Deutsches PDF - Stresemann Stiftung

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Diskussions-Papier
Die Diskussionspapiere der S T R E S E M A N N S T I F T U N G bereiten einerseits grundlegende Fakten auf und dienen so der Versachlichung gesellschaftlicher Debatten. Andererseits beziehen
die Autoren deutlich Stellung1 und setzen Impulse für die politische Diskussion.
---
Zusammenfassung: Seit vielen Jahren wird ein »Linkstrend« in
der deutschen Politik beklagt, sowohl das Parteiensystem betreffend, als auch die eigentlich konservativ ausgerichtete Union. Der
vorliegende Beitrag untersucht, warum Versuche einer dezidiert
freiheitlich-konservativen Politik innerhalb der etablierten bürgerlichen Parteien immer wieder scheitern und wie die Chancen
für eine solche Politik in einer neuen Partei rechts von der CDU
stehen.
André Freudenberg ist Politikwissenschaftler und Journalist. Er
beschäftigt sich seit Jahren wissenschaftlich und publizistisch mit
dem bürgerlichen Politikspektrum.
Letzte Veröffentlichung:
•
Freiheitlich-konservative Kleinparteien im wiedervereinigten
Deutschland, Leipzig 2009: Engelsdorfer Verlag, 382 S., 18€.
1 Die Beiträge geben die Meinung der Autoren wieder und müssen nicht mit
den Meinungen und Positionen der Stresemann Stiftung übereinstimmen
2
André Freudenberg – Rechts von der CDU?
Diskussions-Papier
E INLEITUNG
ben. Teil III widmet sich schließlich den konkreten Anforderungen zur Überwindung des festgestellten Repräsentationsdefizits.
Parteigründungen rechts von der Mitte sind zwar ein Dauerbrenner in Hinterzimmern und Internetforen, dass große Zeitungen
das Thema aufgreifen ist hingegen eher eine Ausnahmeerscheinung. Doch im Spätsommer 2010 war genau dies der Fall. Entscheidenden Anteil daran hatte die im Vorfeld stattgefundene
Debatte über das Buch Deutschland schafft sich ab des damaligen
Bundesbank-Vorstandsmitglieds Thilo Sarrazin. Kurz danach
zeigte eine repräsentative Umfrage, dass sich rund jeder fünfte
Befragte die Wahl einer neuen Partei, angeführt von Persönlichkeiten wie Thilo Sarrazin, Friedrich Merz oder Joachim Gauck,
vorstellen könnte (zitiert nach Spiegel 2010). Die schon länger
grassierende und stetig wachsende Unzufriedenheit der Konservativen in der Union rückte kurze Zeit darauf so stark in den
Blickpunkt des medialen Interesses, wie selten zuvor. Angeheizt
wurde dies zusätzlich durch die Ankündigung von Erika Steinbach im September 2010, den CDU-Bundesvorstand zu verlassen.
Gleichzeitig können wir sehen, dass alle bisherigen Parteigründungen des im weitesten Sinne bürgerlichen Lagers bislang gescheitert sind. Dies liegt zum einen an intrinsischen Problemen,
aber auch am deutschen Parteiensystem. Im Folgenden sollen
deshalb die real vorhandenen Handlungsoptionen von dezidiert
freiheitlich und christlich orientierten Konservativen analysiert
und daraus Schlussfolgerungen gezogen werden.
Dafür geht es in Teil I zunächst darum, die Möglichkeiten innerhalb der CDU auszuloten. Im zweiten Teil wird sowohl das deutsche Parteiensystem auf seine diesbezüglichen Defizite hin untersucht, als auch ein internationaler wie historischer Rahmen gege-
3
Zahlenmäßig fallen vor dabei allem diejenigen ins Gewicht, die
der Union als Mitglieder und Wähler bisher die Treue gehalten
haben.2 Nicht unberücksichtigt sollen jene Mitglieder anderer
(etablierter) Parteien bleiben, die sich in einer ähnlichen
»Zwangslage« befinden: Hier wären die Nationalliberalen in der
FDP zu nennen, ebenso wie jene Sozialdemokraten, die ähnlich
denken und empfinden wie Sarrazin und in ihrer Partei oft keinen leichten Stand haben. Auch auf sie treffen die hier dargelegten Sachverhalte in vergleichbarer Form zu.
Nicht zuletzt geht es um die vielen »Ehemaligen«, die sich aus
einer (etablierten) Partei zurückgezogen haben. Auch die ehemaligen Mitglieder konservativer Kleinparteien, deren Rückzugsgründe anderer Natur sind, wären zu berücksichtigen. Schließlich
kommen noch jene dazu, die gar nicht erst in eine Partei eingetreten sind, weil das für sie passende Angebot nicht vorhanden war.
Diese vielen oft unfreiwillig »Inaktiven« bilden zahlenmäßig
ebenfalls ein beachtliches Potential für eine neue Partei.3
2 Wenn in den folgenden Ausführungen vorrangig von der CDU die Rede ist,
bezieht sich dies auf die quantitative Relevanz. Die CSU ist in der Regel mit
gemeint, da die dortigen Verhältnisse sich nicht mehr gravierend von jenen in
der CDU unterscheiden.
3 Quantitativ überschätzen sollte man allerdings nicht das Lager der »parteiverdrossenen Nichtwähler«, denn aktuelle Studien zeigen, dass diese sich relativ
gleich über das politische Spektrum verteilen. Demzufolge würden sich bei
Mobilisierung nur die absoluten Stimmen ändern, nicht aber die prozentualen
Stimmanteile (Neu 2012).
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André Freudenberg – Rechts von der CDU?
T EIL I: D IE S ITUATION DES
F LÜGELS VON U N ION UND FDP
Diskussions-Papier
RECHTEN
Die Union verstand sich von jeher als natürliche Heimat für
Konservative und die allermeisten der politisch Aktiven von
ihnen stehen ihr in der Tat auch nahe. Viele engagieren sich dort
nach wie vor, auch wenn die als »Linkstrend« diagnostizierte
Vernachlässigung und Preisgabe nationalkonservativer und
rechtsliberaler Positionen und eine damit verbundene latente
Unzufriedenheit schon lange vor der »Ära Merkel« festzustellen
waren.4 Freilich hat die »Kombination von wirtschaftspolitischem
und gesellschaftspolitischem Liberalismus« (Institut für Staatspolitik 2005: 36) unter ihr eine neue Qualität erreicht; und analog
dazu wuchs die Unzufriedenheit unter Basismitgliedern und
Wählern rasant. Wie darauf zu reagieren ist, darüber herrscht
allerdings weitgehend Uneinigkeit.
Für jene Konservativen, die die Union als »politische Heimat«
betrachten, mit der sie identitär verwachsen sind, käme ein Parteiaustritt fast einem Sakrileg gleich. Sie sind abzugrenzen von
jenen, die ihre Mitgliedschaft pragmatischer betrachten und
grundsätzlich einen Parteiwechsel vollziehen würden, sofern ein
passendes Alternativangebot vorhanden wäre. Ein kleiner Teil –
hierbei handelt es sich schätzungsweise um einige zehntausend
Personen – hat der Union bereits den Rücken gekehrt. Mangels
passender Alternativen scheuen aber viele diesen Schritt und
hoffen insgeheim auf eine »Kehrtwende«. Allerdings befinden sie
sich in einem kaum lösbaren Dilemma, welches im Folgenden
näher erläutert werden soll.
Selbst in linksliberalen Kreisen wird kaum noch in Zweifel gezogen, dass die Stellung der Konservativen innerhalb der Union
alles andere als befriedigend ist. Werner Münch, ehemaliger Ministerpräsident Sachsen-Anhalts und einer der wenigen bekannteren Politiker, der die CDU verlassen hat, schrieb im katholischen
Komma-Magazin, »wertbewußte, treue Anhänger werden vergrault,
kluge und fähige Köpfe werden isoliert und als Konkurrenten
entmachtet. […] Jede konstruktive Kritik an der Union wird von
ihren Amtsträgern als unsinnig abgebügelt.« Auch in wesentlichen Sachfragen habe die Union ihr konservatives Profil verloren, u.a. beim Schutz des ungeborenen Lebens, bei Ehe und
Familie sowie bei Integrationspolitik und Islamisierung (Münch
2010). Schuld daran sind nicht nur äußere Einflüsse, sondern
auch eine »Mentalität«,5 welche es den politischen Gegnern leicht
macht, die Union aus der »Mitte« oder von links in die Defensive
zu treiben.
Diejenigen, die Münchs Analyse voll und ganz beipflichten, aber
im Gegensatz zu ihm der CDU weiter die Treue halten, müssen
demzufolge faktisch Personal verteidigen, deren programmatische Positionen sie kaum noch teilen. Das führt zu einem schwer
lösbaren Loyalitätskonflikt, der besonders bei Wahlkämpfen zum
Tragen kommt.
4 So beklagte schon Heinrich Hellwege, langjähriger Vorsitzender der Deutschen
Partei und Minister unter Adenauer, bereits 1979, dass »in der CDU mehr nach
links von der Mitte geschielt [werde], nach Wählern, die der CDU nur Mißoder Verachtung entgegenbrächten« (Zitiert nach: Hannoversche Allgemeine
Zeitung: 1979). Nur wenige Jahre später vermissten zahlreiche Konservative die
Umsetzung der von Bundeskanzler Helmut Kohl versprochenen »geistigmoralischen Wende«. Zur Entfernung der offiziellen CDU-Politik von den
Vorstellungen der Konservativen Anfang der neunziger Jahre siehe Greve
(1993).
5 Hierauf machte zum Beispiel der letzte DDR-Innenminister Peter-Michael
Diestel aufmerksam: »Meiner Meinung nach gibt es genug Konservative in der
Union, die sich aber […] aus den politischen Debatten in der Partei heraushalten. Wir Konservative sind leider nicht laut genug, wir machen zu wenig Krach.
Wir haben viele bürgerliche Ausreden dafür.« (Zuerst 2010b)
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André Freudenberg – Rechts von der CDU?
Diskussions-Papier
An den Aktivitäten der Initiative Linkstrend stoppen, einer konservativen Basisinitiative, die das Ziel verfolgt, entsprechenden Positionen innerhalb der Partei wieder mehr Gewicht zu verleihen,
lässt sich das gut demonstrieren: Deren Aktivisten führten im
Herbst 2010 eine Reihe von Protestaktionen durch. Doch dieser
konservative Aufbruch wird, allen bisherigen Erfahrungen nach
zu urteilen, nicht von Dauer sein. Die Gründe liegen zum einen
darin, dass es vermutlich einige taktisch motivierte Zugeständnisse, vielleicht sogar ein Gespräch mit »Mutti« geben wird. Viele
wähnen sich dann vermutlich bereits am Ziel ihrer Bemühungen.
