem Risiko (B-Symptomatik, niedriger Hb, hohe Leukozyten
und Blasten) kann man eine allogene Stammzelltransplantation durchführen.
WISSEN TO GO
Chronisch myeloproliferative Erkrankungen (CMPE)
Bei den CMPE vermehren sich Blutzellen einer oder mehrerer Zellreihen unkontrolliert. Hierzu zählen die Polycythaemia vera, bei der es zu einer primären Vermehrung
der Erythrozyten im Blut kommt, die essenzielle Thrombozythämie, die durch eine extrem hohe Thrombozytenzahl gekennzeichnet ist, und die Osteomyelofibrose, bei
der das Knochenmark im Verlauf fibrosiert und das Blut somit außerhalb des Knochenmarks gebildet wird. Alle CMPE
können relativ lange unbemerkt bleiben. Die gebildeten
Zellen sind normal ausgereift und funktionstüchtig.
im Knochenmark unkontrolliert vermehren und dabei außerdem
„dysplastisch“, also in ihrer Form und Funktion verändert, sind.
Pathophysiologie
Im Knochenmark kommt es zu vermehrter Bildung von
veränderten Vorläuferzellen/Blasten und veränderten ausgeformten Zellen der Erythrozyten, Granulozyten oder
Thrombozyten (= Dyserythropoese, -granulopoese, -mega­
karyopoese). Sie verdrängen die übrigen Zellen, was im
Blut mit einer Anämie, einer Thrombozytopenie und einer
Leukozytopenie sichtbar wird. Nach einigen Jahren geht das
MDS häufig in eine AML über, die Blasten werden nun in das
Blut ausgeschwemmt („leukämische Transformation“).
Wenn ein MDS infolge einer Bestrahlung oder einer Chemotherapie auftritt, bezeichnet man es als sekundäres MDS.
Symptome und Diagnostik
Die Patienten sind oft müde, abgeschlagen und klagen über
eine Leistungsminderung, Blutungen (Hämatome), Fieber
und Infekte.
Anamnese und körperliche Untersuchung geben Hinweise, daneben ist das Blutbild und die Knochenmarkuntersuchung diagnoseweisend: Im Knochenmark sind die hohe
Zelldichte und die dysplastischen Zellen zu sehen. Mit molekulargenetischen Untersuchungen kann die Erkrankung in
verschiedene Subtypen eingeteilt werden.
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Osteomyelofibrose
ACHTUNG
Je mehr Blasten im Blut, desto schlechter die Prognose.
Therapie und Prognose
Bei Patienten mit geringem Risiko wird zunächst versucht,
die Symptome zu lindern (symptomatische Therapie). Durch
Gabe von Erythrozytenkonzentraten und EPO können zum
Beispiel die Anämiesymptome verringert werden. Da hierdurch im Körper eine Eisenüberladung mit Organschädigung entstehen kann, werden häufig begleitend Eisenchelatoren gegeben.
In manchen Fällen ist eine immunsuppressive Behandlung
hilfreich. Bei jüngeren Patienten oder Hochrisikopatienten wird eine intensive Chemotherapie durchgeführt, auch
eine Stammzelltransplantation kann in Erwägung gezogen
­werden.
Die Prognose der Krankheit ist sehr unterschiedlich, völlig
geheilt werden die Patienten nur sehr selten. Ungünstig sind
u. a. ein hoher Blastenanteil, eine ausgeprägte Zytopenie und
höheres Alter. Viele Patienten sterben an einer Blutung oder
einer Infektion, bei einigen Patienten geht die Erkrankung in
eine AML über.
WISSEN TO GO
Myelodysplastisches Syndrom (MDS)
13.5.5 Myelodysplastisches
­Syndrom (MDS)
Definition Myelodysplastisches Syndrom (MDS)
Das myelodysplastische Syndrom ist eine Erkrankung des älteren
Menschen. Unter diesem Begriff werden eine Reihe von Erkrankungen zusammengefasst, bei denen sich die blutbildenden Z
­ ellen
Hierzu zählen Erkrankungen, bei denen sich die blutbildenden Zellen im Knochenmark unkontrolliert vermehren und
dabei außerdem in ihrer Form und Funktion verändert sind
(dysplastische Zellen). Durch diese Zellen werden die normalen Zellen im Knochenmark verdrängt, wodurch es zu
Anämie, Infektanfälligkeit und Blutungsneigung kommt.
Ein Übergang in eine akute Leukämie ist häufig.
713
Blut- und Immunsystem
13.6 Gerinnungsstörungen
Thrombozytopenien
Gerinnungsstörungen können sowohl eine erhöhte Blutungsneigung als auch eine erhöhte Neigung zu Blutgerinnseln (Thrombosen und Embolien) verursachen – und
­manchmal auch beides gleichzeitig.
13.6.1 Erkrankungen mit erhöhter
Blutungsneigung
Definition Erhöhte Blutungsneigung
Angeborene und erworbene Erkrankungen mit einer erhöhten
Blutungsneigung werden auch hämorrhagische Diathesen genannt. Dabei unterscheidet man (▶ Abb. 13.27):
●● Thrombozytopenien oder -pathien: Die Blutungsneigung wird
durch zu wenige (-penie) oder funktionsuntüchtige (-pathie)
Thrombozyten verursacht. Thrombozytenstörungen führen zu
punkt- (Petechien) oder fleckförmigen (Purpura) Einblutungen.
●● Koagulopathien: Hier wird die Blutungsneigung vor allem
durch defekte oder fehlende Gerinnungsfaktoren verursacht
(z. B. Von-Willebrand-Syndrom, Hämophilie und Verbrauchskoagulopathie). Koagulopathien gehen mit ausgedehnten Blutungen einher.
●● vaskuläre hämorrhagische Diathesen (Gefäßerkrankungen):
Ursächlich sind z. B. Gefäßentzündungen (Vaskulitiden), angeborene punktförmige Erweiterungen der Gefäße (Teleangiektasien), eine Langzeit-Kortisontherapie, ein Vitamin-C-Mangel
oder atrophische Altershaut. Sie neigen auch eher zu Petechien.
Definition Thrombozytopenie
Es handelt sich um eine Verminderung der Thrombozyten im Blut.
Pathophysiologie
Patienten mit einer sehr niedrigen Anzahl von Thrombozyten neigen vermehrt zu Blutungen. Thrombozytopenien
sind die häufigste Ursache einer Blutungsneigung.
Anhand der Thrombozytenzahl im Blut unterscheidet man 3 Schweregrade: schwer (< 20 000/μl), mittel
(20 000 – 60 000/μl) und leicht (60 000 – 140 000/μl). Gründe
für die Verringerung der Thrombozytenzahlen können sein:
●● Störung der Thrombozytenbildung im Knochenmark: bei
Knochenmarkschädigung durch bösartige Erkrankungen
(z. B. malignes Lymphom, Leukämie) oder Medikamente
(z. B. bei aplastischer Anämie)
●● erhöhter Thrombozytenverbrauch: z. B. bei Bildung von
Autoantikörpern gegen die Thrombozyten (Immunthrombozytopenie, s. u.), einer gesteigerten Thrombozytenaktivität im Rahmen von Infektionen oder Tumoren, bei
­verstärktem Abbau in der Milz (sog. Hypersplenismus),
beim hämolytisch-urämischen Syndrom = HUS (s. u.) oder
bei einer Verbrauchskoagulopathie (S. 718)
●● kombinierte Störung der Bildung und des Abbaus
Symptome
Das typische Zeichen von Thrombozytenstörungen sind
kleine, punktförmige Blutungen. Man nennt diese Blutungen auch Petechien (▶ Abb. 13.28). Fleckförmige Blutungen
können auch auftreten, sog. Purpura. Die Blutungen sind
Abb. 13.27 Ursachen einer erhöhten Blutungsneigung.
erhöhte Blutungsneigung (= hämorrhagische Diathese)
Thrombozyten
Mangel =
Thrombozytopenie
Funktionsstörung =
Thrombozytopathie
Petechien
und Purpura
Gerinnungsfaktoren
Gefäßveränderungen
Mangel oder Defekt =
Koagulopathie
vaskuläre
hämorrhagische
Diathese
Gelenkblutung
714
Petechien
und Purpura
ausgedehnte
Blutungen
Muskelblutung
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13
Gerinnungsstörungen
Abb. 13.28 Petechien.
Wichtige Erkrankungen mit Thrombozytopenie
Immunthrombozytopenien
häufig an den Schleimhäuten, im Gesicht und am Unterschenkel zu finden. Bei sehr niedrigen Thrombozytenzahlen
kann es auch zu inneren Blutungen kommen, die sehr gefährlich werden können (z. B. Hirnblutung).
Diagnostik
Bei der Anamnese muss vor allem nach Medikamenten,
Vorerkrankungen (Infekte) und ähnlichen Erkrankungen in
der Familie gefragt werden. In der körperlichen Untersuchung werden die Haut und die Schleimhäute genau nach
Blutungen abgesucht. Typisch sind kleine Blutungen in der
Haut und der Schleimhaut, die fleckförmig (Purpura) oder
punktförmig (Petechien) sein können. Daneben ist der Laborbefund, vor allem Blutbild und Gerinnungsparameter,
zur weiteren Eingrenzung der Gerinnungsstörung maßgeblich. Er dient auch zum Ausschluss anderer hämatologischer
Erkrankungen (die Thrombozytopenie könnte z. B. auch ein
Symptom einer Leukämie sein). Bei Verdacht auf ein Krankheitsgeschehen im Knochenmark wird eine Knochenmarkpunktion mit histologischer Untersuchung durchgeführt.
