Große Nebennierenzysten

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M E D I Z I N
Große Nebennierenzysten
Zunehmende Inzidenz einer häufig malignen Erkrankung
Bernhard Banas1, Thomas Mussack2, Klaus Jürgen Pfeifer3,
Markus Wörnle1, Holger Schmid1
Zusammenfassung
Durch den vermehrten Einsatz bildgebender
Verfahren weisen große Nebennierenzysten
mit einem Durchmesser von mehr als 5 cm eine
zunehmende Inzidenz auf. Nebennierenzysten
bleiben zumeist klinisch stumm und werden in
der Regel als Zufallsbefund diagnostiziert. Da
jedoch bis zu sieben Prozent der großen Nebennierenzysten als maligne Zysten beschrieben werden, ist eine sorgfältige Abklärung
mittels laborchemischer und radiologischer
Diagnostik dringend erforderlich. Insbesondere müssen ein hormonaktives Nebennierenkarzinom oder ein Phäochromozytom sicher ausgeschlossen werden. Eine diagnostische Feinnadelpunktion ist nur bei blanden Zysten sinnvoll. In vielen Fällen führen jedoch weder die
zytologische Untersuchung des Zysteninhalts
noch die Stanzbiopsie der Zystenwand zu einer
sicheren Diagnose. Eindeutige Indikationen zur
D
er Wiener Anatom Greiselius beschrieb erstmals im Jahre 1670
eine große Zyste der Nebenniere
bei einem erwachsenen Patienten.
Diese wog mehr als 4 kg und führte
ohne die Möglichkeit einer Behandlung vermutlich infolge einer Ruptur
zum Tode (6). Im Folgenden wird die
aktuelle Diagnostik und Therapie
großer Nebennierenzysten erläutert.
Inzidenz
Große Nebennierenzysten mit einem
Durchmesser von mehr als 5 cm galten
bis vor wenigen Jahren als klinische
Rarität (19). Sie fanden sich überwiegend bei 40- bis 60-jährigen Patienten,
wobei Frauen etwa zwei- bis dreimal
häufiger betroffen waren (12). Die dokumentierte Frequenz in Autopsieserien variiert zwischen 0,064 und 0,18
Prozent (26, 11).
Durch den vermehrten Einsatz
bildgebender Diagnostik wie Abdomen-Sonographie und -CT wurde je-
sofortigen operativen Entfernung von großen
Nebennierenzysten sind eine klinische Symptomatik, Verdacht auf Malignität, die dokumentierte Größenprogredienz sowie eine endokrine Aktivität. Chirurgische Therapie der Wahl ist
die laparoskopische En-bloc-Resektion.
Schlüsselwörter: endokriner Tumor, Nebennierentumor, Phäochromozytom, Nebennierenzyste, Krebsdiagnostik
Summary
Diagnosis of Large Sized Adrenal Cysts
The frequent use of ultrasonography and
computerized tomography has resulted in increased diagnosis of large sized adrenal cysts
with diameters of more than 5 cm recently.
Most of the adrenal cystic lesions are clinically silent and are often diagnosed incidentally.
doch in den letzten Jahren eine zunehmende Inzidenz dieser Erkrankung
beobachtet.
Ätiopathogenese
Große Nebennierenzysten stellen eine
heterogene Gruppe von Läsionen dar,
die ohne Seitenpräferenz und in 90 Prozent der Fälle unilateral lokalisiert sind
(23). Bei Diagnosestellung beträgt die
Größe durchschnittlich 9,6 cm. Die
größte bisher dokumentierte Nebennierenzyste maß 50 cm (7). Nach der
Einteilung von Foster (8) werden echte
Nebennierenzysten von Pseudozysten
und parasitären Zysten unterschieden
(Tabelle 1). Da jedoch bis zu sieben Pro1 Medizinische Poliklinik – Innenstadt (Direktor: Prof. Dr.