Der übrige Protest wird spätestens verstummen, sobald wieder
Wahlen ins Haus stehen und man innerparteiliche Geschlossenheit – sprich Loyalität – demonstrieren muss. Das aber weiß die
CDU-Führung und wird daher auch keine großen Anstalten machen, den Kritikern entsprechend weit entgegenzukommen.
nen ein gewisser Gestaltungsspielraum bleibt. Ein offensiver
Konservatismus innerhalb dieser Strukturen ist von Politikern,
die etwas zu verlieren haben, nicht zu erwarten. Folglich können
sie auch kaum etwas dazu beitragen, das »Nischendasein« der
Konservativen insgesamt zu überwinden.
Dieser Loyalitätskonflikt führt erfahrungsgemäß bei den meisten
schlichtweg dazu, dass sie sich mit kontroversen Meinungsäußerungen zurückhalten. Mitunter gibt es sogar die Tendenz, auf
eine dezidiert »rechte« Kritik an Kanzlerin und CDU-Führung zu
verzichten6 oder sogar als illegitim zu erachten.7 Eine offensive
und konsequente »Opposition« ist folglich nur durch Personen
oder Gruppierungen außerhalb bzw. rechts von der Union möglich. Innerhalb der Partei verhalten sich die Konservativen in der
Regel »defensiv«. Sie verteidigen ihre kleine »Nische«, in der ih-
Im linken Lager wundert man sich wohl permanent, warum die
Konservativen so selten öffentlich protestieren und für ihre Anliegen auf die Straße gehen. Es gibt mehrere Gründe dafür: Zum
einen hat es mit Angst vor möglichen Konsequenzen zu tun.
Immer wieder musste man mit ansehen, wie jene, die sich zu weit
aus dem Fenster gelehnt hatten – vor allem bei Themen mit geschichtspolitischem Bezug oder im Hinblick auf Islamisierung
und Zuwanderung – Opfer perfider Medienkampagnen wurden.
Statt die Angegriffenen in Schutz zu nehmen, wurden sie auch
noch innerparteilich isoliert und liefen Gefahr, »abgestraft« zu
werden.8 So ist auch die Distanz zu erklären, die von derzeit
aktiven Landtags- und Bundestagsabgeordneten der Initiative
Linkstrend stoppen entgegengebracht wird (Zuerst 2010).
Hinzu kommt das erwähnte Mentalitätsproblem, das insbesondere durch bürgerliche Behäbigkeit, durch ein zu schnelles »Abfinden« mit den gesellschaftlichen Verhältnissen gekennzeichnet ist
(Citizen Times 2012b). Es besteht die Tendenz, sich stärker auf
Beruf und Familie zu konzentrieren, statt der Aufforderung Arnulf Barings Folge zu leisten, »auf die Barrikaden zu gehen« (Poller 1998). Stattdessen wird lediglich in »Bittsteller-Manier« in
Z.B. Wolfgang Bosbach (Die Zeit 2012).
Ein Beispiel eines defensiven Konservativen, der glaubt, Merkel vor »rechter«
Kritik verteidigen zu müssen, ist der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler. Einem Merkel-kritischen Interviewer gab er folgende Antwort: »Mir geht
die Art, wie Sie diese Frau kritisieren, auf die Nerven – Ihnen paßt ja überhaupt
nichts. Wir sollten uns als Rechte bei der Bewertung der wichtigsten Persönlichkeiten des Staates nicht so verhalten, wie es früher die Linken getan haben:
immer nur auf der Suche nach dem wunden Punkt. Das hat etwas Verächtliches.« (Junge Freiheit 2009c).
8 Eine solche Abstrafung kann bis hin zum Fraktions- oder Parteiausschluss
reichen. Aber auch geschlossene Distanzierungen der eigenen Landtagsfraktion
(wie z. B. im Falle Saskia Ludwigs 2012 wegen eines Gastbeitrages in der Jungen
Freiheit oder Hans-Jürgen Irmer aufgrund seiner Islamismus-Kritik im April
2010) oder mangelnde Unterstützung (wie z. B. bei Erika Steinbach) zeigen die
Grenzen eines offensiven Konservatismus auf. Siehe auch die Bsp. im Anhang.
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André Freudenberg – Rechts von der CDU?
Diskussions-Papier
regelmäßig wiederkehrenden Abständen die Beachtung der eigenen Werte und Positionen eingefordert.
spruch erhalten. Aber wenn die Vorgänge von den Medien aufgegriffen werden, kommt es zu ersten Absetzbewegungen. Zumindest aber dringen die Anliegen nicht auf höhere Parteiebenen
vor, denn spätestens dort stoßen sie auf Ablehnung und werden
sie abgeblockt, oft verbunden mit negativen Folgen für die Akteure.10
Anstatt selbstbewusst seine Rechte einzufordern, ist man froh
und dankbar über ein paar Millimeter Entgegenkommen. Eine
solche Demutshaltung findet sich selbst beim Vorsitzenden von
Linkstrend stoppen, Friedrich-Wilhelm Siebeke, dem schon die
Wahrnehmung seiner Initiative bei der CDU-Spitze ausreicht
(Junge Freiheit 2010b). Ein weiteres Problem ist, dass auf Distanzierungsforderungen seitens der Parteispitze sehr schnell eingegangen wird. Sanfter Druck reicht da meist schon aus.9
Wie wenig ein offensiver Konservatismus in der Union geduldet
wird, insbesondere wenn er sich organisatorisch vernetzt, mussten seinerzeit schon die Akteure des Christlich-Konservativen
Deutschlandforums (CKDF) erfahren. Weder wurden der Initiative
Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt – die Gründungsversammlung musste schließlich auf einem Bonner Rheinschiff stattfinden – noch gab es, im Gegensatz zum Deutsch-Türkischen Forum, eine Anerkennung als offizielle CDU-Vereinigung auf Bundesebene. Prominentere Christdemokraten, wie der damalige
baden-württembergische Finanzminister Gerhard MayerVorfelder, gaben dem Wunsch der Parteispitze nach und gingen
auf Distanz zu der Vereinigung (Freitag 2004).
Auf Orts- und Kreisverbandsebene hat es durchaus inhaltliche
Vorstöße von konservativer Seite gegeben und dort auch Zu-
Ein etwas länger zurückliegendes, aber eindrucksvolles Beispiel: Der frühere
CDU-Bundestagsabgeordnete Alfred Dregger sagte 1995 die Teilnahme als
Festredner auf einer Veranstaltung ab, die sich gegen eine einseitige Fixierung
auf den Aspekt der »Befreiung« hinsichtlich des Kriegsendes 1945 wandte.
Dregger wurde von der CDU-Spitze zu dieser Entscheidung gedrängt, weil
Manfred Brunner (als Vorsitzender des Bundes Freier Bürger von der CDU als
unliebsame Konkurrenz betrachtet) die Veranstaltung moderieren sollte.
Auch wenn die Legitimität eines konservativen Flügels innerhalb
der Union also an sich nicht infrage gestellt wird, bedeutet dies
keineswegs, dass von einer gleichberechtigten Mitwirkung die
Rede sein kann. Das kommt mittlerweile auch im CDUGrundsatzprogramm (2007) zum Ausdruck, wo zwar von einer
»christlich-sozialen« und einer »liberalen«, jedoch nicht von einer
»konservativen«, sondern allenfalls einer »wertkonservativen
Strömung«11 die Rede ist. Ein dezidiert konservativer Kurs wäre
auch deswegen innerparteilich nicht durchsetzbar, weil die Funktionärsschicht, gegen die keine Politik gemacht werden kann,
»hoch gebildet, städtisch, selbstständig« ist, im Gegensatz zum
CDU-Wähler, der in der Regel »männlich, patriarchalisch, mittelständisch und provinziell« ist (Lau 2005).
Auch wenn CDU-Konservative permanent erleben müssen, wie
wenig auf ihre Anliegen eingegangen wird und sie lediglich eine
»Alibifunktion« wahrnehmen sollen, sehen die meisten von ihnen
– zumindest öffentlich – eine parteipolitische Neugründung alternativ zur CDU/CSU unter rein negativem Vorzeichen. Sie
betrachten eine solche Entwicklung als »Gefahr« (Wolfgang
Ockenfels) oder als »überflüssig« (Norbert Geis), oft verbunden
9
9
Der Lesbarkeit halber sind die Beispiele im Anhang aufgeführt.
Das Präfix »wert-« stammt vom SPD-Politiker Erhard Eppler, der diesen
Konservatismus im Gegensatz zum »rechten Strukturkonservatismus« als
unterstützenswert ansieht. Die Übernahme des Begriffs in das Grundsatzprogramm ist nach Auffassung von Weißmann (2000) ein Beleg für die Linksverschiebung in der CDU.
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André Freudenberg – Rechts von der CDU?
Diskussions-Papier
mit der Hoffnung, dass eine solche Partei nicht entsteht (HansPeter Uhl).
T EIL II: L EGITIMITÄT UND C HANCEN EINER P ARTEI DES FREIHEITLICHEN K ON-
Schwer nachzuvollziehen sind diese Argumente auch deswegen,
weil sie etwas ablehnen, das programmatisch wesentlich eher
ihren politischen Vorstellungen entspräche, als das, was in der
Funktionärsschicht von Union und FDP derzeit »Mainstream«
ist. Diese Nibelungentreue ist nicht nur dem allgegenwärtigen
Stigmatisierungsdruck geschuldet, sondern hat auch mit einem
tief verwurzelten strukturkonservativen Denken zu tun, welches
den Alleinvertretungsanspruch der CDU verinnerlicht hat und
das bestehende Parteiensystem als »alternativlos« betrachtet. Die
logische Folge wäre im Falle eines Austrittes oder Ausschlusses
aus der Union der Rückzug aus der Politik.12
SERVATISMUS
Symmetrie und Ausgewogenheit des Parteisystems als
demokratieadäquater »Normalzustand«
Ein funktionierter und freier Wettbewerb gilt als Wesenselement
der Marktwirtschaft und die Politik trägt zu dessen Sicherung mit
Hilfe von Kartellgesetzgebung und Regulierungsbehörden entscheidend bei. Ziel ist eine möglichst große Produktvielfalt für
den Kunden unter Wahrung von Preisstabilität, so dass jedermann das passende und günstigste Angebot für sich findet. Monopolisierung und Kartellbildung verhindern indes diesen Wettbewerb und werden deshalb staatlicherseits bekämpft.