Sind bestimmte (Auto-)Antikörper an der Entwicklung der
Thrombozytopenie beteiligt, können diese im Blut gesucht
und nachgewiesen werden.
Therapie und Prognose
Vor allem muss die Ursache der Thrombozytopenie gefunden
und behandelt werden. Durch die Gabe von Thrombozytenkonzentraten kann die Thrombozytenzahl ­vorübergehend
erhöht werden. Dies kommt aber erst in Frage, wenn die Blutungsgefahr sehr hoch ist, ab einem Wert von < 20 000/μl:
Bei jeder Gabe von Thrombozytenkonzentraten besteht die
Gefahr, dass Antikörper gegen die Thrombozyten ­gebildet
werden können, was zur Verschlechterung der Thrombozytopenie führen kann (vor allem bei der Immunthrombozytopenie).
ACHTUNG
Bei allen Thrombozytopenien ist die Gabe von Thrombozytenaggregationshemmern wie ASS (Acetylsalicylsäure) streng
­verboten!
Da oft nur die Symptome behandelt werden können, hängt
die Prognose vom Zustand des Patienten und der auslösenden Krankheit ab.
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Aus: Siegenthaler, Siegenthalers Differenzialdiagnose, Thieme, 2005.
Immunthrombozytopenien, also ein Thrombozytenabfall
durch gebildete Antikörper, spielen eine große Rolle. Die
wichtigsten dabei sind:
●● chronische ITP (chronische Immunthrombozytopenie,
auch Morbus Werlhof genannt): Die Ursache ist unbekannt (idiopathisch). Man kann die Diagnose also nur stellen, wenn alle anderen infrage kommenden Ursachen ausgeschlossen werden (Ausschlussdiagnose). Behandelt werden müssen die Patienten, wenn die Thrombozytenzahlen
sehr niedrig sind (< 20 000/µl) und Blutungen bestehen.
Sie erhalten vorrangig Kortikosteroide oder Immunglobuline. Weitere Optionen sind die Gabe von Immunsuppressiva, Medikamente, die die Neubildung von Thrombozyten
steigern, oder die Entfernung der Milz.
●● akute ITP (= akute postinfektiöse Immunthrombozytopenie): Sie tritt v. a. bei Kindern nach Virusinfekten auf.
Sowohl bei der chronischen als auch bei der akuten Form
werden Autoantikörper gegen Thrombozyten gebildet,
wodurch die Blutplättchen vorzeitig in der Milz abgebaut
werden. Die akute ITP muss meist nicht behandelt werden, da sich die Thrombozytenzahl sehr häufig von selbst
wieder erholt.
●● heparininduzierte
Thrombozytopenie (HIT): Es gibt
2 ­Formen der HIT. Besonders gefährlich ist die HIT II. Hier
werden Antikörper gegen Heparin gebildet, was dazu
führt, dass die Thrombozyten ab dem 5. Tag nach Therapiebeginn stark abfallen, gleichzeitig kommt es zu Blutgerinnseln. Tritt eine HIT II auf bzw. besteht der reine
­Verdacht, muss die Heparintherapie umgehend beendet
werden. Statt Heparin bekommen die Patienten Argatroban oder Danaparoid. Den Patienten muss ein entsprechender Ausweis ausgestellt werden.
ACHTUNG
Bei Patienten, die mit Heparin behandelt werden, kann es zur
heparininduzierten Thrombozytopenie kommen (Thrombozyten
fallen ab dem 5. Tag der Heparintherapie stark ab). Die Heparingabe muss sofort beendet werden.
Thrombotische Mikroangiopathien
Hierzu zählen die thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (TTP) und das hämolytisch-urämische Syndrom (HUS).
Thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (TTP) • Die TTP
kann angeboren oder häufiger erworben sein. Ursächlich ist
ein mangelndes oder gestörtes Enzym, das für die Spaltung
des Von-Willebrand-Faktors (S. 717) verantwortlich ist. Die
TTP zählt zu den Autoimmunerkrankungen und führt ohne
Therapie in 90 % der Fälle zum Tod. Neben einer Thrombozytopenie (oft mit Werten < 30 000/µl und nachfolgenden
Blutungen) entstehen eine hämolytische Anämie, Thrombosen, hohes Fieber, Krampfanfälle sowie Seh- und Sprachstörungen. Eine schnelle Therapie ist unerlässlich! Eingesetzt
werden Plasmapherese, Gabe von FFP (Fresh Frozen Plasma)
und eventuell Glukokortikoide.
Hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS) • Ein weiteres Krankheitsbild, das zu einer Thrombozytopenie führt, ist das hämolytisch-urämische Syndrom (HUS). Am HUS erkranken
vorwiegend Kleinkinder. Die betroffenen Kinder entwickeln
eine hämolytische Anämie (Blässe, Ikterus), eine akute Niereninsuffizienz (kein Harn) und eine Thrombozytopenie
(Hautblutungen).
715
Blut- und Immunsystem
Die Symptome treten häufig einige Tage nach einer Durchfallerkrankung, die durch enterohämorrhagische E. coli
= EHEC (S. 439) ausgelöst wurde, auf. Die Bakterien bilden ein Toxin, das die Gefäßwand schädigt und so zu einer
thrombotischen Mikroangiopathie führt. Dadurch kommt
es zur Hämolyse und zum Nierenversagen. Gefürchtet sind
zerebrale Komplikationen bei Schädigung der Hirngefäße.
Im Blut erkennt man eine erniedrigte Thrombozytenzahl
und durch die Hämolyse beschädigte Erythrozyten (sog.
Fragmentozyten). Außerdem gibt es Zeichen der eingeschränkten Nierenfunktion (Harnstoff und Kreatinin ↑) und
der Hämolyse (LDH ↑).
Therapeutisch müssen die auslösenden Toxine mittels
Plasmapherese entfernt und das Plasma durch Gefrierplasma ersetzt werden.
WISSEN TO GO
Thrombozytopenie
Eine zu niedrige Anzahl von Thrombozyten (= Thrombozytopenie) ruft eine erhöhte Neigung zu spontanen, punktoder fleckförmigen Hautblutungen (Petechien, Purpura)
hervor. Die ­Ursachen sind vielfältig, z. B. BildungsstörunKnochenmark infolge von Leukämien oder ein
gen im ­
erhöhter Thrombozytenverbrauch durch Antikörperbildung (Immunthrombozytopenie). Bei schwerer Thrombozytopenie (< 20 000/μl) ist die Blutungsgefahr so groß,
dass Thrombozytenkonzentrate gegeben werden müssen. ASS ist bei allen Thrombozytopenien kontraindiziert!
Krankheitsbilder, die mit einer Thrombozytopenie
einhergehen, sind z. B. die idiopathische und akute Immunthrombozytopenie (bei diesen Formen werden
Autoantikörper gegen die Thrombozyten gebildet), die
heparininduzierte Thrombozytopenie (HIT II), bei der
Autoantikörper gegen Heparin gebildet werden, und die
thrombotischen Mikroangiopathien wie die thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (TTP) und das hämolytisch-urämische Syndrom, das v. a. bei Kleinkindern,
die eine Infektion mit EHEC durchgemacht haben, auftritt
und ein schweres Krankheitsbild mit Hämolyse und akutem Nierenversagen darstellt.
Koagulopathien
Definition Koagulopathien
Koagulopathien sind Gerinnungsstörungen, bei denen die Blutungsneigung vor allem durch Störungen aufseiten der Gerinnungsfaktoren verursacht wird.
Die Koagulopathien können viele verschiedene Ursachen haben. Sie sind entweder angeboren oder werden erworben.
Defekte der Gerinnungsfaktoren • Defekte Gerinnungsfaktoren können angeboren sein wie bei der Hämophilie oder
dem Von-Willebrand-Syndrom oder erworben werden.
Erworbene Defekte werden v. a. durch Lebererkrankungen
(die meisten Gerinnungsfaktoren werden in der Leber hergestellt) oder einen Vitamin-K-Mangel (damit einige Gerinnungsfaktoren hergestellt werden können, muss Vit­amin K
vorhanden sein) hervorgerufen. Ein Vitamin-K-Mangel
entsteht beispielsweise durch eine falsche Ernährung,
Darmerkrankungen oder durch eine Therapie mit VitaminK-­Antagonisten wie Cumarinen (Marcumar).
716
Antikörperbildung gegen Gerinnungsfaktoren (Immunkoagulopathien) • Antikörper gegen Gerinnungsfaktoren werden
z. B. als Reaktion auf eine Transfusion von Gerinnungsfaktoren gebildet. Auch im Rahmen anderer Erkrankungen, z. B.
bei einem systemischen Lupus erythematodes (S. 
831),
können im Blut Autoantikörper gegen Gerinnungsfaktoren
vorliegen.
