Die Religion der Baul

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Die Religion der Baul-Gemeinschaft
Eine Studie über eine Religionsgemeinschaft der Shudras und Kastenlosen in
Indien
Kabita Rump
Hannover, 2000
2
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
4
Kapitel 1: Bauls als Gesellschaftsmitglieder
Die Kastenzugehörigkeit
Die verschiedenen Gruppen
Die Musik und die Bekleidung
Die finanzielle Lage der Bauls
Das Akhara (die Wohngemeinschaft)
Das eheähnliche Verhältnis mit der sadhana-sangini
(der spirituellen Partnerin)
Der kulturelle Beitrag
Bauls und die Politik
Die Freizeitaktivitäten
Das Bild der Bauls in der bürgerlichen Gesellschaft
in West Bengal
Untersuchungsergebnisse
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Kapitel 2: Shri Caitanya und die Gründung der
Baul-Gemeinschaft
Bestimmungen über Shudras und Kastenlosen in den
Dharmashastras
Die vom Vishnu-Kult und vom Shakti-Kult
geleistete Vorarbeit
Shri Caitanya
Die Gründung der Baul-Gemeinschaft
Untersuchungsergebnisse
Kapitel 3: Die philosophischen Gedanken und die Mystik
der Baul-Religion
Die Ansichten über die Welt und das Leben
Prem (die Gottesliebe sowie die göttliche Liebe),
der Weg zur Befreiung
Sharira-tattva, Deha-tattva (die mystische Physiologie)
Die vierundzwanzig Tattvas
Ripus (Feinde) und Darajas/Duyaras (Türen)
Naris (Kanäle im Körper)
Cakras (Zentren) und die Kundalini-shakti im Körper
Granthis (Knoten) im Körper
Candra/Cãda (die Monde im Körper)
Mukti (die Befreiung) in der Baul-Religion
Untersuchungsergebnisse
Kapitel 4: Die Gottesbilder der Baul-Religion
Das von den Puranas beeinflußte Gottesbild
Das vom Tantra beeinflußte Gottesbild
Das vom Caitanya-Vaishnavismus beeinflußte
Gottesbild
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Gott, der Purusha
Gottes Wohnort
Die höchste Wahrheit erscheint als Gott der fremden
Religionen
Untersuchungsergebnisse
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Kapitel 5: Feste, Rituale, Guru und die spirituelle Partnerin
Die Melas (Treffen), die Feste
Das Jayadeva-mela
Untersuchungsergebnisse
Das Kartabhaja-mela
Untersuchungsergebnisse
Das Paush-mela (das Treffen im Monat Paush) und
das Magh-mela (das Treffen im Monat Magh)
Untersuchungsergebnisse
Rituale
Der Mahotsava, im Dialekt: Macchaba
(die große Feier)
Untersuchungsergebnisse
Das Malasa-bhoga (die Opferung der Speise im
Tontopf)
Untersuchungsergebnisse
Das Kanthi-badal (der Austausch der Ketten)
Untersuchungsergebnisse
Der Caricandra(Vier-Monde)-Ritus
Untersuchungsergebnisse
Der Mahayoga (der große Yoga)
Untersuchungsergebnisse
Diksha (die Initiation)
Untersuchungsergebnisse
Shraddha (das Totenzeremonie)
Untersuchungsergebnisse
Guru
Untersuchungsergebnisse
Sadhana-sangini (die spirituelle Partnerin)
Untersuchungsergebnisse
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Schluß
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Die Theorie
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Anhang: Baul-Lieder
Index zu den Baul-Liedern
Anhang: Lieder von Candidas über die Liebe zwischen Krishna
und Radha
Wort- und Namensindex
Bibliographie
Abbildungen
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Einleitung
Die wissenschaftliche Fragestellung
Die hinduistische Gesellschaft ist in vier Kasten, Brahmana, Kshatriya, Vaishya und Shudra
und die Kastenlosen geteilt. Die heiligen Schriften des klassischen Hinduismus untersagen
den Shudras und Kastenlosen das Lernen der Veden, den Vollzug der vedischen Zeremonien (yajña) und die übliche Gottesverehrung (puja). Dies dürfen nur die drei oberen
Kasten. Neben dem klassischen Hinduismus, der in den heiligen Schriften der Hindus präsentiert wird, bestehen in Indien mehrere Strömungen, die von den Shudras und Kastenlosen praktiziert werden. Über diese Strömungen gibt es bis heute fast keine wissenschaftlichen Arbeiten. Solche Arbeiten sind jedoch wünschenswert, da man sonst nicht weiß, wie
die Shudras und Kastenlosen, die ebenso Hindus sind wie die Brahmanen, Kshatriyas und
Vaishyas, ihre Religion praktizieren. Deshalb ist es nötig, daß die Religion der Shudras und
Kastenlosen untersucht wird. Solche Untersuchungen werden das Bild vom Hinduismus
vervollständigen. Die hier vorgelegte Studie möchte ihren Beitrag in diesem Sinne leisten.
Sie ist eine analytische Darstellung der Baul-Gemeinschaft, die aus Shudras und Kastenlosen besteht und im Bundesstaat West Bengal, Indien, beheimatet ist. Die wissenschaftliche
Fragestellung der vorliegenden Arbeit lautet: Was verstehen die Bauls unter Hinduismus, da
sie doch die Veden nicht lernen dürfen und daher auch die Lehre der Veden nicht kennen
können und wie üben sie den Hinduismus aus, da sie doch den Tempel nicht betreten und
die Zeremonien nicht vollziehen dürfen; wie ist ihr Verhältnis zum klassischen Hinduismus;
wie reagiert die Autorität der indischen Gesellschaft, die aus den drei oberen Kasten besteht,
auf die religiösen Praktiken der Bauls und wie fügt sich die Baul-Gemeinschaft in diese
bunte pluralistische Gesellschaft ein? Zur Beantwortung dieser Fragen wird eine Theorie
entwickelt.
Bisherige Arbeiten über die Baul-Gemeinschaft
Die Bauls gelten unter den Intellektuellen im Bundesstaat West Bengal, Indien, als Kuriositäten. So gibt es zwar keine wissenschaftliche Arbeit über sie, die sie vollständig darstellt,
aber es gibt hier und da einen Aufsatz oder ein Buch über diese Leute, die mit ihrer Freiheit
die Intellektuellen faszinieren, vor allem auch deshalb, weil die Intellektuellen, die ausschließlich aus den drei oberen Kasten stammen, über die Rituale und Lebensbedingungen
der Bauls wenig wissen. Solche Literaturen stellen die Bauls häufig als souveräne Rebellen
dar, die über der Kastengesellschaft stehen. Als Beispiele können hier der Aufsatz Kakoli
Banerjee: Die Bauls, Symbol der Revolte gegen die Orthodoxie, Indien, Perspektiven, Februar 1993, S. 10-13 und das Buch von Bhaskar Bhattacharyya: The Path of the Mystic
Lover, Baul Songs of Passion and Ecstasy, genannt werden. Die Wahrheit sieht anders aus,
wie die gegenwärtige Studie zeigt. Die Bauls bilden zwar für sich selbst eine subjektive
Welt, in der sie ihre Würde bewahren können, aber die Geschehnisse in ihrem Umfeld lassen
sie nicht kalt. Sie leiden, genau wie ihre Kastengenossen, unter gesellschaftlicher und
finanzieller Benachteiligung. Es ist verständlich, daß gerade die Intellektuellen einer Gesellschaft, die im säkularen Bereich keine individuelle Freiheit erlaubt, da von den Dharmashastras jeder Schritt für die Mitglieder der drei oberen Kasten festgelegt ist, von den
Bauls fasziniert sind. Die Bauls sind diejenigen, die sich der bestehenden Ordnung nicht
5
unterwerfen, indem sie verkünden, daß die Veden die wahre Religion nicht wiedergeben und
daß die Bestimmungen der Dharmashastras kleinlich sind. Es besteht kein Zweifel daran,
daß die Bauls auf ihre Weise rebellieren, aber sie tun es, weil sie vom klassischen
Hinduismus ausgeschlossen sind und nicht tatsächlich deshalb, weil sie nicht gerne die Religion der drei oberen Kasten praktiziert hätten. Kapitel 5, Feste und Rituale, zeigt, wie sie
in Anlehnung an den Hinduismus ihre Feste und Rituale gestalten. Eine weitere Kritik der
Autorin an Bhaskar Bhattacharyyas Buch ist die, daß er auch die Fakire und Derwische
Bauls nennt, so daß man nicht weiß, ob die von ihm zitierten Lieder tatsächlich von den
Bauls verfaßt worden sind oder von den Fakiren und Derwischen. Oft behandelt ein Buch
die Bauls so oberflächlich, daß man, auch nachdem man das Buch gelesen hat, nicht viel
über die Bauls weiß. Ein derartiges Buch ist P. Bandyopadhyay: Bauls of Bengal, Calcutta,
1989. Das Buch von Alokeranjan Dasgupta: Leben in Liedern, Meistertexte aus Indien und
Bangladesch, Nürnberg, 1992 zitiert Liederfragmente, so daß die Strophen aus dem Zusammenhang gerissen sind. Außerdem vermittelt der Titel den Eindruck, als ob der Autor
die zitierten Lieder in Indien und Bangladesh gesammelt hat, was höchstwahrscheinlich
nicht der Fall ist. Wahrscheinlich meint Dasgupta, daß von ihm zitierte Lieder zum Teil aus
Indien und zum Teil aus Bangladesh stammen, weil einige dieser Lieder vor dem 15.8.1947
verfaßt worden sind, als Pakistan und Bangladesh zu Indien gehörten.
Es gibt zwei ernstzunehmende Bücher über die Bauls, Upendranath Bhattacarya: Banglar
baul o baul gan, Kalikata, 1957, geschrieben auf Bengali, der Sprache des Bundesstaates
West Bengal, und Manas Ray: The Bauls of Birbhum, Calcutta, 1994. Wahrscheinlich hinderte seine Bewunderung für die Bauls Bhattacarya, dem Leser ein der Wahrheit entsprechendes Bild der Bauls zu vermitteln. Die Bauls wurden hier idealisiert. Frei von allen
weltlichen Bedürfnissen suchen sie Gott. Sie leben in Einsamkeit und sind perfekte Asketen.
Sie sind Yogis, die Feste und Rituale ablehnen und Gott im eigenen Körper suchen. Nun
stimmt es, daß die Bauls Tantrayoga praktizieren und daher Gott im eigenen Körper suchen,
und ihre Freizeit unter sich verbringen. Aber sie sind auch Gesellschaftsmitglieder wie alle
anderen, die sowohl die weltlichen als auch die spirituellen Bedürfnisse spüren und auch
dementsprechend handeln. Asketen, die Bhattacarya beschreibt, findet man im Himalaya.
Diese Asketen üben aber nicht den Tantrayoga, sondern den Rajayoga, der keine Partnerin
zuläßt. Gelobt werden muß jedoch die Liedersammlung, die Bhattacarya seinem Leser
darbietet. Diese Sammlung enthält insgesamt 680 Baul-Lieder. Allerdings erläutert der
Autor kein einziges Lied, so daß diese für die Mehrheit der Leserschaft unverständlich
bleiben. Denn oft verfassen die Bauls ihre Lieder in einer Geheimsprache, so daß die
Nichteingeweihten diese nicht verstehen. Das Buch des Anthropologen Manas Ray ist eine
132 Seiten umfassende Abhandlung über die Baul-Gemeinschaft. Der Schwerpunkt dieser
Arbeit liegt auf dem gesellschaftlichen Aspekt der Baul-Gemeinschaft. Die religiösen
Praktiken der Bauls werden in diesem Buch auf 17 Seiten und die Rituale auf 8 Seiten abgehandelt. Ray zitiert, rechnet man die Fragmente dazu, 10 Baul-Lieder insgesamt, im Original, d. h. auf Bengali mit einer kurzen freien Übersetzung, da nicht hier der Schwerpunkt
seiner Studie liegt. Das Buch ist jedoch interessant für Soziologen, da sich der Autor hier
auf die gesellschaftlichen Aspekte der Baul-Gemeinschaft konzentriert. Ein weiteres nennenswertes Buch ist Krishnendu Das: The Bauls of Bengal, Calcutta, weil er hier eine
16seitige Biographie seines Vaters Purnadas Baul präsentiert. Purnadas Baul gilt heute als
der Kaiser der Bauls und dient vielen jungen Bauls, die berühmt und reich werden möchten,
als Vorbild.
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Ressourcen und Methode
Der Grund, warum es keine wissenschaftliche Studie über die Bauls gibt, obwohl die Intellektuellen im Bundesstaat West Bengal, Indien, sich für die Bauls interessieren, liegt
wahrscheinlich darin, daß die Bauls keine heiligen Schriften haben. Die einzige Quellenliteratur hierfür sind die Baul-Lieder. Diese sind jedoch nicht auf Hochbengali, der Sprache
der Gebildeten in West Bengal, sondern in den Dialekten des Bundesstaates verfaßt. Die
gebildeten Bürger verstehen diese Dialekte nicht. Fast immer enthalten die Lieder grammatische und orthographische Fehler. Oft sind die Sätze unvollständig. Hinzu kommt noch,
daß die Bauls ihre Lieder zwar vor allen Leuten singen, es aber niemandem erlauben das
Manuskript, falls sie eines haben, einzusehen oder zu photographieren. Sie mißtrauen den
drei oberen Kasten und meinen, daß diese ihre Religion nur falsch darstellen können, da sie
doch den klassischen Hinduismus praktizieren und von der wahren Religion, d. h. selbstverständlich von der Baul-Religion, nichts verstehen. Dies bedeutet, daß wer eine wissenschaftliche Arbeit über die Baul-Gemeinschaft schreiben möchte, ihr Vertrauen gewinnen
muß, damit die Bauls ihm überhaupt ihre Liedersammlung zeigen und interpretieren. Denn
die auf Geheimsprache verfaßten Lieder sind ohne Erläuterung für die Hindus der drei oberen Kasten unverständlich, da sie mit den religiösen Praktiken der Shudras, hier der Bauls,
nicht vertraut sind.
Für mich war es möglich, das Vertrauen der Bauls zu gewinnen. Durch meine Schul- und
Collegeausbildung an der Visva-Bharati University, Santiniketan, Bundesstaat West Bengal,
bin ich mit vielen Bauls seit meiner Kindheit bekannt. Die Visva-Bharati University
veranstaltet jedes Jahr zweimal (im Dezember und im Februar) ein Fest, zu dem sie unter
anderen die Bauls einlädt. Bei diesem Fest lernte ich zum ersten Mal die Bauls kennen, als
ich noch eine Schülerin war. Meine Ausbildung an der Visva-Bharati University, Santiniketan, die ein Schul- und Universitätsinternat ist, wurde im Jahr 1967 beendet. Meine Verbindung mit den Mitgliedern der Universität besteht jedoch bis heute. Jedes Mal, wenn ich
meine Heimat besuche, besuche ich auch meine ehemaligen Lehrer und Professoren und seit
1984 auch die Bauls der Umgebung. Mein verstorbener Lehrer Brajagopal Gosvami machte
mich während des dreitägigen Festes im Februar 1984 auf die Besonderheiten der BaulReligion aufmerksam und mit verschiedenen Bauls bekannt. Durch die Vermittlung von
Herrn Gosvami gewann ich schnell das Vertrauen der Bauls der Umgebung. Auch Narayan
Gosvami, ein Angestellter der Visva-Bharati University, half mir in dieser Beziehung. Er
stellt immer die Liste der Bauls zusammen, die zum Fest im Februar eingeladen werden. So
war es möglich, von ihm die Namen und Adressen von berühmten und weniger berühmten
Bauls im ganzen Bundesstaat West Bengal zu erfahren. Der nächste Schritt bestand aus
Gesprächen mit den Bauls. Jedes Mal, wenn ich in Indien war, habe ich möglichst viele
Bauls besucht. Dabei habe ich nicht nur mir noch nicht bekannte Bauls, sondern auch mir
schon bekannte Bauls besucht. Im Jahre 1994 war ich zum letzten Mal in Indien. Das letzte
Gespräch führte ich jedoch am 06.08.98 in Detmold mit Purnadas Baul und seiner Frau
Mañjudasi Baul, die auf einer Europa-Tournee waren. Die Bauls in Indien haben mir ihre
Lieder erläutert. Ohne diese Lektüre wäre es für mich nicht möglich, eine Arbeit über die
Baul-Gemeinschaft zu schreiben. Ich sagte ihnen jedoch nicht, daß ich eine Arbeit über sie
schreiben wollte, da dies ihr Mißtrauen hätte erwecken können. Deshalb sind die Interviews
auch nicht auf dem Tonband festgehalten worden. Um die intersubjektive Nachprüfbarkeit
zu gewährleisten, sind alle namentlich genannten Bauls in dieser Arbeit mit ihrem Wohnort
erwähnt worden. Während der Feldstudie gab es außer den durch die Verkehrsmittel
bedingten keine besonderen Probleme. Nicht alle Wohnorte der Bauls konnten mit dem
7
Omnibus erreicht werden. Aber auch das Verkehrsmittelproblem konnte mit Hilfe der
Riksha gelöst werden. Was die Gespräche mit den Bauls angeht, erwähnte ich gleich bei der
Vorstellung, daß ich mit Brajagopal Gosvami, Narayan Gosvami und einigen anderen Bauls
bekannt war. Dies beeinflußte die Feldstudie positiv. Die Liedersammlung, die Entzifferung
ihrer Geheimsprache und das Interview geschah am selben Tag und gingen ineinander über.
Ich respektierte die unbürokratische und langsame Art der Bauls und war nicht enttäuscht,
wenn an einem Tag mein Besuch bei einem Baul nicht viel Material hergab.
Um die Lieder sprachlich zu verstehen, mußte ich die Dialekte lernen, was nicht besonders
schwierig war.
Die materiellen Grundlagen der vorliegenden Arbeit bilden die publizierten und die noch
nicht veröffentlichten Baul-Lieder, Gespräche mit den Bauls und ihren Partnerinnen, die in
verschiedenen Dörfern des Bundesstaates West Bengal wohnen, Gespräche mit den Mitgliedern der drei oberen Kasten des genannten Bundesstaates und die eigene Beobachtung.
Weitere wichtige Quellenliteraturen dieser Untersuchung sind die von Krishnadas Kabiraj
geschriebene Biographie von Caitanya Shri-shri-caitanya-caritamrita und andere Schriften
des Caitanya-orientierten Vaishnavismus in West Bengal, da die Baul-Gemeinschaft aus
diesem Zweig des Hinduismus entstanden ist. Diese Schriften sind auf Bengali verfaßt. Für
die Gewinnung von Erkenntnissen und die Entwicklung einer darauf basierten Theorie
wurde ein hermeneutischer Ansatz verfolgt. Hierbei sind die Untersuchungsobjekte mit
methodischer Distanz „von außen“ betrachtet und begriffen worden. Gleichzeitig ist aber
auch das Nachvollziehen der Gedanken der Bauls berücksichtigt worden. Daher ist die
Darstellung des Phänomens „die Baul-Gemeinschaft in dieser Arbeit keine wertende Beschreibung dieses Glaubens, sondern eine Untersuchung einer zeitgenössischen religiösen
Bewegung. Daher sind auch Werturteile fällende Begriffe wie Irrlehre oder Aberglaube
vermieden worden. Dies bedeutet jedoch nicht, daß hier die Religion einer Gesellschaftsschicht beschrieben wurde, ohne zu fragen, was diese bewogen hat, dieses oder jenes zu
glauben und zu wollen. Es ist aber nicht das Ziel dieser Arbeit, die objektive Wahrheit dieser
Grundüberzeugung herauszufinden. Mit einer methodischen Untersuchung versucht diese
Arbeit, die religiösen Denkweisen der Bauls zu rekonstruieren und ihre religiösen
Handlungsweisen nachvollziehbar zu machen. Hier waren auch Vergleiche mit dem klassischen Hinduismus notwendig, um festzustellen, wo die Baul-Gemeinschaft das klassische
Modell akzeptiert und wo sie sich von ihm trennt und für sich selbst neue Denk- und
Handlungsweisen entwickelt.
Die in der Geheimsprache verfaßten Lieder ließ ich mir zunächst von den Bauls erläutern
und erklären. Um die Objektivität bzw. die Richtigkeit der Erläuterungen und Erklärungen
gegenzuprüfen, bin ich mit dem selben Lied zu mehreren Bauls gegangen, bis ich in der
Lage war die Codes selbst zu entziffern. Die Lieder sind in dieser Arbeit nach inhaltlichen
und philologischen Gesichtspunkten gründlich untersucht und analysiert worden, da diese
die Hauptquellen dieser Arbeit sind. Die Gespräche mit den Bauls und Nicht-Bauls stehen
als die Quellen an der zweiten Stelle. Die Lieder und die Gespräche sind zunächst getrennt
untersucht und dann miteinander verglichen worden. Die Ergebnisse des Vergleichs sind,
wo möglich, durch eigene Beobachtungen ergänzt worden. Die Bücher über den Caitanyaorientierten Vaishnavismus sind auf dem Buchmarkt in Indien erhältlich.
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Technische Einzelheiten
Die Sanskrit- und die Bengali Wörter sind in dieser Arbeit in Klammern stets klein geschrieben, da die genannten Sprachen keine Groß- und Kleinbuchstaben kennen. Wo diese
Wörter aber in einem deutschen Satz integriert worden sind, sind sie der deutschen Orthographie entsprechend groß oder klein geschrieben.
Die Komposita werden weder im Sanskrit noch im Bengali mit Bindestrich geschrieben. Die
vorliegende Arbeit tut dies trotzdem, um dem Leser entgegenzukommen. Allerdings
geschieht dies nach Ermessen der Autorin, so daß der Leser hier und da ein Kompositum
ohne Bindestrich vielleicht doch lieber mit Bindestrich vorgefunden hätte.
Es kommt vor, daß der Duden das Geschlecht eines Sanskrit-Wortes mißachtet, so wird z.
B. der Mantra auf Sanskrit im Duden als das Mantra zitiert. In solchen Fällen sind immer die
Artikel nach der Sanskrit-Grammatik bevorzugt worden.
Die Leser werden darauf hingewiesen, daß viele in Indien publizierte Bücher keine Angabe
über das Erscheinungsjahr haben, so daß in der Bibliographie diese Bücher ohne Jahr zitiert
worden sind.
Erläuterungen
1. In der vorliegenden Studie wird Baul-dharma als Baul-Religion übersetzt. Der Begriff
Baul-Religion identifiziert sich mit der Emotion, dem Instinkt, Kult, Ritual, der Wahrnehmung, Beobachtung, dem Glauben, der Mystik und den metaphysischen Gedanken der
Baul-Gemeinschaft.
2. In dieser Arbeit werden die Begriffe Ishvar und Bhagavan als Gott und prem bzw.
Krishna-prem des Caitanya-Vaishnavismus als Gottesliebe übersetzt.
3. Klassischer Hinduismus: In dieser Arbeit wird der Hinduismus als der klassische Hinduismus bezeichnet, der die Veden und die Upanishaden für unfehlbar hält, die Weisungen
der Dharmashastras und der Puranas einhält und die Epen Mahabharata und Ramayana für
richtunggebend hält.
4. Die Leser werden darauf hingewiesen, daß sowohl die tatsama (das selbe wie das) als
auch die tatbhava (aus dem entstanden) Bengali Wörter nicht immer die gleiche Bedeutung
haben, wie die original Sanskrit-Wörter.
5. Die Leser werden darauf hingewiesen, daß die tasama und die tadbhava Bengali Wörter
oft anders buchstabiert werden als entsprechede Sanskrit-Wörter, z. B. Kavita und Devidas
werden auf Bengali Kabita und Debidas buchstabiert.
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Kapitel 1
Bauls als Gesellschaftsmitglieder
Bauls sind Mitglieder einer Religionsgemeinschaft, die Caitanya (s. Kapitel 2) ihren Urguru
nennt und seiner Lehre nach eigener Interpretation folgt. Sie sind heute im Bundesstaat
West Bengal beheimatet. Vor der Unabhängigkeit Indiens im Jahre 1947 gab es auch im
heutigen Bangladesh Bauls. Heute leben die Bauls im Bundesstaat West Bengal. Dieses
Kapitel untersucht die Besonderheiten der Bauls, die ihnen eine individuelle Identität in der
indischen Gesellschaft verleihen.
Die Kastenzugehörigkeit
Die Baul sind fast ausschließlich Shudras und Kastenlose. Als Folge ihrer Kastenzugehörigkeit sind sie auch meistens Analphabeten. Manche Bauls, die meinen, daß ihren Kindern
es einmal besser gehen sollte als ihnen selbst, schicken sie zur Schule. Aber es ist nicht
selbstverständlich, daß die Dorfgesellschaft es akzeptiert. Es ist vorgekommen, daß die
Dorfgemeinschaft sich dagegen entschieden hat, daß ihre Kinder mit den Kastenlosen in eine
Schule gehen. In solchen Fällen verweigert die Dorfschule dem Baul-Kind den Schulbesuch.1 Es gibt einzelne Bauls, die ursprünglich zu einer der oberen Kasten gehörten. Ursprünglich deshalb, weil Jeder aus den oberen Kasten, der in die Baul-Gemeinschaft eintritt,
seine ursprüngliche Kaste verliert und zum Kastenlosen wird, da er gegen die kastenbezogenen Regeln verstoßen hat. Denn die Dharmashastras verbieten den Mitgliedern der
drei oberen Kasten den Umgang mit den Shudras und Kastenlosen.2. Hat man einmal seine
Kastenzugehörigkeit verloren, ist die Rückkehr zum Elternhaus nicht mehr möglich. Denn
in diesem Falle hätten auch die Eltern ihre Kastenzugehörigkeit verloren. Die soziale Sicherheit ist der einzige Grund, warum sie in diese Gemeinschaft eintreten. Als gewöhnlicher
Bettler wird man oft abgewiesen, aber sobald man als ein religiöser Mensch auftritt, z. B. als
Sadhu oder Baul, empfängt man Almosen und finanzielle Unterstützung bei Krankheitsfällen. Deshalb kommt es vor, daß hier und da ein Arbeitsloser aus der oberen Kaste in
die Baul-Gemeinschaft eintritt, wie es z. B. bei Debidas Baul der Fall ist. Er, wohnhaft in
Sãithiya, trat die in Gemeinschaft ein, als er wegen seiner schlechten Gesundheit seinen
Arbeitsplatz verlor. Er wurde als Brahmane geboren. Jayadas Baul, wohnhaft Suripara,
Bolpur, wurde in einer Brahmanenfamilie geboren. Nachdem er seine Stelle verloren hatte,
trat er in die Baul-Gemeinschaft ein. Auch die ehemaligen Kriminellen ohne berufliche
Perspektiven finden eine Zuflucht bei dieser Gemeinschaft. Santiram Das Baul, wohnhaft
Mallarpur, war für seine kriminellen Tätigkeiten bekannt. Er wurde wegen eines Raubüberfalles verhaftet und bestraft. Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis trat er in die BaulGemeinschaft ein.
1
2
Siehe Krishnendu Das: The Bauls of Bengal, Calcutta, 2
Vgl. z. B. Gautama-Dharmashastra XX, 2, Vashistha-dharmasutra I, 19-22
10
Die verschiedenen Gruppen
Die Maluidhari- und die Kistidhari-bauls
Die Baul-Gemeinschaft besteht aus zwei Gruppen, Maluidharis, d. h. Bauls, die eine ovale
ausgehöhlte Kokosnußschale und Kistidharis, d. h. Bauls, die eine längliche ausgehöhlte
Kokosnußschale immer bei sich haben. Diese Schale dient als Eß- und Trinkgeschirr und ist
den Bauls heilig. Sie müssen dieses Geschirr immer mit sich tragen. Im ersten Augenblick
scheint die Gruppierung nach dem Geschirr sinnlos zu sein. Aber sie unterscheiden sich
nicht nur durch das Geschirr, sondern auch durch die Verhaltensweise. Die MaluidhariBauls dürfen nur einmal am Tag den Almosengang gehen. Alles, was sie am Tag als
Almosen empfangen, teilen sie in drei Teile, einen Teil für den Urguru Caitanya, den sie
liebevoll Mahaprabhu (großer Gott) nennen, den zweiten Teil für den direkten Guru und
den dritten Teil für sich selbst. Der Anteil für Caitanya wird das ganze Jahr lang gesammelt,
um damit das große alljährliche Fest Mahotsab (s. Kapitel 5) zu feiern. Die Kistidhari-Bauls
haben keine solchen festen Regeln, was den Almosengang und Almosenertrag betrifft. Beide
tragen eine große Tasche (ãcla) aus Baumwolle während des Almosengangs. In dieser
Tasche tragen sie ihr Geschirr. Sie dient auch als die Tragetasche für den Almosenertrag.
Tatsächlich gibt es aber genügend Maluidhari-Bauls, die mindestens zweimal den
Almosengang gehen. Für die Maluidhari-Bauls sind Fisch, Fleisch, Eier, Zwiebeln und
Knoblauch verboten. Dies entspricht einigen Bestimmungen von Manusmriti V, 5 und 1115. Diese Restriktionen gelten nicht für die Kistidhari-Bauls. Eine Kette aus den Samen der
Tulsi-Pflanze (Basilikum) ist obligatorisch für die Maluidhari-Bauls, da Tulsi für die
Caitanya-Vaisnavs heilig ist.3 Die Kistidhari-Bauls tragen mehrere Ketten aus Quarz, Glas
und Holzperlen. Im täglichen Leben unterscheiden sich die beiden Gruppen voneinander
nicht so sehr, daß ein Außenstehender einen Maluidhari-Baul von einem Kistidhari-Baul
unterscheiden kann. Da die Bauls von Natur aus aufgeschlossen sind, findet der Austausch
zwischen den beiden Gruppen statt.
Die Udasi-Bauls (die heimatlosen Bauls) und die Grihi-Bauls (die niedergelassenen
Bauls)
Purnadas Baul, auch Purnacandra Das Baul genannt, unterscheidet zwischen den heimatlosen (udasi-baul) und niedergelassenen (grihi-baul) Bauls. 4 Die heimatlosen Bauls sollen
idealerweise Gottsucher ohne weltliche Bindungen sein. Der ständige Wohnortwechsel soll
auch die Absage an alles ausdrücken, was sie an das Weltliche bindet. In Wirklichkeit aber
sind es finanzielle Überlegungen, die sie zum Ortwechsel zwingen. Ein Dorf, wo sie neu
ankommen, wo man sie noch nicht kennt, zeigt sich gebefreudiger. Wenn sich hier eine
gewisse Müdigkeit bei der Almosengabe bemerkbar macht, ziehen sie weg. Die niedergelassenen Bauls wohnen in einer Wohngemeinschaft im Dorf (s. unten).
3
4
Vgl. Krishnadas Kabiraj: Shri-shri-caitanya-caritamrita, Madhyalila XV, 7-9
Purnadas Baul: Banglar baul gan, Kalikata, 4
11
Die Musik und die Bekleidung
Der Stellenwert der Lieder
Die Musik hat bei den Bauls einen hohen Stellenwert. Sie ist nicht nur die Ausdrucksform
ihrer Gedanken, sondern auch das einzige Mittel zur Konservierung ihrer Religion. Durch
ihre Lieder verkünden sie ihre Botschaft. Deshalb sind diese Lieder ihre heiligen Schriften.
sie sind zum Teil überliefert, zum Teil selbstverfaßt. Die Bauls sind freudige Liedermacher.
Purnacandra Das Baul schreibt: „Diese Lieder sind die spirituellen Übungen der Bauls. In
diesen Liedern eröffnen sie die wahre Lehre (ihrer) Religion (dharma-tattva)“5 und „Sie
suchen den Menschen ihres Herzen (d. h. Gott) durch die Lieder.“6 Ferner schreibt er: „Sie
haben all ihre Freude in den Liedern. Sie existieren in den Liedern. (. . .) Sie beleben die
Gegend mit ihren Liedern und wecken die Menschen aus dem Schlaf. Durch ihre Lieder
deuten sie an: ‘Ich suche den Menschen des Herzens, komm, schließt euch mir an!’“7. Die
Zitate zeigen eindeutig die hohe Meinung der Bauls gegenüber ihrer Liedern.
Die Musik ist auch das Kapital, mit dem die Bauls ihren Lebensunterhalt verdienen. Die
Nachfrage nach dieser Musik ist aber sehr gering. Im Normalfall dient sie dem Almosengang. Ist die Musik gut, kann auf einen guten Ertrag gehofft werden. Daher singen sie neben den selbstverfaßten und vom eigenen Guru überlieferten Lieder, auch gerne populäre
Baul-Lieder, die nicht von fremden Gurus verfaßt oder überliefert sind.8
Themen der Lieder
Die Mehrheit der Lieder beinhalten religiöse Themen. Die Lieder über den Tantrayoga sind
in einer Geheimsprache (heyali) verfaßt (s. Anhang Baul-Lieder), damit der Nichteingeweihte den Inhalt nicht versteht. Dies tun die Bauls, weil sie meinen, daß die Hindus aus den
drei oberen Kasten ihre Religion falsch verstünden, wüßten sie alles über den Tantrayoga.
Neben den religiösen Themen, enthalten die Lieder auch Gesellschaftskritik (s. Anhang
Baul-Lieder). Die Vielfältigkeit der Lieder beweist eindeutig, daß die Bauls sich gedanklich
nicht nur mit der Spiritualität befassen. Als benachteiligte Gesellschaftsmitglieder
beobachten sie die Wirtschaftslage und die Gesellschaft Indiens mit besonderem Interesse.
Da die Lieder gewöhnlich mündlich überliefert werden, kommt es vor daß die Bauls vom
selben Lied voneinander abweichende Versionen singen.
Anlässe zur Liederpräsentation
Die Bauls singen beim Almosengang, großen und kleinen Treffen (mela, s. Kapitel 5), bei
den Festen und Feiern und wenn sie gerade dazu Lust haben. Manchmal werden sie als
Volksliedsänger zu Konzerten eingeladen. Einzelne Bauls, wie Purnadas Baul, erhalten
manchmal einen Auftrag für einen Auftritt im Fernsehen. Hier treten sie nicht als das Mitglieder einer Religionsgemeinschaft, sondern als Volksliedsänger auf.
5
Ibid., 7
Ibid., 3
7
Ibid., 5
8
Vgl. ECSD 2525, Stereo, The Gramophone Co. of India Ltd, 1975
6
12
Art der Darbietung
Die Bauls singen ihre Lieder solo sowie im Duett mit ihren Partnerinnen oder mit einem
anderen Baul. Sie singen auch gerne in zwei Gruppen. Die männlichen Bauls tanzen gern
beim Singen. Der Tanz hat keine festen Schrittregeln. Der singende Baul schreitet graziös
nach vorne und hinten und gestikuliert mit den Händen. Je weiter das Lied voranschreitet,
umso schneller werden die Schritte und zum Schluß dreht er sich mit schnellen Schritten im
Kreise. In diesem Abschnitt fordert der Sänger die zuhörenden Bauls auf, zusammen mit
ihm den Namen Hari laut zu rufen. So rufen jetzt alle anwesenden Bauls „Hari Hari“. Man
glaubt, daß der Sänger sich in dieser Phase in der Ekstase befindet. Dieser Tanz ist bei den
Zuschauern sehr beliebt. Die älteren von ihnen sitzen oft beim Singen.Die weiblichen Bauls
tanzen nicht. Sie singen stehend und gestikulierend. Eine neue Art der Darbietung war am
06. 08. 1998 in Detmold zu beobachten. Hier begleitete eine nicht professonelle indische
Tänzerin den Gesang von PuraDas Baul und seiner Gruppe. Die Gruppe bestand aus
Purnadas Baul, seiner spirituellen Partnerin Mañjudasi, seinem Sohn Bapidas Baul, der
Tänzerin und zwei weiteren Bauls (?). Die Autorin hat in Indien keine Darbietung der Bauls
beobachtet, an der eine Tänzerin teilnahm. Auf die Frage der Autorin erkärte Mañjudasi,
daß die Tänzerin eine junge Studentin der Visva Bharati University, also der Universität von
Tagore (s. unten) war, die gerne mitreisen wollte. Da ihr Vater die Flugkarte nach Europa
bezahlte, hatte der Gruppenleiter nichts dagegen, daß sie mit der Gruppe reiste und an der
Darbietung teilnahm.
Instrumente
Die Bauls begleiten ihren Gesang mit Musikinstrumenten. Am häufigsten benutzen sie
hierfür das Instrument Ektara (das Instrument mit einer Saite) oder Dotara (das Instrument
mit zwei Saiten). Sie bauen diese Instrumente selbst. Purnadas Baul, der gerne in erner
Gruppe singt, zu der sein Sohn Bapidas Baul und seiner Frau Mañjudasi Baul gehören, benutzt zusätzliche Instrumente, wie Nupur (Zwei ovale Ringe aus Kupfer mit zahlreichen
Kügelchen, die an den Knöcheln getragen werden), Ghunghur (zwei Rasselinstrumente, jedes aus 21 kleinen Glocken und einer dicken Bauwollschnur gebaut, die an den Knöcheln
getragen wird, ) und Dupki (eine kleine Trommel, die um die Taille gebunden wird). Dugi
(eine kleine tragbare Trommel). Bei seiner Darbietung am 06.08.1998 in Detmold haben
seine Frau Mandira (ein paar kleine kegelformige Scheiben aus Messing), sein Sohn Khamak (ein Saiteninstrument) und zwei weitere Mitglieder der Gruppe Flöte und Khol (eine
längliche faßähnliche Trommel) gespielt.
Der Stil und die Melodie
Der Stil und die Melodie der Baul-Lieder sind ähnlich wie die bengalische Volksmusik.
Daher gelten die Baul-Lieder als bengalische Volksmusik,9 wobei jeder Baul das Lied musikalisch nach seinem Geschmack interpretiert. Die Melodie ist eintönig, die Inhalte interessant für die Fachwelt.
9
S. Sukumar Ray: Folk-Music of Eastern India, Calcutta, 1988, 81-86
13
Bekleidung
Die männlichen Bauls tragen einen knöchellangen Rock, ein loses Hemd und ein mantelartiges Übergewand, das die Knie bedeckt. Oft binden sie ein langes schmales Tuch, das mit
einem Schal verglichen werden kann, um die Hüfte. Die traditionellen Bauls tragen das indische Hemd, aber mittlerweile ist auch das europäische Hemd unter den Bauls beliebt.
Manche Bauls tragen anstatt eines Rockes das Dhuti. Dhuti ist das traditionelle Kleidungsstück im Bundesstaat West Bengal. Dies ist ein ca. vier Meter langes und 1,20 m. breites
nahtloses Tuch mit ca. 1 cm breiter Borte auf beiden Seiten, das um die Hüfte gewickelt
wird. Die Bauls wickeln es aber nicht traditionsgemäß mit Falten, sondern tragen es wie
einen Rock. Das Lendentuch der Bauls heißt Kaupina. Das erste Lendentuch des Bauls wird
von seinem Guru rituell gereinigt. Viele Bauls tragen einen Turban. Alle Kleidungsstücke
dürfen entweder weiß oder safran (geruya) sein. Gerua ist auch die Farbe, welche die
hinduistischen Asketen (sannyasi) in Indien tragen. Die weiblichen Bauls tragen, wie alle
Frauen in West Bengal, eine Bluse und einen Sari. Auch diese sind entweder weiß oder
orange. Die männlichen und weiblichen Bauls tragen außerhalb ihrer Wohnung ihre große
weiße oder orange Baumwolltasche (ãcla) mit. In dieser Tasche haben sie alles, was sie
unterwegs brauchen könnten, z. B. das eigene heilige Geschirr. Die männlichen und weiblichen Maluidhari-Bauls tragen den Rosenkranz aus Basilikum (tulsi), wobei die Angehörigen der Kistidhari-Gruppe sich alle Sorten Rosenkränze umhängen, z. B. Rosenkänze aus
Holz, Glas und Quarz. Die weiblichen Bauls tragen Armreifen aus Glas und Metall. Manche
weiblichen Bauls, welche die Kanthi-badal-Zeremonie vollzogen haben (s. Kapitel 5), tragen
auf ihrem Scheitel die traditionelle rote Farbe (sindura), die zeigt, daß die Frau verheiratet
ist. Alle Bauls tragen lange Haare. Die männlichen Bauls tragen einen muschelartigen Dutt
etwas rechts oder links hoch am Hinterkopf. Die weiblichen Bauls tragen den traditionellen
indischen Dutt.
Die finanzielle Lage der Bauls
Obwohl die Bauls in ihren Liedern immer wieder die Bedeutungslosigkeit des weltlichen
Vermögens besingen (s. Anhang Baul-Lieder), leiden sie doch unter Armut. Denn auch
wenn manche Bauls eine fast regelmäßige Einkunft haben, die sie als Bauern, Fischer,
Dienstboten oder Tagelöhner für ihre Tätigkeit empfangen, gehören sie zu den Armen. Da
ihr Einkommen, für die Lebensunterhaltskosten nicht ausreicht, sind sie immer verschuldet.
Häufig lassen sie sich ihr Gehalt, mindestens aber einen Teil davon, im voraus bezahlen. Da
es aber immer vorausbezahlt werden muß, um die laufenden Kosten zu decken, werden die
Schulden nicht getilgt. Der Sohn erbt die Schulden des Vaters. In Streitfällen entscheidet
das Dorfgericht, das aus den Hindus aus den drei oberen Kasten besteht. Häufig müssen die
Kinder einer Baul-Familie mitverdienen. Bei Krakheitsfällen und zusätzlichen
Verpflichtungen, wie etwa bei Festen, erhalten sie von den wohlhabenden Dorfbewohner
finanzielle Unterstützung. Manchmal wendet sich der Baul vertrauensvoll in seiner Notlage
an die Muttergöttin Kali (s. Anhang Baul-Lieder).
Bauls, die Ihre Musik als Kunst verkaufen und damit relativ gutes Geld verdienen, gehören
zu den Ausnahmen.10 Die Mehrheit der Baul sind Almosenempfänger. Man muß sie jedoch
von den gewöhnlichen Bettlern unterscheiden. Die Bauls bringen den Weltlichen eine
religiöse Botschaft und empfangen als Gegenleistung dafür die Almosen. Das Leben von
Almosen gilt in Indien als eine Tugend, wenn es aus religösen Gründen geschieht. Es deutet
10
S. den Bericht über Purnendudas Baul in Krishnendu Das: The Bauls of Bengal, Calcutta, 4-11
14
auf die Besitzlosigkeit und Weltentsagung hin. Auch Caitanya, der Urguru der Bauls, lebte
von den Spenden seiner Anhänger (s. Kapitel 2).
Die Bauls üben ihren Almosengang im eigenen Dorf, in den Nachbardörfen und seit einigen
Jahren auch im Zug. Wenn sie einen Zug nehmen, wählen sie die Entfernung so, daß sie
auch am selben Tag wieder zurückkommen können. Eine Fahrkarte wird von ihnen nicht
verlangt. Der Ertrag, den sie im Zug erzielen, ist nicht zu verachten, denn mit ihrem Gesang
unterbrechen die Bauls die Langeweile der Fahrgäste. Hier wird von den Zuhörern nur Geld
gegeben, wobei im Dorf die Almosen aus Geld oder Lebensmittel bestehen kann. Da für die
Planung des Haushaltes das Geld vom Vorteil ist, bevorzugen manche jüngere Bauls den
Almosengang im Zug anstatt im Dorf. Ältere und traditionelle Bauls verachten den
Almosengang im Zug, da diese Art des Almosengangs nicht der Tradition entspricht.
Es gibt mittlerweile einige wenige Bauls, die als Volksliedsänger bekannt geworden sind.
Neben ihren Almosen, verdienen sie als Gastsänger bei verschiedenen Veranstaltungen. Sie
singen im Radio und treten im Fernsehen auf. Von manchen dieser Bauls gibt es auch
Schallplattenaufnahmen.11 Der Erfolg dieser Bauls wird in Indien von den Bauls und
Baulbewunderern etwas übertrieben dargestellt. In diesem Zusammenhang wird gerne von
Purnadas Baul und Debidas Baul12 gesprochen. Es wird angedeutet, daß diese beiden Bauls
nicht nur in Indien sondern auch in Europa und in den USA (Purnadas Baul) erfolgreich
waren. Will man mit dem „Erfolg“ meinen, daß diese Musikaufführungen den Bauls selbst
für ihre Verhältnisse viel Geld gebracht haben (1 Rupee = 0,05 Pf.) ist die Aussage korrekt.
Der relative Erfolg von Purnadas Baul und Debidas Baul ist aber groß in den Augen der
Bauls, die in Armut leben. So kommt es nicht selten vor, daß ein in Europa lebender Inder
von den Bauls gefragt wird, ob die Organisation eines Konzertes für sie im Westen nicht
möglich sei. Sagt man ihnen, daß in Europa für ihre Musik nicht genügend Interesse besteht,
so glauben sie es nicht und nennen das Beispiel Purnadas Baul, der keinen Almosengang
geht. Es ist schwierig ihnen begreiflich zu machen, daß heute die indische Musik im Westen
von keinem Bob Dylan oder George Harrison gefördert wird, und daß der heutige Jugend
im Westen Nirvana, die toten Hosen, Rap oder Techno hören. Die Deutsch-Indische
Gesellschaft in Hannover kann für 1999 Purnadas Baul nicht nach Deutschland einladen,
weil sie mit hohem Verlust rechnet. Der günstige deutsche Wechselkurs läßt es für die Bauls
in West Bengal so erscheinen, als ob im Westen die Nachfrage für die Baullieder groß ist
und daß die Bauls hier daher großes Geld machen können.
Das Akhra (die Wohngemeinschaft)
Die Wohngemeinschaften der Bauls werden Akhras bzw. Ashrams genannt. Sie sind mit
einer indischen Großfamilie vergleichbar. Zwei Generationen wohnen hier. Die Anerkennung der Autorität der älteren und die Fügsamkeit der jüngeren Generation sorgt für das
friedliche Zusammenleben. Die Lässigkeit und der Liberalismus, wovon die meisten Besucher beeindruckt sind, müssen sich innerhalb dieses Rahmens bewegen. Die Bewohner
einer Wohngemeinschaft fühlen sich geistig mit Nityananda, dem Schüler des Urguru Caitanyas (s. Kapitel 2), verwandt. Da alle Bauls mit Nityananda verwandt sind, gehören alle
Wohngemeinschaften zu der gleichen Familie (paribar), nämlich zu der Familie Nityananda
(nityananda-paribar). Dieser Brauch ist offensichtlich an das Gotra-System der Kasten11
Vgl. Indian Street Musik, The Bauls of Bengal, Explorer Series, H-72035 (stereo), Nonesuch Records, New
York
12
Wieviel Purnadas Baul für seinen Auftritt am 06.08.98 in Detmold verlangt hat, konnte nicht ermittelt
werden. Debidas Baul verdiente 1981 ca. 2000 Rupeen in Europa
15
Hindus angelehnt. Jeder Hindu aus einer der drei oberen Kasten trägt zusätzlich zu seinem
Namen einen Gotra-Namen. Der Gotra-Name zeigt von welchem vedischen Gelehrten seine
Familie ursprünglich abstammt. Alle Hindus, welche den gleichen Gotra-Namen tragen, sind
miteinander verwandt und dürfen deshalb einander nicht heiraten.13 Das Gefühl, daß sie alle
zu der Familie Nityananda gehören, zeigt sich auch in der Begrüßungsformel der Bauls. Die
Bauls grüßen einander nicht mit „Namaskara“ (Salutation), wie es im Bundesstaat West
Bengal üblich ist, sondern mit „Jaya guru“ (Heil dem Guru), oder „Jaya Nitai“ (Heil dem
Nitai, d. h. Nityananda) oder „Jaya Radhe“ (Heil der Radha).