In der Politik ergibt sich aus dem Prinzip der Volkssouveränität
(Art. 20, Abs. 2 GG), welche Bestandteil des Demokratieprinzips
ist und zu den Staatsformmerkmalen der Bundesrepublik
Deutschland zählt, dass ein freier politischer Wettbewerb gewährleistet sein muss und der Wähler eine möglichst große und
damit auch passende Auswahl an politischen Angeboten vorfindet. Nur auf diese Weise kann das Volk an der politischen Willensbildung in ausreichendem Maße partizipieren. Um es politisch handlungsfähig zu machen, benötigt es wiederum Parteien.
Gegen ein Verbleib von Konservativen in der CDU ist prinzipiell nichts
einzuwenden. Doch stellt sich die Frage, ob dieses Engagement aus Überzeugung erfolgt oder lediglich eine Art »Notlösung« darstellt, die im Vergleich zu
möglichen Alternativen (z.B. dem Einbringen in eine chancenlose Kleinpartei
oder gänzlicher Rückzug) rationaler und zielführender erscheinen mag.
12
11
Daraus ergibt sich die Forderung an den Staat und an bereits
etablierte Parteien, nicht nur die Gründung, sondern auch die
Entwicklung und Etablierung neuer Parteien nicht unnötig (z.B.
mittels restriktiver Wahlgesetze, Abwerbung von Personal etc.)
zu erschweren.13. Genau dies passiert aber hierzulande in besorgniserregender Weise. Man findet in der Bundesrepublik eine aus13
Ausführlich dazu: Köhler (2006); Freudenberg (2009: 291ff.).
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André Freudenberg – Rechts von der CDU?
Diskussions-Papier
geprägte »Kartellbildung« vor, mit entsprechenden Abschottungstendenzen der »politischen Klasse« vor unerwünschter
Konkurrenz. Auch durch den politischen Missbrauch des Verfassungsschutzes wird das Aufkommen von als »illegitim« eingestufter Konkurrenz präventiv erschwert (Knütter/Winckler 2000).
Beispielsweise konnten auf diese Weise Polizisten und Beamte
von einer Mitgliedschaft bei den Republikanern mittels Androhung
von Disziplinarverfahren abgehalten und die Partei dadurch entscheidend geschwächt werden.
Dieser Anspruch selbst und die daraus resultierende Bekämpfung
entsprechender Vorstöße scheinen aber konträr zu den o.g. Verfassungsprinzipien der Volkssouveränität, des Demokratieprinzips und des daraus resultierenden Prinzips des freien politischen
Wettbewerbs zu stehen. Es handelt sich letztlich um ein ideologisches Konstrukt, mit dem unausgesprochen das Ziel verfolgt
wird, konservative Einflüsse, die fälschlicherweise als »Gefahr«
betrachtet werden, zurückzudrängen und zu neutralisieren.14
Die adversen Rahmenbedingungen, mit denen Kleinparteien in
Deutschland generell konfrontiert sind (Boom 1999), treffen in
besonderer Weise jene, die sich rechts von der Mitte verorten.
Denn hier kommt die von der »politisch-medialen Klasse« betriebene Vermischung von rechts, rechtsextrem und neonazistisch besonders zum Tragen (Klonovsky 2010). Gäbe es diesen
Stigmatisierungsdruck nicht oder zumindest nicht in diesem
Ausmaß, hätte sich höchstwahrscheinlich schon längst eine Partei
rechts der Union (z.B. die Republikaner) etabliert oder es wäre –
analog zur WASG – zu einer erfolgreichen Abspaltung von Teilen des konservativen Unionsflügels gekommen.
CDU und CSU akzeptieren prinzipiell zwar die Legitimität einer
demokratischen Rechten, sprechen ihr aber faktisch das Recht
ab, sich parteipolitisch eigenständig (also unabhängig von ihr) zu
organisieren. Dies kommt insbesondere im als »Strauß-Doktrin«
bezeichneten Grundsatz zum Ausdruck, dass es rechts von der
Union keine demokratisch legitimierte Partei geben dürfe. Daraus
leitet sich ein »Alleinvertretungsanspruch« auf Teile der Mitte
und insbesondere auf die demokratische Rechte ab, der bis heute
vertreten wird (z.B. durch Stanislaw Tillich, vgl. Preußische Allgemeine Zeitung 2010).
13
Sobald Konservative versuchen, sich außerhalb der Partei zu
organisieren, macht die CDU ihren Alleinvertretungsanspruch
geltend und bekämpft den entsprechenden Versuch. Aber auch
wenn Konservative innerparteilich eigenständige organisatorische
Strukturen aufzubauen versuchen, werden ihnen die Akzeptanzgrenzen sehr schnell deutlich gemacht. Der Umgang der Parteispitze mit dem Christlich-Konservativen Deutschland-Forum (CKDF)
ist hierfür symptomatisch. Auch neuerlichen Versuchen, dem
Berliner Kreis feste organisatorische Strukturen zu geben, steht die
Parteispitze ablehnend gegenüber (Müller 2012) und drohte Interessenten unverhohlen damit, im Falle eines weiteres Engagement in dieser Vereinigung deren CDU-Karriere zu verbauen
(Alexander 2012).15 Dass bekennende Konservative personell
kaum noch im Bundesvorstand vertreten sind, ist nur eine sehr
offenkundige Folge all dieser schwierigen Begleitumstände.
Nicht wesentlich anders sieht es bei der FDP aus: Als in den
1990er Jahren die »Gefahr« einer »Übernahme« des Berliner
FDP-Landesverbandes durch nationalliberale Kräfte bestand,
übte die Bundesspitze massiven Druck aus, der so weit ging, dass
Zu den Delegitimierungsstrategien vgl. Freudenberg (2010: 254ff.).
Hinzu kommt die nicht zu unterschätzende Problematik, dass die Akteure
innerhalb des Berliner Kreis offensichtlich nicht in der Lage sind, sich auf eine
grundlegende Strategie zu einigen, weswegen ein im Sommer 2012 angekündigtes gemeinsames Thesen-Papier nicht veröffentlicht wurde.
14
15
14
André Freudenberg – Rechts von der CDU?
Diskussions-Papier
gar mit einer »Abspaltung« des Berliner Verbandes im Falle der
Wahl des nationalliberalen Kandidaten Alexander von Stahl gedroht wurde. Der Ablauf des Mitgliederentscheides zur Eurorettung im Jahre 2011 spricht ebenfalls Bände.
schen Landeskirche (SELK) angeschlossen. Wie wäre es um die
Kirchenlandschaft bestellt, wenn es diese Alternativangebote
nicht gäbe? Was wäre, wenn die EKD einen Alleinvertretungsanspruch auf alle evangelischen Christen erheben würde? Kaum
jemand betrachtet die Freikirchen pauschal als Gefahr, auch
wenn es dort vereinzelt problematische Tendenzen geben mag.
Im Prinzip verhalten sich FDP- und Unionsführung – ökonomisch betrachtet – wie ein Monopolist, der weiß, dass der Kunde
auf sein Produkt dringend angewiesen ist. Im Folgenden sollen
einige Vergleiche verdeutlichen, wo hingegen überall Alleinvertretungsansprüche und Monopole zugunsten von mehr Pluralität
verschwunden sind und welche positiven Folgen dies zeitigte.
Parteienspektrum links von der Mitte
Kaum ein linksorientierter Wähler muss der Wahl mangels erfolgversprechender Angebote fernbleiben. Man stelle sich einmal
vor, es erginge eine Aufforderung an Mitglieder der Linkspartei,
sofort in die SPD einzutreten. Gleichzeitig würden alle Strukturen, die links von SPD vorhanden sind, für illegitim erklärt. Keiner käme auf eine solche Idee, seitens der Linken würde man dies
sofort empört zurückweisen. Die SPD kommt, obwohl sie auch
durchaus Wähler an Die Linke verloren hat, nicht auf den Gedanken, einen wie auch immer gearteten Alleinvertretungsanspruch zu erheben, nur weil es vielleicht auch in der SPD eine
dezidiert linke Strömung gibt.
Struktur des deutschen Protestantismus
Viele theologisch konservative (evangelikale) Christen beklagen
eine zunehmende Politisierung und Entfernung der Evangelischen Landeskirche von der biblischen Lehre und dem Hauptanliegen, Gottes Wort zu predigen. Nicht wenige bleiben trotzdem
weiter dort aktiv, aber etliche haben sich auch den theologisch
meist bibeltreu(er)en Freikirchen bzw. der Selbständigen Evangeli15
Printmedien der Bundesrepublik
Im Gegensatz zur Parteienlandschaft ist hier eine Ausdifferenzierung in bescheidenem Umfang bereits gelungen. Gerade rechtskonservativ orientierte Leser sind überaus dankbar, dass sie nicht
nur die FAZ als Lektüre haben, in der gelegentlich ihre Meinung
vorkommt, sondern eben auch Periodika wie die Junge Freiheit, die
ihnen generell »aus der Seele sprechen« und dezidiert ihre Anliegen aufgreifen.
Diese Beispiele sollten ausreichend verdeutlicht haben, wie absurd es ist, einen »Alleinvertretungsanspruch« für sich zu reklamieren. Pluralität und Vielfalt sollen überall herrschen, nur Konservativen und Nationalliberalen will man dies nicht zugestehen.
Man beschwört statt dessen eine vermeintliche Stabilität, die z.B.
dann in Gefahr sei, wenn es neben der CDU noch eine konservative Partei gäbe (Baring et al. 2000).
Parteiensysteme anderer europäischer Länder
Um ein ausdifferenziertes und vollständiges Parteiensystem mit
einigermaßen fairen Rahmenbedingungen zu finden, die ein hohes Maß an Partizipation und Repräsentation sicherstellen, reicht
schon der Blick in unsere europäischen Nachbarländer, was nicht
zuletzt auch in der Zusammensetzung des Europäischen Parlaments seinen Ausdruck findet.
16
André Freudenberg – Rechts von der CDU?
Diskussions-Papier
In Österreich gibt es rechts von der Mitte sogar zwei Parteien,
die zusammen mehr als ein Viertel der Wählerstimmen auf sich
vereinigen (Abb. 1).
onalen Parlamenten nicht nur vertreten, sondern meist auch als
normale politische Mitspieler anerkannt. Insofern hat der österreichische Politikwissenschaftler Lothar Höbelt recht, wenn er
die Struktur des derzeitigen deutschen Parteiensystems als »politische Anomalie« (Junge Freiheit 2009b) bezeichnet.
