Trainingseinheit 10: Risiken eingehen und Grenzen

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Trainingseinheit 10: Risiken eingehen und Grenzen setzen
Einführung
Das Ziel dieser Trainingseinheit ist die Bewusstmachung der Konzepte der Grenzsetzung, der
Rollenkonflikte und der Arbeit mit Risiken sowie Herausforderungen.
Diese Einheit beinhaltet Ansätze, wie man Herausforderungen und Risiken gut annehmen und
bewältigen kann. Dies beinhaltet die Balance Findung zwischen Risiko und Verantwortung in
einer Peer-Beziehung. In diesem Zusammenhang werden die TeilnehmerInnen mit den Themen
Trauma, Suizid und Risiken konfrontiert. Suizid ist ein sehr schwieriges und persönliches Thema.
Es ist wichtig sich dem bewusst zu sein und dies auch mit den TeilnehmerInnen vor und nach
der Einheit zu besprechen.
Lernergebnisse
Darstellung des Bewusstseins wie ein sicherer und effektiver Umgang in der formalen Rolle als
Peer MitarbeiterIn aussehen kann.
Erforderliche Nachweise
• Herausarbeitung und Darstellung von zwei Aspekten in Rollenkonflikten und bei
Grenzen
141
Peer2Peer | Eine Ausbildung
• Reflexion von Ansätzen in der Risikoarbeit
Vorschlag für die Unterrichtsplanung
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Aktivität
Methode
Einführung
TrainerIn
Grenzen in der formalen Rolle
der Peer MitarbeiterIn
Gruppenarbeit
Grenzen aushandeln
Gruppenarbeit
Doppelrolle
Einzelübungen
Risiken und Herausforderungen
positiv bewerten
Arbeit mit Risikorollenspielen
Risiko und Ethik
Gruppenarbeiten
Material
Handout
Information
Formalisierte Peer - Support MitarbeiterInnen oder Peer ArbeiterInnen existieren in einem
größeren Kontext und helfen dabei die Praxis zu definieren. Dies beinhaltet die Sensibilisierung
für Risiken und Grenzen und die Konzepte die dafür in Peer-Beziehungen verwendet werden.
Die Trainingseinheit 5 behandelte die Prozesse und die Entwicklung einer Peer-Beziehung,
wobei im speziellen auf die Macht in Peer-Beziehungen eingegangen wurde. Diese Einheit
baut auf die Inhalte der Einheit 5 auf und beinhaltet zwei weitere Aspekte, die die Balance von
Macht beeinflusst.
Grenzen
Grenzen beziehen sich auf die Trennungslinien in einer Beziehung. Sie beziehen sich darauf,
was akzeptabel ist und wo Grenzen überschritten werden. Die Art der Grenzen ist verschieden
und abhängig von der Beziehung. Wenn Beziehungen einen formalen Charakter bekommen,
etwa wenn ein Teil in einer Peer Rolle ist, egal ob bezahlt oder ehrenamtlich – ist es wichtig,
klare Grenzen auszuhandeln. Es gibt Gründe dafür, warum es in formalen Beziehungen mehr
Grenzen gibt; vor allem wenn eine Person Verantwortung und Aufgaben gegenüber einer
Anderen übernimmt.
Grenzen in der formalen Rolle als Peer MitarbeiterIn
Ein/e Peer MitarbeiterIn zu sein ist komplex, weil es notwendig ist zu unterstützen, zu ermutigen
und Erfahrungen zu teilen. Gleichzeitig muss aber Distanz gewahrt werden um effektiv
arbeiten zu können. Sensibilität für Grenzen zu haben ist aus diesem Grund sehr wichtig. In
der formalen Rolle als Peer MitarbeiterIn ist eine klare Festlegung der Beziehung essenziell. Es
ist wichtig, dass die Rolle und die Grenzen klar sind. Durch Kriterien und Haltungen wird die
Position der Organisation beschrieben und Supervision kann dabei unterstützen, die Abläufe
und Inhalte der Praxis zu reflektieren.
Es muss immer Folgendes bedacht werden:
• Ein Bewusstsein für Grenzen und die Notwendigkeit, von vornherein offen zu sein, ist
umso notwendiger, je formalisierter Peer-Beziehungen sind.
• Auch wenn Peer Support mit gemeinsamen Erfahrungen arbeitet und auf dem
aufbaut, was die Menschen gemeinsam haben, muss das nicht heißen, dass sie
Freunde werden.