Gerinnung – ein sehr empfind­
liches System!
Die
Zu hoher Verbrauch von Gerinnungsfaktoren (Verbrauchskoagulopathie) • Durch reguläre oder krankhafte Gerinnungsvorgänge im Körper werden massenhaft Thrombozyten und
Gerinnungsfaktoren verbraucht, dadurch kann es an anderer Stelle zu Blutungen kommen. Ein typisches Beispiel ist
die Verbrauchskoagulopathie (S. 718).
Zu schnelle Auflösung von Blutgerinnseln (Hyperfibrinolyse) • Dies kann z. B. genetisch bedingt sein oder durch ärztliche Eingriffe wie eine fibrinolytische Therapie, Lebererkrankungen oder Operationen ausgelöst werden. Besonders hoch
ist die Gefahr bei Organen mit einem hohen Gehalt an Substanzen, die Plasmin aktivieren, z. B. Lunge, Prostata, Pankreas
oder ­Plazenta.
Hämophilie A und B
Definition Hämophilie
Die Hämophilie ist eine Erbkrankheit, bei der die Gerinnungsfaktoren VIII (Hämophilie A) und IX (Hämophilie B) gestört sind.
Pathophysiologie • Bei der Hämophilie A ist der Gerinnungsfaktor VIII, genaugenommen die Untereinheit Faktor VIII:C
(sog. antihämophiles Globulin), defekt oder er fehlt überhaupt. Die Hämophilie A ist deutlich häufiger als die Hämophilie B, bei der der Faktor IX betroffen ist. Beide Formen der
Hämophilie werden auf dem X-Chromosom vererbt (X-chromosomal-rezessiver Erbgang). Da Frauen 2 X-Chromosomen tragen, können sie das defekte Gen zwar weitergeben,
bleiben aber klinisch gesund. Sie werden Konduktorinnen
(= Überträgerinnen) genannt. Männer, die das defekte Gen
tragen, erkranken immer (sog. Bluter).
Merken Vererbung der Hämophilie
●● Männer
mit dem defekten Hämophiliegen erkranken immer.
kranker Vater gibt das kranke Gen nur an seine Töchter
weiter (die Söhne erhalten vom Vater ja das Y-Chromosom).
Seine Töchter werden Konduktorinnen, sie tragen also das defekte Gen, sind klinisch aber gesund.
●● Prinzipiell sind Frauen klinisch gesund. Eine echte Bluterin
entsteht, wenn ihre Mutter Konduktorin ist und das defekte XChromosom an ihre Tochter weitergibt und der Vater Bluter ist
und auch er das defekte Gen vererbt.
●● Eine Konduktorin gibt das defekte Gen mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % an ihre Kinder weiter.
●● Ein
Durch den Mangel an Faktor-VIII- (oder -IX-)Aktivität wird
die Aktivierung von Faktor X und Thrombin herabgesetzt,
die wiederum für die Bildung von Fibrin verantwortlich sind.
In der Folge läuft die Blutgerinnung bei Hämophiliepatienten sehr langsam ab, die Quervernetzung der Fibrinfäden
ist vermindert und die Wundheilung ist gestört. Die Patienten entwickeln großflächige Hautblutungen, Muskel- und
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13
Gerinnungsstörungen
Abb. 13.29 Kniegelenksschwellung durch Gelenkeinblu­
tungen.
ACHTUNG
Heutzutage sind v. a. die spontanen Einblutungen in Gelenke (v. a.
Knie) und Muskeln gefährlich für die behandelten Hämophiliepa­
tienten, da sie zu schweren und irreversiblen Gelenkschäden führen können. Das Verblutungsrisiko steht weniger im Vordergrund.
Blitzlicht Pflege Besonderheiten bei Hämophiliepatienten
nicht intramuskulär verabreichen, sondern subkutan oder intravenös!
●● Die Patienten sollten einen Notfallausweis erhalten, der regelmäßig geprüft und aktualisiert werden muss!
●● Medikamente, die die Blutplättchen und die Gerinnung beeinflussen, dürfen nicht oder nur nach Absprache mit dem behandelnden Arzt eingenommen werden. Hierzu zählen: ASS, andere
NSAR, andere Thrombozytenaggregationshemmer, Antikoagulanzien (Vitamin-K-Antagonisten), Heparine und Heparinoide.
●● Tätigkeiten, die mit erhöhtem Verletzungsrisiko verbunden
sind, sollten gemieden werden.
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●● Injektionen
WISSEN TO GO
Aus: Gortner, Meyer, Sitzmann, Duale Reihe Pädiatrie, Thieme, 2012.
Hämophilie A
Gelenkblutungen, durch eine gewisse Restaktivität des Faktors
kann die Krankheit unterschiedlich schwer ausgeprägt sein.
Symptome • Zu den gängigen Symptomen der Hämophilie
zählen plötzlich auftretende, eher großflächige Blutungen in
der Haut (sog. Sugillationen), in den Muskeln und in Gelenken (▶ Abb. 13.29). Es kommt zu stärkeren Nachblutungen
nach Blutentnahmen, Verletzungen oder Operationen. Die
Einblutungen in den Gelenken führen über einen längeren
Zeitraum zu Arthrose, die Muskelblutungen zur Muskelatrophie (Muskelschwund). Blutungen in den Bauchraum oder
Retroperitonealblutungen sowie intrakranielle Blutungen
(Blutungen innerhalb des Schädels) können zum Tod führen.
Diagnostik • Sehr wichtig ist die Familienanamnese: Häufig
sind viele männliche Verwandte betroffen. Durch die Untersuchung der Gerinnungsparameter im Labor (normale Blutungszeit, normaler Quick-Wert, aber verlängerte aPTT) und
die Bestimmung der Aktivität der Gerinnungsfaktoren VIII:C
(bzw. IX) kann die Diagnose dann bestätigt werden.
Merken Problem Nachblutung
Die Blutungszeit (ein Parameter für die primäre Blutstillung) ist
bei Hämophilie normal – die Thrombozyten funktionieren gut.
Das Problem bei Hämophiliepatienten sind die Neigung zu Nachblutungen und spontanen großflächigen Blutungen, da die Fibrinfäden nicht da sind, die normalerweise die Thrombozyten zu
festen Blutgerinnseln „zusammenkleben“.
Therapie und Prognose • Die Hämophilie kann nicht geheilt
werden. Um die Blutungsneigung zu kontrollieren, müssen
die fehlenden Gerinnungsfaktoren von außen zugeführt
werden. Das Faktorenkonzentrat (Faktor VIII oder IX) muss
bei schweren Formen lebenslang regelmäßig prophylaktisch
appliziert werden. Nach einer entsprechenden Schulung
können sich die Patienten das Faktorenkonzentrat üblicherweise selbst verabreichen.
Bei Diagnose können schon irreversible Schäden am Bewegungsapparat aufgetreten sein (z. B. Gelenkversteifungen). Wichtig ist dann eine gute Rehabilitationstherapie für
diese Patienten.
Die Hämophilie A wird X-chromosomal-rezessiv vererbt,
dadurch erkranken in den allermeisten Fällen Männer, Frauen übertragen die Erkrankung (Konduktorinnen). Durch
Mangel an Gerinnungsfaktor VIIIC ist bei Hämophiliepatienten die Gerinnung verzögert und auch die Wundheilung
gestört. Es kommt zu spontanen großflächigen Blutungen
(auch in Muskulatur und Gelenke). Therapeutisch muss der
fehlende Gerinnungsfaktor substituiert werden. Ein häufiges Problem sind irreversible Schäden am Bewegungsapparat durch Gelenkblutungen.
Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom (vWS)
Definition Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom
Das Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom (vWS) ist die häufigste
erblich bedingte Gerinnungsstörung, bei der ein bestimmter Gerinnungsfaktor (der sog. „Von-Willebrand-Faktor“ = vWF) in zu
geringem Maße oder fehlerhaft ausgebildet wird.
Pathophysiologie • Der vWF zählt mit Faktor VIII:C zum
Faktor-VIII-Komplex. Seine Aufgabe ist es, die Bindung von
Thrombozyten an die verletzte Gefäßwand zu fördern und
den Faktor-VIII-Komplex zu stabilisieren. Fehlt der vWF
oder funktioniert er nicht richtig, kommt es daher zur Störung der Blutstillung (gestörte Thrombozytenfunktion) und
zu einem langsameren Verlauf der Gerinnung (gestörte Aktivität von Faktor VIII).
Symptome • Die Patienten neigen weniger zu spontanen
­Blutungen als bei der Hämophilie. Bei Verletzungen oder
operativen Eingriffen kann es jedoch zu schweren Nachblutungen kommen. Typisch sind Blutungen an der Schleimhaut (▶ Abb. 13.30).
Diagnostik • In der Familie sind oft weitere Fälle bekannt
(bei leichten Fällen evtl. auch nicht). Im Unterschied zur
Hämophilie ist hier auch die Blutungszeit verlängert, was
­Ausdruck der gestörten Blutstillung ist. Durch die beeinträchtigte Aktivität von Faktor VIII ist die aPTT verlängert.
Es gibt unterschiedliche Unterformen des vWS, die man
717
Blut- und Immunsystem
Abb. 13.30Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom (vWS).