med. Detlef Schlöndorff), Klinikum der Universität München
2 Chirurgische Klinik und Poliklinik –Innenstadt (Direktor:
Prof. Dr. med. Wolf Mutschler), Klinikum der Universität
München
3 Institut für Klinische Radiologie (Direktor: Prof. Dr. med.
Maximilian Reiser), Klinikum der Universität München
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As up to seven per cent of all adrenal cysts are
malignant, a careful hormonal and instrumental evaluation is mandatory. In particular,
functioning adrenal carcinomas or pheochromocytomas have to be ruled out. Fine needle
aspiration cytology as well as examination of
a punch biopsy specimen of the cystic wall are
of limited value, as there is considerable
overlap in the cytologic and histologic features of benign and malignant adrenal cystic
lesions. Immediate surgical excision is indicated in the presence of symptoms, suspected
malignancy, increase in size or detection of a
functioning adrenal cyst with endocrine function. Adrenalectomy „en bloc“, preferably by
a laparoscopic approach, has become the treatment of choice.
Key words: endocrine tumor, tumor of the adrenal gland, pheochromocytoma, adrenal cyst,
cancer diagnosis
zent der großen Nebennierenzysten als
maligne Zysten (bei Nebennierenkarzinomen oder Nebennierenmetastasen)
beschrieben wurden (19), ist eine genaue Abklärung dieser Diagnose dringend erforderlich.
Klinik
Nebennierenzysten bleiben zumeist klinisch stumm und werden in der Regel
als Zufallsbefund diagnostiziert. Nur
selten beklagen die Patienten Flankenschmerzen, die vor allem bei Größenprogredienz der Zyste mit Kompression
der Nachbarorgane auftreten. Symptome einer endokrinen Dysfunktion sind
möglich: Beschrieben wurden eine Cushing-Symptomatik sowie Virilisierungsals auch Feminisierungserscheinungen
bei Steroidexzess-Syndromen (3). Eine
Produktion von Mineralocorticoiden
kann das Krankheitsbild eines Morbus Conn hervorrufen (5). Vermehrte
Ausschüttung von Katecholaminen kann
zu einer phäochromozytomartigen An-
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fallssymptomatik führen (13). Klinisch
wird eine endokrine Dysfunktion zumeist durch das neue Auftreten einer
arteriellen Hypertonie manifest. Als
akut bedrohliche Komplikationen wurden eine akute Oberbauchsymptomatik
bei Zystenruptur (20) sowie eine Sepsis
bei infizierten Pseudozysten (16) beschrieben. Aufgrund klinischer Kriterien ist eine Differenzierung von benignen und malignen Nebennierenzysten
jedoch nicht möglich.
a
b
c
d
Diagnostik
Auch sehr große Nebennierenzysten
sind nur selten in der körperlichen Untersuchung zu palpieren. Der sonographische Befund einer Zyste in der
Nebennierenregion sollte mittels erweiterter Bildgebung abgeklärt werden, da
eine exakte Zuordnung der Zyste zur
Nebenniere oder Nachbarstrukturen
(Leber, Niere) durch Ultraschalldiagnostik meist schwierig ist (24). Dabei
ist die Computertomographie die Methode der Wahl, da sie schnell verfügbar
ist und die genaueste räumliche Auflösung erlaubt. Eine zusätzliche Kontrastmittelgabe ermöglicht die Abgrenzung
von Gefäßstrukturen (16). Bei der Beurteilung der Ausdehnung einer Nebennierenzyste in angrenzende Strukturen
und zur Abgrenzung von regionalem
Fettgewebe kann eine Kernspintomographie wichtige Zusatzinformationen
liefern (25). Konventionelle Röntgenaufnahmen und Katheterangiographien haben heute keinen diagnostischen
Stellenwert mehr. Ergibt die radiologische Diagnostik Hinweise auf ein
primär malignes Geschehen oder den
Verdacht auf eine Nebennierenmetastasierung, sind Staginguntersuchungen
unerlässlich.