• Wenn eine Person dafür bezahlt wird, Unterstützung anzubieten - in welcher Rolle
auch immer - gibt es eine professionelle Verantwortung dafür, Grenzen einzuhalten.
• Klar vereinbarte Grenzen sind der Schlüssel zu einer guten Peer Support Arbeit.
Berufliche Grenzen beruhen oft auf professionellen Verhaltensregeln und werden eingesetzt,
damit Menschen, die Machtpositionen innehaben, diese nicht missbrauchen können.
Abgrenzung im Peer Support ist komplex, weil wir einerseits gleichwertige persönliche
Beziehungen schaffen wollen, aber andererseits auch im Rahmen einer klar definierten
Rolle arbeiten, die eine gewisse Verantwortung mit sich bringt. Unser Job ist es dann, im
Rahmen eines transparenten und authentischen Prozesses Grenzen auszuhandeln. Wenn
dies gut gemacht wird, führt es zu mehr Klarheit und Ehrlichkeit und bringt als Ergebnis eine
gleichwertige, ermächtigende Beziehung.
Verständnis und Erhaltung von Grenzen
Im institutionalisierten Peer Support gibt es viele verschiedene Themen, die die Beziehung
beeinflussen.
• Je mehr Zeit die Peers miteinander verbringen und je intensiver die Beziehung wird,
umso schwieriger kann es für beide Seiten werden, die Grenzen zu verstehen und
einzuhalten, die eine gegenseitig ermächtigende Beziehung erlaubt.
• In einer Peer-Beziehung muss vom/von der Peer MitarbeiterIn klar bedacht werden,
dass eine Machtungleichheit gegeben ist. Die professionelle Verantwortung macht
es notwendig, sich mit KollegInnen oder dem Team abzusprechen und zu diesem
143
Peer2Peer | Eine Ausbildung
Zwecke Notizen über die Gespräche und die Person, die das Angebot nutzt, zu
machen.
• Peer - Support MitarbeiterInnen finden die Situation vielleicht manchmal etwas
verwirrend, weil sie z.B. vielleicht einmal selbst KlientIn in der Einrichtung waren, in
der sie jetzt mitarbeiten und die Menschen, die sie damals unterstützt haben jetzt die
KollegInnen sind. Dies muss gegenüber den KollegInnen angesprochen werden bzw.
in Teams Thema sein, damit die Erwartungen geklärt sind.
Doppelrollen und Beziehungen
Im Peer Support muss das Potential von Doppelrollen und Beziehungen beachtet werden.
Dieser Ausdruck bezieht sich auf eine Situation, in der eine Fachkraft und jemand, der
Unterstützung bekommt, verschiedene Rollen einnehmen können. Nachdem Peer Support
MitarbeiterInnen frühere oder aktuelle Erfahrungen mit Einrichtungen der psychischen
Gesundheit haben, ist die Möglichkeit dafür relativ hoch. Ein Beispiel: Wenn sie an einer
neuen Arbeitsstelle anfangen, kann es sein, dass Sie Ihre neuen ArbeitskollegInnen als frühere
BetreuerInnen kennen, oder Sie haben private Kontakte zu Menschen, die die Einrichtung
besuchen, in der Sie nun arbeiten. Eine klare Stellenbeschreibung und die Integration von
Peer Support als wertvolle und integrierte Mitglieder im Team, sollen Ihnen helfen, mit diesen
Herausforderungen umzugehen.
Diese Art von Doppelrollen kann aber auch ein „Rollendurcheinander” verursachen, wenn
Menschen sich unangebracht verhalten oder durch die neue Identität und Rolle des/der Peer
Support MitarbeiterIn verunsichert sind. Beispiele dafür wären, wenn ein Kollege einem/
einer Peer Support MitarbeiterIn gegenüber in die BetreuerInnenrolle fällt, oder wenn eine
Person, die Peer Support in Anspruch nimmt, diese Beziehung mehr als Freundschaft sieht
und nicht versteht, warum plötzlich Grenzen gesetzt werden. Ein solches Rollendurcheinander
kann auch zu Spannungen für die Peer Support MitarbeiterInnen führen, wenn sie das Gefühl
haben, nicht beiden Rollen gerecht werden zu können: der Rolle als bezahlte/r MitarbeiterIn
und der Rolle von jemandem, der psychiatrische Einrichtungen in Anspruch nimmt.
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Rollenspannungen können auch dann auftreten, wenn es einem/einer Peer Support
MitarbeiterIn gesundheitlich schlecht geht und er/sie Unterstützung braucht. Was passiert,
wenn dies in derselben Einrichtung geschieht, in der die Person normalerweise arbeitet?