In einer Wohngemeinschaft wohnen ausschließlich Bauls und ihre spirituellen Partnerinnen.
Kinder sind hier nicht erlaubt. Die Struktur dieser Wohngemeinschaften hat einen
Familiencharakter. Wie die Bauls sich gegenseitig anreden, deutet darauf hin, daß sie diese
als eine Familie betrachten. Der Guru der Einrichtung wird als Vater-Guru (baba-gõsai) und
seine Partnerin als Mutter-Guru (ma-gõsai) angesprochen. Die Schüler sprechen sich
gegenseitig als Rituelle Brüder (guru-bhai) an. Dem entsprechend heißen alle Frauen, außer
der Partnerin des Gurus, Rituelle Schwestern (guru-bona). Die Partnerin des Schülers wird
vom Guru selbst ausgesucht. Sie wird nicht als die Ehefrau (patni, in West Bengal auch stri)
des Schülers, sondern als die Partnerin für die spiritullen Übungen (sadhana-sangini)
bezeichet. Theoretisch wird die Partnerin des Schülers nur nach ihrer religiösen und yogischen Fähigkeit ausgesucht. Der Partner wird von seiner Partnerin niemals mit Vornamen,
sondern immer als Gõsai oder Thakur (in diesem Zusammenhang Herr, Guru) angesprochen. Sie selbst wird mit ihrem Vornamen angesprochen. Dieser Brauch zeigt, daß die
Partnerin dem Partner untergeordnet ist.14 Vor einem Dritten nennt der Baul seine Partnerin
nicht mit Vornamen, sondern als seine spirituelle Partnerin (sadhana-sangini). Die Jüngeren
werden von den Älteren stets mit Vornamen angesprochen, wobei sie selbst die Älteren
immer mit den entsprechenden Bezeichnungen, wie etwa Baba-gõsai, Ma-gõsai etc anreden.
In der Wohngemeinschaft fängt für die Bauls ein neues Leben an. Alle werden beim Eintritt
in die Baul-Gemeinschaft, und damit auch in die Wohngemeinschaft, mit einem neuen
Namen getauft. Mit dem Eintritt in den Orden haben sie ihrem vorherigen gesellschaftlichen
Leben ein Ende gesetzt. Sie sind jetzt nicht mehr die Söhne der Familie X mit diesen und
jenen religiösen oder säkularen Verpflichtungen, sondern Mitglieder der Baul-Gemeinschaft.
So tragen sie auch nicht mehr die Namen des alten Lebensabschnittes (purvashram). Diese
Praxis ist angelehnt an den im Hinduismus allgemein üblichen Gebrauch. Wenn einer seine
Familie verläßt und Asket wird, empfängt er von seinem Guru einen Einweihungsnamen.
Obwohl sie eine Partnerin haben, betrachten die Bauls sich selbst als Asketen (gõsai).
Unabhängig von ihrer ursprünglichen Kastenzugehörigkeit erhalten sie jetzt die
Bezeichnung Das, d. h. Diener, zu ihrem neuen Vornamen. So heißen die Bauls: Purna-das
Baul, Debi-das Baul, Nakshatra-das Baul, Lakshman-das Baul etc. Die weiblichen Bauls
dürfen eigentlich nicht die Bezeichnung Baul benutzen, obwohl es einige tun. Denn sie sind
nur die spirituellen Partnerinnen der Bauls, Instrumente der Adepten, also keine selbständigen Bauls. So heißen sie: Phulamala-dasi, Radharani-dasi etc. Von ihrem Vater-Guru,
Mutter-Guru und Baul-Geschwistern werden sie nur mit ihrem neuen Namen angeredet.
Manas Ray bezeichnet den Namensteil Das als Familiennamen.14 wahrscheinlich, weil das
Wort Das, geschrieben mit dentalem Sa, Diener / Sklave bedeutet und damit die
Zugehörigkeit des Trägers zur Shudra-Kaste offensichtlich macht. Bauls, die keine Analphabeten sind, wie z. B. Purnadas Baul schreiben das Wort Das mit dentalem Sa. Die
13
14
Vgl. Gobhila-grihyasutra III, 4, 1-4
Vgl. Apastambha-kalpasutra, Prashna I, Patala 2, Khanda 8, 15
16
Namen der Bauls werden von den Hindus der oberen Kasten stets mit dentalem Sa geschrieben. Ganz unmöglich ist die Hypothese von Ray nicht. Allerdings muß bedacht werden, daß viele Gottgläubige sich gerne Gottes Diener / Sklave nennen. So z. B. gibt es Namen wie: Rama-das (Diener des Gottes Rama), Kali-das (Diener der Göttin Kali) etc. Außerdem, sind nicht alle, die den Familiennamen Das, geschrieben mit dentalem Sa, also
Diener / Sklave, tragen, der Shudra-Kaste zugehörig, wie z. B. der Lyriker Jibanananda Das
(1899-1954), oder der Wissenschaftler Upendrakumar Das. Auf meine Frage antworteten
die Bauls, sie sind Caitanyas Diener oder Gottes Diener oder aber auch Diener ihres Gurus
etc. Sie brachten die Bezeichnung Das jedoch nicht mit ihrer Kastenzugehörigkeit zusammen. Wahrscheinlich ist die Hypothese von Manas Ray die Projektion der Denkweise eines
Hindus aus der oberen Kaste.15
Der Guru ist das Haupt der Wohngemeinschaft. Seine Aufgabe besteht darin, daß er seine
Schüler spirituell führt, wobei ihm seine Partnerin assistiert. Beide verrichten keine Haushaltsarbeiten. Die Arbeitsteilung entspricht der gewöhnlichen Norm der indischen Gesellschaft. Die Männer sind für die harten körperlichen Arbeiten und Frauen für das Waschen
und Kochen zuständig. Am Almosengang nehmen beide teil.
Die Wohngemeinschaft bleibt kinderfrei, denn die Empfängnis ist in der Baul-Religion offiziell verboten. Wird die Partnerin schwanger, so gelten Mann und Frau als Gefallene
(aparadhi) und müssen das Akhra verlassen. Die Schwangerschaft beweist, daß die beiden
nicht in der Lage sind, die tantrischen Rituale auszuüben (s. Kapitel 5). Sie werden von den
Akhra-Bewohnern nicht mehr als Bauls anerkannt. So sind sie auch nicht mehr berechtigt in
der Einrichtung zu wohnen. Die sogenannten Gefallenen betrachten sich selbst aber
weiterhin als Bauls. Sie ziehen aus und gründen ihren eigenen Haushalt. Sie behalten ihre
religiösen Ansichten, singen weiterhin die Baul-Lieder und tragen die Baul-Kleidungen. Ob
diese Bauls auch die Sexrituale praktizieren, kann nicht in jedem Fall festgestellt werden. So
leben z. B. Purnadas Baul und Bisvanathadas Baul in einem Einfamilienhaushalt. Beide
haben Kinder.
Das eheähnliche Verhältnis mit der sadhana-sangini (der spirituellen Partnerin)
Die Bauls führen keine Ehe im traditionellen Sinne, d. h. sie heiraten nicht eine Frau, um die
Familie zu gründen. Sie nehmen sich eine Partnerin, um die tantrischen Rituale durchführen
zu können. Daher nennen sie ihre Partnerin nicht Ehefrau (patni, in West Bengal auch stri),
sondern spirituelle Partnerein (sadhana-sangini). Mit dieser Frau leben sie zusammen.
Theoretisch dürfen sie nicht gleichzeitig mehrere Partnerinnen haben und aus weltlichen
Gründen die Partnerin wechseln. Die Baul-Religion erlaubt aber einen Wechsel, wenn er für
die Ausübung der Spiritualität nötig ist. So kommt es in der Praxis vor, daß ein Baul
mehrere Frauen hat. Da er aber mit keiner dieser Frauen verheiratet ist, kann hier das
Gesetz nicht eingreifen. Auf diese Weise leben z. B. Gangadhardas Baul mit seinen zwei
Partnerinnen im Dorf Pãcda und Sudhirdas Baul mit seinen zwei Partnerinnen in Sãithia.
Purnadas Baul hat zweimal seine Partnerin gewechselt und lebt jetzt mit seiner dritten
Partnerin in Kalkutta. Die Partnerin ist das Besitztum des Bauls. Er kann sie nehmen, verlassen oder aber auch verkaufen. Stirbt der Baul vor seiner weit jüngeren Partnerin, so muß
sie sich einen anderen Partner suchen, will sie weiterhin ein Mitglied der Gemeinschaft
bleiben. Diese Abhängigkeit der Partnerin von ihrem Partner führt dazu, daß sie im täglichen
Leben eine ihm untergeordnete Rolle spielt. Die spirituellen Partnerinnen verschiedener
15
S. Manas Ray: The Bauls of Birbhum, Calcutta, 1994, 99
17
Bauls in einer Wohngemeinschaft verrichten den Haushalt gemeinsam ohne männliche Hilfe.
Bei den „gefallenen“ Bauls arbeitet die spirituelle Partnerin mit Hilfe ihrer Töchter, falls sie
welche hat, im Haushalt.
Idealerweise darf ein Partnerinnenwechsel nur mit der Zustimmung des Gurus und ausschließlich für die spirituellen Zwecke vorgenommen werden. Erst wenn die Partnerin sich
für die tantrischen Übungen ungeeignet gezeigt hat, darf der Baul sich an eine zweite wenden. Er darf aber auf keinen Fall gleichzeitig mehr als eine Partnerin haben. Die Beispiele
von Gangadhardas Baul etc. zeigen jedoch, daß es in der Praxis nicht selten anders aussieht.
Unter den sognnanten gefallenen Bauls ist ein gewisser Geschäftssinn zu beobachten. Es
kommt nicht selten vor, daß diese Bauls mehrmals eine spirituelle Bindung eingehen (s.
Kapitel 5) und bei der Gelegenheit von den Eltern der jeweiligen spirituellen Partnerin eine
Mitgift verlangen. Im Todesfall regeln die Bauls die Erbschaft im engsten Angehörigenkreis.
Der kulturelle Beitrag
Bauls selbst überschätzen den kulturellen Beitrag ihrer Musik. Am deutlichsten wird dies in
zwei folgenden Beispielen:
1. Krishnendu Das behauptet: ”Baul composers greatly influenced the Bengali poetry of the
later phase and perhaps the most ardent poet on whom its influence was imense is Gurudev
Tagore (d. h. Rabindranath Tagore).“16 Daß Tagore von der Philosophie der Baul-Lieder
beeindruckt war, entspricht der Wahrheit (s. unten). Aber in seinen Werken wird offensichtlich, daß die Upanishaden und der Caitanya-Vaishnavismus seine religiösen Empfindungen geprägt haben. Ferner schreibt Krishnendu Das über seinen Großvater Nabanidas
Baul, er habe mit seinen Liedern zur Freiheitsbewegung Indiens beigetragen, und daß viele
großen Schriftsteller über ihn auf Englisch und Bengali Bücher geschrieben haben.17 Auf
Anfrage konnte 1994 die renommierteste Buchhandlung in Kalkutta, Dasgupta, College
Street, Calcutta, keine Information über solche Bücher geben. Auch der Beitrag von Nabanidas zur Unabhängigkeit Indiens konnte durch Interwiews oder in der Literatur nicht festgestellt werden. Krishnendu Das schreibt in seinem Buch The Bauls of Bengal über die
Lehrerfahrungen und Publikationen seines Vaters Purnadas Bauls.18 Purnadas Baul soll
zwischen 1971 und 1978 an der Visva-Bharati University, Santiniketan als Gastprofessor
Musik unterrichtet haben. Hier darf erwähnt werden, daß er keinen Schulabschluß hat, für
die Proffessur aber in West Bengal mindestens die M.A. verlangt wird. Es gibt jedoch tatsächlich Bücher, die Purnadas Baul als ihren Autor zitieren.19
2. Viele Bauls glauben, daß ihre Lieder und ihre Religion in Europa und USA begeisterung
finden (s. oben die Finzielle Lage), was der Tatsache nicht entspricht. Deutlich wird diese
Vorstellung in einer Rede von Purnadas Baul, der behauptet, daß die „Sahibs“ begierig sind
die Religion der Bauls zu lernen.20
Es ist offensichtlich, daß manche Bauls für sich eine Marktlücke entdeckt haben und diese
Möglichkeit für die Verbesserung ihrer finanziellen Lage nutzen wollen. Es gibt mittlerweile
einzelne Bauls, die eine Konzertgruppe aufgebaut haben. Als Beispiel wird hier die Gruppe
16
Krishnendu Das: The Bauls of Bengal, Calcutta, 33
Ibid., 72
18
Ibid., 10-11
19
Eins davon: Purnadas Baul: Banglar baul gan, Kalikata, o. J.
20
S. Manas Ray: The Bauls of Birbhum, Calcutta, 1994, 93
17
18
von Debidas Baul beschrieben. Debidas Baul wohnt in der Siedlung Suripara (Siedlung der
Alkoholhersteller, Kastenzugehörigkeit: Unberührbare), die in der Nähe der Stadt Bolpur
liegt. Seine Gruppe nennt er Ranga matir baul sampraday (die Gruppe der Bauls, die in der
roten Erde beheimatet sind). Die Farbe der Erde in und um Bolpur ist tatsächlich rot. Die
Gruppe besteht aus ihm, zwei anderen männlichen und einer weiblichen Baul und einem aus
der Wäscher-Kaste. Als Leiter und Hauptsänger der Gruppe behält Debidas Baul 50% des
Ertrages. Der Rest wird gleichmäßig unter den anderen Mitgliedern aufgeteilt. Besorgt einer
der Mitarbeiter einen Auftrag, so steht ihm ein höherer Prozentsatz zu. Der Auftraggeber
bezahlt die Gage und übernimmt die Kosten für die Unterbringung und Verpflegung.
Narayan Sengupta aus dem Dorf Surul, ist z. B. jemand, der gelegentlich eine Baul-Gruppe
für ein bis zwei Tage einlädt.
Ein neuer und interessanter Aspekt ist, daß die Landesregierung von Westbengal die Bauls
als Volksliedsänger fördert und sie in andere Bundesländer als Repräsantenten der BengaliVolkslieder schickt.21 Die Wirkung solcher Darbietungen auf die Zuschauer bzw. Zuhörer
anderer Bundesländer darf aber nicht überschätzt werden. Die Bewohner anderer Bundesstaaten verstehen also den Text der Lieder nicht. Somit sind für sie auch die Lieder uninteressant. Die Abnehmer dieser Ware sind tatsächlich nur die Bengalen aus Westbengal, die
sich für die Baul-Kultur interessieren und es gibt nicht viele, die diese Religionskultur
schätzen.
Die Bauls gehören zum festen kulturellen Programm des Paush-mela und Magh-mela (s.
Kapitel 5) der Visva-Bharati University, Santiniketan. Diese Gegebenheit ist darauf zurückzuführen, daß Rabindranath Tagore, der Gründer dieser Universität, die Baul-Lieder
schätzte und förderte (s. unten) und seine Universität diese Tradition aufrechterhält.
Bauls und die Politik
Die Bauls nehmen nicht aktiv an der Politik teil, d. h. sie treten in keine Partei ein und kandidieren nicht. Sie verhalten sich passiv, wenn es einen Aufstand gibt. Sie demonstrieren
nicht gegen die bestehenden Mißstände. Bauls, die ihre finanzielle und damit verbundene
gesellschaftliche Lage verbessern wollen, versuchen ihr Glück als Einzelkämpfer. Bei Purnadas Baul beobachtet man jedoch eine vollkommen neue Ansicht und Anstrengung, welche die traditionellen Bauls ablehnen. Beim Fest Mahotsab (s. Kapitel 5) im Dorf Daskalagram, wo er seinen Nebenwohnsitz hat, pflegt er wichtige Persönlichkeiten des Distrikt
Birbhum, wie Additional District Magistrate, Chief Medical Officer, Chief Engineer, Chief
Public Relation Officer etc., einzuladen und sie für die Interessen der Baul-Gemeinschaft zu
gewinnen. Er fordert die Bauls auf hohere Gage zu verlangen und nicht im Dorf und Mela
(s. Kapitel 5) ihren „Schatz für 10 Paisa zu verkaufen“. Von der Regierung West Bengals
verlangt er besondern Schutz, wie sie den ”scheduled castes“ und ”scheduled tribes“22 gibt.
Außerdem soll die Regierung eine Baul-Stadt (baul-nagar) gründen,wo Arrangements für
die armen Bauls getroffen und die spirituellen Übungen (sadhana) und Musik der BaulGemeinschaft gefördert werden. Dort soll es einen Unterrichtsraum geben, wo der Guru
Bauls und Nicht-Bauls die Theorie und Praxis der Baul-Religion beibringt.23
21
Ibid., 86
Detailliert über Scheduled Casts und Scheduled Tribes, die sogenannten unterentwickelten gesellschaftlichen
und ethnischen Gruppen, die von der indischen Regierung besonders gefördert werden, in: Sarvepalli
Radhakrishnan: Impact of Education on Scheduled Caste Youth in India, New Delhi, 1989
23
Manas Ray: The Bauls of Birbhum, Calcutta, 1994, 92-93
22
19
Die Mehrheit der Bauls halten die Zusammenarbeit mit den Regierungsbeamten für schädlich, da sie hierdurch die Einmischung der Behörden in ihre Privatangelegenheiten befürchten, die zum Verlust der Freiheit führen könnte. Ferner, sie fühlen sich in ihrer Ehre
verletzt, wenn sie nur für das Geld, oder nur für mehr Geld singen sollten, da sie ihre Lieder
als heilig und unverkäuflich betrachten. Sie betonen immer wieder, sie seien keine
Schlagersänger, die mit ihrem Gesang Geld verdienen möchten, sondern Gottes Botschafter,
die die Gottesliebe preisen möchten. Manche boykottieren deshalb das Mahotsab von
Purnadas Baul.24
Die Bauls sind der Meinung, daß die Wirtschaftspolitik Indiens, welche die Investition aus
dem Ausland und den Import ausländischer Güter fördert, unter den einheimischen Herstellern Armut verursacht. In der wahllosen Einführung des westlichen Güter sehen sie nicht
nur die Gefahr der kulturellen Entfremdung, sondern auch einen Nachteil für die indische
Wirtschaft. (s. Anhang Baul-Lieder).
Die Bauls verabscheuen zwar die Nachahmung der westlichen Kultur, aber sie schätzen den
kulturellen Austausch und sind bereit, von der fremden Kultur zu lernen. Sie erinnern sich
dankbar an Rammohan Roy (1772-1833), der die westlichen Ideen für Indien passend
bearbeitete und mit Reformen die Möglichkeit für das moderne Indien schuf (s. Anhang
Baul-Lieder).
Mañjudasi, die spirituelle Partnerin von Purnadas Baul, hat ein Lied verfaßt, da ein Produkt
sozialistischer Gedanken sein (s. Anhang Baul-Lieder). Mañjudasi hat ihren Partner in die
Sowjetunion auf einer Tournee begleitet.
Die Freizeitaktivitäten
Bauls, welche die Freiheit über alles lieben, lehnen im Zusammenhang der Freizeit Zwang
jeder Art ab. Die Bedingungen und Gestaltung ihrer Aktivitäten bestimmen sie selbst. Daher
ist die Gestaltung der Aktivitäten jedesmal etwas anderes, je nach der Vorstellung des
Initiators. Außer den Festen (s. Kapitel 5), die auch einen gewissen Freizeitcharakter haben,
sind die internen Musikkonzerte die einzigen Freizeitaktivitäten der Bauls. Dies hat in erster
Linie sicherlich mit der Musikalität der Gemeinschaft zu tun. Aber es gibt auch einen
anderen Grund, warum sie mit Vorliebe gemeinsam musizieren anstatt z. B. ins Kino zu
gehen. Die Freizeitaktivitäten der Bauls dürfen keine Kosten verursachen. Ein Musikkonzert
kostet die Bauls nichts. Es findet statt entweder bei einer Wohngemeinschaft (akhra), im
Hause eines gefallenen Baul-Bruders, der zwar „gefallen“ aber einflußreich ist, oder aber
auch in einem abgelegenen Ort des Dorfes, der von den Menschen aus den oberen Kasten
nicht beansprucht wird. Die Musiker sind die Bauls selbst. Dies bedeutet, sie brauchen
keinen Saal oder Ort zu mieten und keine Gage zu bezahlen. Außer den Bauls nehmen an
solchen Veranstaltungen einzelne Mitglieder der dre oberen Kasten teil, die ihr Vertrauen
genießen. Solche Konzerte finden am späten Nachmittag oder Abend statt, wenn das Tagewerk getan ist. Die Teilnehmer sind Männer, Frauen, Kinder und Jugendliche, die später
in die Baul-Gemeinschaft eintreten möchten. Frauen, die gut singen können, werden hier
den Männern gleichberechtigt behandelt. Lieder, die hier gesungen werden, sind die gleichen, die auch sonst gesungen werden, wie z. B. beim Betteln. So kann gesagt werden, daß
das Thema der Freizeit gleichzeitig die Religion dieser Gemeinschaft ist. Bezeichnet man die
Religion als Beruf, so gehen Beruf und Freizeit in einander über. Hier spiegelt sich der
24
Ibid., 94
20
Dharma-Begriff des Hinduismus wider, der die Religion und das tägliche Leben nicht voneinander trennt. Die Religion ist nicht die Gottesverehrung, das Gebet oder das Sakrament,
die zu einer festen Tages- oder Jahreszeit praktiziert werden, sondern sie muß in allen Lebensbereichen gelebt werden. Die Gesprächsstoffe solcher Nachmittage oder Abende beinhalten durchaus weltlichen Charakter. Es wird über die Preissteigerung und andere Probleme gesprochen und getratscht. Diese Konzerte können Stunden oder aber auch die ganze
Nacht dauern. Für eine unbeschwerliche Stimmung sorgt der Hanf. Hier wird kräftig Hanf
geraucht. Aber getrunken wird nur Wasser. Manchmal spendiert der Gast aus den höheren
Kasten, falls einer anwesend ist, einen kleinen Imbiß.
Das Bild der Bauls in der bürgerlichen Gesellschaft in West Bengal
Die Hindus aus den höheren Kasten erwarten von den Shudras und Kastenlosen, daß sie ihr
Schicksal als Ergebnis ihrer früheren Karmas akzeptieren und sich demütig verhalten.
Erfüllen sie diese Erwartung, so werden sie von den Kastenhindus als Randgruppen der
Gesellschaft geduldet und nicht verurteilt. Sie dürfen zwar die Veden nicht lernen, die
sechzehn obligatorischen Zeremonien nicht feiern und keine Gottesverehrung (puja) nach
den Bestimmungen der heiligen Schriften (shastra) praktizieren (s. Kapitel 2), aber sie
müssen diese als die Autoritäten anerkennen und dürfen sie nicht in Frage stellen. Genau das
tun die Bauls nicht. Als Caitanya-Vaisnavs ordnen sie sich dem Kastensystem der
Dharmashastras nicht unter, stellen die Veden und die traditionellen religiösen Aktivitäten,
wie das Baden im Ganges und die Pilgerfahrt in Frage und praktizieren den tantrischen
Yoga. Was die Beziehung zu einer Frau angeht, haben die Bauls bekanntlich eine lockere
Haltung. Die Kastenhindus ihrerseits reagieren hierauf irritiert und nennen die Bauls Menschen, die keine Ethik und Moral haben. Als Manas Ray in Materpara in der Nähe der Stadt
Bolpur Bisvanathdas Baul und Debidas Baul besuchen wollte und einen Geschäftsmann
nach deren Adresse fragte, antwortete dieser, er wüßte nicht wo diese charakterlosen Leute
wohnten.25 Die Antwort des Geschäftsmannes demonstriert die Meinung der bürgerlichen
Gesellschaft in West Bengal. Aksaya Kumar Datta behauptet: „Für die spirituellen Übungen,
die sie praktizieren, um das Höchste zu erreichen (paramartha-sadhana), reicht ihnen nicht
der Geschlechtsverkehr mit der eigenen Partnerin, oder auch zwei eigenen Partnerinnen. Ob
in der Öffentlichkeit oder hinter geschlossenen Türen, sie holen sich mehrere Prostituierte
und Hausfrauen, um ihre spirituellen Übungen (sadhana) zu üben.“26 Nagendranath Basu
stellt seine Beobachtung folgendermaßen dar: „Die Gewohnheiten und Verhaltensweisen
dieser Menschen sind verachtenswert. Die Menschen dieser Gemeinschaft erkennen das
Kastensystem nicht an. Sie essen und trinken alles. (. . .) Sie sind stets sehr unsauber. (. . .)
Sie haben ihre Akhras in verschiedenen Orten Bengals. In jedem Akhra wohnen zwei bis
drei Avadhuts (hier: männliche Bauls) und sie haben mehrere Frauen. Sie geben Menschen
aus allen Kasten die Initiation und nehmen sie in ihre Gemeinschaft auf.“27 Aparna
Bhattacharya beschreibt die Bauls als Leute, die keine soziellen oder moralischen
Anweisungen der Hindus folgen, das Fasten oder andere religiösen Praktiken der Hindus
nicht üben, mit mehreren Frauen in einer Wohngemeinschaft wohnen ohne auf das Alter und
auf die Kastenzugehörigkeit heiraten.28 Das Urteil der bürgerlichen Gesellschaft ist
eindeutig, es sind Gesellschaftsmitglieder, die für sie bestimmte traditionellen Regelungen
der hinduistischen Gesellschaft nicht einhalten und daher verachtenswert sind.
25
Ibid., 34
Upendranath Bhattacarya: Banglar baul o baul gan, Kalikata, 1981, 61
27
Ibid., 43
28
Aparna Bhattacharya: Religious Movements of Bengal and Their Socio-Economic Ideas, Patna, 1981, 61-63
26
21
Es gibt jedoch einzelne Menschen aus der drei oberen Kasten, die gerade die Freiheitsromantik und die philosophischen Gedanken der Bauls schätzen. Rabindranath Tagore war
beeindruckt von zwei Schwerpunkten der Baul-Religion: Gott und der Mensch lieben sich
gegenseitig, und Gott wohn t im Herzen des Menschen und ist auch deshalb nicht draußen,
sondern in einem selbst zu finden. Tagore sah auch die Philosophie der Upanishaden,
Brahman manifestiert sich als die Welt, in den Baul-Liedern vertreten, da die Bauls die
Wahrheit in sich selbst suchen. Er förderte die Bauls und publizierte zwanzig Lieder vom
Baul Lalan-sa(h) Phakir.29 In seinen Tranzdramen Phalguni und Raja stellt Rabindranath
Tagore fiktive Bauls vor, die in ihren Liedern die obengenannten Schwerpunkte der BaulReligion vorstellen. Auch Ksitimohan Sen, ein Freund von Tagore, vertritt die Meinung,
daß die Bauls die Philosophie der Upanishaden verkünden. Seiner Meinung nach streben die
Bauls an, durch den Weg der Liebe und der Leidenschaft, der unter den Adepten als lebendiger Glaube vorhanden ist, und mit spiritueller Übung das eigene Ego zu verlassen und
sich selbst mit Gott zu vereinigen.30 Die Bewunderung Tagores und Senas, jeweils aus der
Brahmana- und Kshatriya-Kaste, für die Bauls basierte auf zwei Tatsachen. Sie wußten
nicht vom tantrischen Yoga der Baul-Gemeinschaft, und sie glaubten, daß die Bauls sich in
ihren Liedern nicht versteckt darstellen.
Eine Nachahmung von Tagore, der die Bengaliliteratur heute noch wesentlich beeinflußt,
findet man in der Erzählung Manus-lila, vefaßt vom zeitgenössischen Schriftsteller Samares
Majumadar. Der Baul dieser Erzählung ist ein gebildeter Mensch, beherrscht die Philosophie
des Caitanya-Vaishnavismus und kennt einige von Rabindranath Tagore verfaßte Lieder.31
Auch Upendranath Bhattacarya hat eine positive Meinung über die Bauls und meint der
tantrische Yoga, den die Bauls praktizieren, „ist keine Wollust, sondern eine schwierige
Yogaübung. Die Vereinigung zwischen Mann und Frau, das wichtigste Ritual, geschieht
nach (der Anordnung) ihrer Religion.“32
Untersuchungsergebnisse
1. Die Kastenzugehörigkeit der Bauls, d. h. eigentlich die Kastenlosigkeit der Bauls, gestaltet die Rahmenbedingungen, in denen sie sich bewegen und entfalten können. Diese sind
und können nicht besonders großzügig sein. Bauls der älteren Generation sind zum großen
Teil Analphabeten. Manche schicken ihre Kinder zur Schule. Aber auch diese wenigen
Kinder, die eine Schule besuchen, bleiben dort Außenseiter. Zum Beispiel dürfen sie nicht
an einer religiösen Zeremonie im Hause dieser Kastenkinder teilnehmen. Es bleibt
abzuwarten und zu beobachten, wie die heutigen Baul-Kinder in Zukunft als erwachsene
Mitglieder der Gesellschaft ihre Lage verbessern. Gleichzeitig muß festgehalten werden,
eine der wichtigen Voraussetzungen für das Bestehen dieser religiösen Richtung ist das
Nichtgebundensein an die Regeln der Dharmashastras.
2. Neben den Maludharis und Kistidharis, gibt es Bauls, die sich Udasi oder Grihi nennen.
Jede Kategorie hat ihre besondere Eigenschaften. Die Udasi-Bauls wechseln häufig ihren
Wohnort aus finanzieller Überlegungen. Die Bauls selbst bestreiten aber hartnäckig, daß ein
finanzieller Grund sie zum Ortswechsel motiviert. Sie behaupten stets, daß sie dies nur aus
ideologischer Überzeugung tun.
29
Detailliert in: Upendranath Bhattacarya: Banglar Baul o Baul gan, Kalikata, 1981, 533-545
Ibid., 70-73
31
Samares Majumdar: Manav-lila, Desh, Jg. 63, Nr. 1, 1995, 60-75
32
Upendranath Bhattacarya: Banglar baul o baul gan, Kalikata, 1981, 69
30
22
3. Da die Bauls nur durch ihre Lieder ihre Religion verkünden, haben diese Lieder in der
Baul-Religion die Stellung der heiligen Schriften. Die Lehre soll jedoch nicht jedem offengelegt werden, daher sind besonders die Lieder, welche den Tantrayoga beschreiben, in einer Geheimsprache verfaßt worden. Die Lieder dienen auch als die Vedienstmöglichkeit.
Die Bauls betrachten aber ihre Lieder nicht als Kapital. Bauls, die es tun, bilden die Ausnahme. Für die meisten Bauls ist ihre Musik, die sie nicht vermarkten wollen, heilig. Die
Bauls sind an ihrer Musik und Kleidung sofort erkennbar.Trainierte Ohren erkennen von
weitem an der eintönigen Melodie und dem Begleitinstrument Ektara, daß irgendwo in erreichbarer Nähe ein Baul seine Lieder singt.
4. Die Bauls leben in Armut. Die Mehrheit lebt von Almosen. Manche Bauls glauben, daß
sie ihre Musik teuer verkaufen können, was nicht der Wahrheit entspricht. Das Streben nach
Wohlstand ist bei einzelnen Bauls zu beobachten, ist aber in der Baul-Gemeinschaft nicht
besonders verbreitet. Die meisten Bauls sind bescheiden. Einzelne Bauls haben als
Volksliedssänger ihre finzielle Lage verbessern können. Der Absatzmarkt für diese Musiker
sind die Gebildeten in West Bengal, welche gelegentlich Volkslieder hören. Es darf gesagt
werden, was die Gedankenfreiheit der Baul-Gemeinschaft unterstützt, nämlich das
Ungebundensein an die von den Dharmashastras vorgeschriebenen religiösen und rituellen
Regeln, verursacht ihren Mitgliedern den finanziellen Nachteil. Die Mildtätigkeit der
wohlhabenden Dorfbewohner, etwa bei Krankheitsfällen, hilft ihnen punktuell, verbessert
aber ihre Lage nicht grundsätzlich.
5. Die Wohngemeinschaft hat die Struktur und die Eigenschaften der indischen Großfamilie.
Das Gemeinwohl steht hier im Mittelpunkt. Die Autorität der Älteren und die Gehorsamkeit
der Jüngeren und Frauen sind die beiden Bedingungen, die die Wohngemeinschaft
funktionsfähig erhalten. Deshalb kann gesagt werden, die Wohngemeinschaft der Bauls
bietet ihren Mitgliedern zwar die soziale Sicherheit, verlangt aber gleichzeitig die bedingungslose Fügung in die Gemeinschaft. Es gibt hier eine strenge Arbeitsteilung zwischen der
älteren und jüngeren Generation und männlichen und weiblichen Mitgliedern.
6. Das eheähnliche Verhältnis der Bauls mit ihrer spirituellen Partnerin spiegelt im allgemeinen die Ehe in der indischen Gesellschaft. Die Partnerin ist das Besitztum des Bauls, was
der Bestimmung der Manusmriti IX entspricht. Sie ist die Haushaltskraft, die für ihre Arbeit
vom Baul mit sozialer Sicherheit bezahlt wird. Der Baul darf sich einseitig von dieser
Arbeitskraft trennen, ohne eine Verpflichtung einzugehen. Für den Mahayoga (s. Kapitel 5)
wird die spirituelle Partnerin wie ein Instrument benutzt. Erfüllt das Instrument nicht seinen
Zweck, wird es ausgetauscht.
7. Die Baul-Lieder gelten in Indien nicht als Erzeugnisse der Hochkultur, sondern als
Volkslieder. Wegen der Eintönigkeit ihrer Melodie und weil der Text schwer zu verstehen
ist, zum Teil wegen der Geheimsprache und zum Teil, weil diese im Dialekt verfaßt wurden,
sind die Lieder nur in der sehr kleinen Fachwelt gefragt. Daher kann man im Zusammenhang
mit den Baul-Liedern weder von einem großen kulturellen noch kommerziell bedeutsamen
Beitrag sprechen. Für die Studenten der hinduistischen Kultur sind jedoch diese Lieder
hochinteressant, da sie die Kultur einer Religionsgemeinschaft vorstellen. In diesem Sinne
leisten die Baul-Lieder einen großen Beitrag zur indischen Kulturgeschichte.
8. Obwohl die Bauls an der Tagespolitik nicht teilnehmen, sind sie nicht unpolitisch. Sie
beobachten die Politik, Wirtschaft und Gesellschaft mit kritischen Augen und ziehen die
23
Konszequenz daraus, indem sie sich der Gegebenheit nicht beugen, sondern mit Hilfe ihrer
Religion für sich selbst eine Welt schaffen, in der sie würdevoll leben können. Diese
Handlung der Bauls kann als stille Revolution bezeichnet und mit Mahatma Gandhis
Satyagraha verglichen werden. Allerdings, im Gegensatz zum Satyagraha verändert die
Revolution der Bauls nicht die Gesamtlage in Indien. Der Mobilmachungsversuch von
Purnadas Baul findet unter den Bauls keine Mehrheit.
9. Die Freizeitaktivitäten der Bauls sind eine Mischung aus Geselligkeit und Religiosität.
Diese Menschen sind von aus England importierter Klubkultur, die in den oberen Schichten
zu beobachten ist, vollkommen unbeeinflußt geblieben. Die Kreativität der Bauls wird bei
ihrer Freizeitskonzerten deutlich. Fast ohne Mittel sind sie in der Lage ein künstlerisches
geselliges Beisammensein zu organisieren, das sie in ihrem Glauben bekräftigt und ihnen das
Gefühl der Zusammengehörigkeit gibt.
10. Trotz der positiven Einstellung einzelner aus den drei oberen Kasten in West Bengal
bleiben die Bauls für die Mehrheit der bürgerlichen Gesellschaft Shudras und Kastenlose,
die sich außerhalb der Bestimmungen der Dharmashastras bewegen, weshalb man sie bei
heiligen Zeremonien meidet. Dies wird dadurch deutlich, daß bei heiligen Zeremonien, wie
Hochzeit (bibaha) und Totenzeremonie (Shraddha), die Shudras und Kastenlosen, die sich
den Bestimmungen der Dharmashastras unterwerfen, als Randgäste einlädt und bewirtet.
Die Bauls werden aber zu solchen Anlässen nicht eingeladen oder bewirtet.
11. Die Bauls weichen von den traditionellen Werten ab und äußern ihre Meinung offen in
ihren Liedern. So entwickeln sie sich zu einer kritisch denkenden Gruppe und behaupten
ihre Selbständigkeit in der Gesellschaft. Die Vielfalt des Hinduismus bietet den Bauls die
Möglichkeit, ungestört nach ihren eigenen religiösen Vorstellungen, Werten und Normen zu
leben. Die Baul-Gemeinschaft ist eine religiöse Richtung, die als ein Mitglid der indischen
Gesellschaft ihre Selbständigkeit bewahrt und dadurch den Hinduismus bereichert.
24
Kapitel 2
Shri Caitanya und die Gründung der Baul-Gemeinschaft
Caitanya öffnete den Ausgeschlossenen das Tor zum klassischen Hinduismus. Aus dieser
Reformbewegung entstand die Baul-Gemeinschaft. Dieses Kapitel untersucht die Aspekte
des Caitanya-Vaishnavismus, die mit der Religion der Bauls-Gemeinschaft zusammenhängen.
Bestimmungen über Shudras und Kastenlosen in den Dharmashastras
Der Varnashramdharma, das Vierkastensystem des Hinduismus geht auf den Rigveda X, 90
zurück. Die Dharmashastras klassifizieren die Hindus nach ihrer Kastenzugehörigkeit. Für
jede Kaste ist ein bestimmter Teil des gesamten Dharma, der unter anderem die Gesellschaft
funktionsfähig halten soll, verordnet worden. Die Beziehung zu Gott, zu Mitmenschen, die
Auswahl des Berufes und andere Lebensumstände sind dieser Verordnung unterworfen. Die
Selbstverwirklichung ist nur in diesem gegebenen Rahmen möglich. Die Bhagavadgita II, 31
versichert, daß der Svadharma (der eigene Dharma) auch tatsächlich der einzige Weg zur
Selbstverwirklichung ist. Svadharma ist nicht etwa der Dharma, den einer für sich selbst
ausgesucht oder ausgedacht hat, sondern der Dharma, der von den Autoritäten einem auf
Grund seiner Kastenzugehörigkeit vorgeschrieben wurde. Die Manusmriti verbietet den
Shudras und Kastenlosen das Lernen (IV, 99) und das Anhören (IV, 99) der Veden und den
Vollzug der vedischen Zeremonien, wie z. B. der Upanayana-Zeremonie (II, 36) und legt
das Dienen der drei höheren Kasten als ihren Dharma fest (II, 91). Aber das Dienen, der
Svadharma der Shudras und Kastenlosen konnte/kann ihren Religionshunger nicht stillen.
Denn im Dienen der oberen Kasten besteht keine direkte Beziehung zwischen Gott und
Mensch. Diese direkte Beziehung möchte aber ein religiöser Mensch haben, aus welcher
Kaste er auch stammen mag. Daher gab es immer wieder Versuche, die Bestimmungen der
Dharmashastras anders zu interpretieren, zu umgehen oder ihnen zu widersprechen. Die
Caitanya-Bewegung und die daraus entstandene Bauls-Religion sind zwei solche Versuche.
Die vom Vishnu-Kult und vom Shakti-Kult geleistete Vorarbeit
Da der vedische bzw. brahmanische Hinduismus die breite Masse ausschloß, gab es schon
seit früherer Zeit die verschiedenen Richtungen der Vishnu- und Shakti-Kult, die den Menschen eine Alternative bot. Zwei wesentliche Punkte dieser Richtungen sind für diese Arbeit
von Bedeutung: 1. Beide Richtungen beschränkten sich nicht auf die vedischen Literaturen,
sondern schufen ihre eigenen heiligen Schriften, die vom vedischen und brahmanischen
Hinduismus abwichen, und 2. sie hielten sich weniger streng an die kastenbezogenen
Bestimmungen der Dharmashastras. Die Vorarbeit, die diese Kulte geleistet haben, bestand
darin, daß sie die Ausgeschlossenen in ihre Gruppe aufgenommen und die Gesellschaft dadurch auf das Problem aufmerksam gemacht haben. Sie konnten jedoch diese Menschen in
den Gesamtkomplex Hinduismus nicht integrieren. Der Grund war, daß sie sich entweder
trotz allem an das vedische Kastensystem anlehnten, wie der Vaishnavismus von Ramanuja
es tat oder daß sie die Veden vollkommen mißachteten, wie der Vamacara des Shakti-Kultes es tat. So war eine Reform nötig, die die Philosophie der Upanishaden, die Theologie
der Puranas und den Humanismus synthesierte. Diese Synthese sollte eine Religion sein, in
25
der sowohl die Hindus aus den drei oberen Kasten, als auch die Shudras und Kastenlosen
ihre eigene Religion wiederfanden. Dies ist Caitanya gelungen.
Shri Caitanya
Kurze Biographie
Die authentischte Biographie Caitanyas ist das Shri-shri-caitanya-caritamrita, verfaßt von
Krishnadas Kabiraj (1517-1582). Caitanya wurde im Jahre 1486 in Nabadvip, auch Nadiya
genannt, ca. 120 km nördlich von Kalkutta, in einer Brahmanenfamilie geboren. Er lernte
Sanskrit und anderen Wissenschaftszweigen des damaligen Indien wie Philosophie, Astonomie, Astrologie, Literatur, Grammatik etc. und entdeckte besondere Neigung und Fähigkeit in der Logik der Nyaya-Philosophie. Caitanya reiste in die heilige Stadt Gaya, die im
heutigen Bundesstaat Bihar liegt, um dort die Opfergabenzeremonie (pindadana) für seine
Ahnen vollzuziehen. Hier lernte er den Asketen (sannyasi) Ishvar-puri kennen. Ishvar-puri
war ein Anhänger der Bhakti-Lehre. Auf Caitanyas Bitte gab der Asket ihm die Mantra-Initiation (mantra-diksha), die Caitanya innerlich sehr veränderte. Der Gelehrte Caitanya
kehrte nach Nabadvip als ein Krishna-Narr zurück.
Caitanya nahm seine Tätigkeit als Leiter und Lehrer seiner Schule wieder auf. Er sah sich
aber bald außerstande, die konventionellen Fächer zu unterrichten, denn seine ganze Konzentration galt Krishna. So verwandelte er die Schule in einen Ort, an dem die KrishnaLiebe gelehrt und gelernt wurde. Leute kamen aus der Umgebung Nabadvips, um Caitanya
zu sehen und von ihm belehrt zu werden. Caitanya weihte die Willigen in die Krishna-Liebe
ein. Bald hatte er unter seinen Anhängern nicht nur seine Schüler, die jung und unerfahren
waren, sondern auch Erwachsene und Gelehrte, wie etwa Advaitacarya, Nityananda, auch
Nitai genannt, die in der Lage waren, für die Bewegung selbständig zu arbeiten. Menschen
von der neuen Idee zu überzeugen war eine wichtige Arbeit, die Caitanya und seine
Anhänger leisten mußten. Mit vierundzwanzig Jahren verließ Caitanya seine Familie, die aus
seiner Mutter Shacidevi und Frau Vishnupriya bestand und trat in das Asketentum ein und
verbrachte den Rest seines Lebens in der Stadt Puri, Bundesstaat Orissa. Puri war ein
idealer Ort für Caitanyas Aktivitäten. Er wohnte hier im Hause des Brahmanen Kashi Misra,
wie der König Prataparudra es verordnete. Neben dem Tempel wurde dieses Haus ein
Versammlungsort der Caitanya-Anhänger. Der König wurde Caitanyas Schüler. Hiermit
wurden die notwendigen Bedingungen für die Verbreitung der neuen Richtung geschaffen.
Die unvollendete Biographie gab/gibt Gelegenheit für Spekulationen über Caitanyas Tod.
Manche Gläubigen meinen, Caitanya konnte die Trennung von Krishna nicht mehr ertragen
und umarmte die Jagannatha-Figur im Tempelaltar und diese absorbierte ihren Geliebten. So
löste sich Caitanya in Jagannatha auf. Andere glauben, Caitanya sei ins Meer gesprungen,
weil er es für Yamuna, den Fluß in Krishnas Weilort Vrindavan hielt. Neben diesen
Legenden existiert auch der nüchterne Verdacht, er sei von einigen Tempelpriestern um
seinen Erfolg beneidet und von ihnen umgebrachtworden.33
33
Detailliert über Caitanyas Tod in: Svami Tapasyananda: Shri Caitanya Mahaprabhu. His Life Religion and
Philosophy, Mylapore, 61-63
26
Die von Caitanya eingeführten Reformen
Im Einzelnen führte Caitanya die folgenden Reformen durch:
1. Herstellung der direkten Beziehung zwischen Gott und dem Menschen durch Gottes
Lobgesang im Chor (sankirtan) und Ersatz des Sanskrits im Mantra und Gottesverehrung
durch die Muttersprache
Die direkte Beziehung zwischen Gott und Mensch ging in der postrigvedischen Zeit verloren.34 Zu Caitanyas Zeit hatte zwar die Opferzeremonie ihre Blütezeit hinter sich, aber sie
spielte immer noch eine wichtige Rolle. Die sechzehn obligatorischen Zeremonien,35 die
zusätzlichen großen und kleinen Zeremonien, die man zu Anlässen oder auch einfach, um
Glück zu bringen vollzog und Tempel-Gottesverehrungen (puja), sicherten die Stellung der
Priester als Verbindungsmänner zwischen Gott und den Menschen. So wurde durch die
Einflußnahme der Priester Gott dem Menschen fremd. Es bestand keine direkte herzliche
Beziehung zwischen beiden. Die tägliche Gottesverehrung (puja) vor dem Hausaltar war die
einzige Möglichkeit, bei der der Mensch sich direkt an Gott wenden konnte.
Caitanya zeigte den Menschen die Möglichkeit, wie sie sich ohne Umwege an Gott wenden
und so mit ihm eine direkte vertrauensvolle Beziehung aufbauen konnten. Er führte eine
Gottesverehrung ein, bei der man keinen Vermittler brauchte. Sie hieß Sankirtan
(Gotteslobgesang). Man übte / übt Sankirtana stets im Chor. Die Texte der Gesänge waren
einfach und verständlich. Im Gegensatz zu den traditionellen Mantras, war die Sprache der
Texte entweder Bengali, die Muttersprache der Anhänger oder leichtes Sanskrit, dem alle
folgen konnten. Hier zwei Beispiele, die von Caitanya-Vaishnavs in West Bengal oft gesungen werden:
”Hare Krishna Hare Krishna, Krishna Krishna Hare Hare
Hare Rama Hare Rama, Rama Rama Hare Hare.“
und
„Hari, Haraye namah, Krishna, Yadavaya namah
Gopala, Govinda, Rama, Shri-Madhusudana.“
Übersetzung: Meine Verehrung für Hari, Krishna, dem Yadavavolkzugehörigen, Gopala,
Govinda, Rama und Shri-Madhusudana.