Abb. 1: Österreich: Nationalratswahl 2008
Grüne
0%
20%
SPÖ
ÖVP
40%
BZÖ
60%
Parteiensystem der frühen Bundesrepublik und in der
DDR nach der ersten freien Wahl
FPÖ
80%
100%
In den Niederlanden gibt es zwar ähnlich wie in der Bundesr
Bundesrepublik zwei Gruppierungen, die links von den Sozialdemokraten
stehen, dem entspricht
cht jedoch eine prozentual etwa gleich starke
Kraft im rechten Lager, so dass von einer »Asymmetrie
Asymmetrie« des
Parteiensystems keineswegs gesprochen werden kann (Abb
(Abb. 2).
Abb. 2: Niederlande: Wahl zur zweiten Kammer
2010 und 2012
SP (Linke)
GL (Grüne)
PvdA (Sozialdemokraten)
D66 (Linksliberale)
VVD (Liberale)
CDA (Christdemokraten)
CU (Orthodoxe Christen)
PVV (Rechtsliberale)
2012
2010
0%
20%
40%
60%
80%
100%
In fast allen europäischen Ländern sind Parteien, die als rechtsl
rechtsliberal oder »rechtspopulistisch« beschrieben werden, in den nat
nati17
Doch nicht nur unsere ausländischen Nachbarn zeigen, dass es in
der heutigen Bundesrepublik erhebliche Demokratiedefizite gibt.
Auch ein Blick in andere Epochen der deutschen Geschichte
bestätigt Höbelts These. Sogar in der Nach-Wende-DDR finden
wir ein Parteiensystem vor, in dem die Konservativen eigenständig parteipolitisch repräsentiert und sogar an der Regierung beteiligt waren. Das Gleiche gilt für die Weimarer Republik, das Kaiserreich sowie die Frühphase der Bundesrepublik.
Auch wenn eine konservative Parteineugründung aufgrund der
Diskreditierung der entsprechenden Eliten durch den Nationalsozialismus nicht möglich war, gab es in den 1950er Jahren erstaunlicherweise gleich zwei Parteien, die rechts von der
CDU/CSU standen, die konservative Deutsche Partei und der Gesamtdeutsche Bund/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten
(GB/BHE). Und obwohl sie in den 1960er Jahren nicht mehr im
Bundestag vertreten waren, so war doch immerhin die FDP noch
eine stark nationalliberal geprägte Partei und mit Erich Mende
ein Rechtsliberaler von 1960-68 ihr Bundesvorsitzender. Bezeichnenderweise begannen Ende der sechziger Jahre die ersten
Versuche des Aufbaus einer neuen konservativ-rechtsliberalen
Kraft, nachdem die FDP infolge der sozialliberalen Koalition
nach links gerückt war, ein wichtiges Indiz für das seither bestehende Vakuum rechts von der Mitte.
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André Freudenberg – Rechts von der CDU?
Diskussions-Papier
Auch nach
ach der ersten freien Wahl in der DDR hatte sich eine
Zusammensetzung des Parlaments herausgebildet, die sich im
Vergleich zur heutigen Bundesrepublik nicht nur dadurch unte
unterschied, dass die CDU (40,8%) und die damalige PDS (16,4%)
einen deutlich höheren Mandatsanteil hatten, sondern da
dass es –
ähnlich wie in der frühen Bundesrepublik – mit der DSU (6,3%)
auch eine Kraft rechts der CDU gab. Somit war das Parlament
»‚bürgerlicher‘, weniger 68er-lastig und auch
uch ausgewogener als
das in der Bundesrepublik.« (Freudenberg 2010).
in den Bundestag einziehen würde. Da hilft auch der Zuwachs
für die CDU kaum etwas.
Parteiensystem der BRD heute
Inn der heutigen Bundesrepublik sind diese hehren Maximen aber
nur im linken politischen Lager und in der Mitte verwirklicht
verwirklicht.
Dies führt zu einer Zusammensetzung des Bundestages, deren
Asymmetrie klar zum Vorschein kommt (Abbildung 3).
Abb. 3: Bundestagswahl 2009 und Sonntagsfrage
Sept. 2012
Die Linke
Grüne
Piraten
SPD
FDP
CDU
2012
2009
0%
20%
40%
60%
80%
100%
Die hier aufgeführte Sonntagsfrage (Emnidd 16.09.2012) würde
diesen Trend sogar noch verstärken, da die FDP an der Fünfpr
Fünfprozenthürde scheitern und mit den Piraten eine weitere linke Partei
19
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André Freudenberg – Rechts von der CDU?
Diskussions-Papier
T EIL III: Ü BERWINDUNG DES P ARTIZIPATIONS - UND R EPRÄSENTATIONSDEF IZITS
gezwungen sind, eine Partei zu wählen, die ihnen lediglich als
»kleineres Übel« erscheint, oder der Wahl eben ganz fernbleiben
müssen. Bereits im Oktober 2001 wünschten sich laut einer Umfrage 48 Prozent der Deutschen eine bundesweite politische
Kraft, die programmatisch eine ähnliche Ausrichtung hätte, wie
die zu dieser Zeit in Hamburg mitregierende Schill-Partei (Infratest dimap 2001).
Damit sich auch hierzulande rechts von der Mitte eine seriöse,
freiheitlich-konservative demokratische Kraft etablieren kann,
müssten vor allem die Rahmenbedingungen günstiger gestaltet
werden. Hierzu zählen u.a.:
•
Eine Wahlrechtsreform, z.B. Senkung der Sperrklausel
auf vier Prozent wie in Österreich;
•
mehr Fairness in der medialen Berichterstattung, d.h.
ähnlich objektiv und umfassend, wie dies bei allen bereits etablierten Parteien der Fall ist;
•
Aufgabe des Alleinvertretungsanspruchs der CDU/CSU
auf die demokratische Rechte.
Auf diese Weise würde in Deutschland ein Sechs- bzw. SiebenParteien-System entstehen und es gäbe mehr Partizipationsmöglichkeiten für den Wähler. Alle im Volk vorhandenen politischen
Auffassungen wären auch parteipolitisch angemessen vertreten.
Mehr Demokratie und mehr Verwirklichung von Volkssouveränität hieße das Ergebnis. Die politische »Balance« könnte auf
diese Weise wiederhergestellt werden und zu einem ausgewogenen Parteiensystem führen, welches nach Auffassung von Ernst
Nolte eine gemäßigte und radikale Linke, eine ebensolche Rechte
und eine starke Mitte haben müsse, die sich gegenseitig im
Gleichgewicht hielten. Ein Erfolg der ideologischen Bürgerkriegsparteien würde so verhindert (Nolte 1995).
Nicht zuletzt aufgrund dessen, dass ein solches Angebot fehlt,
kommt es zu solchen »Merkwürdigkeiten«, dass 27 Prozent der
Linksparteiwähler eigentlich lieber für eine Partei rechts von der
Mitte votiert hätten, aber eben faktisch genau jenen ihre Stimme
geben, die diesen politischen Ansatz am heftigsten bekämpfen.16
Das Gleiche gilt natürlich auch für höhere Stufen der Beteiligung,
also der aktiven Mitgliedschaft in Parteien und die Erringung von
Mandaten und Ämtern. Es gibt in der Bundesrepublik Deutschland schätzungsweise mehrere zehntausend Menschen, die von
dieser Art politischer Mitwirkung faktisch ausgeschlossen sind.
Faktisch bezieht sich auf den Umstand, dass diese Personen theoretisch in die etablierten bürgerlichen Parteien oder in eine konservative Kleinpartei eintreten könnten. Die Gründe, dass dies
für einen Großteil keine Alternativen (mehr) sind, wurden in
Bezug auf CDU/CSU- und FDP-Mitglieder bereits ansatzweise
dargelegt. Die derzeit vorhandenen Optionen werden von der
großen Mehrheit nicht als solche wahrgenommen. Wer sich dennoch in einer Kleinpartei engagiert, wird meist durch anhaltende
Erfolglosigkeit und interne Querelen zermürbt und gibt nach
Den eingangs zitierten Umfragewerten zufolge gibt es in der
Bundesrepublik mindestens sechs Millionen Wähler, die aufgrund
des Nichtvorhandenseins eines attraktiven Angebotes entweder
Laut einer Emnid-Umfrage sprechen sich z.B. 85% der Wähler der Linkspartei für eine automatische Abschiebung krimineller Ausländer aus, so wie sie in
der Schweiz praktiziert wird (Junge Freiheit 2010d). Da Die Linke stattdessen
alles unternimmt, um dies zu verhindern, bekommt der überwiegende Teil der
Wählerschaft genau das Gegenteil von dem, was er sich in diesem Falle politisch wünscht und verhält sich im Grunde irrational.
21
22
16
André Freudenberg – Rechts von der CDU?
Diskussions-Papier
einiger Zeit auf. So sind die allermeisten zum politischen Nichtstun verurteilt und befinden sich unfreiwillig im politischen »Wartestand«.
Für all diese »Optionen« gibt es mehr oder weniger bekannte
Fälle: Der komplette Rückzug aus der Politik (z.B. Markus Roscher, Ex-CDU, Ex-FDP) oder ein »Weitermachen« im Rahmen
einer Kleinpartei oder Bürgerbewegung (bspw. Markus Wagner,
Ex-CDU, dann Partei Rechtsstaatlicher Offensive) sowie letztlich eine
Rückkehr in die CDU/CSU oder FDP. Doch auch letzteres ist
meist zum Scheitern verurteilt (z.B. Manfred Brunner oder Heinrich Hellwege). Wirtschaftlich betrachtet handelt es sich bei all
diesen Personen um riesige Humanressourcen, die – mangels
passenden Angebots – ungenutzt bleiben. Die große Mehrheit
von ihnen besteht keineswegs – wie fälschlicherweise immer
wieder behauptet wird – aus »Spinnern und Querulanten«.
Was den Mitgliederbestand einer solchen neuen oder umgestalteten Partei anbelangt, so würde dieser also sich im Wesentlichen
aus vier Gruppen rekrutieren:
•
Frühere und derzeitige Mitglieder von Union und FDP:
Hierbei sind jene zu unterscheiden, die freiwillig die Parteien verlassen haben, weil ihr Anliegen – obwohl sie
mitunter jahrelang für Akzeptanz gekämpft haben –
nicht oder nicht ausreichend Gehör fand, und natürlich
jene, die aus den Parteien ausgeschlossen wurden, weil
sie eine missverständliche Rede gehalten oder für eine
»falsche« Zeitung geschrieben haben. Hinzu kommen jene, die »formal« noch Mitglied der Union bzw. der FDP
sind, aber resigniert haben und sofort für ein attraktiveres politisches Angebot bereitstünden.