Vertraulichkeit in Peer-Beziehungen
Personen, die eine Dienstleistung anbieten, dürfen keine Informationen über ihre KlientInnen
an Andere weitergeben, außer wenn sie ausdrücklich dazu berechtigt sind.
Peer Support MitarbeiterInnen müssen fähig sein, professionelle Grenzen einzuhalten, und ein
Bewusstsein für Vertraulichkeit ist ein wichtiger Bestandteil davon.
Hier sind einige Punkte, die beachtet werden müssen:
• Obwohl Peer Support MitarbeiterInnen eine gegenseitig ermächtigende Beziehung
aufbauen sollen, sind sie trotzdem dazu verpflichtet, in gewissen Fällen Informationen
weiterzugeben.
• Organisationen, die Peer Support MitarbeiterInnen beschäftigen, sind verpflichtet,
klare Regeln für Vertraulichkeit zu formulieren, und es sollte möglich sein, diese
Regeln in der Supervision zu besprechen.
• Eine Peer Support MitarbeiterIn könnte Mitglied in einem Team sein, das mit derselben
Person als KlientIn arbeitet. Unter diesen Umständen ist es wahrscheinlich, dass
Informationen ausgetauscht werden und das kann die Fähigkeit beeinträchtigen,
eine gute Beziehung zu entwickeln.
• Peer Support MitarbeiterInnen sind verwundbar, weil sie im Rahmen ihrer Rolle ihre
Erfahrungen mit Anderen teilen. Sie müssen sich dieser Tatsache bewusst sein und
müssen freiwillig darüber entscheiden können, was sie teilen möchten.
Wenn in einer Organisation eine Peer Support MitarbeiterIn beschäftigt wird, die früher KlientIn
in derselben Einrichtung war, sollte besonders auf Vertraulichkeit geachtet werden.
Fragen, die Vertraulichkeit betreffen sind nicht immer eindeutig, aber es ist generell eine gute
Idee, denselben Ansatz zu verwenden, der bei der Abgrenzung beschrieben wurde. Wenn Sie
herausfinden wollen, ob jemand möchte, dass etwas vertraulich behandelt wird, dann fragen
Sie diese Person.
Supervision
Die Rolle von Peer Support MitarbeiterInnen kann auch Spannungen und Schwierigkeiten
mit sich bringen. Sie müssen sich auch der Grenzen Ihrer professionellen und persönlichen
Rolle bewusst sein, was manchmal nicht leicht ist, wenn Sie eine intensive und unterstützende
Beziehung anbieten. Sie brauchen ebenfalls Unterstützung. Ihre Vorgesetzten haben die
Verantwortung, diese Unterstützung zu organisieren. Sie können Ihnen auch helfen, Ihre
professionellen Ziele zu identifizieren, implementieren und zu überprüfen. Dies ist manchmal
ein schwieriger Weg und Rückschläge sind unvermeidlich. Supervision kann Ihnen helfen, mit
Rückschlägen umzugehen und dabei einen objektiven Fokus zu bewahren.
Supervision ist ein Prozess, in dem Sie Führung und Unterstützung erhalten, um Ihr
Arbeitspensum effizient und wirksam zu managen. Supervision stellt sicher, dass Sie in Ihrer
beruflichen Entwicklung unterstützt werden. In diesem Forum sollte auch sichergestellt
sein, dass Ihr psychisches Wohlbefinden geschützt ist, indem Sie Stress vermeiden. Manche
Menschen glauben, dass Supervision ein formelles Treffen mit der Leitung in bestimmten
Zeitabständen ist. Das ist eine Art von Supervision, die oft angewandt wird, aber es gibt auch
andere Konzepte von Supervision, die unterstützend und hilfreich sind. Das kann z.B. auch eine
inhaltliche Reflexion mit der Leitungsperson sein, Gruppensupervision, informelles Mentoring
oder Coaching.
Risiken und Wahrnehmung von Risiken
Die Beziehungen zwischen Risiko, psychischer Gesundheit und Recovery sind komplex. Wenn
wir an Risiko denken, sehen wir vor allem die negativen Aspekte von Risiko vor uns – wir
denken an das, was schief gehen könnte. In der Realität hat jedes Risiko zwei Seiten und wenn
wir Recovery fördern wollen, müssen wir uns des Risikos bewusst sein, was es bedeutet, wenn
wir Dinge nicht ausprobieren und Gelegenheiten nicht nutzen. Dieser Aspekt von Risiko wird
manchmal beschrieben als „ein positives Risiko eingehen” und kann ein wichtiger Bestandteil
von Wachstum und Recovery sein.