Es bestehen Blutungen der Mundschleimhaut. Aus: Gortner, Meyer, Sitzmann, Duale Reihe Pädiatrie, Thieme, 2012.
anhand der Multimeranalyse (vWF liegt im Plasma in unterschiedlich großen sog. Multimeren vor) feststellen kann.
Therapie • Therapeutisch ist wichtig, die lokale Blutstillung
sehr sorgfältig durchzuführen! Bei leichten Blutungen wird
DDAVP (Desmopressin, z. B. Octostim als Dosierspray) gegeben, das im Körper die Freisetzung des vWF stimuliert. Bei
schweren Blutungen muss eine Kombination aus Faktor VIII/
vWF oder reiner vWF als virusinaktiviertes Konzentrat i. v.
gespritzt werden. Vor Operationen ist eine besonders sorgfältige Planung zur Prophylaxe von Blutungen notwendig.
ACHTUNG
Auch Patienten mit Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom brauchen
einen Notfallausweis und dürfen kein ASS (Acetylsalicylsäure,
Aspirin) einnehmen.
WISSEN TO GO
Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom (vWS)
Das Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom (vWS) ist die häufigste erblich bedingte Gerinnungsstörung. Ursächlich ist
ein zu gering oder fehlerhaft gebildeter „Von-WillebrandFaktor“ = vWF. Dadurch kommt es sowohl zu einer Thrombozytenfunktionsstörung (erkennbar an der verlängerten
Blutungszeit) als auch zur Gerinnungsstörung (durch die
verminderte Faktor-VIII-Aktivität, erkennbar an der verlängerten aPTT). Oft sind in der Familie ähnliche Fälle bekannt. Die Patienten leiden an Schleimhautblutungen und
Nachblutungen nach Operationen, die zum Teil schwer
sein können. Bei leichten Fällen erhalten die Patienten
DDAVP (Desmopressin), in schweren Fällen eine Kombination aus Faktor VIII und vWF.
Verbrauchskoagulopathie
Definition Verbrauchskoagulopathie
Dieses Krankheitsbild, das auch „disseminierte intravasale Koagulopathie (DIC)“ genannt wird, ist eine schwere, lebensbedrohliche Gerinnungsstörung, bei der gleichzeitig Thromben
(Blutgerinnsel) und Blutungen entstehen.
718
Pathophysiologie • 
Eine Verbrauchskoagulopathie kann
auftreten als Reaktion auf schwere Verletzungen, Schock,
Tumoren, Sepsis oder als Komplikation von Schwanger­
schaften oder Operationen. Diese Umstände führen dazu,
dass sich in den Blutgefäßen im ganzen Körper („disseminiert“) kleine Thromben bilden. Der Körper „verbraucht“ für
diesen Vorgang fast alle Faktoren und Bestandteile des Blutes, die zur Herstellung der Blutgerinnsel notwendig sind.
Auf der einen Seite bilden sich durch die disseminierte Aktivierung von Gerinnungsfaktoren im weiteren Verlauf immer
mehr Gerinnsel im Körper (sog. Hyperkoagulabilität), von
denen alle Organe betroffen sein können. Auf der anderen
Seite fehlen die Faktoren und Bestandteile zur Gerinnung
nun an anderer Stelle und das Blut kann sein Gleichgewicht
(Hämostase) nicht aufrechterhalten: Es kommt zu Blutungen. Noch komplizierter wird das Krankheitsbild, weil der
Körper als Reaktion auf die gesteigerte Gerinnselbildung
wiederum vermehrt Stoffe zur Auflösung der Blutgerinnsel (zur Fibrinolyse) freisetzt, die dann die Gerinnung noch
weiter behindern (sog. Hyperfibrinolyse) und die Blutungen
noch verstärken. ▶ Abb. 13.31 zeigt die Entstehung der Verbrauchskoagulopathie.
Symptome • Die Erkrankung kann durch Blutungen auffallen, die nur schwer gestillt werden können. Oft handelt es
sich um Schleimhautblutungen, es können aber auch andere
Organe wie z. B. das Gehirn betroffen sein. An der Haut sind
Petechien und Purpura (punkt- und fleckförmige Einblutungen) zu sehen, postoperativ sind Nachblutungen an den
Operationswunden häufig.
Die Blutgerinnsel können außerdem in den Organen kleine Gefäße verschließen. Folgen sind z. B. kleine Hautnekrosen (absterbendes Gewebe) durch Verstopfung der kleinen
Hautgefäße und Proteinurie (S. 526) durch Verstopfung der
Nierenkapillaren, in einigen Fällen auch größere Thrombosen und Lungenembolien.
Der Allgemeinzustand der Patienten ist meist sehr schlecht:
Sie leiden oft gleichzeitig unter Fieber, Blutdruckabfall, Hypoxie (Sauerstoffmangel im Gewebe) und einer Azidose.
Diagnostik • Die Diagnose erfolgt durch die klinischen Symptome (bei meist bekanntem auslösendem Ereignis) und
eine mehrmals täglich durchgeführte Laborkontrolle. Für
die einzelnen Stadien sind jeweils andere Laborwerte charakteristisch (▶ Tab. 13.5).
ACHTUNG
Schwangere sowie Patienten mit Infektionen oder bösartigen
Tumorerkrankungen haben von vornherein höhere Fibrinogenwerte. Bei diesen Patienten sind also scheinbar normale Werte
schon pathologisch.
Therapie • Die Therapie ist schwierig und erfordert eine intensivmedizinische Betreuung (Schocktherapie!), der meist
schlechte Zustand des Patienten und die Komplikationsgefahr
spielen dabei eine wichtige Rolle. Auf jeden Fall muss versucht
werden, parallel die Ursache der Erkrankung zu beseitigen.
Zur Therapie der DIC selbst gibt es mehrere Möglichkeiten:
●● nur in der Anfangsphase und zur Prophylaxe (später kontraindiziert, weil es die Blutungen verstärken kann): Infusion von niedrig dosiertem unfraktionierten Heparin
●● Bei Blutungszeichen und Abfall des Quick-Wertes unter
50 %: Infusion von FFP (Fresh Frozen Plasma). FFP beinhaltet wichtige Gerinnungsfaktoren, Antithrombin und Protein C, auch Fibrinogen.
●● Bei manifesten Blutungen: Thrombozytenkonzentrate
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13
Gerinnungsstörungen
Tab. 13.5 Stadien einer Verbrauchskoagulopathie.
Symptome
Laborwerte
Stadium 1
(Aktivierungsphase)
keine klinischen Auffälligkeiten
keine Veränderung
Stadium 2
(frühe
Verbrauchs­
phase)
●● Blutungen
●● leichte
Stadium 3
(späte
Verbrauchs­
phase und
Hyperfibrinolyse)
●● schwere
●● beeinträch-
tigte Organfunktionen
Blutungen
●● starke Einschränkung
der Organfunktionen
!
Operationen
Thrombozyto­
penie
●● verminderter QuickWert
●● D-Dimer-Anstieg
Thrombozytopenie
●● verminderter QuickWert
●● D-Dimer-Anstieg
●● lange aPTT
●● niedrige *Fibrinogen-,
Protein-C- und Antithrombinwerte
Schwangerschaftskomplikationen
Infektion, Sepsis
Schock,
Polytrauma
Aktivierung des
Gerinnungssystems
●● starke
* Da Fibrinogen, Protein C und Antithrombin erst im 3. Stadium absinken, wird durch sie der Schweregrad der DIC
bestimmt.
Prognose • Die Prognose ist abhängig vom Schweregrad und
der auslösenden Ursache und hängt wesentlich davon ab,
inwieweit Komplikationen durch eine adäquate Therapie
vermieden werden können. Die wichtigste lebensgefährliche Komplikation ist ein Multiorganversagen mit Lungen-,
Leber- und Nierenversagen, Koma und Hautnekrosen.
WISSEN TO GO
Verbrauchskoagulopathie
Die Verbrauchskoagulopathie (disseminierte intravasale Gerinnung, DIC) ist ein schweres Krankheitsbild, bei
dem sich reaktiv im ganzen Körper („disseminiert“) kleine
Thromben bilden. Durch den Verbrauch von Gerinnungsfaktoren kommt es im Verlauf gleichzeitig zu Thromben
oder Embolien (Hyperkoagulabilität) und zu Blutungen,
die durch die sog. Hyperfibrinolyse (verstärktes Auflösen
der Fibringerinnsel) noch verstärkt werden. Ein wichtiges
klinisches Zeichen sind Hautnekrosen durch Verstopfen
kleiner Kapillaren. Eine lebensgefährliche Komplikation ist
das Multiorganversagen. Die Betroffenen müssen auf der
Intensivstation behandelt werden.
Morbus haemorrhagicus neonatorum
Ein Vitamin-K-Mangel ist bei Neugeborenen häufig und
bleibt meist ohne Folgen. Er kann aber in seltenen Fällen
lebensbedrohliche Blutungen auslösen, weil die Aktivität
wichtiger Gerinnungsfaktoren (II, VII, IX und X) verringert
ist. In der ersten Lebenswoche treten vor allem Einblutungen in die Haut oder Hirnblutungen auf, später eher Blutungen im Gastrointestinaltrakt. Als Prophylaxe bekommen alle
Kinder bei den ersten Vorsorgeuntersuchungen Vitamin K
oral verabreicht.
