Studies in Economic Ethics and Philosophy

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Studies in Economic Ethics and Philosophy
Series Editor
Peter Koslowski
Editorial Board
F. Neil Brady
James M. Buchanan
Jon Elster
Amitai Etzioni
Gerard Gafgen
Serge-Christophe Kolm
Michael S. McPherson
Yuichi Shionoya
Studies in Economic Ethics and Philosophy
P. Koslowski (Ed.),
Ethics in Economics, Business, and Economic PoJicy
192 pages. 1992
Peter Koslowski (Herausgeber)
Neuere Entwicklungen
in der Wirtschaftsethik
und Wirtschaftsphilosophie
Mit 6 Abbildungen
Springer-Verlag
Berlin Heidelberg New York
London Paris Tokyo
Hong Kong Barcelona
Budapest
Prof. Dr. Peter Koslowski
Forschungsinstitut fur Philosophie Hannover
Lange Laube 14
D-3000 Hannover 1, Germany
ISBN-13: 978-3-642-77445-4
DOl: 10.1 007/978-3-642-77444-7
e-ISBN-13: 978-3-642-77444-7
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1985 zuliissig. Sie ist grundsiitzlich vergiitungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den
Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes.
© Springer-Verlag Berlin· Heidelberg 1992
Softcover reprint of the hardcover 1st edition 1992
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem
Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, daB solche
Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten
waren und daher von jedermann benutzt werden diirften.
2142/7130-543210 - Gedruckt auf saurefreiem Papier
Vorwort
Die Beitrage dieses Sammelbandes sind aus Vortragen hervorgegangen, die im Wintersemester 1990/91 und Sommersemester 1991 im
Leibniz-Haus Hannover im Rahmen der Vorlesungsreihe des Forschungsinstituts rur Philosophie Hannover "Wirtschaftsethik und
Wirtschaftsphilosophie" gehalten wurden. Der Herausgeber dankt
dem Prasidenten der Universitat Hannover, Herrn Professor Hinrich
Seidel, darur, daB er der Vortragsreihe das Leibniz-Haus als Begegnungsstatte der niedersachsischen Hochschulen zur Verfiigung gestellt
hat.
Ohne die Mithilfe der Mitarbeiter des Forschungsinstituts rur Philosophie Hannover, vor allem von Daniela Mundt, hatte dieser Band
nicht so schnell fertiggestellt werden konnen. Dafiir sei ihnen herzlich
gedankt. Der Stiftung Forschungsinstitut rur Philosophie Hannover,
insbesondere deren Vorsitzenden, Herrn Generalvikar Heinrich
Schenk, gilt schlieBlich Dank dafiir, daB durch ihre finanzielle Unterstiitzung die umfangreiche Vorlesungsreihe ermoglicht wurde.
Hannover, am 18. Dezember 1991
3
Peter Koslowski
Inhalt
Vorwort ........................................................................................................ 3
Verzeichnis der Tabellen und Schaubilder ............................................. 8
Einleitung
Wirtschaftsethik - ein neues Paradigma der Wirtschaftswissenschaft
und der Philosophie ?
PETER KOSLOWSKI ........... ....... ................... ....... ................. ..... ................... ....
9
Teil I
Grundlagen
Kapitel1
Die konstitutionelle Okonomik der Ethik
M. BUCHANAN ................................................................................ 21
JAMES
Kapite12
Wechselwirkungen zwischen Wirtschaftswissenschaft und Ethik
GERARD GAFGEN ............................ ................. ...........................................
47
Kapite13
Der homo oeconomicus und die Wirtschaftsethik
PETER KOSLOWSKI......... ......... ..... ....... ....... ..... ....... ..... .... ....... ... ....... ....... .....