Organisationen, die soziale Dienste anbieten, beschäftigen sich mehr mit den negativen
Aspekten von Risiko. Das kann zwar dazu führen, dass sich eine risikoscheue Kultur etabliert.
145
Peer2Peer | Eine Ausbildung
Jedoch müssen Einrichtungen mit Risiko verantwortungsbewusst umgehen, besonders wenn
sie mit Menschen arbeiten, denen es sehr schlecht geht und die eventuell eine Gefahr für sich
selbst oder für Andere darstellen.
Wir sollten uns über Folgendes bewusst sein:
• Risiko hat positive und negative Aspekte.
• Gemeinsame Entscheidungen und Klarheit über Entscheidungen bedeutet, dass das
Risiko zwischen dem Team und dem Betroffenen/KlientInnen geteilt wird.
• Verschiedene ProfessionistInnen und Fachkräfte können ein unterschiedliches Level
von Risikotoleranz haben. Das kann mit dem Ausmaß ihrer Verantwortung zu tun
haben, mit ihrer Praxis oder ihren Werten.
Die Arbeit mit Risiko in Peer-Beziehungen
Die Beziehung zwischen Risiko und Recovery ist sehr komplex. Risiko ist viel mehr als
Risikomanagement und Gefahrenprävention. Vor allem kann das Eingehen von Risiken eine
positive Auswirkung auf Recovery haben, da es eine Möglichkeit ist vorwärts zu kommen.
Das könnte zum Beispiel bedeuten, die eigene Komfortzone zu verlassen und neue Dinge
auszuprobieren. Immerhin sind Sie Risiken eingegangen um dorthin zu kommen, wo Sie jetzt
sind und um an diesem Programm teilzunehmen.
Auch wenn es offensichtlich positiv für die eigene Entwicklung sein kann, ein Risiko einzugehen,
ist es durchaus eine Herausforderung, wenn die Personen, die sie unterstützen, neue Dinge
ausprobieren. Vielleicht wissen sie, dass vorherige ähnliche Versuche scheiterten oder haben
ähnliches selbst ausprobiert und schlechte Erfahrungen damit gemacht.
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Natürlich wollen wir, dass die Personen, die wir unterstützen neue Erfahrungen machen,
aber wenn wir sehen, dass ihre Entscheidungen möglicherweise schädlich sind, kann es sein,
dass wir versuchen sie davon abzuhalten. Die Entscheidung, jemanden von ihrem Vorhaben
abzuhalten, geht in diesem Fall allerdings von unserer eigenen Unsicherheit aus und somit
müssen wir darauf achten den Anderen nicht zu etwas zu zwingen oder zu überreden.
Risiko und Ethik
Alle Arten von Einrichtungen und professionellen Gruppen im Bereich der psychischen
Gesundheit unterliegen ethischen Codes oder Richtlinien. Ethische Richtlinien bestimmen,
wie wir uns in verschiedenen Situationen verhalten. Sie bringen moralische Annahmen mit
sich, denen man entweder zustimmt oder nicht und deshalb sind persönliche Ansichten und
professionelle Ethik untrennbar.
Die ethischen Debatten rund um psychische Gesundheit können sehr kontrovers sein.
Nehmen wir als Beispiel die Einnahme von Medikamenten im Vergleich zu Peer Support, der
mit Individuen arbeitet und Ihnen ermöglicht Ihren eigenen Weg zu Recovery zu finden.
So wie viele andere ethische Probleme, sind auch ethische Fragen im Bereich der psychischen
Gesundheit meist nicht mit einer klaren Antwort zu lösen. Das liegt teilweise daran, dass
psychische Unterstützung in einem problematischen Umfeld stattfindet, in dem ständig
Probleme und Fragen auftauchen, die schwer zu lösen sind.
Trauma, Suizidalität und Risiko
In Trainingseinheit 9 haben wir bereits darüber gesprochen wie Trauma das Vertrauens- und
Sicherheitsgefühl einer Person beeinflussen kann und haben erwähnt, dass verschiedene
Menschen verschiedene Reaktionen auf traumatische Ereignisse haben. Es gibt aber auch
weit verbreitete Reaktionen, die für Peer Support MitarbeiterInnen sehr herausfordernd sein
können.