Bildung kleiner Thromben
Verbrauch von
Gerinnungsfaktoren
und Thrombozyten
Aktivierung
der Fibrinolyse
Blutung
Störung der
Mikrozirkulation
Organschädigung
13.6.2 Erkrankungen mit erhöhter
Thromboseneigung
Definition Erhöhte Thromboseneigung
Bei einer Thrombose ist ein Gefäß durch ein Blutgerinnsel (Thrombus) verengt oder komplett verschlossen. Angeborene und erworbene Erkrankungen mit einer erhöhten Thromboseneigung werden unter dem Begriff Thrombophilie zusammengefasst.
Pathophysiologie
Die Bildung von Blutgerinnseln (Thromben) ist grundsätzlich ein normaler Vorgang, mit dem sich der Körper bei Verletzungen der Gefäße vor dem Verbluten schützt: Mithilfe
der Gerinnsel werden Lecks in der Gefäßwand verschlossen.
Wichtig ist jedoch, dass der Gerinnungsprozess nach dem
erfolgreichen Abdichten des Lecks auch wieder gestoppt
wird, damit nicht das komplette Gefäß verschlossen wird.
Hier kommt das sensible Zusammenspiel von gerinnungsfördernden und gerinnungshemmenden Mechanismen zum
Tragen – es ist eine der lebenswichtigen Grundlagen der Aufrechterhaltung des Blutkreislaufs im menschlichen Körper.
Problematisch wird es, wenn die Bildung von Blutgerinnseln zur falschen Zeit am falschen Ort oder übermäßig
passiert, weil sie nicht rechtzeitig gestoppt wird. Auslöser
für eine solche Fehlsteuerung und damit die Bildung einer
Thrombose sind hauptsächlich folgende 3 Mechanismen, die
benannt nach ihrem Erstbeschreiber, dem Berliner Pathologen Rudolf Virchow, als Virchow-Trias zusammengefasst
werden:
●● Verlangsamung des Blutstroms (sog. Stase) durch Rückstau vor Engstellen (z. B. an Gefäßaufzweigungen oder
durch arteriosklerotische Plaques) oder Verwirbelungen in
erweiterten Gefäßabschnitten (z. B. Varizen oder Aneurysmen). Auch durch eine Immobilisation kann es aufgrund
der fehlenden Muskelpumpe und durch abgeklemmte
Venenabschnitte zu einer Verlangsamung des Blutstroms
719
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Stadium
Abb. 13.31Entstehung der Verbrauchskoagulopathie.
Blut- und Immunsystem
Lokalisationen von Thrombosen
kommen. Langsam fließendes Blut gerinnt eher als schnell
fließendes.
●● Schädigung der Gefäßwand: Wenn die Gefäßwand durch
Verletzungen oder Entzündungen aufgeraut ist, setzen
sich dort Blutbestandteile fest. Im Verlauf bleiben weitere
Blutbestandteile hängen und der Thrombus wächst. Typische Erkrankungen, die mit solchen Endothelschäden einhergehen, sind Arteriosklerose und Hypertonie. Aber auch
nach diagnostischen Eingriffen können die Gefäße durch
entlanggeschobene Katheter verletzt sein.
●● erhöhte Gerinnungsneigung des Blutes (sog. Hyperkoagulabilität bzw. Thrombophilie): Auslöser hierfür können
zum einen angeborene Gerinnungsstörungen, wie z. B. ein
Antithrombinmangel, sein. Aber auch bei einem Flüssigkeitsmangel (z. B. durch zu wenig Trinken oder nach vermehrtem Schwitzen) neigt das „eingedickte“ Blut eher
dazu, zu gerinnen.
Von einer Thrombose können sowohl Venen als auch Arterien betroffen sein:
●● Venöse Thrombosen treten relativ häufig auf:
––im Bereich der tiefen Beinvenen (am häufigsten):
Phlebothrombose bzw. TVT = tiefe Venenthrom­
bose,
S. 279), weil dort der Blutfluss schon allein aufgrund
der Schwerkraft verlangsamt ist
––in den Sinusvenen im Kopf: Sinusthrombose (S. 883)
––in der Pfortader: Pfortaderthrombose
●● Arterielle Thrombosen kommen z. B. im Rahmen von
chronischen Durchblutungsstörungen der Gefäße an Armen und Beinen (periphere arterielle Verschlusskrankheit = pAVK, S. 268) oder der Herzkranzgefäße (koronare ­Herzkrankheit = KHK, S. 203) vor. Zur Erinnerung:
Die Gefäßeinengungen bei pAVK und KHK entstehen v. a.
durch arteriosklerotische Wandveränderungen, also Ablagerungen von Fett und Kalk an der Gefäßwand. Blutgerinnsel, d. h. Verklumpungen von Blutbestandteilen im
Gefäßinnenraum, entstehen dabei meist erst in der Folge.
Thromboserisiken • Über die bereits genannten Beispiele
hin­aus kommen die Mechanismen der Virchow-Trias v. a.
unter folgenden Bedingungen zum Tragen, unter denen damit eine e
­ rhöhte Thrombosegefahr besteht:
●● höheres Alter
●● Übergewicht
●● Rauchen
●● Einnahme oraler Kontrazeptiva („Pille“) oder anderer Hormonpräparate
●● Schwangerschaft
●● Operationen: v. a. größere Eingriffe, bei denen Gefäße im
OP-Verlauf beeinträchtigt werden, wie z. B. bei einer Hüftgelenkersatz-OP
●● Immobilisation des Patienten: z. B. postoperativ, Ruhigstellung bestimmter Körperteile (z. B. Gipsverband), Bettlägerigkeit oder lange Flugreisen
●● Tumorerkrankungen: sog. paraneoplastische Syndrome
(S. 78)
●● bereits in der Vergangenheit erlittene Thrombose
Thromboseprophylaxe
▶ Tab. 13.6 zeigt, wann eine Thromboseprophylaxe indiziert
ist und welche prophylaktischen Maßnahmen ergriffen
werden sollten.
Blitzlicht Pflege Thromboseprophylaxe
Die Thromboseprophylaxe ist eine der wichtigsten Prophylaxen.
Pflegende haben hier eine hohe Eigenverantwortung. Für Patienten mit einem geringen Thromboserisiko reichen Basismaßnahmen (Frühmobilisierung, Bewegungsübungen, ausreichende
Flüssigkeitszufuhr), zu denen zusätzlich medizinische Thromboseprophylaxestrümpfe eingesetzt werden sollten. Menschen mit
mittlerem und hohem Thromboserisiko benötigen außerdem
Antikoagulanzien, um die Blutgerinnung medikamentös herabzusetzen.
ACHTUNG
Bei Frauen, die die „Pille“ nehmen, erhöht Rauchen das Thromboserisiko noch einmal um das 3-Fache!
Abb. 13.32 Ursachen und Risikofaktoren einer Thrombose.
verlangsamter Blutstrom
erhöhte Gerinnungsneigung
des Bluts
• erhöhte Blutviskosität
(z. B. Flüssigkeitsmangel)
• orale Kontrazeptiva
• angeborene
Gerinnungsstörungen
• Tumorerkrankungen
• Gefäßengstellen
• Gefäßerweiterungen
• Immobilisierung
• langes Sitzen
• Gipsbein
• Herzinsuffizienz
• Adipositas
Gefäßwandschaden
• Entzündungen
• Verletzungen
zusätzliches Rauchen
720
!
Thrombose
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13
Gerinnungsstörungen
Tab. 13.6 Situationen mit Thrombosegefahr und prophylaktische Maßnahmen.
prophylaktische Maßnahmen
geringes
Risiko*
●● kleine
OPs
Verletzungen
●● Erkrankung ohne Bettlägerigkeit
●● ZVK oder Port
nur Basismaßnahmen: Frühmobilisation, Bewegungsübungen (▶ Abb. 13.33), Anleitung zu Eigenübungen,
ggf. physikalische Maßnahmen (z. B. medizinische
Thromboseprophylaxestrümpfe, ▶ Abb. 13.34)
mittleres
Risiko*
●● längere
OPs
Basismaßnahmen plus medikamentöse Thromboseprophylaxe*, möglichst beginnend bereits vor Eintreten der Risikosituation (z. B. bei operativen Eingriffen
bereits rechtzeitig vor der OP), die Prophylaxe sollte
so lange weitergeführt werden, wie die Risikosituation
besteht.
hohes Risiko
●● größere
abdominale OPs, Thorax-OPs, Becken-OPs, Gelenk-OPs
Basismaßnahmen plus medikamentöse Thromboseprophylaxe** (s. o.)
●● kleine
●● gelenkübergreifende
Ruhigstellung des Beines
●● arthroskopische OPs am Bein
●● akute Herzinsuffizienz (NYHA III/IV)
●● akut dekompensierte COPD (chronisch-obstruktive Lungenerkrankung) ohne Beatmung
●● Erkrankung mit Bettlägerigkeit
●● stationär behandelte Krebserkrankung
●● Polytrauma
●● Schlaganfall
mit Beinlähmung
dekompensierte, schwere COPD mit Beatmung
●● Sepsis
●● Patienten auf Intensivstation
●● akut
* Wenn kein zusätzliches patientenbezogenes Risiko besteht (siehe Aufzählung oben), sonst Einstufung in eine höhere Risikogruppe.
