Untitled - Zentralinstitut für Seelische Gesundheit

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Autorinnen und Autoren
Dr. phil. Dipl.-Psych. Tanja Bernhardt, wissenschaftl. Mitarbeiterin in der Abt. Gerontopsychiatrie,
E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. Herta Flor, Leiterin Neuropsychologie, E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. Peter Frankenberg, Minister für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg
Prof. Dr. Lutz Frölich, Leiter Gerontopsychiatrie, E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. Dr. em. Heinz Häfner, Leiter Arbeitsgruppe Schizophrenieforschung,
E-Mail: [email protected]
Dipl.-Psych. Anne Hinckers, wissenschaftl. Mitarbeiterin der Klinik für Psychosomatik
und Psychotherapeutische Medizin, E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. Karl Mann, Direktor der Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin,
E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. Dipl.-Psych. Manfred Oster, FH für Sozialwesen Mannheim,
E-Mail: [email protected]
Dr. med. Gerhard Ristow, wissenschaftl. Mitarbeiter der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
des Kindes- und Jugendalters
Dr. phil. Dipl.-Psych. Regina Steil, Leitende Psychologin der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin, E-Mail: [email protected]
Dr. sc. hum. Dipl.-Psych. Isabella Wolf, wissenschaftl. Mitarbeiterin der Klinik für Psychiatrie und
Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, E-Mail: [email protected]
Impressum
Herausgeber: Zentralinstitut
für Seelische Gesundheit
68159 Mannheim, J 5
Redaktion: Dr. Marina Martini
Referat Öffentlichkeitsarbeit
Telefon: 0621/17 03-1301, -1302
Telefax: 06 21/17 03-1305
E-Mail: [email protected]
Internet: http://www.zi-mannheim.de
Nachdruck nur mit Genehmigung.
Hinweis:
Auch wenn in den folgenden Texten
auf die weibliche Form bei der Benennung von Personen verzichtet
wird, sind selbstverständlich immer
Frauen und Männer gemeint.
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Einweihung des Suchtzentrums
Rede von Minister
Prof. Dr. Peter Frankenfeld
Nach verschiedenen Schätzungen sind rund 5
Prozent der Menschen in Deutschland suchtkrank, aufgrund der hohen Dunkelziffer aber
wahrscheinlich deutlich mehr. Es ist also ein
drängendes, millionenfaches Problem, dem sich
die Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin hier in Mannheim widmet. Ich freue
mich, dass ihr dafür nun zusätzliche Räume zur
Verfügung stehen, und begrüße Sie alle zur
Einweihungsfeier ganz herzlich.
Im Mai des vergangenen Jahres habe ich unter
dem Motto „Zukunft kann man bauen - und Zukunft baut auf Forschung“ die Einweihung des
Laborgebäudes am Zentralinstitut für Seelische
Gesundheit vorgenommen. Nun ist unter der
Gesamtverantwortung von Herrn Verwaltungsdirektor Busche nach zweijähriger Bauzeit mit
dem neuen Suchtzentrum ein weiterer konsequenter Schritt in die Zukunft der Versorgungsforschung abgeschlossen. Denn wie heißt es
bei Antoine de Saint-Exupery? „Die Zukunft soll
man nicht voraussehen wollen, man soll sie
möglich machen.“
Minister Prof. Dr. Peter Frankenberg
kannt: Gemeinsam mit dem Bundesministerium
für Bildung und Forschung und anderen Geldgebern fördert mein Haus bereits seit einigen
Jahren die Aktivitäten des Suchtforschungsverbundes Baden-Württemberg. Ihm gehören das
Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, die
Universitäten Heidelberg, Tübingen und Freiburg an.
Ziel des Suchtforschungsverbundes ist es,
• das Zusammenspiel zwischen der Erforschung und der Versorgung von Suchterkrankungen zu verbessern,
• das Erkrankungsrisiko zu senken,
• den Krankheitsverlauf und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.
Meine Damen und Herren, Sucht ist eine Leidenschaft, die Leiden schafft. Bedauerlicherweise findet sie erst seit einigen Jahren wachsende Beachtung in der Forschung. Umso mehr
freut es mich, dass das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit sich mit dieser „Bürde der
Menschheit“ bereits frühzeitig auseinander gesetzt hat. Es versteht als seinen besonderen
Auftrag, den von der Sucht unmittelbar und
mittelbar betroffenen Menschen der Region
Hilfestellung zu leisten.
Sie, lieber Herr Professor Mann, haben den
„Baden-Württembergischen Suchtforschungsverbund“ vor vier Jahren initiiert. Dieser hat sich
als einer von insgesamt 16 Verbünden für das
BMBF-Programm „Gesundheit 2000“ beworben
– mit Erfolg! Nach einer Begutachtung durch ein
international besetztes Gutachtergremium wurden vier Verbünde in den Jahren 2001 bis 2004
finanziell
gefördert,
wobei
der
badenwürttembergische Verbund mit Abstand der
größte war. Die erneute Begutachtung des
Suchtforschungsverbundes im Jahre 2004 war
ebenfalls von Erfolg gekrönt: In einer zweiten
Periode wird der Verbund nun bis 2007 weiter
gefördert.
Die besondere Stellung der Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin in Forschung,
Lehre und Krankenversorgung kommt unter
anderem darin zum Ausdruck, dass es hier den
bundesweit einzigen Lehrstuhl für Suchtmedizin
gibt. Sein Inhaber, Sie, lieber Herr Professor
Mann, wurde in den Drogen- und Suchtrat des
Bundesministeriums für Gesundheit berufen.
Ihm wurde die Präsidentschaft des Weltkongresses für biomedizinische Alkoholforschung
übertragen, der im Herbst 2004 in Heidelberg
stattfand. Diese Klinik hat – davon bin ich überzeugt – alle Voraussetzungen, um noch vielen
Betroffenen die Tür zu einer besseren, suchtfreien Zukunft zu öffnen.
Die Gesamtfördersumme für den Verbund seitens des BMBF liegt bei 6,7 Millionen Euro.
Hinzu kommen Mittel aus meinem Haus für
sechs Jahre von rund 950.000 Euro. Diese Fördermittel sind im Wesentlichen für den Aufbau
einer DNA-Bank vorgesehen, die auch verbundübergreifend einem intensiveren Studium
der genetischen Grundlagen von Suchtverhalten dienen soll.
Die Landesregierung hat bereits früh die zunehmende Bedeutung der Suchtforschung er-
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cher Akteure zum Wohle der Patientenversorgung.
Im April 2005 hat sich die Klinik für Abhängiges
Verhalten und Suchtmedizin durch die Berufung
von Herrn Professor Kiefer auf eine W 3Professur für Suchtforschung personell verstärkt. Ich bin überzeugt, dass die Klinik so ihre
Spitzenstellung in der Suchtforschung aufrechterhalten kann. Ich möchte Ihnen, Herr Professor
Kiefer, für Ihre Aufgaben alles Gute und viel
Erfolg wünschen.
Meine Damen und Herren, ich bin davon überzeugt, dass das neue Suchtzentrum einen entscheidenden Fortschritt für die Versorgung
Suchtkranker in Mannheim und im RheinNeckar-Dreieck bringt und seinen Nutzern
Raum für weitere wissenschaftliche Höchstleistungen bietet.
Die Substanz des Zentralinstituts für Seelische
Gesundheit zeigt sich auch in der neuesten,
„Stein für Stein“ sichtbaren, baulichen Errungenschaft: dem neuen Suchtzentrum, das wir
heute einweihen. Für diesen Neubau wurde die
noch aus der Gründerzeit stammende, denkmalgeschützte Sandsteinfassade erhalten und
saniert. Das Gebäude verbindet so „historisch
Bestehendes“ mit einem grundsätzlich „neuen
Kern“.
Das neue Suchtzentrum mit der Tagesklinik
schafft mit seiner zusätzlichen Fläche von rund
1.000 Quadratmetern neuen Raum für die Ausweitung der Forschungsaktivitäten und Versorgungsleistungen des ZI auf die teilstationäre
beziehungsweise tagesklinische Behandlung
von Suchtpatienten. Diese wird die bisherigen
ambulanten und stationären Therapieangebote
ergänzen. Die Suchttagesklinik mit 20 Plätzen
wird die Lücke zwischen der immer wichtiger
werdenden rein ambulanten Behandlung und
der für schwerere Fälle nach wie vor notwendigen stationären Behandlung schließen.
Ich möchte allen meinen Dank und meine Anerkennung aussprechen, die dazu beigetragen
haben, dass wir heute die Einweihung des
Suchtzentrums feiern können. Allen voran
möchte ich stellvertretend für alle beteiligten
Firmen den Handwerkern und den Arbeitskräften der Baufirma Bilfinger und Berger danken.
Mein Dank gilt auch dem Architekturbüro Wessely + Partner, dem es gelungen ist, dieses
Gebäude in gelungener Form in das Stadtbild
einzupassen. Ebenso schließe ich in meinen
Dank den Bund ein, der sich an der Finanzierung nach dem Hochschulbauförderungsgesetz
beteiligt hat, und natürlich das Sozialministerium
Baden-Württemberg sowie die Bauverwaltung.
Allen, die hier im neuen Suchtzentrum arbeiten
werden, und allen, die sich hier Hilfe suchend in
Behandlung begeben werden, wünsche ich
alles Gute.
Peter Frankenberg
Rede von Prof. Dr. med. Karl Mann
Das neue Gebäude wird Forschungslabors und
Arbeitsgruppen aufnehmen, die zu unterschiedlichen Fragen des Suchtverhaltens und zu damit verbundenen Therapieansätzen forschen
werden. Die Therapiekonzepte der neuen Tagesklinik zielen vor allem darauf ab, neue Wege
einer verbesserten Behandlung zu finden und
diese wissenschaftlich zu evaluieren. Hier ist
vor allem an die große Gruppe der rund 1,5
Millionen Medikamentenabhängigen in Deutschland gedacht.
„Bezeichnend für diese Menschen ist es, dass
sie nicht nur eine minderwertige Gesundheit
haben sondern auch eine minderwertige Krankheit“.
Prägnanter als Robert Musil in seinem Roman
„der Mann ohne Eigenschaften“ kann man
kaum ausdrücken, was wir heute als Stigmatisierung psychisch Kranker bezeichnen. Während wir diesen Umstand beklagen und Antistigmaprogramme z.B. für Schizophrene und
Depressive entwickeln übersehen wir oft die in
Jahrzehnten auch innerhalb der Psychiatrie
herausgebildete Wertehierarchie mit höherwertigen und minderwertigen Krankheiten. Welchen
Rang dabei Suchtkranke einnehmen, können
Sie sich vorstellen. Vor diesem Hintergrund
feiern wir etwas, was als stein-gewordenes
Antistigmaprogramm für Suchtpatienten bezeichnet werden könnte. Die Eröffnung eines
solchen Gebäudes an Suchtforschung und
Suchttherapie wäre vor 10 oder 15 Jahren nirgendwo in Deutschland möglich gewesen. Auch
nicht am ZI.
Der Kostenaufwand für Sanierung und Umbau
des vierstöckigen Suchtzentrums belief sich auf
insgesamt 2,9 Millionen Euro. Der Bund und
mein Haus beteiligten sich gemäß Hochschulbaufinanzierungsgesetz mit insgesamt knapp
1,7 Millionen Euro an den Baukosten des
Suchtzentrums. Das Sozialministerium BadenWürttemberg steuerte einen Zuschuss nach
Krankenhausfinanzierungsgesetz von rund
720.000 Euro bei. Hinzu kam ein Zuschuss der
Stadt Mannheim für die Fassadenerhaltung von
rund 510.000 Euro. Sie sehen, auch hinsichtlich
der Finanzierung steht das Suchtzentrum für
kooperatives Zusammenwirken unterschiedli-
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malig ist. Er hat die institutionellen und räumlichen Bedingungen für ein erfolgreiches Forschen geschaffen, wie wir kürzlich bei der Einweihung des Laborgebäudes und jetzt bei der
Eröffnung dieses Suchtzentrums mit Tagesklinik
erleben dürfen. Mein Dank gilt neben Herrn
Prof. Henn auch dem Ministerium für Wissenschaft und Kunst, das seinen nicht unumstrittenen Ideen gefolgt ist.
Was hat nun diesen Wandel der Einstellungen
zur Sucht bewirkt?
1. Zur Beantwortung dieser Frage muss zunächst die Epidemiologie bemüht werden.
Wir wissen heute aus übereinstimmenden
Untersuchungen, dass etwa 20% der Patienten in den Praxen niedergelassener Ärzte
therapie-relevante Suchtprobleme haben.
Dies gilt auch für internistische und chirurgische Abteilungen von Allgemeinkrankenhäusern. In psychiatrischen Landeskrankenhäusern sind sogar 30 bis 40% der stationären Aufnahmen Suchtpatienten.
Die Suchtforschung ist kein „autistisches Modul“, weder in der Forschungslandschaft des ZI,
noch in den beiden medizinischen Fakultäten
oder der Gesamtuniversität Heidelberg. Wir sind
in der glücklichen Lage, die im Rhein-NeckarRaum angesiedelte Exzellenz für unsere Forschungsfragen nutzen zu können. Hier wären
unter anderem zu nennen: Bildgebung, Molekulargenetik, Neuroendokrinologie und Neuropsychologie aber beispielsweise auch die Kinderund Jugendpsychiatrie. Ohne die hier geschaffene Forschungslandschaft wären Erfolge, wie
die Einwerbung des BMBF-geförderten Suchtforschungsnetzes, oder die maßgebliche Beteiligung am nationalen Genomforschungsnetz,
oder unsere zum Teil federführende Mitwirkung
an EU-Projekten oder die erstmals in Deutschland geglückte Einwerbung von Geldern des
National Institutes of Health (NIH) nicht denkbar.
2. Abhängiges Verhalten kann als heuristisches Modell verstanden werden, welches
als Spezialfall das „Studium der Natur am
Beispiel des Menschen“ (Karl Jaspers) erlaubt. Die Operationalisierung von Suchtphänomenen wie Toleranzentwicklung oder
Kontrollverlust und ihre neurobiologische
Aufklärung eröffnet auch Wege zum Verständnis menschlichen Verhaltens in seinen
gesunden Spielarten.
3. Wesentlich vertieft wird dieser Forschungsansatz durch Tiermodelle süchtigen Verhaltens, wie sie in den letzten Jahren entwickelt wurden.
Das Alles erscheint mir auch unabhängig von
der Suchtforschung ein gutes Beispiel für die
Möglichkeiten eines kleinen und flexiblen Forschungsinstitutes, wie das ZI es darstellt. Man
könnte also durchaus nicht nur sagen, „small is
beautifull“ sondern auch „small is successfull“,
oder „small is transparent“ usw.
Heute können wir den Phänotyp abhängigen
Verhaltens beispielsweise Toleranzentwicklung
oder Kontrollverlust unmittelbar an Tieren modellieren und durch systematische Variation
bestimmter Kontrollvariablen aufklären. Auch
die Wirksamkeit pharmakologischer Therapieansätze kann mit diesem Modell geprüft werden. Nehmen wir noch die Möglichkeiten genetischer Analysen und die Entwicklung von
Knock out und transgenen Tieren hinzu, so
haben wir eine in der Neurobiologie einzigartige
Konstellation zur systematischen Erforschung
unseres Themas.
Von „Exzellenz“ war bereits die Rede. In diese
Diskussion möchte ich den Begriff der „gefühlten Exzellenz“ einführen, ganz ähnlich wie in
der Meteorologie, wo wir unterscheiden in eine
„gemessene Temperatur“ und eine „gefühlte
Temperatur“. Gefühlte und gemessene Exzellenz können durchaus kontrastieren, wofür die
Auswertungen der Medizin-Struktur-Kommission einige Beispiele liefert.
Mit der Berufung von Herrn Prof. Henn zum
Direktor des Zentralinstituts 1996 ging eine
Bestandsaufnahme und Neuorientierung einher.
