Deutsches Ärzteblatt 1987: A-1865

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
PHARMAFORSCHUN
Bayer-Seminar: Aktuelle Themen der Virologie
Persistierende Viren — Zeitbomben in der Zelle
Die Virusforschung wandelt
sich. Wurden bisher die akuten Viruserkrankungen beforscht, so rükken heute die persistierenden Virusinfektionen ganz in den Vordergrund. Nicht immer gelingt es dem
Organismus, mit den viralen Erregern fertig zu werden oder sie völlig
zu beseitigen. Das führt zu chronischen Krankheitsprozessen. So können bekannte, zu einer akuten Infektion führende Viren, z. B. Masernviren, wenn sie im Wirt persistieren, eine völlig andere Krankheit
provozieren, etwa die sklerosierende , subakute Panenzephalitis.
Bei solchen Krankheiten spielt
das Immunsystem des befallenen
Organismus eine wesentliche Rolle.
Entweder ist die Immunantwort zu
schwach, oder aber sie ist überschießend und es kommt zu einer Autoimmunerkrankung. Diese Krankheiten lassen sich nicht mehr auf
dem Niveau: Wirtszelle—Virus untersuchen, sondern es muß der Gesamtorganismus betrachtet werden:
Immunologen, Virologen und Molekularbiologen arbeiten hier zusammen. Sie können bereits, so Prof. V.
ter Meulen, Würzburg, beim 11.
Bayer-Pharma-Presseseminar „Aktuelle Themen der Virologie" am
21. März 1987 in Lochmühle an der
Ahr, Aussagen über Faktoren machen, die vielleicht für das Zustandekommen einer Viruspersistenz
und einer chronischen Erkrankung
verantwortlich sein könnten.
Wie kann sich
Viruspersistenz etablieren?
Ohne Zweifel sind die biologischen Eigenschaften eines Virus von
entscheidender Bedeutung für die
Virus-Zell-Interaktion. So interferieren defekte Viruspartikel mit der
Replikation infektiöser Viruspartikel in Gewebekulturen und beeinflussen auf diese Weise den normalen Replikationsablauf. Ebenso weisen Mutanten oder Virusrekombinanten ein anderes Wachstumsver-
halten auf, wodurch die Entwicklung einer persistierenden Infektion
erleichtert wird. Andererseits kann
sich durch die Integration viraler
Nukleinsäure in die zelluläre DNS
ein Virus ganz den immunologischen
Abwehrmechanismen entziehen.
Doch auch die Infektion des Immunsystems selbst kann dazu beitragen,
daß das Virus nur unzulänglich aus
Art der Virus-Persistenz, nämlich
bei den DNA-haltigen onkogenen
oder tumorerzeugenden Viren.
Auch hier ist wesentlich, daß das Virus-Genom in das Zell-Genom integriert, also Bestandteil der zellulären Erbanlage wird. Bestimmte virale Produkte werden unter der Kontrolle des Virus-Genoms weiterhin
hergestellt. Eine Zelle, die so infiziert wird, ist durchaus in der Lage,
die Transskription, das heißt, die
Benützung viraler Gene unter Kontrolle zu halten. Zum Beispiel enthält das Chromosom Nr. 11 ein solches virus-kontrollierendes Gen.
Erst wenn diese Kontrolle zerstört
ist, kann sich das Virus durchsetzen.
Forschung über Onkogene
Prof. H. zur Hausen
dem Organismus enfernt wird, wie
die humane HIV-Infektion bei
AIDS.
Die Möglichkeit von Zellen, bei
einer Infektion Interferon zu synthetisieren, ist ein weiterer wichtiger
Faktor in der Etablierung von Viruspersistenz, da Interferon Persistenzen über Jahre hin zu erhalten vermag. Auch bei funktionierender Immunabwehr und ohne Virusmutation kann sich eine Virusinfektion
der Eliminierung durch Immunmechanismen entziehen, wenn es zu einer Antigenmodulation kommt Virusinfizierte Zellen können nämlich
nur dann vom Immunsystem erkannt und beseitigt werden, wenn
sie auf ihren Oberflächen virale antigene Determinanten tragen. Beseitigen Antikörper vorhandene virale
Antigene — sogenanntes CappingPhänomen —, ist die Oberfläche einer virus-infizierten Zelle nicht
mehr zu identifizieren.