** Möglich ist die Anwendung von Heparinen, Fondaparinux (Faktor-Xa-Hemmer), Argatroban, Danaparoid oder Rivaroxaban. Die Auswahl und
die Dosierung der Medikamente zur Thromboseprophylaxe sowie die Kontraindikationen sind verschieden. Vergleiche Kap. „Antikoagulanzien“
(S. 737).
Wichtige Gerinnungsstörungen mit
Thrombophilie
Ursachen einer erhöhten Thromboseneigung können sowohl hereditäre (vererbte) als auch erworbene Gerinnungsstörungen sein. Bei jungen Patienten unter 40 Jahren mit
Thrombose sollte an hereditäre Ursachen gedacht werden,
vor allem, wenn keine weiteren begünstigenden Faktoren
(siehe ▶ Tab. 12.10) vorhanden sind. Auch bei Frauen mit
mehreren Fehlgeburten können als Ursache Gerinnungsstörungen vorliegen. Beispiele für wichtige Gerinnungsstörungen mit Thrombophilie sind:
APC-Resistenz (auch „Faktor-V-Leiden-Mutation“) • Häufigste
hereditäre Thrombophilie. Ursache ist eine vererbte Mutation des Gerinnungsfaktors Va, der dadurch nicht mehr
„­gebremst“ werden kann. Patienten, die noch ein funktionierendes Gen des Gerinnungsfaktors besitzen (heterozygot),
haben ein 5- bis 10-faches Thromboserisiko. Wenn beide
Gene betroffen sind, ist das Risiko 50- bis 100-mal höher als
normal. Orale Kontrazeptiva sind kontraindiziert! Die Krankheit kann nicht geheilt werden, man kann nur versuchen,
Thrombosen zu vermeiden. Dazu müssen in Risikosituationen (S. 720) auch schon bei eigentlich geringem Risiko (z. B.
bei Flugreisen oder kleinen OPs) Prophylaxemaßnahmen
erfolgen, z. B. Heparingabe. Schwangere mit APC-Resistenz
erhalten eine durchgehende Thromboseprophylaxe. Treten
wiederholt Thrombosen auf, müssen über einen längeren
Zeitraum Heparin oder Cumarin-Derivate gegeben werden.
Antithrombinmangel • Er ist vererbt oder erworben. Antithrombin wirkt bei der Blutgerinnung normalerweise als
„Bremse“ (verhindert eine überschießende Gerinnung).
Betroffene Patienten müssen orale Antikoagulanzien
­einnehmen.
Abb. 13.33Bewegungsübungen.
a
1
2
b
c
d
Die Patienten sollten mehrfach täglich ihre Füße kreisen (a) bzw. abwechselnd nach oben ziehen (b), die Zehen spreizen (c) bzw. krallen und entspannen (d). Nach Schewior-Popp, Sitzmann, Ullrich, Thiemes Pflege, Thieme, 2012.
721
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Situationen mit Thrombosegefahr
13
Blut- und Immunsystem
Abb. 13.34Medizinische Thromboseprophylaxestrümpfe (MTS).
a
b
c
Die Strümpfe müssen Tag und Nacht getragen werden, solange der Patient immobil ist.
a Richtige Strumpfgröße.
b Anziehen des Strumpfes. Alternativ gibt es auch eigene Anziehhilfen.
c Kontrolle des Strumpfsitzes. Der Strumpf darf keine Falten werfen und nicht einschneiden, die Ferse muss sitzen und das obere
Gummiband muss unterhalb der Gesäßfalte abschließen.
Protein-C- und Protein-S-Mangel • Grund ist häufig ein Vit­
amin-K-Mangel (die Bildung beider Proteine ist Vitamin-Kabhängig). Die angeborene Variante ist extrem selten. Durch
den Mangel an diesen beiden Proteinen werden bestimmte
Gerinnungsfaktoren nicht mehr ausreichend gehemmt. Bestehen Symptome, ist eine orale Antikoagulation erforderlich.
Antiphospholipid-Antikörper • Das Antiphospholipid-Anti­kör­
per-­Syndrom ist eine sehr häufige Autoimmunerkrankung.
Betroffen sind häufig Frauen. Sie entwickeln wiederkehrende arterielle und venöse Thrombosen und erleiden häufig
Fehlgeburten. Im Blut der Betroffenen finden sich bestimmte Antiphospholipid-Antikörper (sog. Lupusantikoagulans),
die das Blut verstärkt gerinnbar machen. Häufig ist die Erkrankung mit anderen Autoimmunerkrankungen (z. B. systemischer Lupus erythematodes) assoziiert. Bei manifesten
Thrombosen ist eine orale Antikoagulation erforderlich,
während einer Schwangerschaft erhalten die Patientinnen
niedermolekulares Heparin und ASS.
Merken Ursachen einer Thrombophilie
Vor allem bei jüngeren Patienten, die wiederholt an ungeklärten
Thrombosen leiden, kann eine angeborene Thrombophilie bestehen. Bei Frauen können auch wiederholte Fehlgeburten ein Hinweis sein. Bei älteren Patienten sind eher Tumorerkrankungen für
unklare Thrombosen verantwortlich. Hier sollte man vorerst also
nach einer möglichen Tumorerkrankung forschen.
WISSEN TO GO
Thrombose und Thrombophilie
Thrombosen werden gefördert durch die 3 pathophysiologischen Vorgänge der Virchow-Trias: Verlangsamung
des Blutstroms, Schädigung der Gefäßwand und erhöhte
Gerinnungsneigung des Blutes. Daneben gibt es viele weitere Risikofaktoren, z. B. Alter, Übergewicht, Rauchen
und die „Pille“. Venöse Thrombosen treten meist in den
tiefen Beinvenen auf, arterielle Thrombosen z. B. bei der
pAVK oder der KHK. Die Thromboseprophylaxe richtet
sich nach dem Risiko, angewendet werden physikalische
Maßnahmen (z. B. Mobilisation, MTPS) und medikamentöse Maßnahmen (z. B. Gabe von Heparin). Wichtige Erkrankungen mit einer erhöhten Thromboseneigung (Thrombophilie) sind APC-Resistenz (auch „Faktor-V-Leiden-Mutation“), Antithrombinmangel, Protein-C- und Protein-SMangel und Antiphospholipid-Antikörper.
722
13.7 Erkrankungen des
­Immunsystems
Das Immunsystem kann auf verschiedene Weise von Krankheiten betroffen sein. Grob einteilen kann man die Störungen in
●● Allergien und Hypersensitivität des Immunsystems
●● Autoimmunerkrankungen
●● Immundefekte (angeboren oder erworben)
Die Allergien (S. 99) und Autoimmunerkrankungen (S. 106)
werden im Kap. „Grundlagen des Immunsystems“ besprochen.
13.7.1 Immundefekte: Grundlagen
Definition Immundefekte
Als Immundefekte bezeichnet man angeborene oder erworbene
Einschränkungen der Abwehrfunktion des Körpers.
Pathophysiologie
Immundefekte können angeboren und erworben sein und die
zelluläre (z. B. T-Zellen, Granulozyten) oder das humorale (z. B.
von B-Zellen gebildete Antikörper) Immunabwehr betreffen.
Erworbene Immundefekte können verursacht werden durch
●● Infektionen (z. B. HIV, CMV)
●● Beeinträchtigung der Blutbildung im Knochenmark (z. B.
bei Leukämien)
●● Eiweißmangel (Unterernährung, Eiweißverluste)
●● Stoffwechselerkrankungen (z. B. Diabetes mellitus)
●● ärztliche Maßnahmen („iatrogen“, z. B. durch eine Chemotherapie oder Bestrahlung)
Bei angeborenen Immundefekten ist das Immunsystem bereits in seiner Entwicklung beeinträchtigt, meist sind bestimmte Immunzellen fehlerhaft und können ihre Funktion
nicht richtig ausüben. Der häufigste angeborene Immundefekt ist der IgA-Mangel (Mangel an Immunglobulin A).
Merken Ursachen eines Immundefekts
Weltweit die häufigsten Ursachen eines Immundefekts sind die
Unterernährung und eine HIV-Infektion.
Bei allen Immundefekten findet sich eine erhöhte Anfälligkeit für Infekte. Die Patienten infizieren sich häufiger mit
Erregern, auch mit solchen Erregern, die bei Gesunden keine Symptome auslösen können. Die Erreger nennt man auch
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Aus: Schewior-Popp, Sitzmann, Ullrich, Thiemes Pflege, Thieme, 2012.
Erkrankungen des I­ mmunsystems
ACHTUNG
Auch vergleichsweise „harmlose“ Medikamente wie z. B. Schmerzmittel (Metamizol [Novalgin]) können in seltenen Fällen als unerwünschte Wirkung das Immunsystem schädigen. Sie können
die Granulozytenbildung stören und zu einer Agranulozytose
(S. 701) führen.