Es kann sein, dass Menschen mit Traumata Bewältigungsmechanismen entwickeln, die für sie
selbst beruhigend, für Außenstehende aber beängstigend wirken. Nehmen wir als Beispiel
jemanden, der im Krieg gelernt hat seine Emotionen zu verdrängen. Zuhause wird diese
Person Probleme haben, sich anderen Menschen anzuvertrauen und möglicherweise einfach
ausrasten, wenn die emotionale Belastung zu groß wird.
Menschen, die Erfahrung mit Missbrauch gemacht haben, haben oft ein negatives Körperbild
und können Essstörungen entwickeln, sich selbst verletzen und suizidgefährdet sein. Andere
versuchen das Trauma nachzustellen, in dem sie sich an riskanten Aktivitäten beteiligen.
Traditioneller Weise werden diese Bewältigungsstrategien als Symptome einer Erkrankung
behandelt. Daraus folgt, dass viele ihre Strategien geheim halten oder wieder und wieder in
stationäre Behandlung kommen. Ohne einer Möglichkeit, über diese Strategien und Gefühle
zu sprechen, bleiben sie automatische Antworten auf Stress.
Als Peer Support MitarbeiterIn können Sie eine andere Art der Konversation anbieten. Natürlich
müssen potentielle Gefahren gemeldet werden, aber Sie können trotzdem mit Menschen
reden, Empathie zeigen, eine Vertrauensbasis schaffen und ihre eigenen Erfahrungen
weitergeben und auch selbst Ängste zeigen. Vertrauen ist eines der wichtigsten Themen in
Peer Support-Beziehungen. Sein Sie also offen, arbeiten Sie zusammen und lernen Sie beide
von gemeinsamen Erfahrungen.
Herangehensweisen dieser Art der Konversation beinhaltet die folgenden Aspekte:
• Sich der eigenen Unsicherheit mit diesen Situationen bewusst sein und der
„natürlichen” Reaktion diese zu lösen,
• Reflexion über die Gefühle der Person, wenn sie selbstverletzende Handlungen
durchführt oder suizidal ist,
• Empathie zeigen oder die Gefühle der Person erfragen, damit eine Gleichwertigkeit
entsteht,
• offene Fragen verwenden, damit die Kommunikation gefördert wird;
• wenn die eigenen Gefühle geäußert werden ist darauf zu achten, dass die Person, die
Peer Support in Anspruch nimmt, dies annehmen kann.
Darüber nachzudenken, das selbstverletzende Taten und Suizid ein Ausdruck von Schmerz
sind und dass darüber geredet werden kann ohne damit Macht abzugeben, ist wichtig. Es
ermöglicht das Lernen und den Ausdruck von Gefühlen in einer gleichwertigen Beziehung, wo
Vertrauen und Verständnis bei beiden Personen aufgebaut werden kann.
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Peer2Peer | Eine Ausbildung
Vorschlag für Übungen
Grenzen setzen im formellen Peer Support
Klare Grenzen
Diskutieren Sie in Kleingruppen oder in der gesamten Gruppe, welche Auswirkungen es hat,
wenn es in einer formalen Peer Support-Beziehung keine klaren Grenzen gibt.
Anmerkungen für die TrainerInnen
Eine Peer-Beziehung kann ein schwieriger Weg sein, weil sie bedeutet, einen Menschen
zu unterstützen und zu ermutigen und gleichzeitig die notwendige Distanz einzuhalten,
um effektive Arbeit zu leisten. Andererseits bietet sie die Möglichkeit, eine gute Beziehung
aufzubauen, die auf Hoffnung, Vertrauen und Respekt gegründet ist. Das Ziel ist es, eine
Umgebung zu schaffen, in der Recovery möglich wird. Es besteht jedoch immer ein Risiko,
dass jemand das Beziehungsangebot als Freundschaft missversteht.
Grenzen zeigen uns, dass wir für unser eigenes Leben Verantwortung übernehmen und die
Konsequenzen unserer Handlungen akzeptieren.
Diskutieren Sie mit den KursteilnehmerInnen folgende Punkte:
• Warum können Grenzen in Peer Support-Beziehungen verschwimmen?
• Was kann man dagegen tun?
• Welche Fähigkeiten könnten für eine/n Peer Support MitarbeiterIn nützlich sein, um
Grenzen klar zu verstehen?
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Grenzen aushandeln
Diskutieren sie in kleinen Gruppen folgende Szenarien:
• Welche Probleme bei Grenzen wurden angesprochen?
• Welche Bedürfnisse hatte der/die Peer MitarbeiterIn?
• Welche Interventionen könnten angewendet werden und was würden sie bewirken?