Prof. H. zur Hausen, Heidelberg, beschrieb eine völlig andere
Die Forschung an den Onkogene enthaltenden Retroviren hat gezeigt, so Prof. E. Wecker, Würzburg, daß es in der Zelle Äquivalente gibt, die den viralen Onkogenen
sehr ähneln. Diese zellulären Onkogene der humanen oder tierischen
Zelle — Protoonkogene genannt —
sind in ihrer Sequenz ähnlich wie
diejenige des Virus, aber immer anders, meistens kürzer.
Allen Arbeiten über Onkogene
liegt die Annahme zugrunde, daß
Krebs das Ergebnis einer genetischen Veränderung in der Zelle ist.
Diese Hypothese hat sich nach Prof.
P. Vogt, Los Angeles, als sehr
fruchtbar erwiesen. Sie hat zur Entdeckung zahlreicher Onkogene geführt, die uns auf die Spur wichtiger
Reglermechanismen der Zelle gebracht haben, und sie erklärt die gesicherten Fakten über die Krebsentstehung am besten. Vogts Theorien
über Onkogene sind noch weitergehend. Er bezeichnet Onkogene als
Reglerelemente mit Funktionen in
der Zellteilung und Zelldifferenzierung. Als normale zelluläre Onkogene kontrollieren sie Mitose und Differenzierungsvorgänge, als veränderte, aktivierte Onkogene können
sie das unkontrollierte Wachstum
der Krebszelle verursachen. Die
Forschung über die zellulären Protoonkogene hat als Wichtigstes gezeigt, daß ihre Produkte in irgendeiner Art mit Zellregulation, Diffe-
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renzierung und Wachstum zu tun haben. Hier bestehen jedoch erst Ansätze für eine zusammenhängende
Theorie.
Es bleiben offene Fragen: Gibt
es Tumoren, die keinen genetischen
Ursprung haben? Was sind die Mechanismen, die Onkogene rezessiv
machen? Wie wirken Onkogene auf
Differenzierungsprogramme? Es ist
daher angebracht, neben der Mutationstheorie des Krebses auch die
Möglichkeit anderer Entstehungsmechanismen einzuräumen. So sieht
H. Rubin, einer der Begründer der
Tumor-Virologie, im Krebs eine
Störung der hierarchischen Beziehungen in und zwischen Geweben
und Organen. Solche Beziehungen,
so Vogt, existieren gewiß, aber sie
sind der gegenwärtigen Forschung
technisch und konzeptuell nicht zugänglich.
Für das Blutspendewesen hat
die Diagnostik des HIV-Retrovirus
zentrale Bedeutung. Die heute weitverbreiteten ELISA-Tests suchen
nach HIV-Antikörpern in den Blutkonserven mit Hilfe von gereinigtem
Virus. Prof. G. Hunsmann, Göttingen, wies darauf hin, daß mit diesen
Testverfahren in nur etwa 95 Prozent gewährleistet ist, AIDS-infizierte Blutspender auszuschließen.
Durch die Reinigungsverfahren des
HIV-Virus, welches zum Nachweis
verwandt wird, löst sich ein Teil der
Glykoproteine von der Virusoberfläche ab. Hierdurch kommt es in etwa fünf Prozent zu falsch-negativen
Ergebnissen, das bedeutet: rund
fünf Prozent AIDS-infizierter Blutkonserven werden nicht entdeckt.
Hunsmann empfahl daher dringend,
zum Screening-Test für Blutspender
nur noch gentechnologisch hergestellte Tests zu verwenden.
Ein weiteres Problem: Antikörper bilden sich erst einige Wochen
bis Monate nach der Virusinfektion.
In dieser Phase sind die Virusträger
durchaus infektiös. Die Forschung
konzentriert sich daher darauf, das
Virus oder seine Bestandteile direkt
im Blut nachzuweisen. Schließlich
können gewisse Virusvarianten,
z. B. HIV-II mit dem verfügbaren
Antikörpertest nicht sicher nachgewiesen werden.
