Verträglichkeit und Lagestabilität von implantierbaren

Werbung
Ergänzungsband · September 1980
Biomedizinische Technik · Band 25
Verträglichkeit und Lagestabilität von implantierbaren Stimulatoren zur
drahtlosen Reizübertragung
G. Vossius1, J. J. Hildebrandt2, W. Gusek, H.-U. May, S. Finken
1
Institut für Biokybernetik u. Biomed. Technik, Universität Karlsruhe,
Firma Messerschmitt-Bölkow-Blohm, München, 3 Pathologisches Institut des Stadt. Klinikums,
Karlsruhe
2
Querschnittsgelähmte Patienten können heute In der
Überwiegenden Zahl der Fälle am Leben erhalten werden. Allerdings bleibt der durch die Verletzung eingetretene Ausfall willküYmotorischer Funktionen im
allgemeinen auf Dauer bestehen. Es stellt sich deshalb die Aufgabe, diesen Patienten Teilbereiche der
verlorenen motorischen Funktionen wieder zu ermöglichen, um ihnen dadurch u . U . ein Minimum an Selbständigkeit zurückzugeben. Dieses Minimum kann für
die aller Möglichkeit zur Eigeninitiative beraubten
Patienten von sehr großer Bedeutung sein.
Es soll deshalb eine Methode entwickelt werden, die
es gestattet, als Dauerrehabilitation die gelähmte
Muskulatur durch elektrische Reizung zu abgestuften, kontrollierten Kontraktionen anzuregen und den
Zeitpunkt der Muskelermüdung möglichst weit hinauszuschieben. Die Reizenergie soll drahtlos übertragen werden, um die bei den Patienten sehr empf i n d l i c h e Haut möglichst wenig zu belasten.
Von den bisher verwendeten Methoden weist die Reizung mittels Hautelektroden u.a. die Nachteile auf,
daß der adäquate Reizort nicht genau genug bestimmbar ist und sich Elektrode und Muskulatur während
der Reizung gegeneinander verschieben. Es besteht
ein hoher Energiebedarf. Bei der Reizung werden bei
ganz oder teilweise erhaltener Sensibilität die
Schmerzfasern mitgereizt, so daß der zulässige Reizstrom keine ausreichende Kontraktion bewirkt. Bei
Langzeitanwendung bestehen Elektrodenprobleme.
Die vor allem von Mortimer und Mitarbeiter (1) angewandte direkte drahtgebundene Stimulation mit
Dauerdurchführung der Elektroden durch die Haut, kann
differenziert an mehreren Stellen eines Muskels
unter gleichbleibenden Reizbedingungen erfolgen.
Der Energiebedarf ist sehr gering. Um die Reaktion
der Haut an der Elektrodendurchtrittsstelle möglichst gering zu halten, müssen die Drahtelektroden
sehr dünn sein (vorzugsweise < 100 um), wodurch
ihre Langzeitstabilität nicht ausreicht.
Implantierbare Stimulatoren mit drahtloser elektromagnetischer Energieübertragung wurden bisher vorwiegend für die direkte Reizung mittlerer bis grösserer Nerven eingesetzt. Die Stimulatoren selbst
sind relativ groß, die Reaktion des Nervenbindegewebes auf die Elektroden kann sehr stark sein und
zu einer Verschlechterung der Reizbedingungen oder
zur Nervenschädigung führen.
Deshalb wurde in einem gemeinsamen Vorhaben von der
Firma Messerschmitt-Bölkow-Blohm (Hildebrandt et al.(2))
ein kl einer,direkt in die Muskulatur implantierbarer, Stimulator entwickelt, in den die Reizenergie
drahtlos übertragen werden konnte. Der Stimulatorkörper ist linsenförmig abgeflacht mit Durchmessern
von ca. 4,5 mal 13 mm und einem Gewicht von ca.
0,8 Pond. Als Elektroden dienen gewendelter V4AStahldraht von 100 um Drahtstärke, 500 um Wendelaußendurchmesser und ca. 30 - 40 mm Wendel länge.Der
Reizimpuls ist in etwa dreieckförmig mit einer Impulsdauer von ca. 0,5 ms an der Basis. Die vom
Stimulator abgegebene maximale Reizspannung ist auf
15 Volt begrenzt. Diese Reizspannung konnte in vitro
auch im Gewebe bis zu einem Sendespulenabstand von
5 - 8 cm bei 1000 Abschlußwiderstand erzielt werden.
319
Unauthenticated
Download Date | 5/12/16 3:51 AM
Biomedizinische Technik · Band 25
In einer Versuchsreihe wurden Stimulatoren auf ihr
Verhalten während der Implantation, den Reizerfolg
über längere Zeiträume und die Reaktion des Gewebes
auf den Stimulator als Vorbereitung füreine Implantation im Menschen untersucht. Die Stimulatoren
wurden bisher in 14 zwei bis drei Jahre alte.n Hauskatzen implantiert, von denen bei 8 Tieren einige
Zeit vor der Implantation eine Paraplegie erzeugt
wurde. Der Stimulator wurde jeweils in den
M. gastrocnemius in eine kleine Muskeltasche eingelegt und mittels der Reizelektroden befestigt, die
längs durch den Muskel gezogen und am oberen Ende
U-förmig verankert wurden. Nach der Operation wurde
die Lage des Stimulators röntgenologisch in 2 Ebenen
bestimmt und in mehrmonatigen Abständen durch Vergleichsaufnahmen kontrolliert. Die Mehrzahl der
Tiere wurde zweimal täglich für 15 Minuten gereizt*
Bei der Reizung werden,bedingt durch die kurze
Impulsdauer,die Nervenfasern gereizt, die zu den
Muskelfasern fUhren, und nicht die Muskelfasern
selbst. Starben die Katzen vorzeitig bei intaktem
Stimulator,wurde der M. gastrocnemius im Ganzen
herausgenommen und im Stimulatorbereich histologisch
untersucht.