Auch das Lebensalter spielt für die Infektanfälligkeit eine
Rolle: Kinder machen vor allem in den ersten Lebensjahren
häufig Infektionskrankheiten durch, weil das Immunsystem
noch lernt, mit den Erregern richtig umzugehen. Im Alter
nimmt die Fähigkeit des Körpers ab, sich gegen Angriffe von
außen oder innen zu wehren, in der Folge treten häufigere
(und schwerere) Infektionen auf. In der Schwangerschaft
muss das Immunsystem eine höhere Toleranz gegen fremde
Antigene zeigen, er wird dadurch etwas anfälliger für Erreger. Auch bestimmte Lebensumstände (z. B. Alkohol- oder
Nikotinabusus) können das Immunsystem beeinträchtigen:
Infektionsprophylaxe bei Immundefekt
ACHTUNG
Patienten mit Immundefekten infizieren sich oft mit ungewöhnlichen Erregern und leiden an häufigen, langwierigen und komplizierten Infekten.
Wichtig bei Patienten mit Immundefekten ist ein ausreichender Infektionsschutz. Es müssen strenge hygienische
Maßnahmen eingehalten werden, die in manchen Fällen bis
zur Isolierung führen. Teilweise ist auch eine antibiotische
Prophylaxe erforderlich. Haben sich die Patienten bereits
infiziert, muss die Infektion behandelt werden. Bei bakteriellen Infektionen ist eine frühzeitige gezielte Antibiotikatherapie angezeigt.
Auch bei Impfungen gibt es Unterschiede zu gesunden
Personen. Bei einem Immundefekt müssen bestimmte Impfstrategien eingehalten werden, z. B. dürfen manche Patienten keine Lebendimpfstoffe erhalten. Totimpfstoffe gegen
bestimmte Bakterien, gegen die Menschen mit Immundefekt
anfälliger sind (z. B. Pneumokokken), sind dafür umso wichtiger. Antikörpermangelzustände können durch regelmäßige Gaben von Immunglobulinen behandelt werden. Manche
angeborenen Immundefekte können nur durch eine allogene Stammzelltransplantation behoben werden.
Bei Patienten mit einer Neutropenie infolge einer Chemotherapie können Wachstumsfaktoren eingesetzt werden, die
die Neutropeniephasen verkürzen sollen.
13.7.2 HIV-Infektion und AIDS
Definition HIV und AIDS
Eine HIV-Infektion (Infektion mit dem humanen ImmundefizienzVirus) führt über den Befall von Immunzellen zu einer schweren
Immunschwäche. Ihr Endstadium wird als AIDS (acquired immunodeficiency syndrome = erworbenes Immunschwächesyndrom)
bezeichnet.
Pathophysiologie
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opportunistische Erreger (S. 124). Die Infektionen verlaufen zudem schwerer.
Welche Erreger besonders gefährlich sind, hängt von der
Art des Immundefekts ab:
●● Wenn die B-Lymphozyten und damit die Antikörperbildung beeinträchtigt sind, profitieren davon vor allem
Bakterien, es entstehen vor allem bakterielle Infektionen. Typisch sind immer wiederkehrende Infektionen im
Hals-Nasen-Ohren-Bereich sowie im Atmungs- und Verdauungstrakt. Oft handelt es sich um Strepto- oder Pneumokokken, Haemophilus influenzae sowie Mykobakterien
(Tuberkulose). Erkrankungen, die die B-Lymphozyten beeinträchtigen, sind Antikörpermangelsyndrome wie der
IgA-Mangel oder ein Eiweißmangel bei Unterernährung.
●● Bei Störungen der T-Lymphozyten, die zum Beispiel für die
Zerstörung befallener Zellen (z. B. zur Virus- und Tumorabwehr) zuständig sind, können sich Pilze, Protozoen und
Viren besser ausbreiten. Typische Pilzinfektionen sind z. B.
schwere systemische Infektionen mit Candida albicans
oder eine Pneumonie durch Pneumocystis jiroveci, typische Virusinfektionen werden durch HIV, das Zytomegalievirus (abgekürzt CMV) oder das Varicella-zoster-Virus
(Herpes zoster) hervorgerufen.
●● Bei Störungen der Phagozytosefunktion oder Fehlen der
Granulozyten (Neutropenie, Agranulozytose) kommt es
v. a. zu Infektionen mit Bakterien und Pilzen (z. B. häufig
Abszesse, Pneumonie, Endokarditis, Hautnekrosen).
Gefährdete Personen und Übertragung
Weltweit sind etwa 40 Millionen Menschen mit dem HI-­
Virus infiziert, die allermeisten davon leben in armen Ländern, besonders Afrika und Südostasien sind betroffen. In einigen Regionen Afrikas ist AIDS die häufigste Todesursache,
⅓ der Menschen ist HIV-infiziert. Auch in Osteuropa breitet
sich das HI-Virus extrem schnell aus. 2013 wurden laut UNAIDS weltweit 2,1 Millionen Neuinfektionen registriert, 1,5
Millionen Menschen sind an den Folgen von AIDS gestorben.
Die Hauptübertragungswege sind
●● Sexueller Kontakt mit Übertragung von Samen- oder
Vaginalflüssigkeit (vor allem bei „unsafe sex“ ohne Kondom). Beim Sexualverkehr unter homo- oder bisexuellen
Männern ist die Übertragung wahrscheinlicher, bei heterosexuellem Geschlechtsverkehr sind Frauen etwas mehr
­gefährdet als Männer.
●● Kontakt mit Blut eines Infizierten, meist bei i. v.-Drogenmissbrauch und gemeinsamer Benutzung von Injektionsnadeln. Sehr selten kann eine Übertragung auch über
Verletzungen im medizinischen Bereich stattfinden. Eine
weitere Möglichkeit ist die Übertragung des Virus über
verunreinigte Blutprodukte, die heute hierzulande durch
genaue Kontrollen sehr unwahrscheinlich geworden ist, in
Entwicklungsländern aber noch häufiger ist.
●● Übertragung von der Mutter auf das Kind
Der Erreger kann auch in Tränenflüssigkeit, Urin, Stuhl,
Speichel und Liquor nachgewiesen werden.
ACHTUNG
Bei einer Nadelstichverletzung ist die Wahrscheinlichkeit einer
Übertragung gering (3 von 1000 Personen, die sich an der Nadel
eines HIV-Patienten gestochen haben, stecken sich an). Trotzdem
müssen alle Nadelstichverletzungen gemeldet werden!
HI-Virus
Das HI-Virus ist ein sog. Retrovirus. Nach dem Eindringen in
die Wirtszelle verwendet es seine RNA, schreibt diese mithilfe bestimmter Enzyme (sog. reverse Transkriptase) in DNA
um und gliedert diese in die DNA der Wirtszelle ein. HIV
befällt v. a. Makrophagen, T-Helferzellen und weitere Zellen
des Abwehrsystems des Menschen, die jeweils das CD4Oberflächenantigen tragen. Die infizierten T-Zellen werden
durch die Virusproduktion rasch zerstört, Makrophagen leben dagegen länger und produzieren kontinuierlich Viren.
723
13
Blut- und Immunsystem
WISSEN TO GO
Abb. 13.35AIDS-definierende Erkrankungen.
HIV-Infektion und Übertragungswege
Eine Infektion mit dem HI-Virus (einem Retrovirus) führt
zu einer schweren Immunschwäche, da es in erster Linie
Zellen des Abwehrsystems wie Makrophagen und T-Lymphozyten befällt. Im Endstadium wird die Erkrankung als
AIDS (acquired immunodeficiency syndrome) bezeichnet.
AIDS stellt besonders in Entwicklungsländern auch heute
noch ein großes Problem dar. Hauptübertragungswege
für das Virus sind sexueller Kontakt, Kontakt mit Blut
eines Infizierten (meist bei i. v.-Drogenmissbrauch, selten
durch Nadelstichverletzungen oder Blutprodukte) und
Übertragung von der Mutter auf das Kind.
Eine HIV-Infektion verläuft in mehreren Phasen:
●● akute HIV-Krankheit (1 – 6 Wochen nach Infektion): Das
Erkrankungsbild ähnelt der infektiösen Mononukleose
­
(S. 1282) und zeigt sich mit Fieber, Lymphknotenvergrößerungen, Gliederschmerzen und Angina.
●● asymptomatische Latenzphase (etwa 10 Jahre, unter
schlechten Lebensbedingungen oder bei Kindern auch
bedeutend kürzer): Die Patienten sind beschwerdefrei, da
das Immunsystem noch stark genug ist, sich gegen opportunistische Infektionen zu wehren, während sich das Virus
in den Zellen vermehrt.
●● Lymphadenopathie-Syndrom (LAS): Generalisierte Lymph­
knotenschwellungen treten auf.
●● AIDS: Es kommt zu den sogenannten „AIDS-definierenden
Erkrankungen“.
Typisch für jede Immunschwäche ist das Auftreten von
opportunistischen Infektionen (S. 124). Im Fall einer HIVInfektion unterscheidet man zwischen opportunistischen
Erkrankungen, die zwar durch den Immundefekt begünstigt
werden, aber noch nicht als Zeichen für das AIDS-Stadium
gelten, und „AIDS-definierenden“ Erkrankungen.