•
Frühere Mitglieder anderer etablierter Parteien: Ihr Anteil wird zahlenmäßig wesentlich geringer sein, aber in
der Summe ist es ebenfalls ein nicht zu unterschätzender
Faktor.
•
Ehemalige und derzeitige Mitglieder freiheitlichkonservativer und christlicher Kleinparteien sowie Wählervereinigungen: Es ist davon auszugehen, dass große
Teile der noch verbliebenen Mitgliedschaft überwechseln
würden. Des Weiteren sind diejenigen zu berücksichtigen, die früher einmal bei einer Kleinpartei aktiv waren.
•
Politisch Inaktive: Sie sind mangels passenden Angebots
nirgendwo aktiv geworden, haben generell aber durchaus
Interesse an einer derartigen Betätigung.
Eine Neugründung bzw. Umgestaltung einer bestehenden Partei
mit Erfolgspotential könnte zwar nicht alle, aber doch einen
beträchtlichen Teil davon aktivieren. Nachfolgende Tabelle soll
einen Aufschluss über die Zusammensetzung geben. Da keine
entsprechenden Zahlen vorliegen, handelt es sich hierbei um
eigene Schätzungen.
17
CDU/CSU-Mitglieder
FDP-Mitglieder (überwiegend Nationalliberale)
SPD-Mitglieder
Mitglieder moderater Kleinparteien
Parteilose (inklusive bereits ausgetretener Unionsmitglieder bzw. anderer Parteien)
Gesamt
35.000
2.000
1.000
2.000
10.000
50.000
Tab. 1: Personenpotential bürgerliche Parteineugründung
17
Dies entspricht lediglich etwa fünf Prozent der Gesamtzahl der Mitglieder
von CDU und CSU (Stand 2010).
23
24
André Freudenberg – Rechts von der CDU?
Diese Gesamtmitgliederzahl entspräche damit zu etwa zwei Dritteln der derzeitigen FDP-Mitgliedschaft. Neben dem Haupteffekt, der Möglichkeit zur aktiven politischen Partizipation all
derer, die diese Gelegenheit unter den derzeitigen Bedingungen
faktisch nicht haben, hätte es zudem noch mehrere äußerst bemerkenswerte Nebeneffekte:
•
•
•
Vertreter eines freiheitlich-konservativen Politikansatzes
könnten ihre Anliegen freier und offensiver vertreten, da
sie keine Angst mehr haben müssten, von ihrer eigenen
Partei(-führung) bei eventuellen Angriffen im Stich gelassen oder gar sanktioniert zu werden, da grundlegende
Positionen Konsens in der Partei sind.
Die Gesamtheit jener, die inhaltlich annähernd die gleichen Ziele verfolgen, dies aber nicht effektiv tun können, weil sie organisatorisch zersplittert sind, werden unter dem Dach einer neuen Partei zu einem effektiven
gemeinsamen Handeln befähigt. Das betrifft nicht nur
Parteien, sondern auch die vielen kleinen konservativen
und nationalliberalen Initiativen, die bislang isoliert vor
sich hinarbeiten. Mit einer Vernetzung sollte natürlich
schon vorher begonnen werden, sie wäre aber weitaus
effektiver umsetzbar, weil mit der entsprechenden Partei
ein starkes Gravitationszentrum entstünde.
Ein großer Teil der »Splitterparteien«, denen jegliche Erfolgsvoraussetzungen fehlen und die daher keinerlei
Möglichkeit haben, aus dem »Null-Komma-ProzentGhetto« herauszukommen, würde verschwinden, es käme zu einer gesunden »Marktbereinigung«.
25
Diskussions-Papier
•
Mit der neuen Partei würde auch eine entsprechende
parteinahe Stiftung entstehen. Durch eine solche mit einem Millionenbudget ausgestattete Einrichtung könnte
auch freiheitlich-konservativ orientierte politische Bildungs- und Forschungsarbeit in einem öffentlichkeitswirksamen Ausmaß betrieben werden. Die latente Dissonanz wäre dann auch auf diesem Gebiet zu Ende. Viele attraktive Arbeitsstellen für Personen, die diesem
Spektrum zugeneigt sind, würden entstehen.
•
Die CDU könnte zusammen mit einer Kraft rechts von
ihr und der FDP das gesamte bürgerliche Wählerpotential ausschöpfen, also indirekt auch jene Wählerschichten, die sich von ihr abgewandt haben, erreichen. Sofern
es sich um Nichtwähler handelt, würde dies längerfristig
nicht zu einer Schwächung, sondern zu einer Stabilisierung des nicht-linken Spektrums führen.
•
Das rechtsextreme Lager würde entscheidend geschwächt. Weitere Wahlerfolge der NPD wären eher
unwahrscheinlich. An Österreich und der Schweiz kann
man beispielhaft sehen, dass in Ländern, in denen es eine
starke demokratische Rechte gibt, die extreme Rechte
(partei-)politische keine Chance hat.
•
Die Linkspartei würde ebenfalls geschwächt, da ein Teil
der Protestwähler dann dem vorhandenen »rechtspopulistischen« Angebot den Vorzug geben wurde.
26
André Freudenberg – Rechts von der CDU?
Diskussions-Papier
Dezidierte und nachhaltige Vertretung eines freiheitlich-konservativen Politikansatzes
bereit, bis hin zu einem schwer erträglichen Maße inhaltliche
Zugeständnisse – sei es an den Zeitgeist, die Medien oder den
potentiellen Koalitionspartner – zu machen.
Klientelparteien unterscheiden sich nicht nur im Hinblick auf
ihre geringeren Mitgliederzahlen vom Typus der Volkspartei,
sondern meist auch durch ihre schärfere Programmatik und eine
stärkere Orientierung an der eigenen Wählerschaft. Damit einher
geht oft ein anderer Habitus und Tonfall. Sie treten – vor allem
in der Opposition – für ihre politischen Anliegen offensiver ein
und sind weniger geneigt, einen »Rückzieher« zu machen. Auch
wenn es hier im Laufe der Jahre – beispielsweise bei den Grünen
– zu einer Mäßigung kam, zeigt sich dort und insbesondere bei
der Linkspartei auch heute noch der kämpferische und rebellische Geist, der der Achtundsechziger-Bewegung innewohnte.
Dem hat die Union wenig entgegenzusetzen. Zunächst einmal
liegt es an der vielbeklagten bürgerlichen Feigheit und Furcht, bei
»heiklen« Themen von der »Political Correctness« abzuweichen
und somit politische und mediale Angriffsfläche zu bieten. Bei
der FDP verhält es sich ähnlich. Es hat aber auch strukturelle
Gründe, weswegen sich die Christdemokraten häufig in die Defensive treiben lassen. Um ihrem eigenen Anspruch als »Volkspartei der Mitte« gerecht zu werden, können sie gar nicht die
inhaltliche Schärfe entwickeln, die manche von ihnen erwarten.
Natürlich sollen der Theorie nach auch die »demokratischen
Rechten« mit zum Zuge kommen, in der Praxis bleiben gerade
sie meistens auf der Strecke. Oft werden die gelegentlichen Vorstöße dann als »Einzelmeinungen« abgetan und eine weitergehende Debatte findet nicht statt.
Dies korrespondiert mit inhaltlicher Unschärfe und Beliebigkeit.
Der »Politikertypus«, der hier vorherrscht, kann beschrieben
werden als »Typ des ‚politischen Unternehmers‘ mit staatlicher
Risikoabsicherung, der sein Repräsentanten-Amt durch Beziehungsorganisation und flexible Öffentlichkeitsarbeit professionell
auf Dauer stellt. Dieser Typus ist kaum noch ideologisch motiviert, sondern v.a. am Erfolg seines politischen Unternehmens
und an einer entsprechenden Karriere interessiert.« (Institut für
Staatspolitik 2007: 22)
Bei Klientelparteien, insbesondere bei den Linken, ist es genau
umgekehrt. Der potentielle Machterwerb wird dem Erhalt programmatischer Schärfe und damit verbundener klarer Positionierung meist untergeordnet. Ziel muss es demzufolge sein, auf der
rechten Seite des politischen Spektrums eine eigenständige Kraft
zu installieren, die strategisch ähnlich agiert wie Linke und Grüne, also nachhaltig und dezidiert, aber auch »offensiv, angriffslustig und selbstbewußt« (Zittelmann 1996: 172) für ihre Anliegen
eintritt.
Inhaltlich sollte sie sich hingegen nicht scheuen, mitunter auch
eine scharfe Gegenposition zu den Linken einzunehmen und
eventuelle Zögerlichkeiten seitens SPD oder CDU anzuprangern.
Nur so kann man ein wirksames Gegengewicht herstellen und
nachhaltig die linke Meinungsführerschaft verringern.
Ein weiterer Aspekt ist die Prioritätensetzung im Hinblick auf die
Machtfrage. Weil Machterwerb und Machterhalt für die Union
von solch herausragender Bedeutung sind, ist man dort auch
Was das Verhältnis zu den bürgerlichen Mitte-Parteien angeht, so
wäre es wichtig, dass sie nicht als »Anhängsel« der Union wahrgenommen wird, so wie es mitunter in den 1950er Jahren der
Deutschen Partei unter Adenauer erging. Sie sollte also nicht versu-
27
28
André Freudenberg – Rechts von der CDU?
Diskussions-Papier
chen, eine »bessere CDU« (Wagner 2004) zu sein. Nichtsdestotrotz ist eine konstruktive Zusammenarbeit mit Union und FDP
angezeigt, sofern genügend inhaltliche Übereinstimmung besteht,
so wie das auch zwischen anderen im Bundestag vertretenen
Parteien üblich ist. Dies bedeutet auch, dass es nicht länger das
erklärte Ziel der Union sein darf, die rechts von ihr befindliche
Gruppierung nur als »Machtvehikel« zu missbrauchen, aber
gleichzeitig darauf hinzuwirken, den »Partner« durch »Umarmung« oder Ausgrenzung »überflüssig« zu machen.
Wirksamkeit zu entfalten. Im Gegensatz zu den kurzen »Strohfeuern« einer Aktion oder einer Buchveröffentlichung gelänge es
auf diese Weise, permanent in der Öffentlichkeit präsent zu sein.