2. Vereinfachung der Regelungen für die Gottesverehrung
Anders als die Gottesverehrung (puja) im klassischen Hinduismus, benötigte die von Caitanya eingeführte Gottesverehrung keine rituellen Vorbereitungen und konnte unabhängig
von der Tageszeit und vom Ort vollzogen werden. In Shri-shri-caitanya-caritamrita, Antyalila XX, 17 sagt Caitanya beim Predigen:
34
Detailliert in: Sarvepalli Radhakrishnan: Indian Philosophy, Vol. 1, London, 1977, 128-130
Über 16 obligatorischen Zeremonien der drei oberen Kasten in: G.R. Sholapurkar: Religious Rites and
Festivals of India, Varanasi, 1990, 21-58
35
27
„Beim Essen, Liegen, hier und dort können
Die Namen (Krishnas) besungen bzw. rezitiert werden.
Es besteht (hierfür) keine Zeit oder Ort betreffende Regel.
Der Name (Krishnas) erfüllt jeden Wunsch.“
Diese Vereinfachung gab den Shudras und Kastenlosen, die keinen Hausaltar haben und
üblicherweise den Tempel nicht betreten dürfen, die Möglichkeit, bei Bedarf auf unkomplizierte Art Gottesverehrung zu vollzuziehen.
3. Gleichberechtigung aller Menschen unabhängig von ihrer Kastenzugehörigkeit
a) Caitanya führte die vollkommene Gleichberechtigung aller Kasten in seiner Gemeinschaft
ein. Sie wurden von Caitanya eingeweiht und in der Gruppe als gleichberechtigte Mitglieder
aufgenommen. Die Shudras saßen mitten in der Versammlung und nicht getrennt von den
Hindus aus der dre oberen Kasten. Candrashekhar36 und Ray Ramananda,37 beide Shudras,
gehörten zu seinem engeren Kreis. Er ließ Ray Ramananda seine Religion der Krishna-Liebe
zu predigen.38 Caitanyas weitere nennenswerte Shudra Schüler waren Murari,39 Haridas,40
und Sanatan.41 Er umarmte Shudras und nahm Almosen von ihnen.42 So öffnete Caitanya
den Shudras das Tor zum Vaishnavismus.
b) Caitanya praktizierte seine Gesang-Gottesverehrung (sankirtan) auch im JagannathaTempel in Puri. An dieser Gottesverehrung durften alle Schüler teilnehmen. Dies bedeutete,
die Shudras, soweit sie Caitanyas Anhänger waren, durften den Tempel betreten und an der
Gottesverehrung teilnehmen. Dies war und ist nicht selbstverständlich in Indien.
c) Caitanyas Schüler aßen gemeinsam, unabhängig von deren Kastenzugehörigkeit, die Gott
Jagannatha geweihten und von ihm gesegneten Speisen, die Prasad (Gnade) genannt
werden. Bei solchen Gelegenheiten servierte er das Essen selbst.43 Caitanya wußte, daß er
seine Kasten-Hindus nicht nur im spirituellen Bereich erziehen, sondern sie auch von ihrem
tief verwurzelten Kastendenken befreien mußte, wollte er alle Menschen vor Gott
gleichstellen.
4. Förderung des Gemeinschaftssinns und dadurch Abbau der Vorurteile
Der Chorgesang und die Gruppenmahlzeit förderte den Gemeinschaftssinn der CaitanyaAnhänger. Caitanya ließ sich wahrscheinlich für diesen Zweck noch einige Aktivitäten einfallen. Diese waren das gemeinsame Wasserspiel,44 die gegenseitige Bemalung mit der
heiligen Sandelpaste im Jagannatha-Tempel,45 die gemeinschaftliche Säuberung des Tempelfußbodens46 und Rollenspiele, bei denen Caitanya mit seinen Schülern Krishnas47 oder
Ramas48 Lebensabschnitte darstellte.
36
Krishnadas Kabiraj: Shri-shri-caitanya-caritamrta, Adilila Vii, 45
Ibid., Madhyalila VII, 62-63
38
Ibid., Antyalila V, 85-86
39
Ibid., Madhyalila XI, 149-155
40
Ibid., Madhyalila XI, 159-165
41
Ibid., Antyalila IV, 18-21
42
Ibid., Madhyalila XVII, 60
43
Ibid., Madhyalila XIV, 37-41
44
Ibid., Madhyalila XII, 149
45
Ibid., Madhyalila XI, 208
46
Ibid., Madhyalila XII, 71-134
37
28
Die Gründung der Baul-Gemeinschaft
Die Entstehungs- bzw. Gründungsgeschichte der Baul-Gemeinschaft ist nicht schriftlich
festgehalten worden. Daher müssen die Quellen und Überlieferungen untersucht werden.
Nach Caitanyas Tod gab es drei Orte, wo seine fähigen Schüler mit großem Eifer die Krishna-Liebe verbreiteten. Diese sind: Bengal (heute West Bengal und Bangladesh), Vrindavan im heutigen Bundesstaat Uttar Pradesh und Puri.49 Für das Thema Baul ist der Caitanya-Vaishnavismus in West Bengal von Bedeutung, da die Bauls in West Bengal beheimatet sind. In der Post-Caitanya-Periode gab es hier zwei Hauptrichtungen unter den Vaisnavs. Diese waren die Caitanya-orientierten Vaisnavs (caitanya-anugata-vaisnav) und die
orthodoxen smriti-orientierten Vaisnavs (smriti-anugata-vaisnav).50 Die smriti-orientierten
Vaisnavs waren dem Brahmanismus treu und beteiligten sich nicht an der Reform.
Was die Treue zum traditionellen Hinduismus betrifft, so gab es auch unter Caitanyas engeren Schüler Nityananda und Advaitacarya große Meinungsverschiedenheiten. Advaitacarya, der in Shantipur ein Zentrum der Krishna-Liebe aufbaute und leitete, war nur in
Ausnahmefällen bereit, einem aus der niedrigeren Kaste die Initiation zu erteilen.51 Hier
waren die Shudras nicht willkommen.
Das Nityananda-Zentrum
Nityananda, der acht Jahre älter war als sein Guru Caitanya, stammte aus einer Brahmanenfamilie. Als Zwölfjähriger begleitete er einen Asketen während seiner Pilgerfahrt durch Indien. Später wurde er Caitanyas Schüler. Schon zu Caitanyas Lebzeiten kümmerte er sich
um die Verbreitung der Krishna-Liebe in Bengal, denn Caitanya, der in Puri wohnte, beauftragte ihn mit dieser Aufgabe.52 Er gegründet in Khardaha ein Zentrum, wo er als Guru
fungierte.
Folgende Punkte des Nityananda-Zentrums sind interessant für die vorliegende Arbeit:
1. Wie sein Guru hielt Nityananda nichts vom Kastensystem und nahm jeden, der es wollte,
in seine Gemeinschaft auf. Zum Beispiel, er initierte 1200 Neras and 1300 Neris, die
Subarnabaniks (Juwelier), Muschelverkäufer und andere Shudras und Kastenlosen, weshalb
er von den drei oberen Kasten verachtet wurde.53
2. Nityananda führte die Praxis des gemeinsamen Essens fort. Am hundertsten Geburtstag
Caitanyas fand im Dorf Khetari mit finanzieller Unterstützung des Raja Santosh Datta eine
große Feier statt. Zu diesem Fest trafen sich hier Vaisnavs aus allen Teilen Bengals. Sie
47
Ibid., Madhyalila XIV, 254
Ibid., Madhyalila XV, 33-37
49
Detailliert über die Zentren in: Debidas Bandyopadhyay: Caitanya carcar pãcsho bachar, Kalikata, 1987, in
Bengal: 45, 149-155, in Vrindavan: 146-148 und in Puri: 140-141
50
Detailliert in: Aparna Bhattacharya: Religious Movements of Bengal and Their Socio-Economic Ideas,
Patna, 1981, 8-10
51
Detailliert in: Ibid., 29-31
52
Krishnadas Kabiraj: Shri-shri-caitanya-caritamrita, Madhyalila VII, 82
53
S. Aparna Bhattacharya: Religious Movements of Bengal and Their Socio-Economic Ideas, Patna, 1981, 930
48
29
sangen hier Loblieder (sankirtan) auf Gott und Caitanya und aßen zusammen. Nityananda
nannte dieses Fest Mahotsab. Der Mahotsab wurde hiernach ein fester Bestandsteil der religiösen Übung der Caitanya-orientierten Vaisnavs der Nityananda-Linie (parampara) in
West Bengal, also auch bei den Bauls (s. Kapitel 5).
3. Nityananda tat etwas Ungewohnliches. Er gab die Askese auf und heiratete. Allerdings
holte er vorher die Erlaubnis seines Gurus. Seine beide Ehefrauen waren Basudha Devi und
Jahnavi Devi, die eher als Jahnava Devi bekannt wurde. Im Bezug auf die Baul-Gemeinschaft war dies eine wichtige Tat. Sie zeigte eine neue Richtung. Nityananda war jetzt ein
Mensch, der den Freuden des Lebens nicht entsagte und trotzdem Gott erlebte. Dies ist ein
Grundsatz der Baul-Religion (s. Kapitel 3). Er war ein Guru, der zusammen mit seiner Frau
ein religiöses Zentrum leitete. Genau nach diesem Muster sind die Wohngemeinschaften
(Akhra) der Bauls gebaut (s. Kapitel 1).
4. Nityananda ermöglichte seinen Anhängern zu heiraten, aber sich trotzdem als Weltentsager (vairagi) zu bezeichnen. Auch die Bauls leben in eheähnlichem Verhältnis, betrachten
sich aber als Asketen, da sie, wie sie meinen, mit ihren Partnerinnen keine sexuellen
Erlebnisse haben, sondern Tantrayoga üben.
Die Bauls bezeichnen Caitanya als ihren Adiguru (Ur-Guru)
Für Bauls ist Caitanya der Gründer (adiguru) ihrer Gemeinschaft. Purnadas Baul schreibt:
„Im Kaliyuga ist Mahaprabhu (Großer Gott, gemeint ist Caitanya) der Oberste aller
Bauls.“54 Aber da Caitanya eine Inkarnation Krishnas war,55 geht die Linie der Gurus (guruparampara) bis zur ersten Inkarnation Krishnas im Satya- bzw. Kritayuga, wie die Bauls in
ihren Liedern singen (s. Anhang Baul-Lieder).
Da Caitanya der Urguru ist, ist ein Huldigungslied (bandana) an Caitanya eröffnet am Anfang einer Baul-Versammlung obligatorisch. In diesen Liedern wird Caitanya gebeten, zu
kommen und an der Versammlung teilzunehmen (s. Anhang Baul-Lieder). Dies entspricht
dem Gebrauch der allgemeinen Gottesverehrung (puja).56 In unzähligen Liedern bekennen
sich die Bauls als Schüler Caitanyas seiner Schüler Nityananda, Shri-rup Gõsai und Sanatan
(s. Anhang Baul-Lieder).
Auf Grund der Liederbeispiele kann hier festgehalten werden, daß die Bauls Caitanya für
den Gründer ihrer Religionsgemeinschaft halten. Nun muß untersucht werden, wie wahr
diese Behauptung ist.
Caitanya nannte sich selbst Baul und wurde von seinem Schüler Advaitacarya als Baul
bezeichnet
Caitanya nannte sich kurz vor seinem Tode einen großen Baul. Der Biograph Krishnadas
Kabiraj schreibt in Shri-shri-caitanya-caritamrita, Antyalila XIV, Caitanya sagte zu seinen
versammelten Schülern:
„Nachdem ich die zehn Sinnesorgane (indriya)
54
Purnadas Baul: Banglar baul gan, Kalikata, 4
Krishnadas Kabiraj: Shri-shri-caitanya-caritamrita, Adilila I, 4-6
56
Vgl. Svami Mukhyananda: Om, Gayatri and Sandhya, Mylapore, 1-88
55
30
Zu meinen Schülern gemacht habe
Und mir den Namen ‘der große Baul’ (maha baul) gegeben habe,
Bin ich mit meinen Schülern dorthin gegangen.
Meinen Körper, den eigenen Wohnsitz,
Habe ich verlassen
Und den materiellen Genuß und großen Wohlstand aufgegeben
Und bin nach Vrindavan gegangen (47).“
Auch wenn das Rätsel, was Caitanya mit der Aussage, daß er seinen Körper, den eigenen
Wohnort verließ und nach Vrindavan ging, nicht zu lösen ist, ist hier festzuhalten, daß er
sich in diesen Strophen als den großen Baul bezeichnet.
Caitanya nannte sich ein ein weiteres Mal Baul (ibid., Antyalila XIX). als er aus Puri seiner
Mutter in Nabadvip durch einen Boten die folgende Nachricht schickte:
„Gehe nach Nadiya und verbeuge dich vor (meiner) Mutter.
Fasse ihre lotusgleichen Füße in meinem Namen (6).
Sage ihr: ,Du denkst (an mich).
Ich werde regelmäßig kommen und deine Füsse verehren (7).
An welchem Tag du mich auch zum Essen einladen willst,
Ich werde an diesem Tag (kommen und) essen (8).
Ich habe dich verlassen und übe nun Askese.
Nachdem ich Baul geworden bin (baul haiya), habe ich Dharma zerstört (9).
Bitte rechne mir nicht diese Schuld an.
Ich bin doch dein ergebener Sohn (10).
Ich bin in Nilacal (d. h. Puri), weil du es so befohlen hast.
So lange ich lebe, werde ich Nilacal nicht verlassen können (11).’“
Kurz nachdem Caitanya seiner Mutter den Boten schickte, empfing er selbst eine Nachricht
von seinem Schüler Advaitacarya aus der Stadt Santipur. Diese lautete folgendermaßen, wie
Krishnadas Kabiraj sie in Shri-shri-caitanya-caritamrita, Antyalila XIX darstellt:
„Übergib meinem Herrn (prabhu, lit. Gott) meine Millionen Verbeugungen,
(Und sage ihm,) ich lege die folgende Bitte an seine Füsse (19).
Sage dem Baul (gemeint ist Caitanya): ‘Die Leute sind Aul geworden.’
Sage dem Baul (d. h. Caitanya): ‘Auf dem Markt wird kein Reis mehr verkauft (20).’
Sage dem Baul: ‘Es besteht keine Notwendigkeit für Aul.’
Sage dem Baul: ‘Dies hat der Baul schon gemacht bzw. gesagt (21).’“
Der Biograph schreibt weiter, als Caitanya diese Codenachricht (tarja) hörte, lächelte er ein
wenig und sagte, daß Advaitacarya ein großer Anhänger der sastrischen Gottesverehrungmethode war und genau nach den Vorschriften der Sastras die Gottesverehrungzeremonie
(puja) übte. Wahrscheinlich wollte er hiermit subtil andeuten, daß zwischen dem liberalen
Guru und seinem orthodoxen Schüler ein wichtiger Meinungsunterschied bestand. Ferner
sagte Caitanya, Advaitacarya war in Codenachrichten versiert, er selbst aber verstünde die
Nachricht nicht. Diese Aussage des Gurus versetzte die Anhänger in Erstaunen und der
Schüler Svarup Gõsai wurde nachdenklich (Antyalila XIX, 23-29). Caitanyas Bemerkung
deutet darauf hin, daß er sich von der Aussage seines Schülers distanzieren wollte. Auch
Krishnadas Kabiraj erläutert die Nachricht nicht. Er schreibt nur, daß sich seit diesem Zeit-
31
punkt Caitanyas Gesundheitszustand verschlechtert hätte und das Leiden unter der Trennung von Krishna zweimal soviel geworden wäre (Antyalila XIX, 30).
Caitanyas Nachfolger haben diese Codenachricht folgendermaßen entziffert. Advaitacarya
sagte dem Boten: „Sage dem großen Gott (maha-prabhu), der durch große Empfindungen
bzw. Stimmungen verrückt geworden ist, daß die Menschen durch die von ihm verbreitete
Liebesreligion (prem-dharma) verwirrt und handlungsunfähig geworden sind. Da sie durch
seine Gnade ohne religiöse Übungen bzw. Zeremonien die (Gottes-)liebe gewinnen, lernen
sie nicht die (vom Shastra) verordneten Zeremonien (sadhana-anusthan). Die an Zeremonien
und Liebe-orientierte Vaisnava-Gemeinschaft geht langsam ein. In Zukunft wird es keine
Gemeinschaft mehr geben, die Menschen in (der Religion), die Liebe (prem), Hingabe
(bhakti) und religiöse Zeremonien (sadhana) vereinigen, unterweisen und für diese
(Religion) Verordnungen treffen kann. Stimmungen und Erscheinungen, die er (d. h. Caitanya) jetzt zeigt, sind nicht mehr gewinnbringend oder nötig, d. h. es gibt keinen Abnehmer
für sie in der sterblichen Welt. Der Verbreitung der Liebesreligion (prem-dharma) und des
Auskostens eigener zarter Liebe (sva-madhurya)57 ist genug geschehen. Jetzt wäre es für
das Wohl der zukünftigen Welt angebracht, daß er sein Spiel (lila) beendet. Jemand, der den
Sinn seiner Liebesreligion (prem-dharma) begriffen hat und durch Empfindungen verrückt
geworden ist, schickt ihm diese Nachricht.“58
Es ist offensichtlich, daß Advaitacarya die Religion durch Caitanya gefährdet sah. Die Bitte
des Schülers, der Guru soll sich von der Welt verabschieden, kann nur so erklärt werden: In
der letzten Phase seines Lebens erlaubte Caitanya Nityananda und (Ray Ramananda, s. unten), Stil und Praktiken, die für den shastra-orientierten Advaitacarya vollkommen unakzeptabel war. Advaitacarya fand diese neuen Richtungen so gefährlich, daß er den Tod seines Gurus wünschte.
Advaitacarya, der älter war als Caitanya und der sich in der Vaisnava-Gemeinschaft in seinem Wohnort Shantipur bei Nabadvip schon profiliert hatte, bevor Caitanya zum Ruhm
kam, sah in Caitanya die große Konkurrenz. Daß Advaitacarya, ein strenger Verfechter des
Kastensystems, nach anfänglichem Mißtrauen Caitanya doch noch als seinen Guru akzeptierte,59 war wahrscheinlich ein diplomatischer Akt.
Ohne sich mit der Beziehung zwischen Caitanya und Advaitacarya tiefgehend zu beschäftigen, kann in diesem Abschnitt festgestehalten werden, daß Caitanya kurz vor seinem mysteriösen Tod a) sich selbst Baul nennt, und b) von seinem Schüler als Baul bezeichnet und
um den Abschied gebeten wurde.
Caitanyas Schüler Ray Ramananda praktizierte Tantrayoga
Noch ein Punkt hängt indirekterweise mit der Frage der Gründung der Baul-Gemeinschaft
zusammen. Es ist belegbar, daß zu Caitanyas Lebzeiten in seiner Gemeinschaft tantrischen
Yogabungen, die ein wesentlicher Teil der Baul-Religion sind, praktiziert wurden. Shri-shricaitanya-caritamrita, Antyalila V, 14-20 berichten, daß Caitanyas Schüler Ray Ramananda
den tantrischen Yoga praktizierte. Daher kann soviel mit Bestimmtheit gesagt werden, daß
Caitanya, der auf die Askese großen Wert legte und seinen Schülern befahl, sich von Frauen
57
Vgl. Krishnadas Kabiraj: Shri-shri-caitanya-caritamrita, Adilila I, 6
Upendranath Bhattacarya: Banglar baul o baul gan, Kalikata, 1981, 46
59
Vgl. Svami Tapasyananda: Shri Caitanya Mahaprabhu. His Life, Religion and Philosophy, Mylapore, 11-12
58
32
fernzuhalten,60 in seiner Gemeischaft Anhänger duldete bis förderte, die zum Teil einen
anderen Vaishnavismus praktizierten als er selbst.
Untersuchungsergebnisse
Die Untersuchung hat zur Erkenntnis folgender Tatsachen geführt:
1. Nityananda, der konsequent das Kastensystem mißachtete und Advaitacarya, der möglichst nach der Kastenordnung lebte, beide waren Caitanyas engen Schüler. Caitanya, Nityananda, Advaitacarya und Ray Ramananda - diese vier sind der Beweis dafür, daß in der
Caitanya-Gemeinschaft verschiedene Strömungen vorhanden waren.
2. Caitanya wurde in seiner Biographie Shri-shri-caitanya-caritamrita mehrfach als Baul
bezeichnet.
3. Im Nityananda-Zentrum wurden religiöse und mit Religion zusammenhängende Übungen
praktiziert, die heute in der Baul-Gemeinschaft zu beobachten sind.
und
4. Caitanya duldete bzw. förderte den tantrischen Yoga, die heute die Bauls üben.
Die genannten Tatsachen führen zu der These, daß um Caitanya und / oder Nityananda sich
Menschen versammelt hatten, die ihre speziellen Übungen praktizierten. Diese Gruppe
mißachtete die Bestimmungen des Shastras und die traditionelle Moralvorstellung der Gesellschaft. Ihre religiöse Übung bestand hauptsächlich aus Singen, Tanzen, Mahotsab feiern
und tantrarituellen Praktiken. Ihre ungezungene Haltung und zum Teil unkomplizierten
Übungen machten sie beliebt bei den niederen Kasten und Kastenlosen. Diese Menschen
nannten sich selbst Bauls und / oder wurden von den andern als Bauls bezeichnet. Die Bezeichnung Baul hatte wahrscheinlich mit dem Sanskrit-Wort Baul, d. h. närrisch, verrückt,
etwas zu tun, da die Verhaltensweise und Praktiken dieser Gruppe den gewöhnlichen Normen der Gesellschaft nicht entsprach.
Menschen, die sonst immer ausgeschlossen waren, traten jetzt in den klassischen Hinduismus ein, indem sie von Caitanya oder Nityananda eingeweiht wurden. Auch Mitglieder des
Nityananda-Zentrums waren im weiteren Sinne Caitanyas Schüler. Die Zahl dieser Mitglieder war bald nicht mehr zu übersehen. Dies beunruhigte den konservativen Advaitacarya, der dann an Caitanya die Nachricht mit der furchtbaren Bitte schickte. Caitanyas
mysteriöser Tod löste diese Gruppe um Caitanya und / oder Nityananda nicht auf. Somit ist
auch die Behauptung der Bauls, daß Caitanya ihr Urguru, also der Gründer ihrer Religionsgemeinschaft war, berechtigt.
60
S. Krishnadas Kabiraj: Shri-shri-caitanya-caritamrita, Antyalila II, 101-165
33
Kapitel 3
Die philosophischen Gedanken und die Mystik der BaulReligion
Die Bauls haben keine philosophischen Werke verfaßt; ihre Lieder jedoch deuten auf derartige Gedanken hin. Im Folgenden werden die Punkte der philosophieschen Gedanken und
der Mystik der Baul-Religion dargestellt.
Die Ansichten über die Welt und das Leben
Über die Existenz der Welt
Die Bauls teilen die Meinung des klassischem Hinduismus, daß die aus Raum, Zeit und
Kausalität bestehende Welt nicht selbsterklärlich ist. Es ist die höchste formlose Wahrheit,
die die Bauls in ihren Liedern abwechslungsweise Brahman oder Gott (Bhagavan, Ishvar)
nennen (s. Kapitel 4), die sich als wahrnehmbare Formen, also als die Welt, manifestiert (s.
Anhang Baul-Lieder). Im Gegensatz zu den Advaitavadins und Vishishta-advaitavadins
verneinen die Bauls die Existenz der Welt nicht. Die Welt ist keine Scheinexistenz im nihilistischen Sinne. Die Welt ist nur insofern illusorisch, als sie kein selbständiges Objekt ist.
Sie existiert nur im Zusammenhang mit der höchsten Wahrheit. Alle Dinge, die ein Mensch
wahrnimmt, sind Teilaspekte des Ganzen.
Über das Leben
Die Bauls betrachten das übliche Leben als Leid (s. Anhang Baul-Lieder). Dies geschieht
deshalb, weil der Mensch die Welt nicht als etwas Ganzes, sieht, sondern als etwas, das aus
verschiedenen Teilaspekten besteht. Er sucht sich Teilaspekte aus, die seiner Meinung nach
ihm Freude bringen werden. Die Teilaspekte aber sind als Manifestationen der höchsten
Wahrheit, also etwas, das einen Anfang hat, vergänglich. Da der Mensch sich in vergänglichen Teilaspekten verhaftet, ist er unglücklich, wenn er von diesen getrennt ist. Dies ist der
Grund, warum ihm die Welt letztendlich doch nur als Leiden erscheint.
Das Leben kann jedoch als Freude ungewandelt werden, wenn der Mensch die folgenden
Punkte beachtet:
1. Jedes Objekt, jede Beziehung sind als Gottes Manifestation zu sehen. Hält der Mensch in
seinen Gedanken diese Wahrheit wach, führt er ein fröhliches Leben und genießt die Welt.
Er führt kein Asketenleben, bleibt aber trotzdem frei, denn in allen Handlungen erlebt er
Gott (s. Anhang Baul-Lieder).
34
und
2. Wenn der Mensch hinter allem den immer existierenden Gott sieht., In diesem Falle erleidet er keinen Verlust, denn in Wirklichkeit geht nichts verloren. Das scheinbar Verlorengegangene existiert weiterhin in Gott (s. Anhang Baul-Lieder).
Die Maya-Theorie, die den Grund des menschlichen Fehlverhaltens erklärt
Auf die Frage, wieso es geschieht, daß der Mensch das Vergängliche für das Absolute hält,
obwohl er auf Schritt und Tritt den Gegenbeweis erlebt, warum er die Welt für ein an sich
selbst existierendes Objekt hält, obwohl er doch theoretisch weiß, daß sie nur im Zusammenhang mit Gott existiert, antworten die Bauls, es ist die Maya, die alles so geschehen
läßt. In unzähligen Liedern beschreiben die Bauls, wie Maya die Menschen in ihrer Gefangenschaft hält und sie in die Irre führt (s. Anhang Baul-Lieder). Allerdings kann hier Krishna den Bauls helfen, da Maya Krishnas Shakti ist. Diese Maya-/Shakti-Theorie haben die
Bauls vom Caitanya-Vaishnavismus übernommen. Unten wird diese Theorie kurz vorgestellt. In diesem Zusammenhang wird hier Gott stets Krishna genannt, da Gott des CaitanyaVaishnavismus Krishna ist.
Die Caitanya-orientierten Vaisnavs, daher auch die Bauls, bezeichnen die Krishna-MayaBeziehung als acintya-bhedabhed (gleichzeitig dasselbe und verschieden). Hier wird gern
das Beispiel vom Feuer und seiner Hitze zitiert. Sie sind nicht dasselbe, aber auch nicht
voneinander trennbar. Maya ist nicht etwas, das neben Krishna als die zweite Wahrheit existiert. Sie existiert in Krishna und nur in Bezug auf Krishna, onwohl ihre Eigendynamik
unübersehbar ist. Sie hat zwei Funktionen: sie verursacht Unwissenheit (avidya) durch
Verhüllung und sie führt den Menschen in die Irre, indem sie ihm die Welt im falschen Licht
erscheinen läßt. Ferner, wird sie von Krishna benutzt, wenn er irgendjemandem etwas
vortäuschen will. Das Bhagavata-purana X, 13, 18-21 erzählt, daß Krishna mit Hilfe seiner
Maya sich als mehrere Kühe und Kuhhirtenjunge manifestiert hat, um Gott Brahma zu
belehren. Das Bhagavata-purana meint aber, daß die Maya zwar den gewöhnlichen
Menschen in die Irre führt, aber dem Aspiranten hilft, um spirituell weiterzukommen. Als
helfende Kraft wird sie Yogamaya genannt, und als die irreführende Mahamaya. Yogamaya
hilft dem Adepten bei der Reinigung seiner Seele und der Intensivierung seiner Liebe zu
Gott.61 In den Liedern der Bauls findet man den Begriff Yogamaya nicht. Diese erwähnen
meistens den Begriff Maya, wobei beim Gespräch festgestellt wird, daß sie auch den Begriff
Mahamaya kennen. Daß die Maya auch als helfend arbeitet, wird weder in den Liedern noch
im Gespräch behauptet. Die Bauls meinen, daß die Maya den Gedanken des Menschen so
beeinflußt, daß er denkt, das Ziel und der Sinn des Lebens ist die weltliche Freude. Der
Mensch kommt durch seine Sinnesorgane mit der Welt in Berührung. Dies erweckt in ihm
das Verlangen nach diesem und jenem. Er strebt nach dem Gewünschten und versucht das
Unangenehme zu vermeiden. Von seinen Wünschen und Abneigungen getrieben schaukelt
er zwischen Tränen und Lachen. Geblendet von weltlichen Freuden verstrickt er sich im
Netz der Welt. Und je mehr er in den Strudel der Welt einsinkt, um so größer wird die
Entfernung von Krishna. Er vollbringt immer mehr Taten (karma) um immer mehr Freude
zu erlangen und sammelt so ununterbrochen neue Karmas an, die den Kreislauf der
Wiedergeburten aufrechthalten. Der Zustrom der neuen Karmas sichert die Wiedergeburt,
da die getanen Karmas ausgelebt werden müssen. In unzähligen Liedern beschreiben die
61
Detailliert in: Srimad Bhagavatam, ed. und übersetzt von A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupada, Tenth
Canto, Part One, Capters 1-13, Los Angeles, 1987, 51-52
35
Bauls, wie Maya die Menschen in ihrer Gefangenschaft hält und sie in die Irre führt (s.
Anhang Baul-Lieder).
Warum Gott es zuläßt, daß Maya mit dem Menschen dieses Spiel treibt, wird in den Liedern
nicht gefragt. Die Bauls versuchen, alle empirischen Erlebnisse in ihrer subjektiven Welt zu
bearbeiten, ohne gegen Krishna oder Maya Kritik vorzubringen und beklagen sich selbst
über die eigene Leichtsinnigkeit (s. Anhang Baul-Lieder).
Prem (die Gottsliebe sowie die göttliche Liebe), der Weg zur Befreiung
Die Bauls vertreten die Ansicht, daß man sich durch die Gottesliebe, die Caitanya gepredigt
hat, von der Maya befreit. Der Caitanya-Vaishnavismus meint, Krishna und Radha sich in
einer Person, nämlich Caitanya, verkörpert haben. Krishna, der Genießer, konnte sich selbst
nur durch seine Geliebte Radha genießen. Deshalb verkörperte Krishna sich mit Radha in
der Person Caitanyas.62 Caitanya war zur Hälfte Radha und zur anderen Hälfte Krishna.
Diese Verkörperung des männlichen Gottes und seiner weiblichen Shakti in einer Person
war rein innerlich. Biologisch war Caitanya einwandfrei ein Mann. Nur in seinem
Bewußtsein war er Krishna und Radha in einem. Als Radha brachte Caitanya seinem Geliebten Krishna keine Bhakti, die Hingabe eines Untergeordneten, sondern Prem, die Liebe
einer verliebten Närrin entgegen. Prem wird im Caitanya-Vaishnavismus höher geschätzt als
Bhakti, Hingabe, da nach seiner Meinung die Liebe zwischen einem Mann und einer Frau
die intensivste Form der Liebe sei. Krishnadas Kabiraj Gosvami schreibt in Shri-shricaitanya-caritamrita, Adilila IV:
„Die Liebe eines Dieners (dasya), eines Freundes (sakhya),
Der Eltern (vatsalya) und zwischen Mann und Frau (shringar)
Sind die vier Arten der Liebe (41)
Jeder denkt, seine Art sei die beste
Und genießt Krishna auf seine Art (42)
Wenn ich aber genau und unparteiisch (die Arten) untersuche,
(Stelle ich fest,) von allen Arten ist Shringar die süßeste (43).“
Die Bauls glauben nur an die vierte Art der Liebe. Daher wollen sie Gott, den Mann, als
eine Frau lieben (s. Anhang Baul-Lieder). Hierfür sehen die Bauls kein Problem, da sie als
Caitanya-Vaisnavs glauben, die Seelen aller Menschen die Manifestationen von Krishnas
Jiva-shakti sind und da Shakti weiblich ist, sind alle Lebewesen, unabhängig von ihrer
biologischen Geschlechtszugehörigkeit, weiblich (s. Anhang Baul-Lieder).63
Ferner streben sie an, die göttliche Vereinigung von Krishna und Radha, die im Caitanyas
Körper stattgefunden hat, im eigenen Körper zu erleben (s. Kapitel 5). Hierfür braucht der
Baul eine weibliche Person, in die er Radha projiziert. Die Mitstreiterin ist aber auch
gleichzeitig der Wohnort von Gott, hier Krishna (s. Kapitel 4). Daher ist diese Frau Gott
und seine Shakti, bzw. Krishna und Radha in einer Person, wie Caitanya selbst. Die Aufgabe
des Bauls besteht darin, daß er in dieser Frau die Anwesenheit Gottes sieht und sie in
diesem Sinne liebt. Diese Liebe der Bauls, die anscheinend einer Frau entgegengebracht
wird, ist keine körperliche Liebe (kama), sondern göttliche Liebe (prem), die Krishna und
62
S. Krishnadas Kabiraj: Shri-shri-caitanya-caritamrita, Adilila I, 5-6 und IV, 160-164
Über diese Theorie des Caitanya-Vaishnavismus in: Svami Tapasyananda: Shri Caitanya Mahaprabhu. His
Life, Religion and Philosophy, Mylapore, 89
63
36
Radha in Vrindavan erlebt haben. Sie ist frei von jeglichem sexuellen Gefühl (s. Anhang
Baul-Lieder).
Zwei Paare gelten in der Baul-Gemeinschaft als ideale Paare, die Prem verstanden und erlebt haben. Das eine Paar bildet sich aus dem Vaisnava-Dichter Jayadeva64 (ca 1100 n. Chr.)
und seiner Frau Padmavati, und das andere ebenfalls aus einem Vaisnava-Dichter Candidas65
(ca. 1350-1440 n. Chr.) und seiner Geliebten Rajakini (s. Anhang Baul-Lieder). Jayadeva
verfaßte auf Sanskrit in Gedichtform das Buch Gitagovinda (Der Gesang über den
Kuhhirtenjungen), in dem er das Prem, die göttliche Liebe, zwischen Krishna und Radha,
beschrieb. Für manche Europär ist dieses Buch ein rein erotisches Werk,66 aber die Hindus,
hier die Bauls, verstehen die Liebesgeschichte von Krishna und Radha als die mystische
Vereinigung der individuellen Seele (jivatma) mit Gott (paramatma) (s. Anhang BaulLieder).67
Sharira-tattva, Deha-tattva (die mystische Physiologie)
Die Bauls vertreten eine komplizierte Theorie der mystischen Physiologie, die sie das
Sharira-tattva bzw. das Deha-tattva nennen. Sie glauben, daß das ganze Geheimnis der Welt
sich in einem menschlichen Körper verbirgt, und daher der Mensch die Wahrheit in seinem
eigenen Körper suchen muß. Dieser Grundsatz wird in den Liedern immer wieder betont (s.
Anhang Baul-Lieder). Unten werden die einzelnen Punkte der Theorie der mystischen
Physiologie vorgestellt.
Das Manava-janma (die Menschgeburt)
Der Mensch spielt in der Religion des Bauls eine zentrale Rolle, da Gott nur im Menschenkörper erlebt werden kann. Diese Religion hat von den Puranas und dem tantrischen Yoga
die Ansicht übernommen, daß für das Gotteserlebnis die recht komplizierten Cakra- und
Nari-Systeme im Körper (s. unten) die technischen Voraussetzungen sind. Die Cakras, die
Zentren der Transformation, und die Naris, Kanäle, die den Körper mit der Lebenskraft
versorgen, sind nur in einem Menschenkörper vorhanden. Die Pflanzen und Tiere haben
diese nicht. Deshalb wird in der Baul-Religion der Mensch als die wertvollste Schöpfung
Gottes betrachtet. Die Seele muß unzählige Male als Pflanze, Tier und vielleicht sogar als
ein Gott geboren werden, bevor sie einen Menschenkörper erlangt (s. Anhang Baul-Lieder).
Die Reise ist lang und mühsam, aber es lohnt sich, sie gemacht zu haben. Hat die Seele die
Menschgeburt erreicht, soll sie auf keinen Fall das Leben vergeuden, sondern die Chance
wahrnehmen und im eigenen Körper Gott suchen (s. Anhang Baul-Lieder).
Ein Vergleich zwischem dem Pretakalpa des Garura-purana und den Baul-Lieder macht
deutlich, daß die Ansichten der Bauls über die Menschgeburt den Ansichten des klassischen
Hinduismus gleicht. Der Pretakalpa des Garura-purana sagt: „Irgendwann einmal in den
Tausenden und Millionen von Geburten erlangt ein Wesen durch den Schatz seiner guten
Werke menschliches Dasein (XVI, 14),“68 und: „Ohne einen [Menschen-] Leib erreicht
64
Über Jayadeva in: Benjamin Walker: Hindu World. An Encyclopedic Survey of Hinduism, Vol 1, London,
1968, 501
65
Über Candidas in: Ibid., 226
66
Ibid., 501
67
Vgl. Svami Tapasyananda: Shri Caitanya Mahaprabhu. His Life, Religion and Philosophy, Mylapore, 21 und
88-89
68
E. Abegg (Übers.): Der Pretakalpa des Garuda-Purana, Berlin, 215
37
niemand des Menschen höchstes Ziel; deshalb soll man seinen Leib wie einen Schatz hüten
und gute Werke damit vollbringen (XVI, 17).“69
Der Kosmos im menschlichen Körper
Die Bauls glauben, daß der menschliche Körper den ganzen Kosmos in sich verbirgt (s.
Anhang Baul-Lieder). Diese Theorie stimmt mit der Vorstellung der Puranas überein. Der
Pretakalpa des Garura-purana schreibt: "In dem Leibe, wie er in Wahrheit ist, sind alle
Welten, Berge, Kontinente und Meere, die Sonne und die anderen Gestirne (XV, 53).“70
Die Puranas zählen sieben Hauptgebirge, sieben Kontinente, sieben Weltmeere, vierzehn
Welten und neun Planeten.71 Die Namen dieser Gegenstände sind in den verschiedenen
Puranas nicht immer identisch, aber die Zahl sieben ist von allen anerkannt worden. Da die
Baul-Lieder zwar häufig von der Präsenz des Makrokosmos im eigenen Körper erzählen,
diese Theorie aber niemals ausführlich darlegen, müssen mit Puranas Hilfe die Berge etc. im
Körper identifiziert werden. Sie sind zum Teil geographisch nicht vorhanden. Auch im
Körper sind diese mystischen Gegenstände nicht sichtbar. Nur ein fortgeschrittener Yogi
kann sie sehen.
Das Pretakalpa des Garura-purana gibt eine detallierte Aufstellung dieser Gegenstände im
Körper im Kapitel XV:
Die sieben Berge
„In dem [mystischen] Dreieck72 erhebt sich der Berg Meru, in der unteren Ecke desselben
der Mandara, in der Ecke rechts der Kailasa und in der Ecke links der Himacala (60);
an der oberen Seite der Nishadha, an der zur rechten der Gandhamadana, an der zur linken
der Ramana: dies sind die sieben Weltberge (61).“73
Die sieben Kontinente
„In den Knochen befindet sich Jambudvipa, im Mark [Gehirn] Shakadvipa, im Fleisch liegt
Kushadvipa und in den Naris (s. unten) Krauncadvipa (62);
in der Haut Salmalidvipa, in sämtlichen Körperhaaren Gomedadvipa; in den Nägeln findet
man Pushkaradvipa. (Dies sind die sieben Kontinente.) Und nun folgen die Weltmeere
(63):“74
Die sieben Weltmeere
„Ksharoda [Salzwassermeer] ist im Harn, Kshiroda [Milchmeer] in der Milch, Surodhani
[Schnapsmeer] im Schleim, Ghritasagara [Buttermeer] im Mark [und Gehirn] (64);
69
Ibid., 215
Ibid., 206
71
Vgl. W. Kirfel: Die Kosmographie der Inder, Bonn, 1920, 23-61, 128 und 144
72
Gemeint ist das Dreieck, das sich in der Mitte des Muladhara-cakra befindet. Detailliert in: Harish Johari:
Chakras, Körperzentren der Transformation, Basel, 1992, 56-61 und 65
73
E. Abegg (Übers.): Der Pretakalpa des Garuda-Purana, Berlin, 1921, 208
74
Ibid., 208
70
38
Rasodadhi [Saftmeer] findet sich im Chylus [rasa], im Blut ist Dadhisagara [Quarkmeer],
Svadudaka [Süßwassermeer] ist im Halszäpfchen zu erkennen, o Sohn der Vinata (65)!“75
Die Sonne und die sieben Planeten
„Im Nada76 ist die Sonne, und im Bindu77 der Mond; in den Augen ist Mars [Kuja] zu
erkennen, im Herzen ist Merkur [Jña], wie bekannt (66);
in der Vishnustätte (vishnu-cakra)78 findet sich Jupiter [Guru], im Samen [Sukra] die Venus,
im Nabel Saturn [Manda], im Antlitz Rahu, wie bekannt (67).
Im Bereich des Vayu79 ist Ketu: im Körper ist der Planetenkreis (68).“80
Das Brahmanda (Weltei)
Laut hinduistischer Kosmogonie, die in den Puranas enthalten ist, ist das Weltei
(brahmanda) durch die Erde in zwei Teile - die Himmelwelten und die Unterwelten - geteilt.
Es gibt sieben Himmelwelten und sieben Unterwelten.81 Diese ganzen vierzehn Welten
befinden sich in einem Menschen, wie uns die Lieder erzählen (s. Anhang Baul-Lieder).
Diese sind die folgenden:
Die sieben Himmelwelten
1.Bhurloka: Bhurloka ist die Erde mit ihren Kontinenten, Meeren und Höllen.
2. Bhuvarloka: Bhuvarloka liegt zwischen der Erde und der Sonnenbahn. Diese wird von
der Sonne und dem Mond beleuchtet.
3. Svarloka: Svarloka liegt zwischen der Sonnenbahn und dem Polarstern. Die Sonne, der
Mond, die Sterne und die Planeten gehören zu dieser Welt. Svarloka ist der allgemeine
Himmelskörper.
4. Maharloka: Maharloka ist die Welt der Heiligen, deren Lebensdauer eine ganze
Schöpfungsperiode (kalpa) beträgt.
5. Janarloka: Janarloka ist der Wohnort der Söhne Brahmas. Laut Shiva-purana sind sie
Sanaka, Sananda, Sanatana, Kapila, Asuri, Vodhu und Pañcashikha.
75
Ibid., 208
Nada in diesem Zusammenhang bedeutet der mystische Klang, der durch das Zusammensein von Shiva und
Shakti im Körper entsteht. Shiva und Shakti befinden sich zusammen im Muladhara-cakra jeweils als
Svayambhu-linga und Kundalini-shakti. Detailliert in: Harish Johari: Wege zum Tantra, Freiburg im Breisgau,
1987, 51
77
Bindu in diesem Zusammenhang bedeutetdie männliche Energie im statischen Zustand. Detailliert in:
Upendrakumar Das: Shastramulak bharatiy shakti-sadhana, Bd. 1, Kalikata, 1984, 366-369
78
Vishnu-cakra ist ein mystischer unsichtbarer Kreis in der Handfläche, s. M. Monier-Williams: A SanskritEnglish Dictionary, Oxford, 1964, 999
79
Vayu (Wind) bedeutet hier die fünf Arten von Prana (Lebenskraft), detailliert in Swami Gambhirananda (Ed.
und Übers.): Brahma-sutra-bhasya of Sri Shankaracarya, Calcutta, 1993, 540
80
E. Abegg (Übers): Der Pretakalpa des Garuda-Purana, Berlin, 209
81
S. W. Kirfel: Die Kosmographie der Inder, Bonn, 1920, 128-143
76
39
6. Tapoloka: Tapoloka ist die Welt der Meditation. Hier wohnen Götter, die Elemente,
Sinnesorgane und die Materie (s. unten) beherrschen.
7. Satyaloka: Satyaloka ist die Brahma-Welt, die Welt der Wahrheit. Hier wohnen Götter,
die nicht mehr sterben. Hierhin kommen die Enthaltsamen (brahmacari), die die absolute
Wahrheit (satya) erkannt haben. Die Yogis trinken hier den Yoga-Nektar (yogamrita).
Die ersten drei Welten sind vergänglich, die drei letzten dagegen unvergänglich; die dazwischen liegende Maharloka ist von gemischtem Charakter. Sie überlebt die Zerstörung
(pralaya) am Ende einer Schöpfungsperiode (srishti), wird jedoch von den Göttern verlassen.
Die Stellen der Himmelwelten im Körper
Pretakalpa des Garura-purana placiert diese Himmelwelten im Körper im Kapitel XV folgendermaßen:
"Bhurloka ist im Nabel, Bhuvarloka darüber; Svarloka findet sich im Herzen, Mahas
[Maharloka] im Halse (58);
Janaloka ist im Munde, Tapoloka an der Stirn, Satyaloka im Brahmarandra (der Mittelpunkt
im Schädel) (59).“82
Die Aussage des Bauls Krishnendu Das
Die vom Baul Krishnendu Das aufgeführte Liste der sieben Himmelwelten ist identisch mit
der hier schon erwähnten, nur er präsentiert sie in einer anderen Reihenfolge. Seine Liste
lautet: „Bhuh, Bhubah, Svah, Jana, Mahah, Tapah and Satya.“83 Krishnendu Das sagt nicht,
wo genau welche Welt sich im Körper befindet.
Die sieben Unterwelten
Die Puranas berichten, die sieben Unterwelten, die die untere Hälfte des Welteis bilden,
liegen etagenweise aufeinander. Die Namenslisten in verschiedenen Puranas variieren. Die
Unterwelten dürfen nicht mit der Hölle verwechselt werden, wo die Verstorbenen die Strafe
für ihre schlechten Karmas erleiden. Die Unterwelten sind reich und schön. „Die
Sonnenstrahlen erzeugen hier Licht, aber keine Hitze, und die Mondstrahlen leuchten, ohne
Kälte zu erzeugen. Liebliche Wälder, Flüsse, Seen mit Lotusgruppen, das Singen der Kokila
und anderer Vögel, reizende Kleider mit Schmucksachen, duftende Salben, die Töne der
verschiedenen Musikinstrumente, (. . .) bereiten den Bewohnern dieser Räume Genuß, und
selbst ein Erlöster würde hier noch Freude empfinden.“84 Hier wohnen die Asuras, auch
Danavas und Daityas genannt, die mächtigen Feinde und Halbbrüder der Götter.85
82
E. Abegg (Übers.) Der Pretakalpa des Garuda-Purana, Berlin, 1921, 207
Krishnendu Das: The Bauls of Bengal, Calcutta, 64
84
W. Kirfel: Die Kosmographie der Inder, Bonn, 1920, 145
85
Detailliert in: Eckard Schleberger: Die Indiesche Götterwelt, Darmstadt, 1997, 163
83
40
Die Stellen der Unterwelten im Körper
Die Bezeichnungen der Unterwelten und ihre Placierung in verschiedenen Körperteilen
variieren in verschiedenen Schriften. Der Pretakalpa des Garura-purana zählt und placiert in
Kapitel XV die sieben Unterwelten folgendermaßen:
„An der Fußsohle ist Tala, das merke, an der oberen Fläche der Füße Vitala; in den Knien
Sutala, das wisse, in den Schenkeln Mahatala (56);
in den Hüften Talatala, in der Schamgegend Rasatala, in den Lenden Patala: das sind die
bekannten sieben Welten (57).“86
Die Aussage von Baul Krishnendu Das
Baul Krisnendu Das nennt die folgenden Unterwelten, ohne jedoch diese Unterwelten im
Körper zu placieren: Tal, Atal, Bital, Sutal, Talatal, Mahatal and Rasatal.87
Die Aussage der Bauls über ihre eigene Erfahrung
Die Frage, ob der Baul die vierzehn Welten im eigenen Körper gesehen oder wahrgenommen hat, wird von den Baul-Gurus immer positiv beantwortet. Auf die Bitte der Autorin
konnte kein Baul es genau, oder annähernd genau beschreiben, was er in seinem Körper
gesehen hat. Wenn man die Bauls mit Fragen allzusehr belästigt, bekommt man die Antwort, man solle ins Labor kommen und selbst die Versuche vornehmen.