5
73
INHALT
Teil II
Wirtschaftsethik des Staatshandelns
Kapite14
Der Staat und das reiehe Leben in einer armen Welt
GUY KIRSCH ............ ... ...... ....... ..... ....... ....... .... ....... .......... ....... .... .... ....... ...... 95
Kapite15
Das "Soziale" an der Sozialen Marktwirtschaft eine Operationalisierung des Begriffs "Sozial" aus 6konomischer Sieht
J.-MATTHIAS GRAP VON DER SCHULENBURG ............................................ 119
Kapite16
Unternehmensethik des 6ffentlichen Unternehmens
HEINZ DURR ....... ........... ....... ..... ....... ..... ......... ................ ..... ...... ....... ........ 143
Teil III
Unternehmensethik
Kapite17
Unternehmensethik. Auf der Suche nach einem Gleiehgewieht
zwischen Interessen, Rechten und Pfliehten
HENK J. L. VAN LUIJK ............................................................................... 157
Kapite18
Denkansatze fur eine Ethik im Bankwesen
KURT ANDREAS ......... .............. ........... ....... ..... ......... ..... .... ....... .................. 177
6
INHALT
Teil IV
Anwendungen der Wirtschaftsethik
Kapite19
Wirtschaftsethik unter Druck und Gegendruck: Die Gewerkschaften
FRIEDHELM HENGSBACH ......... ....... ..... ....... ........... ..... ..... ....... ... ................ 197
Kapitel10
Migrationen als wirtschaftsethisches Problem
HANS-JDRGEN VOSGERAU ........................................................................ 219
TeilV
Theologie und Wirtschaftsethik
Kapitelll
Katholische Soziallehre und Wirtschaftsethik
FRANZ FURGER ......................................................................................... 241
Kapitel12
Theologische Zugange zur Wirtschaftsethik
HANS G. ULRICH ...................................................................................... 253
Verzeichnis der Autoren ... ......... ....... ... .......... ....... ..... ...... ................. .... 279
Personenregister ........ ..... ....... ......... ..... ....... ... .... ... ......... ........... ...... ........ 283
7
Verzeichnis der Tabellen und Schaubilder
Seite
Tabelle
Nr.
5-1
Ein einfaches Schichtenmodell ................................ 130
Schaubild
Nr.
5-1
Zusammenhang zwischen dem durchschnittlichen
Wohlstand und der Ungleichverteilung des
gesellschaftlichen Wohlstands ................................ 126
5-2
Zusammenhang zwischen dem durchschnittlichen
Wohlstand und der Ungleichverteilung des
gesellschaftlichen Wohlstands in einer dynamisch
wachsenden Wirtschaft ............................................. 128
10-1
Die wichtigsten Wanderungsstrome in der Weltwirtschaft .................................................................... 221
10-2
Die wichtigs,ten Wanderungsstrome in Europa
seit 1950 ....................................................................... 222
10-3
Die zeitliche Entwicklung der europaischen Uberseewanderung: Jahresdurchschnittszahlen je Jahrfiinft
1846-1940 ..................................................................... 223
10-4
Der Bevolkerungszyklus in England und Wales .... 224
8
Einleitung
Wirfschaftsethik - ein neues Paradigma der
Wirtschaftswissenschaft und der Philosophie ?
PETER KOSLOWSKI
I.
II.
III.
IV.
Wirtschaftsethik als Anwendung der Ethik auf
wirtschaft,spraktische Fragen
..
Ethische Okonomie oder "Ethik und Okonomie" als Integration
von okonomischer und ethischer Theorie
1. Theorie der Ethik und Kultur in der Wirtschaft
2. Hermeneutik der Wirtschaftskultur
Die Rechtsphilosophie als Vorbild der Wirtschaftsphilosophie
Wirtschaftsethik auf dem Weg zur "normal science"
Das Thema "Ethik und Okonomie" ("ethics and economics") ist auf
dem Weg, zu einem Paradigma der okonomischen Wissenschaft und
der philosophischen Ethik auf dieselbe Weise zu werden, wie dies beim
Thema "Recht und Okonomie" ("law and economics") oder beim
Thema "Politik und Okonomie" (Neue Politische Okonomie, Public
Choice) bereits geschehen ist. Hinter dem Interesse an der Rolle ethischer Theoreme in der Wirtschaftswissenschaft und an der ErkHirungskraft okonomischer Theoreme in der Ethik stehen zwei Entwicklungen.