Die laborchemischen Serum- und
Urinuntersuchungen müssen eine vollständige Abklärung der Nebennierenrinden- und NebennierenmarkHormone umfassen (22). Insbesondere
müssen ein hormonaktives Nebennierenkarzinom oder ein Phäochromozytom sicher ausgeschlossen werden (Tabelle 2). Eine nuklearmedizinische
Diagnostik wie zum Beispiel eine Metajodbenzylguanidin- (MIBG-)Szintigraphie ist nur in Ausnahmefällen bei
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Abbildung: Typische Befunde von großen Nebennierenzysten; blande Nebennierenzyste einer
54-jährigen Patientin. a) MRT (koronare Schichtung, T2-gewichtet, HASTE-Sequenz nach Kontrastmittelgabe), flüssigkeitsgefüllte Zyste im Bereich der rechten Nebennierenloge mit einer
maximalen Größe von 8,5 cm ohne wesentliche Kontrastmittelaufnahme der Kapsel. b) CT-gesteuerte Punktion mit Stanzbiopsie der Zystenwand (Stanzbiopsie-Nadel 18F). Komplizierte
Nebennierenzyste bei einem 59-jährigen Patienten; c) MRT-Aufnahme einer gekammerten Zyste der rechten Nebenniere (Durchmesser bis zu 8 cm) mit inhomogenem Zysteninhalt. d) OPPräparat einer intraoperativ eröffneten epithelialen Nebennierenzyste.
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Tabelle 1
´
Pathologische Klassifikation der Nebennierenzysten
Histologischer Typ
Parasitäre Zysten
Subtyp
Häufigkeit (in Prozent) nach
–
Foster (8)
Neri und Nance (19)
7
2
Epitheliale Zysten
Embryonale Zysten
Zystische Adenome
Echte glanduläre Zysten
9
6
Endotheliale Zysten
Lymphangiomatöse Zysten
Angiomatöse Zysten
45
24
Pseudozysten
Hämorrhagische Zysten
Phäochromozytome
Maligne Tumoren
39
56
k. A.
12
Nicht klassifizierbare,
benigne Zysten
–
Die Häufigkeit der einzelnen histologischen Typen variiert abhängig vom untersuchten Patientenkollektiv. Foster (8) bezog sich auf 220 Fälle, in
die Arbeit von Neri und Nance (19) gingen 613 ausgewertete Fälle ein; k.A., keine Angabe.
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Tabelle 2
tige Zysten stellen keine Indikation für
eine laparoskopische Resektion dar. Einer Adrenalektomie en bloc mit Entfernung der Zyste ist gegenüber einer reinen Zystektomie beziehungsweise einer
Zystenexzision mit Teilparenchymentfernung der Vorzug zu geben (1).
Die postoperative Nachsorge kann
sich bei benignen, hormoninaktiven Zysten auf sonographische Kontrollen beschränken. Nach Entfernung hormonaktiver Zysten können endokrinologische Tests Hinweise auf ein Rezidiv oder
eine bilaterale Manifestation ergeben.
Maligne Zysten erfordern auch nach der
operativen Sanierung regelmäßige Staginguntersuchungen und gegebenenfalls eine spezifische hormonablative
oder chemotherapeutische Behandlung
(14).
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Laborchemische Untersuchungen zur Abklärung der Nebennierenrinden- und Nebennierenmarkhormone
Lokalisation in der Nebenniere
Hormon
Methodik
Serum
24-Stunden-Urin
Rinde
Zona glomerulosa
Aldosteron
Serum-Kalium
Aldosteron
Plasma-Renin-Aktivität
Adosteron-Renin-Ratio
Zona fasciculata
Cortisol
freies Cortisol,
ACTH
(DexamethasonHemmtest)
Zona reticularis
Androgene
DehydroepiandrosteronSulfat
Mark
Adrenalin,
(Plasma-Katecholamine) Metanephrine
Noradrenalin
Vanillinmandelsäure
(Adrenalin, Noradrenalin)
(Corticosteroidmetabolite)
Die einzelnen Zielhormone sind nach dem anatomischen Produktionsort aufgeschlüsselt und für die Diagnostik wichtige Untersuchungsmethoden (Serum und 24-Stunden-Urin) dargestellt. Untersuchungen der zweiten Wahl sind in Klammern genannt.
endokrin aktiven Zysten indiziert (9).