Szenario 1
Martin ist ein Peer Support-Mitarbeiter. Er weiß, dass einer der Klienten, die er unterstützt, ein
erfahrener Dachdecker ist. Er fragt ihn, ob er ihm hilft ein Loch in seinem Dach zu reparieren.
Szenario 2
Hilde unterstützt Anna seit vier Wochen. Eines Abends, als Rachel mit FreundInnen in einer Bar
ist, trifft sie Anna dort. Anna lädt Rachel auf ein Glas Wein ein, obwohl diese das eigentlich nicht
mehr will. Das ist Rachel sehr unangenehm, sie bedankt sich rasch bei Anna und widmet sich
wieder ihren FreundInnen.
Szenario 3
Karl bekommt keine Sozialhilfe mehr und hat kein Geld. Er bittet seinen Peer Berater um Hilfe
und dieser leiht ihm Geld, das er nächste Woche zurückgeben soll.
Szenario 4
Karin und Susanne haben eine gute Beziehung zueinander aufgebaut. Am Ende einer Sitzung
umarmt Susanne Karin (die Peer Support Mitarbeiterin) und sagt ihr, wie sehr sie Karin mag
und dass sie ohne sie nicht leben könnte.
Anmerkungen für die TrainerInnen
Diese Szenarien sollen Diskussionen anregen über das komplexe Thema „Grenzen setzen”.
Es gibt keine richtigen und falschen Antworten, aber in allen Szenarien geht es darum, im
Vorhinein klare Vereinbarungen zu treffen.
Szenario 1 betrifft duale Beziehungen, und abgesehen von ethischen Fragen könnte es
auch rechtliche Konsequenzen für Martin und seinen Arbeitgeber geben. Wie schaut die
Machtverteilung in der Beziehung aus? Was passiert, wenn ein Unfall geschieht? Was passiert,
wenn die Person nicht einverstanden ist?
In Szenario 2 werden die Themen Ehrlichkeit und mangelnde Offenheit bzgl. Grenzen
behandelt. Die Szene zeigt die Notwendigkeit, klare Grenzen zu vereinbaren.
In Szenario 3 muss sich der Peer Mitarbeiter überlegen, wie sich das Geld verleihen auf das MachtGleichgewicht in der Beziehung auswirkt und was passiert, wenn das Geld nicht zurückgezahlt
wird. Man sollte sich auch überlegen, ob damit ein wenig hilfreicher Präzedenzfall geschaffen
wird und wie sich das auf die gesamte Organisation auswirkt.
In Szenario 4 muss sich die Peer Mitarbeiterin darüber klar werden, ob sie Körperkontakt
haben möchte. Manche Menschen mögen das, andere nicht. Karin sollte auch thematisieren,
was Susanne meint, wenn sie sagt, sie kann ohne Karin nicht leben. Es ist wichtig, dies nicht
überzubewerten, weil diese Aussage viele verschiedene Bedeutungen haben kann.
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Peer2Peer | Eine Ausbildung
Spannungen auf Grund der Rolle
Mit Spannungen auf Grund der Rolle umgehen
Die KursteilnehmerInnen sollen einzeln über die Situationen auf dem Arbeitsblatt nachdenken.
In den freien Zeilen sollen die möglichen Spannungen und Herausforderungen beschrieben
werden, die diese Situation hervorrufen kann und alle Handlungen anführen, die diese
Schwierigkeiten verhindern oder bewältigen können.
Anmerkungen für TrainerInnen
Die Situationen können an die Gruppe angepasst werden. Peer Support MitarbeiterInnen
müssen sich der potentiellen Schwierigkeiten und Herausforderungen auf Grund ihrer Rolle
bewusst sein und brauchen Strategien, um diesen zu begegnen. Sie müssen auch darauf achten,
dass Sie die notwendige Unterstützung bekommen, wenn es Ihnen schlecht geht und auf die
Auswirkungen, die das auf Ihre Rolle als Peer hat. Es gibt keine Lösungen, die für alle passen,
die Antworten sind abhängig von der Art der Einrichtung, dem Ort und den Umständen, Ihren
Bedürfnissen und Wünschen.
Risiken und Herausforderungen positiv bewerten
Rollenspiele zum Thema Risiko
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Machen Sie in kleinen Gruppen folgendes Rollenspiel und besprechen Sie die anschließenden
Fragen.