I. Wirtschaftsethik als Anwendung der Ethik auf
wirtschaftspraktische Fragen
Von den Unternehmen wird verstarkt die Analyse von Fragen der
Unternehmensethik und -kultur gefordert. Die wirtschaftsethische
Analyse ist notwendig, urn wirtschaftswissenschaftlich und philo sophisch der Nachfrage der Wirtschaft nach wirtschaftsethischer Beratung entsprechen zu konnen. Die Unternehmen fragen Beratung fur die
Gestaltung der sogenannten weichen Faktoren wie Unternehmenskultur und unternehmensethische Grundsatze nach und sie erwarten Ent9
PETER KOSLOWSKI
scheidungshilfen von der Disziplin "Wirtschaftsethik" in konkreten,
ethisch relevanten Problemlagen wie Kiindigungen, militarisch sensible Exporte in kriegsgefahrdete Regionen und Umgang mit anderen
Wirtschaftskulturen. Die neue Disziplin "Wirtschaftsethik" antwortet
auf diese Nachfrage nach praktischer ethischer Problemanalyse und
Problemlosung. Fallstudien zu wirtschaftsethischen Einzelfragen, eine
Kasuistik der ethisch relevanten wirtschaftlichen Entscheidungen, sind
im Entstehen. 1 Wirtschaftsethik ist in diesem Sinne eine praktische
Anwendungsdisziplin der Ethik. Sie wendet die Ansatze, Instrumente
und Entscheidungshilfen der ethischen Theorie auf Sachfragen der
Wirtschafts- und Unternehmensentscheidung an.
II. Ethische Okonomie oder "Ethik und Okonomie" als
Integration von okonomischer und ethischer Theorie
Neben dem Interesse an ethischer Beratung der Unternehmenspraxis stehen Interessen der Wirtschaftswissenschaften und der Sozialphilosophie selbst. Das Bediirfnis nach "Ethik und Okonomie" wird durch
Entwicklungen innerhalb der Wirtschaftswissenschaften und der
okonomischen Theorie selbst hervorgerufen. Von den starker anwendungsbezogenen Fragestellungen der Wirtschaftsethik ist die theoretische Fragestellung innerhalb der okonomischen Theorie und der Sozialphilosophie zu unterscheiden. Innerhalb der okonomischen Theorie
stellt sich namlich die Frage, welches Gewicht ethische und kulturelle
Ursachen in dem wirtschaftlichen Handeln und seiner Koordination
durch Markte besitzen. Diese Fragestellung zielt auf eine ~ynthese von
ethischer und okonomischer Theorie in einer "Ethischen Okonomie,,2,
die nicht nur eine Anwendung der Ethik auf normative Entscheidungsfragen der Wirtschaft, sondern zugleich Integration ethischer
Theoriebestandteile in die positive Analyse des Produktions- und
Nachfragezusammenhanges und des Preissystems ist.
Vgl. J. B. MA111iEWS, K. E. GOODPASTER, 1. 1. NASH: Policies and Persons. A Case Book in Business
Ethics, New York (McGraw Hill) 1985 und, als europiiisches "Fall-Buch", B. HARVEY, H. V. LUIJK, H.
STEINMANN (Hrsg.): Managing Ethical Issues in European Business, Dordrecht, Boston, London (Kluwer) 1992 (im Erscheinen).