Der soeben beschriebene strategische Ansatz wird auch außerhalb rechtskonservativer Kreise durchaus anerkannt und entsprechend als Erfolgsrezept empfohlen. So schrieb etwa Frank Jansen im Tagesspiegel:
»Jedenfalls fehlt dem rechten Spektrum jenseits von
Union und FDP bislang eine Figur wie HC Strache, in
Kombination mit einer flotten Protestpartei. Sie könnte
sich, konkurrierend mit der Linkspartei, beim Potential
der vielen Unzufriedenen bedienen, gerade auch in der
Mittelschicht. […] Eine Partei ‚Die Rechte‘ hätte vermutlich, nach dem Muster von FPÖ und ähnlicher Parteien
in Italien, Belgien und Skandinavien, beachtliche Chancen. Angesichts einer Wirtschaftskrise mit drohendem
Anstieg der Arbeitslosigkeit, verbreiteter Angst vor dem
Islam, diffuser Law-and-order-Sehnsucht – und einer sozialdemokratisierten Union, in der Nationalkonservative
fremdeln.« (Jansen 2009)
Diese Präsenz bedeutet natürlich noch lange nicht, dass damit
auch ein grundlegender Politikwechsel einhergeht. Bei realistischer Lagebeurteilung wird man vielmehr zu dem Schluss kommen, dass angesichts der Mehrheitsverhältnisse lediglich ein
Bruchteil jener Forderungen und Wünsche, die diese neue Partei
erhebt, tatsächlich umgesetzt werden kann. Das ist bei Linken
übrigens nicht anders. Viel entscheidender ist mittelfristig jedoch,
dass endlich »die politische Folgenlosigkeit, die für politische
Diskurse der Bundesrepublik kennzeichnend zu sein scheint«
(Schüßlburner 2004: 372), überwunden wird. Denn die Themen
und Positionen können dann nicht mehr ohne Not aus dem politischen Diskurs herausgehalten werden. Und schließlich kann
man gerade als Oppositionskraft einen erheblichen Veränderungsdruck erzeugen, der die Regierenden dazu zwingt, Reformen vorzunehmen, die anderenfalls nicht oder zumindest nicht
so rasch zustande gekommen wären. Dies zeigen Parteien wie
Republikaner und die Partei Rechtsstaatlicher Offensive, denen es allein
schon durch ihre Präsenz auf Landtags- bzw. Bürgerschaftsebene
gelungen ist, Veränderungen in der Asylpolitik und lokal bei der
Kriminalitätsbekämpfung zu bewirken.
Ohne Zweifel ist auch eine neue Kraft vor von der CDU-Spitze
verordneter Ausgrenzung nicht gefeilt. Als eigenständige Organisation, nicht als geduldetes »Beiwerk« von Union oder FDP, wäre
sie aber in der Lage, Schlagkraft, mediale Wahrnehmung und
Als Vorbild für das programmatische und strategische Agieren
einer neuen Rechtspartei kann das zwar kleine, aber stetig wachsende Segment der freiheitlich-konservativen Print- und Onlinemedien dienen. Hier kann man studieren, was man wie tun muss.
Es gibt in dem Spektrum rund ein Dutzend Periodika, die sinnvoll miteinander kooperieren und zusammen das gesamte Spektrum (die christliche Rechte, den eher libertären Flügel usw.) abdecken. Hinzu kommt eine gut funktionierende Vernetzung, u.a.
29
30
André Freudenberg – Rechts von der CDU?
Diskussions-Papier
auch durch Autoren, die für mehrere Organe schreiben (Lange
2010). Man grenzt sich entschieden von Rechtsextremisten ab,
auf rein taktisch motivierte Distanzierungen und Absetzbewegungen wird jedoch weitgehend verzichtet. Andererseits sorgt
ihre intellektuell anspruchsvolle, inhaltlich jedoch moderate Ausrichtung dafür, Anerkennung bis weit ins Unionslager und sogar
bei undogmatischen Linken zu finden. Insbesondere der Jungen
Freiheit gelang es schon mehrfach, in begrenztem Umfang Kampagnenfähigkeit herzustellen und sich gegen Diskriminierungen
(z.B. Kontokündigung durch die Postbank) erfolgreich zur Wehr
zu setzen.
biologisch-theologischen Begriff des Menschen« ausgerichtet
sind, was sich auch in Bezug auf die Union sagen ließe
(Schüßlburner 2004: 75f.).
Programmatische Ausrichtung
Dezidierte Anhänger christlicher, wertkonservativer, patriotischer
und marktwirtschaftlicher Überzeugungen sehen vor allem im
Hinblick auf Freiheit und Rechtsstaatlichkeit sowie aufgrund des
gesellschaftlichen Werteverlustes Defizite und entsprechenden
Handlungsbedarf. Es geht dabei sowohl um die äußere Freiheit
(Abwesenheit von Willkür) als auch um die innere Freiheit (Sittlichkeit). Dies sind zwei Seiten ein und derselben Medaille.
Anstelle von einer »geistig-moralischen Wende« (Helmut Kohl)
würde man heute wohl eher von einer »freiheitlich-konservativen
Erneuerung« sprechen. Diese würde angesichts der derzeitigen
politischen Grundtendenzen »ein radikales Reformprogramm
innerhalb des Rahmens der Verfassung« (Freudenberg 2009: 347)
darstellen, welches auf der Basis christlich-abendländischer
Wertvorstellungen, wozu auch ein gesunder Patriotismus gehört,
erfolgen muss. Die Gruppierung wäre also christlicher, patriotischer und marktwirtschaftlicher als die Parteien der politischen
Mitte und »auf den rechtlich-politischen Begriff des Bürgers ausgerichtet«, während Linke die Gleichheit betonen und »auf den
31
Der Medienwissenschaftler Norbert Bolz skizziert die Funktion,
die einer demokratischen Rechten heute zukäme, mit folgenden
Worten:
»Die Rechte ist gegen den Paternalismus des vorsorgenden Sozialstaates, für mehr Selbstverantwortung und den
unzweideutigen Schutz des Eigentums. Die Rechte ist
für einen fröhlichen Patriotismus und eine christliche
Leitkultur. Die Rechte hält am Vorrang der traditionellen
Familie und an einem mehrgliedrigen Bildungssystem
fest. Mit einem Wort: Die politische Rechte steht für
Bürgerlichkeit.« (Bolz 2010)
In welcher Verfassung sich aber gerade deren Träger befindet,
wird von Michael Paulwitz prägnant beschrieben:
»Man betrachtet ihn [den Bürger, Anm. d. V.] nicht als
Souverän, sondern als rundum zu betreuendes Mündel,
das man mit ein paar rechtzeitig vor der Wahl zugesteckten Bonbons schon bei Laune hält. Er soll eifrig den
vorgespurten Diskurspfaden und inszenierten Hahnenkämpfen seiner Betreuer folgen, soll brav schlucken,
wenn man ihm heute dies und vier Wochen später das
Gegenteil als Patentrezept zur Krisenbewältigung anpreist, er darf auch mal auf Demonstrationen
mitmarschieren, die seine Obrigkeit inzwischen auch
schon für ihn organisiert – mit Parteipolitikern immer
vorneweg.« (Paulwitz 2009)
32
André Freudenberg – Rechts von der CDU?
Diskussions-Papier
Die naheliegende Frage, warum es keinen nennenswerten Widerstand von unten gegen diese Bevormundung und finanzielle
Ausbeutung des Bürgers gibt, warum die Bürger nicht auf die
Barrikaden gegen, wozu Baring aufforderte, kann mit einer »stillen Übereinkunft«, mit einer Art Stillhalteabkommen erklärt werden. Dieses lautet: Ihr gewährt uns weiterhin überdimensionierte
Sozialleistungen, Subventionen u.a.m., im Gegenzug lassen wir
euch, der politisch-medialen Klasse eure Privilegien. Wir schimpfen zwar ab und zu, lassen es aber im Großen und Ganzen bei
diesem Schimpfen dann auch bewenden. Die »politische Klasse«
im Verein mit den Mainstream-Medien wiederum hat ihrerseits
eine »stille Übereinkunft« geschlossen, bestimmte Themen, ob es
sich um Ausländerkriminalität, Diskriminierung »rechter« Positionen, Linksextremismus, Unterschichtenzuwanderung oder auch
das bürgerunfreundliche Wahlrecht handelt, nicht oder nur auf
eine bestimmte Weise zu thematisieren.
Über diese politischen Ziele herrscht weitgehend Einigkeit und
es ist derzeit unschwer zu erkennen, welche Agenda man hier
besetzen müsste. Programmatisch würde es auf einen Themenmix hinauslaufen, der etwa Folgendes beinhalten würde:
Kernaufgabe einer konstruktiven Opposition von rechts wäre es
also, diese Lücke zu füllen, Tendenzen der Entmündigung und
Freiheitsberaubung des Bürgers sowie einer Verstaatlichung der
Gesellschaft und Vergesellschaftung des Staates, wovor z.B. der
Ordoliberale Franz Böhm gewarnt hat, im Rahmen der eigenen
Möglichkeiten entgegenzuwirken. Dabei geht es sowohl um jeden
Einzelnen (das Individuum) als auch um das Ganze (das deutsche Volk).
Freiheit und Rechtsstaatlichkeit sollten daher in der Werteskala
einer entsprechenden Partei ganz oben stehen. Auch Gerechtigkeit und Solidarität haben im Wertegefüge ihren Platz, aber nicht
– wie bei der CDU der Fall – gleichberechtigt neben der Freiheit,
sondern dieser nachgeordnet.
33
»Europaskepsis in Verbindung mit nationalen Ideen, Ablehnung des EU-Beitritts der Türkei, islamkritische Positionen, traditionell christliche Werte, Betonung der Familie als Kern der Gesellschaft und der Bewahrung der
Schöpfung, was Lebensschützer einschließt, der Wunsch
nach einer stärker marktwirtschaftlichen Politik zusammen mit dem generellen Verlangen nach weniger Staat.«
(Funk 2010)
Strategisch-organisatorische Vorgehensweise
Trotz beachtlicher Chancen, die insbesondere einer neuen »Sarrazin-Partei« zugestanden werden, stellt ein solches Projekt die
Akteure bekanntermaßen vor organisatorische und strategische
Herkulesaufgaben, vor denen viele zurückschrecken. Zu ihnen
gehören auch jene, denen eine solche Integrationsleistung durchaus zugetraut wird und deren Namen immer wieder in diesem
Zusammenhang Gegenstand öffentlicher Debatten waren. So
erklärte (neben z.B. Friedrich Merz oder Thilo Sarrazin) auch
Oswald Metzger im Hinblick auf eine Neugründung:
»Ich halte einen solchen Versuch für reine RessourcenVergeudung: Bis man in 16 Ländern funktionierende
Verbände aufgebaut, und sich die personelle Spreu vom
Weizen trennt, weil in eine neue Partei anfangs immer
viele Frustrierte und Exoten drängen, braucht man zuviel Zeit und Kraft. Da ist es rationaler, trotz aller
Mühseligkeiten, in den etablierten Parteien mitzuarbeiten.« (Junge Freiheit 2010c)
34
André Freudenberg – Rechts von der CDU?