Zu den AIDS-definierenden Erkrankungen zählen:
●● Pilzinfektionen: Eine Pneumocystis-jiroveci-Pneumonie
ist bei etwa der Hälfte der HIV-Patienten die erste AIDSdefinierende Krankheit, die auftritt. Der Patient klagt über
Dyspnoe, Fieber und Reizhusten. Weiterhin gilt als AIDSdefinierend ein Candida-albicans-Befall (Soor) von Luftund Speiseröhre sowie Lunge. Die sog. „Soor-Ösophagitis“
geht mit Brennen hinter dem Brustbein, Schluckbeschwerden und Fieber einher.
●● Virusinfektionen: Typisch bei AIDS-Patienten sind Infektionen durch das Zytomegalie- (S. 1283) und Herpes
simplex-­Virus 2 (S. 1036).
●● bakterielle Infektionen: Hierzu zählen das Auftreten von
mehr als 2 Pneumonien pro Jahr, die Infektion mit Mykobakterien (Tuberkulose und atypische Mykobakteriose)
und eine rezidivierende Salmonellensepsis.
●● Infektionen mit Protozoen: Im AIDS-Stadium können
Toxoplasmose-Infektionen des ZNS (Kopfschmerz, Fieber,
Verwirrtheit und Krampfanfälle, ▶ Abb. 13.35a) sowie
die chronische Kryptosporidien-Infektion (Diarrhö und
Bauchkrämpfen) auftreten.
●● Tumorerkrankungen: Das Kaposi-Sarkom ist eine Krebserkrankung von Haut und Schleimhaut, die bei AIDS in
einer generalisierten Form auftritt. Es tritt gehäuft an
den ­Beinen und im Mund auf und besteht an der Haut
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Symptome und Verlauf
a
b
a Toxoplasmose. In der MRT-Aufnahme des Gehirns erkennt
man deutlich ein Granulom in der linken Hirnhälfte (Pfeil). Aus:
Reiser, Kuhn, Debus, Duale Reihe Radiologie, Thieme, 2011.
b Kaposi-Sarkom. An der Mundschleimhaut bestehen bläulich-
rote Tumorknoten. Aus: Behrbohm et al., Kurzlehrbuch Hals-Nasen-Oh-
ren-Heilkunde, Thieme, 2012.
aus violetten bis bräunlichen Flecken und Knoten, an
der Schleimhaut aus rötlich-bläulichen Knoten (▶ Abb.
13.35b). Auch andere Organe können befallen sein. NonHodgkin-Lymphome wie das Burkitt-Lymphom sowie das
invasive Zervixkarzinom bei Frauen sind ebenfalls typisch.
Daneben gelten als AIDS-definierend noch:
●● Wasting-Syndrom (wasting = dahinsiechend, welkend):
AIDS-Patienten verlieren ungewollt über 10 % ihres Kör-
Erkrankungen des I­ mmunsystems
WISSEN TO GO
HIV-Infektion – Verlauf
Eine HIV-Infektion verläuft in mehreren Phasen: akute
HIV-Krankheit (1 – 6 Wochen nach der Infektion), asymptomatische Latenzphase (etwa 10 Jahre), LymphadenopathieSyndrom mit generalisierten Lymphknotenschwellungen
und AIDS. Typisch sind bei Fortschreiten der Erkrankung
opportunistische Infektionen. Zu den sog. AIDS-definierenden Erkrankungen zählen z. B. folgende Infektionen: Pneumocystis-jiroveci-Pneumonie, ausgeprägter
Candida-albicans-Befall, CMV-Infektionen, Infektionen
mit HSV 2, mehr als 2 Pneumonien pro Jahr, Tuberkulose
und Toxoplasmose des Gehirns. Auch das Auftreten von
erkrankungen (z. B. Kaposi-Sarkom,
bestimmten Tumor­
Burkitt-Lymphom und invasives Zervixkarzinom) können
das Stadium AIDS anzeigen, genauso wie das sog. WastingSyndrom und die HIV-­assoziierte Enzephalopathie.
Einteilung
Die Stadieneinteilung einer HIV-Infektion erfolgt nach der
sog. CDC-Klassifikation (Centers for Disease Control and Prevention) anhand
●● der Anzahl der CD4-positiven T-Lymphozyten/µl
––Kategorie 1: > 500 μl
––Kategorie 2: 200 – 500/ μl
––Kategorie 3: < 200/ μl
●● der klinischen Kategorien
––Kategorie A: akute HIV-Krankheit, asymptomatische Latenzphase oder Lymphadenopathie-Syndrom
––Kategorie B: zwischen Kategorie A und C
––Kategorie C: Auftreten von AIDS-definierenden Erkrankungen
Diagnostik
Für die Diagnose stehen Suchtests zur Verfügung, mit denen
man bereits ab etwa 2 Wochen nach Ansteckung eine HIVInfektion nachweisen kann. Unabhängig vom Ergebnis muss
ein Bestätigungstest folgen. Ist dieser positiv, muss er zur
Sicherheit noch einmal wiederholt werden. Nachgewiesen
werden können Virusbestandteile und Antikörper gegen HIV
(sog. HIV-Serologie).
ACHTUNG
HIV-Tests erfordern die Einwilligung des Betroffenen.
Um nach einer Nadelstichverletzung schnell herauszufinden, ob ein Patient HIV-positiv ist, gibt es Schnelltests, die
innerhalb von Minuten ein Ergebnis liefern können. Das ist
wichtig, falls eine Postexpositionsprophylaxe (s. u.) erfolgen
muss.
Steht eine HIV-Infektion fest, muss eine ständige Kontrolle
des Krankheitsverlaufs gewährleistet werden. Dazu werden
im Labor regelmäßig folgende Parameter bestimmt:
●● Viruslast (Wie viel Virus-RNA findet sich im Blut?)
(Wie viele CD4-Zellen hat der Patient pro µl
Blut?)
●● Verhältnis CD4-Zellen zu CD8-Zellen (zur besseren Interpretation der CD4-Zell-Zahl: Ist das Verhältnis noch normal, also kleiner als 1 oder schon größer als 1?)
●● Serumspiegel der antiretroviralen Medikamente
●● CD4-Zell-Zahl
Merken CD4-Zellen
Besonders die CD4-Zell-Zahl ist wichtig für die Einschätzung des
Risikos opportunistischer Erkrankungen.
WISSEN TO GO
HIV-Infektion – Stadieneinteilung und Diagnostik
Die Stadieneinteilung einer HIV-Infektion erfolgt nach
der CDC-Klassifikation (Centers for Disease Control and
Prevention) anhand der Anzahl der CD4-positiven T-Lymphozyten/µl und klinischer Kategorien. Diagnostisch stehen Schnelltests und Suchtests zur Verfügung, obligat
müssen Bestätigungstests folgen. Nachgewiesen werden können Virusbestandteile und Antikörper gegen
HIV (sog. HIV-Serologie). Zur Kontrolle des Krankheitsverlaufs werden Viruslast, CD4-Zell-Zahl, Verhältnis CD4Zellen zu CD8-Zellen und Serumspiegel der Medikamente
bestimmt.
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pergewichts, haben chronischen Durchfall oder Fieber und
sind abgeschlagen.
●● HIV-assoziierte Enzephalopathie (HIVE): Hier greifen die
HI-Viren direkt die Bindegewebszellen im Gehirn (sog.
Gliazellen, sie tragen auch CD4-Oberflächenproteine) an
und zerstören dadurch das ZNS.
Therapie und Prognose
HIV und AIDS können nicht geheilt werden. Der Ausbruch
von AIDS kann aber um Jahre bis Jahrzehnte hinausgezögert werden. Dies gelingt durch die antiretrovirale Therapie
(ART, auch HAART = hochaktive ART) zusammen mit einer
breit gefächerten, z. T. auch prophylaktischen Therapie opportunistischer Erkrankungen (z. B. antibiotische Therapie
und Chemotherapie). Bei adäquater Therapie kann die Erkrankung selbst nach Eintritt ins AIDS-Stadium noch über
längere Zeit aufgehalten werden.
ACHTUNG
Die medikamentöse Therapie ist umso wirkungsvoller und die
Prognose umso besser, je früher damit begonnen wird.
Die Therapie erfordert eine hohe Compliance (Mitarbeit)
der Patienten. Problematisch ist die große Menge an Medikamenten, die sie jeden Tag nehmen müssen; dazu kommen
schwere Nebenwirkungen, die die Zusammenarbeit mit
dem Patienten behindern und sein Leben z. T. stärker beeinflussen als die Krankheit selbst. Beispiele für Nebenwirkungen sind Übelkeit, Durchfall, Pankreatitis, toxische ­Hepatitis,
Störung der Blutbildung, Fettverteilungsstörungen, Stoffwechselkrankheiten, Abgeschlagenheit und neurogene Störungen (Schmerzen, Taubheitsgefühl).
Neben der medikamentösen Therapie sind eine gesunde
Lebensführung und die psychosoziale Unterstützung der Patienten sehr wichtig.
Die Medikamente, die im Rahmen der antiretroviralen
Therapie zum Einsatz kommen, und ihre Nebenwirkungen
werden im Kap. „Grundlagen der Infektiologie“ (S. 146)
beschrieben.
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