Dr. med. Wolfgang Meschede
A-1866
Sie freuen sich, die ersten drei Stipendiaten der Asche-Stiftung (v. 1. n. r.): Dr. Peter Malfertheiner, Ulm, Prof. Dr. Michael Manns, Mainz, Dr. Klaus-Dieter Palitzsch, Mannheim
Asche-Stiftung für die Gastroenterologie
Deutsche Forscher als Stipendiaten nach USA
Erstmals gab das Kuratorium
der „Forschungsstipendien der
Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten,
gestiftet von der Asche AG" anläßlich des Internistenkongresses 1987
in Wiesbaden die drei Stipendiaten
bekannt, deren Forschungsvorhaben
zu Pathogenese, Diagnostik oder
Therapie gastroenterologischer
Krankheiten mit 135 000 DM gefördert werden.
Ein Stipendium über zwölf Monate bei Prof. Sando Szabo im Pathologischen Institut des Brigham
and Women's Hospital in Boston erhielt Dr. Klaus-Dieter Palitzsch, II.
Medizinische Klinik des Klinikums
Mannheim, der sich mit der Therapie experimentell erzeugter Duodenalulzera durch Somatostatin-Analoga beschäftigt. Er konnte den
Nachweis erbringen, daß Somatostatin die Inzidenz von Ulcus ventriculi
und duodeni erheblich senkt und das
Ausmaß der Endothel-Läsionen reduziert. Diese vielversprechenden
Ergebnisse waren Anlaß, die Somatostatine weiter zu erforschen.
Klaus-Dieter Palitzsch möchte, wie
Prof. Dr. Werner Creutzfeldt, Göttingen, in seiner Laudatio erklärte,
seine Studien bei Prof. Szabo, der in
der Somatostatin-Forschung weltweit führend ist, erweitern.
Prof. Dr. Michael Manns, I.
Medizinische Klinik und Poliklinik
der Universtität Mainz, hat sich erfolgreich mit Autoantikörper-Antigen-Systemen bei chronisch-entzündlichen Leberkrankheiten befaßt. Diese Systeme liefern, wie
Prof. Dr. Wolfgang Gerok, Freiburg, in seiner Lobrede erläuterte,
wahrscheinlich einen Schlüssel für
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die Pathogenese der chronischen Leberentzündungen. Ein Sechs-Monate-Stipendium ermöglicht Prof.
Manns, im Laboratorium von F. V.
Chisari, Scripps Clinic and Research
Foundation in La Jolla/USA, Autoantigene der antinukleären Antikörper zu klonen und als Substrate in
serologischen Testsystemen oder zur
Untersuchung zellulärer Immunreaktionen einzusetzen.
Mit einem dreimonatigen Stipendium bei Prof. E. P. DiMagno
an der Mayo Clinic in Rochester bedachte das Kuratorium Privatdozent
Dr. Peter Malfertheiner, Gastroenterologe an der Universität Ulm, der
den „Zusammenhang zwischen interdigestiver gastrointestinaler Motilität und pankreatikobiliärer Sekretion" erforschen möchte. Die Zielsetzung dieser Arbeit trug in Wiesbaden Prof. Dr. Wolfgang F. Caspary, Frankfurt, vor. Geklärt werden
soll, ob das Duodenum die entscheidende Schaltstelle ist, welche Rolle
Motilin, pankreatisches Polypeptid
und vagovagale Reflexe spielen und
welche Kontrollfunktion das Pankreas auf die zyklische motorische
Aktivität von Magen und Dünndarm
ausübt.
Die überaus positive Resonanz
auf diese industrielle Stipendienstiftung begrüßte Dr. med. Hans-Joachim Herms, Vorstand der Asche
AG, Hamburg. Die drei Asche-Stipendien sollen auch in Zukunft jährlich zur Förderung der gastroenterologischen Forschung und des klinisch-wissenschaftlichen Nachwuchses in Zusammenarbeit mit der
Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten
vergeben werden. klü
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