Diskussions-Papier
Hingegen hat es auf weiter unten liegender politischer Ebene
zahlreiche Versuche gegeben, in diese politische »Marktlücke«
vorzudringen. Ein früher Versuch waren die Republikaner, deren
Entstehen nicht nur dem von Franz Josef Strauß eingefädelten
Milliardenkredit an die DDR geschuldet war, sondern auch mit
der ausgebliebenen, vom damaligen Bundeskanzler Kohl versprochenen »geistig-moralischen Wende« in Zusammenhang
stand. Als weiteres Beispiel ließe sich die Schill-Partei nennen.
Diese Personen sind in der Erkenntnis, dass es eine Notwendigkeit gibt, das politische Vakuum zu füllen, den etablierten Parteienvertretern voraus, hinken ihnen aber – was die Fähigkeiten der
Umsetzung angeht, deutlich hinterher. Generalisierend kann also
festgehalten werden:
Zulauf von Seiten der Unionsparteien blieb aus, da die Angebote
nicht als attraktiv angesehen wurden. Sogwirkung entfalteten sie
lediglich auf Einzelne. Statt dessen kamen viele von jenen, die
man nicht haben wollte: Querulanten, Selbstdarsteller, Extremisten. Interne Querelen taten ihr Übriges, und die innerparteiliche
Disziplin blieb auf der Strecke. Die Außenwirkung war katastrophal.
•
Sie stellten allesamt Vorstöße Einzelner dar, die sich mit
ihrer Partei überworfen oder aus Unzufriedenheit mit
Strukturen bzw. Inhalten aus- und zur neuen Gruppierung übergetreten sind bzw. etwas Neues gegründet haben.
•
Es handelte es sich um »Alleingänge«, der Parteiaufbau
geschah oft unkoordiniert, manchmal auch dilettantisch,
vor allem fehlte es an einer wohldurchdachten Langfriststrategie.
•
Die Gründungen waren meist regional angelegt, es fehlte
die bundesweite Ausrichtung, quasi der »Blick für das
Ganze«.
Den Protagonisten fehlten darüber hinaus wichtige Voraussetzungen, um einen größeren Teil von Wählern und potentiellen
Mitstreitern von sich zu überzeugen, insbesondere Charisma,
Bekanntheitsgrad, z.T. politische Erfahrung u.a.m. Der erhoffte
35
Selbst für den eher unwahrscheinlichen Fall, dass es zu einer
Fusion der derzeit relevantesten konservativen und islamkritischen Gruppierungen käme, dürfte der erhoffte Erfolg dennoch
ausbleiben. Denn dazu müsste eine Partei »bürgerlich verwurzelt
und politisch fest verankert sein« (Berger 2010), was bei den
derzeit aktiven Parteien rechts von der Mitte keineswegs in ausreichendem Maße der Fall ist. Zudem müsste an der Spitze zwingend eine Persönlichkeit stehen, die der durchschnittliche Wähler
kennt und die ein hohes Maß an Charisma, Erfahrung und Professionalität besitzt.18
Immer wieder geäußerte Bedenken, dass eine solche Entwicklung
insbesondere von den Mainstream-Medien blockiert würde, sind
mit Blick auf die Vergangenheit sicherlich nicht unberechtigt.
Allerdings wird eine konsequente Ausgrenzung, wie sie bei
Gruppierungen wie den Republikanern oder der Bürgerbewegung Pro
NRW stattgefunden hat, unter den o.g. Voraussetzungen nicht
mehr durchzuhalten sein, ohne dass die eigene Glaubwürdigkeit
ernsthaft in Gefahr geriete. Dass selbst linke Medien in den letzten Jahren immer wieder über die Neuentstehung einer konservativen Partei spekuliert, ja diese fast »herbeigeschrieben« haben,
deutet zudem auf einen selbstverständlicheren und gelasseneren
Umgang hin, wie er bei der Schill-Partei zum Teil ja schon prakti18 Im Hinblick auf Friedrich Merz wurde bereits eine »wahre Völkerwanderung
über die Parteigrenzen hinweg« prognostiziert (Rheinische Post 2010).
36
André Freudenberg – Rechts von der CDU?
Diskussions-Papier
ziert wurde. Dass eine solche Partei gewissen Leuten ein Dorn
im Auge ist, dürfte klar sein, gleichwohl werden auch sie gezwungen sein, diese zu respektieren. Mit einer pauschalen Diffamierungs- und Totschweigestrategie ist jedenfalls nicht zu rechnen. Auch Torpedierungsversuche insbesondere seitens der
CDU würden das Projekt nicht mehr so ohne weiteres zu Fall
bringen, vorausgesetzt, die Akteure bringen das nötige Maß an
Risikobereitschaft, politischer Erfahrung und Stehvermögen mit.
geeignet. Das ganze liefe faktisch auf eine Spaltung der
Union hinaus.
•
Umgestaltung der Freien Wähler zu einer landes- und
bundespolitischen Kraft mit freiheitlich-konservativer
Grundausrichtung: Die Freien Wähler müssten zunächst
bereit sein, sich neben der kommunalen Verankerung
auch als landes-, bundes- und europapolitische Kraft zu
verstehen und faktisch eine Partei werden. Des weiteren
müssten sie alle Themenbereiche besetzen, die für freiheitlich-konservative Wähler von Relevanz sind und sich
hierbei alternativ zu den etablierten Parteien positionieren. Und nicht zuletzt sind sie auf Unterstützung seitens
prominenter Spitzenpolitiker insbesondere aus den Reihen von Union und FDP angewiesen. Hubert Aiwanger
und Olaf Henkel allein wird es vermutlich nicht gelingen, ohne diese Unterstützung in den Bundestag und in
weitere Landtage einzuziehen.
•
Nationalliberale Neuausrichtung der FDP: Die Liberalen
müssten eine dezidiert euro- und zuwanderungskritische
Partei werden und sich im Endeffekt rechts von der
Union positionieren. Dort befand sich die FDP bereits
einmal in den 1950er und 1960er Jahren. Die Folge wären massive Mitgliederverluste, die jedoch durch eine
mindestens ebenso große Zahl von Neueintritten enttäuschter Unionsanhänger kompensiert werden würde.19
FAZIT
Hinsichtlich der Frage, welche Form eine solche neue Kraft annehmen könnte, um langfristig erfolgreich zu sein, kämen folgende vier Varianten in Betracht:
•
•
Bundesweite Ausdehnung der CSU: Bei dieser Variante
müsste die CSU-Führung lediglich ihre Bereitschaft signalisieren, auf juristische Schritte gegenüber jenen, die
CSU-Verbände außerhalb Bayern zu gründen beabsichtigen zu verzichten. Angesichts der großen Enttäuschung bei CDU-Anhängern und dem Bekanntheitsgrad
der CSU würden diese neuen Landesverbände vermutlich enormen Zulauf bekommen, eine Schaffung von
Strukturen wäre daher in kürzester Zeit realisierbar.
(Parteiübergreifende) Neugründung: Diese Variante ist
außerordentlich schwierig zu bewerkstelligen. Daher
setzt sie zwingend voraus, dass eine bundesweit bekannte, politikerfahrene und mit Charisma ausgestattete Persönlichkeit an der Spitze steht. Hierfür wären neben
Friedrich Merz, Karl-Theodor zu Guttenberg oder Thilo
Sarrazin auch z.B. ehemalige Ministerpräsidenten (wie
Erwin Teufel, Roland Koch oder Wolfgang Clement)
37
Nach dem Ausgang des FDP-Mitgliederentscheides zum ESM Ende 2011
und der Regierungsbeteiligung ist hier mit einer Kursänderung wohl erst –
wenn überhaupt – zu rechnen, wenn der Partei 2013 der Wiedereinzug in den
Bundestag nicht gelingt.
19
38
André Freudenberg – Rechts von der CDU?
Diskussions-Papier
Bei den beschriebenen Optionen handelt es sich um eine Parteigründung von oben unter Nutzbarmachung bereits etablierter
Strukturen in Form von »Köpfen« (bekannter Persönlichkeiten)
oder »Vereinigungen« (bekannter Parteinamen), was auf eine
organisatorische und programmatische Umgestaltung bzw. Neuausrichtung bereits etablierter Parteien hinauslaufen würde. Dies
könnte auf indirekter Weise eine organisatorische Zusammenführung all derjenigen bewirken, die annähernd die gleichen politischen Ziele verfolgen, da nur Persönlichkeiten mit starkem Charisma und Bekanntheitsgrad die hierfür notwendige »Sogwirkung« entfalten. Somit würde die fragmentierte demokratische
Rechte vernetzt und wäre wieder politisch handlungsfähig und
wählbar.20
einer islam- und zuwanderungskritischen DM-Partei) erwachsen
wird.
Damit die genannte Entwicklung eintritt, muss noch etwas hinzukommen, nämlich eine krisenhafte Zuspitzung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Etablierte politische Parteien und Institutionen müssten einen noch stärkeren Vertrauensverlust erleiden. In der Bevölkerung latent vorhandene Ressentiments wären
von den Medien bewusst zu schüren und zu steuern und das
Ganze würde sich zu einer »Erwartungshaltung« und zu einer
»sensationalistischen Stimmung« verdichten (Misik 2010). Die
Sarrazin-Debatte hat offenbart, dass die »Immunreaktionen« der
politischen und medialen Öffentlichkeit nicht mehr so gut wie
früher vorhanden sind. Es ist zu erwarten, dass mit einer krisenhaften Zuspitzung mittelfristig durchaus zu rechnen ist, und
ebenso, dass daraus eine politische Kraft (beispielsweise in Form
20 Das Ganze könnte man vergleichen mit einem Berg, der plötzlich in der
Landschaft auftaucht: Viele wollen diesen Berg erklimmen und steuern (aus
verschiedenen politischen Organisationen) auf das gleiche Ziel zu, nämlich den
Gipfel, weil oben eine bekannte Persönlichkeit (z.B. Friedrich Merz) sitzt. In
dem Verlangen, baldmöglichst oben anzukommen, kommen sich die einzelnen
Bergsteiger zwangsläufig immer näher. Oben treffen sich dann alle und rücken
zusammen, bilden also eine neue politische Einheit.