Szenario
Anton und Marie arbeiten seit einigen Monaten miteinander. Gemeinsam mit Anton hat
Marie große Fortschritte gemacht. Nun möchte Marie ihre eigene Wohnung haben, um unabhängiger zu sein (bis jetzt lebte sie lange Zeit in einer Einrichtung für betreutes Wohnen.)
Anton ist allerdings der Meinung, dass sie dafür noch nicht bereit ist, da sie nicht kochen
kann, unvorsichtig mit Zigaretten umgeht und nicht mit Geld umgehen kann. Außerdem ist
Anton selbst vor einigen Jahren direkt aus einer Einrichtung für betreutes Wohnen in eine eigene Wohnung gezogen und fühlte sich maßlos überfordert. Er verlor seine Wohnung, lebte
auf der Straße und griff wieder zu Drogen.
Marie sagt zu Anton, dass sie sich sehr auf ihre eigene Wohnung freut und bereits die Einrichtung
plant.
Antwort 1
Anton sagt Marie, dass er sich sehr für sie freut, gibt aber zu bedenken, dass dies ein großer
Schritt ist. Er erzählt ihr, dass er früher selbst einmal in eine eigene Wohnung gezogen ist und
dass das nicht gut gegangen ist und dass er sich deshalb Sorgen um Marie macht.
Antwort 2
Anton sagt Marie, dass er sich sehr für sie freut und sich gut an dieses Gefühl erinnern kann,
wenn man sich so sehr eine eigene Wohnung wünscht. Er fragt sie, welche Unterschiede es für
sie macht, in einer betreuten Wohngemeinschaft zu leben oder in der eigenen Wohnung.
Fragen
• Was sind die verschiedenen Perspektiven bzgl. Risiko in diesem Szenario?
• Wie kontrolliert Anton die Situation in den beiden Antworten?
• Wie wird Marie reagieren?
• Wie wird sich die Situation weiterentwickeln, je nach Antwort?
Anmerkungen für die TrainerInnen
Bitten Sie die TeilnehmerInnen während der Diskussion die Aspekte von schnellen Lösungen
oder “jemanden schützen wollen” als ein Ergebnis von den eigenen Ängsten zu beachten.
Während dieses Szenario eher einfach gehalten ist, können andere Ängste mehr Einfluss
haben. In diesem Zusammenhang sollte an die Grundlagen von Peer Unterstützung gedacht
werden. Aufgrund von Ängsten zu handeln kann zu unpassenden Entscheidungen führen und
Empowerment wird nicht unterstützt.
Um diese Handlungen zu vermeiden, sollten folgende Aspekte berücksichtigt werden:
Aufmerksamkeit und Wachsamkeit
Seien Sie sich Ihrer selbst bewusst: Hören Sie auf Ihre eigenen Gefühle, fokussieren Sie ihre
Aufmerksamkeit und seien Sie sich dessen bewusst, welche Vorurteile und Einstellungen
sie selbst haben. Seien Sie offen und zeigen Sie Interesse an dem, was Ihnen Ihr Gegenüber
erzählt (verbal und nonverbal). Wenn wir unserer selbst bewusst sind und unserem Gegenüber
aufmerksam zuhören, können wir diese Person verstehen und mit ihr mitfühlen, ohne uns von
unseren eigenen Annahmen beeinflussen zu lassen.
Verschiedene Emotionen tolerieren
Es kann furchterregend für Peer Support MitarbeiterInnen sein, wenn sie mit jemandem
arbeiten, dem es momentan schlecht geht. Die instinktive Reaktion ist oft zu versuchen, Dinge
wieder gut zu machen und den anderen zu beruhigen. Oft ist aber „Nichtstun“ und einfach
nur zuhören das größte Geschenk, das wir geben können. Wenn wir lernen, viele verschiedene
Emotionen zu tolerieren, trainieren wir unsere „emotionalen Muskeln“. Wir lernen dadurch,
dass wir Gefühle der Angst bewältigen können und dass auch diese Emotionen, wenn wir
richtig damit umgehen, vorteilhaft sein können.
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Peer2Peer | Eine Ausbildung
Stellen sie Fragen auf eine mitfühlende Art und Weise
Sorgsames Zuhören und Fragen auf eine aufrechte, mitfühlende Art und Weise stellen, hilft
ebenfalls dabei, die andere Person besser kennenzulernen und besser zu verstehen. Außerdem
können so Gemeinsamkeiten und Unterschiede erhoben werden.
Seien sie ehrlich und respektvoll
Ehrlichkeit ist oft eines der schwierigsten Dinge. Wir haben Angst davor, jemanden zu verletzen
oder in Schwierigkeiten zu geraten. Die Wahrheit verschweigen um jemanden zu schützen,
funktioniert aber meistens langfristig nicht und führt zu Missverständnissen.