Die vierundzwanzig Tattvas
Zahlreiche Lieder singen von der Prakriti, von den vierundzwanzig Tattvas, drei Gunas,
zehn Indriyas (fünf Wahrnehmungsfunktionen, genannt Jñanendriya und fünf ausführende
Körperteile, genannt Karmendriya), und fünf Elementen (s. Anhang Baul-Lieder). Dies
zeigt, daß die mystische Physiologie nicht nur vom Yoga, sondern auch vom SankhyaSystem88 beeinflußt ist. Da die Lieder die Punkte nur erwähnen, ohne sie zu erläutern,
müssen ihre Aussagen mit Hilfe des Sankhya-Systems verstanden werden. Ohne ausführlich
auf das Sankhya-System einzugehen, werden hier die Punkte erläutert, die zum Verstehen
der Baul-Religion beitragen.
Sankhya zählt zwei Urprinzipien: Purusha (Bewußtsein) und Prakriti (Materie). Purusha ist
unveränderlich, unsterblich und unendlich. Purusha ist der Atma, der beim Tode den verbrauchten Körper verläßt, um sich in einem neuen, den getanen Karmas entsprechenden,
Körper niederzulassen. Der Tod des Körpers trifft den Purusha nicht. Er bedeutet für ihn
lediglich einen Wohnortwechsel. Der Purusha ist rein in seiner Natur. Obwohl er ständig mit
der Prakriti (Materie) in Berührung steht, bleibt er von ihr unbeeinflußt. Prakriti enthält in
sich drei Gunas (Eigenschaften), aus denen alles Materielle in dieser Welt besteht. Diese drei
Gunas sind: Sattva, Rajas und Tamas. Alle Menschen enthalten diese drei Gunas, und sind
je nach der Prädominanz eines der drei Gunas sattvika, rajasika oder tamasika in ihrem
86
E. Abegg (Übers.): Der Pretakalpa des Garuda-Purana, Berlin, 1921, 207
Vgl. Krishnendu Das: The Bauls of Bengal, Calcutta, 64
88
Über das Sankhya-System s. Sarvepalli Radhakrishnan: Indian Philosophy, Vol 2, London, 1977, 248-335
87
41
Wesen und Charakter. Die folgende Strophe in der Bhagavadgita beschreibt, wie die Gunas
auf den Menschen wirken: „Sattva führt zur Freude, Rajas zur Aktivität, o Bharata (gemeint
ist Arjuna), wobei Tamas jedoch Wissen verschleiert und zur Trägheit führt (Bhagavadgita
XIV, 9).“ Wenn die Gunas in der Prakriti sich im vollkommenen Gleichgewicht befinden, ist
sie inaktiv. Sie verliert aber ihr Gleichgewicht, wenn sie mit dem Purusha in Berührung
kommt. Dies ist auch der Zeitpunkt, in dem ihre Entfaltung als vierundzwanzig Tattvas
beginnt. Dies geschieht in folgender Reihenfolge:
Die vyakta Prakriti (manifestierte Prakriti) → Buddhi (Intellekt), auch Mahat (der kosmische Intellekt) genannt → Ahankara (Ich-Bewußtsein) → fünf Tanmatras („Feinelemente“
Elemente des Geräusches, Tastens, Geruchs, der Form / Farbe und Geschmacks) → Manas
(Geist) → fünf Jnanendriyas (Sinnesorgane: die Funktionen vom Sehen, Hören, Riechen,
Schmecken und Berühren) → fünf Karmendriyas (ausführende Körperteile: Zunge, Füße,
Hände, Ausscheidungsorgane und Reproduktionsorgane) und → fünf Dhatus, auch Bhutas
bzw. Mahabhutas (Großelemente: Erde, Wasser, Wind, Feuer, Äther) genannt.
Jede Kategorie ist feiner als die darauffolgende. Dies ist in Kürze die Theorie der Tattvas.
Die Gelehrten aus dem Caitanya-Vaishnavismus teilen Prakriti in Para-prakriti bzw. Svarupa-prakriti und Apara-prakriti bzw. Bahiranga-prakriti. Die erste ist Sat, Cit, Ananda
(Existenz, Bewußtsein, Glückseligkeit) und die zweite ist Maya.28 Die Bauls kennen jedoch
diese feinen Unterschiede der Prakriti nicht. Für sie ist die Prakriti Gottes Shakti, die mit
Maya (s. oben) identisch ist. In ihren Liedern erwähnen die Bauls vierundzwanzig Tattvas
im menschlichen Körper (s. Anhang Baul-Lieder).
Ripus (Feinde) und Darajas / Duyaras (Türen)
Es gibt noch weitere Details im Körper, mit denen sich die Bauls gedanklich beschäftigen.
Die sechs Ripus (Feinde) im eigenen Körper, Kama (Sinnenfreude), Krodha (Zorn), Lobha
(Habgier), Moha (Verblendung), Mada (Rausch) und Matsarya (Neid), werden in Liedern
als Widersacher dargestellt. Diese warten wie Diebe oder Räuber auf die günstige Gelegenheit, wenn die Bauls unachtsam werden, damit sie alle ihre spirituellen Bemühungen
zunichte machen können. Auffallend ist ihre Heimtücke (s. Anhang Baul-Lieder).
Die Bauls singen auch von neun Öffnungen, die der Körper hat (s. Anhang Baul-Lieder).
Diese sind: die Ohren, Augen, Nasenlöcher, der Mund, Anus und das Geschlechtsorgan.
Der Baul nennt sie in seinen Liedern Darja, Duyar, d. h. Türen. Durch die Öffnungen dringt
die Außenwelt in den Menschen ein, lockt ihn an und lenkt ihn von Gott ab. Außerdem,
durch die Öffnungen, besonders durch das Geschlechtsorgan, verliert der Baul wertvolle
Energie, die er zurückhalten muß, um die Kundalini-shakti (s. unten) in seinem Körper zu
erwecken. Die Yoga-Übungen verleihen dem Baul die Fähigkeit die Öffnungen zu schließen. Während der Yoga-Übung muß er in der Lage sein, die neuen Öffnungen zu schließen,
mit seiner ganzen Konzentration die Kundalini-shakti im Muladhara-cakra (s. unten) zu
wecken und sie zum Ajña-cakra (s. unten) zu schicken, wo sie sich mit Gott vereinigt. In
der Vereinigung zwischen Gott und Kundalini-shakti erlebt der Baul seine eigene mystische
Vereinigung mit Gott (s. Kapitel 5). Wenn er nicht in der Lage ist, die Öffnungen zu
schließen, dringt während der Übung die Außenwelt in ihn ein, die Maya beherrscht seinen
Gedanken und er verliert die Energie, indem diese durch die Öffnungen den Körper verlassen und in die Außenwelt dringen. Dies macht die Wirkung der Yoga-Übung zunichte. Die
42
Kundalini-shakti schläft weiterhin im Muladhara-cakra, der Baul befindet sich weiterhin
unter Mayas Herrschaft und erlebt Gott nicht.
Die Theorie der mystischen Bedeutung der neun Öffnungen ist alt und wird auch in den
Upanishaden und in der Bhagavadgita vertreten. Katha-upanisad II, ii, 1 zählt elf Türen.
Diese sind die oben erwähnten plus der Nabel. Die Bhagavadgita V, 13 beschreibt den Zustand eines Menschen, der seinen Körper als das Gehäuse benutzt und ihn vollkommen beherrscht, folgendermaßen:
„Ein Körperbesitzender (dehi, d. h. Mensch), der sich durch seinen Gedanken von allen
Aktivitäten zurückgezogen hat, lebt fröhlich in der Stadt der neun Türen, ohne etwas zu tun
oder auch eine Tat zu veranlassen.“
Die Öffnungen sollen nicht nur für die passive Funktion, Schließung, damit zwischen der
Außen- und Innenwelt kein Austausch stattfindet, trainiert werden, sondern sie müssen den
Adepten auch aktiv unterstützen, indem sie durch die Maya verblendet ihm die Welt nicht
falsch vermitteln, sondern das Licht des Wissens in sich scheinen lassen. So sagt Krishna in
der Bhagavadgita XIV, 11:
„Wenn an allen Türen dieses Körpers das Licht der Intelligenz scheint, dann soll (man)
wissen, daß (in diesem Körper) Sattva prädominant ist."
Es ist eindeutig, daß die Bauls die menschlichen Gefühle, welche die Ripus darstellen, als
ein Hindernis auf dem Wege des Gotteserlebnis sehen. Die Öffnungen sorgen für den
Austausch mit der Außenwelt. Der Baul, lernt die Theorie der neun Öffnungen der Bhagavadgita von seinem Guru und gibt sie seinem Schüler weiter. (s. Anhang Baul-Lieder)
Naris (Kanäle im Körper)
Ein weiterer wichtiger Aspekte der mystischen Physiologie sind die Naris im Körper. Naris
sind die Kanäle, die im Körper das Versorgungsnetz bilden. Der Yoga vertritt die Meinung,
daß der Körper mit einer großen Anzahl von Kanälen versehen ist. Diese führen dem Körper die Lebenskraft (prana) zu und verteilen sie im ganzen Körper. Die Zufuhr und Verteilung geschieht in jedem Körper, jedoch nicht optimal. Das optimale Ergebnis kann durch
korrekte Atemübungen, die der Yoga vorschreibt, erzielt werden. Hathayoga-pradipika I,
39 zählt zweiundsiebzigtausend Kanäle im Körper. Shiva-samhita II, 13-16 zählen insgesamt dreihundertundfünftausend Kanäle. Sharada-tilaka I, 43 schreibt: „Es gibt unzählige
Kanäle.“ Es ist offensichtlich, daß es verschiedene Meinungen über die Gesamtzahl der
Naris gibt.
Die Baul-Lieder machen keine einheitlichen Angaben über die Gesamtzahl der Naris. Im
Gespräch behaupten die Bauls, es gäbe Hunderte, Tausende, Millionen von Naris im Körper, ohne jedoch etwas Näheres und Genaueres darüber zu sagen (s. Anhang Baul-Lieder)
Die zehn wichtigsten Naris im Tantra
Das Tantra nennt zehn wichtigen Naris, die mit den zehn Öffnungen des Körpers verbunden
sind.89 Die neun Öffnungen sind für jeden Menschen wahrnehmbar. Die neun Naris mit den
89
Vgl. Harish Johari: Chakras, Körperzentren der Transformation, Basel, 1992, 29-43
43
neun Öffnungen sind: Ira-nari mit dem linken Nasenloch, Pingala-nari mit dem rechten
Nasenloch, Gandhari-Nari mit dem linken Auge, Hastijihva-nari mit dem rechten Auge,
Yashasvini-nari mit dem linken Ohr, Pusha-nari mit dem rechten Ohr, Alambusa-nari mit
dem Mund, Kuhu-nari mit den Genitalien und Shankhini-nari mit dem Anus. Die zehnte
Öffnung ist die Fontanelle. Die Sushumna-nari ist mit dieser Öffnung verbunden. Die zehnte
Öffnung bleibt normalerweise zu. Sie öffnet sich nur dann, wenn die Seele beim Tod den
Körper durch die Fontanelle verläßt. Dies geschieht nur bei den Erleuchteten Yogis.
Die drei wichtigsten Naris in der Baul-Religion
Für die Bauls sind die Sushumna-nari, die Ira-nari und die Pingala-nari die wichtigsten aller
Kanäle. Die Sushumna-nari fließt senkrecht vom Muladhara-cakra bis zum Sahasrara-cakra
durch die Wirbelsäule. Unterwegs durchquert sie die anderen Cakras (s. unten). Bei NichtYogis bleibt Sushumna-nari mit Schleim und Galle verstopft und läßt nichts durch Die Iraund Pingala-nari, die mehrfach die Sushumna-nari umwinden, fließen jeweils links und
rechts von der Sushumna-nari. Sushumna, Ira und Pingala enden jeweils in der Fontanelle,
im linken Nasenloch und im rechten Nasenloch. Die Naris werden in den Liedern manchmal
mit den heiligen Flüssen Sarasvati, Ganges und Yamuna verglichen (s. Anhang BaulLieder), die sich im Muladhara-cakra einer Frau treffen und während der Menstruation dort
für die Flut sorgen (s. Kapitel 5). Im Muladhara-cakra (s. unten) sind die drei Naris
miteinander verbunden, und werden daher in diesem Status Yuktaveni, d. h. miteinander
verbundene Strömungen, genannt. Wenn sie das Muladhara-cakra verlassen, trennen sie
sich. Im Ajña-cakra (s. unten) treffen sie sich wieder, sind aber hier nicht miteinander verbunden, Daher werden sie in diesem Status Muktaveni, d. h. die voneinander befreite
Strömung, genannt. Die drei Kanäle werden für den tantrischen Yoga benötigt (s. Kapitel
5). Außerdem führt die korrekte Versorgung der Lebenskraft durch die Kanäle dazu, daß
der Mensch gesund lebt und die Harmonie zwischen der Außen- und Innenwelt erlangt.
Gesundheit ist die indirekte und Geistesharmonie die direkte Voraussetzung für das Gotteserlebnis. Nur ein gesunder Körper ist imstande, die Anstrengungen der Yoga-Übungen
durchzustehen. Die Harmonie des Geistes ist wiederum notwendig, um Gott zu erleben. Ein
unruhiger Geist ist nicht in der Lage, Gott zu empfangen. Die korrekte Versorgung setzt
gereinigte Kanäle voraus, die normalerweise mit Galle und Schleim verstopft sind.
Hathayoga-pradipika II schreibt: In ihren Liedern stellen die Bauls hauptsächlich Ira-, Pingala- und Sushumna-nari vor (s. Anhang Baul-Lieder)
Cakras (die Zentren) und die Kundalini-shakti im Körper
Die Bauls glauben, daß der menschliche Körper mehrere Zentren in sich birgt. Die Bauls
nennen diese Kotha (Zimmer, Etagen) oder Cakra. Diese Zentren im Körper sind unsichtbar. Eine chirurgische Sektion kann diese Zentren nicht nachweisen. Jedes Zentrum ist der
Sitz bestimmter Aspekte des Bewußtseins. Durch die Aktivierung dieser Zentren ist es
möglich, die mysteriösen, verborgenen Kräfte im eigenen Körper zu entdecken, was für das
Gotteserlebnis unbedingt nötig ist. Diese Kräfte sind in allen Menschenkörpern immer vorhanden, nur bei einem Laien bleiben sie ungenutzt. Das Ziel des Bauls ist es, mit Hilfe dieser
Kräfte die Nähe Gottes zu erreichen. Gott ist das kosmische Bewußtsein (paramatma), der
Mensch das individuelle Bewußtsein (jivatma). Da diese Zentren die bis dahin unentdeckten
Kräfte im Körper in Bewegung setzen und die transzendentale Begegnung des kosmischen
und individuellen Bewußtseins ermöglichen, werden sie als Antriebskräfte des menschlichen
Körpers betrachtet und mit Wagenrädern verglichen. Der Baul vergleicht diese Zentren mit
dem Lotus (s. Anhang Baul-Lieder). Die Farben der Blütenblätter in verschiedenen Zentren
44
sind verschieden. Die Anzahl der Blütenblätter deutet auf die Anzahl der unsichtbaren
Kanäle (nari), mit denen die Cakras verbunden sind. Jedes Zentrum wird von einer anderen
Luft (vayu) beherrscht. Hier soll erwähnt werden, daß im Hinduismus zahlreiche
voneinander abweichende Theorien über die Cakras und deren Bedeutungen gibt. Hier wird
nur die Vorstellung der Bauls berücksichtigt.
Die Zählung der Zentren fängt unten an. So befindet sich das erste Zentrum, das Muladhara-cakra, zwischen dem Anus und den Genitalien gefolgt vom Svadhisthana-cakra in den
Genitalien, Manipura-cakra im Nabel, Anahata-cakra im Herzen, Vishuddha-cakra in der
Kehle, Ajña-cakra zwischen den Augenbrauen und Sahasrara-cakra, in der Fontanelle.
Für die Bauls sind das Muladhara-cakra, Ajña-cakra und Sahasrara-cakra von großer Bedeutung, weil in den ersten beiden Cakras Gott sich mit seiner Shakti trifft (s. Kapitel 5) und
das letzgenannte Gottes Wohnort ist. Außerdem ist das Ajña-cakra der Sitz des Gurus (s.
Anhang Baul-Lieder).
Im Muladhara-cakra schläft die Kundalini-shakti. Die Kundalini-shakti ist in diesem Zusammenhang die weibliche Energie Gottes. Das Wort Kundali bedeutet: gewunden. Sie wird
Kundalini-shakti genannt, weil sie sich, während sie schläft, wie eine Schlange windet. Sie
wohnt im Muladhara-cakra getrennt von Gott, der im Ajña-cakra und auch im Sahasraracakra wohnt. Solange Kundalini-shakti getrennt von Gott im Muladhara wie eine
gewundene Schlange schläft, ist für den Menschen das Gotteserlebnis nicht möglich. Deshalb muß der Baul sie durch yogische Atemübungen aufwecken. Wenn sie aufwacht, will sie
unverzüglich nach oben zu Gott. Wie weit sie aber vorankommt, hängt davon ab, wie weit
die Sushumna-nari (s. oben) gereinigt ist. Ist die Sushumna-nari gereinigt worden, schießt
Kundalini-shakti bis zum Ajña-cakra und vereinigt sich dort mit Gott. In dieser Vereinigung
zwischen Gott und seiner Shakti erlebt der Baul Gott. Ira- und Pingala-nari haben einen
Einfluß auf Kundalini-shaktis Bewegung, obwohl sie als Gottes Energie durch die
Sushumna-nari fließt.90
Da die Lieder nichr ausführlich über die Kundalini-shakti beschreiben, werden hier einige
Strophen Hathayoga-pradipikas, die sehr genau die Theorie der Kundalini-shakti der BaulReligion vorstellen, zitiert. Im Kapitel 3 schreibt diese heilige Schrift:
„Die Kundalini-shakti schläft
In der Höhle (d.h. im Muladhara-cakra).
(Sie) befreit den Yogi
Hält aber den Unwissenden gefangen
(Im Kreislauf der Wiedergeburten).
Wer dies weiß, der wird frei sein (107).
Kundalini, die eine komplizierte Form hat (kutilakara),
Wird als eine Schlage beschrieben.
Wer diese Shakti in Bewegung setzt,
Der wird ohne Zweifel befreit (108).
Ira-(nari) ist die Bhagavati-ganga (d. h. Ganges),
Pingala-nari ist (der heilige Fluß) Yamuna.
Zwischen Ira und Pingala (sitzt)
Die junge Frau Kundalini (110).
90
Vgl. Hathayoga-pradipika IV, 18
45
Packe die Schlange am Schwanz
(Und) wecke die Schlafende.
Hat die Shakti den Schlaf abgeschüttelt,
Richtet sie plötzlich ihren Schlund nach oben (111).“
Das Buch empfiehlt verschiedene Atemübungen, die Kundalini-shakti erwecken. Das Sharada-tilaka-tantra XXV, 64 schreibt, daß die Kundalini-shakti Gott nicht im Ajña-cakra,
sondern im Sahasrara trifft. Augenscheinlich bestehen in dieser Hinsicht verschiedene
Meinungen. Die Bauls glauben jedoch, daß das Treffen im Ajña-cakra stattfindet.
Der Hauptgewicht des mystischen Konzepts über die Naris und Cakras der Baul-Religion
liegt an folgenden Punkten: Kundalini-shakti schläft im Muladhara-cakra, wacht auf durch
Atemübungen des Yogis, bewegt sich nach oben durch die Sushumna-nari, vereinigt sich
mit Gott im Ajña-cakra und diese Vereinigung spendet dem Menschen Glückseligkeit. Der
Baul hält sich an diesen Schwerpunkten fest und will nicht viel Theoretisches über das
komplizierte Nari- oder Cakra-System des Yogas und Tantras wissen. Die Bedeutung des
Nari-und Cakra-Systems reduziert sich für ihn auf die Aktivitäten der Sushumna-nari,
Muladhara- und Ajña-cakra und die Kundalini-shakti, ohne deren Mitwirkung er Gott nicht
erleben kann. So wird in den Liedern hauptsächlich nur auf diese Punkte eingegangen (s.
Anhang Baul-Lieder).
Granthis (Knoten) im Körper
Es gibt drei, wiederum unsichtbare Granthis, d. h. Knoten im Körper, die nach drei Göttern
genannt werden. Diese sind: Brahma-granthi, Vishnu-granthi und Rudra-granthi. Die
Granthis befinden sich jeweils in der Nabelgegend, der Herzgegend und zwischen zwei
Augenbrauen, wo sich auch das Ajña-cakra befindet. Der Brahma-granthi, genannt nach
dem Schöpfungsgott Brahma, befindet sich in der Nabelgegend, da diese Gegend die Welt
der Namen (nama) und Formen (rupa) darstellt. Der Vishnu-granthi befindet sich in der
Herzgegend. Dieser Knoten motiviert den Menschen, alles Positive zu erhalten. Da dieser
Granthi einen zum Bewahren bewegt, wird er nach Gott Vishnu, dem Erhalter, genannt.
Obwohl dieser Knoten den Menschen zur positiven Tat motiviert, hält er ihn doch fern von
Gott, denn jede mit Motivation getane Tat hält den Kreis des Karmas - Tat - Folge -Tat aufrecht. Der Rudra-granthi befindet sich im Stirnbereich. Dieser Knoten wird nach Rudra,
Gott der Zerstörung, genannt, weil der Mensch, der diesen Knoten gelöst hat, auch gleichzeitig alle materiellen und spirituellen Bindungen gelöst und sich mit Brahman / Gott vereinigt hat. Die drei Knoten muß man sich wie drei Hürden im Hindernislauf vorstellen. Die
Kundalini-shakti steigt höher und löst einen Knoten nach dem anderen. Die Bauls sehen zu,
daß die Kundalini-shakti den letzten Knoten nicht löst, damit der Mensch seine scheinbar
separate Existenz bewahrt. Die Dualität ist nötig, um Gott zu genießen (s. Anhang BaulLieder). Hathayoga-pradipika IV schreibt, was geschieht, wenn die Kundalini-shakti die
Rudra-granthi löst:
„Ist der Rudra-Knoten gelöst,
Steigt der Atem bis zu Gottes heiligen Wohnort (76).
Hier wird der Geist eins (mit Gott).
(D. h. hier löst sich der Geist des Yogis im Brahman auf.)
Dies wird Rajayoga genannt.
Er ist jetzt der Herr der Schöpfung und Zerstörung.
Nun wird der Yogi zum Gott (Ishvar) (77).“
46
Es gibt einzelne, sehr wenige Lieder, die die Kundalini-shakti nicht nur bis zum Ajña-cakra
schicken wollen, sondern bis zum Sahasrara-cakra (s. Anhang Baul-Lieder, Lied ). Dies
bedeutet jedoch, daß der Yogi im Brahman aufgeht. Er behält keine scheinbar separate Existenz, die er braucht, um Gott zu genießen.
Candra / Cãd (die Monde im Körper)
Die Bauls vertreten die Meinung, daß sich im Körper vierundzwanzigeinhalb Candras bzw.
Cãd, Monde und noch einmal acht Monde verstecken. Die vierundzwanzigeinhalb Monde
verteilen sich im Körper folgendermaßen: zehn Monde in zehn Fingernägeln, zehn in den
zehn Zehennägeln, in den beiden Wangen jeweils einer, einer in der Unterlippe, einer in der
Zunge und ein halber Mond auf der Stirn. Die acht Monde sind vorhanden: im Mund einer,
in beiden Brüsten jeweils einer, in beiden Händen jeweils einer, im Brustkorb einer, im
Nabel einer und im Geschlechtsorgan einer. Die Lieder erzählen von den Monden ohne
diese zu entschlüsseln (s. Anhang Baul-Lieder). Die Bauls erläutern jedoch die Lieder
bereitwillig, wenn man sie danach fragt.
Mukti (die Befreiung) in der Baul-Religion
Das Ziel der Baul-Religion ist die Mukti (Befreiung). Das, was die Baul sich unter Befreiung vorstellen, entspricht dem Befreiungskonzept des Caitanya-Vaishnavismus. Die Bauls
glauben, daß ein befreiter Mensch 1. vom Kreislauf der Wiedergeburten befreit ist und 2.
ewig in Gottes Nähe weiterlebt. Die Bauls teilen die Meinung der Tantriks, daß wenn die
Kundalini-shakti eines Adepten das Sahasrara-cakra erreicht, der Adept selbst zum Gott
(ishvar) wird (Hathayoga-pradipika IV, 76-77). Im Gegensatz zu den Tantriks, wollen die
Bauls sich nicht in der höchsten Wahrheit auflösen, da sie dann ihre separate Existenz verlieren und daher Gott nicht mehr genießen können. In ihren Liedern warnen die Bauls davor, daß der Adept bei der Yogaübung die Kundalini-shakti nicht das Sahasrara-cakra betreten läßt, sondern sie im Ajña-cakra festhält, da dies die letzte Stufe der Dualität ist (s.
Anhang Baul-Lieder).
Obwohl das Ziel der Bauls mit dem Ziel des Caitanya-Vaishnavismus identisch ist, ist doch
der Weg, der die Bauls zu diesem Ziel führt, ein anderer als der des Caitanya-Vaishnavismus. Der Weg des Caitanya-Vaishnavismus ist die Gottesliebe. Die Bauls jedoch glauben,
daß nur ein bestimmter tantrischer Yoga einen Menschen zum Ziel führt (s. Kapitel 5).
Durch diesen Yoga erlebt der Baul Gott im eigenen Körper. Dieses Erlebnis befreit ihn vom
Kreislauf der Wiedergeburten und ermöglicht ihm Gottes Nähe für die Ewigkeit. Obwohl
die Lieder keine Aussage über den Himmel machen, ist es eindeutig, daß die Bauls an
Goloka glauben, den Himmel des Caitanya-Vaishnavismus, wo die befreiten Krishna-Anhänger in Krishnas Gesellschaft (parikara) leben. Denn sie glauben, daß ein Befreiter nach
seinem Tod in Gottes Nähe leben wird.
Auch wenn der tantrische Yoga zum Ziel führt, ohne Gottesliebe ist dieser Yoga nicht
praktizierbar. Der Baul muß Gott so lieben, wie Radha Krishna geliebt hat. Hier wird wieder der Caitanya-Vaishnavismus-Aspekt der Baul-Religion deutlich. Die Intensität dieser
Liebe ist die erste Voraussetzung für die spirituelle Disziplin der Caitanya-orientierten
Vaisnavs, also auch für die Bauls. Candidas hat in seinen Liedern diese Liebe vorgestellt (s.
Anhang Lieder von Candisdas). Der Zustand der Gottesnärrin Radha gilt als der ideale
Zustand bei den Bauls. Die Gottesliebe soll überwältigend sein, damit sie die Welt verges-
47
sen. Nur dann werden sie in der Lage sein, sich vollkommen auf Gott zu konzentrieren und
den tantrischen Yoga zu üben, der sie dann befreit.
In ihren Liedern machen die Bauls keine Aussage darüber, was mit einem befreiten
Menschen geschieht, der noch einige Jahre auf der Welt leben muß, um seine alten Karmas
auszuleben. Während der Gespräche wurde es aber deutlich, daß sie ihre Gurus für befreite
Menschen halten. Dies bedeutet, daß sie an die Theorie des Jivanmuktas glauben. Jivanmukta ist jemand, der schon befreit ist, aber noch einige Jahre auf der Erde leben und leiden muß, um seine alten Karmas auszuleben. Neue Karmas bleiben jedoch wirkungslos, da
er die Wahrheit erfahren hat.
Untersuchungsergebnisse
1. Die Baul-Gemeinschaft hat philosophische Gedanken, jedoch keine systematische Philisophie, wie z. B. das Advaitavada oder Vishishta-advaitavada. Die philosophieschen Gedanken und die Religion der Baul-Gemeinschaft ist eine Zusammenstellung verschiedener
Vorstellungen und Theorien verschiedener Richtungen des Hinduismus, wobei die Einflüsse
vom Caitanya-Vaishnavismus und Tantra die größten sind.
2. Die philosophischen Gedanken und die Religion der Baul-Gemeinschaft befähigt ihre
Anhänger, der objektiven Welt eine vollkommene subjektive Interpretation zu verleihen und
introvertiert in dieser subjektiven Welt relativ friedlich zu leben. Sie verleiht ihren
Anhängern die Kraft zu glauben, daß vor Gottes Auge sie den den drei oberen Kasten
gleichwertig sind. Ihre Religion gibt den Bauls ein Ziel vor, für das es sich lohnt zu arbeiten
und zu leben.
3. Die Baul-Religion steht der Welt mit einer positiven Haltung gegenüber. Die Welt ist nur
dann ein Jammertal, wenn sie getrennt von Gott gesehen wird. Die Aufgabe des Menschen
ist nicht die Askese, sondern alles als die Manifestation Gottes zu betrachten. Daher braucht
er auf nichts zu verzichten, kann alles genießen, ohne sich an die Erscheinungsformen zu
klammern.
4. Die Gottesliebe (prem) und die mystische Physiologie (sharira-tattva, deha-tattva) sind
zwei Schwerpunkte der Baul-Religion, wobei der erstgenannte vom Caitanya-Vaishnavismus und der letztgenannte vom Tantra beeinflußt sind. Die Lehre und Praxis der Liebe ist
eng mit der mystischen Physiologie verbunden. Die Kenntnisse über die mystische Physiologie inst die Voraussätzung für die Praxis dieser Religion.
5. Ferner, sind in diesem Zweig der Religion alle wichtigen Aspekte des Hinduismus, wie
Brahman (die höchste Wahrheit), Ishvar (Gott), Atma (individuelle Seele), Maya (falsche
Auffassung der Welt), Karma, Wiedergeburt, Yuga (Schöpfungszyklen) zu finden.
48
Kapitel 4
Die Gottesbilder der Baul-Religion
Die Bauls sind Dualisten. Sie glauben an Gott, aber sie haben keine systematische Theorie
von Ishvar oder Bhagavan des Vishishta-advaitavada. Gott der Bauls ist eine unsystematische Zusammenstellung von Kenntnissen, die sie von ihrem Guru vermittelt bekommen
haben und die sie durch Beobachtung ihrer Umwelt, Teilnahme an Diskussionen und Hören
der professionellen und halbprofessionellen Prediger in Dörfern erworben haben. Diese
Zusammenstellung enthält viele Wiedersprüche in sich. Daher kann hier von Gottesbilder
gesprochen werden, die neben einander stehen.
Das von den Puranas beeinflußte Gottesbild
Die Puranas haben einen unübersehbaren Einfluß auf das Gottesbild der Baul-Gemeinschaft
aus. Die Puranas sind die Veden der einfachen Hindus. Als smritis sind diese Bücher für die
Shudras und Kastenlosen nicht verboten. Die Puranas gehören zu den populärsten
Erzählstoffen Indiens, die zu den religiösen und säkularen Anlässen, auf den Jahrmärkten
und als Gutenachtgeschichten erzählt werden. Es gibt keinen von der Religion geprägten
Kulturzweig, sei es der populäre traditionelle indische, wie Yatra, Pala (Theater) oder Kabir
gan (Ballade), sei es der von Europa eingeführte, wie die Filmindustrie, der nicht von den
Puranas durchdrungen ist. Die mündliche Überlieferung und die audiovisuelle Darstellung
sorgen dafür, daß die Legenden der Puranas am Leben erhalten bleiben und alle
Volksschichten erreichen. Mit viel Phantasie und dramatischer Dichtkunst erzählen sie von
den Heldentaten und Liebesgeschichten der Götter, von den Errungenschaften und Lebensläufen der Heiligen, den Geschichten der königlichen Linien mit all ihrer Glorie, Intrige
und Schicksalsschlägen, Kosmogonie, von den obligatorischen Pilgerfahrten und Bußen und
von vielen anderen Dingen. Die Legenden in den Puranas sind oft so sehr ineinander
verstrickt, daß der Leser häufig den Faden verliert, aber dies beeinflußt nicht den Gesamteindruck, der zum Schluß übrig bleibt: Gott ist allmächtig und erhaben, in seinen
Händen liegt das Schicksal des Menschen. Er ist anthropomorph. Als die allmächtige, liebevolle, aber auch strenge Autorität trägt er sie die Verantwortung für die Welt, sorgt für
Ordnung und Gerechtigkeit, belohnt den Guten und bestraft den Bösen. Obwohl das
Karma-Gesetz anerkannt wird, bestimmt Gott den Lauf der Welt. Er plant und führt durch,
was für die Welt gut ist. Er nimmt die Sache selbst in die Hand, wenn die Welt einmal in
Unordnung gerät. Die Hauptgötter sind auch die Beschützer anderer Götter, deren Herrschaft über das Himmelreich immer wieder von ihren Widersachern, den Asuras, bedroht
wird. Parallel zu den bildhaften Darstellungen haben die Puranas ihre Hauptgötter philosophisch analysiert und diese mit dem Brahman der Upanishaden gleichgesetzt. Das formlose
Brahman erscheint als Gott Vishnu, Shiva oder Göttin Kali. So sind die puranischen Götter
identisch mit dem formlosen Brahman der Upanishaden. Die Götter sind reine Erscheinungsbilder, sie existieren nur im Zusammenhang mit Brahman. Die Lieder demonstrieren,
daß die Bauls diese Lehre der Puranas kennen (s. Anhang Baul-Lieder).
49
Die Beziehungen des Bauls mit Gott
Die Bauls projizieren ihre Familien-Beziehungen, wie etwa die Mutter-Kind- und die VaterKind-Beziehung, und die gesellschaftlichen Beziehungen auf Gott. Die Bauls verhalten sich
distanzierter, wenn sie Gott als Vater beschreiben, als wenn sie Gott als Mutter beschreiben
(s. Anhang Baul-Lieder). Im Zutrauen zu Gott, der Mutter und der Distanziertheit zu Gott,
dem Vater spiegelt sich die patriarchalische Gesellschaft. Ferner, die Zutraulichkeit zu Gott,
der Mutter, ist vom Tantra und dem Kali-Kult von Ramakrishna in West Bengal beeinflußt.
Bauls, die als Tagelöhner, Fischer, Bauern etc. arbeiten, beschreiben Gott auch als ihren
Herrn (prabhu), dem sie für alles dankbar sind (s. Anhang Baul-Lieder). Die Unterwürfigkeit, welche die Lieder vorstellen, die Gott als den Herrn beschreiben, ist auch die, welche
die Shudras und Kastenlosen in der indischen Gesellschaft den Herren aus den drei oberen
Kasten entgegenbringen.
Gott und Götter verhalten sich wie die Dorfbewohner
Gott der Bauls ist aber, außer daß er allmächtig ist, den Menschen sehr ähnlich. Er findet
Freude an denselben Sachen wie der Baul selbst, z. B. an der Vereinigung mit der Partnerin,
wie Krishna mit seiner weiblichen Energie Radha (s. unten), oder am Hanfrauchen, wie
Shiva. Oft ist Gott in den Liedern ein einfacher Mensch, ein Nachbar, den die Bauls in ihrem
Dorf kennen (s. Anhang Baul-Lieder)
Das vom Tantra beeinflußte Gottesbild
Viele Lieder schreiben Gott für den Hinduismus ungewöhnliche Aktivitäten zu. Die Aktivitäten kann Gott nur in einem weiblichen Körper durchführen. In einem männlichen Körper
ist er gezwungen, sich relativ passiv zu verhalten. Hier eine kurze Darstellung der Aktivitäten Gottes: Gott wohnt im Sahasrara-cakra, das sich im Schädel einer Frau befindet.
Wenn diese Frau ihre Menstruation bekommt, kommt Gott von seinem Wohnsitz herunter,
um seine Shakti, die im Beckenplexus wohnt und in dieser Zeit lebhaft wird, zu treffen. Um
herunter zu kommen benutzt er den Kanal Sushumna-nari (s. Kapitel 3) als Weg. Im
Beckenplexus vereinigt er sich mit ihr auf mystische Weise und wird dadurch glücklich. Er
weilt hier drei Tage lang. Am vierten Tag kehrt er zu seinem Wohnort zurück. Während
seines Aufenthaltes im Beckenplexus wird er unaufmerksam. Der zielgerichtete Baul nutzt
diese Gelegenheit, um ihn zu fangen (s. Kapitel 5). Zahlreiche Lieder beschreiben dieses
Treffen (s. Anhang Baul-Lieder).
Die Reise des Menschen des Herzens und sein Treffen mit der weiblichen Energie im Bekkenplexus ist eine umgedrehte Interpretation des tantrischen Maithun, wonach Shakti, die
sich im Beckenplexus eines Menschen befindet, senkrecht aufsteigt und Shiva, im Sahasrara-cakra oder im Ajña-cakra trifft.91 Die Bauls kennen die tantrischen Schriften nicht.
Da Bengal aber einer der Standorte des Tantra ist, leben die Bauls nicht ganz unbeeinflußt
von ihm. Es ist eine natürliche Folge, daß sie von ihrem Umfeld tantrische Lehren und
Übungen aufnehmen. Da der Wissenstransfer nicht sachkundig geschieht, werden die tantrischen Lehren zum Teil richtig, zum Teil aber auch falsch vermittelt. Die Theorie des
91
Vgl. Sharada-tilaka-tantra XXV, 64
50
Treffens ist ein Produkt des lückenhaften Wissens vermischt mit Phantasie. Zahlreiche
Lieder stellen diese Aktivitäten Gottes dar (s. Anhang Baul-Lieder).
Auch die Theorie der Baul-Religion, Gott wohnt im Sahasrara-cakra, zeigt den Einfluß
Tantras auf das Gottesbild der Baul-Gemeinschaft. Das Tantra glaubt, daß Shiva im Sahasrara-cakra wohnt. Zahlreiche Lieder beschreiben diese Theorie (s. Anhang Baul-Lieder).
Dieser vom Tantra beeinflußte Gott ist eine Nachahmung von Shiva der Shakti-Verehrer. In
den tantrischen Schriften trifft zwar Shiva als der Ehemann und Lehrer der Shakti auf,
befindet sich aber in ihrer Macht. In seinem Unterricht, den er im Mahanirvana-tantra Shakti
erteilt, macht er es deutlich, daß Shakti die eigentliche Herrscherin der Welt ist. Das Devimahatmya I, 82-87 verkünden, daß Shakti Brahma, Vishnu und Shiva geschaffen hat. Der
tantrische Gott der Baul-Religion befindet sich soweit in der Macht von Shakti, daß 1) er zu
einer bestimmten Zeit sie besuchen muß, um eine bestimmte Art der Glückseligkeit zu
erleben, daß 2) er nicht in der Lage ist, ohne die Shakti diese Glückseligkeit zu erleben. Ein
weiterer Schwachpunkt dieses Gottes besteht darin, daß er während seines Zusammenseins
mit Shakti die Konzentration und Aufmerksamkeit verliert und sich von dem Baul fangen
läßt. Diese Eigenschaften unterscheiden den tantrischen Gott der Bauls von dem von den
Puranas beeinflußten Gott, der als der mütterliche oder väterliche Manifestation Brahmans
ihre Kinder schützt oder für die Gerechtigkeit in der Welt sorgt. Der tantrisch beeinflußte
Gott der Bauls verhält sich den Menschen gegenüber gleichgültig. Die Motivation seiner
Aktivitäten ist die Eigenliebe.
Das vom Caitanya-Vaishnavismus beeinflußte Gottesbild
Die Vaisnava-Dichter Jayadeva92 und Candidas93 haben Krishna von seinem VishvarupaBild in der Bhagavadgita XI getrennt und ihn zu einem in seiner Shakti Radha verliebten
Gott gemacht. Die Liebe zu Radha ist Haupteigenschaft dieses Krishna, seine Heldentaten
und seine Rolle als Herrscher der Welt, spielen bei Jayadeva und Candidas eine untergeordnete Rolle. Caitanya, der Jayadeva und Candidas schätzte, verehrte diesen Krishna und
gab seinen Anhängern ihn als deren Gott weiter. Caitanyas Gott ist eindeutig der Geliebte
von Radha. Da die Baul-Gemeinschaft aus der Caitanya-Bewegung entstanden ist, beeinflußt die Liebesgeschichte von Krishna und Radha das Gottesbild der Baul-Religion. Die
Geschichte wird von Candidas in Shri-krishna-kirtan folgendermaßen erzählt: Krishna war
das Pflegekind vom Kuhhirten Nanda und seiner Frau Yashoda, die in Vrindavan lebten.
Von der Mutter verwöhnt, verhätschelt und zum Selbstbewußtsein erzogen, übernahm
Krishna bald die Führung der Jugendlichen im Dorf. Zur gleichen Zeit wurde Vishnus Shakti
als Tochter eines Kuhhirtenehepaares in Vrindavan geboren. Die Eltern nannten ihre
Tochter Radha. Die Caitanya-orientierten Vaisnavs meinen, daß Gott drei Shaktis hat. Diese
sind: Sandhini-shakti, Samvit-shakti und Hladini-shakti und entsprechen Gottes drei
Eigenschaften, nämlich Sat (Existenz), Cit (Bewußtsein) und Ananda (Glückseligkeit). Die
Hladini-shakti ist die Energie, durch die Gott sich selbst genießt. Radha ist die Personifikation der Hladini-shakti.94 Im heiratsfähigen Alter wurde Radha mit einem Hermaphroditen, dem Kuhhirten Aihana verheiratet. Aihana bestimmte seine alte Tante Barayi zur Aufsichtsperson für seine junge Frau. Unter Aufsicht von Barayi ging Radha mit anderen Kuh92
Über Jayadeva s. Benjamin Walker: Hindu World. An Encyclopedic Survey of Hinduism, Vol. 1, London,
1968, 501
93
Ibid., 226
94
Über Krishnas Shaktis in: Svami Tapasyananda: Shri Caitanya Mahaprabhu. His Life, Religion and
Philosophy, Maylapore, 81-87
51
hirtenfrauen im Dorf jeden Tag zum Markt, um dort die Milchprodukte zu verkaufen. Der
Kuhhirt Krishna indessen hütete die Kühe seiner Eltern. Eines Tages, auf dem Rückweg
nach Hause, verlor Barayi Radha, die sich mit bei den jungen Kuhhirtenfrauen aufhielt. Barayi ging zu Krishna, der mit seinen Kühen in der Nähe war und fragte, ob er Radha gesehen
hätte. Da aber Krishna bis zu diesem Zeitpunkt Radha noch nicht gekannt hatte, mußte
Barayi ihm Radha beschreiben. Die Beschreibung von Radhas Schönheit führte dazu, daß
Krishna sich in sie verliebte. Barayi mußte ihm ein Zusammentreffen mit Radha versprechen.
Barayi brachte Radha die Nachricht, daß Nandas Sohn sich in sie verliebt hätte und ihre
Gesellschaft wünschte. Radha lehnte eine Liebesbeziehung mit der Begründung ab, daß sie
verheiratet sei. Krishnas unbändige Liebe zur Radha führte dazu, daß er wiederholt
versuchte, Radha zu überreden. Auch Barayi schickte er als seine Botin. Auf Radhas täglichem Marktgang bot er sich ihr als Gepäckträger an, um ihre Liebe zu gewinnen. Er erniedrigte sich und bettelte um ihre Zuneigung. Trotz aller Bemühung blieb Krishna erfolglos.
Daß Gott sich in seine Schöpfung Mensch verliebt und ohne seine Gegenliebe unglücklich
bleibt, ist ein neuer Aspekt, den Caitanya in den Hinduismus eingeführt hat. Dieser Krishna
ist nicht der erhabene Krishna der Bhagavadgita oder der übergeordnete Vishnu der Puranas. Er ist der Geliebte, dem man mit glühender Passion entgegenkommt. Um Radha für
sich zu gewinnen, erdachte sich Krishna eine Möglichkeit. Er baute sich eine Flöte. Auf
dieser Flöte spielte er den mystischen Ton Om.95 Der mystische Ton wirkte auf Radha in
wunderbarer Weise. Was Krishnas ganze Bemühung nicht bewirken konnte, wurde leicht
mit dem Ton Om erzielt. Sobald Radha Krishnas Flötenspiel hörte, entflammte in ihrem
Herzen die unbändige, leidenschaftliche Liebe für ihn. Ab jetzt wurde Krishna zu ihrem
Lebensinhalt. Die Meinung der Gesellschaft oder ihrer angeheirateten Familie kümmerte sie
nicht. Trotz des Verbotes und wiederholter Strafen, die ihr von ihrer Schwiegermutter
aufgezwungen wurden, traf sie sich heimlich mit Krishna. Am Ufer des Flusses Yamuna in
den Gärten von Vrindavan kosteten sie ihre Liebe aus. Die bengalische Vaisnava-Literatur
ist reich an Beschreibungen dieser Szenen.96 Radhas ganze Gedanken, ihr ganzes Leben galt
nun der Liebe zu Krishna. Das Flötenspiel von Krishna, das in Radha, die hier die Menschen
verkörpert, die Liebe zu Gott erweckt hat, spielt in der Vaisnava-Literatur eine zentrale
Symbolrolle. Gott liebt seine Schöpfung Mensch. Wenn der Mensch aus Unwissenheit Gott
vergißt, gibt Gott Hilfestellung, damit er zu ihm zurückfindet. Die Melodie der Flöte ist
Gottes mystische Berührung, die für Radha unwiderstehlich war.
Vergleicht man Krishna der Baul-Lieder mit Krishna der oben zitierten Legende, stellt man
fest, daß der Krishna der Bauls mit dem Krishna der Caitanya-Vaisnava-Literatur identisch
ist. Als Caitanya-Vaisnavs finden die Bauls gerade eine besondere Freude Gott als Krishna
darzustellen (s. Anhang Baul-Lieder).
Die Beziehung zwischen dem Baul und seinem Gott Krishna
Als Caitanya-Vaisnavs glauben die Bauls, daß alle Menschen, ob Mann oder Frau, Shaktis
sind. Daher projizieren die Bauls Radha auf sich selbst. Dies bedeutet, die Baul-Religion
projiziert die verbotene Liebe zwischen Mann und Frau auf Gott und sich selbst. Dies entspricht genau der Beziehung zwischen Gott und dem Menschen im Caitanya-Vaishnavismus, wie sie von Krishnadas Kabiraj in Shri-shri-caitanya-caritamrita, Adilila, IV dargestellt
wird. Die Liebesbeziehung zwischen Gott und dem Menschen beruht auf Gegenseitigkeit.
Daher befindet sich der Baul hier auf derselben Ebene wie Gott. Hier herrscht die
95
96
Über Om in: Svami Mukhyananda: Om, Gayatri and Sandhya, Mylapore, 1-3, 9-16, 27 und 36-37
Vgl. Khagendra Nath Mitra (Ed.): Vaisnava-padavali, Kalikata, 1996, 1-108
52
Gleichberechtigung. Gott und der Baul teilen die gleichen Empfindungen und sind gefühlsmäßig abhängig voneinander (s. Anhang Baul-Lieder).