Er hat die oben genannten Chancen einer abgestimmten klinischen und präklinischen Suchtforschung erkannt und konsequent eine entsprechende Berufungspolitik betrieben. Nach
meiner Berufung auf den Lehrstuhl für Suchtforschung 1999 kam 2000 mit Herrn Prof. Spanagel ein international ausgewiesener präklinischer Suchtforscher als Leiter der Abteilung
Psychopharmakologie hinzu. Professor Henn
hat damit die Grundlage für den Aufbau eines
Forschungszentrums gelegt, das in dieser
Kombination und in dieser Form in Europa ein-
So viel zur Suchtforschung. Natürlich wird dieses Gebäude auch in verstärktem Maße genutzt
um gravierende Defizite in der Lehre bezüglich
Sucht und abhängigem Verhalten zu bearbeiten. Neben einer Intensivierung in der Aus-,
Weiter- und Fortbildung von Medizinern ist an
Angebote für Psychologiestudentinnen und studenten gedacht. Zusätzlich bieten die Räume des Suchtzentrums auch eine verbesserte
Möglichkeit für die regelmäßigen Kontakte mit
Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen.
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chen Modell der spezialisierten Behandlung
anderer Abhängigkeiten folgen.
Nun also zur Suchttherapie. Sie sollte in meinem Verständnis nie losgelöst betrachtet werden von der klinischen Suchtforschung. Die
Eröffnung einer teilstationären Behandlungseinrichtung zur Akutversorgung von Suchtkranken war schon Gegenstand erster Planungen
Mitte der 90er Jahre.
Mit der neuen Tagesklinik schließt sich also der
Kreis unseres Behandlungsangebotes, so dass
wir jetzt tatsächlich die Möglichkeit haben vergleichende Untersuchungen zur Allokation von
Patienten durchzuführen. Dieses gesamte therapeutische Angebot ist eingebettet in eine erfolgreich kooperierende Beratungs- und Therapielandschaft in Mannheim und Umgebung.
Essentiell hierfür ist die enge Kooperation mit
den Hausärzten, Internisten, Psychiatern und
Psychotherapeuten. Ebenso die fest etablierte
Zusammenarbeit mit den ortsansässigen Beratungsstellen, wie des Drogenvereins, der Caritas, der Diakonie und des Badischen Landesverbandes. Zusätzlich kooperieren wir eng mit
verschiedenen Kliniken, wie beispielsweise dem
Diakoniekrankenhaus und selbst-verständlich
auch dem Universitätsklinikum Mannheim. Eine
sehr enge und kollegiale Zusammenarbeit von
Anfang an gab es mit der Abteilung für Suchttherapie des Psychiatrischen Zentrums Nordbaden in Wiesloch. Wer die jüngere Geschichte
von ZI und PZN kennt, weiß, dass dies nicht
selbstverständlich war.
Die Tagesklinik stellt einen weiteren Meilenstein
in der sucht-medizinischen Versorgung der
Bevölkerung von Mannheim und Umgebung
dar. Selbstverständlich wird es Aufgabe unserer
Therapieforschung sein, zu untersuchen, welche Patienten zu welcher Zeit an welcher Stelle
unserer gesamten Therapiepalette am effektivsten und am effizientesten behandelt werden
können. Das wird auch die Krankenkassen interessieren mit denen wir in der Erforschung von
Kosten-Nutzenaspekten beispielhaft kooperieren und die von Anfang an unserer Arbeit gegenüber sehr aufgeschlossen waren.
Wir verfügen jetzt über ein umfassendes Therapieangebot von der stationären Behandlung
über eine in den letzten Jahren stetig stärker
nachgefragte allgemeine Suchtambulanz, eine
spezialisierte Ambulanz zur Substitutionsbehandlung von Drogenabhängigen sowie über
verschiedene Spezialambulanzen, beispielsweise zur Raucherentwöhnung oder für Konsumenten von Ecstacy und Partydrogen. Einzig
die Medikamentenabhängigkeit, insbesondere
von Benzodia-zepinen wurde noch nicht erwähnt. Nicht umsonst wird sie als „stille Sucht“
bezeichnet. Nach Schätzungen, hier gibt es
keine genauen Zahlen in Deutschland, leiden
hierunter etwa 1,4 Millionen Bundesbürger.
Davon sind nur ca. 2000 in Behandlung. Überwiegend handelt es sich um Frauen im fortgeschrittenen Lebensalter. Sämtliche bisherigen
Therapieangebote hier und andernorts haben
diese unterversorgte Gruppe von Suchtpatientinnen noch nicht erreicht. Deshalb wird die
neue Tagesklinik einen besonderen Schwerpunkt auf die Behandlung von Medikamentenabhängigen legen. Während die ambulante
Entzugsbehandlung sehr häufig am endgültigen
Absetzen der bereits reduzierten Medikation
scheitert, ist auch die stationäre Behandlung
unter den üblichen Rahmenbedingungen mit
überwiegend Alkoholabhängigen oder jugendlichen Cannabiskonsumenten nicht geeignet,
diese Patientinnen über die erforderlichen vier
bis fünf Wochen zu behandeln. Hier versprechen wir uns einiges von dem therapeutischen
Setting der Tagesklinik mit seinen sehr speziellen Möglichkeiten. Sofern diese Behandlung
genügend nachgefragt wird, werden wir eine
Therapiegruppe ausschließlich für Medikamentenabhängige bilden und somit dem erfolgrei-
Nun haben Sie etwas zu den Themen Forschung, Lehre und Krankenversorgung in diesen neuen Räumen gehört. Es bleibt ein vierter
Aufgabenbereich, dem sich das gesamte ZI von
Anfang an verpflichtet fühlt. Es geht um die
Politikberatung sowohl des Landes, wie auch
des Bundes. Gerade die Drogen- und Suchtpolitik ist in den letzten Jahren radikal umgeschrieben und aus meiner Sicht verbessert worden.
Dies geschah in enger Abstimmung mit den
entsprechenden Mandatsträgern. Ich denke hier
vor allem an die drogen- und suchtpolitischen
Sprecher der Fraktionen in Stuttgart und Berlin.
In diesem Zusammenhang freue ich mich ganz
besonders über die Anwesenheit von Herrn
Kollegen Lasotta, dem drogenpolitischen Sprecher der CDU-Fraktion.
Wenn wir nun also ein weiteres Kapitel in der
Antistigmakampagne bezüglich Suchterkrankungen eröffnen, dann auch mit dem Hinweis,
dass derartige Aufgaben immer von einem
Team getragen werden müssen. Ich habe das
Glück mit kompetenten und hoch motivierten
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in allen Bereichen der Therapie, der Organisation, Verwaltung und der Forschung zusammen zu arbeiten.
Auch Ihnen an dieser Stelle meinen herzlichen
Dank.
Karl Mann
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Zwischen den Stühlen
20 Jahre therapeutische Wohngruppe Kettelerweg
Nach Beendigung einer stationären Behandlung
in der Kinder- und Jugendpsychiatrie kehren die
meisten Jugendlichen nach Hause zurück. Die
meisten, aber nicht alle. Eine kleine Gruppe von
Jugendlichen ist leider noch so beeinträchtigt,
dass eine Rückführung ins häusliche Umfeld
eine Gefährdung des Behandlungserfolges
darstellt. Doch wohin können diese Jugendlichen gehen?
Aufgrund dieser Fragestellung wurde 1984 ein
Modellprojekt mit Hilfestellung des damaligen
Bürgermeisters Dr. Hans Martini von der Klinik
für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Kooperation mit dem Johann-Peter-Hebel-Heim ins Leben gerufen. Es wurde eine Übergangswohngruppe für psychisch kranke Jugendliche und
junge Erwachsene im Kettelerweg gegründet.
Zunächst musste die Finanzierung des Projektes individuell für jeden Jugendlichen erfolgen,
in den folgenden Jahren konnten aber diverse
Kostenträger von dem Konzept überzeugt und
gewonnen werden. Aktuell ist die Jugendhilfe
der Hauptkostenträger dieser Maßnahme.
Daneben finden sich Sozialämter und Landeswohlfahrtsverbände als Kostenträger. Die
Räumlichkeiten befinden sich im Kettelerweg in
Mannheim - Gartenstadt.
Aufnahme in die Wohngruppe im Anschluss an
einen Klinikaufenthalt, aber sie kann auch von
zu Hause aus initiiert werden.
In diesem Zeitraum sind fast 200 Jugendliche in
die Wohngruppe aufgenommen worden, die
durchschnittlich 550 Tage dort verblieben. Das
Alter bei Aufnahme in die Wohngruppe lag im
Durchschnitt bei 17,5 Jahren. 56,7% der Jugendlichen kamen direkt aus Mannheim oder
einem Umkreis bis zu 50km.
Die Störungsbilder der Jugendlichen waren in
32% der Fälle dem psychotischen Formenkreis
zuzuordnen, 21% litten an einer Essstörung
(Magersucht oder Ess- Brechsucht) und bei
13% wurde eine affektive Störung festgestellt
(z.B. Depression), siehe Abb. 2.
Abb 2: Diagnosenverteilung
Abb. 1: Das Haus im Kettelerweg
Die Wohngruppe startete vor 20 Jahren mit acht
Jugendlichen in einer Gruppe und wuchs mit
der Zeit an. Aktuell befinden sich zwischen 15
und 17 Jugendliche und junge Erwachsene in
zwei Gruppen. Aufgenommen werden Jugendliche, die dem § 35a SGB VIII entsprechen, einem Paragraphen, der die Wiedereingliederung
von Kindern und Jugendlichen regelt, die in
ihrer seelischen Gesundheit bedroht oder bereits beeinträchtigt sind. In der Regel erfolgt die
Nach Abschluss der Behandlung gingen 39%
nach Hause zurück, 17,6% zogen in die
eigene Wohnung oder das betreute Wohnen
und 5% verließen die Wohngruppe um zu
ihren Partnern zu ziehen. 39 der
Jugendlichen stammten aus Mannheim und
blieben nach der Entlassung in Mannheim.
47 Jugendlichen kamen von außerhalb
Mannheims und verblieben nach Entlassung
in Mannheim. 54 Jugendliche kehrten im Anschluss an den Wohngruppenaufenthalt nach
Hause zurück. 18 Jugendliche aus Mannheim
zogen aus Mannheim weg, in 8 Fällen war der
Verbleib leider undokumentiert (siehe auch Abb.
3).
Ziel des Wohngruppenaufenthaltes ist eine Rehabilitation sowohl im seelischen wie auch psychosozialen Sinne. Konkret werden Fähigkeiten
im Umgang mit der Erkrankung vermittelt (sogenanntes Selbstmanagement), falls noch nicht
vorhanden der Abschluss der Schule gefördert,
eine Integration in den Arbeitsmarkt initiiert und
den Arzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie
supervidiert wird.
erste Schritte zur Verselbstständigung getan.
Um diese Ziele verwirklichen zu können, werden verschiedene Dinge angeboten: Es besteht
eine feste Tagesstruktur, die mit gemeinsamem
Frühstück beginnt. Je nach Entwicklungsstand
des Jugendlichen besucht er im Anschluss seine Schule, einen Kurs oder Praktikum beim
Internationalen Bund (IB) oder seine Ausbildungsstelle. Jugendliche, die noch nicht so
belastbar sind, verbringen den Vormittag in der
Arbeitstherapeutischen Werkstatt (ATW), die
sich fünf Minuten Fußweg von der Wohngruppe
entfernt befindet.
Anlässlich des zwanzigjährigen Bestehen der
Wohngruppe fand am 27. April 2005 eine Fachtagung im Johann-Peter-Hebelheim statt, die
den Titel dieses Artikels trug. Rund 100 interessierten Gästen (Sozialarbeiter von Kliniken und
Jugendämtern, Psychologen, Sozialpädagogen
und Erziehern) wurden in fünf Vorträgen zunächst zu psychischen Störungen informiert.
Dabei referierte Prof. Schmidt (Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
des Kindes- und Jugendalters) über die Bedingungen, die den Verlauf der früh beginnenden
Schizophrenie bestimmen. Dr. Maras, Ärztlicher
Leiter des Bereichs Emotionale Störungen,
CURIUM, KJPP-Uni Leiden, sprach über die
berufliche Reintegration schizophrener Adoleszenter und Dr. Höschel (Psychologischer Psychotherapeut in der Klinik für Psychosomatik
und Psychotherapeutische Medizin am ZI) stellte die Dialektisch Behaviorale Therapie (DBT)
im Netzwerk bei Borderline Störung vor. Frau
Schmidt-Nieraese, Stellv. Amtsleiterin und Leiterin der Sozialen Dienste des Stadtjugendamts
Mannheim, referierte über die Kooperation bei
der Erstellung und Fortschreibung des Hilfeplans bei Maßnahmen nach § 35a SGB VIII und
abschließend stellte Herr Späth, Referent für
Erziehungshilfe des Diakonischen Werks der
EKD, Stuttgart die Zusammenarbeit der verschiedenen Leistungsträger bei Hilfen nach §
35a SGB VIII vor. Nachmittags erläuterte Frau
Leyrer, Bereichsleiterin im Johann-PeterHebelheim und verantwortlich für die therapeutische Wohngruppe, den konzeptionellen
Wechsel und die Behandlungsergebnisse der
therapeutischen Wohngruppe. Anschließend
stellten Teammitglieder in Kleingruppen Ausschnitte ihrer täglichen Arbeit dar. Die Vorträge
stießen auf großes Interesse und die anschließenden Diskussionen zeigten, das die Rehabilitation psychisch erkrankter Menschen in Kliniken und Jugendhilfe nach wie vor ein aktuelles
Thema ist.
Abb. 3: Entlassungsort
Eine warme Mahlzeit wird je nach Gruppe mittags oder abends gemeinsam eingenommen.
Nach einer Mittagspause wird nachmittags noch
ein Gruppenprogramm angeboten, das für alle
Jugendliche verpflichtend ist. Des weiteren
müssen alltägliche Dinge wie Putzen, Besorgungen und Termine koordiniert werden und
sind an bestimmten Tagen von den Jugendlichen durchzuführen.
Für die Jugendlichen ist eine medizinische
und/oder therapeutische Anbindung verpflichtend. Diese wird zum Teil bei niedergelassenen
Kollegen (Kinder- und Jugendpsychiater, psychotherapeuten, Psychiatern und Psychologen) oder in der Ambulanz der Klinik für Kinderund Jugendpsychiatrie wahrgenommen. Das
Medikamentenmanagement wird zunächst vom
Mitarbeiter übernommen, im weiteren Verlauf ist
es aber Ziel, dass die Jugendlichen und jungen
Erwachsenen dieses in Eigenverantwortung
übernehmen.
Gerhard Ristow
Bekommen wir alle Alzheimer?
Die leichte kognitive Störung und der
Übergang in die Demenz
Die Mitarbeiter der Gruppen bestehen aus Sozialpädagogen, Erziehern und Fachkrankenpflegern. Jeder der Mitarbeiter verfügt über
Erfahrung in der Betreuung von psychiatrischen
Patienten, sei es aus Praktika oder aus der
jeweiligen Fachausbildung. Die Mitarbeiter der
Gruppen bilden sich therapeutisch weiter, z.B.
zu systemischen Therapeuten. Einmal wöchentlich erfolgt eine Teambesprechung je Gruppe,
die durch eine beratende Ärztin/einen beraten-
Der Anstieg der Lebenserwartung, die Zunahme
der älteren Menschen in der Bevölkerung und
die zunehmende Erkrankungshäufigkeit im Alter
bringen eine große gesellschaftliche Herausforderung mit sich. 1871 waren 4,6% der deutschen Bevölkerung älter als 65 Jahre, 1971
bereits 15,7 % und nach Modellrechnungen zur
Bevölkerungsentwicklung wird der Anteil der
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• die Kriterien einer Demenz dürfen nicht erfüllt sein
über 65-jährigen im Jahre 2030 23,8% betragen
(Bickel, 1999). Zu den alterskorrelierten Krankheiten gehören in erster Linie alle Formen von
Demenz. Studien in mehreren Ländern fanden
in der Altersgruppe der über 65-jährigen eine
Prävalenz von Demenzerkrankungen zwischen
5 und 8% (Bickel, 1999). Die Untersuchung der
Altersabhängigkeit zeigt, dass die Erkrankungshäufigkeit mit wachsendem Lebensalter steil
ansteigt. Bis zu einem Alter von 74 Jahren beträgt die Prävalenzrate in der Bevölkerung weniger als 5% und steigt bei den über 85-jährigen
auf 20-30% an. Diese Häufigkeitsangaben beziehen sich auf mittelschwere bis schwere Demenzfälle. Darüber hinaus gibt es noch eine
große Zahl von Personen mit fraglichen bis
leichten kognitiven Störungen.