Seien sie geduldig
Um eine starke Peer Support-Beziehung aufzubauen bedarf es Zeit und Geduld. Wenn sie
ungeduldig sind und den anderen drängen kann das dazu führen, dass sich diese Person von
ihnen distanziert und das Vertrauen zu Ihnen verliert. Dieses Vertrauen wieder herzustellen ist
schwierig und zeitaufwendig.
Ihre Rolle ist es den anderen dazu zu ermutigen, im eigenen Tempo eigene Entscheidungen zu
fällen und eigene Schlüsse zu ziehen.
Risiko und Ethik
Mit Risiko arbeiten
Lesen Sie das folgende Szenario in kleinen Gruppen und diskutieren Sie die Fragen.
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Szenario
Martin und Karl haben eine sehr gute Beziehung zu einander aufgebaut und haben viele
Gemeinsamkeiten. Karl hat Martin erzählt, dass er sich ständig müde fühlt, und dass er glaubt
es könnte an den Medikamenten liegen. Martin kann das sehr gut verstehen, da er dieselben
Medikamente nimmt. Eines Tages kommt Karl motiviert zum Meeting und bittet Martin um ein
Gespräch unter vier Augen.
Karl: „Ich fühle mich endlich wieder voller Energie und es ist ein wunderbares Gefühl. Ich habe
nach und nach meine Dosis gesenkt. Sag es aber bitte keinem, sonst muss ich vielleicht wieder
ins Krankenhaus.“
Fragen
• Was ist Ihre unmittelbare Reaktion auf diese Szene?
• Welche ethischen Themen/Probleme werden behandelt?
• Wie können Sie ehrlich und respektvoll sein und trotzdem Empathie, Gleichheit und
Gegenseitigkeit bewahren?
• Denken Sie an das Drama-Dreieck aus Trainingseinheit 5. Wie wird die Beziehung
beeinflusst, wenn Sie entweder eine belehrende Position (Du musst dringend wieder
Deine vorgeschriebene Dosis nehmen!) oder eine rettende Position (Ok, wenn Du
irgendetwas brauchst, ich bin Tag und Nacht für Dich da!) einnehmen?
Anmerkungen für die TrainerInnen
Die ethischen Fragen in diesem Szenario sind sehr komplex. Einerseits ist es keine gute
Idee Geheimnisse zu bewahren, aber andererseits sollten Sie es vermeiden, Ihre Macht zu
missbrauchen indem Sie überreagieren. Es ist auf jeden Fall klar, dass wir nicht alle notwendigen
Informationen haben.
Aus diesem Grund könnten Sie Fragen stellen wie:
• „Warum glaubt Karl, dass er ins Krankenhaus kommt, wenn jemand davon erfährt?“
• Gibt es eine Möglichkeit mit dem Arzt zu reden und seine Unterstützung bei der
Reduktion der Medikamente zu bekommen?
• Welche Unterstützung braucht Karl dafür?
Es ist notwendig, Karl auf die Gleichwertigkeit der Peer-Beziehung hinzuweisen und zu
verlangen, dass der andere Geheimnisse bewahrt, ist nicht wirklich respektvoll. Martin sollte
ehrlich sein und Karl darauf hinweisen, dass ihm das unangenehm ist. Eventuell möchte er
sich auch nicht verantwortlich fühlen, wenn etwas schief geht. Eine Lösung wäre, dass beide
gemeinsam mit jemandem diese Information teilen.
Es ist wichtig Karls Situation aus seiner Perspektive zu sehen. Das beinhaltet auch anzuerkennen,
dass er sich voller Energie fühlt und dies geniest. Somit vermeidet der Peer Mitarbeiter, eine
Machtposition einzunehmen, da diese mehr mit Ihren eigenen Ängsten zu tun hat als mit Karls
Position.
In diesem Szenario gibt es keine bestimmte richtige Reaktion, aber eines ist sicher: Um einen
Kompromiss zu finden, mit dem beide einverstanden sind, muss eine aufrichtige Verbindung/
Beziehung bestehen.
Informationen für KursteilnehmerInnen
Handout “Doppelrolle managen”
Literaturhinweise
Adams, R. (2009) Foundations of Health and Social Care, London: Palgrave MacMillan
Thompson, N. (2006) People Problems, Hampshire: Palgrave MacMillan
Winstanley, D. (2005) Personal Effectiveness, London: CIPD
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