2
Vgl. PETER KOSLOWSKI: Prinzipien der Ethischen Okonomie. Grundlegung der Wirtschaftsethik und der
auf die Okonomie bezogenen Ethik, Tiibingen (J .C.B. Mohr [Paul SiebeckD 1988.
io
EINLEITUNG
Die okonomische Wissenschaft hat die Erklarung der Institutionen
der gesellschaftlichen Koordination durch Markte oder andere Koordinationsformen wie Abstimmung oder zentrale Lenkung zum Gegenstand und sucht die Bedingungen anzugeben, unter denen die gesellschaftliche Koordination Effizienz erreicht. Da die Ethik ebenfalls
Bedingungen formuliert, unter denen Handlungen verallgemeinerbar,
also mit den Handlungen der anderen koordinierbar sind, ist die Frage
der ethischen Koordination durch Verallgemeinerbarkeit - oder durch
das Prinzip des grogten Nutzens der Beteiligten im Utilitarismus - mit
der Frage der okonomischen Koordination durch Selbstinteresse eng
verbunden. Es handelt sich urn verwandte Formen der Koordination?
1. Theorie der Ethik und KuHur in der Wirtschaft
Eine umfassende und realistische Theorie des Marktes kann daher
nicht nur okonomische Okonomie sein, sondern sie mug sich erweitern
zu einer ethischen Okonomie als Theorie des ethischen Rahmens und
der ethischen Voraussetzungen von Kooperation und Tausch im Markt.
Die Ethische Okonomie als Theorie der ethischen Regeln des Marktes bildet die Synthesis von Ethik und Okonomie. Sie steht zwischen
der reinen okonomischen Theorie und der Politischen Okonomie, welche das staatliche Rahmenwerk der Marktwirtschaft und die rechtlichen und staatlichen Voraussetzungen von Markttausch zu verstehen
sucht. Ethische und Politische Okonomie erweitern die okonomische
Theorie der Marktwirtschaft zu einer umfassenden Theorie der sozialen Marktwirtschaft, in welcher deren ethische und politische bzw. sozialpolitische Rahmenbedingungen zur Darstellung gebracht werden.
Die Rolle ethischer Normen in der Wirtschaft besteht darin, das
Marktgeschehen zu regulieren und Marktversagen, das durch unethische Praktiken zustande kommt, abzuwehren. Die Ethische Okonomie
zeigt, dag die Alternative zur Marktkoordination und das Korrektiv fur
Marktversagen nicht allein die politische Intervention und der unmittelbare Obergang zu staatlicher Allokation und Koordination sind - mit
der Gefahr, dag sich das durch den Staat kompensierte Marktversagen
in Staatsversagen wiederholt. Die ethische Koordination ist vielmehr
3
Vgl. P. KOSLOWSKI: Gesellschaftliche Koordination. Eineontologische und kulturwissenschaftliche Theorie
der Marktwirtschaft, Tiibingen (J.C.B. Mohr [Po SiebeckD 1991.
11
PETER KOSLOWSKI
eine dritte Alternative und ein Mittel sowohl gegen Markt- wie gegen
Staatsversagen. Die Ethische Okonomie, welche die Rolle der Ethik in
der privaten und staatlichen Wirtschaft und im Staat untersucht, zeigt,
dag, wie es bereits die aristotelische praktische Philo sophie formulierte, Okonomie, Ethik und Politik nicht einander ausschliegend und
feindlich, sondern zueinander komplementar sind und dag okonomische, ethische und politische Theorie zu einer Synthese gebracht werden mtissen.4
Das yom Staat nach ethischen und okonomischen Uberlegungen geschaffene richtige Recht ist nicht nur Sollensordnung, sondern auch
Wollensordnung. Die Ordnung der Marktwirtschaft ist nicht nur
Wollensordnung, in der jeder tut, was er will und seinen Gewinn maximiert, sondern sie ist zugleich Sollensordnung, die das Gute und
Gerechte der Gesellschaft auch in der Wirtschaft zu realisieren sucht. In
der Perspektive einer umfassenden Theorie des Sozialen, in der "Einheit der Gesellschaftswissenschaften" oder einer "gesamten Staatswissenschaft" ist deutlich, dag der Markt kein ethikfreier Bezirk und der
Staat kein okonomieloser Bereich ist, sondern dag die ethische und die
okonomische Frage sowohl an den Wirtschaftenden wie an den politischen Entscheidungstrager gerichtet ist.