Eine ergänzende Diagnostik beinhaltet bei begründetem Verdacht serologische Testverfahren, da Infektionen
zu degenerativen zystischen Veränderungen der Nebennieren führen
können. Während früher jedoch die
Häufigkeit für parasitäre Nebennierenzysten mit bis zu sieben Prozent
angegeben wurde, sind heute Echinokokken- oder Leishmanien-Infektionen der Nebennieren extrem selten
geworden (2, 28).
Eine diagnostische Feinnadelpunktion mit Aspiration ist nur bei blanden
Zysten sinnvoll und bei Verdacht auf
ein Phäochromozytom oder serologischen Hinweisen auf eine Echinokokken-Infektion kontraindiziert. Die zytologische Beurteilung des Zysteninhalts liefert jedoch nur eingeschränkte
Aussagen zur Dignität. Die Autoren
empfehlen daher eine Stanzbiopsie der
Zystenwand. Eine Analyse der Zystenauskleidung kann zudem hilfreich sein,
Nebennierenzysten von Zysten anderer
Organe (zum Beispiel der Leber) abzugrenzen (4). In vielen Fällen führen histopathologische Untersuchungen zu
keiner sicheren Diagnose und definitiven Aussage bezüglich der Dignität der
Raumforderung.
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Fazit
Therapie
Auch eine sorgfältig durchgeführte Diagnostik kann häufig die Malignität der
Nebennierenzyste nicht sicher ausschließen. Daher ist bei großen Nebennierenzysten ein therapeutisch zurückhaltendes Vorgehen nicht indiziert. Weniger empfehlenswert sind interventionelle Therapieansätze wie die perkutane
Zystendrainage oder die Sklerotherapie, da sie mit einer hohen Rezidivrate
behaftet sind (25).
Eindeutige Indikationen zur sofortigen operativen Entfernung sind eine klinische Symptomatik,Verdacht auf Malignität, die dokumentierte Größenprogredienz sowie eine endokrine Aktivität. Dabei sind unterschiedliche Operationstechniken möglich: Beschrieben
sind der offene anterior-transabdominale sowie der posterior-retroperitoneale
Zugangsweg (15). Für ein minimalinvasives Vorgehen sind ein endoskopischtransabdominaler und ein retroperitonealer Zugang publiziert (17, 27). Laparoskopische Verfahren sollten wegen
der geringeren Morbidität bei blanden
Zysten bevorzugt werden (21), sind jedoch bei Zysten mit einem Durchmesser von mehr als 8 cm nicht immer erfolgreich (10). Primär malignitätsverdäch-
Der Zufallsbefund einer großen Nebennierenzyste zeigt zunehmende Inzidenz.
Im Hinblick auf die potenzielle Malignität und hormonelle Aktivität ist eine
sorgfältige Diagnostik erforderlich. In
der Bildgebung ist eine Abgrenzung der
Nebennierenzyste von Zysten der
Nachbarorgane sowie das Erkennen eines zugrunde liegenden Tumors nicht
immer möglich.Auch nach einer Biopsie
bleibt die Dignität der Raumforderung
histopathologisch oft ungeklärt. In der
Regel ist daher eine operative Therapie
notwendig.
Damit ist für die Abklärung und Therapie von großen Nebennierenzysten
die interdisziplinäre Zusammenarbeit
von Radiologen, Chirurgen und Internisten unerlässlich.
Manuskript eingereicht: 8. 11. 2002, revidierte Fassung
angenommen: 26. 1. 2003
❚ Zitierweise dieses Beitrags:
Dtsch Arztebl 2003; 100: A 921–924 [Heft 14]
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das beim Verfasser erhältlich oder im Internet
unter www.aerzteblatt.de/lit1403 abrufbar ist.
Anschrift für die Verfasser:
Dr. med. Bernhard Banas
Medizinische Poliklinik – Nephrologisches Zentrum
Klinikum der Universität München – Innenstadt
Pettenkoferstraße 8a
80336 München
E-Mail: [email protected]
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