In ihren Liedern beklagen sich die Bauls, daß ihre Liebe zu Krishna nicht intensiv genug ist.
Der Leser wir hier darauf aufmerksam gemacht, daß die Bauls in solchen Fällen sich oft als
eine Frau betrachten und sich mit Radha identifizieren, die mit ihrer Freundin spricht (s.
Anhang Baul-Lieder).
Gott, der Purusha
Die Bauls nennen Gott unter anderem Purusha, den Mann, den Menschen (s. Anhang BaulLieder). Er ist bewegungslos. Weil er kein Konglomerat ist, steht er über den Gunas, den
Eigenschaften der Prakriti.97 Da er von den Gunas frei ist, ist er der Wiedergeburt nicht
unterworfen. Wiedergeburt erleidet nur der, der in sich die drei Gunas beinhaltet. Weil er
die Gunas transzendiert, ist er formlos. Die Glückseligkeit (anandam) des Purusha ist nicht
vergleichbar mit der weltlichen vergänglichen Freude, die ein Produkt der Zusammenkunft
der Prakriti und der individuellen Seele (jivatma) ist. Die Glückseligkeit des Purushas ist
unvergänglich. Obwohl Purusha in einem menschlichen Körper wohnt, ist er niemals dem
Leid unterworfen. Purusha bleibt von allen Veränderungen, denen der Mensch unterworfen
ist, unangetastet. Der Kontakt mit dem menschlichen Körper führt lediglich dazu, daß Purusha sich blitzartig im Ajña-cakra reflektiert. Der Baul nimmt diese Reflexion wahr und
erlebt Gott (s. Anhang Baul-Lieder). Die Freude des Gotteserlebnisses des Bauls ist aber
nicht dauerhaft. Der Baul erlebt Gott, wie man den Blitz wahrnimmt. Die Natur dieses
Lichtes ist rein (sattvika) und nicht mit dem gewöhnlichen Licht zu vergleichen. Der Vergleich des Paramatma, der kosmischen Seele, mit dem Licht ist im Sankhya-System festzustellen.98 Offen bleibt die Frage, ob die Bauls an die Existenz mehrerer Purushas glauben,
wie das Sankhya-System es tut, oder ob sie die Meinung vertreten, daß der eine Purusha
sich vervielfältigt und gleichzeitig in mehreren Körpern wohnt. Die Lieder geben uns keine
Auskunft hierüber. In den Gesprächen wollten die Bauls sich nicht auf eine dieser Sichtweisen festlegen. Dies zeigt, daß sie gleichzeitig an zwei widersprüchliche Theorien glauben, an die Theorie des Advaita-vedanta99 - das eine Brahman manifestiert sich als viele
Seelen (atma) - und an die vom Sankhya-System dargestellte Theorie - es existieren voneinander unabhängig mehrere Purushas. Die Lieder präsentieren keine zufriedenstellende
Synthese beider Theorien. In ihren Liedern beschreiben die Bauls Gott als den Bewohner
des Sahasrara-cakra (s. Anhang Baul-Lieder)
Gottes Wohnort
In zahlreichen Liedern behaupten die Bauls, Gott wohne nicht draußen im Tempel, sondern
im Menschenkörper. Deshalb kann man ihn nur in einem Menschenkörper suchen und finden (s. Anhang Baul-Lieder). Der genaue Wohnort des Gottes is der Sahasrara-cakra (s.
Kapitel 3). Diese Feststellung beeinflußt die Religion weitgehend. Auf Grund dieser Theorie
verlieren die religiösen Zeremonien, wie Gottesverehrung vor dem Altar, oder das Baden im
Ganges, für die Bauls ihre Bedeutung. Idealerweise sollte ein Baul auf alle Rituale
verzichten, außer auf den ritualen Yoga und sich vollkommen auf Gott im menschlichen
Körper konzentrieren.
97
Über die Prakriti, ihrer Gunas und die Entstehung der Welt s. Sarvepalli Radhakrishnan: Indian Philosophy,
Vol. 2, London, 1977, 259-277
98
Vgl. Surendra Nath Dasgupta: History of Indian Philosophy, Vol. 1, Delhi, 1975, 212 und 239
99
Über Advaita-vedanta s. Sarvepalli Radhakrishnan: Indian Philosophy, Vol. 2, London, 1977, 445-658
53
Die höchste Wahrheit erscheint als Gott der fremden Religionen
Die Bauls glauben, daß die höchste Wahrheit nicht nur in Form hinduistischer Götter, sondern auch als Gott fremder Religionen erscheint (s. Anhang Baul-Lieder).
Untersuchungergebnisse
1. Die Gottesbilder der Baul-Gemeinschaft zeigen gute Kenntnisse der Krishna-Theorie des
Caitanya-Vaishnavismus, Kenntnisse der Shiva-Shakti-Theorie des Tantra. Allerdings wird
aus den Liedern nicht offensichtlich, ob die Bauls die Maithun-Theorie des Tantra absichtlich umdrehen, oder ob sie es tun, weil sie 1. das Tantra doch nicht so gut kennen und
2. vage Kenntnisse von der Brahman-Theorie der Upanishaden und Purusha-Theorie des
Sankhya haben. Der Ishvar des Advaita-vedanta ist hier nicht vertreten.
2. Die Baul-Religion hat kein einheitliches Bild von der höchsten Wahrheit, sondern mehrere Bilder, die diese darstellen. Jedes Bild hat seinen besonderen Schwerpunkt. Die verschiedenen Gottesbilder stellen Gott sehr verschieden dar.
a) Der von Tantra uns Sankhya beeinflußte Gott verhält sich dem Leid der Menschen gegenüber gleichgültig, wobei der vom Tantra beeinflußte Gott von seiner Shakti abhängig ist.
b) Der von den Puranas beeinflußte Gott ist anthropomorph und autoritär, aber auch vertrauensvoll. Er kann gleichzeitig an verschiedenen Orten als verschiedene Götter, z. B.
Krishna, Kali etc., erscheinen. Diese Götterformen von Gott sind jedoch keine Fiktionen,
sondern Tatsachen. Gott bzw. die obengenannten Götter sind omnipotent, omnipräsent und
omniszient.
c) Der vom Caitanya-Vaishnavismus beeinflußte Gott, der als Krishna verehrt wird, kommt
von seinem Thron herunter und erkennt den Menschen als seinen Partner und gibt ihm die
Hilfestellung.
3. Gott der Baul-Religion ist zum Teil das Ebenbild des Menschen, d. h. in ihm sind
menschliche Schwächen zu finden, somit unterscheidet er sich von Bhagavan des Vishishtaadvaitavada. Er spiegelt zum Teil die Dorfgesellschaft wieder.
4. Die Bauls sind gleichzeitig Poly- und Monotheisten im hinduistischen Sinne, wie
Anhänger vieler anderer Richtungen des Hinduismus. Sie kennen die Ishta-devata(Wunschgott)-Theorie des Hinduismus und besingen in ihren Liedern ihren
Wunschgott.
5. Gott der Bauls ist flexibel, vielfältig, und daher interessant. Der Baul findet sich mit allen
Variationen Gottes zurecht.
54
Kapitel 5
Feste, Rituale, Guru und die spirituelle Partnerin
Die Bauls üben Kritik an die Zeremonien und Rituale des klassischen Hinduismus (s. Anhang Baul-Lieder). Untersucht man aber die Baul-Religion, stellt man fest, daß die Bauls
feste und Riruale feiern, die vom Caitanya-Vasnavismus und Tantrismus beeinflußt sind.
Unten werden diese vorgestellt. Es ist schwierig, die Feste von den Ritualen zu trennen, da
auch die Feste einige Ritualcharaktere enthalten. Hier wird das als Fest bezeichnet werden,
das in der Öffenlichkeit stattfindet, und als Ritual das, das in der geschlossenen Gesellschaft
stattfindet. Dieses Kriterium ist auch deshalb gewählt worden, weil die Baul-Tradition im
allgemeinen verlangt, daß auch Nichteingeweihte an den Festen, aber nur die Bauls an den
Ritualen teilnehmen dürfen. Einzelne Feste und Rituale der Bauls werden unten vorgestellt.
Da die Gesamtzahl der Feste und Rituale groß ist, werden die Untersuchungsergebnisse von
einzelnen Punkten am Ende des behandelnden Punktes dargestellt.
Die Melas (Treffen), die Feste
Das Mela (Treffen) ist ein traditionelles Dorffest in Indien. Im Bundesstaat West Bengal
gibt es große und kleine Treffen, wo die Menschen der Dörfer miteinander in Kontakt
kommen und ihre Gedanken austauschen. Das Treffen wurde von verschiedenen religiösen
Richtungen in Anspruch genommen, um unter den Menschen die eigenen Gedanken zu
verbreiten. Die Bauls sehen hierin die Möglichkeit, ihre Religion der Gottesliebe zu praktizieren und den Nicht-Bauls vorzustellen. Unten sind die wichtigsten Melas der Bauls vorgestellt. Die Melas sind die einzigen Feste der Baul-Gemeinschaft
Das Jayadeva-mela, auch Jayadeva-kenduli-mela genannt
Der Anlaß
Das bedeutendste Mela für die Bauls ist das Jayadeva-mela, auch Jayadeva-kenduli-mela
genannt. Das Mela wird im Gedenken an den Lyriker Jayadeva100 (ca 1100 n. Ch.) gefeiert.
Jayadeva, der in einer Brahmanenfamilie im Dorf Kenduli geboren wurde, war einer der fünf
Juwelen (pañca-ratna) des königlichen Hofes vom König Lakshmana-sena (ca. 11791207).101 Die Legende erzählt, daß an einem bestimmten Tag des Jahres Ganges einen
seiner Arme nach Kenduli geschickt, damit Jayadeva in diesem heiligen Fluß baden konnte.
Zu diesem Anlaß findet an diesem Tag das Jayadeva-kenduli-mela statt.
Zeit, Ort und allgemeine Beschreibung
Das Jayadeva-kenduli-mela findet am letzten Tag des Monats Paush (paush-sankranti, auch
makar-sankranti genannt), gegen Mitte Januar im Dorf Kenduli, auch Kendubilla genannt,
am Fluß Ajay, Distrikt Birbhum statt. Das Fest dauert vier Tage. Die Gläubigen behaupten,
daß dieses Treffen seit seit 800 Jahren stattfindet. Im Januar, zur Zeit des Treffens, ist der
100
Über Jayadeva s. Benjamin Walker: Hindu World. An Encyclopedic Survey of Hinduism, Vol. 1, 1968, 500502
101
Die fünf Juwelen vom König Lakshmana-sena waren: Jayadeva, Govardhanacarya, Sarana, Umapati und
Kabiraj. Vgl. P.C. Roy Choudhury: Temples and Legends of Bengal, Bombay, 1988, 94
55
Fluß Ajay an manchen Stellen trocken. Hier und am Ufer des Flusses bauen die Leute ihre
provisorischen Zelte auf. Das Zentrum des Treffens ist der Tempel Radha-vinoda-mandir,
auch Jayadeva-mandir genannt. Die Gläubigen behaupten, daß die heiligen Figuren von
Krishna und Radha im Tempel diejenigen sind, vor denen Jayadeva selbst seine
Gottesverehrung (puja) verrichtete. Während des Treffens werden hier Tag und Nacht die
Strophen aus dem Gitagovinda gesungen. Die Teilnehmer versuchen, möglichst in der Nähe
des Tempels einen Platz zu finden, was freilich nicht allen gelingt. Das Dorf ist während des
Treffens mit Menschenmengen gefüllt und vom Treffen beherrscht. Die Dorfschulen bleiben
nur theoretisch geöffnet. Die tief verwurzelte Religiösität der aktiven Teilnehmer und
Besucher des Treffens bestimmet die Atmosphäre des Jayadeva-kenduli-mela.
Wie viele religiöse Feste der Hindus, bleibt das Jayadeva-kenduli-mela nicht frei von Geselligkeit und Heiterkeit. Das Treffen hat auch einen gewissen Volksfestcharakter. Dies
macht das Mela interessant und lockert die Atmosphäre. Hier gibt es Imbisse aller Preisklassen, Stände mit Gebrauchsgegenständen und billiger Kleidung. Die Dorfbewohner
können hier preisgünstig einkaufen und sich so mit den notwendigen Dingen für das ganze
Jahr eindecken. Es gibt hier auch Souvenirläden, die bei der Gelegenheit ein gutes Geschäft
machen. Der Zirkus und die Zauberkünstler sorgen für Unterhaltung. Müßten die Besucher
sich tagelang ununterbrochen auf die Religion im strengeren Sinne konzentrieren, hielten die
meisten Menschen es nicht durch. So aber können sie sich zwischendurch eine Pause
gönnen und immer wieder auf die Gottesliebe zurückkommen. Die Dorfbewohner und Zugereisten machen einen lebensfrohen Eindruck, sie schlendern durch das Treffen, besuchen
den Tempel und genießen die vielfältigen Darbietungen des Mela.
Weil die Anzahl der Bauls beim Jayadeva-kenduli-mela sehr groß ist, wird es im Volksmund
in West Bengal auch als das Baul-mela bezeichnet.
Die organisierte Darstellung der Baulslieder
Bis vor 1982 wurde das Jayadeva-kenduli-mela ausschließlich von der lokalen religiösen
Organisation Nimbarkya-Asthiyal102 und ebenfalls dem lokalen säkularen kulturellen Verein
Jayadeva Smriti Club, d. h. Jayadeva Memorial Club) organisiert. Seit 1982 hat ein von der
Landesregierung West Bengals beauftragtes Komitee die Organisation der offiziellen
Darbietungen der Vishnuitischen Kultur übernommen. Die Angehörigen des Komitees sind
akademische Mitarbeiter der Visva-Bharati University, Santiniketan, regionale Politiker und
Beamte, Jugendliche aus der Gegend und Purnadas Baul. Purnadas Baul vertritt die BaulGemeinschaft. Um die Kultur der Baul-Gemeinschaft zu präsentieren, errichtet das Komitee
eine Bühne, auf der die eingeladenen Bauls ihre Lieder singen. Purnadas Baul stellt die Liste
der einzuladenden Bauls auf. Die Bauls singen auf der Bühne bis 21.00 Uhr. Die
Aufführung gilt als eine Attraktion, befriedigt aber weder das Publikum noch die Bauls
selbst. Die eingeladenen Bauls geben sich in der Öffentlichkeit zufrieden, unter vier Augen
äußern sie sich aber kritisch über das Komitee. Die Bauls fühlen sich in ihrer Freiheit eingeschränkt, weil das Komitee ihnen ein festes Programm vorschreibt. Im einzelnen besteht
ihre Kritik aus folgenden Punkten:
1. Purnadas Baul macht Geschäfte mit Baul-Liedern, er kennt die Sorgen der Bauls nicht
und kann deshalb die Baul-Gemeinschaft auch nicht repräsentieren.
102
Über Nimbarkya-Asthiyal s. R.G. Bhandarkar: Vaisnavism, Saivism and Minor Religious Systems,
Strassburg, 1913, 62-66
56
2. Es dürften nicht nur die eingeladenen Bauls auf der Bühne singen, sondern alle, die es
wollen, wie es beim Mela der Bauls üblich ist.
3. Sie finden das Programm gezwungen und künstlich Sie möchten so lange und so viele
Lieder singen, wie sie es wollen und nicht, wie das Komitee es bestimmt. Eine Baul-Frau
sagte der Autorin: „Meine Seele ist nicht befriedigt, wenn ich nur zwei oder drei Lieder
singe.“
Die selbständige Darstellung der Baullieder
Die vom Komitee nicht eingeladenen Bauls lassen sich nicht dadurch stören, daß das Komitee sie ausschließt. Daher gibt es neben der organisierten Darstellung der Kultur der BaulGemeinschaft mehrere Zelte der Bauls, wo man sie in ihrer natürlichen Atmosphäre
beobachten kann. Manche bauen kleine Zelte, andere wohnen unter einem Baum. Wo sie
auch wohnen, sie bilden immer eine Gruppe. Hier singen sie ihrer Lieder nach Herzenslust
und zeigen so ihre Verehrung für Jayadeva, Caitanya, Krishna und Radha, andere Götter
und die Heiligen des Caitanya-Vaishnavismus. Es kommt vor, daß einer die Gruppe wechselt, aber kein Baul bleibt einsam. Die Gruppe kocht und ißt gemeinsam. Es wird rein vegetarisch gespeist. Die gemeinsame Mahlzeit hat im Caitanya-Vaishnavismus eine alte
Tradition. Caitanya zwingte seine Anhänger aller Kasten miteinander zu essen, damit die
kastenbezogenen Vorurteile abgebaut werden konnte (s. Kapitel 2). Obwohl dieser Grund
für die Bauls entfällt, da sie nicht zu unterschiedlichen Kasten gehören, ist die gemeinsame
Mahlzeit bei einem Fest für sie obligatorisch. Auf die Frage, ob sie damit die Gleichberechtigung aller Menschen vor Gottes Auge demonstrieren wollten, antworteten die Bauls,
sie praktizierten dieses Ritual, weil ihr Urguru Caitanya es so bepfohlen hätte. Hier beobachtet man die blinde Ausübung eines Rituals, das seinen ursprünglichen Grund verloren
hat.
Untersuchungsergebnisse
Was die Bauls hier machen, religiöse Lieder singen und gemeinsam essen, um Jayadeva zu
huldigen, könnten sie überall tun, also auch an ihren Wohnorten. Dennoch gibt es zwei
Gründe, warum dieses Treffen für sie so wichtig ist, und warum sie am Jayadeva-kendulimela teilnehmen. Diese sind unten dargestellt.
1. Das Dorf Kenduli ist ein Wallfahrtsort (tirtha) für die Bauls.
Für die Vaisnavs ist Vrindavan der Hauptwallfahrtsort.103 Im Vishnu-purana VI, 8 steht geschrieben, wenn jemand in Mathura (Vrindavan liegt in Mathura Distrikt) am zwelften Tag
des Monats Jyaistha (Mai-Juni) im Fluß Yamuna badet erntet große Belohnung.
Die Tatsache, daß die Bauls nach Kenduli fahren, um an einem festgelegten Tag dort mit
Gesang und gemeinsamer Mahlzeit Jayadeva und anderen (s. oben) ihre Verehrung zu zeigen, ist ein Beweis dafür, daß sie in Anlehnung am klassischen Hinduismus, hier am Vaishnavismus, eine Pilgerfahrt nach Kenduli unternehmen.
103
Über Vrindavan s. Debidas Bandyopadhyay: Caitanya-carcar pãcsho bachar, Kalikata, 1987, 146-148
57
2. Hier findet der Gedankenaustausch zwischen den Bauls aus verschiedenen Dörfern statt,
wobei sie sich gegenseitig bestätigen und dadurch neue Kräfte gewinnen. Diese brauchen
sie, um die materielle und gesellschaftliche Benachteiligung im täglichen Leben zu ertragen.
Das Kartabhaja-mela
Die Kartabhaja(Menschen, die ihren Guru verehren)-Religionsgemeinschaft ist eine Caitanya-Vaisnava-Religionsgemeinschaft in West Bengal, die die Veden und das Kastensystem
nicht anerkennt und einmal im Jahr ein großes Mela feiert. Darin begegnen sich die
Ansichten der Bauls und der Kartabhajas.
Anlaß, Zeit, Ort und die allgemeine Beschreibung
Am Vollmond im Monat Phalgun (Februar-März) spielte Krishna mit seiner Geliebten
Radha und den Gopis, den Freundinnen Radhas, in Vrindavan das Spiel der Farben (dolpurnima), auch Holi genannt.104 Zu diesem Anlaß findet im Dorf Ghospara, Distrikt 24
Paragans jedes Jahr am Vollmond im Monat Phalguna (Februar-März) das Karta-bhaja-mela
statt.
Das Treffen findet auf dem Grundstück der Kartabhaja-Gemeinschaft steht. Die Veranstalter sind die Kartabhajas. DieTeilnehmer des Treffens zahlen die Gebühr für die Übernachtung auf dem Gelände. Allerdings werden Leute, die dazu nicht in der Lage sind, geduldet.
Zum Kartabhaja-mela finden Gottesverehrung (puja) für Krishna, Radha, Caitanya, Ramsharan Pal, den Gründer der genannten Religionsgemeinschaft und anderen Heiligen und
Gurus der Religionsgemeinschaft statt. Auf dem Grundstück befindet sich ein Teich, an
dessen magische Heilungskräfte geglaubt wird. Hier baden manch kranke Kartabhajas.
Dieser Brauch ist unter den Bauls nicht verbreitet. Die religiösen Aktivitäten der Bauls beschränken sich hier auf das Singen und die gemeinsamen Mahlzeiten.
Darstellung der Baullieder
Beim Kartabhaja-mela gibt es keine organisierte Darstellung der Baullieder. Bauls, die als
Besucher am Treffen teilnehmen, übernachten entweder in ihren Zelten oder unter den
Bäumen in verschiedenen Gruppen. Dort, wo sie sich aufhalten, singen sie ihre Lieder, kochen und essen gemeinsam. Ihre Verehrung gilt Gott / Götter, Caitanya, einigen Heiligen
des Caitanya-Vaishnavismus und dem eigenen Guru, aber nicht Ramsharan Pal und den
Kartabhaja-Gurus.
Untersuchungsergebnisse
1. Beide Punkte des Jayadeva-kenduli-mela sind in Bezug auf das Kartabhaja-mela festzustellen.
104
Über Dol-purnima bzw. Holi s. Om Lata Bahadura: The Book of Hindu Festivals and Ceremonies, New
Delhi, 1996, 40-51
58
2. Die Tatsache, daß die Bauls am Mela einer anderen Religionsgemeinschaft des CaitanyaVaishnavismus teilnehmen, zeigt, daß die Bauls bereit sind mit anderen Caitanyaorientierten Vaisnavs Gedanken auszutauschen
3. Daß die Bauls hier Ramsharan Pal und die Kartabhaja-Gurus nicht verehren zeigt, daß
trotz einiger Gemeinsamkeiten die Bauls und Kartabhajas getrennte Wege gehen.
Das Paush-mela (das Treffen im Monat Paush) und das Magh-mela (das Treffen im
Monat Magh)
Anlässe
Zwei weitere Treffen, bei denen sich viele Bauls versammeln, sind das Paush-mela und das
Magh-mela. Der Anlaß des Treffens Paush-mela ist die Aushändigung der akademischen
Urkunden an die Absolventen der Universität Visva-Bharati. Während des Feiers Maghmela werden Certifikate für gesundheitliche und landwirtschaftliche Leistungen an die
Universitätsstudenten und Dorfbewohner verliehen. Beide Treffen sind keine religiösen
Treffen, sondern Kulturveranstaltungen, wo Tanz, Musik, Literatur etc. dargeboten werden.
Zeit, Ort und die allgemeine Beschreibung
Wie die Namen andeuten, findet das Paush-mela (das Treffen im Monat Paush) im Dezember und das Magh-mela (das Treffen im Monat Magh) im Februar statt. Der Veranstalter
der Treffen ist die Visva-Bharati University, Santiniketan. Beide Melas dauern drei Tage,
finden auf dem Universitätscampus statt und Alle Bauls aus der Umgebung sind hier herzlich willkommen. Die Verwaltung stellt den Bauls einen Platz zur Verfügung, wo sie ihre
Zelte aufbauen können. Manchmal werden sie in einem der Verwaltungsgebäuden untergebracht. Die Übernachtung ist kostenlos und die Verpflegung übernimmt die Universität.
Von den beiden Treffen ist das Paush-mela das größere und berühmtere. Wegen seiner
kulturellen Angebote wird es von Menschen aus ganz Indien besucht.
Anders als beim Jayadeva-mela, haben die Anlässen des Paush-mela und Magh-mela mit der
Religion der Baul-Gemeinschaft nichts zu tun. Die Bauls sind hier Künstler, die ihre Lieder
darbieten. Die Einladung der Bauls zu diesen Treffen geschieht deshalb, weil Tagore, der
Gründer der Universität, Baullieder schätzte (s. Kapitel 1). Auf die Frage, ob die Bauls sich
der Tatsache bewußt wären, daß sie hier eine künstlerische, aber keine religiöse Funktion
erfüllten, wurde geantwortet, daß sie die Sache nicht so sähen. Sie meinten, sie verkündeten
die Botschaft der Krishna-Liebe, und wo sie auch sängen, wollten sie nur diese verkünden.
Auf die Frage, ob sie wüßten, daß sie für die Besucher eine Attraktion seien, antworteten
sie mit ja. Es ist ihnen jedoch nicht klar, daß sie für die Besucher eher eine Kuriosität, nicht
aber große Künstler sind.
Die Darstellung der Baullieder
Im Pausa- und Magh-mela dürfen die Bauls nur nach dem Programm der Organisatorin ihre
Lieder singen. Für die Darbietung wird eine Bühne bereitgestellt, auf der nacheinander jeder
Baul ein Lied singt. Bis vor dreizehn Jahren war es üblich, daß die Bauls nach Herzenslust
so viele Lieder singen konnten, wie sie wollten. Jetzt erlaubt ihnen die Organisatorin dies
nicht. Grundsätzlich wird einem Baul nicht mehr als ein Lied auf einmal erlaubt. Eine
selbständige Darstellung der Baullieder, wie beim Jayadeva-mela erlaubt die Universität
59
nicht. Die Bauls haben auch nicht die Möglichkeit, wie etwa beim Jayadeva-kenduli-mela,
sich in verschiedene Gruppen aufzuteilen, da sie alle zusammen wohnen müssen, wie es die
Universität ihnen vorschreibt. Da die Bauls allgemein für ihr Hanfrauchen und ihre lockere
Beziehung zu Frauen bekannt sind, befinden sie sich während der Treffen unter strenger
Aufsicht der Universität. Da die Verpflegung von der Universität übernommen wird, kochen
die Bauls hier nicht selbst. Das Ritual des gemeinsamen Mahlzeit wir jedoch auch hier
praktiziert.
Untersuchungsergebnisse
1. Daß das Paush-mela und das Magh-mela mit der Religion der Baulgemeinschaft nichts zu
tun haben, sondern Kulturveranstaltungen sind, bedeutet, daß die Bauls hier nicht für ihren
Gott / ihre Götter und die Heiligen singen. Sie tun es hier für das Publikum. Hier geht der
unsprüngliche Sinn und Zweck der Gottesverehrung mit Gesang (sankirtan) verloren (s.
Kapitel 2).
2. Da die Bauls hier a) nicht ungezwungen in verschiedenen Gruppen wohnen, b) nur nach
vorgeschriebenen Regeln ihre Lieder singen und c) nicht selbst kochen dürfen, kann gesagt
werden, daß die Bauls hier nur begrenzt ihre Religion ausüben dürfen.
3. Die strenge Aufsicht der Visva-Bharati University führt zur Unzufriedenheit der Bauls,
die sich in ihrer Freiheit eingeschränkt fühlen.
4. Weder beim Paush-mela noch beim Magh-mela spielen die Bauls eine so wichtige Rolle,
wie etwa beim Jayadeva-kenduli-mela. Im Gegensatz zum Jayadeva-kenduli-mela besteht
hier kein enger Kontakt zwischen dem einfachen Volk und den Bauls.
5. Im Gespräch wird deutlich, daß manche Bauls das Paush- und Magh-mela als eine Möglichkeit sehen, durch ihre künstlerische Fähigkeiten positiv aufzufallen, was der Anfang einer Volkssängerkarriere sein könnte. Der erfolgreiche Purnadas Bauls meinte diese Möglichkeit, als er von der Möglichkeit sprach, die das Paush-mela den Bauls bietet.
6. Die Bedeutung der Melas für die Bauls ist groß. Was die Bauls in den Melas tun, ist die
gemeinsame Ausübung der Baul-Religion durch die Bauls, die zu verschiedenen Ashrams
gehören. Hier findet eine besondere Art der Gottesverehrung statt, die eine der vielen Variationen des Caitanya-Vaishnavismus ist. Die drei Kriterien von Caitanyas Gottesverehrung
- 1. Gottes Lobgesang (sankirtana), 2. Unabhängigkeit der Tageszeit und 3. Unabhängigkeit
von einem Tempel oder Hausaltar - sind in der Gottesverehrung der Bauls bei diesen
Treffen vorhanden. Ferner praktizieren die Bauls hier mit der gemeinsamen Mahlzeit
unbewußt einen weiteren Schwerpunkt des Caitanya-Vaishnavismus: alle Menschen sind
vor Gottes Augen gleich. Die Treffen Jayadeva-kenduli-mela und Kartabhaja-mela sind zusätzlich noch eine Pilgerfahrt für die Bauls. Aber welches Treffen es auch sein mag und wo
es auch stattfindet, überall dürfen die Bauls fröhlich einige Tage nach ihrer Religion, ihren
Sitten und Gebräuchen verbringen. Diese Zeit sind die wenigen kostbaren Tage des Jahres,
an denen sie von den täglichen Sorgen befreit sind, sich gegenseitig bestätigen und neue
Kräfte sammeln.
60
Rituale
Der Mahotsab, im Dialekt: Macchab (Die große Feier)
Der Hintergrund und der heutige Stand in der Stadt Nabadvip, im Zentrum des
Caitanya-Vaishnavismus
Der Ursprung des Mahotsab der Baul-Gemeinschaft geht zurück zum Cida-Mahotsab, das
von Nityananda in seinem religiösen Zentrum in Panihati gefeiert wurde (s. Kapitel 2). Einer
der Schwerpunkte des Mahotsab im Nityananda-Zentrum lag auf dem Gedankenaustausch
zwischen den Gelehrten unter sich und zwischen den Gelehrten und den Gläubigen. Dies
verlieh dem Fest den Charakter einer religiösen Konferenz.
Heute wird Mahotsab von allen Zweigen des Caitanya-Vaishnavismus gefeiert. Das
Hauptzentrum der Feier ist die Stadt Nabadvip, der Geburtsort von Caitanya. Hier gibt es
unzählige Vaisnava Tempel mit Klöstern, die getrennt voneinander zum Geburtstag von
Caitanya und anderen Heiligen den Mahotsab feiern. Daher gibt es in Nabadvip gleichzeitig
mehrere Mahotsabs in verschiedenen Tempeln. Das Fest dauert mehrere Tage und hat vier
Schwerpunkte:
1. Zeremonielle Verehrung (puja) von Krishna, Radha, Caitanya und anderen Heiligen in
den Tempeln,
2. religiösen Gespräche und die Audienz der Heiligen und Fortgeschrittenen,
3. Gottes Lobgesang und Namensgesang im Chor in den Tempeln
und
4. die gemeinsame Mahlzeit von Angehörigen aller Kasten.
Anlaß, Zeit, Ort und die allgemeine Beschreibung des Mahotsab der Bauls
Das Fest Mahotsab soll möglichst mehrmals, mindestens aber einmal im Jahr im Andenken
an den Urguru Caitanya gefeiert werden. Meistens feiern die Bauls es nur einmal im Jahr, da
das Fest für sie kostspielig ist. Denn anders als bei den Melas müssen die Bauls hier selbst
die Kosten der Feier tragen. Das beliebteste Datum für den Mahotsab ist der Geburtstag des
Mahaprabhu (großer Guru) Caitanyas oder gelegentlich auch der Geburtstag von
Nityananda. Die Geburtstage fallen jeweils auf den Vollmond des Monats Phalgun (FebruarMärz) und auf den dreizehnten Tag nach dem Vollmond im Monat Magh (Januar-Februar).
Im Gegensatz zu den Priestern und Gläubigen in den Tempeln in Nabadvip, feiern die Bauls
das Fest nur einen Tag. Der Veranstalter der Feier ist immer ein Baul, der zu diesem Anlaß
möglichst viele Glaubensbrüder zu seiner Wohngemeinschaft einlädt, wo das Fest gefeiert
wird. Die Tradition verbietet den Bauls zum Mahotsab die Nichteingeweihten einzuladen.
Es gibt jedoch mittlerweile einige sehr wenige Bauls (die Autorin weiß von insgesamt drei
Bauls), die Nichteingeweihte eingeladen haben. Sie begründen ihre Handlung mit der
Erklärung, daß ihre Religion die Religion der Menschenverehrung sei. Der Mahotsab gibt
ihnen die Gelegenheit, Menschen mit Speise zu dienen. Der Grund war nach der Meinung
der Autorin ein anderer. Die eingeladenen Nicheingeweihten, die zu einer der drei oberen
61
Kaste gehörten, gaben ihren Gastgebern eine großzügige Spende für ihre
Wohngemeinschaft. Traditionelle und ältere Bauls verurteilen die Mißachtung der
überlieferten Werte.
Die Schwerpunkte
Der Mahotsab der Baul-Gemeinschaft enthält drei folgenden Schwerpunkte:
1. Ein wichtiger Aspekt dieser Feier sind die Fachgespäche über die Religion der Gottesliebe. Bedenkt man die Tatsache, daß die Bauls keine heiligen Schriften haben und daher
alle speziellen Anweisungen mündlich von Gurus und Fortgeschrittenen an die Jüngeren
weitergegeben werden, wird die Bedeutung dieser Gespräche verständlich. Dies ist auch der
Grund, warum manche Bauls behaupten, daß die Fachgespräche der Hauptgrund seien,
warum sie die Einladung zum Mahotsab annehmen. Außerdem, gibt es hier Erfahrungs- und
Gedankenaustausch. So kann ein Baul seinen eigenen Stand mit dem eines anderen
vergleichen und seine Bemühung überprüfen. Obwohl der Baul immer unter der Leitung
seines Gurus steht, sind diese Fachgespräche beim Mahotsab eine zusätzliche Bereicherung
für ihn. Ein weiterer wichtiger Punkt in diesem Zusammenhang für die Anfänger und noch
nicht weit fortgeschrittenen Bauls ist die Gesellschaft der Heiligen und Fortgeschrittenen
(sadhu-sanga). Die Heiligen können ihre mystische Kraft auf die anderen übertragen (s.
unten unter Diksha, Initiation). Daher warten die jüngeren Bauls geduldig darauf, daß sie
ein Heiliger oder Fortgeschrittener mystisch belehrt und ihnen hilft. Dies geschieht während
einer Audienz. Während des Festes versuchen die jungen Bauls, möglichst viel mit den
Heiligen und Fortgeschrittenen zu verkehren.
2. Da am Mahotsab keine Institution beteiligt ist, haben die Bauls die Möglichkeit, ungezungen und nach Herzenslust ihre Lieder zu singen.
3. Die gemeinsame Mahlzeit, die sowohl am Anfang, wie auch am Ende der Feier stattfinden kann, ist ein religiöser Akt. Hier wird rein vegetarisch gegessen. Meistens besteht die
Mahlzeit aus einem Eintopf aus Reis und Linsen und Gemüse. Die warme Mahlzeit für die
Gäste wird vom Gastgeber organisiert und finanziert. Den Glaubensbrüdern mit einer guten,
möglichst warmen Mahlzeit dienlich zu sein, ist eine wichtige Sache für die Bauls. Sie
nennen die Bewirtung Seba, Dienst. Es ist erwähnenswert, daß der Geber hier der Diener
ist. Der Geber Baul ist glücklich, daß er Gott im Menschen mit der Speise dient. Jemanden
bewirten ist nicht zur Stillung seines Hungers. Es ist die Verehrung (puja) Gottes in einem
Menschenkörper. Mit der Bewirtung dient der Baul Gott.
Untersuchungsergebnisse
1. Der Mahotsab ist eine vereinfachte Variation des Mahotsab Festes, das in Nabadvip gefeiert wird. Der Schwerpunkt 1 des Mahotsab in Nabadvip wird im Mahotsab der BaulGemeinschaft vermißt, wobei die Schwerpunkte 2, 3 und 4 des Mahotsab in Nabadvip im
Fest der Baul vertreten sind. Mit dem Mahotsab pflegen die Bauls eine alte Tradition des
Caitanya-Vaishnavismus.
2. Der Mahotsab ist die große Feier der Baulgemeinschaft mit dem Charakter einer Religionskonferenz, wo die noch nicht Fortgeschrittenen hoffen, daß sie von den Fortgeschrittenen die mystische Kraft auf sich übertragen bekommen.
62
3. Die Religion der Bauls ist die Rückkehr von Gott im Tempel zu Gott in den Menschen.
Verbindet man dieses Prinzip mit der Tatsache, daß die Bauls in Armut leben, so wird verständlich, warum die Bewirtung der Glaubensbrüder mit einer guten warmen Mahlzeit in der
Baulgemeinschaft hoch geschätzt wird.
Malsa-bhog (die Opferung der Speise im Tontopf)
Das gespaltene Verhältnis der Baul-Gemeinschaft zur Puja (Gottes-verehrung)
Die Puja ist eine zeremonielle Verehrung Gottes, die einfach oder kompliziert sein kann, in
der der Gläubige sich gefühlsmäßig und zeremoniell Gott annähert. Die Bauls haben eine
gespaltene Beziehung zur Gottesverehrung (puja). Dies wird deutlich dadurch, daß sie einerseits in ihren Liedern Puja und ähnliche Zeremonien kritisieren, andererseits selbst eine
vereinfachte Form der Puja des Caitanya-Vaishnavismus praktizieren. Die widersprüchlichen Aussagen von Purnadas Baul in ein und demselben Buch macht dieses gespaltenes
Verhältnis deutlich. Er schreibt hier: a) „Sie (d. h. die Bauls) üben keine Puja mit Feierlichkeit. (Sie) bauen keinen Tempel, um dort vor Göttern und Göttinnen Puja zu vollziehen,“105 b) „Die vaisnavistischen Bauls verfassen Lieder über Radha und Krishna und verehren (Gott mit diesen Liedern). Sie stellen in ihrer Wohngemeinschaft die Figur (vigraha)
des Mahaprabhu, des großen Gottes auf, (gemeint ist Caitanya) und verehren (ihn),“106 und
c) „Im Zimmer von Gaur (d. h. Caitanya) und Nitai (d. h. Nityananda) vollziehen sie (d. h.
die Bauls) Puja mit fünf Gegegständen (pañca-tattva, s. unten).“107
Die Bauls nennen ihre Opfergabezeremonie Malsa-bhog, das zu verschiedenen Gelegenheiten praktiziert wird. Der Begriff Malsa-bhog bedeutet im Zusammenhang mit der BaulReligion die Opfergabe in Tontöpfen.
Die Puja-Zeremonie der drei oberen Kasten
Für die tägliche Puja vor dem Hausaltar für Vishnu / Krishna benötigt ein Hindu aus den
drei oberen Kasten werden fünf Dinge (pañca-tattva).108 Diese sind: Duft, Blumen, Weihrauch, Lampe und Speise. Diese symbolisieren jeweils die solide, d. h. die physische, die
flüssige, d. h. die astralische, die gasartige, d. h. die geistige, die leuchtende, d. h. die
himmlische und die ätherische, d. h. die seelische (atma) Kondition der Materie. Außerdem,
werden für die Puja an Vishnu bzw. Krishna weiße Sandelpaste und Tulsi-Blätter,109 die für
die Vaisnavs heilig ist, gebraucht. Vaisnava-Göttern und -Heiligen darf keine rote Blume
geopfert werden. Alle diese Dinge werden vom Verehrer selbst oder beauftragten Priester
Gott geopfert. Während er diese Dinge opfert, rezitiert er relevante Sanskrit-Ma-ntras. Die
Person, welche die Zeremonie vollzieht, darf ein Mann oder eine Frau sein. Die oben
genannten Panca-tattvas dürfen nicht mit den Panca-tattvas, fünf Dingen des Tantras
verwechselt werden. Die Panca-tattvas, welche die Tantriks für ihre Puja an Göttin Kali
benötigen, sind: Wein (madya), Fleisch (mamsa), Fisch (matsa), gebratene Speise aus Getreide (mudra) und sexuelle Vereinigung mit einer Frau (Maithun).110 Weil alle Wörter mit
105
Purnadas Baul: Banglar Baul gan, Kalikata, 7
Ibid., 7
107
Ibid., 7
108
Vgl. Shrisa Chandra Vasu: The Daily Practice of The Hindus, New Delhi, 1991, 128-135
109
Ibid., 134-135
110
Vgl. Mahanirvana-tantra VI, 1-14
106
63
dem Buchstaben Ma anfangen, werden die Pañca-tattvas auch Pañca Ma-kara, die fünf Mas
genannt.
Die aufwendigste Puja der Caitanya-Vaisnavs und der Tantriks in West Bengal ist die Zeremonie mit 16 Upacaras (Sachen).111 Diese sind: das Wasser zum Füßewaschen, das Wasser für die Opferung (arghya), das Wasser für die Mundspülung vor dem Essen, das Wasser
zum Baden, Kleidung, Schmuck, Parfum, Blumen, Weihrauch, Lampe, Speise, Wasser für
die Mundspülung nach dem Essen, Getränk (für die Vaisnavs) / Wein (für die Tantriks),
Betelblatt, Wasser für die Opfergabe (tarpana) und die zeremonielle Verbeugung.
Die Caitanya-Vaisnavs in West Bengal vollziehen sowohl mit fünf Tattvas als auch mit
sechzen Dingen ihre Puja-Zeremonie und nennen Malsa-bhog. In jedem Tempel der Caitanya-Vaisnavs wird das Malsa-bhog praktiziert, und alle Besucher werden hier mit der
Gott geopferten Speise bewirtet. Die Caitanya-Vaisnavs aus den drei oberen Kasten benutzen für ihr Malsa-bhog Töpfe und Schüsseln aus Messing, Stein und Ton.
Das Malsa-bhog, die Gottesverehrung der Baul-Gemeinschaft
Anlaß
Im Vergleich zu den verschiedenen Puja-Zeremonien der Hindus aus den drei oberen Kasten
ist das Malsa-bhog der Baul-Gemeinschaft eine einfache Zeremonie, die weniger als eine
Stunde dauert. Das Malsa-bhog wird zu verschiedenen Anlässen gefeiert, z. B. zum Kanthibadal und Shraddha (s. unten).
Ort und Götter / Heilige
Da die Bauls keinen Tempel haben, wird die Zeremonie in einem Zimmer des Wohnhauses
einer Wohngemeinschaft vollzogen. Meistens wird hierfür das Zimmer des Gurus der
Wohngemeinschaft gewählt. Hier werden Caitanya und einige seiner Schüler, z. B. Nityananda, Advaitacarya, Gadadhar, Shrivas und oft der verstorbene Guru des jetzigen Gurus
der Wohngemeinschaft verehrt. Gewöhnlich wird hierfür keine Götterbilder, Götterfigur
oder Yantra gebraucht.
Die Pañca-tattva und der Verlauf der Zeremonie
Die Pañca-tattva, fünf Dinge, welche sie bei dieser Gelegenheit ihren Göttern und Heiligen
opfern, sind: Duft, dies kann die weiße Sandelpaste oder auch saubare Erde sein, fünf Sorten Blumen, Tulsiblätter, Weihrauch und Speise. Es wird keine rote Blume, Fleisch oder
Fisch geopfert. Ein Krug voller Gangeswasser wird für das Malsa-bhog benötigt, um die
fünf Dinge damit zu besprühen und zu reinigen. Ist es nicht möglich, das Gangeswasser zu
besorgen, nehmen die Bauls das Wasser aus einem naheliegenden Teich oder Fluß. Die
Speise besteht aus Cira (ungekochter plattgedrückter Reis), Gur (eingedicker Zuckerrohrsaft), Dudh (Milch), Dai (Joghurt) und Ghi (Butterfett). Die Lebensmittel werden vermischt
und in fünf Tonschüsseln gefüllt. Möchte der Guru der Wohngemeinschaft seines eigenen
Gurus bei dieser Gelegenheit auch gedenken, wird eine sechste Schüssel mit der Speise
vorbereitet. Die Schüsseln werden auf den sauberen Fußboden gestellt. Der Guru der
Wohngemeinschaft übernimmt hier die Funktion des Priesters. Er legt je einTulsiblatt
111
Ibid., VI, 78-79
64
(Ocymum sanctum) auf jede Schüssel und besprüht die Speise mit dem Wasser. Dies kann
mit der Reinigung der fünf Dinge bei der Puja der drei oberen Kasten verglichen werden.112
Jetzt opfert der Guru die Speise zuerst seinem eigenen Guru und dann Caitanya und seinen
Schülern. Auch die Sandelpaste und die Blumen werden ihnen geopfert. Hierfür gibt es
keine feste Reihenfolge. Während der Guru die Opferzeremonie vollzieht, murmelt er laut
oder lautlos seine persönlichen Mantras auf Bengali. Für jede „Gottheit“ und jeden Heiligen
hat er einen anderen Mantra. Diese Mantras können seine eigene Schöpfung sein oder er
kann sie von seinem Guru erhalten haben. Wenn der Guru der Wohngemeinschaft annimmt,
daß die „Götter“ und „Heiligen“ spirituell gespeist haben, ist die Opfergabe beendet. Nun
heißt die Speise nicht mehr einfach Essen, sondern Prasad, Gnade oder Mahaprasad, die
große Gnade. Der Prasad wird vom Guru unter den Anwesenden verteilt, wie einst Caitanya
an seine Schüler den Mahaprasad verteilte (s. Kapitel 2). Der Maha-prasada wird von den
Bauls mit großem Respekt gegessen.
Untersuchunsergebnisse
1. Das Malsa-bhog der Bauls ist eine vereinfachte Version des Malsa-bhog der CaitanyaVaisnavs der drei oberen Kasten in West Bengal, da beide die folgenden Punkte enthalten:
a) Von Beiden wird die Gabe, die aus Speise und anderen Dinge besteht, zeremoniell Gott /
Göttern und Heiligen geopfert.
b) Die Pañca-tattvas (fünf Dinge), welche die Bauls zu diesem Anlaß opfern, findet man in
der Liste der Dinge, welche die Caitanya-Vaisnavs bei ihrem Malsa-bhog Gott etc. opfern.
c) Die Reinigung der Dinge vor der Opfergabe wird sowohl beim Malsa-bhog der Baul wie
auch beim Malsa-bhog der Caitanya-Vaisnavs aus den drei oberen Kasten vorgenommen.
Obwohl die Einzelheiten sich voneinander unterscheiden, sind doch die Grundgedanken
beim Malsa-bhog und bei der Puja gleich, es dürfen nur rituell gereinigte Gaben geopfert
werden und daher wird das Ritual vollzogen.
2. Da die Malsa-bhog der drei oberen Kasten eine Variation von Puja ist, ist auch das
Malsa-bhog der Baul-Gemeinschaft eine Variation der Puja-Zeremonie des klassischen
Hinduismus, die die Bauls in ihren Liedern so sehr kritisieren. Der Baulguru übernimmt hier
die Stellung des Priesters im klassischen Hinduismus.
3. Das Vorhandensein einerseits der Kritik an Puja andererseits der Praxis der Puja zeigt das
gespaltene Verhältnis, das die Bauls in diesem Bereich haben.
Das Kanthi-badal (der Austausch der Ketten)
Obwohl zwischen der Heiratsprozedur der drei oberen Kasten und dem Kanthi-badal (der
Austausch der Ketten) der Baul-Gemeinschaft erhebliche Unterschiede bestehen, wird bei
näherem Ansehen deutlich, daß die Bauls in diesem Zusammenhang mehrere ähnliche
Grundvorstellungen haben, wie die Mitglieder der drei oberen Kasten. Ein Vergleich zwischen den beiden ist dort notwendig, um festzustellen, wo die Baul-Gemeinschaft direkteroder indirekterweise von den Dharmashastras beeinflußt ist und wo dies nicht der Fall ist.