Okonomie und Ethik werden zwangsHi.ufig vor die Frage gestellt,
wie sich ihre Koordinationsziele und Koordinationsformen zueinander
verhalten. Die Notigung zur Integration okonomischer und ethischer
Fragestellungen ergibt sich aus der Natur der Sache, aus dem ihnen
gemeinsamen Interesse an Rationalitiit und optimaler gesellschaftlicher
Koordination. Ethik ist ein Mittel, die Koordiniertheit der Gesellschaft
und Wirtschaft durch eine Vorkoordination im Entscheidungsverhalten
der Individuen zu steigern. Zu dieser Steigerung der ethisch-okonomischen Koordination gehort auch der Einflug, den die Ethik und ein
hochentwickeltes Arbeitsethos auf dem Weg tiber die durch hoheren
Arbeitseinsatz steigenden Skalenertrage der volkswirtschaftlichen Produktion auf die Forderung des Wachstums und der Wohlfahrt einer
Volkswirtschaft austiben. 5
4
5
P. KOSLOWSKI: Zum Verhiilnis von Polis und Oikos bei Aristoteies, Straubing und Miinchen 1976, 21979
(3. Auf!. im Erscheinen bei J.c.B. Mohr [Po SiebeckL Tiibingen), und P. KOSLOWSKI: Gesellschaft und
Staat. Ein unvermeidlicher Dualismus, Stuttgart (Klett-Cotta) 1982.
Vgl. hierzu den Beitrag von J. M. BUCHANAN: "Die konstitutionelle Okonomik der Ethik" in diesem Band.
12
EINLEITUNG
Die Ethische Okonomie oder "ethics and economics" beinhaltet
jedoch nicht nur die Frage nach der Koordination wirtschaftlichen Handelns, sondern auch die Frage nach den materialen Wertqualitaten, die
Dinge fUr Konsumenten zu Gutern machen. Das formale Koordinationsproblem wird durch das materia Ie Problem der Bestimmung von
Wertqualitaten erganzt. Welche Wertqualitaten suchen wir in Wirtschaftsgutern? Was macht ethisch und kulturell den Wert einer Sache
oder Dienstleistung aus? Die Wirtschaftsethik sucht als Ethische Okonomie uber die blofSe Konstatierung gegebener, im Nachfrageverhalten
"offenbarter" Praferenzen (revealed preferences) hinauszugelangen zu
einer ethisch-kulturellen Theorie der Praferenzen und der Nachfrage.
Die Analyse der materialen Wertqualitaten weist eine normative
wirtschaftsethische und eine positive kulturwissenschaftliche Seite auf.
W~lche kulturellen Einstellungen, Gewohnheiten, Regeln und Ordnungen stehen hinter dem Vorzugsverhalten und den Praferenzen der
Konsumenten? "Ethics and economics" bedeutet auch positive Analyse des Einflusses, den der "kulturelle Zwischenbau" (Gustav Schmoller) der ethisch-kulturellen Einstellungen und Sitten sowie die
ethischen Normen einer Gesellschaft als Kausalfaktoren auf das Wirtschaftsverhalten ausuben. Die Integration der 6konomischen Nutzenaspekte und der ethisch-kulturellen Wertaspekte menschlichen Handelns erfordert eine umfassende Hermeneutik der wirtschaftlichen
Entscheidung, die uber die Annahme der neoklassischen Wirtschaftstheorie, dafS Praferenzen gegeben seien, hinausgeht.