Tabelle 1 zeigt die Diagnosekriterien im Vergleich (Kurz et al., 2004). Ein wesentlicher Unterschied von DSM-IV und ICD-10 zu den Kriterien von Petersen ist, dass sie die leichte kognitive Störung als Phänomen einer vorübergehenden Erkrankung betrachten.
Die leichte kognitive Störung und die Abgrenzung zur Demenz
Die Abgrenzung der leichten kognitiven Störung
zu altersbedingten kognitiven Einbußen und zu
Demenz ist schwierig. Die kognitive Fähigkeit im
Alter unterliegt einer starken interindividuellen
Streuung und eine Abweichung von der Altersnorm muss nicht gleichbedeutend sein mit einer
krankhaften Ursache (Kessler et al., 1997).
Sowohl die Definition der leichten kognitiven
Störung als auch der Demenz wird durch die
unterschiedlichen Diagnosekriterien erschwert.
Die leichte kognitive Störung
Die leichte kognitive Störung bezeichnet eine
häufig fortschreitende Leistungsminderung des
Kurzzeitgedächtnisses, der Merkfähigkeit, Aufmerksamkeit oder des Denkvermögens, die
typischerweise nicht mit einer Beeinträchtigung
der alltagspraktischen Fähigkeiten einhergeht.
Zusätzlich zu Gedächtnisfunktionen können
auch andere kognitive Funktionen betroffen
sein. Die Leistungsabnahme geht über den
normalen Alterungsprozess hinaus, erreicht
jedoch nicht den Grad einer Demenz. Die Prävalenz des Syndroms wird auf 17% in der Bevölkerung der über 65-jährigen geschätzt. Bei
10-15% der Patienten schreitet die leichte kognitive Störung innerhalb ein bis zwei Jahren zur
Demenz fort, in einigen Fällen bleibt sie unverändert oder bildet sich zurück (Kurz et al.,
2004). Der Begriff des Mild Cognitive Impairment (MCI) wurde unter anderem von Ronald
Petersen geprägt (Petersen et al., 1999 und
2001).
Beschreibt man den zeitlichen Verlauf einer
neurodegenerativen Demenzerkrankung auf
einem Kontinuum der kognitiven Leistungsfähigkeit, erfolgt der Übergang zwischen leichter
kognitiver Störung und Demenz nicht zu einem
exakt feststellbaren Zeitpunkt. Für die Personen, die im Verlauf tatsächlich eine Demenz
entwickeln, fällt der kognitive Status kontinuierlich vom gesunden Status ab, durchläuft das
MCI-Stadium und erreicht schließlich das Stadium einer Demenz. Bei unterschiedlichen Personen wird die Grenze zwischen den Stadien
vermutlich nicht zum selben Zeitpunkt überschritten, sondern ist abhängig von Faktoren
wie prämorbider Intelligenz und Selbstwahrnehmung einer Person.
Diagnose und Therapie
Die Diagnostik des MCI unterscheidet sich im
Wesentlichen nicht von der Diagnostik einer
Demenz, denn es kommen sich die gleichen
apparativen und psychologischen Untersuchungen wie bei der Diagnostik anderer neurodegenerativer Erkrankungen zur Anwendung. Typisch ist aber, dass sich in wenig sensitiven
Tests wie zum Beispiel dem MMSE noch keine
Einschränkungen zeigen. Klar ist inzwischen,
dass viel Patienten tatsächlich nicht in einer
Vor- oder Frühphase einer Demenz-Erkrankung
leben, und es wird intensiv beforscht, ob es
bestimmte Faktoren des MCI gibt, die eng mit
einer späteren Demenz-Erkrankung assoziiert
sind und somit als prädiktive Marker dienen
könnten.
Diagnostische Kriterien
Zur Charakterisierung des MCI (deutsch = leichte kognitiven Störung) gibt es unterschiedliche
Kriterien. Die Definitionen nach Petersen
(1997), DSM-IV (American Psychiatric Association, 1994) und ICD-10 (Dilling et al., 1994)
haben derzeit die größte praktische Bedeutung.
Für wissenschaftliche Forschungsvorhaben wird
die Definition von Petersen (1997) häufig eingesetzt und nennt folgende Merkmale des MCI:
• subjektive Gedächtnisstörung (möglichst
bestätigt von einer Bezugsperson)
• unterdurchschnittlicher Gedächtnisleistung
in neuropsychologischen Testverfahren
• keine Einschränkung sonstiger kognitiver
Funktionen
• keine Einschränkung der Alltagsaktivitäten
Um eine sichere Unterscheidung zwischen einer
leichten kognitiven Störung und einer Demenz
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Merkmal
Leichte kognitive Störung DSM-IV
Leichte kognitive
Störung ICD-10
Mild Cognitive Impairment (MCI)
Subjektive Beschwerden
Bericht über kognitive
Störung entweder durch
Patient oder Bezugsperson
Bericht über kognitive
Störung entweder
durch Patient oder
Bezugsperson
Subjektives Klagen
über Gedächtnisstörungen
Mindestdauer
2 Wochen
2 Wochen
keine Festlegung
Minderung gegenüber bisherigem
Leistungsniveau
Ja
keine Festlegung
keine Festlegung
Gedächtnisstörungen
obligat
Nein
Nein
Ja
Ätiologischer Faktor
Nachweis eines ursächlich oder medizinischen
Krankheitsfaktors
Nachweis oder Anamnese einer zerebralen
oder systematischen
Krankheit als Ursache
Keine Festlegung
Objektivierung durch
psychometrische
Test
Ja
Ja
Nicht vorgeschrieben
Alltagsfunktionen
Kognitive Defizite führen
zu deutlichem Leiden
oder sozialer/beruflicher
Beeinträchtigung
Keine Festlegung
Alltagsbewältigung
intakt
Ausschluss
Delir, Demenz, amnestische Störung, andere
psychische Störung
Delir, Demenz, amnestisches Syndrom,
andere Ursachen
Demenz
Tabelle 1: Diagnosekriterien
tomografisch nachweisbaren Veränderungen
sind dann bei Patienten mit einer Alzheimer
Demenz noch deutlich stärker ausgeprägt.
Weitere diagnostische Verfahren zur sicheren
Abgrenzung verschiedener Krankheitsätiologien, die wahrscheinlich in Zukunft eine größere
Bedeutung erlangen werden, sind Untersuchungen von Blut, Liquor und Genotypisierungen (Blennow K., 2004; van Duijn C., 2004).
Diskutiert wird auch, dass etwa das ApoE4Allel, erhöhte Homocystein- oder LDL-Spiegel
oder erhöhte Entzündungs-Parameter, wie Interleukin 6, risikomodulierende Parameter sind.
Zu klären ist noch, ob etwa Veränderungen im
Hippocampus bei MCI allein oder in Kombination mit psychologischen und biologischen Parametern als Prädiktor für eine spätere Alzheimer-Demenz geeignet sind.
zu treffen, werden die kognitiven Funktionen
des Patienten mit altersnormierten Testverfahren erhoben und durch Befragung einer Bezugsperson die Beeinträchtigungen der alltagspraktischen Fähigkeiten objektiviert. Eine erhöhte Aussagekraft neuropsychologischer Testverfahren bieten Wiederholungsmessungen, die in
einem Abstand von 6-12 Monaten durchgeführt
werden sollten. Eine Verschlechterung der
Testergebnisse macht eine krankheitswertige
Ursache der leichten kognitiven Störung wahrscheinlich.
Zur weiteren Diagnosesicherung, ätiologischen
Zuordnung und prognostischen Beurteilung
stehen die bildgebenden Verfahren zur Verfügung. Atrophie und Volumenabnahme, insbesondere des Hippocampus und anliegender
Hirnstrukturen, sind bei Patienten mit leichter
kognitiver Störung häufig zu finden und weisen
auf eine frühe strukturelle Manifestation der
Alzheimer Demenz hin (Jack et al., 1999; de
Leon M., 2004). Diese Patientengruppe hat ein
besonders hohes Risiko - innerhalb kurzer Zeit die Demenzkriterien zu erfüllen. Die kernspin-
Pharmakotherapeutische Ansätze zur Behandlung kognitiver Störungen haben sich bisher auf
die Behandlung der Alzheimer Demenz konzentriert. Zur Therapie der leichten kognitiven
Störung werden zurzeit mehrere klinische Prüfungen mit Substanzen durchgeführt, die zuvor
10
schon ihre Wirksamkeit für die Behandlung
einer Alzheimer Demenz unter Beweis gestellt
haben.
Im Juli 2004 sind hierzu erste Ergebnisse von
zwei großen weltweiten durchgeführten klinischen Studien bekannt geworden. In den Untersuchungen mit den Wirkstoffen Donepezil
und Galantamin zeigten sich zwar vereinzelt
positive Testwerte, insgesamt aber keine Verzögerung der Progressionsrate zur Alzheimer
Demenz (Salloway et al., 2004).
"Psychose und Stigma"
Ein Projekt der FH für Sozialwesen
Mannheim in Kooperation mit dem ZI
"Wer mit den Massenmedien entstigmatisieren
will, kämpft nicht nur gegen den Zeitgeist.Er
kämpft gegen Windmühlen." (Asmus Finzen)
"Psychose und Stigma" – so lautet der Titel
unseres zweisemestrigen Projekt-Studiums, im
Rahmen dessen wir uns mit der Position Psychoseerfahrener in der Gesellschaft bzw. mit
Einstellungen und Haltungen der Bevölkerung
gegenüber psychisch kranken Menschen – dem
Bild der psychischen Erkrankung in der Öffentlichkeit – befassen.
Ausblick
In unterschiedlichen nationalen und internationalen Studien werden derzeit erhebliche Anstrengungen unternommen, um eine geeignete
Prädemenzdiagnostik zu entwickeln. Denn nur
durch eine frühzeitige Diagnose kann der Weg
zu einer gezielten Therapie eingeleitet werden.
Das Phänomen der psychischen Erkrankung
gleicht einem Januskopf mit zwei Gesichtern:
Die eine Seite der Medaille spiegelt die Psychose an sich wider, während die andere Seite den
Mythos der Stigmatisierung psychisch erkrankter Menschen trägt. Nach Robert Musil ("Der
Mann ohne Eigenschaften") leiden psychisch
kranke Menschen nicht nur unter ihrer minderwertigen Gesundheit, sondern auch an einer
minderwertigen Krankheit.
Genannt seien hier das Kompetenznetz Demenzen
(www.kompetenznetz-demenzen.de)
und die europäische DESCRIPA-Studie (Development of Screening Guidelines and Diagnostic
Criteria for Predementia Alzheimer´s Disease,
siehe http://eadc.alzheimer-europe.org), die
sich aktuell mit dieser Thematik befassen. Zusätzlich sind weitere Ergebnisse aus klinischen
Prüfungen nötig, um pharmakotherapeutische
Behandlungsstrategien zur Therapie der leichten kognitiven Störung voranzutreiben.
Vor diesem Hintergrund zielt unser Projekt auf
die Entmystifizierung des Phänomens "Psychose und Stigma". Dabei handelt es sich um eine
sensible Thematik, welche uns alle angeht:
Denn zum Erhalt der Gesundheit der Seele
existiert kein Impfstoff, aufgrund dessen niemand zeitlebens gegen eine psychische Erkrankung immun oder geschützt ist; jeder kann
im Laufe seines Lebens davon betroffen werden. Niemand darf aufgrund seiner Krankheit
diskriminiert werden. Dieses Bewusstsein ist
allerdings noch nicht integraler Bestandteil der
Handlungs- und Verhaltenswei-sen der Bevölkerung.
Aber: „Bekommen wir nun alle Alzheimer?“
Es ist festzuhalten, dass der häufigste Zustand
im Alter noch immer die (relative) Gesundheit
ist. Eine leichte kognitive Störung ist nicht nur
ein subjektives Gefühl nachlassender Leistungsfähigkeit, sondern muss diagnostisch belegt werden. Und selbst wenn, dieser Phänotyp
vorliegt, heißt es nicht, dass die leichte kognitive
Störung zu einer Alzheimer Krankheit fortschreiten wird. Ein MCI ist als Risikostadium zu betrachten, dass zur Demenz fortschreiten oder
unverändert bleiben oder sich auch zurückbilden kann.
Aufgrund mangelnder Information bestehen in
der Gesellschaft immer noch Vorurteile sowie
Distanz gegenüber psychisch kranken Menschen. So werden Betroffene leider immer noch
häufig als unheilbar kranke "Irre" oder "Verrückte" abgestempelt. Darüber hinaus gelten psychisch kranke Menschen als unberechenbar,
gefährlich oder gar gewalttätig. Der Irrglaube
gipfelt darin, dass die psychische Erkrankung
als Ergebnis einer Charakter- oder Willensschwäche durch Schuldzuweisungen verurteilt
wird, oder gar in der Vorstellung, Betroffene
seien mit ihrer "Verrücktheit" ansteckend. Eine
geradezu zwangsläufige Folge solcher Kognitionen ist die Stigmatisierung psychisch kranker
Menschen.
Als Präventions- und Therapiemaßnahmen
gelten auch bei der leichten kognitiven Störung
ein allgemeines Risikofaktor-Management und
eine gesunde Lebensführung wie sportliche und
geistige Betätigung, mäßiger Alkoholkonsum
und Nichtrauchen.
Lutz Frölich, Tanja Bernhardt
(Literatur bei den Autoren)
Stigmatisiert zu werden bedeutet, mit einem
"Zeichen" behaftet zu sein. Es "haftet" oder
11
Öffentlichkeitsarbeit des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit sowie der Patientenfürsprecherin des Zentralinstituts, Monika Wolff. Unterstützung erhielten wir auch vom Leipziger
Schulprojekt "Irrsinnig menschlich e. V."
"bleibt kleben". Stigmatisierung spiegelt die
benachteiligende Haltung und Einstellung eines
Menschen gegenüber einer anderen Menschengruppe wider, welche sowohl verbal als
auch nonverbal durch Gesten, Mimik, Körperhaltung oder Tonfall geäußert und im Zuge dessen weiter verbreitet werden. Die Etikettierung
„Psychose“ wird somit zum Stigma psychischer
Erkrankungen, welches sich nach Asmus Finzen als "die zweite Krankheit neben der Psychose" manifestiert. Dies führt zu einer Benachteiligung psychisch kranker Menschen im Vergleich zu körperlich Kranken im Sinne einer
sozialen Ausgrenzung bis hin zur Isolation. Aus
der Stigmatisierung erwächst also sowohl eine
strukturelle wie soziale Diskriminierung in Form
von Herabsetzung sowie Benachteiligung psychisch kranker Menschen auf mehreren Ebenen.
Spannend war für uns darüber hinaus die Frage, ob wir mit dieser Thematik Jugendliche im
Alter von 13/14 Jahren überhaupt erreichen
können.
Rahmenbedingungen
Die Zielgruppe unseres Workshops setzte sich
aus Konfirmanden der Gemeinde Neuostheim/Neuhermsheim zusammen. Die 31 Jungen
und Mädchen, im Alter von 13 bis 15 Jahren,
gehen auf unterschiedliche Schulen. Über die
Hälfte der Jugendlichen besuchen das Gymnasium, sieben Schüler die Realschule, und ein
Schüler geht auf die Hauptschule. Das Projekt
fand an drei Terminen für jeweils zwei Stunden
im Rahmen des Konfirmandenunterrichtes statt.
Es ist demzufolge Aufgabe aller im Bereich der
psychischen Gesundheit Tätigen, der Stigmatisierung psychisch kranker Menschen entgegenzuwirken bzw. einen Beitrag zur Stigmabewältigung zu leisten. Bewusstmachung und
Bekämpfung von Stigmatisierungen durch gezielte Aufklärungsmaßnahmen sind von zentraler Bedeutung, um das krankheitsspezifische
Wissen in der Öffentlichkeit durch Sachinformationsvermittlung zu korrigieren. Diesem Credo
folgt die weltweite Anti-Stigma-Bewegung zum
Abbau von falschen Vorstellungen, Vorurteilen
sowie Diskriminierung psychisch kranker Menschen, welcher diverse Anti-Stigma-Projekte wie
beispielsweise das internationale Programm
"Schizophrenia – Open the doors" des Weltverbandes für Psychiatrie (WPA, World Psychiatric
Organization) angehören und welche darauf
zielt, der Stigmatisierung und Ausgrenzung
Psychoseerfahrener entgegenzuwirken sowie
deren soziale Reintegration zu fördern.