112
Vgl. Shrisa Chandra Vasu: The Daily Practice of The Hindus, New Delhi, 1991, 139-142, s. auch
Mahanirvana-tantra V, 206-261
65
Unten werden die einzelnen Punkte des Kanthi-badal und der Heiratszeremonie der drei
oberen Kasten, soweit es in diesem Zusammenhang nötig ist, vorgestellt.
Der Grund für das Kanthi-badal
Das Kanthi badala zwischen einem Baul und seiner zukünftigen spirituellen Partnerin findet
dann statt, wenn der Guru des Bauls der Meinung ist, daß sein Schüler die Enthaltsamkeit
beenden und den tantrischen Yoga üben soll. Dies bedeutet, daß die Bauls sich nicht aus
weltlichen Gründen eine Partnerin nehmen, sondern weil sie diese für die Ausübung ihrer
Religion benötigen. Neben von den Dharmashastras sind die Bauls in diesem Punkt auch
vom Tantra (s. unten) beeinflußt worden. Die Tantriks benötigen für ihre Zeremonien mit
den fünf Dingen auch Frauen.
Die Vorstellung der Bauls, daß man sich eine Frau nimmt, um die Religion zu ptraktizieren,
entspricht der Tradition der Dharmashastras (Baudhayana-Dharmashastra Prasna I, Adhyay
11, Kandika 21, 2). Allerdings gibt es laut Dharmashastras auch einen anderen wichtigen
Grund, warum ein Mann heiraten soll. Die Frau soll ihm Söhne gebären. Männliche
Nachkommen sind wichtig für den Seelenfrieden der Verstorbenen (Manusmriti III, 37,
Vashishtha-Dharmashastra XVII, 1-5). Die Dharmashastras verlangen die aktive Assistenz
der Frau bei der Zeremonie. Dort, wo sie es nicht kann, soll sie die Möglichkeit dafür
schaffen, daß die Zeremonie vollzogen werden kann. Dies tut sie, indem sie einen Sohn
gebiert. Daher darf gesagt werden, daß laut Dharmashastras ein Hindu heiratet, damit die
religiösen Zeremonien vollzogen werden können.
Die drei Schritte des Brahma-Ritus, die die Dharmashastras für die Hindus aus den drei
oberen Kasten festgelegt haben
Die Dharmashastras genehmigen acht Arten von Heirat (Baudhayana-Dharmashastra,
Prasna I, Adhyay 11, Kandika 20, 1-9). Heute heiraten die Mitglieder der drei oberen Kasten nach dem Brahma-Ritus.113 Der Brahma-Ritus ist zweifellos ein komplizierter Prozess,
der die Braut und den Bräutigam zu Eheleuten erklärt und ihnen das ethische und
moralische Gerüst und die Ernsthaftigkeit, die mit einer Ehe verbunden sind verleiht. Der
Ritus besteht insgesamt aus über vierzig Zeremonien, die in drei Schritten vollzogen werden. Diese sind: 1. Das Aussuchen des / zukünftigen Schwiegersohnes / der Schwiegertochter, 2. Vollzug der Hochzeitszeremonie vor dem heiligen Feuer (Agni) im Hause der
Braut und 3. Vollzug der Posthochzeitszeremonie im Hause des Bräutigams. Das Mitgift
der Braut spielt beim Brahma-Ritus eine wichtige Rolle.
Die zwei Schritte des Kanthi-badal
Die Zeremonie des Kanthi-badal ist im Vergleich zum Brahma-Ritus schlicht und wird in
zwei Schritten vollzogen. Es bestehen jedoch Ähnlichkeiten zwischen den beiden, wie unten
deutlich wird
113
Eine Studie über den Brahma-Ritus: Chanchal Kumar Chatterjee: Studies in The Rites and Rituals of
Hindus Marriage in Ancient India, Calcutta, 1978
66
Der 1. Schritt: Das Aussuchen der Partnerin für den Schüler
Die Pflichten und Rechte der Eltern, die ihre Kinder nach dem Brahma-Ritus verheiraten,
übernimmt hier der Guru des Bauls. Er sucht für seinen Schüler die passende spirituelle
Partnerin. Hierbei spielen, im Gegensatz zum Brahma-Ritus, die Kaste, das Gotra, das Horoskop und die Jungfräulichkeit der Kandidatin keine Rolle. Auf den guten Ruf der Familie
wird nicht viel Wert gelegt. Allerdings wird auf das Aussehen und Alter der Frau geachtet.
Schon hier wird deutlich, daß sich die Wertvorstellungen der Bauls von den Ansichten der
Hindus aus den drei oberen Kasten unterscheiden. In diesem Zusammenhang darf erwähnt
werden, das Baudhayana-Dharmashastra, Prasna I, Adhyay 11, Kandika, 20, 14 macht die
Aussage, daß die Vaishyas und Shudras im Bezug auf die Auswahl der Frau nicht wählerisch sind. Die Partnerin wird nach dem Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit selektiert. Sie
muß für die Ausübung des tantrischen Yoga des Schülers geeignet sein. Nachdem der Guru
sich die zukünftige Partnerin seines Schülers in ihrem Elternhaus angesehen und sich durch
Gespräche mit ihren Eltern von ihren yogischen Fähigkeiten überzeugt hat, legt er zusammen mit den Eltern der Frau einen Tag für den Austausch der Ketten fest. Im Gegensatz
zum Brahma-Ritus, darf dies zu jeder Jahres- und Tageszeit stattfinden. In dieser Vorbereitungsphase verhält sich der Schüler ähnlich wie ein Sohn der oberen Kasten. Er verläßt
sich auf die Entscheidung seines Gurus und gehorcht ihm. Mit dem Aussuchen und der
Festlegung des Datums ist die erste Phase des Austausches der Ketten beschritten.
Der 2. Schritt: Die Zeremonie vor dem Guru
Der Hauptteil der Zeremonie findet vor dem Guru des Schülers entweder in der Wohngemeinschaft des Kandidaten oder im Hause der Kandidatin statt, wozu die Bewohner der
Wohngemeinschaft und die Bauls aus der näheren Umgebung eingeladen werden. Der Baul
und seine zukünftige Partnerin beugen sich vor dem Guru des Bauls, der ihnen Anweisungen zum gemeinsamen spirituellen Leben gibt. Er schmiert Sandelpaste nacheinander auf
Stirn, Bauch, Herz, Hals, die rechte Körperseite, den rechten Arm, die rechte Schulter, die
linke Körperseite, den linken Arm, die linke Schulter, Rücken und Hüfte der Kandidaten.
Vor dem Guru tauschen beide ihre Ketten aus Tulsi-Holz aus. Die Zeremonie wird von
Bengali-Mantras begleitet.Das heilige Feuer wird hier nicht angezündet. Der Baul und seine
Partnerin begrüßen den Guru, indem sie seine Füße fassen. Dies entspricht den Anweisungen der Manusmriti II, 71-72. Die Kanthibadal-Zeremonie kann soweit erweitert
werden, daß der Schüler hier auch die Initiation zum Tantrayoga (s. unten) empfängt. In
diesem Fall findet die Zeremonie hinter geschlossener Tür nur unter der Anwesenheit des
Gurus, seiner Partnerin und beider Kandidaten statt. Nachdem die Kanthi-badal-Zeremonie
vollzogen ist, gehören der Baul und seine Partnerin zusammen. Der Guru des Bauls wird
jetzt auch der Guru seiner Partnerin, die nun ein Mitglied der Wohngemeinschaft geworden
ist. Sie nimmt, wie die anderen Frauen der Wohngemeinschaft, die den Frauen zugedachten
Rechte und Pflichten wahr. Das Kanthi-badal wird mit einer gemeinsamen Mahlzeit abgeschlossen. Vor der Teremonie haben die Frauen der Wohngemeinschaft ein vegetarisches
Mahl vorbereitet, das aus zwei Haupgerichten, 1) einem Eintopf aus Reis und Linsen und 2)
Gemüse besteht. Die Speise wird jetzt vom Guru an Caitanya und anderen (s. oben Malsabhog) geopfert. Nachdem man annimmt, daß Caitanya und die anderen die Speise geistig
verzehrt haben, wird sie vom Guru an die Anwesenden verteilt. Nun essen alle mit großer
Freude das heilige Mahl. Hiernach wird erzählt und gesungen. Das Ereignis erhält nun eine
feierliche Atmosphäre. Normalerweise versammeln sich alle beim Guru am Vormittag, so
daß sie gegen Mittag ihre Mahlzeit zu sich nehmen können. Die Feier dauert bis zum
67
Nachmittag. Manchmal wird dann Tee serviert. Am Abend, wenn es dunkel wird, verabschieden sich die Gäste. Das Kanthi-badal wird gewöhnlich von den Spenden wohlhabender Dorfbewohnern finanziert.
Die Nachahmung des Brahma-Ritus durch einen Baul
Manas Ray hat unter den Bauls eine Hochzeit beobachtet, die in Anlehnung an den BrahmaRitus vollzogen wurde.114 Der Baul, welcher so das Kanthi-badal vollzog, heißt
Radheshyamdas Baul und wohnt im Dorf Kundola. Die Ähnlichkeiten mit dem BrahmaRitus bestehen in folgenden Punkten:
1. Der Austausch der Ketten fand im Elternhaus der zukünftigen Partnerin im Dorf Guskara, in der Abwesenheit des Gurus statt. Wer hier die Funktion des Gurus übernahm, sagt
Ray nicht.Hierzu waren, wie beim Brahma-Ritus, Verwandte und Freunde der Frau, sowie
Freunde des Bauls eingeladen. Dies entspricht dem zweiten Teil des Brahma-Ritus.
2. Am Abend des Tages, an dem das Kanthi-badal stattfand, kehrte der Baul mit seiner
Partnerin nach Hause zurück. Am nächten Tag gab es bei ihm ein Festessen. Hierzu waren
die Verwandten und Freunde von ihm und seiner Partnerin eingeladen. Diese Nachfeier
entspricht dem dritten Teil des Brahma-Ritus, der im Hause des Bräutigams stattfindet.
3. Nach landesüblicher Sitte hat der Baul von den Eltern der Partnerin als Mitgift ein Fahrrad verlangt, was ihm auch gegeben wurde. Ray berichtet von noch einem Baul namens
Gangadhara-Das Baul, der für seinen Sohn als Mitgift ein Fahrrad und ein Radio verlangte.115 Dies entspricht der mitgiftbezogene Sitte des Brahma-Ritus. Der Autorin selbst
sind solche Handlungen unter Bauls nicht bekannt. Das Geschäft mit der Mitgift kann nicht
dort florieren, wo strenge Armut herrscht.
Untersuchungsergebnisse
1. Da das Kanthi-badal nicht nach dem Brahma-Ritus vollzogen wird, vermissen die Hindus
in dieser Zeremonie den religiösen Hintergrund und daher auch die moralische Legitimation.
Für sie ist das Kanthi-badal nur die Legalisierung der sexuellen Beziehung. Es wohnen in
Indien Angehörige verschiedener Religionen. Sie haben ihre religionsbezogenen Sitten und
Gebräuche, die von der indischen Gesellschaft und vom indischen Gesetz anerkannt
werden.116 Was die Hindus betrifft, so erkennt das indische Gesetz Mann und Frau als
Eheleute an, wenn sie entweder nach dem Brahma-Ritus oder standesamtlich heiraten. Das
Kanthi-badal wird dahervom indischen Gesetz nicht als Hochzeit anerkannt. Deshalb
können die Bauls mit mehreren Frauen ein eheähnliches Verhältnis haben. Es ist auch leicht
für sie, die ältere Partnerin zu verlassen, um sich eine neue zu nehmen (s. Kapitel 1). In
diesem Falle müssen sie der früheren Partnerin keinen Unterhalt zahlen, da sie mit ihr nicht
verheiratet waren.
2. Die Bauls selbst bezeichnen das Kanthi-badal nicht als „Hochzeit“. Die Partnerin wird
stets spirituelle Partnerin (sadhana-sangini) und nicht Ehefrau (patni, in West Bengal auch
114
Vgl. Mans Ray: The Bauls of Birbhum, Calcutta, 1994, 43
Ibid., 43
116
Vgl. Chanchal Kumar Chatterjee: Studies in The Rites and Rituals of Hindu Marriage in Ancient India,
1978, 161-170
115
68
stri) genannt, mit der der Baul die verbotene Liebe zwischen Krishna und Radha erleben
möchte (s. Kapitel 1 und 3).
3. Das Kanthi-badal legalisiert die Beziehung zwischen dem Baul und seiner Partnerin in der
Baul-Gemeinschaft.
Polygamie unter den Bauls
Manche etwas älteren Bauls nehmen sich gerne eine zweite oder dritte Partnerin, weil sie
gut singen kann. Durch ihre künstlerischen Fähigkeiten kann sie ihrem Partner beim Brotverdienen helfen. Es kommt nicht selten vor, daß ein älterer Baul seine älter gewordene
Partnerin verläßt und sich eine jüngere Partnerin nimmt, oder auch beide behält. Diese Bauls
mißachten die Tradition der Baul-Gemeinschaft, nach der der Partnerwechsel theoretisch
nur mit Zustimmung des Gurus möglich sein (s. Kapitel 1) darf. Bauls, die aus weltlichen
Gründen die Partnerin wechseln, sind meistens älter und selbständiger. Sie regeln solche
Sachen ohne die Führung ihres Gurus.
Der Caricandra(Vier-Monde)-Ritus
Caricandra, die vier Monde, ist ein sehr eigenartiges Ritual, das in der Gesellschaft auf
Ablehnung stößt. Die vier Monde sind Stuhl, Urin, Ausfluß der Partnerin und Samen des
Bauls, die jeweils mit den vier Elementen Erde, Wasser, Feuer und Wind verglichen werden.
Das fünfte Element Äther, denn der Hinduismus zählt fünf Elemente,117 fehlt hier. Es ist
auffallend, daß die Bauls im Zusammenhang mit dem Ritual Caricandra meinen, daß der
Körper aus vier Elementen besteht, sonst aber in ihren Liedern von fünf Elementen singen
(s. Anhang Baul-Lieder).
Caricandra wird in verschiedenen Wohngemeinschaften der Bauls in verschieden Abständen
geübt. Manche tun es alle vierzehn Tage, andere alle drei Monate und wieder andere alle
sechs Monate. Üblicherwerse werden der Samen des Bauls und die Flüssigkeit von seiner
Partnerin gemischt und von beiden getrunken und der Stuhl und Urin vom Partner / von der
Partnerin auf den Körper geschmiert. In manchen Wohngemeinschaften wird nur der Samen
getrunken. Einige Bauls rezitieren beim Trinken Bengali-Mantras wie: „Om Mahaprabhu
(gemeint ist Caitanya), ich bin glücklich, wenn du glücklich bist, ich sage das, was du durch
mich sagst, ich esse das, womit du mich fütterst, ich existiere durch deine Gnade.“ Sie
erhalten solche Mantras von ihrem Guru. Die Mantras sind in verschiedenen
Wohngemeinschaften verschieden. Die Bauls meinen, daß der Körper durch dieses Ritual
ein Teil der Elemente zurückgewinnt, die er durch Ausscheidung verliert. Ferner, der Samen
hält sie jung und gesund und hat eine mystische Wirkung auf den Baul und seine Partnerin.
Worin genau diese mystische Wirkung sich zeigt, konnten die Bauls der Autorin nicht
sagen. Die Bauls versicherten jedoch, daß der Caricandra-Ritus ihnen beim Gottsuchen hilft.
Der Caricandra-Ritus bei anderen Caitanya-Vaisnavs
Es gibt weitere Religionsgemeinschaftendes Caitanya-Vaishnavismus in West Bengal, die
den Caricandra-Ritus auf ihrer Weise praktizieren. Diese sind: Paltudasi (die Religionsgemeinschaft von Gottes Sklavin Paltu), Apapanthi (die Anhänger von Apa), Satnami (die
Anhänger des wahren Namens) und Vijamargi (die Verehrer vom Samen). Die drei Erstge117
Vgl. Sarvepalli Radhakrishnan: Indian Philosophy, Vol. 2, London, 1977, 273
69
nannten nehmen die vier Exkremente ein, nachdem sie diese mit Mantras gereinigt haben.
Sie nennen das ReinigungShritual Gayatri-Zeremonie (gayatri-kriya). Diese hat jedoch mit
dem eigentlichen Gayatri-mantra im Rgveda III, 62, 10 nichts zu tun.118 Die Vijamargis
verehren den Samen, weil alles Leben aus ihm entsteht. Der Samen ist der Schöpfer der
Welt. Die Vijamargis mischen den Samen eines der Mitglieder der Sekte, der als ein Heiliger
gilt, mit Milch, Honig, Butterfett und Joghurt. Die Mischung wird in einem Behälter
aufbewahrt und auf den Altar in ihrem Versammlungsraum gestellt. Die Gläubigen verrichten die Puja vor dem Alter und trinken anschließend die Mischung. Sie vollziehen das
Ritual am dreizehnten Tag nach Neumond. Die vier genannten GlaubenShrichtungen bestehen aus den Shudras und Kastenlosen und erkennen das Kastensystem nicht an.119
Untersuchungsergebnisse
1. Der hohe Stellenwert des Zeugungsgliedes und damit indirekterweise des Samens im
Hinduismus wird durch die Verehrung des Lingas bewiesen. Der Glaube, daß man durch
den Verlust des Samens seine Kräfte verliert, wird von der Manusmriti vertreten. Sie empfiehlt daher den Verlust dieses kostbaren Gutes zu vermeiden (Manusmriti II, 180-181). Die
Einnahme des Samens und die Beschmierung mit Kot und Urin verstößt jedoch eindeutig
gegen die Vorstellung der Dharmashastras (Manusmriti V, 134-135). Daß man durch die
Einnahme des vom Körper ausgestoßenen Stoffes einen weltlichen oder spirituellen Gewinn
erzielen kann, ist offensichtlich eine besondere Denkweise einiger Caitanya-orientierten
Religionsgemeinschaften in West Bengal, wozu auch die Bauls gehören.
2. Die Einnahme von Samen hängt jedoch mit dem Caitanya-tattva (s. unten) zusammen.
3. Die Beschmiereung mit Kot und Urin könnte aus dem Glauben an ihrer Heilkraft entstanden sein. Im Allgemeinen glauben die Hindus an die Heilkraft des Kuhdungs und Kuhurins.
Der Mahayoga (der große Yoga)
Die Bauls können Gott nur mit dem Mahayoga erreichen. Unten sind die Aspekte dieses
Yogas vorgestellt.
Das Caitanya-tattva
Die Bauls glauben, daß im menschlichen Körper Gott, das männliche Prinzip, und Shakti,
seine weibliche Energie, wohnen. Sie nennen dieses Phänomen Caitanya-tattva. Caitanya,
der zur Hälfte Krishna und zur Hälfte seine Geliebte Radha war (s. Kapitel 2), war das beste
Beispiel dieses Phenomens. Gott und seine weibliche Energie manifestieren sich im
menschlichen Körper jeweils als Samen (shukra) und Ausfluß der Frau (rajah). Grundsätzlich ist im Oberkörper eines Menschen der Samen, also die männliche Komponente, und im
Körperteil ab dem Nabel nach unten der Ausfluß, also die weibliche Energie, dominant. In
einem männlichen Körper ist der Samen und in einem weiblichen Körper der Ausfluß das
vorherrschende Prinzip. Das Caitanya-tattva macht es möglich, daß die Vereinigung Gottes
118
Über die Gayatri-Zeremonie der drei oberen Kasten in: Svami Mukhyananda: Om Gayatri and Sandhya,
Mylapore, 1-88
119
Über die Glaubensgemeinschaften Paltudasi, Apapanthi und Satnami s. Upendranath Bhattacarya: Banglar
Baul o Baul gan, Kalikata, 1981, 426-428
70
mit seiner Shakti in einem weiblichen Körper stattfinden kann, ohne die der Mahayoga
erfolglos geblieben wäre.
Der Zeitpunkt für den Mahayoga
Obwohl Gott und Shakti in jedem menschlichen Körper wohnen, bietet nur der weibliche
Körper Gott die Möglichkeit, seine Geliebte regelmäßig zu treffen. Gewöhnlich schläft die
Shakti (s. Kapitel 3). Während eine Frau ihre Menstruationsblutung hat, wird sie wach und
ist paarungsbereit. In dieser Zeit kommt Gott vom Sahasrara-cakra, das auf dem Scheitelpunkt des Schädels placiert ist, durch den Sushumna-Kanal, der durch die Wirbelsäule
fließt, herunter und vereinigt sich mit ihr im Muladhara-cakra (s. Kapitel 4). Diese Vereinigung ist nicht nur ihre geistige, sondern auch die sexuelle Vereinigung. Die Bauls sind der
Meinung, daß die geistige Vereinigung ohne die sexuelle Vereinigung nicht möglich ist. Die
sinnliche Vereinigung steigert sich in die geistige Verschmelzung beider in einem. Zahlreiche
Lieder beschreiben das Liebesspiel Gottes mit der Shakti während der Menstruation (s.
Anhang Baul-Lieder).
Da Gott nur während der Menstruation im Muladhara-cakra der Frau erscheint, sind die
Tage der Menstruation der beste Zeitpunkt, in dem man Gott „erwischen“ oder „fangen“
kann. Die Bauls nennen daher diese Zeit die Zeit des Menschenfangs (manus-dhara). Sie
fangen Gott mit Hilfe des Mahayoga, der aus mehreren Teilübungen besteht und eindeutig
ein tantrisches Ritual ist. Der dritte Tag der Menstruation ist hierfür am besten geeignet. Die
Bauls bezeichnen die Tage der Menstruation, manchmal auch nur den ersten Tag der
Menstruation als Neumond (amavasya). Während der Blutung, die in den Liedern die Flut
(joyar) und Überschwemmung (banya) genannt wird (s. Anhang Baul-Lieder), dominiert die
sexuelle Liebe (kama) die Frau. Die sexuelle Liebe wird mit der Finsternis des Neumondes
verglichen. Trotzdem ist diese Sinnlichkeit der Frau nicht zu verurteilen. Denn indirekterweise ist sie die Empfindung der Kundalini-Shakti im Muladhara-cakra, und gerade
diese Eigenschaft der Shakti zieht Gott an. Da Gott an den Tagen der sexuellen Liebe, also
in den Tagen des finsteren Neumonds im Muladhara-cakra der Frau erscheint, singen die
Bauls vom Aufgehen des Vollmondes, d. h. der Erscheinung Gottes, in der Finsternis des
Neumondes. Die drei Menstruationstage werden von den Bauls verschieden genannt. In
manchen Liedern werden diese Tage nach den heiligen Flüssen Ganges, Yamuna und Sarasvati (s. Anhang Baul-Lieder), in anderen die Unbedeutende (sadharani), die Ausgeglichene (samanjasya) und die am Ziel Angekommene (samartha) genannt. Am ersten Tag ist
das Sekret giftig (garal-ras), am zweiten Tag mittelmäßig giftig (sambhu-ras) und am dritten
Tag nektarartig (amrita-ras). Die Bauls meinen, daß in diesen drei Tagen in einem
weiblichen Körper drei Blumen blühen (s. Anhang Baul-Lieder), welche dem Yogi das
höchste Glück spenden. In der Strömung erscheint Gott wie ein Fisch (min) im Wasser.
Solange die Blutung hält, weilt er im Muladhara-cakra. Am Ende der Menstruation verläßt
er das Muladhara-cakra und kehrt durch den Sushumna-Kanal zum Sahasrara zurück. Die
Bauls sollen wie die guten Fischer vorsichtig und fachmännisch zum richtigen Zeitpunkt den
Fisch, d. h. Gott, fangen. Verpassen sie den Zeitpunkt, so gelingt der Fang nicht. Gott
fangen ist eines der beliebtesten Themen der Baullieder (s. Anhang Baul-Lieder).
Die Übung und der Erfolg: Mahasukh
Für den Mahayoga benötigen die Bauls eine Partnerin. Die Übung fängt mit der sinnlichen
Liebe (kama) an und wird durch den Yoga zur spirituellen Liebe (prem) entwickelt. Die
Natur des menstrualen Sekrets ist die sexuelle Liebe, die des Samens die spirituelle Liebe.
71
Durch die Vereinigung beider wird aus Sinnlichkeit (kama) die spirituelle Liebe (prem). Die
Bauls vergleichen ihre Methode mit dem Quirlen der Milch, das Butter erzeugt.
Jeder Baul übt den Mahayoga streng geheim. Der Mahayoga fängt mit der Verehrung der
Vagina der Partnerin an und dauert drei Tage lang. Die Verehrungszeremonie wird oft mit
vom Guru gelehrten oder vom Übenden selbst ausgedachten Mantras begleitet. Der Yoga
wird jeden Abend ca. zwei Stunden nach dem Abendessen praktiziert. Die Bauls glauben,
daß um diese Zeit der Partner durch den Ira-nari und die Partnerin durch die Pingala-nari (s.
Kapitel 3) einatmet und daher diese Zeit für die Übung günstig ist. Warum diese besondere
Atemsituation für die Übung notwendig ist, wird nicht erklärt. In den Schriften über Yoga
werden die Ira-nari mit dem Mond und die Pingala-nari mit der Sonne verglichen.120 Die
erste Nari ist friedlich und ruhig und die zweite energisch und lebhaft. Die Vermutung der
Autorin, ob die Bauls glauben, daß diese Gegensätze sich ergänzen, wurde von den Bauls
nicht bestätigt. Die erwähnte Atemsituation hält ungefähr anderthalb Stunden. In dieser Zeit
muß der rituelle Koitus vollzogen werden. Während des Rituals identifizieren sich die
Übenden mit Krishna und seiner Geliebten Radha. Es gibt genaue Anweisungen für die
Übung. Da die Bauls keine Schriften verfassen, werden die Anweisungen mündlich vom
Guru an den Schüler weitergegeben. Die Übung ist ein ritueller Geschlechtsverkehr mit
vielen Details. Die einzelnen Handlungen sollen die Übenden in Stimmung bringen, was für
den Erfolg des Mahayoga notwendig ist. Eine wichtige Voraussetzung für diese Übung ist
die Bereitwilligkeit der Partnerin. Dies bedeutet, daß die Partnerin hier mit ihrer Zustimmung von ihrem Partner für die Übungszwecke als ein Instrument benutzt wird. Zwei
Dinge, die Atemübung, welche die Bauls während des Koitus üben, und die Zurückhaltung
des Samenergusses, sind die wichtigsten Aspekte dieser Übung. Die Atemübung besteht aus
dem Einatmen (puraka), dem Anhalten des Atems (kumbhaka) und dem Ausatmen (recaka).
Dies ist die standisierte Atemübung Pranayama, die ein Hindu der oberen Kasten jeden Tag
üben soll, während er laut oder lautlos den Gayatri-mantra (Rgvada III, 62, 10) rezitiert.121
Bauls, die den Rgvada nicht kennen, rezitieren während der Übung die verschiedenen
Namen Krishnas und Radhas oder die Mantras, welche sie von ihrem Guru bekommen
haben. Während der Übung atmet der Baul je nach Bedarf mal mit dem linken, mal mit dem
rechten Nasenloch. Diese Technik hilft dem Übenden bei der Zurückhaltung des Samens.
Der Baul darf ihn nicht verlieren. Wird es für ihn schwierig den Samen zurückzuhalten, so
soll er eine der zwei Yogaübungen, Mulabandha und Asvini-mudra, anwenden (Hathayogapradipika III, 61-69). Hiernach soll der Baul Aropa üben, falls nötig. Aropa bedeutet die
Sicht auf etwas Bestimmtes konzentrieren. Der Baul muß seine Gedanken nach und nach
auf den Nabel, das Herz, die Brust, den Hals, Mund, die Nase, Augen, den Platz zwischen
zwei Augenbrauen, Kopf und Gott konzentrieren. Die Übung Aropa wird auch Nehar
(sehen), genannt. Die letzte Übung, welche der Baul üben muß, heißt Vajroli-mudra
(Hathayoga-pradipika III, 83-91). Diese Übung verlangt, daß der Baul mit seinem
Geschlechtsorgan seinen Samen und den Erguß seiner Partnerin in seinem Gliede sammelt.
Ist dies getan, hat der Baul den Mahayoga erfolgreich abgeschlossen und empfindet das
Mahasukh (die große Glückseligkeit) als Belohnung. Die Glückseligkeit entspringt aus der
Vereinigung der Seele (atma) des Bauls mit Gott. Die Bauls vergleichen diesen Zustand mit
dem eines Menschen, der in einer Leiche lebt (jyante mara, jiyante mara), da in diesem Falle
der Körper des erfolgreichen Bauls leblos wird, aber seine Seele die Glückseligkeit
empfindet. In zahlreichen Lieder stellen die Bauls den Mahayoga vor (s. Anhang BaulLieder).
120
121
Vgl. Harish Johari: Chakras, Körperzentren der Transformation, Basel, 1992, 36-39
Vgl. Svami Tapasyananda: Om, Gayatri and Sandhya, Maylapore, 54-55
72
Untersuchungsergebnisse
1. Sachlich gesehen, vereinigt der Baul seinen Samen und den Gott seiner Partnerin, der sich
im Ausfluß der Frau befindet in seinem eigenen Körper und bezeichnet dies als Gotteserlebnis. Es wird nicht gesagt, was mit dem Gott, der im Sahasrara des Bauls sitzt, geschieht. Da aber die Bauls glauben, daß Gott sich als Samen manifestiert, ist der Samen
wahrscheinlich in diesem Moment Gott des übenden Bauls. Wenn dies der Fall ist, dann
vereinigt der Baul seinen Gott mit dem Gott seiner Partnerin, und erlebt dadurch Gott.
Hierfür ist ein Geschlechtsverkehr notwendig, da Gott der Partnerin sich in diesem Zeitpunkt im Muladhara-cakra der Partnerin befindet. Dies erfordert jedoch zwei Götter, einen,
der im Sahasrara des männlichen Körpers wohnt und sich als Samen manifestiert, und einen
anderen, der sich in dieser Zeit im Muladhara-cakra der Partnerin befindet. Die Bauls
betonen aber, daß es nur einen Gott gibt, der sich als mehrere Götter manifestiert. Also
vereinigt der Übende zwei Manifestationen Gottes miteinander. Die Frage bleibt jedoch
unbeantwortet, warum es notwendig ist, zwei Manifestationen Gottes miteinander zu vereinigen, damit der Mensch sein persönliches Gotteserlebnis erfährt. Diese Frage wird in den
Liedern nicht beantwortet. Auch die Bauls konnten dies der Autorin nicht erklären. Auf
Fragen antworten sie, daß ihr Guru, der selbst Gott erlebt hat, ihnen dieses über Gott gesagt
und ihnen die Übungen beigebracht hat. Der Guru kennt die Wahrheit und seine Worte
können nicht falsch sein. Sie brauchen die Theorie nicht zu verstehen, sondern nur des
Gurus Anweisungen zu folgen. Nur so können sie selbst auch eines Tages die Wahrheit
erkennen und Gott erleben.
2. Der Mahayoga der Baul-Religion ist eine Variation des Maithun, der letzte Teil des
Rituals mit Pañca-tattva (fünf Dingen, Wein, Fleisch, Fisch, geröstetem oder gebratenem
Getreide und dem Koitus) des Tantra (Referenz). Das Mahanirvana-tantra IV, 39 nennt den
Vorteil des Rituals mit Panca-tattva im Gegensatz zum Raja-yoga und Bhoga (Genuß) und
sagt: „Dort, wo die Fülle von Erlebnissen vorhanden ist, kann man nicht vom Yoga
(gemeint ist der Rajayoga) sprechen, und dort, wo Yoga praktiziert wird, kann man nichts
erleben, aber der Kaula (Tantrika) erlebt beides.“ In ihren Liedern vertretten die Bauls die
Meinung des Mahanirvana-tantra und singen in ihren Liedern, daß sie keine Askese üben,
sondern Gott und die Welt gleichzeitig genießen möchten (s. Anhang Baul-Lieder). Der
Mahayoga ermöglicht ihnen dies.
3. Wie die Tantriks glauben die Bauls, daß dies kein sinnlicher Genuß, sondern die hohe
Spiritualität ist, und, daß ihr Ritual für die meisten schwer verständlich ist und versuchen
daher diese ritualbezogenen Übungen geheimzuhalten. Sie äußern sich in ihren Liedern über
den Mahayoga in einer Geheimsprache. Diese Lieder werden daher von den Nichteingeweihten ganz anders verstanden, als die Bauls es meinen und bedürfen deshalb der Erläuterung.
4. Zwei US-Amerikanerinnen, die 1994 im Dorf Sriniketan, Dist. Birbhum, mit einigen
Bauls zusammenlebten, sagten der Autorin auf Anfrage, daß für sie der Mahayoga ein sexuelles Erlebnis war. Die Leblosigkeit des Körpers eines Bauls, der nach dem Mahayoga
Gott im eigenen Körper erlebt, ist ähnlich wie die Beschreibung des Zustandes eines Menschen der Orgasmus erlebt hat, die man in den Studien von Alfred C. Kinsey: „Kinsey Report. Das sexuelle Verhalten der Frau“ und „Kinsey Report. Das sexuelle Verhalten des
Mannes“. Kinsey schreibt, daß in diesem Zustand eine echte Anästhesie der Sinnesorgane
73
eintreten kann,122 und, daß der Orgasmus auch ohne einen Samenausstoß stattfinden(kann).123 Dies geschieht unter anderem bei Männern, die bewußt ihre Genitalmuskeln
zusammenziehen können.124 Die Bauls ejakulieren nicht und üben Yoga mit Hilfe der Genitalmuskeln, um den Samen zurückzuhalten, wenn sie die Befürchtung haben, daß es zu
einem Samenausstoß kommen könnte. Dies bedeutet, wenn die Bauls vom Gotteserlebnis
nach dem Mahayoga sprechen, halten sie den Höhepunkt ihres sexuellen Erlebnisses für das
Gotteserlebnis.
Diksha (die Initiation)
Die Bauls erhalten von ihrem Guru drei aufeinanderfolgende Dikshas (Initiationen). Diese
sind die Mantra-diksha (die Initiation zum Mantra), die Shiksha-diksha (die Initiation zum
Tantrayoga) und die Sannyasa-diksha, auch Vairagya-diksha genannt (die Initiation zur
Askese). Den Tag und die Uhrzeit der Zeremonien legt der Guru fest, wobei die Stellung
der Sterne und Planeten keine Rolle spielen. Es ist erwähnenswert, daß das Mahanirvanatantra für die Initiation mit dem Brahmamantra keine Stern- oder Planetenkonstellation
vorsieht.125 Gewöhnlich vollziehen die Hindus wichtige Zeremonien an bestimmten Tagen,
wenn die Sterne und Planeten günstig stehen.126 Alle Initiationen finden im geschlossenen
Raum statt.
Die Mantradiksha
Mit der Mantradiksa wird ein Mensch zum Mitglied der Baulgemeinschaft. Manche
Wohngemeinschaften verlangen eine eintägige Fastenzeit der Beteiligten vor dem Ritual.
Die Zeremonie wird morgens früh vollzogen, nachdem die Beteiligten gebadet haben. Unmittelbar vor der Zeremonie darf nur Tee oder Wasser getrunken, aber nichts gegessen
werden. Die Initiation findet in einem geschlossenen Raum statt, in dem nur der Guru und
der künftige Schüler anwesend sind. Der Guru nimmt etwas Sandelpaste auf einem Blatt der
heiligen Tulsi-Pflanze und beschmiert damit den Kopf, die Stirn, den Hals, das Herz, den
Oberbauch und den Nabel des Kandidaten Hierbei rezitiert der Guru verschiedene Mantras
oder die Namen Krishnas, Caitanyas und seiner Schüler. In der Fontanelle, der Stirn, in
Hals, Herz und Nabel befinden sich jeweils das Sahasrara-cakra, Ajña-cakra, Vishuddhacakra, Anahata-cakra und Manipura-cakra (s. Kapitel 3). Danach flüstert er dem Schüler
das Initiationsmantra ins Ohr, das der Schüler später zum Meditieren benötigen wird. Bei
der Erteilung des Initiationsmantras hält der Guru seinen Daumen oder Zeigefinger
zwischen die Augenbrauen des Schülers, da sich hier bekanntlich das Weisheitsauge
befindet. Alle Mantras sind auf Bengali, der Muttersprache der Bauls, verfaßt.
Der Schüler ist hierdurch ein Mitglied der Gemeinschaft geworden. Er erhält nun einen Ordensnamen, der stets mit dem Wort Das, Diener, beendet. Vor dem Initiationsritual hat der
Kandidat eigenhändig das Malsa-bhog vorbereitet. Entweder vor oder nach dem Ritual
vollzieht der Guru die Malsa-bhog-Zeremonie. Aus Anlaß der Initiation lädt der Kandidat
Bauls aus seinem Bekanntenkreis ein, die während der Zeremonie auf dem Hof warten.
Nachdem die Mantradiksa vollzogen ist, kommen der Guru und Schüler aus dem Zimmer
heraus und treten auf den Hof, wo die Gäste dem neuen Baul gratulieren. Alle essen zu122
Alfred C. Kinsey: Das sexuelle Verhalten der Frau, Berlin, 1963, 465-468
Ibid., 468
124
Alfred C. Kinsey: Das sexuelle Verhalten des Mannes, Berlin, 1964, 134-135
125
Arthur Avalon: Tantra of the Great Liberation, Mahanirvana-tantra, London, 1913, 191
126
Vgl. V.A.K. Ayer: Hindu Sastras and Samskaras, Bombay, 1993, 29-34
123
74
sammen das vorher Gott geopferte Essen. Nach der Mahlzeit singen und tanzen die Anwesenden, was eine fröhliche Atmosphäre erzeugt. Am Nachmittag verabschieden sich die
Gäste.
Die Shikshadiksha
Wenige Wochen nach der Mantradiksa findet die Shiksha-diksha, die Initiation zum Tantrayoga, statt. Zu diesem Zweck hat der Guru für seinen Schüler schon eine spirituelle
Partnerin ausgesucht und es findet das Kanthi-badal statt (s. oben). Anwesend sind hier nur
der Guru, seine spirituelle Partnerin und Schüler jeweils mit der Partnerin. Nun zeigt der
seinem Schüler die Tantrayogaübungen, wobei ihm seine Partnerin behilflich ist. Nach der
Vorführung der Übungen erhält der Schüler vom Guru die Unterbekeildung Kaupin. Hiermit ist das Initiationsritual beendet. Die Teilnehmer des Rituals verlassen das Zimmer und
begeben sich auf den Hof, wo die Bewohner der Wohngemeinschaft und die eingeladenen
Bauls mit ihren Partnerinnen aus den Nachbarwohngemeinschaften auf sie warten. Die
Versammelten begrüßen und beglückwünschen den Schüler und seine Partnerin. Der Guru
vollzieht die Malsa-bhog-Zeremonie (s. oben). Das vorher Caitanya und anderen geopferte
Festessen wird serviert. Nach der Mahlzeit wird, wie bei allen Festen, gesungen und getanzt.
Die Sannyasa-diksha
Die Sannyasa-diksha, die Initiation zur Askese, folgt der Shiksha-diksa. Sie verläuft ohne
Festlichkeit. In einem geschlossenem Raum muß der Schüler mit Hilfe seiner Partnerin beim
Guru gewisse Prüfungen ablegen, je nach deren Qualität der Guru ihn zum Asketen erklärt.
Fällt er bei der Prüfung durch, so darf er sie wiederholen. Zu dieser Diksha findet kein
Malasa-bhog oder keine Abschlußfeier mit dem Festessen statt. Nicht alle Bauls nehmen die
Sannyasa-diksha, da sie befürchten, daß sie die Prüfung nicht bestehen werden.
Die Unkosten, welche bei den Initiationen entstehen, tragen die wohlhabenden Dorfbewohner.
Untersuchungsergebnisse
1. Die Dikshazeremonien machen die Einflüsse des Caitanya-Vaishnavismus und Tantra
deutlich, wobei die Mantra-diksha mehr von der erstgenannten und die Shiksha-diksa mehr
von der zweitgenannten Richtung geprägt ist.
2. Daß die Bauls hierbei im Gegensatz zum klassischen Hinduismus nicht auf die Stellung
der Sterne und Planeten achten, entspricht ihrer Tradition, die man auch bei anderen Ritualen feststellt.
Shraddha (das Totenzeremonie)
Die Leiche eines Verstorbenen wird von seiner Partnerin mit Senföl oder Butterfett (ghi)
eingerieben, gebadet, gekleidet und mit Sandelpaste und Tulsi-Blätter (Basilikum) geschmückt. Hierbei helfen ihr die anderen Mitbewohnerinnen der Wohngemeinschaft. Während die Frauen die Leiche für das Begräbnis vorbereiten, graben die Männer das Grab in
einer Ecke des Wohngrundstückes aus. Sie begraben die Leiche nicht auf dem staatlichen
Friedhof. Wenn die Männer mit dem Ausgraben fertig sind, mischt der älteste Schüler des
75
Gurus etwas Salz mit Erde und streut die Mischung auf den Boden des Grabes. Jetzt decken
die Frauen die Leiche mit einem weißen Tuch zu und die Männer setzen sie ins Grab. Die
Leiche sitzt im Grab mit dem Gesicht nach Osten. Man stellt vor ihr sieben bis vierzehn
Schüsseln mit Speisen in der Art des Malsa-bhogs (s. oben), Wasser, indische Zigarren
(biri), Gãja (Hanf), eine Wasserpfeife, gekochten Tee, eine Öllampe und Räucherstäbchen
hin, als ob der Verstorbene diese weiterhin benötigen würde. Nach der Beerdigung nehmen
alle ein Bad und ziehen frische Kleidung an. Nun wird ein einfaches Essen serviert, Eintopf
aus Reis und Linsen mit Gemüse. Das gemeinsame Essen nach dem Begräbnis wird
Kadamacchab (das vorläufige große Fest) genannt. In dieser Nacht schlafen die Teilnehmer
des Rituals nicht. Sie entzünden vor dem Grab eine Öllampe und singen die ganze Nacht.
Am BegräbniShritual nehmen die Mitglieder, Bekannten und Freunde der
Wohngemeinschaft teil. Einen Monat lang entzünden die Bauls täglich eine Öllampe und
Räucherstäbchen vor dem Grab. An manchen Abenden singen sie davor. Nachdem die
einmonatige Trauerzeit beendet ist, treffen sich alle, die am Begräbnis teilgenommen haben,
in der Wohngemeinschaft des Verstorbenen und feiern das Essensfest Birahamacchab, (das
große Fest der Trauernden). Das Menü bleibt gleich. Bezüglich der Unreinheit nach dem
Tod eines Verwandten
Die Manusmriti nennt verschieden lange Fristen der unreinen Periode, die nach dem Tod
eines Verwandten eintritt, für verschiedene Kasten. Nach dieser Anweisung sollen die
Shudras einen Monat lang unrein bleiben (V, 83). Auf die Frage, warum sie gerade einen
Monat lang Trauer halten, antworten die Bauls, daß dies ihre Sitte sei und vertreten ihre feste Überzeugung, daß dies mit den Bestimmungen der Dharmashastras nichts zu tun hat.
Unkosten, die durch das Totenritual entstehen, tragen die wohlhabenden Dorfbewohner.
Untersuchungsergebnisse
1. Die Hindus von allen Kasten verbrennen die Leichen der Verstorbenen. Die Dharmashastras geben Instruktionen zur Verbrennung der Leiche.29 die Bauls aber begraben ihre
Toten. Warum die Bauls hier von der landesüblichen Sitte abweichen, ist nicht mit Sicherheit zu klären. Möglich ist es aber, daß sie hier der Vorschrift des Tantras folgen. Das Mahanirvana-tantra VIII, 284 meint, daß die Leiche eines Asketen nicht verbrannt, sondern in
der Erde oder im Fluß begraben werden soll. Die Bauls als Mitglieder eines Ordens sind im
tantrischen Sinne Asketen. Die Bauls selbst betrachten sich als Asketen die durch den Mahayoga nicht ihre Sinnlichkeit befriedigen, sondern Gott erleben wollen. Auch die Virashaivas in Südindien begraben die Leiche ihrer Mitglieder.127 Ein Gedankenaustausch zwischen den Bauls und den Virashaivas ist jedoch auszuschließen, da die Bauls von der Existenz der Virashaivas nichts wissen. Es kann jedoch hier festgehalten werden, daß sowohl
das Tantra als auch einige vom Tantra beeinflußten Religionsgemeinschaften die Leichen
ihrer Angehörigen beerdigen, was den Einfluß des Tantras auf diese Religionsgemeinschaften vermuten läßt.
2. Der Einfluß von den Dharmashastras ist bei der Einhaltung der Frist für die unreine Zeit
ist festzustellen, was die Bauls jedoch bestreiten.
127
Vgl. S.C. Nandimath: A Handbook of Virasaivism, Delhi, 1979, 49-54
76
Guru
Das Gotteserlebnis ist die einzige Qualifikation, die einen zur Ausübung des Guruamtes
berechtigt. Die Behauptung des Gurus, daß er Gott erlebt hat, muß für den Gottsuchenden
glaubhaft sein. Der Guru und der zukünftige Schüler prüfen einander, bevor sie sich füreinander entscheiden. Theoretisch dürfen beide Geschlechter als Guru fungieren, aber in der
Praxis sind es unter den Bauls nur die Männer, die ein Guruamt ausüben.
Ein Mensch darf sich nur dann als Baul bezeichnen, wenn ihm vorher von einem Guru der
Baulgemeinschaft die besondere Initiation (diksha) dieser Glaubensrichtung erteilt worden
ist. Dies entspricht der Aussage der Manusmriti II, 144-145, die sagt, daß der Guru für
seinen Schüler wie seine Eltern, ja sogar wichtiger als der leibliche Vater ist, da der leibliche
Vater einem nur das Leben auf der Erde schenkt, aber der Guru einem die Veden lehrt und
ihn dadurch das unendliche Leben schenkt. Der Guru zeigt den Bauls den Weg zu Gott.
Die Bauls haben keine heiligen Schriften. Des Gurus Worte sind für sie die heiligen
Schriften und seine Instruktionen die praktischen Anleitungen, denen sie bedingungslos
folgen müssen. Die Yogaübungen werden den Schülern vom Guru persönlich beigebracht.
Die Bauls glauben, daß sie ohne die intensive Betreuung vom Guru Gott nicht erreichen
können. Der Guru muß jeden Schritt seiner Schüler beobachten und sie rund um die Uhr
betreuen. Jegliches Detail bezüglich des spirituellen Lebens der Schüler wird vom Guru
bestimmt, der von Fall zu Fall unterschiedlich entscheiden darf, da die Schüler verschieden
veranlagt sind. Deshalb sollen die Schüler zusammen mit dem Guru in derselben Wohngemeinschaft wohnen. In ihren Liedern setzen die Bauls ihren Guru mit Gott gleich (s. Anhang Baul-Lieder).