Ergebnisse: Die Stimulatoren lassen sich ohne
Schwierigkeit im Muskel einbetten und mittels der
Elektroden befestigen. Die Lagestabilität war während der gesamten Liegedauer sehr gut. Die Stimulatoren fügen sich gut in den Muskel ein und beeinträchtigen seine Funktion während der Reizung
oder bei willkürlicher Bewegung nicht, sie werden
reizlos vertragen. Bei der Reizung kann der Muskel
abgestuft bis zur vollständigen Kontraktion .erregt werden. Zusätzlich an Hunden durchgeführte
Versuche ergaben, daß von einem Elektrodenpaar bis
zu einem Elektrodenabstand von etwa 6 cm die dazwischen liegende Muskulatur mit physiologischen
Stromstärken insgesamt gereizt werden kann. Die
Reizbarkeit blieb während der gesamten Zeit der
Funktionstüchtigkeit des Stimulators gleichbleibend
erhalten. Bei der Entnahme der Stimulatoren aus dem
Muskel waren sie makroskopisch reizlos eingeheilt.
In keinem Falle kam es zu einer Infektion oder stärkeren Reaktion. Um den Stimulator hatte sich eine
dünne bindegewebige Kapsel gebildet, die Elektroden
lagen ohne wesentliche Reaktion in der Muskulatur.
Die histologische Untersuchung zeigte als Reaktion
des Muskelgewebes auf den Stimulator folgendes Bild:
Ergänzungsband · September 1980
Histologisch zeigen sich im Verlaufe des Elektrodenkanals zarte Kollagenfäserchen, die in die Kanal lichtung hineinragen, die Elektrodenwindungen also
leicht umschlungen und arretiert hatten. An der
Außenwand des Kanals lassen sich längsverlaufende
feine Kollagenfaserbündel feststellen, die zwischen
Inland der Kanal lichtung und Elektrode wie eine zarte
Barriere liegen. Gelegentlich finden sich aktive
Histiozyten und Fibroblasten, ganz vereinzelt
Lymphozyten. Der Obergang zur angrenzenden Muskulatur ist dann glatt.
Die dem Elektrodenkanal angrenzende Muskulatur
zeigt lediglich vereinzelt einige Atrophien der
ersten ein bis zwei Muskel lagen, hin und wieder
einige Kernaktivitäten des anliegenden Sarkolemm.
Dieser Bereich umfaßt maximal 10/i. Danach folgt
morphologisch unauffällige Muskulatur.
Im Bereich des Stimulators findet sich ein vernarbendes Granulationsgewebe im Sinne einer Fremdkörperreaktion. Entsprechend zeigen sich stellenweise Makrophagen und mehrkernige Riesenzellen vom
Fremdkörpertyp sowie Fibroblasten mit Entwicklung
einer straffen ca. 0,5 mm breiten Faserkapsel. Diese Bindegewebskapsel ist glatt begrenzt. Der Obergang zur anliegenden Muskulatur ist abrupt. Die benachbarten Muskelfasern sind hin und wieder atrophisch, die Sarkolemmkerne gelegentlich aktiviert,
die dann folgende Muskulatur ist morphologisch
unauffällig.
Die Langzeitstabilität der Stimulatoren war allerdings unzureichend. Sie betrug im Mittel nur ca.
5 Monate, Der Ausfall war teils auf Bruch der Elektroden am Obergang in den Stimulatorkörper^teils
auf Flüssigkeitseintritt in diese., zurückzuführen.
Folgerungen: Stimulatoren der hier beschriebenen
Art eignen sich im Prinzip gut für die direkte
Dauerimplantation in der Muskulatur und für die
Reizung derselben bei erhaltenem Motoneuron. Ihre
mechanische und GewebsVerträglichkeit auch in gelähmter Muskulatur ist auf Dauer sehr gut und zeigt
auch nach langer Liegezeit (bis 20 Monate) keine
Einschränkung der Reizfunktion. In kleinen Muskeln
können sie deshalb einfach in mittleren bis großen .
Muskeln mehrfach mit einem Abstand von 3 - 5 cm
implantiert werden, so daß sowohl eine abgestufte
als auch vollständige Stimulation auch großer Muskeln möglich ist, um entweder ermüdungsarme oder
große Kräfte liefernde Kontraktionsabläufe zu erhalten. Die Stimulatoren können beim Menschen auch
320
Unauthenticated
Download Date | 5/12/16 3:51 AM
Biomedizinische Technik · Band 25
Ergänzungsband · September 1980
in tiefe Muskelgruppen implantiert werden, da die
maximale Reizspannung bei einem Abstand der Sendespule von 5 - 8 cm erhalten wird. Der Ausbau des
Stimulatorsystems für den Einsatz bei der Mehrortsreizung und die erforderliche Verbesserung der
Haltbarkeit wurden in einer Neuentwicklung zusammengefaßt, über die ebenfalls auf diesem Kongreß berichtet wird.
Literatur:
(1) Hambrecht F.T., Reswick J.B.
Functional Electrical Stimulation,
Marcel Dekker Inc., New York and Basel, 1977
(2) Hildebrandt J.J., et a l .
Implantierbarer 8-Kanal-Mikrostimulator für
Anwendung in der funktionellen Elektrostimulation.
Vortrag auf der 14.Jahrestagung der Dtsch.
Gesellschaft für Biomedizinische Technik,Berlin,
September 1980
Die Untersuchungen werden vom Bundesministerium
für Forschung und Technologie gefördert.
321
Unauthenticated
Download Date | 5/12/16 3:51 AM
Herunterladen