Entgegen Albert Einsteins Prognose, es sei
leichter, ein Atom zu spalten als ein Vorurteil,
fußen die Anti-Stigma-Kampagnen auf der Prämisse, dass menschliche Stigmatisierungsprozesse einer Entwicklung zugänglich und veränderbar sind.
Ziele
Im Vordergrund unseres Projekts stand die
Aufklärungsarbeit und Wissensvermittlung, mit
dem Ziel der Stigmatisierung psychisch kranker
Menschen entgegenzuwirken. Den Jugendlichen sollte möglichst viel Wissen über den Umgang mit psychisch kranken Menschen und
deren Krankheitsbildern vermittelt werden. Über
eventuell bestehende Vorurteile sollte diskutiert
werden und ein Beitrag dazu geleistet werden,
diese abzubauen. Eigene Vorurteile und Vorbehalte sollten wahrgenommen, überprüft und
besser verstanden werden. Ein respektvoller,
fairer und offener Umgang mit psychisch kranken Menschen stellte ein erstrebenswertes Ergebnis dar.
Durchführung
Zu Beginn des ersten Projekttages wurden die
Jugendlichen gebeten, eigene Fragen zum
Thema zu stellen und diese schriftlich auf Karten zu fixieren. Die Fragen wurden jeweils nach
der Kleingruppenarbeit aufgegriffen und besprochen. Am Ende der Projekttage wurden die
wenigen noch offenen Fragen beantwortet.
Die Projektnachmittage gestalteten sich in Form
von Kleingruppenarbeit sowie Informationsvermittlung mittels Filmsequenzen und Gesprächsrunden.
Das Projekt "Anderssein – psychisch krank"
Viele Einstellungen gegenüber Minderheiten
werden während der Adoleszenz erworben,
welche sich im Prozess der weiteren Sozialisation verfestigen. Daher haben wir, um von der
Theorie ausgehend zur Praxis zu gelangen und
gleichzeitig die Schwelle zur Psychiatrie zu
senken, als unseren Beitrag zur Entstigmatisierung bzw. Stigmabewältigung psychisch kranker
Menschen einen Workshop mit einer Konfirmandengruppe zum Thema "Anderssein – psychisch krank" durchgeführt, dessen Verlauf und
Evaluation wir im Folgenden präsentieren
möchten. Er fand statt in Kooperation mit Dr.
med. Marina Martini, Leiterin des Referates
Folgende Themen wurden ausführlich angesprochen, referiert bzw. diskutiert:
• Psychische Krankheiten und Symptome
sowie Reaktionen von Menschen auf psychisch kranke Menschen
• Einstellung/Haltung gegenüber psychisch
kranken Menschen, Stellung psychisch
kranker Menschen in der Gesellschaft
• Psychiatrische Klinik und Behandlung von
psychischen Erkrankungen
12
Es erschien uns sehr wichtig, bei der Diskussion
um die Vorurteilsbehaftung, immer wieder darauf hinzuweisen, dass jeder Mensch an einer
psychischen Krankheit erkranken kann. Den
Jugendlichen wurde nahe gebracht, dass prinzipiell jeder Mensch eine Veranlagung und/oder
Anfälligkeit für den Ausbruch einer psychischen
Erkrankung aufweist. Faktoren wie das soziale
Umfeld, Gene, Persönlichkeit oder bestimmte
Familiensituationen können bei der Entstehung
einer Psychose eine Rolle spielen.
We lc he N a m e n v o n ps yc his c he n
Kra nk he it e n k e nns t du?
20
15
vorher
10
nachher
5
0
Abb. 1: Ergebnisdarstellung zur Frage "Welche
Namen von psychischen Krankheiten kennst
Du?"
Der Film "Was ist Schizophrenie?" der Pharmafirma Janssen sowie Filmsequenzen zum Thema Magersucht, Bulimie, Depression, Manie
und weiteren psychischen Erkrankungen sollten
den Jugendlichen einen Einblick in mögliche
Symptomkonstellationen sowie das Erleben
einer psychischen Erkrankung gewähren. Die
Jugendlichen erhielten ferner die Gelegenheit
zum Besuch des Zentralinstituts, um eine psychiatrische Klinik mit eigenen Augen kennen zu
lernen.
Deutliche vorher-nachher-Veränderungen zeigen sich bei der Frage nach bekannten psychischen Krankheiten (siehe Abb. 1). Aus dem
Diagramm geht deutlich hervor, dass die Anzahl
der genannten Krankheiten stark gestiegen ist.
So wurden bei der ersten Befragung durchschnittlich 2,14 Bezeichnungen genannt, bei der
zweiten Befragung 4,05.
In diesem Zusammenhang lernten die Jugendlichen die Patientenfürsprecherin Monika Wolff,
kennen. Bei ihr hatten die Konfirmanden die
Möglichkeit, direkt in Kontakt mit einer Betroffenen zu treten. Frau Wolff arbeitet seit acht Jahren als Patientenfürsprecherin im ZI und kennt
sowohl die Seite einer Helfenden als auch die
einer Patientin. Sie vermittelte authentisch und
eindrucksvoll ihre Erfahrungen mit ihrer Krankheit.
Auch qualitativ ist eine Verbesserung festzustellen. Die Krankheiten, die während unserer Treffen besprochen und durch Videos unterlegt
wurden, wurden in der abschließenden Befragung am häufigsten benannt. Während Bulimie,
Magersucht und Schizophrenie einigen wenigen
Schülern schon vorher ein Begriff war, stiegen
die Nennungen bei Manie von null auf elf an.
Auffallend ist, dass (Drogen-)Sucht beim ersten
Fragebogen sechsmal genannt wurde, beim
zweiten Fragebogen allerdings nicht mehr. Dies
ist wohl darauf zurückzuführen, dass das Thema „Sucht“ in unserem Programm nicht weiter
thematisiert wurde.
Fragebogen
Zu Anfang und Ende unseres Projektes wurde
eine Umfrage in Form eines Fragebogens
durchgeführt. Damit wollten wir den Wissensstand und die Einstellungen zum Thema "Psychisch kranke Menschen in unserer Gesellschaft" bei den Jugendlichen der Konfirmandengruppe Neuostheim/Neuhermsheim erheben. Der Fragebogen enthielt folgende Rubriken: eigene Erfahrungen, gegenwärtiger Wissensstand, subjektive Haltung/mögliche Vorurteile gegenüber psychisch kranken Menschen.
Unsere eigenen Fragen wurden ergänzt mit
einem Teil des Fragebogens, der beim Schulprojekt „Irrsinnig menschlich e.V.“ Verwendung
findet. Die vorher-nachher- Befragung sollte
einen direkten Vergleich liefern. Um die beiden
Fragebögen trotz Anonymität einander zuordnen zu können, verwendeten wir einen Code.
Wer könnte einem psychisch
kranken Menschen helfen?
12
10
8
6
4
2
0
vor her
nachher
Abb. 2: Ergebnisdarstellung zur Frage "Wer
könnte einem psychisch Kranken helfen?"
Gefragt nach Hilfsmöglichkeiten (siehe Abb. 2)
zeigt sich, dass der Einblick ins Spektrum der
Hilfe eine quantitative Verbesserung gebracht
hat. Der Zugewinn an Informationen trug wesentlich zur Vergrößerung des Repertoires der
Hilfsmöglichkeiten bei. Die gravierendste Veränderung ist bei der Nennung der "Betroffenen"
zu sehen, die von null auf acht anstieg. An dieser Stelle ist hinzuzufügen, dass der Begriff
Ergebnisse
Im Folgenden präsentieren wir die interessantesten Ergebnisse der Auswertung. Diese bezieht sich auf zehn Jungs und elf Mädchen im
Alter von 13 und 14 Jahren aus Gymnasium,
Realschule und Hauptschule. Mehrfachnennungen waren möglich.
13
waren andere genauer formuliert. Zweimal wurde das Gespräch mit Psychologen genannt,
ebenfalls zweimal Gespräche mit Ärzten. Jeweils einmal wurden Gespräche mit Freunden
bzw. mit der Familie als Möglichkeit betrachtet.
Auch die Therapie wurde häufig als einzelner
Begriff aufgelistet. Einige enthielten Zusätze wie
"Entzug", "Spiele", "Gruppentherapie" und "Beruhigungsmethode".
"Betroffene" von den Schülern stammt, also
genau so benannt wurde. Positiv zu bemerken
ist, dass kranke Menschen nicht mehr nur als
Kranke gesehen werden, sondern auch als
Helfer. Zu dieser Entwicklung hat unserer Einschätzung nach insbesondere die Patientenfürsprecherin beträchtlich beigetragen.
Als ebenfalls sehr positiv ist die Steigerung der
Nennungshäufigkeit insgesamt zu bewerten.
Am häufigsten wurde der Arzt als Helfer genannt. Hierbei ist fraglich, ob den Schülern der
Unterschied zwischen Arzt und Psychiater klar
ist. Aus den Fragebögen war der bewusste
Umgang im Sinne einer wissentlichen Unterscheidung nicht ersichtlich. Lediglich dreimal
wurde Arzt und Psychiater in einem Fragebogen von derselben Person genannt. Möglicherweise basieren die Nennungen von Arzt, Psychiater und Therapeut auf der Funktion dieser
Personen in ihrer Arbeit mit psychisch kranken
Menschen und nicht auf dem zugrunde liegenden Beruf.
Die einzelne Nennung der "Hilfe durch Medikamente" ist vermutlich auf ein Missverständnis
der Frage zurückzuführen, was sich in Abb. 3
bestätigt.
Eine weitere Auswertung (siehe Abb. 4 bis 6)
umfasst einen Teil des Fragebogens, in dem
den Schülern Situationen vorgegeben wurden,
zu denen sie eine Entscheidung fällen sollten –
und zwar auf einer Punkteskala von eins bis
fünf, wobei eins "die Aussage trifft voll zu" und
fünf "die Aussage trifft nicht zu" repräsentiert.
Situation 1
Es w ürde m ich nicht stören, m it
jem andem , der psychisch krank ist,
in eine Klasse zu gehen.
15
10
5
0
vor her
nachher
1
Wie könnte diese Hilfe aussehen?
2
3
4
5
P un k t e v e r t e i l un g
16
14
12
10
8
6
4
2
0
Abb. 4: Ergebnisdarstellung zur Situation 1
vorher
nachher
Ergebnis Situation 1 (Abb. 4): Der Mittelwert von
2,24 zeigt schon zu Anfang eine akzeptierende
Grundhaltung der Schüler gegenüber psychisch
kranken Menschen. Durch unser Projekt konnte
sogar noch eine Besserung von 0,34 erreicht
werden. Bei sechs der Jugendlichen hat sich
die Einstellung verbessert, bei drei von drei
Punkten auf fünf Punkte und von zwei Punkten
auf drei Punkte verschlechtert. Die übrigen
zwölf blieben bei ihrer ursprünglichen Meinung.
Abb. 3: Ergebnisdarstellung zur Frage "Wie
könnte diese Hilfe aussehen?"
Als Fortschritt zu vermerken ist in erster Linie,
dass wir durch Gespräche und Informationen
Wissen an die Schüler weitergeben konnten,
welches auch aufgenommen wurde. Dies zeigt
sich deutlich darin, dass sich in der ersten Befragung fünf Jugendliche nichts unter einer Hilfeleistung vorstellen konnten, in der zweiten
jedoch konnten alle mindestens eine nennen;
die Anzahl der Nennungen ist deutlich gestiegen.
Situation 2
Ich kann m ir nicht vorstellen, m ich m it
jem andem , der psychisch krank ist,
anzufreunden.
15
vorher
10
5
nachher
0
1
Der Begriff "Unterstützung" wurde als solcher
einmal genannt, zweimal mit den Zusätzen
"Krankheit akzeptieren" oder "aufmuntern". Die
größte Zunahme ist bei der Hilfeleistung durch
Medikamente zu verzeichnen; dies ist sicherlich
darauf zurück zu führen, dass dieses Thema im
Verlauf der Projekttage des öfteren zur Sprache
kam. Schon vorher bekannt war die Bedeutung
der Hilfeleistung durch Gespräche. Während
viele Nennungen sich auf dieses eine Wort, das
viele Interpretationen zulässt, beschränkten,
2
3
4
5
Punkt ever t ei lung
Abb. 5: Ergebnisdarstellung zur Situation 2
Ergebnis Situation 2 (Abb. 5): Hier zeigt sich
eine leichte Verschlechterung der Haltung. Da
die Nennungen von zweimal eins und einmal
zwei bei der zweiten Befragung jeweils von
Schülern genannt wurden, die bei der ersten
Befragung jeweils die vier bzw. fünf angekreuzt
hatten und im gesamten Fragebogen eine
14
durchgängig positive Haltung zeigen, ist davon
auszugehen, dass die Frage nicht korrekt gelesen und somit falsch beantwortet wurde. Alle
anderen zeigen nur leichte Veränderungen von
einem Punkt.
Die Evaluation unserer schriftlichen Umfrageerhebung zeigt auf, dass wir sowohl das fachliche
Sachwissen betreffend als auch bezüglich eventueller Vorurteile einen positiven Wandlungsprozess im Denken der Jugendlichen anzustoßen vermochten.
Situation 3
Wenn jem and von m einen Freunden
psychisch krank w erden w ürde,
w ürde ich ihn/sie im Krankenhaus
besuchen.
Nach unserer abschließenden Veranstaltung im
ZI, insbesondere dem unmittelbaren Kontakt mit
der Patientenfürsprecherin Frau Wolff, hinterließen die Konfirmanden den Eindruck, sich mit
der Thematik bewusst und in konstruktiver Weise auseinander gesetzt zu haben.
40
vorher
20
Im idealen Fall fungieren diese Schüler nun als
Multiplikatoren, indem sie ihre neuen Erkenntnisse über die Konfirmandengruppe hinaus
auch beispielsweise innerhalb der Schulklasse,
des Freundeskreises und des näheren sozialen
Umfeldes weiter tragen.
nachher
0
1
2
3
4
5
Punkt ever t ei lung
Abb. 6: Ergebnisdarstellung zur Situation 3
Ergebnis Situation 3 (Abb. 6): Hier positionieren
sich alle Befragten sehr deutlich. Die Freundschaft scheint im Vordergrund zu stehen, die
Krankheit spielt keine entscheidende Rolle.
Schließlich bleibt noch festzuhalten, dass auch
wir, die Gruppe der Studierenden, selbst zum
Teil unser Bild von psychisch kranken Menschen korrigieren konnten. Auch wenn wir zu
Beginn unseres Projekt-Studiums mit einem
breit gefächerten Basiswissen antraten, hatten
wir dennoch die eine oder andere Vorstellung,
welche sich als nicht wahrheitsgemäß herausstellte – eine Erfahrung, welche zu guter letzt
auch uns davor bewahren wird, in Stigmatisierungen zu verfallen. Wir hoffen, durch unsere
Arbeit bewirkt zu haben, dass das Thema "Psychische Erkrankungen" zumindest von der Jugendgruppe, mit der wir zusammen gearbeitet
haben, künftig weniger vorurteilsbelastet behandelt wird. Ferner wünschen wir uns, über
den Workshop hinaus durch unser Wirken einen
kleinen Beitrag zur Entstigmatisierung psychisch kranker Menschen geleistet zu haben,
damit das Anliegen von psychisch kranken
Menschen umgesetzt wird – nämlich angenommen zu werden wie jeder andere Mensch
auch, sei er nun krank oder gesund. In dieser
Botschaft ist der Schüssel zum Motor enthalten,
welcher Stigmabewältigungsprozesse in Gang
setzt.
Allgemein ist zu der Güte des FragebogenBeantwortung zu sagen, dass die Schüler diese
gewissenhaft ausgefüllt haben. Wenn auch, wie
beschrieben, vereinzelt die Formulierungen der
Fragen (Verneinungen) wohl zu Missverständnissen führen konnten, sehen wir die Antworten
der Jugendlichen als korrekte Wiedergabe ihres
Wissens bzw. ihrer Haltung an.
Ein statistischer Zusammenhang zwischen Geschlecht, Alter und/oder Schulbildung konnte
nicht hergestellt werden.