Baul Anirvana vergleicht die Guru-Schüler-Beziehung mit der Mutter-Kind-Beziehung. Sie
entwickelt sich zu einer vollkommenen Harmonie zwischen den beiden, bis sie in ihren
Empfindungen eins werden. Diese Empfindung kann den Schüler so sehr beeinflussen, daß
er keine separate Identität mehr hat. Er spricht auch von einer mystischen Macht des Gurus,
die er für das spirituelle Fortkommen, sowie die letztendliche Befreiung des Schülers benutzt. Er vergleicht die Übertragung dieser mystischen Kraft vom Guru zum Schüler mit der
Tötung des letzteren durch der ersten, da dieser Transfer den letzten Rest des Ego im
Schüler vernichtet. Durch den Tod seines Egos wird der Schüler selbst zum Guru und wird
der Geist des Gurus dienen. Ferner meint Baul Anirvana, daß der Guru seinem Schüler nicht
die letzte Wahrheit enthüllt. Diese muß der Schüler selbst erkennen. Der Guru lehrt seinen
Schüler ein Zehntel von dem, was er weiß, da er sonst einem leeren Topf gleicht.128 Diese
Aussage entspricht dem Glauben der Hindus in West Bengal, daß Ramakrishna erst in
seinem Sterbebett seinem Schüler Swami Vivekananda den Kern des Initiationsmantras
offenbart hat. Es wird erzählt, einige Tage vor seinem Tode rief Ramakrishna Swami Vivekananda (damals noch Narendranath Datta) und bat seine anderen Schüler, sie allein zu
lassen. Er betrachtete seinen Schüler voll Zärtlichkeit und fiel in tiefer Meditation (samadhi).
Auch Vivekananda verlor das Bewußtsein. Als er wieder zu sich kam, sagte Ramakrishna zu
ihm unter Tränen, daß er ihm alles gegeben und nun selbst nichts mehr hatte.129
128
129
Vgl. Shri Anirvan: Letters from a Baul, Calcutta, 1983, 53-63
Vgl. Sollange Lemaitre: Ramakrischna, Reinbek bei Hamburg, 1981, 140-147
77
Untersuchungsergebnisse
1. Die Tatsache, daß man ohne die erhaltene Initiation nicht zur Baulgemeinschaft gehören
darf, erhöht die Position des Gurus, die ohnehin in der hinduistischen Tradition hoch ist.
2. Die Aufgabe des Gurus macht ihn zur höchsten Autorität für seine Schüler. Die Tatsache,
daß die Theorien und die praktischen Übungen der Baul-Religion nicht in schriftlicher Form
festgehalten worden sind (wobei gesagt werden muß, daß die Bauls Analphabeten sind),
und daher die Schüler dieser Religion-Gemeinschaft auf den Unterricht und die
Anweisungen des Gurus vollkommen angewiesen sind, macht die Schüler von ihrem Guru
total abhängig, die aus dieser Abhängigkeit erst dann befreit sind, wenn sie selbst als Gurus
fungieren. Dies erklärt auch die Gegebenheit, daß die Bauls ihren Guru Gott gleichsetzen
und glauben, daß sie ohne ihren Guru Gott nicht erleben können.
3. Die Theorie der Übertragung der mystischen Kräfte des Guru auf seinen Schüler ist als
Vergleich zu verstehen. Der Schüler ergibt sich bedingungslos seinem Guru, der seine Persönlichkeit vollständig umformt, so daß der Schüler nur noch nach der Vorstellung des Gurus denkt und handelt. Als Gegenleistung garantiert der Guru ihm das Gotteserlebnis.
Sadhana-sangini (die spirituelle Partnerin)
Die Tatsache, daß die Bauls ohne ihre spirituelle Partnerin den Tantrayoga nicht üben können, verleiht der spirituellen Partnerin Achtung in der Baulgemeinschaft. Die Partnerin ist
nicht die Verführerin, die den Mann von Gott ablenkt, wie die Frau häufig im klassischen
Hinduismus dargestellt wird,130 sondern die Person, die dem Mann bei der Suche nach Gott
hilft.
Die Bauls betonen in ihren Liedern immer wieder, daß eine Frau etwas wertvolles ist, und
da alle Menschen, also auch die Männer die Manifestation der Shakti sind, sind prinzipiell
alle Menschen Frauen. Daher empfehlen sie sich selbst und ihren Glaubensbrüdern, daß sie
sich wie eine Frau fühlen sollen (s. Anhang Baul-Lieder). Außerdem, da Gott männlich ist,
muß man ihn mit dem Gefühl und mit der Intensität einer Frau lieben. Die Gopis, die Kuhhirtinnen in Vrindavan, am Wohnort Krishnas, gaben hierfür das Beispiel der wahren Liebe
(s. Anhang Baul-Lieder).
Die Bauls vergleichen ihre Partnerin mit Radha und Shakti (s. Anhang Baul-Lieder), das den
Einfluß des Caitanya-Vaishnavismus und des Tantra auf die Baul-Religion deutlich macht.
Die hohe Stellung der Frau ist im Caitanya-Vaishnavismus zu beobachten. Dieser meint, daß
Krishna sich nur durch seine Geliebte Radha vollständig genießen konnte. Deshalb ist
Krishna als Caitanya geboren worden, der gleichzeitig eine Inkarnation Krishnas und
Radhas war (s. Kapitel 2). Daher ist die Stellung Radhas in diesem Zweig des Hinduismus
hoch. Sie wird manchmal höher gestellt als Krishna. Auch die Tantriks unterordnen Shiva
der Shakti, seiner weiblichen Energie.131
Wegen ihrer positiven Einstellung zur spirituellen Partnerin, haben die Bauls in diesem Zusammenhang keine doppelte Moral. Wenn der Mann seine Sinnesorgane nicht beherrschen
130
131
Mahendranath Gupta: Shri-shri-ramakrishna-kathamrita, Bd. 1, Kalikata, 1993, 65-66
Vgl. Upendrakumar Das: Shastramulak bharatiya shakti-sadhana, Bd. 1, Kalikata, 1984, 332-355
78
kann, so ist das sein eigenes Versagen. Er muß sich durch Eigeninitiative von der Sinnlichkeit befreien, will er Gott erleben (s. Anhang Baul-Lieder).
Untersuchungsergebnisse
1. Für die Übung des Mahayoga ist die spirituelle Partnerin für den Baul ein unverzichtbares
Instrument. Dies erhöht die Stellung der spirituellen Partnerin in der Baul-Gemeinschaft.
2. Die Stellung der spirituellen Partnerin in der Baul-Gemeinschaft ist durch CaitanyaVaishnavismus und Tantra positiv beeinflußt.
3. Die hohe Stellung der spirituellen Partnerin ist nicht allgemein auf die Stellung der Frau in
der Baul-Gemeinschaft übertragbar. Im täglichen Leben übt die spirituelle Partnerin eine
dem Baul untergeordnete Rolle (s. Kapitel 1).
79
Schluß
Der Hinduismus hat schon sehr frühzeitig seine Angehörigen durch das Kastensystem in
fünf Kategorien eingeteilt. Diese in Abstufung klassifizierten Kategorien sind: die Angehörigen der Brahmanenkaste, die Angehörigen der Kshatriyakaste, die Angehörigen der Vaishyakaste, die Angehörigen der Shudrakaste und die Kastenlosen. Die heiligen Schriften
Dharmashastras untersagen den Shudras und Kastenlosen, den Hinduismus so zu praktizieren, wie die drei oberen Kasten es tun. Dies bedeutet, daß die Shudras und Kastenlosen
nicht die Veden lernen dürfen, nicht den Tempel betreten und an der Gottesverehrung teilnehmen dürfen und nicht die vedischen Zeremonien vollziehen dürfen. Somit ist die Möglichkeit, den Hinduismus vollständig zu praktizieren, eingeschränkt.
Das Kastenstensystem wird mit der Karma-Theorie begründet. Hat man im letzten Leben
oder in mehreren vergangenen Leben gute Taten (karma) getan, wird man den Taten entsprechend in einer der oberen Kasten geboren. Waren die alten Karmas schlecht, wird man
als Shudra oder, was noch schlimmer ist, als Kastenloser geboren. Hiermit ist die Kastenzugehörigkeit durch die Geburt festgelegt. Dies bedeutet, daß man im jetzigen Leben seine
Kastenzugehörigkeit nicht verbessern kann.
Die Bauls sind entweder Shudras oder Kastenlose. Sie sind fast ohne Ausnahme Analphabeten. Daß man hier und da ein Buch findet, das von einem Bauls verfaßt worden sein soll,
darf einen nicht irritieren. Denn es findet sich schon jemand, der kostenlos für einen Baul ein
Buch verfaßt und dann diesen Baul als den Verfasser dieser Publikation nennt. Automatisch
stellt sich hier die Frage, wie die Bauls ihre Lieder verfassen und wer diese Lieder schriftlich
festhält, wenn sie Analphabeten sind. Die Bauls verfassen ihre Lieder tatsächlich selbst. Sie
können diese aber selbst nicht schriftlich festhalten. Dies tun die Literaten in Indien. Sie tun
dies entweder, weil sie sich für die Lieder interessieren oder weil sie von den Bauls darum
gebeten werden, da jede Wohngemeinschaft der Bauls bei sich ein solches Manuskript
aufbewahren möchte. Diese Manuskripte sind ihre heiligen Schriften. Rabindranath Tagore
und Upendranath Bhattacarya haben Baul-Lieder gesammelt und publiziert, weil sie diese
interessant fanden. Es gibt jedoch nur einige wenige solcher Liederkollektionen, da die
Nachfrage sehr gering ist.
Da die Bauls keinen Schulabschluß haben, sind sie auch finanziell benachteiligt. Sie arbeiten
als Tagelöhner, Bauern, Fischer etc. oder als religiöse Musiker, die für ihren Gesang mit
Geld oder Naturalien bezahlt werden. Man erkennt die Bauls an ihrer Kleidung und ihrer
Musik. Es gibt zwei Kategorien von Bauls, die Maluidharis und die Kistidharis. Die
Maluidharis haben immer eine ovale ausgehöhlte Kokosnußschale und die Kistidharis haben
immer eine längliche ausgehöhlte Kokosnußschale bei sich. Die Bauls wohnen in
Wohngemeinschaften. Das Oberhaupt der Wohngemeinschaft ist der Guru. Auch seine spirituelle Partnerin genießt eine gewisse Autorität. Die Bauls wohnen zusammen mit ihren
spirituellen Partnerinnen unter der Aufsicht des Gurus. Die Bauls dürfen keine Kinder zeugen, denn die spirituelle Partnerin ist nur für den Zweck des Tantrayoga da, nicht aber, der
Sinnlichkeit wegen. Wird die Partnerin schwanger, so ist dies ein Beweis dafür, daß der
betreffende Baul der Sinnlichkeit nachgegeben hat. In diesem Falle müssen der Baul und
seine Partnerin die Wohngemeinschaft verlassen. Die spirituelle Partnerin eines Bauls wird
von seinem Guru ausgesucht.
80
Es gibt einige Bauls und einzelne Intellektuelle in Indien, die den kulturellen Beitrag der
Bauls überschätzen, da die Bauls auch Liedermacher sind. Die Baul-Lieder sind jedoch
melodisch monoton und thematisch uninteressant für die Mehrheit. Außerdem sind die
Lieder oft in einer Geheimsprache verfaßt, da die Texte vielfach mit dem Tantrayoga zusammenhängen und die Bauls nicht möchten, daß die Nichtbauls über ihre religiösen Praktiken so genau Bescheid wissen. Berücksichtigt man die Tatsache, daß die Melodien der
Lieder monoton sind und die Texte unverständlich, so ist es nachvollziehbar, daß die BaulLieder in Indien keine große Nachfrage haben. Hinzu kommt noch, daß Bengali eine von
vielen Sprachen Indiens ist. Dabei verfassen die Bauls ihre Lieder nicht einmal auf Hochbengali, sondern in verschiedenen Dialekten der Bengali-Sprache. Es gibt nur sehr wenige
Intellektuelle im Bundesstaat West Bengal, Indien, die sich für die Baul-Lieder interessieren.
Von einem Beitrag der Baul-Lieder zur Kultur Indiens kann nur in eingeschränktem Sinne
gesprochen werden. Die Bauls sind äußerst friedliche Menschen. Sie interessieren sich nicht
für Politik.
Caitanya (1486-1533 n. Chr.) ermöglichte den Shudras und Kastenlosen eine Integration in
den klassischen Hinduismus mit seiner Reformbewegung. Caitanya war ein erfolgreicher
Gelehrter aus der Brahmanenkaste. Seine Liebe zu Krishna befreite ihn von den orthodoxen
Ansichten, die besagten, daß man die Veden kennen müßte, um Gott zu erreichen. Zunächst
in seinem Geburtsort Nabadvip, Bundesstaat West Bengal, und später in Puri, Bundesstaat
Orissa, predigte Caitanya, daß um Krishna, d. h. Gott, erreichen zu können das Lernen der
Veden nicht nötig sei. Man müsse Krishna inbrünstig lieben. Er ersetzte die komplizierten
vedischen Zeremonien durch Krishnas Lobgesang und Krishnas Namensrezitation. Die
Lieder für den Lobgesang wurden auf Bengali, verfaßt. Diese ersetzten die traditionellen
Mantras, die auf Sanskrit verfaßt worden waren und daher für das einfache Volk
unverständlich blieben. Er lehnte das Kastensystem ab, da vor Gott alle Menschen gleich
sind. So schuf Caitanya in Bengal und Orissa eine neue Form des Vaishnavismus, die
Caitanya-orientierter Vaishnavismus genannt wird. Die Anhänger dieser Richtung des
Hinduismus erkennen das Kastensystem nicht an, was soviel bedeutet, daß in ihren Tempeln
die Shudras und Kastenlosen genauso willkommen sind, wie die drei oberen Kasten. Dies
war eine große Errungenschaft für die Shudras und Kastenlosen. Ferner durften sie mit
Gottes Lobgesang und Namensrezitation Gottesverehrung praktizieren. Es war für sie kein
Hindernis mehr, daß sie die Sanskrit-Mantras weder rezitieren durften noch konnten. Aus
dieser Reformbewegung ist die Baul-Gemeinschaft entstanden. Deshalb nennen die Bauls
Caitanya ihren Urguru. Um Caitanya sammelten sich allerdings auch orthodoxe Brahmanen
aus dem heutigen West Bengal, wahrscheinlich, weil Caitanya einfach zu erfolgreich war
und daher nicht ignoriert werden durfte. Der Führer der Orthodoxen war Advaitacarya, der
in seinem Zentrum weiterhin in einer milderen Form das Kastensystem aufrechterhielt.
Anders sah es im Zentrum von Nityananda aus, den Caitanya mit der Verbreitung seiner
Lehre in West Bengal beauftragte. Nityananda lehnte das Kastensystem ab, wie sein Lehrer
es tat, und nahm viele Shudras und Kastenlose bei sich auf. Es ist anzunehmen, daß um
Caitanya und / oder Nityananda sich viele Shudras und Kastenlose gesammelt haben, die
sich Bauls nannten. Auch Caitanya wurde von seinem Schüler Advaitacarya Baul genannt.
Die Religion der Bauls ist die Religion der Gottesliebe. Diese Liebe ist jedoch eine besondere Art der Gottesliebe. Gott wird hier nicht als Gottvater, sondern als der Geliebte verstanden. Die Basis dieses Konzepts ist die göttliche Liebe zwischen Krishna und seiner
Geliebten Radha. Krishna war Vishnus Inkarnation. Wie Krishna in der Bhagavdgita verkündet, erscheint er in dieser Welt, um die Guten zu retten und die Bösen zu bestrafen,
immer wieder, wenn die Rechtsaffenheit (dharma) vom Untergang bedroht wird und die
81
Nichtrechtschaffenheit (adharma) das Übergewicht bekommt. So wurde Vishnu als Kri-shna
geboren um die Rechtschaffenheit wiederherzustellen. Krishna wuchs im Kuhhirtendorf
Vrindavan als Kuhhirtenjunge auf. Hier lernte er Radha, die Frau eines Kuhhirten kennen.
Die verbotene Liebe zwischen Krishna und Radha dient als die Basis der Lehre der
Gottesliebe bei den Bauls. Die göttliche Liebe zwischen Krishna und Radha war deshalb so
intensiv, weil sie eben verboten war. So wie Radha Krishna liebte, möchten die Bauls Gott
lieben.
In der Religion und den philosophischen Gedanken der Bauls ist auch die Lehre der Upanishaden vertreten. Die Bauls glauben, daß die Welt eine Manifestation von Brahman ist.
Die Theorie der Maya ist den Bauls ebenfalls vertraut. Die Maya ist eine Eigenschaft Gottes, die die Welt als etwas Absolutes erscheinen läßt. Dabei hat die Welt nur im Zusammenhang mit Gott eine Existenz. Von der Maya verleitet klammern die Menschen sich an
vergängliche Dinge und lassen sich von Gott ablenken. Die Bauls glauben an die mystische
Physiologie, die deutliche Einflüsse des Tantra und des Yoga zeigt. Die Bauls behaupten,
daß der menschliche Körper in sich verschiedene Geheimnisse birgt. So sind sie davon
überzeugt, daß im Körper sich die vierzehn Welten, Energiezentren (cakra), Kanäle (nari),
welche die Lebenskraft verteilen, Gott und seine weibliche Energie, die Kundalini-shakti,
befinden. Allerdings können nur die fortgeschrittenen Yogis diese Besonderheiten wahrnehmen. Für alle anderen bleiben sie unentdeckt. Ferner gibt es sechs Feinde im eigenen
Körper: Sinnesfreude, Zorn, Habgier, Verblendung, Rausch und Neid. Diese hindern die
Bauls bei ihrer Suche nach Gott. Durch die neun Öffnungen: die Ohren, Augen, Nasenlöcher, den Mund, das Geschlechtsorgan und den Anus, verlieren die Bauls Energien. Daher
müssen sie bei der Yogaübung diese regulieren, damit sie nicht unnötig Energien verlieren.
Außerdem befinden sich im Körper vierundzwanzigeinhalb Monde und noch einmal acht
Monde. Die vierundzwanzigeinhalb Monde verteilen sich folgendermaßen: zehn Monde in
den zehn Fingernägeln, zehn in den zehn Zehennägeln, in den beiden Wangen jeweils einer,
einer in der Unterlippe, einer in der Zunge und ein halber Mond auf der Stirn. Die acht
Monde verstecken sich im Körper folgendermaßen: im Mund einer, in beiden Brüsten bzw.
Brustwarzen jeweils einer, in beiden Händen jeweils einer, im Brustkorb einer, im Nabel
einer und im Geschlechtsorgan einer. Ferner versteckt sich im menschlichen Körper der
Kosmos. Die mystische Physiologie der Bauls ist nicht nur vom Tantra und vom Yoga,
sondern auch vom Sankhya-System beeinflußt. Die Bauls singen von Prakriti (dem weiblichen Urprinzip), von vierundzwanzig Tattvas (Dingen), drei Gunas (Eigenschaften), zehn
Indriyas (fünf Wahrnehmungs- und fünf Ausführungsorganen) und fünf Elementen, sowie
von Purusha, den sie Gott gleichstellen, was das Sankhya-System nicht tut. Da die Bauls die
Philosophie des Sankhya nicht systematisch lernen, haben sie eine konfuse Vorstellung von
den genannten Begriffen, wie ihre Lieder bezeugen.
Das Gottesbild der Bauls ist widersprüchlich. Hier finden wir neben den Theorien der
Upanishaden hausgemachte Thesen. Der persönliche Gott ist die Manifestation des formlosen Brahman, der höchsten Wahrheit. Gott ist der Vater, die Mutter und der Geliebte. Wenn
einem Ungerechtigkeit widerfährt, kann man sich an Gottvater oder Gottmutter wenden.
Gott ist der Geliebte, den man so lieben kann, wie Radha Krishna geliebt hat. Diese Liebe
gleicht der Ekstase. Interessant ist, daß die Bauls Gott einen Menschen nennen. Als Mensch
hat Gott einige Schwäche, die man bei den Menschen beobachtet. Z. B. ist er zwar souverän
und unbeeinflußbar von den weltlichen Ereignissen, gleichzeitig ist er so verliebt in seine
weibliche Energie, Kundalini-Shakti, daß man sagen kann, daß er von ihr abhängig ist. Gott
wohnt im menschlichen Körper, genau gesagt im Zentrum Sahasrara-cakra. Die Kundalinishakti wohnt im Zentrum Muladhara-cakra. Das Sahasrara-cakra befindet sich in der
82
Fontanelle und das Muladhara-cakra im Beckenplexus. Gott fühlt sich ständig von seiner
Shakti angezogen. Einmal im Monat kommt er herunter von seinem Wohnort und trifft die
Shakti im Muladhara-cakra. Es ist eindeutig, daß das Gottesbild der Bauls ein Produkt
lückenhafter Kenntnisse über die Upanishaden und Puranas ist, gemischt mit den eigenen
Empfindungen. So ist er einmal das formlose Brahman der Upanishaden, ein anderes Mal
der souveräne Gottvater bzw. die Gottmutter der Puranas und ein weiteres Mal ein
gewöhnlicher Mann. Vor allem aber ist der Gott der Bauls der Geliebte. Das Gottesbild der
Bauls, die Caitanya-orientierte Vaisnavs sind, ist vom Bild der Liebe zwischen Krishna und
seiner Geliebten Radha am stärksten geprägt. Radha, die Ehefrau eines anderen, liebte
Krishna leidenschaftlich. Krishna erwiderte dieser Liebe mit der gleichen Intensität. Die
Lieder der Bauls drücken diese Passion aus, die Gott und der Mensch füreinander
empfinden.
Als Shudras und Kastenlosen dürfen die Bauls nicht die Feste der oberen Kasten feiern. Dies
hindert sie aber nicht, ihre Feste auf ihre Weise zu feiern. Vergleicht man die Feste und
Rituale der Bauls mit den Festen und Ritualen der Brahmanas, Kshatriyas und Vaishyas, so
stellt man fest, daß die Festlichkeiten der Bauls vereinfachte Formen der Festlichkeiten der
oberen Kasten sind. Interessant ist jedoch, daß obwohl die Bauls gerne Feste feiern,
Gottesverehrung praktizieren und Pilgerfahrten machen, sie heftige Kritik an diesen
religiösen Praktiken üben. Gewöhnlich, aber nicht immer, verzichten sie auf Götterbilder.
Bei einigen Bauls, wie z. B. bei Purnadas Baul, wohnhaft in Kalkutta sowie im Dorf
Daskala-grama und Naksatradas Baul, wohnhaft im Dorf Ahmedpur, beobachtet man eine
wachsende Zuneigung zu Götterbildern. Caitanya gilt bei den Bauls als die Inkarnation von
Krishna und seiner Geliebten Radha in einer Person. Purnadas Baul und seine
Glaubensbrüder vollziehen vor dem Bildnis Caitanyas Gottesverehrung auf traditionelle
Weise, d. h. mit Speise, Blumen, Weihrauch etc. Sie nennen diese Art der Verehrung Malsabhog, die Opferung der Speise im Tontopf. Das Malsa-bhog wird zu verschiedenen
Anlässen praktiziert, z. B. bei der Kanthi-badal-Zeremonie und der Totenzeremonie.
Die Melas, d. h. Treffen, sind die wichtigsten Feste der Bauls. Das größte Treffen ist das
Jyadeva-kenduli-mela, das gegen Mitte Januar im Dorf Kenduli, auch Kenduvilla genannt,
stattfindet. Der Lyriker Jayadeva (ca. 1100 n. Chr.) wird von den Bauls als einer ihrer Vorgänger verehrt. Jayadeva verfaßte den Gedichtband Gitagovinda, der über die göttliche
Liebe zwischen Krishna und Radha berichtet. Diese Gedichte werden in vielen Vishnuitischen Tempeln, besonders in den Tempeln der Caitanya-orientierten Vaisnavs, gesungen.
Jayadeva lebte und verfaßte Gitagovinda in Kenduli. Im Dorf Kenduli erlangte Jayadeva die
Erleuchtung. Einmal im Jahr treffen sich die Bauls hier, um durch Gesang und gemeinsame
Mahlzeit Jayadeva ihre Verehrung entgegenzubringen. Die gemeinsame Mahlzeit, an der
alle Anhänger Caitanyas unabhängig von ihrer Kastenzugehörigkeit teilnehmen, wurde von
Caitanya selbst eingeführt. Er wollte damit gegen die Bestimmung der Dharma-shastras, die
den Angehörigen der drei oberen Kasten eine gemeinsame Mahlzeit mit den Shudras und
den Kastenlosen verbieten, da sie sonst dadurch unrein werden, demonstrieren. Unter
Caitanyas Anhängern befanden sich Angehörige aller Kasten, daher war die gemeinsame
Mahlzeit sinnvoll. Die Bauls aber sind selbst Shudras und Kastenlose. Wenn sie gemeinsam
essen, dann speisen sie unter sich. Hier entfällt der Grund, warum Caitanya wollte, daß seine
Anhänger miteinander essen. Die gemeinsame Mahlzeit ist jedoch eine Tradition der
Caitanya-orientierten Vaisnavs und wird auch heute noch praktiziert. Die Bauls pflegen
diese Tradition als Caitanya-orientierte Vaisnavs. Weitere nennenswerte Treffen sind das
Kartabhaja-mela, das Paush-mela und das Magh-mela. Das Kartabhaja-mela ist ein
religiöses Treffen der Religionsgemeinschaft der Kartabhajas, Verehrer des Gurus. Es findet
83
im Monat Phalgun (Februar-März) im Dorf Ghosapara, Distrikt 24 Pargans, statt. Die Bauls
sind hier zahlende Gäste. Das Paush-mela und das Magh-mela sind zwei säkulare Feiern, die
von der Visva-Bharati University im Ort Santiniketan organisiert werden. Die Bauls sind
hier geladene Gäste, deren Übernachtung und Verpflegung die Universität übernimmt. Auch
beim Kartabhaja-mela, beim Paush-mela und beim Magh-mela bestehen die religiösen
Aktivitäten der Bauls im Singen und in der gemeinsamen Mahlzeit, wie beim Jayadevakenduli-mela.
Ein wichtiges Ritual der Baul-Gemeinschaft ist der Mahotsab, die große Feier. Das Fest soll
möglichst mehrmals, mindestens aber einmal im Jahr im Andenken an den Urguru Caitanya
gefeiert werden. Da die Bauls selbst die Kosten der Feier tragen, feiern sie nur einmal im
Jahr den Mahotsab. Neben dem Gesang und der gemeinsamen Mahlzeit spielen hier
Fachgespräche eine wichtige Rolle. Da die Bauls hier ungestört ihre Fachgespräche führen
wollen, dürfen bei der großen Feier nur Bauls anwesend sein. Die Fachgespräche verleihen
dem Fest den Charakter einer Konferenz.
Etwas eigenartig ist das Ritual Caricandra, das Ritual der vier Monde. Die vier Monde sind
Stuhl, Urin, Ausfluß der Partnerin und Samen des Bauls, die jeweils mit den vier Elementen
Erde, Wasser, Feuer und Wind verglichen werden. Das Ritual besteht darin, daß die Bauls
zusammen mit ihrer Partnerin die vier Monde einnehmen bzw. auf den Körper schmieren.
Die Bauls glauben, um Gott zu erleben müsse man den Tantrayoga üben. Um den Tantrayoga zu üben, benötigen sie eine Partnerin. Der Yoga muß während der Menstruation der
Partnerin praktiziert werden. Die Übung, die mit der sexuellen Vereinigung mit der
Partnerin anfängt, endet mit dem Gotteserlebnis des Übenden, so glauben die Bauls. Da der
Tantrayoga den Geschlechtsverkehr einbezieht, wird er in der Gesellschaft heftig kritisiert
und als Sex im Namen der Religion angesehen.
Die vorliegende Studie stellt den Hintergrund und die heutige Lage der Baul-Gemeinschaft
dar. Die Baul-Gemeinschaft wird sich in Zukunft sicherlich von ihrem heutigen Zustand
unterscheiden. Denn Indien strebt nach der Industrialisierung. Die Industrialisierung wird
auf das Kastensysten einen großen Einfluß ausüben, was schon heute offensichtlich wird.
Als Beispiel können hier die Essensgewohnheiten in der Stadt genannt werden. Die Dharmashastras verbieten den drei oberen Kasten, mit den Shudras und den Kastenlosen zu
speisen. In den Großstädten in Indien wird diese Regel im öffentlichen Leben oft nicht eingehalten werden. Die große Arbeitslosigkeit zwingt die Angehörigen der oberen Kasten,
eine für die Shudras bestimmte Arbeit zu verrichten. Brahmanen, Kshatriyas und Vaishyas,
die solche Tätigkeiten ausüben, essen auch in der Mittagspause zusammen mit ihren Kollegen aus der Shudra-Kaste und mit den Kastenlosen. Das strenge Kastensystem ist aber eine
der Ursachen, warum es zur Bildung der Baul-Gemeinschaft kam. Da die Shudras und Kastenlosen durch die Kastenordnung vom klassischen Hinduismus ausgeschlossen wurden,
mußten sie für sich selbst eine Religionsgemeinschaft bilden, damit sie ihren Hinduismus
praktizieren konnten. Löst sich aber das Kastensysten durch die Industrialisierung auf, was
wünschenswert ist, wird es für die Shudras und Kastenlosen nicht mehr nötig sein, sich außerhalb des klassischen Hinduismus zu organisieren. In diesem Falle werden sie den Hinduismus so ausüben, wie die anderen Kasten es tun. Die Baul-Gemeinschaft wird dann eine
weitere Richtung des klassischen Hinduismus darstellen.
84
Die Theorie
Die Untersuchung führt zu folgender Theorie. Die Bauls, welche Shudras und Kastenlose
sind und deshalb vom klassischen Hinduismus ausgeschlossen bleiben, haben eine selbständige religiöse Strömung im Rahmen des großen Überbegriffs Hinduismus entwickelt.
Diese Strömung wird von der Autorin als die Religion der Baul-Gemeinschaft bezeichnet.
Die zwei Eckpfeiler dieser Religion sind der Caitanya-Vaishnavismus und das Tantra. Die
Religion der Baul-Gemeinschaft nimmt zwar Inhalte vom klassischen Hinduismus, ordnet
sich aber ihm nicht unter. Sie legt die Aussagen bzw. die Offenbarungen des klassischen
Hinduismus nach eigenem Verständnis aus, was für einen Außenstehenden nicht zwingend
ist. Auch die Moral dieser Religion ist eine andere als sie in der Manu-smriti, dem maßgebenden Gesetzbuch der Hindus, dargestellt wir. Denn die Moral der Religion der BaulGemeinschaft legt nicht die klassische hinduistische Überzeugung zugrunde, daß die Interessen der Gesellschaft in den eigenen Handlungen derart zu berücksichtigen ist, daß im
extremen Fall sogar die gesellschaftlichen Interessen zu Ungunsten eigener Interessen gefördert werden sollen (vgl. Manusmriti, III und X), sondern vertritt die Moral der individuellen Glückseligkeit. Die individuelle Glückseligkeit ist im individuellen Gotteserlebnis zu
finden. Jedes Mittel, das dieses Zweck erfüllt, ist der Religion der Baul-Gemeinschaft recht.
Deshalb versteht sie die Benutzung der Partnerin beim Tantrayoga nicht als einen
moralischen Verstoß gegen die allgemeine Wertvorstellung. Die Religion der Baul-Gemeinschaft ist auch eine Befreiungsbewegung. Im Gegensatz zu einer politischen Befreiungsbewegung versucht sie nicht, die Bedingungen im Umfeld zu verändern, sondern für
ihre Anhänger eine subjektive Welt zu schaffen, in der sie sich geborgen fühlen und die
menschliche Würde bewahren konnen. Daher hat für die Bauls ihre Religion einen besonderen Stellenwert. Ohne ihre Religion könnten sie sich nicht als eine besondere Gruppe organisieren und wären daher von den Slumbewohnern nicht zu unterscheiden. Ihre Religion
gibt ihnen die Identität, die sie von den gewöhnlichen Armen, denen die indische Gesellschaft keine Achtung entgegenbringt, unterscheiden.
Die Baul-Religion ist ein Objekt, das die subjektive Welt einer Religionsgemeinschaft darstellt. Sie möchte es ihren Anhängern ermöglichen, das, was ihrer Meinung nach göttlich ist,
in ihrem Körper und in dieser Welt zu erfahren. Diese Religion entspringt aus dem tiefen
Glauben, daß der Mensch eigentlich zu einer höheren Gattung gehört und vergöttlicht so
den Menschen. Sie meint, daß der Sinn des menschlichen Lebens nicht im menschlichen,
sondern im spirituellen Leben besteht und setzt dies als das Ziel des Menschenlebens.
85
Anhang: Baul-Lieder
Selbstdarstellung
1
Welche Lebensart wird als
Die Lebensform eines Bauls bezeichnet?
Was ist (sein) Leben, was ist er, wo ist er geboren?
Mit physischer und geistiger Übung
Streben die Bauls
Das zu erlangen, was die Ursache des Lebens ist;
Menschen, welche die höchste Wahrheit
Des Lebens suchen,
Werden Bauls genannt.
Das Leben selbst ist der Pilgerort,
(Das Leben selbst ist) die Religion und der Weg Dies ist die Ansicht der Bauls.
Manche sagen: „Die Bauls sind Materialisten.
Sie verehren Gott
Nicht nach traditionellen Methoden.
Sie suchen auch nicht
Nach der Befreiung (vom Kreislauf der Wiedergeburten).“
Der bescheidene Duddu antwortet darauf:
„Das Leben selbst ist (die Manifestation)
Der höchsten Warhheit.“
Kritische Lieder
Über die heiligen Schriften und Rituale des klassischen Hinduismus
2
Gott Hari hat sich als Mensch manifestiert.
Mit festem Glauben findet man seine Addresse.
Je mehr du die Veden und den Vedanta liest,
Um so größer wird dein Zweifel.
3
Du hast die vier Veden, die vierzehn heiligen Schriften
Die neue Grammatik und Regeln für Komposita gelesen,
Aber nicht die Wahrheit erkannt.
So bleibst du im Kreis der Wiedergeburten gefesselt.
4
Die Veden kennen
Gottes wahre Natur nicht,
Wie Gott in diesem menschlichen Körper
Sein Spiel spielt.
86
5
Die Veden lehren nicht
Die Gottesverehrung der Liebe.
Verrichtet man jeden Tag die Gottesverehrung
(Nach vedischen Anweisungen),
So erlangt man (dadurch) nur vergängliche Freude.
6
Hier habe ich dieses Glück erlangt,
Wo soll ich noch hin?
Ich habe ein zerbrochenes Boot gekriegt,
Mein Leben vergeht beim Wasserschöpfen.
„Wem gehöre ich, wer gehört mir“
(Diese Lehre der Veden) läßt das Wahre nicht erkennen.
Die Wolken der vedischen Lehre verdunkeln (den Himmel),
Die Sonne (des Wissens) scheint nicht.
7
Gott Hari manifestiert sich in mir.
Mit der Hingabe deines Herzens
Wirst du seine Adresse
Herausfinden.
Je mehr du die Veden und den Vedanta liest,
Um so größer wird dein Zweifel.
8
Was wissen die Veden vom tiefen Sinn
des Spiels Gottes,
Das er in diesem (menschlichen) Körper spielt?
Die Veden begründen alles mit fünf Elementen
Und die Gelehrten predigen (diese Theorie).
Die Wahrheit über den Menschen
Ist die Essenz allen Spiritualismus.
Die Liebe kann nicht durch die Veden gelernt werden.
9
Die heiligen Schriften beinhalten
Alle (Instruktionen).
Sie sind mit (großer) Konzentration
Geschrieben.
Aber, wo ist die Tür meines Herzens
Und wo wohnt der König meines Herzens?,
(Das sagen sie nicht).
Ich schleppe die Last der Bücher
Mit mir herum
Und vergesse mich selbst dabei.
10
(Wisse,) daß die heiligen Schriften,
Pilgerfahrt, Rechtschaffenheit etc.
87
Nur Äußerlichkeiten
Der eigentlichen Wahrheit sind.
Der Kern der Wahrheit lautet:
Der Mensch ist der (wahre) Schatz.
Keine Zeremonien, keine Übungen,
Keine Arten der Gottesverehrung
Oder der (Namens-)rezitationen mit Hilfe eines Rosenkranzes,
Haben einen höheren Wert
Als der Mensch.
11
Durch welche spirituellen Übungen kann ich
Den Tod beenden?
Die Religion und das Wesen der Veden
Führen doch nur zum Todesgott.
Das Schenken, das Gelübde,
Die asketischen Übungen
Und die Feueropferzeremonie
Erzeugen zwar Ergebnisse guter Taten,
Aber sobald die Ergebnisse ausgelebt sind,
Muß man zurückwandern, zurückkommen.
12
Du hast die lebendige Göttin Kali in deinem Hause
Nicht beachtet.
Du verehrst die Figur (der Göttin Kali im Tempel),
Und bist dadurch blind geworden.
Gott im Menschen kennst du nicht,
Und verehrst die Puppe aus Stroh.
Sage Bruder, sage, o mein Lieber,
Was hast du dadurch erreicht?
Wie dumm sind doch die Hindus,
Daß sie nicht wissen, wo die Göttin tatsächlich wohnt!
Sie verehren Tag und Nacht die Götterfigur
Vergeblich!
13
Um ihn zu erlangen,
Verrichten manche Leute Opferzeremonien
und machen Pilgerfahrten;
Oder sie fasten,
Manch andere üben Askese,
Andere wiederum essen nur vegetarisch.
Ich habe in meinem Herzen hierüber
Nachgedacht.
Hari selbst hat sich
Als die Welt manifestiert.
Ob es der Ozean ist oder der Tropfen,
In allem zeigt er sich mit seiner Schönheit.
88
14
Die anstrengende Pilgerfahrt
Ist nur eine Verwirrung des Geistes.
Kann die spirituelle Übung
Ohne Liebe zu Govinda erfolgreich werden?
Über das Kastensystem
15
In erster Linie ist der Mensch ein Mensch,
Seine Religions- und Kastenzugehörigkeit sind zweitrangig.
Wären die Religions- und Kastenzugehörigkeiten erstrangig,
Hätte auch ein Säugling sie erkannt.
Das, was das Kind in seiner Umgebung sieht und hört,
Lehrt es, ob es ein Hindu oder Muslim oder Christ ist.
Es lernt zu unterscheiden und in seinem Herzen werden
Gewalttätigkeit und Haß geboren.
Mit (Gewalttätigkeit und Haß) wird es nicht geboren.
Das Kind kennt den Unterschied
Zwischen den Berührbaren und Unberührbaren
Oder dem Richtigen und Falschen nicht.
Bruder, es lernt, was man ihm beibringt
Wenn es älter wird.
Die Kasten und Religionen sind
Die Kreationen der Menschheit.
Gott oder die Natur hat sie
Nicht erschaffen.
Der bescheidene Duddu sagt: ‘Wann werden die Menschen
Sich umarmen?’
16
Bruder, wen verwirfst du,
Weil er aus der niedrigeren (Kaste) stammt?
Vielleicht ist Kanai aus Vraja
In diesem Menschen erschienen.
Die Tage, in denen du die Menschen als Shudra,
Candal oder Bagadi (Kastenlosen in West Bengal) bezeichnest,
Sind gezählt.
Diese Tage werden bald
Zur Vergangenheit gehören.
Ich sehe es deutlich.
Der, den du als niedrig und wertlos bezeichnest
Und angeekelt von dir wegschiebst,
Wird heute oben sitzen.
Ich sehe es deutlich.
Das Kaliyuga ist gekommen.
Jetzt werden die Großen und Kleinen gleich.
Dies hofft Duddu
Und vergießt ständig Freudentränen.
89
17
Man hat das Kastensystem erschaffen
Und dadurch Indien
Zu einem Krematorium gemacht.
Alle Kayasthas ( d. h. Kshatriya) und Brahmanen
Halten nur noch das (Kastensystem)
Für die größte Wahrheit.
Ob Shudras, oder Buddhisten, oder Kastenlose oder Muslime,
Alle sind doch Kinder einer Mutter (gemeint ist Indien).
Die Seele all dieser (Menschen)
Sind mit dem Boden Indiens verbunden.
Aber das sieht keiner.
Man hat den Zaun der Kasten gezogen
(Und damit die Menschen voneinander getrennt),
Und so Gott von seiner Heimat vertrieben.
Man hat den Menschen beiseite gelegt.
Und nun verehren sie die Götterbilder.
18
O mein Herz, lasse dich nicht vom Kastensystem
Beeinflussen.
Dies wird nur deinen Dharma, dein Karma
Und den Sinn deines Lebens vernichten.
Die Teufel, unehrliche Leute
Und die Barbaren haben sich zusammengetan
Und das Kasten- und Gotra-system erfunden,
Um die Schöpfung (Gottes) zu zerstören.
Sie haben die Leute eingewickelt,
Die Betrüger.
Sie treiben das Geschäft mit dem Kastensystem.
Dies ist nicht schwer zu verstehen.
Ein Gott, der das Kastensystem vorschreibt,
Ist kein Gott, sondern der Teufel.
Der bescheidene Duddu singt:
„Wann wird diese Unsitte vorbei sein?“
19
Nur weil (Indien) mit dem Kastensystem
Verseucht war,
Konnten die Engländer in diesem Land
König werden.
Hindus, Buddhisten, Jainas, Muslime
Haben sich gegenseitig gehaßt und sind deshalb umgekommen.
Deshalb konnte der christliche Missionar
(Hier) die Religion Christi verbreiten.
Millionen Inder
Haben sich miteinander nicht vertragen.
Deshalb konnte nur eine Handvoll Engländer
sich hier ausbreiten.
90
20
Alle in dieser Welt fragen
Nach der Kastenzugehörigkeit Lalanas.
Lalana sagt: ’Woran sieht man
Die Kaste (eines Menschen)?
Ich habe es nicht
Feststellen können.’
Durch Beschneidung wird man zum Muslim,
(Aber) welche Bestimmung gibt es für die Frauen?
Die Opferschnur weist den Brahmanen aus,
Wie erkenne ich (aber) die Brahmanin?
Der eine trägt die (Gebets)kette (der Hindus),
der andere eine Gebetskette (der Muslime)
Kann dies sie etwa in verschiedenen Kasten einordnen?
Wer trägt beim Gehen oder Kommen
Das Kastenzeichen?
Wenn das (Regen)wasser in den Brunnen fällt,
Heißt es Brunnenwasser,
Wenn das (Regen)wasser in den Ganges fällt,
Heißt es Gangeswasser.
(Aber) ursprünglich waren sie das gleiche Wasser,
Nicht (zwei) verschiedene.
Nur der Behälter macht sie zu verschiedenen (Wassern).
Die Welt redet von der Kaste.
Hier und da sind die Menschen stolz auf ihre Kaste.
Lalan hat seine Kastenzugehörigkeit
Auf sieben Märkten verkauft.
21
Jagannatha, Gott der Rechtschaffenheit,
Kümmert sich nicht darum,
Ob einer ein Kastenhindu oder ein Kastenloser ist.
Er ist dem Gottergebenen untergeben.
Alle, die den Kastenunterschied machen,
Und korrupt sind,
Dürfen ihm nicht näher kommen.
Wenn ich meine Kaste nicht hinwerfe,
Bekomme ich nicht Hari.
Was soll ich da auf meine Kaste stolz sein?
Was soll ich da sagen: „Faß mich nicht an ?“
Lalan sagt: „Wenn ich die Kaste
In meine Hände bekäme,
Verbrennte ich sie im Feuer.“
Über die Wirtschaftslage, Gesellschaft und Regierung
22
Hari, wann habe ich denn Zeit
Deinen Namen zu rezitieren?
91
Ich bin (ständig) beschäftigt
Mit den anderen Sachen.
Ich nehme mir vor, früh am Morgen
Deine Glorie zu singen.
(Aber) da wacht der Junge auf
Und schreit gepeinigt durch den Hunger.
Und sobald ich mich
Mit dem Rosenkranz hinsetze,
O lieber Hari, Kommt die Frau
Und das (hübsche) Mondgesicht redet
Wie ein Wasserfall.
Sie sagt: „O Lakshmikanta, der Reis ist alle.“
Und ich lege sofort den Rosenkranz beiseite.
Ich denke, beim Essen werde ich (lautlos)
Deine Namen rezitieren.
Nun höre ich aber
Den Gläubiger kommen
Und aus ist es mit dem Essen.
23
Alle wollen nur das Geld.
Ein Mann ohne Geld ist unwichtig.
Ohne das Geld
Ist es schwierig, auf der Welt zu leben.
Die Mutter sagt am Ende des Monats:
„Du hast mir die hundert Rupien
Nicht gegeben.
(Also) darfst du (hier) nicht mehr wohnen.“
Hier und dort wandere ich
Und suche Geld, Geld (und) Geld!
Ich gehe zum Flußufer
Und denke: „Ich bringe mich um.“
24
Wer weiß, was unser Karma fruchtet!
Der Markt ist rationiert.
Das Öl ist rationiert,
Der Zucker ist rationiert,
Die Regierung rationiert sogar die Menschen!
Das Fleisch kostet zehn Rupien das Kilo.
Der Fisch sogar fast zwölf (Rupien).
Das Getreide kriegt man nicht unter sechs (Rupien das Kilo).
Als der Brahmane sah, daß ein paar Eier acht Paisa kostet,
Hat er sich selbst Hühner (zum Eierlegen) besorgt !
Wir leben in einem unabhängigen Land
Und essen rationiertes Essen!
Einige fahren Motorräder,
Und die anderen gehen zu Fuß!
Einige fahren Autos,
Und die anderen gehen zu Fuß!
92
Der traurige Hari sagt:
„Woher diese Mißwirtschaft?
Welche Krankheit hat uns befallen?“
25
Der modebewußte Herr Ray,
Trägt eine Armbanduhr.
Seine Haare hat er zurückgekämmt.
Aber nur drei Paisa klingeln in seiner Hosentasche!
Obwohl sein Magen knurrt,
Hält er eine Zigarette zwischen seinen Lippen!
Er arbeitet in einem Büro für 120 Rupien im Monat,
Und kann nicht damit seine neun Töchter und drei Söhne füttern.
Er ging zu seinen Schwiegereltern.
Aber auch dort war der Reistopf leer!
Er sah sogar seinen Schwiegervater nicht.
Man sagte ihm, daß er nicht zu Hause war!
26
Brüder, seht euch nur den Markt an!
Er ist voll mit ausländischen Gütern!
Unsere Kauf- und Tauschgeschäfte
Und die Verbesserung der Wirtschaft
Bestimmen die Fremden.
Wir hatten unser tolles Geschirr
Aus Messing und Bronze
Wir behalfen uns mit Bananenblättern.
Nun haben die Emailwaren
Uns den Kopf verdreht,
Nun blüht das Emailgeschäft.
Der Wunderstein (parash-pathar) wird hier
Nicht mehr bewundert.
Die Tassen sind angeschlagen.
Instabile, wertlose, leichte Sachen
Werden für den doppelten Preis gekauft.
Zu Hause gibt es nichts zu beißen,
Aber schick angekleidet
Laufen sie hier und dort.
Ach! Die Armut des Vaterlandes nimmt nicht ab,
Aber man kauft sich
Die aus dem Westen importierten Gegenstände
Und Kleidung.
Lieber nehme ich die minderwertigen Waren
Aus dem Vaterland
Als die hochwertigen Produkte
Aus dem Ausland.
(Baul) Visarada kann es nicht lassen,
Er weint bitterlich
Und lebt irgendwie.
93
Erläuterung: Die Wohlhabenden im Bundesstaat West Bengal benutzen das traditionelle
Geschirr aus Messing und Bronze. Die Armen dagegen helfen sich mit Geschirr aus Ton,
Bananenblättern und Blättern aus Nutzholzbäumen. Da Messing und Bronze intensive
Pflege brauchen, neigen heutzutage die Wohlhabenden dazu, anstatt dieser Metalle
rostfreien Stahl zu benutzen. Der Wunderstein (parash-pathar) ist ein Märchenstein. Alles,
was er berührt, wird zum Gold.