2. Hermeneutik der Wirtschaftskultur
Fur die Erklarung und das Verstehen sozialer Phanomene ist auch in
der Wirtschaft die Methodik des Verstehens, die Hermeneutik und die
kulturwissenschaftliche Fundierung der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, als Erganzung der formalen und quantitativen 6konomischen Theorie notwendig. Die Marktwirtschaft folgt der Subjektivitat
der Nachfrage und lafSt der spontanen Kulturbildung und dem freien
Kulturwandel in besonderem MafSe Raum. In ihr wird die Struktur des
Angebots und der Nachfrage durch die spontane gesellschaftliche Kulturbildung bestimmt. Die kulturelle Entwicklung zu verstehen, die hinter den Verschiebungen der Nachfrage steht, ist daher fur das unternehmerische Handeln in der Marktwirtschaft von gr6fSter Bedeutung
und,erfordert das Einuben in die Hermeneutik der Kultur, in das Inter13
PETER KOSLOWSKI
pretieren jener Kulturentwicklungen, die wirtschaftlich relevant werden .konnen. Die Ethische Okonomie ist als positive Theorie der Wirtschaftskultur zugleich Hermeneutik der wirtschaftlich-kulturellen Entwicklung.
III. Die Rechtsphilosophie als Vorbild der
Wirtschaftsphilosophie
Philosophie und Okonomie grenzen daher in drei Sachgebieten
aneinander. Die beiden Bereiche, in denen sich die Ethik als philo sophische Disziplin und die Okonomie uberschneiden, wurden mit der
normativen und der positiven Ethischen Okonomie bereits genannt.
Das dritte Sachgebiet zwischen Philosophie und Okonomie, die Wirtschaftsontologie, gehOrt nicht zur philosophischen Teildisziplin der
Ethik, sondern der Ontologie.
Die Wirtschaftsontologie befalSt sich mit der Frage, welchem Seinsbereich die Wirtschaft zuzuordnen ist und was das Wesen der individuellen Wahlentscheidung und der freien Koordination von Menschen
ausmacht. Der Wirtschaftsontologie wird im vorliegenden Band vor
aHem von theologischer Seite nachgegangen. 6
Die aktuelle wirtschaftsethische Diskussion neigt dazu, die Schnittstellen zwischen Philosophie und Wirtschaftswissenschaft nur im
Bereich der Ethik zu erkennen, die Wirtschaftsontologie und die Kulturwissenschaft der Wirtschaft jedoch auszuklammern. Dieses Vorgehen ist nicht zu rechtfertigen. Die Wirtschaftsphilosophie mulS vielmehr
eine umfassende Fragestellung anstreben. Urn die Analogie der Rechtsphilosophie, die hier erhellend ist, heranzuziehen: So wie die Rechtsphilo sophie nicht nur Rechtsethik und Naturrechtstheorie des Rechts
ist, sondern ebenso Fragen der Rechtsontologie und juristischen
Methodenlehre umfalSt, kann sich die Wirtschaftsphilosophie nicht nur
auf die Wirtschaftsethik beschranken, sondern mulS auch Fragen der
Wirtschaftsontologie, der Wirtschaftskultur und der Methodenlehre
der Wirtschaftswissenschaften enthalten.
Mit der Rechtsphilosophie ist auch das geeignete Beispiel fur die
Zuordnung der Wirtschaftsphilosophie zu den beiden Disziplinen, die
6
VgL unten den Beitrag von H G.
ULRICH:
"Theoiogische Zugange zur Wirtschaftsethik"
14
EINLEITUNG
sich mit ihr beschaftigen, gegeben. So wie die Rechtsphilosophie in
selbstverstiindlicher Weise von der Rechtswissenschaft und der
Philosophie behandelt wird, hindert nichts, da15 auch die Wirtschaftsphilosophie kiinftig im Rahmen der Wirtschaftswissenschaft ebenso
wie im Rahmen der Philosophie betrieben und gelehrt wird. Eine Eifersucht der Disziplinen Philosophie und Wirtschaftswissenschaft in
bezug auf die Frage, wer das Zwischengebiet der Wirtschaftsphilosophie zu behandeln hat, ist vollig unangebracht und geht an der Problemstellung, die eben zwischen Philosophie und Okonomie liegt und
an der sich beide Fiicher gleichberechtigt beteiligen miissen, vorbei.