Resümee und Ausblick
Ein wesentliches Ergebnis unseres Projektes
lautet dahingehend, dass Jugendliche im Alter
von 13/14 Jahren in der Lage sind, sich nachhaltig mit dem Thema „Stigmatisierung von
psychisch kranken Menschen“ zu befassen.
Trotz anfänglicher Unsicherheit und Unruhe
waren die Jugendlichen sehr gut zu motivieren,
sich einem für sie vordergründig eher wenig
relevanten Anliegen anzunähern und sich mit
großer Aufmerksamkeit damit zu befassen. Die
Beiträge zeugten von adäquatem Verständnis
für die Problematik einerseits sowie auch einem
Gespür für die damit verbundenen Reaktionen
in unserer Gesellschaft. Insofern wurde unser
Anliegen gut verstanden. Entgegen der vorherrschenden Meinung scheint es also durchaus
möglich zu sein, auch mit Adoleszenten dieser
Altersstufe effizient zur Thematik "Psychische
Erkrankungen" zu arbeiten und somit Vorurteile
und Stigmatisierungen schon in einem sehr
frühen Stadium aufzugreifen und in positiver
Weise zu beeinflussen.
Prof. Dr. Manfred Oster mit Projektgruppe (Claus
Breuer, Mareike Dochat, Patricia Hirsch, Daniela
Kenty, Nora Penner und Stephanie Rühe)
15
Früherkennung und Frühprävention von Psychosen
Ein Projekt im Kompetenznetz Schizophrenie
der Krankheit. Dazu muss die Symptomatik
einer beginnenden Schizophrenie oder affektiven Psychose von anderen Krankheiten und
von seelischer Gesundheit unterschieden werden. Zweitens muss das Fortschreiten der
Krankheit und gegebenenfalls der Eintritt einer
Psychose hinreichend verlässlich vorhergesagt
werden.
Im Rahmen der seit dem 1.1.1987 bis Ende
1998 im SFB 256 und seither im Einzelverfahren von der DFG geförderten ABC-Schizophreniestudie haben wir an einer bevölkerungsbezogenen und mit „gesunden“ nach Alter, Geschlecht und Erhebungsregion gematchten
Kontrollen verglichenen Stichprobe von 232
ersten Episoden von Schizophrenie zeigen
können, dass dem Höhepunkt der ersten psychotischen Episode eine präpsychotische
Prodromalphase von durchschnittlich 4,8 Jahre
(Median 2,3 Jahre) und eine nachfolgende psychotische Frühphase von 1,1 Jahren Dauer
(Median 0,8 Jahre) vorausgeht. Die Krankenhausaufnahme wird erst durch die verwirrenden/belastenden Erlebnisse der akuten Psychose ausgelöst, und zwar im Mittel 2 Monate
nach dem Höhepunkt der Episode. Die sozialen
Folgen der Krankheit treten überwiegend bereits in der Prodromalphase und im psychotischen Frühverlauf auf. Zum Zeitpunkt der Erstaufnahme haben sie bereits ein erhebliches
Ausmaß erreicht.
Aus diesem Grunde lag es nahe, den Versuch
einer frühzeitigen Intervention zu unternehmen
mit dem Ziel, die Entwicklung einer psychotischen Episode nach Möglichkeit zu verhindern,
sie wenigstens hinauszuschieben oder abzuschwächen und den sozialen Folgen der Krankheit frühzeitig vorzubeugen, noch bevor schwer
aufholbare Verluste wie Schulabbruch, Arbeitsplatzverlust oder Scheidung eingetreten sind.
Der Teilverbund I des Kompetenznetzes Schizophrenie hat sich zum Ziel gesetzt, das Psychoserisiko im Frühverlauf zu erkennen und die
Wirksamkeit
psychoseferner-psychologischer
und psychosenaher– auch psychopharmakologischer– Intervention zu prüfen.
Diese Interventionsprojekte werden an den
Psychiatrischen Universitätskliniken Köln (Prof.
Klosterkötter), Bonn (Prof. Maier), Düsseldorf
(Prof. Gaebel) und München (Prof. Möller) im
Rahmen der KNS-Förderung durch das BMBF
seit dem 1.02.2000 gefördert. Der Schwerpunkt
der Forschungen zur Früherkennung liegt in
Händen der Arbeitsgruppe Schizophrenie am ZI
(Prof. Häfner). Uns fiel die Aufgabe der Konstruktion und Validierung eines Früherkennungsinventars zu.
Unter Aufnahme der Symptome mit hoher Unterscheidungskraft zwischen Frühsymptomen
von Schizophrenie und solchen von „gesunden“
Kontrollen aus der ABC-Studie haben wir eine
17-Item-Checkliste als Screeninginstrument und
eine Symptomliste mit 110 Items (Symptome
und Indikatoren funktioneller Beeinträchtigung)
zur Fallidentifikation entwickelt.
In der Zwischenzeit haben wir eine repräsentative Substichprobe von 130 Erstaufnahmen
wegen Schizophrenie mit jeweils dergleichen
Zahl entsprechend gemachter Kontrollen von
Erstaufnahmen mittelschwerer und schwerer
depressiver Episoden und „gesunder“ Personen
untersucht. Dabei wurde deutlich, dass beide
Krankheiten mit nahezu derselben Prodromalsymptomatik beginnen. Sie sind von Gesunden
früh, voneinander aber erst nach dem Auftreten
der ersten positiven Symptome eindeutig unterscheidbar. Auch im Frühverlauf schwerer Depressionen kommt es lange vor der Erstaufnahme zu funktionellen Beeinträchtigungen,
wenn auch in objektiv und nicht subjektiv geringerem Umfang als bei Schizophrenie.
Die niedrige Basisrate des Schizophrenierisikos
(jährliche Erkrankungsrate um 1/1000) zwingt
zum mehrstufigen Vorgehen. Der erste Schritt
ist die Selbstselektion bei leicht erhöhtem Risiko
durch Konsultation von Allgemeinärzten, Beratungsstellen und Beratungslehrern (Gymnasium
etc.). Mit der Checkliste werden aus diesem
Risikopotential Personen mit mäßig erhöhtem
Psychoserisiko erfasst. Beim Überschreiten
eines gewichteten Scores werden die Risikopersonen derzeit an ein Früherkennungszentrum, später an psychiatrische Dienste, die über
geeignete Interventionsangebote verfügen, zur
Untersuchung mit der Symptomliste und gegebenenfalls zur Therapie überwiesen.
Die Symptomliste aus der ABC-Studie - durch
BSABS-Items aus der Studie Klosterkötter et al.
in 2000 ergänzt – ist außerdem mit 4 Modulen
(Pharmakotherapie,
Substanz-/Drogenmissbrauch, Delinquenz und tägliche Lebensbewäl-
Die Voraussetzungen einer Frühintervention bei
drohender Psychose, die in zunehmendem
Maße von Arbeitsgruppen in mehreren Ländern
unternommen wurde – Pionier dieser Bewegung ist Prof. Patrick McGorry in Melbourne –
ist die frühzeitige Entdeckung und Erkennung
16
tigung) ausgestattet. Um die Unterscheidungsund Vorhersagekraft anzureichern, wird die
Symptomerfassung von der Arbeitsgruppe Prof.
M. Wagner (Bonn) durch einen Set von 10 einfachen neuropsychologischen Tests ergänzt,
mit denen die kognitive Beeinträchtigung erfasst
wird.
Über diese „State-Merkmale“ des erhöhten Risikos hinaus werden auch noch „Trait-Merkmale“
erfasst, d.h. Faktoren, die mit dem Krankheitsri-
siko selbst assoziiert sind, wie familiäre Belastung mit mindestens einem an Schizophrenie
erkrankten
Angehörigen
ersten
Grades,
Schwangerschaftskomplikation und Verzögerungen oder Anomalien der kindlichen Entwicklung. Sie dienen der „Anreicherung“ des Risikos, weil oder solange die Effektstärke des
Früherkennungsinventars und seiner ergänzenden Instrumente noch keine hinreichende Vorhersagekraft oder NNT (Anzahl der zu behan-
Abb. 1: Häufigkeiten der Checklistsymptome in den beiden Frühinterventionsgruppen
durch die ‚Regione Lombardia’ und Israel/Early
recognition of schizophrenia (Prof. Jonathan
Rabinowitz)/gefördert durch DIP – geprüft. Bisher war nur eine vorläufige Auswertung sowohl
der Brauchbarkeit und Aussagekraft des Früherkennungsinventars als der Durchführbarkeit
und Wirksamkeit der beiden Interventionsprogramme möglich.
delnden Individuen, um wenigstens bei einer
Person Erfolgschancen zu haben) erreicht.
Die Reliabilität des Früherkennungsinventars–
durch Trainingsseminare erhöht- ist wiederholt
getestet und als gut bis befriedigend befunden
worden. Die Validität des Früherkennungsinventars wird prospektiv außer im KNS in Zusammenarbeit mit Partnerprojekten-Mailand/Programma 2000 (Prof. Angelo Cocci)/gefördert
17
Um die Frage zu klären, ob die Checkliste Psychosenähe abbildet, haben wir eine RASCHSkalierung der Items vorgenommen. Das Ergebnis zeigt die Abb.3.
Vorläufige Ergebnisse der Früherkennung
Die Abb. 1 zeigt die Häufigkeiten der 17 Checklistensymptome in den beiden Frühinterventionsgruppen. Zugrunde liegen insgesamt 172
untersuchte Fälle, 101 im präpsychotischen und
71 aus dem „psychosenahen“, d.h. frühpsychotischem Stadium. Die Zunahme von der frühen
zur späten Verlaufsphase konzentriert sich auf
psychosenahe und psychotische Symptome.
Die präpsychotische Gruppe zeigt bereits relativ
hohe Symptomwerte, vor allem bei den präpsychotischen Prodromi, was ihre Nähe zum psychotischen Frühstadium vermuten lässt.
Die Symptome der Checkliste werden aufgrund
der RASCH-Skalierung entlang einer Dimension
angeordnet, wobei die Ordnung den Grad der
Psychosenähe zum Ausdruck bringen soll. Das
Symptom Nr. 8 „Anpassung / Nervosität / Unruhe“ beispielweise ist sehr unspezifisch und entspricht deshalb der geringsten Psychosenähe,
das Symptom Nr. 17 „Halluzinationen“ ist bereits ein psychotisches Symptom. Es repräsentiert in der Checkliste den
höchsten
Grad
an
Psychosenähe und setzt sich
von den übrigen Symptomen
sichtbar nach oben ab. Auch
mit der Checkliste beurteilte
Personen
werden
entsprechend der erreichten
Psychosenähe eingestuft. Mit
steigender
Psychosenähe
erhöht
sich
die
Auftretenswahrscheinlichkeit
der
Symptome.
Der
Sachverhalt, dass Personen
im psychosefernen Prodrom
zu einem hohen Anteil im
linken Bereich der Skala
lokalisiert sind und solche des
psychosenahen Prodroms im
rechten Teil ist als starker
Hinweis auf die Validität der
Checkliste als Instrument zur
Erfassung der Psychosenähe
zu werten.
Die 10 häufigsten Merkmale der ERIraos Symptomliste im Frühverlauf zeigt die Abb. 4.
Abb. 2 zeigt die ansteigende Akkumulation der
Zahl aufgetretener Checklistensymptome in den
Monaten vor Erreichen jenes Risikoniveaus, das
zum letzten Schritt der Risikoerkennung zur
Anwendung der Symptomliste führt.
Die Frage, ob sich die beiden unterschiedlichen
Stadien der Krankheitsentwicklung aufgrund der
Checklistensymptome differenzieren lassen, ist
positiv zu beantworten. Das Auftreten psychotischer Symptome differenziert eindeutig und
hochsignifikant, was auch unsere doppelt kontrollierte Studie der Frühentwicklung von Schizophrenie und Depression deutlich machte. Von
den präpsychotischen Merkmalen differenzieren
einige „psychosenahe“ Items, nämlich Derealisation und Misstrauen, aber auch Eigenbeziehungstendenz, Gedankenjagen und in geringerem Umfang Reizbarkeit und fehlendes Interesse an der Arbeit, relativ gut.
Von einer Zunahme der Häufigkeiten und vom
Hinzutreten von Symptomen, die in der Checkliste nicht enthalten waren, abgesehen sind die
Veränderungen gegenüber dem Symptomprofil
der Checklisten relativ gering.
Das Ergebnis der neuropsychologischen Tests
lässt im Vergleich zwischen präpsychotischen
Prodromalstadien und Frühverlauf der Psychose ebenfalls deutliche, überwiegend quantitative
Unterschiede bei kognitiven Leistungen erkennen, was das frühe Auftreten funktioneller Be
einträchtigung aus den Ergebnissen der ABC
Studie bestätigt.
18
Abb. 3
Abb. 4
figen Ergebnisse (Bechdolf et al. 2004) umfassen 123 Personen mit Beobachtungsperioden
von 16,3 Monaten für CBT (SD 8,5 Monate),
CM 9,2 Monate (SD 8,6 Monate).
Damit sind nur vorläufige Schritte der Validierung der drei Instrumentarien dargelegt, aber
sie lassen die Entwicklung eines praktikablen
Früherkennungsinventars mit befriedigender
Effektstärke diagnostisch diskriminierender und
prädiktiver Erkennung als Voraussetzung von
Intervention im Prodromalstadium der Krankheit
vermuten.
Die Abb. 5 zeigt den Anteil des Übergangs in
die Psychose oder in das psychotische Frühstadium bei insgesamt noch geringen Werten
aber deutlichen – wenn auch nicht signifikanten
- Hinweisen auf ein geringeres Psychoserisiko
der Experimentalgruppe.
Vorläufige Ergebnisse der Intervention im
Präpsychotischen Prodromalstadium
Die psychoseferne Frühintervention wird in den
Zentren Köln, Bonn, Düsseldorf und München
mit einer geplanten Stichprobenzahl von 200 im
randomisierten Kontrolldesign mit kognitiver
Verhaltenstherapie - cognitive behavioural
treatment (CBT) - im Vergleich zu clinical management (CM) als Kontrollbedingung über 12
Monate durchgeführt (30 individuelle Sitzungen,
15 Gruppensitzungen, kognitive Auffrischung:12
Sitzungen, Psychoedukation der Angehörigen:
3 Sitzungen) (Bechdolf et al. 2002). Die vorläu-
Vorläufige Ergebnisse der Intervention im
frühen psychotischen Prodromalstadium
In dieser Therapievergleichsstudie sind 130
Fälle in einem kontrollierten randomisierten
Design vorgesehen mit einer Behandlungsperiode von 2 Jahren. Die Experimentalbedingung
sieht außer cognitive behavioural treatment
(CBT), eine psychopharmakologische Behandlung mit Amisulpride bei Dosen zwischen 50800 mg täglich vor. Die Wahl dieser Substanz
19
ten mancher Kinder, geprägt von Überaktivität
und Störung der Aufmerksamkeit. In Heinrich
Hoffmanns Struwwelpeter wurden 1845 kindliche Verhaltensweisen beschrieben, die den
Begriff des Zappelphilipps schon damals prägten. Die Zusammenfassung der beschriebenen
Symptome, welche die kognitive, motorische
und emotionale Verhaltensebene betreffen, in
ein einheitlich zu beschreibendes Krankheitsbild, geschah erst später und durchlief bis heute
eine lange Entwicklung verschiedener Konzeptualisierungen und Begrifflichkeiten.
war aufgrund ihrer längerfristigen Wirkung auf
negative und depressive Symptome in Verbindung mit dem antipsychotischen Effekt erfolgt.
Auch hier ist das Ziel, Übergänge in die Psychose zu reduzieren.