39
In eine ähnliche Richtung geht die Zukunftsprognose, die der
Islamexperte und Buchautor Udo Ulfkotte anstellt:
»Denn das Pendel der Geschichte schlägt bald schon
wieder in die andere Richtung. Aus einem ganz einfachen Grund: Die Staatsbankrotte rollen überall in der
EU auf uns zu. Und wir haben für alle einen finanziellen
Rettungsschirm, nur für uns selbst nicht. … Dann geht
der Verteilungskampf los. Und spätestens dann werden
die Bürger alle politische Korrektheit vergessen und sich
fragen, ob sie weiterhin das Weltsozialamt spielen und
mit Menschen die Früchte ihrer Arbeit teilen wollen, die
ihnen außer Kosten nichts beschert haben.« (Citizen Times 2012a)
Natürlich werden auch dann »charismatische Führungspersonen«
benötigt, die sich aber bei dieser Konstellation schnell finden
werden. Zu groß wird die Versuchung sein, von dem Stimmungsumschwung zu profitieren. Solch eine Persönlichkeit kann
dem etablierten Politikbetrieb entstammen, muss es aber nicht.
Insgesamt muss also konstatiert werden, dass es in Deutschland
unter den derzeit vorhandenen Sonderbedingungen für die demokratische Rechte aus eigener Kraft, d.h. ohne die Nutzung
etablierter Strukturen und ohne krisenhafte Zuspitzung nahezu
unmöglich ist, eine Partei zu etablieren, da die Hürden, die die
»politisch-mediale Klasse« errichtet hat, einfach zu hoch sind.
Wie sollten sich Konservative verhalten, deren Engagement
mehr beinhaltet als auf krisenhafte Zuspitzungen oder auf einen
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André Freudenberg – Rechts von der CDU?
Diskussions-Papier
neuen »Sarrazin« zu warten? Vier Dinge sind es, denen in besonderer Weise Beachtung geschenkt werden sollte:
einzugehen gekennzeichnet ist, entgegengewirkt werden. Es gilt
hier in besonderem Maße, von den Linken zu lernen, z.B. durch
Leserbriefe, Protestanrufe, Solidarisierungen usw. von freiheitlich-konservativer Seite Druck auf Institutionen und Personen
auszuüben.
Strukturen schaffen und (weiter) ausbauen
Es geht darum, attraktive Angebote »vor Ort« bzw. in der Region
zu schaffen. Wichtig hierbei: Es muss am Ende ein tragfähiges
Angebot herauskommen, zunächst regional, dann bundesweit,
d.h. entweder wären Parteien zu fusionieren oder man müsste
sich auf das erfolgsträchtigste Angebot einigen.
Vernetzung vorantreiben
Hier geht es darum, dass sich politisch ähnlich gelagerte Personen näherkommen. Dies kann auf der Basis und im Rahmen
(partei-)übergreifender Aktionen und Veranstaltungen erfolgen,
aber auch mittels überparteilicher Sondierungsgespräche, die sich
also nicht auf die »Kleinparteienszene« beschränken, sondern
auch gesprächsbereite Personen des rechten Unionsflügels einbeziehen sollte.
Dies ist die einzige Alternative zu einer »Flucht in die Mitte«,
denn eine Abschaffung dieser Kategorien ist schon deshalb nicht
möglich, »weil darin ein universal vorfindbares bipolares Weltverständnis zum Ausdruck kommt, das sich weit in die Menschheitsgeschichte zurückverfolgen läßt.« (Schüßlburner 2010: 40)
Schließlich wird es dann, wenn die Zeit reif ist, darauf ankommen, möglichst alles richtig zu machen und nicht unvorbereitet
»kalt erwischt« zu werden. Nur eine gute Vorbereitung bildet die
Grundlage für ein solides Wachstum und die Gewähr, dass das
»Neue«, was dann hoffentlich entstanden sein wird, auch längerfristig und möglichst dauerhaft bestehen bleibt.
Schulung und Beratung
Dies ist ein Punkt, der insbesondere unter Konservativen in der
Vergangenheit sträflich vernachlässigt wurde. Es ist unverzichtbar, geeignete Personen zu schulen (z.B. wie man Kampagnen
organisiert oder eine Pressemitteilung schreibt) und in Institutionen (z.B. Medien) zu bringen. Des weiteren sollte unbedingt
intellektueller Rat in Anspruch genommen werden von dem freiheitlich-konservativen Spektrum zugeneigten Wissenschaftlern.
(Vor-)politische Aktivitäten intensivieren
Hier muss der typisch konservativen Mentalität, die durch Leisetreterei, Inaktivität, Gleichgültigkeit und dem Unwillen, Risiken
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André Freudenberg – Rechts von der CDU?
Diskussions-Papier
A NHANG
chischen Rechtspolitiker Heinz-Christian Strache oder Martin Hohmann einzuladen, würden vermutlich ähnliche Schwierigkeiten drohen.
Beispiele innerparteilicher »Sanktionen« in der Union
Konservative werden von der eigenen Parteiführung, wenn sie Opfer
einer medialen Diffamierungskampagne werden, nicht in ausreichendem Maße unterstützt oder gar fallengelassen. Dies führt meist dazu,
dass sie dem Druck nachgeben und auf das Amt, das sie innehaben
bzw. für das sie vorgesehen sind, verzichten. Beispiele sind Steffen
Heitmann als Kandidat für das Bundespräsidentenamt (1993) und Hans
Filbinger (1978) als Ministerpräsident von Baden-Württemberg.
Konservative müssen viel schneller damit rechnen, für bestimmte Äußerungen »abgestraft« oder innerparteilich isoliert zu werden. Es kommt
rasch zu »Absetzbewegungen«. Abweichler in den eigenen Reihen werden isoliert und sanktioniert: So soll der bekannte EU-kritische Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler innerhalb von sechs Jahren gerade mal
vier Minuten Redezeit erhalten haben (Rosen 2011). »Linke« Äußerungen hingegen, wie z.B. die Auffassung Lothar de Maizières, dass die
DDR nicht als »Unrechtsstaat« bezeichnet werden könne, werden in der
Regel kaum geahndet. Insbesondere unter Merkel haben bekennende
Konservative zudem verminderte Karrierechancen. Beispielsweise hat
es der JU-Bundesvorsitzende Philipp Mißfelder nur bis zum außenpolitischen Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag geschafft, Wolfgang
Bosbach wurde nur Innenausschuss-Vorsitzender.
Konservative müssen mit Problemen rechnen, wenn sie es wagen, einen
Vertreter des rechtsliberalen oder rechtspopulistischen Parteienspektrums oder bestimmte Publizisten zu Vorträgen oder Diskussionen
einzuladen. So wurde René Stadtkewitz unter anderem die Einladung
des niederländischen Islamkritiker Geert Wilders zum Verhängnis. Eine
geplante Veranstaltung der Ost- und Mitteldeutschen Vereinigung der CDU
Hannover mit Eva Herman wurde auf Weisung der Hannoveraner
CDU-Führung abgesagt (Junge Freiheit 2009a). Einem beliebigen
Kreisverband der Jungen Union, der es sich erlauben würde, den österrei-
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Heiko Peters ist ein Hamburger Kaufmann, der in besonders engagierter Weise die CDU-Politik gegenüber den Alteigentümern, die von der
sogenannten Bodenreform betroffen waren, kritisierte und eine wirksame Korrektur einforderte. Er fand in seinem Ortsverband rege Unterstützung. Nennenswerte Unterstützung in höheren Parteigremien
blieb ihm allerdings versagt, ein Austritt aus der Partei war schließlich
die Folge.
Der frühere Berliner CDU-Bundestagsabgeordnete Heinrich Lummer,
der dezidiert Kritik an der Asylpolitik auch seiner eigenen Partei übte,
wurde im Februar 1993 in Kiel von Linksextremisten an einem Vortrag
gehindert. Eine Stellungnahme sowohl des Landes- als auch des Bundesvorstandes der CDU blieb aus (Greve 1993).
Als die damalige Bundesfamilienministerin Claudia Nolte (CDU) eine
Überprüfung des Paragraphen 218 in Erwägung zog, da ein signifikanter Rückgang der Abtreibungszahlen nicht zu verzeichnen war, bezog
Bundeskanzler Helmut Kohl, der ursprünglich einmal angetreten war,
um eine „geistig-moralische Wende“ einzuleiten, öffentlich gegen die
Ministerin Position. Daraufhin erklärte Nolte, sie wolle ihren Vorschlag
nicht mehr weiterverfolgen (idea-Spektrum 1998).
Ein Thesenpapier über das »Grundprinzip der Sozialen Marktwirtschaft«, verfasst vom CDU-Wirtschaftsexperten Gunnar Uldall und
dem früheren CSU-Generalsekretär Bernd Protzner, das tiefe Einschnitte in das soziale Netz anmahnte, wurde von der Parteispitze nicht
einmal debattiert. Die Forderungen wurden als „Einzelmeinungen“
abgetan (Die Welt 1999). Hier sei auch auf den Umgang mit Paul
Kirchhof und auf den parteiinternen Widerstand hingewiesen, mit dem
er im Vorfeld der Bundestagswahl 2005 konfrontiert wurde.
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André Freudenberg – Rechts von der CDU?
Diskussions-Papier
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André Freudenberg – Rechts von der CDU?
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Die Diskussionspapiere der S T R E S E M A N N S T I F T U N G sind
online als PDF in deutscher und meist auch englischer Sprache
verfügbar. Gegen eine Schutzgebühr können Sie diese auch in
gedruckter Form bestellen.
Wagner, Markus (2004): Partei trauert Nockemann nicht hinterher. Zitiert nach
Pressemitteilung der Partei Rechtsstaatlicher Offensive (03.03.2004).
Weißmann, Karlheinz (2000): Der lange Marsch der CDU nach links, in: Junge Freiheit
(18.8.2000).
Zitelmann, Rainer (1996): Position und Begriff. Über eine neue demokratische Rechte, in: Schwilk, Heimo/Schacht, Ulrich (Hg.): Die selbstbewußte Nation. „Anschwellender Bocksgesang“ und weitere Beiträge zu einer deutschen Debatte, Frankfurt/Berlin.
Aktuelle Ausgaben:
Zuerst (2010a): Interview mit Klaus Hornung (Ausgabe April 2010).
Zuerst (2010b): Interview mit Peter-Michael Diestel (Ausgabe April 2010).
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•
Kampfbegriff Islamophobie.
Ein Überblick zu deutschen Umfragen
Felix Strüning (Juli 2012)
•
Intrinsische Hindernisse des islamischen Finanzwesens.
Scharia-Gelehrte und die Einkommensschwäche
der Muslime
Rebecca Schönenbach (Juli 2012)
•
Krieg der vierten Generation
Global Jihadist Movement und Counterinsurgency
(COIN)
Dr. Thomas Tartsch (Juli 2012)
•
Rechts von der CDU?
Parteipolitische Perspektiven des freiheitlichen Konservativismus in Deutschland
André Freudenberg (Oktober 2012)
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