Die Philosophie und die Wirtschaftswissenschaft sto15en jeweils von
ihrer eigenen Arbeit her auf die drei Sachgebiete der Wirtschaftsphilosophie, die daher in einer Synthese von okonomischer und philosophischer Theorie bearbeitet werden miissen. Fiir diese Synthese von okonomischer und philosophischer Theorie ist es unerlii15lich, in beiden
Gebieten, der Philosophie und der Okonomie, bewandert zu sein. Auf
diesem Gebiet ziihlt nicht, aus welcher Disziplin man kommt, sondern
was man zum Gebiet der Wirtschaftsphilosophie beizutragen vermag.
In der Wirtschaftsphilosophie und in der Wirtschaftsethik hat von beiden Fiichern, Philosophie und Okonomie, jedes Fach so viel zu sagen,
wie es zu sagen hat.
Die drei Gebiete der Wirtschaftsphilosophie hat bereits Werner Sombart in Wirtschaftsontologie, Wirtschaftskultur und Wirtschaftsethik
unterschieden? In Fortfiihrung des Sombartschen Ansatzes ist es sinnvoll, die Wirtschaftskultur und Wirtschaftsethik noch einmal unter dem
Begriff der Ethischen Okonomie, die sich in einen positiven kulturwissenschaftlichen und einen normativen moraltheoretischen Teil gliedert,
zusammenzufassen. Die Wirtschaftskultur umfa15t die Wechselbeziehung zwischen den kulturel1en Lebensordnungen und Daseinsdeutungen einer Gesellschaft einerseits und ihrer Wirtschaftsordnung, ihrem
Wirtschaftsstil und ihren wirtschaftlichen Praxisformen andererseits.
Der positive Teil der Ethischen Okonomie ist Kulturwissenschaft und
Kulturphilosophie. Er umfa15t auch die Hermeneutik als Methode und
Praxis des Verstehens kulturellen Sinnhandelns und kultureller Institutionen und Gebriiuche. Die Ethische Okonomie als kulturelle Okonomie stellt die Frage, wie wirtschaftliches Handeln verstanden wird und
nimmt die Theorie des Verstehens auf, urn sie auf die Wirtschaft anzu7
W.
SoMBART:
Die drei Nationaliikonomien, Berlin (Duncker & Humblotl 21967, S. 294.
15
PETER KOSLOWSKI
wenden. Sie ist zugleich Theorie der Wirtschaftsiisthetik und der
Gestaltung der nicht moralisch relevanten Unternehmenskultur.
Die Wirtschaftsethik schliefSlich umfafSt die Sollensordnung der
Wirtschaft, die Normen des individuellen Handelns sowie die Normen
des sozialen Handelns und der soziookonomischen Institutionen. Die
Wirtschaftsethik als normative Lebensordnung und Deutung der Wirtschaft ist Gegenstand des normativen Teiles der Ethischen Okonomie.