Als Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) wird heute ein klinisches Syndrom
bezeichnet, das durch erhebliche Beeinträchtigungen der Konzentrations- und Daueraufmerksamkeitsfähigkeit, Störungen der Impulskontrolle sowie fakultativ motorische Hyperaktivität bzw. Unruhe gekennzeichnet ist. Liegen
diese Symptome mindestens seit sechs Monaten vor und sind sie erstmals vor dem siebten
Lebensjahr aufgetreten, so sind die Voraussetzungen für die Diagnose ADHS erfüllt (DSM-IVKriterien). Hierbei sollten deutliche Beeinträchtigungen für das Leben der betroffenen Person
erkennbar sein. Mögliche andere Störungen,
welche die hyperkinetischen Symptome besser
erklären würden, müssen ausgeschlossen werden können (z.B. Störungen des Sozialverhaltens, manische Episoden u.a.). Ältere Bezeichnungen für das gleiche Krankheitsbild sind u.a.
die „Frühkindliche leichte Hirnschädigung“ oder
MCD (Minimal Cerebral Dysfunction), welche
ein Hinweis auf die ursprünglich angenommene
hirnorganische Ursache der Erkrankung ist und
dem aktuellen Forschungsstand nicht mehr
entspricht oder das „Psychoorgane Syndrom
(POS), das auch heute noch die in der Schweiz
gebräuchliche Formulierung darstellt. Die Bezeichnung
der
Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) nach der DSMIV (Diagnostic and Statistical Manual of Mental
Disorders) hat sich englischsprachigen Raum
schon seit längerem durchgesetzt und wird
mittlerweile auch im deutschsprachigen Raum
häufiger zur Bezeichnung des Syndroms benutzt, als der Begriff der hyperkinetischen Störung der ICD-10 (International Classification of
Diseases and Related Health Problems).
Tab. 5
Die bei Gelegenheit einer Durchführbarkeitsanalyse vorgenommene vorläufige Auswertung
geht von 15 Fällen aus. Sie lässt eine signifikante Reduzierung der positiven/negativen und
der gesamten Symptomatik sowie eine Verbesserung der funktionellen Beeinträchtigung erkennen. Wiederum ist eine endgültige Aussage
nicht möglich, aber ebenso wie bei der Intervention im präpsychotischen Prodromalstadium ist
eine positive Tendenz der Ergebnisse erkennbar, was die Fortführung der Projekte unterstützt und die Hoffnung auf die Entwicklung
eines ebenso praktikablen wie erfolgversprechenden Therapiemanuals in Ergänzung zu
dem ebenso aussichtsreichen Früherkennungsinventar unterstützt.
Die Projekte befinden sich derzeit in der zweiten
Förderphase. Ein vorläufiger oder endgültiger
Transfer in die Praxis auf der Grundlage der bis
dahin erarbeiteten Ergebnisse ist vorgesehen.
Heinz Häfner (mit Kurt Maurer, Frank
Hörrmann, Günter Trendler, Martin Schmidt)
Häufigkeit des Auftretens: Die ADHS ist eine
der häufigsten Erkrankungen des Kindes- und
Jugendalters mit einer Prävalenzrate von
durchschnittlich 3-5%. Bei 30 bis 50% der Betroffenen persistiert sie bis ins Erwachsenenalter und kann berufliche, soziale und gesundheitliche Konsequenzen haben, durch welche diese
Personen im Vergleich zu Gesunden Einschränkungen in einer erfolgreichen Lebensgestaltung erfahren können. Es handelt sich bei
dieser Erkrankung um eine biologische Störung,
die einer umfassenden Behandlung in Form
Wo schaut Zappelphilipp hin?
Augenbewegungsstörungen bei der
Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung
Was ist ADHS? Zu Beginn des 19. Jahrhunderts beschrieb George Still erstmalig die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung in
einer
wissenschaftlichen
Veröffentlichung.
Schon damals vermutete er eine hirnorganische
Ursache für das beobachtbare auffällige Verhal-
20
tern ADHS haben, sind über die Hälfte (60%)
ebenfalls krank. Soziodemographische Rahmenbedingungen und andere Umwelteinflüsse
werden aktuell diskutiert. Jedoch können entsprechende Studien zu diesem Thema bislang
keinen ätiologischen Zusammenhang zwischen
ADHS und sozialen, familiären oder anderen
Umweltfaktoren belegen. Solche Faktoren wirken modifizierend, können aber nicht als Ursache identifiziert werden. Als Risikofaktoren bleiben sie jedoch weiterhin Gegenstand aktueller
Forschung. In den letzten fünfzehn Jahren erfuhren neben Studien zur genetischen Komponente der ADHS insbesondere bildgebende
Verfahren eine erhöhte Bedeutung in der Erforschung der neurophysiologischen und morphologischen Hintergründe dieser Erkrankung. Ein
multifaktorieller Erklärungsansatz für ADHS ist
nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft
am wahrscheinlichsten. Genetisch-biologische
Merkmale bewirken eine Störung des Neurotransmitterstoffwechsels, vor allem der sogenannten Katecholamine Dopamin und Noradrenalin, und darüber hinaus andere anatomische
und funktionelle zerebrale Störungen. Insbesondere das Aufmerksamkeitsnetzwerk und
solche Hirnregionen, die die Selbstregulation
von Verhalten bedingen, weisen nach Ergebnissen bildgebender Verfahren anatomische
und funktionelle Veränderungen im Vergleich zu
gesunden Kontrollprobanden auf.
pharmakologischer und psychotherapeutischer
Interventionen bedarf.
Symptome: Unabhängig von Alter und Intelligenz treten bei der ADHS die Kernsymptome
wie Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen, Störungen der Wahrnehmung und Informationsverarbeitung sowie der Impulskontrolle, vermehrt in Situationen auf, die sich durch
hohe Komplexität und Strukturiertheit präsentieren. Gerade dann, wenn die situativen Anforderungen eine erhöhte Verhaltenskontrolle und
gezielte Steuerung der Aufmerksamkeit verlangen, sind diese Patienten nicht in der Lage, ihr
Verhalten entsprechend anzupassen. Tätigkeiten können nicht zielgerichtet geplant und
durchgeführt werden, da die Betroffenen äußeren und inneren Stimuli gleichzeitig zu folgen
versuchen, in hohem Maße ablenkbar sind und
somit keine adäquate Handlungsplanung und durchführung stattfinden kann. Diese Primärsymptome der ADHS können auch unter dem
Begriff der Beeinträchtigung von „exekutiven
Funktionen“ zusammengefasst werden. Sie
beziehen sich auf das komplexe Zusammenspiel unterschiedlicher kognitiver Funktionen,
die zur Bewältigung von Aufgaben bzw. der
Entwicklung von Problemlösestrategien und der
Steuerung von Aufmerksamkeit unabdingbar
sind. Aufmerksamkeit setzt sich hierbei zusammen aus verschiedenen exekutiven Funktionen
wie Alertness (Wachheit bzw. Vigilanz), selektiver Aufmerksamkeit, Inhibition hinsichtlich innerer nicht zielorientierter Handlungsimpulse und
Automatisierung im Sinne der Fähigkeit, Regeln
für eine automatisierte Reaktion zu abstrahieren. Fakultativ können eine motorische Hyperaktivität, eine erhöhte Impulsivität und eine ungenügende emotionale Steuerung die eigene
Verhaltenskontrolle noch zusätzlich erschweren.
Diese Symptome der ADHS treten in unterschiedlicher Ausprägung auf und können von
einer Vielzahl komorbider Erkrankungen wie
Störungen des Sozialverhaltens, Suchterkrankungen, Teilleistungsstörungen, affektiven Erkrankungen und Ticstörungen begleitet sein.
Des Weiteren wird bei Kindern mit ADHS im
Vergleich zu gesunden Kontrollen oftmals eine
mäßige Störung der Feinmotorik, der Fähigkeit
zur Balance und Geschicklichkeit berichtet.
Insbesondere beim Schreiben verhalten sich die
Kinder verkrampft und können nur unter großer
Anstrengung ihre Schreibmotorik steuern.
Dysgraphie sowie Dysorthographie fallen ebenfalls in diesem Zusammenhang auf. Ursachen:
Die Ursachen der ADHS gelten nach dem heutigen Forschungsstand noch nicht als ausreichend geklärt. Die Erkrankung tritt systematisch
familiär gehäuft auf, wobei bis zu einem Fünftel
der Eltern von Kindern mit ADHS selbst von der
Störung betroffen sind. Geschwister von Erkrankten haben ein vierfach erhöhtes Risiko,
selbst zu erkranken und bei Kindern deren El-
Was haben die Augen damit zu tun? Inwieweit eine unzureichende Kontrolle der Blickmotorik eine Rolle im pathophysiologischen Erklärungsmodell von ADHS eine Rolle spielt, ist
bisher in der aktuellen Forschung nur marginal
untersucht worden. Ausgehend von der Erkenntnis, dass ADHS sich durch die verminderte Fähigkeit, Reaktionen auf externe Stimuli
willentlich zu unterdrücken auszeichnet, erstaunt es kaum, dass genau diejenigen frontoparietalen Hirnstrukturen, welche bei ADHS
auffällig sind, auch die visuelle Aufmerksamkeit
steuern. Anatomische und funktionelle bildgebende Untersuchungen weisen darauf hin, dass
genau die Areale von einer Volumenminderung
und funktionalen Auffälligkeiten betroffen sind,
welche auch maßgeblich an der Blicksteuerung
beteiligt sind. So vor allem Nucleus Caudatus,
Putamen, Thalamus, Cingulum, Kleinhirn und
verschiedene Bereiche des frontalen Kortex.
Psychiatrische Erkrankungen, die mit einer Störung frontaler Hirnstrukturen einher gehen, weisen überzufällig häufig eine dysfunktionale
Blickmotorik auf. So wird zum Beispiel eine
gestörte Augenfolgebewegung bei schizophrenen Patienten oder auch ein dysfunktionales
sakkadisches System bei Ticstörungen und
Autismus berichtet. Auch bei ADHS-Erkrankten
lassen die Ergebnisse einzelner Studien jüngster Zeit auf eine inadäquate Kontrolle der Blickmotorik schließen.
21
können. Offensichtlich werden die Sakkaden
nicht ausreichend unterdrückt, wenn der situative Kontext es verlangt. Ihre Initiierung und das
motorische Timing scheinen ebenfalls nicht
adäquat moduliert zu sein. Inwieweit dies mit
einer verminderten selektiven Aufmerksamkeit
in Zusammenhang steht, ist derzeit noch nicht
ausreichend untersucht. Es wäre denkbar, dass
eine unzureichende Kontrolle über Blickbewegungen, insbesondere die willkürlich gesteuerte
Unterdrückung von visuellen Reaktionen auf
irrelevante Reize, eine schwache Leistung bei
Aufgaben, die eine gerichtete Aufmerksamkeit
(z. B. Lesen) voraussetzen, mitbedingt.
Woraus bestehen Augenbewegungen?
Augenbewegungen sind eine Grundvoraussetzung, die visuelle Aufmerksamkeit auf etwas
Bestimmtes zu richten und werden rückwirkend
ebenfalls durch Aufmerksamkeitsprozesse ähnlich einer Rückkopplungsschleife gesteuert. Sie
dienen der Orientierung im Raum und präsentieren sich in einem ständigen dynamischen
Wechsel von Fixationen und Sakkaden. Betrachtet man ein Objekt ohne die Augen zu bewegen, so spricht man von einer Fixation. Als
Sakkade oder auch Sakkadensprung bezeichnet man die schnelle und ruckhafte Bewegung,
mit der ein Auge bewusst von einem Fixationspunkt zum nächsten bewegt wird. Zusätzlich
macht das Auge innerhalb einer Sekunde drei
bis fünfmal kleine Blicksprünge, sogenannte
Microsakkaden, durch die ungefähr alle 200 ms
ein neues Bild auf der Netzhaut abgebildet wird.
Diese Bilder müssen vom Gehirn wie bei einem
Film in einer sinnvollen chronologischen Reihenfolge verarbeitet werden, wobei man vom
„Dynamischen Sehen“ spricht.
Eine ganze Kette von Fixationen und Sakkaden
bildet die als Augenfolgebewegung (Smooth
Pursuit) bezeichnete Bewegung. Bei dieser folgt
der Blick einem beweglichen Objekt, indem sich
Fixationen und Sakkaden abwechseln und große Sprünge, durch die das Objekt aus dem
Fokus verschwinden würde, unterdrückt werden
müssen.
Die Hemmung von Reaktionen auf äußere oder
auch innere Reize zählt zu den exekutiven
Funktionen, welche von frontalen Hirnstrukturen
gesteuert werden. Sie können unter anderem
auch mit visuell dargebotenen Aufgaben gemessen werden. Verschiedene Studien zu exekutiven Funktionen von ADHS-Erkrankten konnten zeigen, dass hier Defizite vorliegen. Die
Gründe hierfür sind noch nicht ausreichend
belegt, aber derzeit werden verschiedene mögliche Erklärungen diskutiert. Einige Forscher
gehen davon aus, das ADHS-Betroffeene ihre
Aufmerksamkeit nicht aufrecht erhalten können.
Eine weitere Erklärung ist, dass sie gerichtete
Aufmerksamkeit nicht schnell auf andere Hinweisreize wechseln und somit nicht adäquat auf
einen neuen Reiz reagieren können. Des weiteren wird vermutet, dass sie eine verminderte
Kontrolle über ihre Blickmotorik haben. Welche
der drei Annahmen die Dysfunktionalität der
exekutiven Funktionen bei ADHD am besten
erklären kann, ist mit dem heutigen Kenntnisstand noch nicht zu entscheiden. Die Einbeziehung der Blickmotorik ist dabei ein noch recht
neuer Ansatz, zu dem es nur einige wenige
Studien gibt. Diese können die Annahme aber
gut untermauern. Die genauen neurobiologischen Hintergründe dieses Phänomens sind
derzeit jedoch noch ungeklärt und entsprechende Studien, die eine genaue Analyse der Okulomotorik mit einer funktionell bildgebenden
Darstellung kortikaler Funktionen verbinden,
stehen noch aus.
Augenbewegungstörungen bei ADHS
Insbesondere die Kontrolle von Sakkaden
scheint bei ADHS ungenügend ausgeprägt. So
wird in verschiedenen Studien, zur sogenannten
„Antisakkaden-Aufgabe“, bei der die Patienten
die visuelle Reaktion auf einen peripher neu
auftretenden Reiz nach der Fixation eines foveal (im Zentrum der Sehschärfe) präsentierten
Reizes unterdrücken sollen, von einer erhöhten
Fehlerrate der ADHS-Erkrankten im Vergleich
zu gesunden Kontrollen berichtet. Bei der Untersuchung sogenannter Prosakkaden (schnelle
Wechsel der Blickrichtung auf einen neu auftretenden Reiz) konnte außerdem festgestellt werden, dass die Kinder mit ADHS gegenüber der
Vergleichsgruppe durchschnittlich langsamere
Reaktionszeiten zeigten. Bei Fixationen kennzeichnet sich die ADHS-Gruppe durch vermehrte intrusive Sakkaden, was bedeutet, dass die
Stabilität von Fixationen auf einen visuellen
Reiz durch einen unerwünschten Drift des Auges von dem Reiz weg gestört wird. Auch das
dynamische Sehen scheint nach aktuellen Forschungsergebnissen bei diesen Patienten beeinträchtigt
Funktionelle Kernspintomographie und die
Aufzeichnung von Blickbewegungen
Ausgehend von der Erkenntnis, dass frontale
Hirnstrukturen und insbesondere die Basalganglien, nicht nur eine entscheidende Rolle im
neurophysiologischen Erklärungsmodell der
ADHS im Hinblick auf exekutive Kontrolle spielen, sondern auch in der Steuerung der Blickmotorik eine zentrale Rolle besitzen, wäre es
wünschenswert, diesen Zusammenhang mit
funktioneller Bildgebung zu untersuchen. Mit
funktionell bildgebenden Verfahren können
Hirnstrukturen während bestimmter Tätigkeiten
in „Funktion“ dargestellt werden. Neuronale
Diese Ergebnisse zum sakkadischen System
stellen einen Hinweis auf Dysfunktionen im
okulomotorischen System von ADHS-Patienten
dar, die vor allem mit dem bekannten Inhibitionsdefizit in Zusammenhang gesehen werden
22
dysfunktionaler Blicksteuerung, wie es zur Zeit
z. B. im Blicklabor Freiburg durchgeführt wird,
ist noch nicht ausreichender Evaluation an einer
größeren Probandengruppe unterzogen worden, stellt sich aber aufgrund der Ergebnisse
bei Kindern mit Lese-Rechtschreibschwäche
und Kindern mit ADHS als interessanter Untersuchungsansatz dar.
Isabella Wolf
in Kooperation mit der
Arbeitsgruppe NMR-Forschung i.d. Psychiatrie
Aktivität wird von metabolischen Veränderungen in spezifischen Hirnregionen begleitet und
durch diese Methode indirekt sichtbar gemacht.
Zunehmende Stoffwechselaktivitäten äußern
sich in einem erhöhtem Verbrauch von Sauerstoff und Glukose und einer nachfolgenden
vermehrten Durchblutung. Bei der funktionellen
Magnetresonanztomographie (fMRT) werden
die verschiedenen magnetischen Eigenschaften
von sauerstoffreichem und sauerstoffarmem
Blut genutzt, um eine Serie von Schnittbildern
zu erzeugen, die einen Rückschluss auf den
Aktivierungszustand der gemessenen Hirnareale während der Bearbeitung einer vorgegebenen Aufgabe zulassen. Hierdurch besteht nun
die Möglichkeit, bei ADHS-Patienten zu Beispiel
während der Durchführung einer visuellen Aufgabe die kortikale Aktivierung abzubilden.
„Und dann kam die Welle …“
Posttraumatische Belastungsstörungen
Deutlich in Erinnerung verblieben sind die Bilder
der Tsunami-Katastrophe und ihrer Opfer vom
26.12.04. Die Überlebenden wurden durch diese verheerende Naturkatastrophe geprägt. Viele
der Heimkehrenden haben noch heute mit den
Erinnerungen zu kämpfen. Ähnlich ergeht es
auch Überlebenden anderer Traumata. Hierzu
gehören Opfer von Kriegen und Folter, von
Vergewaltigungen und sexuellem oder physischem Missbrauch in der Kindheit oder von
schweren Verkehrsunfällen. Erste Beschreibungen von Symptomen nach traumatischen Erlebnissen gibt es seit dem Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts. Beobachtet wurden
diese Symptome bei Überlebenden schwerer
Eisenbahnunglücke, Soldaten der beiden Weltkriege und Überlebenden des Holocausts. Verschiedene Bezeichnungen wie z.B. „Schreckneurose“, „Kampf- oder Kriegsneurose“, „Granatenschock“ oder „Überlebenden-Syndrom“ wurden vorgeschlagen. Nach den Erfahrungen des
Vietnam-Krieges und der erstarkenden feministischen Bewegung, welche die Aufmerksamkeit
der Öffentlichkeit auf die Folgen interpersoneller
Gewalt lenkte, konnte eine Einigung auf den
Begriff der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTB) geschehen.
Die meisten Studien zu Blickbewegungen und
ihren neurobiologischen Korrelaten beschränken sich derzeit auf die Aufzeichnung von Augendaten außerhalb des Magneten und korrelieren die Daten im nachhinein miteinander. Im
Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in
Mannheim sind die technischen Voraussetzungen zur simultanen Erfassung von Augenbewegungen bei funktioneller Kernspintomographie
mittlerweile gegeben und schon an unterschiedlichen Patientengruppen erprobt worden. Hierbei werden die visuellen Reize direkt auf einen
LCD-Bildschirm in einer MR-tauglichen Präsentationsbrille projiziert, welche zusätzlich mit
einer Kamera zur Aufzeichnung der Position
des Kornealreflexes ausgestattet ist. Die Augenbewegungen von ADHS-Patienten können
somit während der Darbietung visueller Reize
im Kernspintomographen simultan zur Erhebung der funktionellen Daten bei unterschiedlichsten Aufgaben zur Erfassung exekutiver
Funktionen aufgezeichnet werden.
Die Untersuchung von dysfunktionalen Augenbewegungen und ihren neurobiologischen Hintergründen stellt darüber hinaus eine gute Möglichkeit dar, kognitive und die Aufmerksamkeit
betreffende Störungen bei Kindern zu dokumentieren. Mit funktioneller Bildgebung in Kombination mit der Aufzeichnung von Augenbewegungen kann auf invasive Untersuchungsmethoden
verzichtet werden. Die Tatsache, dass das visuomotorische System im Vergleich zu anderen
Körperfunktionen recht lange dem Entwicklungsprozess unterworfen ist, legt nahe, bei der
Erforschung von sich entwickelnden Hirnstrukturen die Okulomotorik mit einzubeziehen. Inwieweit die Steuerung der Augenbewegungen im
Erklärungsmodell von ADHS einen Beitrag leisten kann, ist aufgrund der momentanen Forschungslage noch ungeklärt. Auch über die
Auswirkung medikamentöser Behandlung auf
die Blickmotorik ist derzeit noch zuwenig bekannt. Das gezielte Training zur Verbesserung
Symptomatik: Eine PTB kann durch Ereignisse
ausgelöst werden, bei denen die Betroffenen
mit großer Furcht und Entsetzen direkt oder
indirekt eine Situation erleben, die eine Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit ihrer
selbst oder eines anderen Menschen beinhaltet.
Kennzeichnend und notwendig für die Diagnose
der Störung sind neben dem Vorliegen eines
traumatischen Erlebnisses als Auslöser der
Symptome belastendes Wiedererleben der
traumatischen Ereignisse im Wachen (Intrusionen, belastende Erinnerungen) oder im Schlaf
(Albträume) und die aktive Vermeidung dieses
Wiedererlebens. Zu den weiteren typischen
Symptomen gehört das Gefühl von Betäubtsein
und emotionaler Stumpfheit, Gleichgültigkeit
gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosig-
23
tion sein oder sogenannte „recovered memories“. Dies sind Ereignisse in der Kindheit (z.B.
unangemessener sexueller Kontakt), für die es
eine teilweise bis vollständige Amnesie gab und
die erst nach Jahren zum ersten Mal erinnert
werden. Da diese Erinnerungen jedoch sehr
anfällig für Verzerrungen, Fehlinterpretationen
oder Suggestion sein können, sollte besondere
diagnostische Vorsicht geboten sein.
keit gegenüber der Umgebung, Anhedonie und
Dissoziationen. Aktivitäten und Situationen, die
Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten, werden vermieden. Patienten sind teilweise
oder vollständig unfähig, sich an wichtige Aspekte der Belastung zu erinnern.
Es zeigen sich Symptome einer erhöhten psychischen Sensitivität und Erregung wie z.B.
Schlaf- und Konzentrationsstörungen, Reizbarkeit und erhöhte Schreckhaftigkeit. Eine PTB
führt zu erheblicher Beeinträchtigung in Sozialkontakten, Familie oder Beruf. In der Folge einer PTB kommt es häufig zur Entwicklung sekundärer psychischer Störungen wie Depression oder Substanzabhängigkeit. Typische Symptome einer PTB können schon in den ersten
Stunden und Tagen nach einem Trauma auftreten. Eine deutliche Besserung der Symptomatik
kann spontan eintreten. In den ersten Tagen
nach einer Belastungssituation kann daher die
Diagnose einer akuten Belastungsstörung vergeben werden. Bei schweren Persönlichkeitsund Verhaltensstörungen bei prätraumatisch in
ihrer Persönlichkeit unauffälligen Personen
kann die Diagnose einer Andauernden Persönlichkeitsveränderung (nach ICD-10) vergeben
werden. Neu eingeführt wurde die Diagnose
einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung. Diese ist die Folge von wiederholten und sehr gravierenden Formen von Traumatisierung, meist durch interpersonelle/sexuelle
Gewalt, und ist gekennzeichnet durch das Vorliegen von selbstschädigendem Verhalten,
schwerer Dissoziation und einer Reihe weiterer
Symptome.
Erklärungsmodelle: Vorgestellt wird ein synthetisches Modell nach Ehlers und Clark, welches besonders relevant für die kognitivbehaviorale Behandlung der PTB ist. Laut der
zentralen Hypothese verarbeiten die Betroffenen das traumatische Ereignis und/oder dessen
Konsequenzen so, dass sie eine schwere gegenwärtige Bedrohung wahrnehmen.
Nach diesem Modell interpretieren Menschen
Erlebnisse individuell sehr unterschiedlich. Menschen, die an einer PTB erkranken, neigen zu
negativen Interpretationen eines Traumas. Diese negativen Interpretationen resultieren in einer schweren gegenwärtigen Bedrohung (z.B.
„Die Welt ist nicht sicher.“, „Ich bin nicht fähig,
mich zu wehren.“) Negativ bewertet werden
außerdem die Folgen, die ersten Symptome, die
Reaktionen anderer Menschen und die körperlichen, beruflichen oder finanziellen Konsequenzen des Traumas. Auch das TraumaGedächtnis von Patienten mit einer PTB weist
Besonderheiten auf. So werden die Informationen über das Traumata nur ungenügend elaboriert und nicht in einem Kontext von Raum, Zeit
und weiteren autobiografischen Informationen
verarbeitet. Des Weiteren sind die Assoziationen zwischen einzelnen Reizen (Auslösern) und
den Traumainhalten sehr stark. Reize wie z.B.
bestimmte Geräusche, Bewegungen und optische Reize, lösen schnell ein Wiedererleben
aus. Die Strategien, mit denen die Patienten
versuchen, ihre Symptome zu reduzieren,
schaffen zwar kurzfristig Erleichterung, führen
jedoch langfristig zu einer Verschlechterung
ihrer Symptomatik. Beispielsweise versuchen
Patienten, Erinnerungen an das Trauma zu
unterdrücken oder sich abzulenken. Diese Strategien helfen kurzfristig, langfristig ist der Effekt
jedoch paradox. Versuche, Albträume zu verhindern, indem der Patient nur sehr spät oder
gar nicht ins Bett geht, führen zu erhöhten Konzentrationsschwierigkeiten,
Interesselosigkeit
oder Reizbarkeit. Auch das Grübeln über das
Ereignis ist eine Strategie, nicht über den bedrohlichen Kern des Erlebten nachzudenken,
indem sich der Betroffene mit übergeordneten
Fragen beschäftigt. Langfristig führt dies jedoch
zu weiteren negativen Gefühlen wie Hoffnungslosigkeit, Ärger und zu dem schon erwähnten
Häufigkeit: Die PTB gehört mit einer Lebenszeitprävalenz von ca. 8% zu den häufigeren
psychischen Störungen. Bei Frauen ist die Prävalenz deutlich erhöht (10% im Vergleich zu 5%
bei Männern). Die höhere Prävalenz bei Frauen
kann durch zwei mögliche Ursachen erklärt
werden: Zum einen hatten die Frauen mehr
schwerwiegende traumatische Ereignisse (wie
Vergewaltigung oder Kindesmisshandlung)
erlebt, zum anderen entwickelten sie mit höherer Wahrscheinlichkeit eine PTB nach einem
traumatischen Erlebnis. Das Risiko, an einer
PTB zu erkranken, sinkt mit steigendem Lebensalter. Besonders vulnerabel sind demnach
Kinder und Jugendliche.
Verlauf: Der Verlauf ist in ca. 40-50% der Fälle
chronisch. Ohne Behandlung kann die Symptomatik über Jahrzehnte hinweg andauern.
Der Beginn der Symptomatik kann auch verzögert, erst Jahre nach dem Ereignis erfolgen.
Gründe dafür können z.B. neue Informationen
über die Gefährlichkeit der traumatischen Situa-
24
umfasst folgende Behandlungmodule: Einzeltherapie (2 Sitzungen pro Woche), Bezugspflegegespräche (2 x 30 min pro Woche), Basisgruppe (1 x 60 min pro Woche), Bezugsgruppe
(1 x 60 min pro Woche), Gestaltungstherapie (2
x 90 min pro Woche), Musiktherapie (2 x 60 min
pro Woche), Bewegungstherapie (1 x 60 min
pro Woche), Körpertherapie im Einzelsetting (1
x 60 min pro Woche, für einzelne Patienten),
Flamenco (1 x 30 min pro Woche), Angebot der
Sozialarbeit, Skillstraining (2 x 60 min pro Woche, Training sozialer Kompetenzen (1 x 90 min
pro Woche), Achtsamkeit (3 x 30 min pro Woche).
Termine für ambulante Vorgespräche können
unter Telefon 0621/1703-4303) vereinbart werden.
paradoxen Effekt der Vermeidung. Auch können
frühere Erfahrungen, Überzeugungen und Persönlichkeitsfaktoren die spätere Entwicklung
einer PTB beeinflussen.
Therapieangebote am ZI: Das Behandlungskonzept der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin basiert auf einem
kognitiv-behavioralen Ansatz. Außerdem orientiert es sich konzeptuell an den Behandlungsprinzipien der dialektisch-behavio-ralen Therapie nach Linehan, da zumeist Patienten mit
einer komplexen PTB behandelt werden.
Im Rahmen unserer Spezialambulanz werden
Patienten auf Überweisung niedergelassener
Kollegen diagnostiziert und die Indikation für ein
entsprechendes Therapieangebot, wie z.B.
einem stationären Aufenthalt, gestellt.
Die stationäre Behandlung gliedert sich im idealen Behandlungsfall in insgesamt vier Phasen.
Anne Hinckers, Regina Steil
Nach einer Überprüfung der ambulant gestellten
Diagnosen und Differentialdiagnosen, der Motivationssicherung und der Erarbeitung eines
umfassenden Therapievertrages wird in der
ersten Phase der Therapie eine ausführliche
Psychoedukation zum Störungsbild und Behandlungskonzept durchgeführt. Gemeinsam
mit dem Patienten werden die Therapieziele
festgelegt und hierarchisiert.
Neue Entwicklungen
in der Verhaltenstherapie
bei chronischen Schmerzen
Verhaltenstherapeutische Ansätze beim chronischen Schmerzen basieren auf der Annahme,
dass im Verlauf der Chronifizierung eines
Schmerzproblems Lernprozesse immer wichtiger werden und die ursprünglich den Schmerz
bedingenden somatischen Faktoren in den Hintergrund treten. Ein Beispiel: Ein Patient, der
aufgrund eines Unfalls am Arbeitsplatz eine
Kopfverletzung erlitt, hatte Jahre danach trotz
kompletter Abheilung der Wunde noch immer
massive Kopfschmerzen, die jedoch jetzt durch
Verspannungen der Muskulatur im Kopfbereich
aufrechterhalten wurden, die mit der ursprünglichen Verletzung nichts mehr zu tun hatten.
Chronische Schmerzen müssen sich als therapieresistent erweisen, wenn sie wie eine akute
Erkrankung therapiert werden, diese aber längst
nicht mehr die Ursache der Beschwerden ist.
Für den Patienten liegt es natürlich nahe, diese
erste Ursache als Erklärung heranzuziehen, der
Schmerztherapeut sollte jedoch zusätzliche
Faktoren in Erwägung ziehen. Dies gilt natürlich
weniger für chronische Schmerzen, bei denen
eine eindeutige medizinisch-organische Pathologie vorhanden ist, wie z. B. den Krebsschmerz, jedoch können auch hier psychologische Faktoren den Schmerz unnötig verstärken.
Zu den effektiven verhaltenstherapeutischen
Verfahren bei chronischen Schmerzen gehören
das Schmerzbewältigungstraining auf kognitivverhaltenstherapeutischer Basis, Biofeedback
und Entspannungsverfahren und die operante
Schmerztherapie. Da die operante Schmerzthe-
Die zweite Phase der Therapie dient schwerpunktmäßig dem Erlernen von Techniken zur
Emotionsregulation. Bearbeitet werden Verhaltensweisen und Kognitionen, die die Symptomatik aufrechterhalten, den Patienten schädigen oder der Behandlung der PTB entgegenstehen. Mit Hilfe verschiedenen Techniken lernen die Patienten, mit ihren belastenden Erfahrungen umzugehen. Eine Technik ist das Diskriminationstraining, mit dessen Hilfe Auslösereize für Intrusionen identifiziert und differenziert
werden können. Besonders wichtig ist in dieser
Phase das Skills-Training im Sinne der Dialektisch-Behavioralen Therapie, in dem die Patienten u.a. lernen, mit hohen Belastungen umzugehen. Gelingt dies den Patienten und haben
sich keine Kontraindikationen zum konfrontativen Vorgehen ergeben (wie z.B. psychotische
Symptomatik in der Vorgeschichte), werden die
Patienten im Sinne des behavioralen Therapiekonzeptes mit ihren Erinnerungen an die traumatische Situationen konfrontiert. Parallel werden dysfunktionale Interpretationen des Traumas bearbeitet. Im letzten Schritt werden die
Patienten erneut stabilisiert und eine Implementierung des in der Klinik erlernten im häuslichen
Umfeld angestrebt. Die stationäre Therapie
dauert im Regelfall acht bis zwölf Wochen. Sie
25
Arealen, die mit der affektiven Schmerzreaktion
assoziiert sind.