IV. Wirtschaftsethik auf dem Weg zur "normal science"
Der vorliegende Band umfafSt Beitriige zu neueren Entwicklungen
der Wirtschaftsethik und Wirtschaftsphilosophie. Er spiegelt damit
zugleich die Entwicklung der Wirtschaftsethik zur normalen Wissenschaft, zur "normal science" im Sinne von Thomas S. Kuhns Theorie
der Entwicklung wissenschaftlicher Paradigmata wider. Der besondere
Beitrag dieses Buches zur wirtschaftsethischen Diskussion liegt darin,
dafS es neben Grundlagenfragen auch die Wirtschaftsethik des staatlichen Wirtschaftshandelns und die Theologie der Wirtschaftsethik
behandelt. Die Erweiterung der wirtschaftsethischen Fragestellung auf
die Ethik des wirtschaftlichen Staatshandelns ist notwendig, weil dieses in den Diskussionen tiber ''business ethics" trotz seiner aufgrund
der hohen Staatsquote eminenten wirtschaftlichen Bedeutung zu wenig
Beachtung findet. Es ist sinnvoll, Fragen des theologischen Zugangs
zur Wirtschaftsethik im Rahmen eines Buches zur Wirtschaftsphilosophie zu erortern, weil, auch wenn Wirtschaftstheologie und Wirtschaftsphilosophie nicht dasselbe sind, ihre Verwandtschaft doch nicht
zu tibersehen ist.
Der vorliegende Band enthiilt auch Arbeiten zu Anwendungen der
Wirtschaftsethik auf Fragen nach der Rolle der Gewerkschaften und
der neuen sozialen Bewegungen in der wirtschaftlichen Entwicklung
und auf das Problem, wie Migrationen und Wanderungsbewegungen
wirtschaftsethisch zu behandeln sind. SchliefSlich gehoren zu den an
konkreten Sach- und Problembereichen orientierten Arbeiten dieses
Bandes auch Untersuchungen zur Unternehmensethik offentlicher
Unternehmen wie der Deutschen Bundesbahn und zur Unternehmensethik im Bankwesen.
16
EINLEITUNG
Die Weite der theoretischen und anwendungsbezogenen Fragestellungen dieses Bandes zeigt, daB die Wirtschaftsethik und die Wirtschaftsphilosophie auf dem Weg zur "normalen Wissenschaft" sind.
17
Teil I
Grundlagen
Kapitell
Die konstitutionelle Okonomik der Ethik*
JAMES
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
X.
M.
BUCHANAN
Ethische Verfassungen
Der soziale Kontext der Ethik
Die Minimal-Ethik der marktwirtschaftlichen Ordnung
Ethik und Externalitiiten
Ethik und gewohnlicher Tausch
Steigende Skalenertriige und Externalitiiten
Verallgemeinerte steigende Skalenertriige und das Potential fur
ethische Internalisierung
Die Erweiterung des Arguments: Sparen und Bedientwerden
Steig~p.de Skalenertriige und die Ausweitung des Marktes
Eine Okonomik der Efhik, keine Ubung in oKonomischer Analyse
Was ist eine "Okonomik der Ethik"? Die Okonomik der Ethik ist
keine Ubung der Moralphilosophie, weder der abstrakten noch der
angewandten. Es gibt in ihr keine explizite Bewertung der Verhaltens"Pilichten", weder fur das Handeln des Individuums noch fur das Individuum als solches. Tatsachlich handeln unsere Uberlegungen nicht
von der Ethik in diesem gebrauchlichen, normativen Sinn. Das hier
behandelte Thema ist Okonomik. Aber es ist die Okonomik der Ethik.
Damit gemeint ist zunachst die Analyse der Auswirkungen unterschiedlicher ethischer Standards, Normen, Regeln und Zwange auf den
wirtschaftlichen InteraktionsprozeB, auf die Fahigkeit von Mitgliedern
einer organisierten Gemeinschaft, bewertete Guter und Dienstleistungen fur sich und andere zu produzieren und untereinander zu
verteilen. Zweitens wird die Analyse auf die Entstehung der ethischen
Regeln selbst erweitert; auf die Frage, ob oder ob nicht diese die Resultate bewuBter Auswahl widerspiegeln. Das okonomische Streben als
ein ProzeB ist nicht unabhangig und kann nicht unabhangig sein von
der Ethik, die das Verhalten der Personen beschreibt, welche als Betroffene, als private oder offentliche Entscheider, unterschiedlich handeln .
• aus dem Amerikanischen iibersetzt von Birgitta Wolff
21
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