Aus diesen Befunden hat sich als eine Behandlungsstrategie die sogenannte „operante
Schmerztherapie“ ergeben, die Schmerzverhalten durch systematische Verhaltensübungen sowie Übungen mit Bezugspersonen, die
häufig den Schmerz verstärkendes Verhalten
beim Patienten fördern (ihm z.B. Arbeit abnehmen), ab- und gesundes Verhalten aufbaut.
Innerhalb des operanten Gruppentrainings wird
versucht, die Schmerzerfahrung und körperliche Aktivität voneinander abzukoppeln. Patienten sollen nicht bis an die Schmerzgrenze gehen, sondern früh Pausen einlegen, um dann
die Aktivität langsam Tag für Tag zu steigern.
Dadurch wird nicht mehr Ruhe durch Schmerzfreiheit belohnt, sondern körperliche Aktivität.
Diese Aktivität wird dann von Tag zu Tag erhöht. Außerdem versucht man, mit den Patienten angenehme Aktivitäten zu finden und diese
in den Tagesablauf gut einzupassen. Eine Analyse der Tätigkeiten am Arbeitsplatz und ein
Aufbau von arbeitsrelevanten Fertigkeiten erleichtert die Reintegration des Patienten in das
Arbeitsleben. Schmerzstillende Medikamente
werden nur noch zu festen Tageszeiten eingenommen und auf das absolut notwendige Maß
reduziert.
rapie in Deutschland kaum verwendet wird und
diese zentraler Bestandteil der multizentrischen
Therapiestudie die von der DFG geförderten
Klinischen Forschergruppe 107 zum Thema
Lernen, Plastizität und Schmerz ist, soll diese
ausführlicher dargestellt werden.
Operante Schmerztherapie
Der Schmerzforscher Bill Fordyce an der
Schmerzklinik der University of Washington in
Seattle war der erste, der zeigte, dass der
Schmerzausdruck ebenso wie anderes Verhalten den Gesetzen des operanten oder instrumentellen Lernens unterliegt. Wird der beobachtbare Schmerzausdruck - das sog.
Schmerzverhalten, z. B. Stöhnen, Humpeln,
Ausruhen - durch Aufmerksamkeit, Zuwendung
oder Schmerzfreiheit bei Schonung belohnt,
dann wird Schmerzverhalten häufiger gezeigt.
Die Patienten erleben dadurch aber unnötige
Einschränkungen im Alltag. Man kann dies
anhand der körperlichen Aktivität verdeutlichen: Schmerzpatienten arbeiten oft bis an die
Schmerzgrenze, um sich dann auszuruhen, z.
B. sich hinzulegen. Das Ausruhen wird sofort
durch eine Schmerzverminderung belohnt, d.
h. durch die Inaktivität wird ein unangenehmer
Zustand - starker Schmerz - beendet. Dadurch
wird die Ruhe und das Sich-nicht-Bewegen als
angenehm erlebt, und das Sich-Bewegen wird
zunehmend gefürchtet, da man sich an den
zuvor aufgetretenen Schmerz erinnert. Patienten vermeiden durch diesen Lernprozess zunehmend Bewegung, nehmen eine Schonhaltung ein und verstärken dadurch den Schmerz
noch, weil nicht bewegte und trainierte Muskeln
schmerzen.
Ähnliche Lernprozesse können zum Medikamentenmissbrauch führen: Wird das Analgetikum regelmäßig nach Bedarf eingenommen,
so wird durch die Medikamenteneinnahme ein
unangenehmer Zustand – starke Schmerzen –
beendet und die Einnahme des Medikaments
quasi durch die Schmerzlinderung „belohnt“.
Als Konsequenz nimmt der Patient immer häufiger und immer früher Schmerzmittel ein und
kommt so leicht zum Missbrauch bzw. Abusus.
Ein weiterer, wichtiger Verstärkungsfaktor sind
Bezugspersonen wie der Partner oder Kinder,
aber auch Angehörige der Gesundheitsversorgung. Wird auf den Ausdruck von Schmerz in
der Umgebung des Patienten mit Aufmerksamkeit und Zuwendung reagiert, findet aber keine
Zuwendung auf gesundes Verhalten statt, dann
kommt es zu einem verstärkten Schmerzausdruck und als Folge auch zu einer verstärkten
Schmerzempfindung. Dies geht so weit, dass
nicht nur der Schmerzausdruck, sondern auch
die physiologische Verarbeitung von Schmerzreizen verstärkt wird. So kommt es bei akuter
Schmerzreizung
in
Anwesenheit
eines
schmerzverstärkenden Partners zu einer erhöhten Hirnantwort auf den Schmerzreiz in
Die Partner der Patienten werden in die Behandlung miteinbezogen und lernen, den Patienten nicht mehr übermäßig zu schonen, sondern ihn zu aktivieren und mit ihm gemeinsam
neue gemeinsame Ziele zu finden und zu verwirklichen. Zum operanten Training gehören
auch Übungen in der Gruppe, in der gesundes
Verhalten
systematisch
verstärkt
und
Schmerzverhalten systematisch bestraft wird
(z.B. durch das Ausgeben von roten und grünen Karten, die später gegen ein gemeinsames
Essen etc. eingetauscht werden können). Essentieller Bestandteil des Trainings sind Übungen zuhause, die aus körperlicher Aktivierung
wie auch Aufgaben im Bereich sozialer Interaktion bestehen.
Tabelle 1 zeigt eine Kurzübersicht über ein operantes Therapieprogramm, wie es in unserer
Einrichtung ambulant (über 12 Wochen) durchgeführt wird.
In einer von uns durchgeführten Meta-Analyse,
in der die Effekte vieler Schmerzbehandlungen
statistisch dargestellt wurden, erwiesen sich die
operanten Ansätze mit 53% zusätzlicher Effektivität zur medizinischem Behandlung als am
erfolgreichsten nicht nur in der Verminderung
von Schmerz und Beeinträchtigung durch
Schmerz, sondern auch hinsichtlich der Inanspruchnahme der Gesundheitsversorgung und
der Arbeitsfähigkeit. Auch in der Studie von
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Tabelle 1: Ablauf der 12 Sitzungen der operanten Gruppentherapie
1. Sitzung:
Einführung: Grundlagen der Behandlung
Diskussion vorhergehender Schmerzerfahrungen
Einführung in die operante Schmerztheorie: Schmerzverhalten, gesundes Verhalten, Verstärkung, Auszeit, Rolle anderer
Diskussion der Medikation
Diskussion der krankengymnastischen und arbeitsbezogenen Diagnostik
Hausaufgaben: Erstellen einer Liste von Schmerzverhalten
mit der Bezugsperson, Aktivitätenliste
3. Sitzung:
Diskussion der Sitzung mit den Bezugspersonen
Wiederholung der Prinzipien des operanten Modells
Besprechung der Liste des Schmerzverhaltens und gesunden
Verhaltens
Gruppenbeobachtung des eigenen Schmerzverhaltens sowie
des Schmerzverhaltens der Gruppenmitglieder (Video)
Diskussion der Verstärkung gesunden Verhaltens und der
Auszeit bei Schmerzverhalten in der Gruppe
Weitere Diskussion des Fortschritts bezüglich der Therapieziele
Übersicht über Fortschritte in der Krankengymnastik, Evaluation der Arbeitsfähigkeit
Hausaufgaben: Aktivitätstagebuch, Medikamententagebuch,
Liste mit gesundem Verhalten
5. Sitzung:
Hausaufgabenbesprechung
Gruppenverstärkung für Fortschritte
Diskussion von alternativem Verhalten
Individuelle Ziele, Verträge mit Gruppenmitgliedern und
Therapeuten
Rollenspiele zum gesunden Verhalten
Hausaufgaben: Tagebuch mit Betonung der gesetzten Ziele
7. Sitzung:
Hausaufgabenbesprechung
Diskussion der Wochenziele, Betonung der Gruppenverstärkung, Auszeit bei Nichterfüllung
Diskussion weiteren gesunden Verhaltens
Verwendung einer Liste gesunder/spaßmachender Aktivitäten
Auswahl und Übung schmerzinkompatibler Verhaltensweisen
Ziele der kommenden Woche
Problembesprechung
Hausaufgaben: Selbstbeobachtung mit Betonung der Zielerreichung
9. Sitzung (mit Bezugsperson):
Diskussion der Hausaufgaben
Diskussion der Möglichkeiten, gesundes Verhalten zu verstärken
Diskussion verbleibender Schmerzverhaltensweisen und der
Möglichkeiten sie weniger zu beachten, Übungen dazu
Diskussion spezifischer Probleme
Hausaufgaben. Training in gesundem Verhalten
11. Sitzung:
Hausaufgabenbesprechung
Diskussion der Übungen mit der Bezugsperson
Diskussion spezifischer Problembereiche
Übersicht über Fortschritte in der KG und bezüglich der
Arbeitsfähigkeit
Vorbereitung des letzten Treffens; Pläne für die Zukunft und
Probleme ansprechen
Setzen spezifischer Verhaltensziele für die nächste Woche
Hausaufgaben: weitere Selbstbeobachtung und Übungen
2. Sitzung (mit Bezugsperson):
Diskussion erster Fortschritte
Diskussion der Liste des Schmerzverhaltens
Training in gesundem Verhalten, Möglichkeiten Schmerzverhalten zu reduzieren
Hausaufgaben: Training in gesundem Verhalten
4. Sitzung:
Wiederholung des operanten Modells
Diskussion der Liste zu gesundem Verhalten
Diskussion der Selbstbeobachtung jedes Patienten
Verstärkung für Aktivität, auch in Krankengymnastik
Zieldiskussion, Aufbau gesunden Verhaltens
Hausaufgaben: Tagebuch der Aktivität, Krankengymnastikübungen, Medikamentenreduktion
6. Sitzung (mit Bezugsperson):
Wiederholung des operanten Modells
Diskussion des Verhaltens des Patienten zuhause: spezifische Beispiele, Probleme
Diskussion der Selbstbeobachtung
Verstärkung der Mitarbeit der Bezugsperson
Hausaufgaben: gemeinsames Training in gesundem Verhalten
8. Sitzung:
Hausaufgabenbesprechung
Diskussion der Ziele der Woche
Weitere Übung gesunden Verhaltens (auch z.B. Selbstsicherheit, Umgang mit Kollegen, Gesundheitsversorgung)
Möglichkeiten der Selbstverstärkung
Neue Ziele
Allgemeine Diskussion
Hausaufgaben: Selbstbeobachtung mit Betonung der Zielerreichung
10. Sitzung:
Diskussion der Hausaufgaben
Diskussion der Sitzung mit der Bezugsperson
Diskussion spezifischer Problembereiche: -Haushalt, Familie,
Verwandte
Diskussion der Medikamentenreduktion
Ziele für die folgende Woche
Hausaufgaben: Tagebuch mit Zielerreichung, Übungen zu
gesundem Verhalten mit der Bezugsperson
12. Sitzung:
Besprechung der Hausaufgaben
Besprechung des Fortschritts im Therapieprogramm
Wiederholung des operanten Modells
Diskussion von Möglichkeiten, Verbesserungen aufrechtzuerhalten
Diskussion von Problembereichen
Weitere Pläne und Ziele
Übersicht über Abschlussuntersuchung und Katamnesen
Abschluss des Programms
Thieme et al. zur Effektivität operanter Therapie
bei Fibromyalgie zeigten sich besonders deutliche Effekte bei der Inanspruchnahme der Gesundheitsversorgung (Anzahl der Arztbesuche),
die nach einer somatisch orientierten Therapie
(Antidepressiva + passive Physiotherapie) in
einem Zeitraum von 15 Monaten um mehr als
38% zunahm, während sie in der operanten
Therapie um 54% abnahm.
Neuere Entwicklungen
Eine besondere Rolle bei der Chronifizierung
spielt das Schmerzgedächtnis, das erst in den
letzten Jahren verstärkt untersucht wurde. Das
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Ähnlich könnte auch ein Schmerzextinktionstraining wirken, bei dem man gezielt den
Schmerzausdruck verlernt und schmerzinkompatibles Verhalten aufbaut. Medikamente, die
die Extinktion fördern (wie Cannabis) oder solche, die den Aufbau schmerzassoziierter plastischer Veränderungen hemmen (wie NMDA
Rezeptor Antagonisten) könnten hier unterstützend eingesetzt werden.
In der Klinischen Forschergruppe 107 wird die
Kombination von Verhaltenstherapie und Cannabis überprüft. Vlaeyen hat ein Expositionstraining beschrieben, das schmerzassoziierte
Angst löschen soll und mit graduierten Übungen
arbeitet. Generell versucht man heute anhängig
von der ausführlichen multiaxialen Schmerzdiagnostik eine differenzielle Indikation der verschiedenen schmerztherapeutischen Verfahren
zu erreichen. Der frühe Einsatz einfacher verhaltenstherapeutischer Interventionen kann die
Chronifizierung und damit den Aufbau eines
somatosensorischen
Schmerzgedächtnisses
verhindern.
sogenannte somatosensorische Schmerzgedächtnis zeigt sich in Veränderungen in der
Repräsentation der Köperperipherie im primären somatosensorischen Kortex und anderen
mit der Schmerzverarbeitung assoziierten Hirnarealen. So ließ sich zeigen, dass mit zunehmender Chronifizierung das kortikale Repräsentationsareal größer wird und das Gehirn eine
erhöhte Reagibilität auf schmerzhafte, aber
auch nicht-schmerzhafte taktile Reize zeigt, die
die Grundlage der bei chronischen Schmerzpatienten oft beobachteten erhöhten Schmerzempfindlichkeit bilden könnten.
Auch beim Phantomschmerz ließen sich Veränderungen der kortikalen Repräsentation des
Amputationsareals und benachbarter Areale in
enge Verbindung mit dem Phantomschmerz
bringen. Aus diesen Beobachtungen ergibt sich,
dass die Löschung von Schmerzgedächtnisspuren und der Ausbau von schmerzinkompatiblen
Gedächtnisinhalten besonders effektiv sein
könnte. In vielen tier- und humanexperimentellen neurowissenschaftlichen Untersuchungen
ließ sich die Plastizität des Gehirns durch massiertes Training, das den neuronalen Einstrom
in das Gehirn verändert, beeinflussen. So kann
man z.B. den Phantomschmerz, der eng mit
Veränderungen der Repräsentation von dem
Amputationsareal benachbarten kortikalen Repräsentationsareal zusammenhängt, durch Veränderung des neuronalen Einstroms in das
Gehirn positiv beeinflussen. Appliziert man elektrische Reize auf dem Amputationsstumpf
und lässt die Patienten die Reize nach Ort und
Frequenz unterscheiden und gibt ihnen Rückmeldung, so lässt sich sowohl die kortikale Veränderung wie auch der Phantomschmerz zurückbilden (siehe Abbildung 1).
Schlussfolgerungen
Es herrscht immer noch das Missverständnis
vor, dass psychische Probleme vor allem mit
psychologischen
Maßnahmen,
körperliche
Probleme vor allem mit medizinischen Maßnahmen behoben werden sollten. Psychologische Behandlung kann jedoch auch effektiv
sein, wenn eindeutig somatische Probleme
vorliegen, so wie umgekehrt medizinische Behandlung bei psychischen Problemen effektiv
sein kann. Die von uns vertretene Auffassung,
dass Verhaltenstherapie unabhängig vom körperlich messbaren Anteil einer Erkrankung wirksam sein kann und auf einen positiven psychologischen Befund anstatt auf die Abwesenheit
eines organischen Befundes gestützt werden
sollte, scheint sich auch bei der Behandlung
des chronischen Schmerzes zu bewahrheiten.
Generell empfiehlt sich somit bei Vorliegen der
oben genannten Auffälligkeiten eine frühzeitige
Zuziehung eines schmerztherapeutisch ausgebildeten Verhaltenstherapeuten. Darüber hinaus
wäre eine verhaltenstherapeutisch orientierte
Schulung des erstbehandelnden Arztes sinnvoll,
um lernpsychologische Regeln der Prävention
der Chronifizierung zu vermitteln.
Abb. 1: Links die Anordnung der Elektroden für
das Diskriminationstraining, rechts die Rückkehr
der Repräsentation des Mundes im primären
somatosensorischen Kortex in die korrekte Position nach erfolgreicher Verminderung der
Phantomschmerzen
Herta Flor
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