27
O Brüder, warum habt ihr euch fortwährend so verändert?
O ihr seid in der arischen Linie geboren
Und habt trotzdem alles vergessen!
Wie ist denn das bloß geschehen,
Daß ihr Wissen und Intelligenz
Verloren habt?
Ihr habt euere eigene Kultur verworfen,
Aber was habt ihr dafür gekriegt?
Ihr verbrachtet Tag und Nacht im sinnlichen Genuß.
In eurem Tanz, Gesang und Theater
Zeigt ihr euch merkwürdig (fremd).
Unnütz lauft ihr in Gruppen herum
Und kaut dabei Betelblätter.
Nicht einmal wenn ihr den Tag voll ausgelebt habt,
Denkt ihr an euer Vaterland!
Der einheimische Weber
Und der Tischler sterben vor Hunger,
Aber ihr sucht nur ausländische Waren.
Trotz der Geburt in der arischen Linie
Habt ihr nicht gelernt, euer Vaterland zu lieben.
Du zeigst dich stolz,
Daß du englische Romane liest.
Und verwirfst die Literatur,
Welche die arischen Weisen verfaßt haben.
Wir weinen bitterlich,
Wenn wir diese deine Verhaltensweise sehen.
Erläuterung: In sogenannten gebildeten Schichten Indiens beobachtet man die Nachahmung
der westlichen Konsumkultur, welche die Inder mit der eigentlichen europäischen Kultur
verwechseln. Dies wird in den Hindi-Filmen, die nach dem Hollywood-Muster in Mumbai,
Indien gedreht werden, am deutlichsten sichtbar.
28
Das Volk stirbt erbarmungslos!
Kraftlos durch die Krankheit, leblos durch die Steuern
Und erledigt durch das Gerichtsverfahren Dies ist sein Leben.
29
Die Regierenden meinen mit Stolz,
Daß sie zivilisiert sind.
Warum aber herrscht dann dieser Zustand?
94
Mutter, ich habe Angst in diesem Kaliyuga,
Daß sie mich vielleicht verhaften, (wenn ich sie kritisiere)
Und ins Gefängnis sperren, wie einen Dieb.
Aber Mutter, wem außer dir
Werde ich den Schmerz meines Herzens erzählen?
Ein Lied über den Reformer Rammohan Roy (1772-1833)
30
Wohin bist du gegangen, Ramamohana,
O du, der Schmuck Indiens?
Denke ich an deine Tugenden,
So wird mein Herz trübe.
Du warst rechtschaffen, reinherzig,
Versiert in verschiedenen heiligen Schriften,
Weise, reich an Liebe,
Ein großer Dichter und (seelisch) verwandt mit allen.
Du hast mit großem Elan gearbeitet,
Um die Witwenverbrennung zu beenden
Und so dem schwachen Geschlecht zu helfen
Und um die Misere Indiens zu beseitigen.
Um den Dharma zu üben
Hast du zu Fuß den Himalaya überquert,
Und so dem Menschen Unmögliches vollbracht.
Um den Dharma zu verbreiten,
Hast du das Meer überquert
Und im Ausland ohne es zu bedauern dein Leben geopfert.
Eines Tages werden die Menschen in aller Welt
Liebevoll deinen liebgewordenen Namen erwähnen.
Ein Lied über die Bauern in West Bengal
31
O du mein goldenes Bengal!
O du Bauer, mein Freund, mein Bruder!
O du Bauer, mein Bruder!
Unser Leben rettet
Deine goldene Ernte.
Im Sommer, in der Regenzeit,
Im Herbst und Winter
Bist du nach Meinung aller Bürger
Der Held.
Nirgends auf der Welt
Kann man ohne dich leben.
In deiner Tat und in deiner Rechtschaffenheit
Bist du groß.
Wir nehmen uns ein Beispiel an dir
Und schreiten voran.
95
Ein Lied, das den Weltgeist verkündet:
32
Wir sind die Bauls aus (West) Bengal.
Wir singen für alle Menschen,
Wir Bauls aus (West) Bengal
Die blaue Donau ist meine Jamuna,
Und der Hudson mein Vrindavan.
Du wirst mich in Kalkutta sehen,
Und in Toronto und London
Wirst du meine Stimme hören.
Wir sind die Bauls aus (West) Bengal.
Derselbe Mensch hat mehrere Namen,
Und derselbe Spieler mehrere Spiele.
Die Liebe ist ein Wunder,
Womit man das Leben gewinnen kann.
Höre meine Stimme!
Wir sind die Bauls aus (West) Bengal.
Über Caitanya
In Anlehnung an Krishnas 108 Namen, nennen die Caitanya-Vaisnavs in West Bengal
Caitanya mit 108 verschiedenen Namen. Die beliebtesten darunter sind: Gaur, Gauranga,
Gaur-cãd, Gaur-candra, Gaur-hari, Gora, Gora-cãd, Maha-prabhu, Shaci-nandan, Shricaitanya etc.
33
O du Kanai, warum bist du als Gaur geboren?
O dein Kopfschmuck, die Pfauenfeder,
Deine schiefe lässige Haltung,
Die Krone und die Flöte, O Kanai, wo hast du sie versteckt?
Im Satyayuga hast du als Shri-hari
So viele Spiele gespielt.
O, du bist für deinen Anhänger Prahlada
Als Halb-Mann-Halb-Löwe (nara-simha) erschienen
Und seinen Vater getötet.
Im Tretayuga bist du als Shri-rama geboren
(Und hast den Dämon) Ravana getötet.
(Du) hast
Zusammen mit den menschenähnlichen Affen
Den Ozean gebändigt
(Und deine Frau) Sita befreit, O Kanai.
Im Dvaparayuga hast du im Hause Nandas
Butter gestohlen und gegessen.
Du bist als Devakis Sohn geboren
(Aber) Yashoda „Mutter“ gerufen.
In den Hainen hast du Kühe geweidet.
Im Kaliyuga (bist) du als Gaurnga (geboren)
Und Jagai und Madhayi gerettet.
96
O, du hast Kaupin getragen
Und jedem (die Religion des) (Krishna-)namens(gesang) geschenkt.
Kanai, du hast dich als Bettler gekleidet.
Kanai, warum bist du als Gaur geboren?
Erläuterung: Das Lied stellt verschiedene Inkarnationen von Krishna der Caitanya-Vaisnavs
in West Bengal vor. Kanai, Krishna, wurde im Kaliyuga als Gaur bzw. Gaurnga, der
Hellhäutige, ein weiterer Name von Caitanya, geboren. Die Geschichte von Prahlada in:
Vishnu-purana I, 17-20. Die Geschichte von der Inkarnation Rama erzählt das Epos
Ramayana. Die Legende von Krishna, dessen leibliche Mutter Devaki war, der aber bei
seinen Pflegeeltern dem Kuhhirt Nanda und seiner Frau Yashoda in Vrindavan aufwuch, in:
Vishnu-purana V-XXXVIII. Die Legende von Jagai und Madhai, die vor der Begegnung
mit Caitanya ein lasterhaftes Leben führten, in: Svami Tapasyananda: Shri Caitanya. His
Life, Religion and Philosophy, Maylapore,17-18. Kaupina ist ein kurzes Tuch, das viele
Asketen in Indien um ihre Hüfte wickeln. Der Verfasser des Liedes meint, Caitanya habe
sich als Bettler gekleidet, weil er von Spenden lebte, s. Krishnadas Kabiraj: Shri-shricaitanya-caritamrita Madhyalila und Antyalila.
34
Ob Gaur noch einmal geboren wird?
Man kann den Menschen noch so sehr verehren,
Gaurcãd hat sein Spiel beendet.
Er kam einmal nach Nadiya.
Er wurde als ein Mensch geboren.
So lehrte Gott (im Menschengestalt)
Die Religion der Liebe hier und dort
Und kehrte zurück in sein Heim (gemeint ist der Himmel).
Die Religion der vier Yugas
Und der Veden
Ließ er beiseite
Und lehrte Shrirupa (ein Schüler von Caitanya)
Die Religion der Liebe,
Die viel tiefsinniger ist als die Veden.
35
Komme, o Gaur-candra (d. h. Caitanya),
Zusammen mit (deinem) Bruder Nitai (d. h. Nityananda).
(Wir) werden mit Herzensfreude mit dir
Im Chor singen und tanzen.
Gora (d. h. Caitanya),
(Der du), der Geliebte der Welt bist
Und die Herzen der Heiligen gestohlen hast,
Lasse dich von Radhas Liebe begeistern,
So daß du kommst und dich im Staube wälzst.
Du, der Mond von Nadiya,
Laß Nada (d. h. Nadiya) hinter dir
(Und) komme in den Herzenstempel
(Deiner) Anhänger.
Ich werde Gaur (d. h. Caitanya)
Mit meinen (eigenen) Augen sehen
97
(Und) das Ziel dieser Menschengeburt erreichen.
Wer „Cad-Gaur“ (d. h. der Mond Caitanya) ruft,
Vor wem soll er am Ufer der Welt Angst haben?
(Der Dichter) Dvijabhusan sagt: „Hoffentlich erreiche ich die roten Füße,
Die einen ans andere Ufer bringen.“
Erläuterung: Götter und ihre Inkarnationen haben rote bzw. rötliche Füße. Daher hatte auch
Caitanya rote Füße. Dies ist eine der zweiunddreißig Merkmale eines Heiligen (mahapurusha-lakshana). Die zweiunddreißig Merkmale sind: Die fünf Großen: Nase, Arm,
Unterkiefer, Augen und Knie; die fünf Feinen:Haut, Kopfhaare, Fingerglieder, Zähne und
Körperhaare; die sieben Roten: Die Augenenden, Fußsohle, Handfläche, Fontanelle, Lippen,
Zunge und Nägel; die sechs Gutgebauten: Brust, Schulter, Nägel, Nase, Hüfte und Mund;
die drei Kleinen: Hals, Oberschenkel und Geschlechtsorgan; die drei Breiten: Hüfte, Stirn
und Brust und die drei Tiefen: Nabel, Stimme und Intelligenz. Über Maha-purusha-laksana
siehe Krishnadas Kabiraj: Shri-shri-caitanya-caritamrita, Adilila XIV, 15
36
Nur mit reinem ungeteiltem Geist
Kann man dort eintreten,
In den Hof des Gaur-cãd (d. h. Caitanya),
In den Hof des Nitai-cãd (d. h. Nityananda).
Mit einem geteilten Geist wirst du in Schwierigkeiten geraten,
O du Narr, und wirst nicht ans Ufer kommen.
Zehn mal vier macht vierzig Sera,
Und vierzig Sera macht ein Mana.
Wenn da auch (nur) ein Rati oder ein Masa fehlt,
Nimmt der Kaufmann (die Ware) nicht.
Siehe, Radharani ist die Chefin der Transportabteilung.
Sie wiegt und bringt einen hinüber.
Der Holzfäller kennt die Juwelen nicht.
Nur der Juwelier kennt die Juwelen.
O du Narr, die anderen kennen sie nicht.
Der Gold-Kaufmann kennt Gold.
Er nimmt es nach dem er es gereinigt und gerieben hat.
Am Eingang stehen Shri-rupa-gõsai und Sanatan.
Sie sind große Kaufleute der Liebe
Im Markt der Glückseligkeit.
Sie wiegen (den Geist des Ankömmlings) mit der Wage
Und nehmen einen nur nach der Prüfung auf.
Erläuterung: Sera, Mani, Rati, Masa sind traditionelle Gewichtseinheiten in West Bengal.
37
Komm, gehen wir zur Gaurngas Schule.
Gehen wir alle, um dort zu lernen.
Dort werden die Legende von Hari
Und die Bhagavadgita gelehrt.
Der liebesspender Nitai unterrichtet dort.
98
38
Was für eine Sitte hat Gaur
In Nadiya eingeführt!
Ungewöhnliche Werte,
Ungewöhnliche Sitten!
Man bekommt Angst vor diesen!
Die traditionellen Normen des Dharma und Adharma (Nicht-Dharma)
Sind hierin kein bißchen vertreten.
Er singt nur das Loblied der Liebe.
Dem Kasten-System folgt er nicht.
(Er) hat alle Menschen gleich gemacht.
39
Kommt, schaut es euch an,
Gora hat eine neue Richtung (wörtl.: Stimmung, bhava)
Eingeführt.
Den Kopf hat er kahl geschoren
Und um den Hals ein Tuch gehängt,
An der Hüfte trägt er ein kurzes Tuch.
Gora lacht, weint Seine Stimmungen (bhava) sind unzählig.
(Er) ruft ständig aus: ‘O du mit den Armen Mitfühlender!’
(Er) antwortet nicht auf Fragen.
Hat (er) etwa seinen Schatz verloren?
Er hat den langen (eleganten) Umhang
Weggeworfen
Und trägt (jetzt)
Das kurze Lendentuch.
Selbst (in Krishna) vernarrt,
Hat er alle Welt
Zu Vernarrten gemacht.
O, was für ein Spiel im Kaliyuga!
Was für eine wunderbare Religion!
40
Ob Gaur jemals wieder
Zurückkehrt?
Man kann diesem Menschen
Noch so viel Verehrung entgegenbringen,
Gaurcãd ist schon fertig.
Einmal kam er nach Nadiya.
Er erschien als ein Mensch.
Er verschenkte (Gottes)liebe hier und da
Dann kehrte Gott in seinen Wohnort zurück.
(Er führte) Gottes Lobgesang und andere Sachen (ein).
Er ließ die Veden Veden sein.
(Er) hat den Weg des Genusses,
Der geheimer ist als die (Lehre der) Veden,
(Seinen Schüler) Shri-rupa gelehrt.
99
Ob Advaita Gõsai
Gaur wieder nach Nadiya holt?
Lalan sagt: „Wer erfaßt in dieser Welt
Den Barmherzigen?“
41
O Gaur, fahre mich zum Ufer dieser Welt.
Ich bin schlecht und weiß nicht wie man dich anbetet.
Aber Gaur, alle sagen, dein Namenslobgesang
Läßt den Stein im Wasser schwimmen.
So habe ich deinen Namen ausgerufen
Und bin ins Wasser gesprungen.
Wenn ich im tiefen Wasser ertrinke,
Wird das dir Schande bringen.
Die Welt ist ein unendlich tiefer Fluß
Und mein Boot ist zerbrochen.
Ich mache mir Sorgen, was wird.
Wohin ich auch schaue, ist es dunkel.
Die Geschichten der Puranas erzählen,
Du bist der Freund der Hilflosen,
Du hast unzählige (Menschen) gerettet.
Gangadhara hat einen Wunsch,
Daß er nie wieder in dieser Welt geboren wird,
Daß er nicht immer wieder die Qual der Welt erleidet.
Ich möchte beim Sterben den Namen Hari
Auf den Lippen haben,
Damit ich nicht
Wiedergeboren werde.
Lieder, die philosophische Gedanken enthalten
42
Als es keinen Himmel, Wind und keine Wolken gab,
Da war auch keine Sonne, kein Mond.
Kein Brahma, Vishnu oder Shiva.
Sag mir dann,
Wie kam vom Formlosen
Diese Form?
Sag mir, O Barmherziger,
Wie haben damals
Purusha and Prakriti Formen gewonnen?
Was bedeutet Schöpfung?
Welche sind ihre Eigenschaften ?
Welche Elemente hat sie?
Haben die Elemente das Bewußtsein, oder nicht?
Sarada sagt:
Ich sitze hier und wundere mich darüber,
Woher kommt diese Welt?
O Guru, sage mir
Wer hat diese Welt erschaffen?
100
43
O mein vernarrtes Herz
Singe voller Freude das Lob von Hari.
Sei es der Bruder, sei es der Freund,
Niemand gehört einem.
Behauptest du das Gegenteil,
Wo bleiben sie denn (wenn man gestorben ist)?
Wo bleiben das Haus, der Wagen (und) die Pferdekutsche?
Wenn du gestorben bist, gibt es für dich nur eine zerrissene Matte,
Einen Wasserkrug und ein Seil aus Reisstroh.
Deine Geliebte, die du über alles geliebt hast,
Wird dich mit Beschmierung des Kuhkotes verabschieden.
Zwei Tage wird sie um dich weinen.
Große Tränen werden fließen.
Dann wird sie aber deine Koffer und Kisten öffnen.
Und, wenn du ihr etwas hinterlassen hast,
Bist du gerettet,
Sonst sind (rückwärts gerechnet)
Vierzehn Generationen deiner Linie schon hier erledigt.
Erläuterung: In Indien werden bei den Hindus die Leichen je nach der finanziellen
Möglichkeit der Verwandten des Verstorbenen auf einem prunkvollen Bett mit Blumen
bedeckt oder aber auch auf einer billigen Tragbahre aus Bambus zum Krematorium
transportiert. Wird die Leiche auf eine Tragbahre transportiert, so wird sie während des
Transportes in ein Tuch oder in eine Bambusmatte gewickelt und mit einem Seil aus
Reisstroh an der Tragbahre festgebunden. Zu solchen Anlässen wird in den Gegenden, wo
der Ganges nicht neben dem Krematorium fließt, in einem Krug das Gangeswasser
mitgenommen. Das Wasser des heiligen Ganges braucht man für die Zeremonien im
Krematorium. Beim Fehlen des Gangeswassers wird das Wasser eines anderen Flußes,
möglichst aber aus einem anderen heiligen Flußes genommen (vgl. VashishthaDharmashastra III, 26). Bei einem Todesfall wird das Haus und die Familie des
Verstorbenes unrein (vgl. Vashishtha-Dharmashastra IV, 16-29) Über die Reinigung mit
dem Kuhkot siehe Vashishtha-Dharmashastra III, 56.
44
Könnte der Unfaßbare erfaßt werden,
So wäre seine faßbare Form (d. h. die Welt) verständlich.
(Seine) Gestalt (d. h. die Welt) könnte (dann) analysiert
(Und er) durch die spirituelle Übung erreicht werden.
Welche sind die Formen des Unfaßbaren,
Sag' mir, o (du mein) vergeßlicher Geist.
Welche Erscheinungsform soll (ich) für die spirituelle Übung wählen?
Eine Entscheidung (hierfür) ist noch nicht getroffen.
Er ist formlos, ohne Form,
Gelobt sei er als (die formvolle) Welt.
(Er) ist der Vater der Götter,
Gandharvas, Menschen, von allen.
Daß ich diesen Vater finde,
Wann werde ich dazu fähig sein?
101
45
Mein Zopf bleibt so,
Wie er ist.
Ich werde meine Haare
Nicht naßmachen.
Ich werde platschen, planschen,
Aber nicht das Wasser berühren.
Hierlang und dalang,
Hierhin und dorthin
Werde ich schwimmen.
Ich werde ins Wasser tauchen
Und nicht aufs Gerede
Hören.
Ich werde genießen,
Aber trotzdem nicht leiden.
Gõsai Rasaraj sagt:
‘Höre du Frau,
Die Schönheit dieses (Genusses)
Macht einen sprachlos.’
Ich werde nicht treu sein,
Aber auch nicht untreu.
Trotz (der Untreue) werde ich
Meinen Mann nicht betrügen!
46
O du unaufmerksam gewordene Hausfrau,
Wohin gehst du heute,
Auf dem Bett liegend,
Das von den Trägern aus (deiner) Kaste getragen wird?
In Schweiß gebadet hast du deinen Haushalt gepflegt!
Aha! Du hast Krüge voller Öl und Butterfett gehortet.
Schmuck aus Gold und Silber,
Geschirr, Krug, Schüssel,
Hier die Bettgestelle, Betten, Matten,
(Alles) hast (du immer) ordentlich aufgeräumt.
Die Vorratskammer, in der die Töpfe,
Große und noch größere Krüge standen,
Hast du (immer) abgeschlossen,
Hier hast du die flachen und tiefen Körbe
(Ordentlich an der Wand) aufgehängt.
Alle für den Haushalt notwendige Gebrauchsgegenstände!
Nichts hast du unbesorgt sein lassen.
Aha! Mit wieviel Mühe auf dich nehmend
Hast du alles nach und nach besorgt!
Deine Haushaltsgegenstände
Hast du gehütet wie dein (eigenes) Leben.
Wegen Angst vor Verschwendung
Hast du niemandem (etwas) anzufassen erlaubt.
Wenn einer (dich) um etwas gebeten hat,
102
Hast du es (ihm) niemals gegeben.
Obwohl genug da war,
Hast du gesagt, alles wäre knapp
Und hast dich dabei nicht geschämt.
Immer hast du gesagt 'Mein, mein.'
Heute ist nichts mehr dein geblieben.
Aha! Du hast dich umsonst
Mit der Last des schweren Schlüsselbundes geplagt.
Der Narr (d. h. der Baul) sagt: „Hari, Hari,
Du gehst und läßt alles hinter dir.
Deine so sehr geliebten vollen Krüge Nimm doch zwei Stück mit.“
47
Maya schluckt die Lebewesen der Welt
Mit (ihrer) Magnetmaschine.
Das Lebewesen vergißt (die Wahrheit),
Wenn es sie sieht.
Nur wenige vergessen Shiva nicht.
Für das Lebewesen gibt es
Keine Rettung vor dieser Maschine.
(Die Maya) fängt das Lebewesen
Und trinkt seinen Saft mit Freude.
Die Motte fliegt zum Feuer
Ohne an den Tod zu denken.
Die Anziehungskraft der
Magnetmaschine ist so stark,
Daß Insekten, die Beweglichen, die Unbeweglichen Alle sich von ihr hingezogen fühlen.
(Sogar) Brahma, Vishnu
Und der Dreiäugige (gemeint ist Shiva)
Finden trotz Nachdenken keine Lösung.
Direkt am Eingang auf der Hauptstraße der Wiedergeburt
Liegt die Maschine bereit.
O Bruder, wem soll ich das noch sagen?
(Nur) der Adept wird das verstehen.
Welch anderer soll das (noch) verstehen?
Der Herr der Maschine ist der Guru Cãd-gõsai (gemeint ist Caitanya bzw. Krishna).
Gelobt sei seine Firma!
(Er) hat seine Maschine über den Himmel,
Die Erde und Unterwelt ausgebreitet.
Der Diener Radheshyam sagt:
‘Wer außer dem Guru wird die nähere Informationen
Uber die Maschine geben können?’
48
Wem gehörst du,
Wer gehört dir in dieser Welt?
Unnütz in Maya versunken
Warum verhältst du dich so,
103
(Als ob die Beziehungen dauerhaft wären)?
49
Mein Gedanke hat den Maya-Wein getrunken.
Die Betäubung hält Tag und Nacht.
50
Trinke nicht unnötig den Maya-Wein.
Vergiß nicht die schon gelernte Lehre.
Wenn die Lehre (dich) jetzt verläßt,
Wird keine (Befreiung) kommen,
Und du wirst in der Schlinge weiterer Schöpfungszyklen
Gefangen bleiben.
51
O (mein) Herz, (alles ist) Einbildung,
Alles ist Maya.
Es gibt Brahma, Vishnu (und) Maheshvara
In Schöpfung, Erhaltung und Zerstörung.
O (mein) Herz!
Hin und wieder manifestiert sich (Brahman)
In diesen Erscheinungsformen.
Der Herr der Schöpfung, der Herr der Erhaltung,
Und der Herr der Zerstörung stehen aufrecht (vor ihm).
O (mein) Herz, spürst du das nicht?
Die Lehren über Atman (und) Guru
Sind wie der Schatten des Banyanbaumes
Auf dem Haupt (in der Mittagssonne).
52
Wie soll ich den unerfaßbaren Menschen
Erfassen?
Er existiert hinter Namen und Formen.
Die Augen aus Fleisch und Blut
Können ihn nicht sehen.
Wenn ich den Unerfaßbaren fassen könnte,
Würden seine erfaßbaren Formen
Im richtigen Licht erscheinen,
Wären seine Formen verständlich,
Ich könnte ihn mit spiritueller Übung erreichen.
Was ist die (eigentliche) Form des Unerfaßbaren,
Sag, o du mein närrisches Herz!
In welcher Form soll ich ihn verehren?
Eine Entscheidung ist noch nicht getroffen worden.
104
Über die Gottesliebe
Über die Notwendigkeit der Dualität Gott - Mensch
53
Ich möchte den Zucker kosten!
Ich möchte nicht Zucker werden!
Ich möchte wie die Gopies in Vrindavan
Krishna genießen.
Die Liebe zwischen Radha und Krishna genießen.
54
Wer außer Krishna nichts anderes begehrt,
Dessen Liebe ist rein.
Wie die Schwalbe, die außer den Regentropfen
Kein anderes Wasser trinkt,
So begehrt der Mensch, der Krishna liebt,
In seinem Herzen
Nur Krishna.
Er will nicht die Freude des Himmels,
Er möchte nicht in Gott sich auflösen.
Sein Verhalten zeigt
Deutlich, daß er
Sich in Krishnas Freude freut.
55
(In dem Zimmer) mit der siebten Tür sitzt der König,
Frau, gehe niemals dort hin.
Allgemein über Gottesliebe
56
Wer den Weg der Gottesliebe geht
Und den Sohn von Nanda (d. h. Krishna) verehrt,
Dessen Liebe ist rein.
Er wohnt in (Krishnas Weilort) Vraja.
57
Haris Name (hari-nama) ist prima, paff, paff.
O mein Herz, nimm den Zug Tag und Nacht.
Der Körper wird berauscht,
(Er) wird Spaß haben
Und das Herz wird glücklich.
Bereitet man die Pfeife der Gottesliebe (bhakti) zu
Und zieht kräftig (an ihr),
So macht das viel, viel Spaß.
Bereite die Pfeife der Sehnsucht (nach Gott) mit Liebe
Und ziehe ständig an ihr.
105
Erläuterung: Der Verfasser des Liedes zieht hier einen Vergleich zwischen dem
Hanfrauchen und der Gottesliebe, da beide den Rausch verursachen. Wie der Hanf den
Raucher glücklich macht, so freut die Gottesliebe den Gottliebenden. Die Bauls sind
bekannt für das Hanfrauchen (s. Kapitel 1).
58
Die Liebe zu Krishna ist wie der Ozean des Nektars.
Hätte ich auch nur einen Tropfen davon gekriegt!
Die Wirkung eines einzigen Tropfens
Hätte die vierzehn Welten versenkt.
59
O mein Herz,
Steig ein in die Gewissensklasse (des Zuges)
Und fahre nach Vrindavan.
Stelle dich in die Schlange
Und kaufe die Karte für (die Reise in) die Gottesliebe.
Die Füße des Gurus
Sind das Licht der Liebe.
Wenn du in Vraja wohnen willst,
Dann kaufe dir die Karte der zweiten Klasse.
Sei der Zweite und fasse die Füße (des Gurus).
Sei dem Guru ergeben.
Liebst du ihn (d. h. Krishna) mit ungeteilter Liebe,
So wirst du Nandas Sohn erreichen.
Wenn du nach Vrindavan gehen willst,
Dann verrate ich dir ein Geheimnis:
Erkenne die Regeln und fasse erst die Füße Vrindas.
Vrinda kennt die Geheimnisse Vrindavans
Und den Geliebten von Radha.
Erläuterung: Vrinda ist ein weiterer Name von Barayi, der Aufsichtsperson für Radha (s.
Kapitel 4).
60
Warum leidest du unnötig
Unter schlechten Karmas?
Irgendwann stirbst du ganz plötzlich.
Sei vernünftig
Und hole den Arzt schon jetzt.
O du, rufe den Guru, den einheimischen Arzt,
Und nimm die Medizin stündlich mit Aufmerksamkeit.
Die Mantra-Tropfen vertreiben deine Krankheit in drei Tagen.
Warum sollst du unnötig sterben,
Wo du doch zu Hause das Hari-Namen-Chinin hast.
Eine so gute Medizin wirst du nicht noch einmal kriegen.
Überlege dir das in deinem Herzen.
Tag und Nacht hast du Angst,
Daß die Pferdeärzte dich in den Tod treiben.
Sie werden nichts vom Dharma wissen wollen.
106
Sie werden unerwartet deinen Tod verursachen.
Die Liebe zwischen Krishna und sowohl Gopi Radha als auch den anderen Gopis ist die
reine Form der Gottesliebe
61
Shyam (d. h. Krishna), mache dich nicht lächerlich,
Gehe lieber nach Hause.
Deine Geliebte wird mir die nicht reden.
Du hast sie schwer enttäuscht,
Und nun faßt du ihr die Füße!
O du Nandas Sohn, du bist ein unbekümmerter Kuhhirt.
Du kennst den Schmerz deiner Geliebten nicht!
(In der Nacht hast du sie warten lassen),
Und nun kommst du am Morgen nur,
Um sie zu ärgern!
62
In Vrindavan hat Nandas Sohn
Prem erlebt.
In hundertmillionen Gopis (d. h. die Kuhhirtinnen in Vrindavan) war
Kama nicht vorhanden.
Das ununterbrochene Kama-Spiel (mit den Kuhhirtinnen)
War nur seine (spielerische äußerliche) Art.
Die Liebe zur Kuhhirtin Radha (radha-prem)
War die Juwelmine.
In ihr erlöschten alle Feuer.
Vernarrt in Radha,
(Wurde er) als Gaur geboren
Und verschenkte weinend (allen) die Lehre der Liebe
In Nabadvip,
Ungeachtet dessen,
Ob diese sie verdienten
Oder nicht.
Die Liebe der Gopis für Krishna ist das Vorbild für die Gottesliebe der Bauls
63
Nicht alle kennen die (wahre) Liebe.
Liebe, die Shyam
Und die Gopis aneinander bindet.
Die Liebe der Gopis (gopi-prem)
Kennen nur
Die Hummeln der reinen Liebe.
Die Gopis denken nicht an Tugend oder Sünde,
Wenn sie Krishna sehen.
Leute, die wie die Gopis lieben,
Kennen die Liebe, die sich in Vraja gezeigt hat.
Nur sie wissen, wie man den Unfaßbaren faßt,
Wie die Gopis.
107
Erläuterung: Über die Liebe zwischen Krishna und Gopis siehe Bhagavata-purana X, 21, 29
und 47, Vishnu-purana V, 10-13 und 18 und Krishnadas Kabiraj: Shri-shri-caitanyacaritamrita, Adilila IV, 162-172.
64
Die Natur (der Liebe der Gopis) in Vraja war rein.
Schneide damit den Diamanten (der Liebe).
Wenn du die (Diamantenperle) mit der Natur (der Liebe) der Gopis
polierst, werden sie funkeln.
Wenn du dann die Perle
(Mit der Schnur) der reinen Liebe
Aneinander bindest,
Wird die (Kette der Liebe) wunderbar aussehen.
65
Krishna, den sogar der größte Yogi und der größte Asket
Mit Hilfe des Yogas und der Meditation nicht findet,
Bleibt der Sklave der Gopis.
Andere Vorbilder der Gottesliebe
66
O mein Herz, du weißt nicht,
Welches Schicksal dem blüht,
Der sich die Füße des Kala (d. h. Krishna) wünscht!
Der (Krishna-) Verehrer Bali war ein König.
Gott betrog ihn in der Erscheinungsform eines Zwerges
Und nahm ihm sein Königsreich weg.
König Karna war der große Geber der Welt.
(Gott) zerstörte ihn mit seiner ganzen Linie
In der Erscheinungsform eines Besuchers, der bettelte.
(König Karna) wurde aber trotzdem nicht traurig.
Er liebte (Gott) weiterhin,
Denn, o mein Herz, in der Gottesliebe fand er Trost.
Schau dir die Haltung Prahladas an!
Wegen Gottesliebe mußte er so sehr leiden.
Weil er Krishna liebte, wurde er ins Feuer geworfen
Und im Wasser ertränkt.
Aber trotzdem hörte er nicht auf, Krishna zu lieben.
Lakshmana liebte Rama zu allen Zeiten.
Er wurde an der Brust vom Pfeil getroffen.
Aber trotzdem hörte er nicht auf,
Ramacandra zu lieben.
Erläuterung: Dämon Bali verrichtete einmal eine Feueropferzeremonie (yajña), um der Herr
des Himmelreiches zu werden. Während der Zeremonie erschien Vishnu als ein Zwerg
(vamana) und bat um die Almosen. Der Zwerg wollte die Teile, welche er mit drei Schritten
bedeckte, als Almosen haben. Bali willigte ein. Daraufhin bedeckte Vishnu den Himmel, die
Erde und Unterwelt mit drei Schritten. So rettete er die drei Welten von der Herrschaft des
108
Dämonen Bali. Über Bali und Vishnu siehe Ramayana, Uttara-kanda. Die Eine kurze
Erzählung über Karnas Geburt mit der Rüstung und seinen Tod im Kampf mit den Pandavas
in: Shanta Rameshwar Rao: The Mahabharata, Hyderabad, 1985, S. 14-16 und 127-131.
Prahlada war ein inniger Anhänger Krishnas. Sein Vater verbot ihm die Vishnu-Liebe
(Vishnu-bhakti) und versuchte wiederholt, ihn umzubringen, weil der Sohn ihm nicht
gehorchte. Die Mordversuche des Vaters blieben erfolglos, da Vishnu jedesmal seinen
Anhänger rettete. Die Geschichte von Prahlada in: Vishnu-purana, XVII-XX. Der Baul
erzählt hier eine Episode aus dem Epos Ramayana. Lakshmana war der jüngere Bruder von
Rama, hier Ramacandra, einer Inkarnation Vishnus. Im Krieg gegen Ravana wurde
Laksmana von einem besonders gefährlichen Pfeil namens Shakti-sela getroffen. Er kämpfte
aber weiterhin auf der Seite seines Bruders.Die Geschichte in: Ramayana, yuddha-kanda.
67
Übe nicht die Liebe mit wilder Hast.
Denn die Liebe ist wie der klebrige Saft des Jackbaums.
Klebt er einmal,
So kann man ihn nicht mehr entfernen.
Der Liebe wegen
Ließ sich Shiva im Krematorium nieder.
Und der Liebe wegen
Entsagte Gora, Nimai aus Nadiya, die Welt.
(Jayadeva, der Verfasser von) Gitagovinda
Und (seine Geliebte) Padmavati, Kinder!, sind die wenigen,
Die lieben konnten!
Du weißt nicht, wie man liebt!
Liebt man falsch,
Ist das Ergebnis verkehrt
Und man wird leiden.
Es ist wie wenn die Ameise
Sich von dem Sirup nicht befreien kann
Der Sohn eines Brahmanen, welche Schande!,
Verehrte die Füße einer Wäscherin.
Will man den Mond erreichen,
So darf man nicht
Bei der Liebe an die Kaste denken
Erläuterung: Das Lied deutet darauf hin, daß wenn man anstatt der göttlichen die sexuelle
Liebe übt, führt die Übung zum gegenteiligen Ergebnis, d. h. durch die falsche Liebe wird
man nicht das Gotteserlebnis erlangen, sondern im Kreislauf der Wiedergeburten verhaftet
bleiben. Shivas Wohnort wurde zum Krematorium, weil er seine Frau Sati verlor. Die
heiligen Schriften erzählen die Geschichte folgendermaßen: Göttin Sati, die Frau Shivas,
besuchte ihre Eltern, um an einer großen Opferzeremonie im Elternhaus teilzunehmen.
Nebenbei sei bemerkt, daß Sati nur eine weitere Erscheinungsform der Göttin Durga bzw.
Kali ist. Der Vater mochte den mittellosen Schwiegersohn nicht und fing an, vor den
versammelten Gästen schlecht über ihn zu reden. Satis Protest und Bemühung, die Sache
richtigzustellen hatten keinen Erfolg.Sie konnte die Verleumdung ihres Mannes nicht mehr
ertragen und entschied sich für den Tod. Mitten in der Feier, vor allen Anwesenden, verließ
ihre Seele den Körper. Als Shiva vom Tode seiner Frau erfuhr, eilte er mit seiner Armee zu
den Schwiegereltern. Von Trauer und Wut entbrannt zerstörte er alles, was er vorfand.
Dann nahm er die Leiche seiner Frau auf die Schulter und tanzte den Zerstörungstanz
109
Tandavanrtya. Die Götter machten sich Sorgen um die Existenz der Welt und baten Vishnu
um Hilfe. Er schickte seinen scharfkantigen Diskus, den er immer in der Hand trägt, zu
Shiva. Der Diskus sollte Satis Leiche in die Stücke schneiden, so daß der Körper seiner
Frau Shiva nicht mehr ununterbrochen an sie erinnerte. Der Diskus führte den Befehl aus
und Shiva beruhigte sich. In tiefer Trauer und Einsamkeit zog er sich in seinem Wohnort,
den Berg Kailasa zurück und fing an zu meditieren. Der Verfasser des Liedes vergleicht den
einsamen Wohnort Shivas mit einem Krematorium. Gora, auch Nimai genannt, d. h.
Caitanya, verließ seine Familie und trat in die Askese ein, um Krishna zu erleben (s. Kapitel
2,). Jayadeva, der Verfasser von Gitagovinda und Candidas, der Verfasser von Shri-krishnakirtana und Vaisnava-padavali, haben ebenfalls die Gottesliebe der Baul-Religion praktiziert.
68
Heil, heil Jayadeva!
Heil, heil Padmavati!
Im Dorf Kenduli am Ufer des Flusses Ajay im (Distrikt) Birbhum
Wohnten sie.
Im Krematorium Kendulis
Schrieb er das Buch namens Gitagovinda.
„Oh! Wie soll ich schreiben: ‘Gib mir (deine) Füße?’,
Denn Gott Krishna ist
Der Herr des Universums.“
Jayadeva ging im Ganges zu baden.
Unterwegs dachte er: „Göttin Ganga (d. h. Ganges) hat befohlen:
‘Du brauchst nicht mehr zu kommen, um zu baden.’
Ich werde dann wohl mit dem Fluß Ajay Strom aufwärtssteigen.“
Er legte den Tag des Makara-sankranti dafür fest.
„Vernichte das Gift der (sexuellen) Liebe,
Lege deine Füße auf mein Haupt.“
Der Brahmane verehrt den Gott der (Stadt) Kashi.
So gib diese Speise auch (Göttin) Radha und (Gott) Shyam.
Im Dorf Kenduli am Ufer des Flusses Ajay im (Distrikt) Birbhum
Wohnten sie.
Heil, heil Jayadeva!
Heil, heil Padmavati!
Erläuterung: An einer Stelle verlangte das Thema der Lyrik, daß Krishna seine Geliebte
Radha darum bittet, daß sie ihre Füße auf sein Haupt lege. Dies konnte Jayadeva jedoch
nicht schreiben, da Krishna Herr der Welt ist. Unten wird erzählt, wie es dazu kam, daß das
Gedicht von Jayadeva trotz seiner Bedenken diese Aussage von Krishna enthält. Das Baden
in einem heiligen Fluß, besonders im Ganges, gehört bekanntlich zu den üblichen Bräuchen
des Hinduismus. Tut man dies an einem bestimmten Tag, an dem die Sterne und Planeten
eine bestimmte Konjuktion haben, so verspricht sich der Gläubige davon besondere
Belohnungen. Die Göttin Ganga ist der Fluß Ganges. Als Jayadeva sich vornahm, im
Ganges zu baden, sagte ihm Göttin Ganga, daß dies für ihn nicht nötig sei. So beschloß
Jayadeva, anstatt im Ganges im Fluß Ajay zu baden. Es legte hierfür den Tag fest, an dem
heute das Jayadeva-kenduli-Treffen gefeiert wird. Dieser Tag wird Pausha-sankranti bzw.
Makara-sankranti genannt. Es ist der letzte Tag des Monats Pausha (Dezember-Januar).
Jayadeva brauchte aber nicht im Fluß Ajay zu baden, denn Göttin Ganga änderte ihren Lauf
und kam zum Haus des Dichters. So badete Jayadeva am Pasusha-sankranti im Ganges.
Hier zitiert der Baul die Zeile, welche Jayadeva nicht schreiben wollte. Sie lautet:
110
„Vernichte das Gift der (sexuellen) Liebe und lege deine schönen Füße auf mein Haupt“
(Gitagovinda X, 8).Auch wenn Jayadeva sich weigerte, dies zu schreiben, ist es doch
geschrieben worden. Wie dies geschah erzählt die folgende Legende: Jayadeva weigerte
sich, seinen Herrn, Gott Krishna, auf diese Weise zu demütigen. So legte er die Feder
beiseite und ging baden. In seiner Abwesenheit kam Krishnatha selbst und vollendete die
Strophe. Jayadeva war gleichzeitig ein Verehrer von Kashinatha, Shyam und Radha, da alle
Götter Manifestationen derselben Wahrheit sind (s. Kapitel 4). Kashinatha, Herr der Stadt
Kashi, ist ein weiterer Name von Shiva. Kashi ist ein weiterer Name von Varanasi
(Benares), Shyam ist ein weiterer Name Krishnas. Der Verfasser des Liedes meint, daß man
die für Shiva gedachte Speise auch dem Gott Krishna und der Göttin Radha opfern darf, da
sie alle dieselbe Wahrheit verkörpern.
Bedauern darüber, daß der Baul Gott nicht innbrünstig lieben kann
69
Freundin, ich habe es nicht geschafft zu lieben.
Mein verdammtes Schicksal stand mir im Wege
Und hat die Krishna-Liebe nicht entstehen lassen.
Die Krishna-Liebe ist der Ozean des Nektars.
(Nicht einmal) einen Tropfen von diesem Ozean,
Nicht (einmal) einen Tropfen dieses Tropfens
Habe ich bekommen!
Ein einziger Tropfen
Hätte den Wunsch meiner Seele
Befriedigt.
70
Mein Gedankenvogel wird nicht zahm.
Ich sage ihm, er soll die Namen Radha (und) Krishna singen,
Aber er singt dieses Lied nicht.
71
Gedanke, ich flehe dich an und fasse diene Füße,
Denke an Hari,
Der Tag verrinnt nutzlos.
Die Geheimnisse im Menschenkörper (die mystische Physiologie)
72
Du bist gekommen in diese Welt,
Um Karten zu spielen.
Nun wisse, das As bedeutet Brahman.
Die fünf Elemente des Körpers
Sind durch die fünfte Karte symbolisiert.
Die sechste Karte symbolisiert
Die sechs Ripus.
Nun, wenn du reinschaust,
Wirst du sieben Etagen finden.
Die Bedeutung der achten Karte
Wirst du verstehen,
111
Wenn du die acht Räume in deinem Körper
Kennenlernst.
Der Körper hat neun Türen.
Wer den Körper beherrscht,
Besiegt alle.
Ohne jemanden zu fürchten
Gehr er allein.
O Gyanananda,
Was hast du bloß getan!
Du bist gekommen, um Karten zu spielen
Und hast verloren!
Du hast die fünfte und die sechste
Nicht besiegen können!
Erläuterung: Brahman ist die höchste Wahrheit. Die fünf Elemente des Körpers sind: Erde
(ksiti), Wasser (ap), Feuer (teja), Wind (marut) und Äther (vyoma). Die sechs Ripus
(Feinde), die die Menschen in die Irre leiten, sind: Sinnesfreude (kama), Zorn (krodha),
Habgier (lobha), Verblendung (moha), Rausch (mada) und Neid (matsarya). Die sieben
Etagen sind die sieben Zentren (cakra) im Körper. Diese sind: Muladhara-cakra,
Svadhisthana-cakra, Manipura-cakra, Anahata-cakra, Vishuddha-cakra, Ajña-cakra und
Sahasrara-cakra. Die acht Zimmer sind: die zwei großen Zehen, Knie, Hände, die Brust, und
die Nase. Die neun Türen sind die neun Öffnungen des Körpers. Diese sind: die Augen,
Ohren, Nasenlöcher, der Mund, der Anus und das Geschlechtsorgan.
73
O mein Herz, warum suchst du ihn
Hier und da?
Schau dir dein Haus mit den sieben Etagen an.
In diesem Haus wirst du die höchste Wahrheit finden.
Muladhara, Svadhisthana, Manipura kommen hintereinander,
Gefolgt von Anahata, Vishuddha und Ajña.
Diese sechs muß man durchqueren.
Im Muladhara mußt du anfangen,
Die Leiter hinaufzusteigen.
Durch den mittleren Kanal namens Sushumna
Mußt du in die sechste (Etage) steigen.
(Bist du hier angekommen,) so schau nach oben.
Nun wirst du die siebte Etage sehen,
Hier ist die Blume mit den tausend Blättern.
Die Öffnung des Lotus zeigt nach unten.
Sehr sanft ist er.
In der Mitte ist der Lotus hell.
Im Lotus sitzt er.
Wenn du ihn siehst,
Wird deine Verblendung enden.
Hier ist der größte Schatz, den du suchst.
Wenn du ihn siehst, wird der Nektar fließen
Und dein Herz wird weich,
Da du den verlorenen Schatz gefunden hast.
Jetzt wirst du nicht mehr immer wieder
112
Auf die Welt zurückkommen.
Gopala sagt: ’Wer außer dem Guru
Wird einem (den Weg) zeigen?
Fasse die Füße des Gurus,
Dann wird dein Wunsch erfüllt werden. ‘
74
Wer hat dieses Haus gebaut?
Gelobt sei der Handwerker!
Die Technik ist wunderbar.
Wo wohnt dieser Handwerker?
Gelobt sei der Handwerker!
Drei Pfosten tragen das Haus.
Wie ordentlich (sie es tun)!
(Das Haus) ist mit den Seilen festgebunden.
Sie zählen fünfunddreißig Millionen!
Das Haus hat neun Türen.
Dies ist offensichtlich.
Es hat unzählige Fenster, wer weiß wieviel!
Das Haus ist vierzehn poya groß,
Die vierzehn Welten sind darin.
Das Haus ist gut gebaut und hat sechs Etagen.
Über der sechsten gibt es noch eine Etage.
Sie heißt die Etage der Juwelen.
Hier glänzen die Edelsteine Tag und Nacht.
Der Herr wohnt hierin.
Der Handwerker ist so geschickt!
Gelobt sei seine Intelligenz!
Das Haus ist eine so wunderbare Maschine,
Daß wenn man ihm sagt: „Gehe“, geht es.
Dies ist keine Lüge, daß die Erde dieses Hauses spricht
Und das Feuer in ihm brennt.
(Die Erde und das Feuer) sind in einander vermischt.
Hier wohnen der Heilige und der Dieb,
Der Dämon und der Mensch.
(In dem Haus gibt es) sowohl das Gift als auch den Nektar.
Ananta denkt nach: „Wie kann ich das Haus erfassen?
Obwohl ich in diesem Hause wohne,
Habe ich den Herrn des Hauses noch nicht kennengelernt.
Ich wandere vergeblich hier und dort,
Ohne das Haus zu kennen!“
Erläuterung: In diesem Lied wird der menschliche Körper mit einem Haus verglichen. Die
drei Pfosten sind die drei Gunas. Diese sind: Sattva (Reinheit), Rajas (Aktivität) und Tamas
(Trägheit). Die Seile sind die Kanäle (Nari), welche im Körper die Lebenskraft verteilen.
Die neun Türen sind die neun Öffnungen (s. 72). Die Fenster sind die Poren. Da die
vierzehn Welten sich im Körper befinden, wird er als vierzehn Poya, eine traditionelle
Meßeinheit in West Bengal, groß gemessen. Die vierzehn Welten sind die sieben Himmel
(svarga) und ebensoviele Unterwelten. Die sieben Himmel sind: Bhurloka, Bhuvarloka,
Svarloka, Maharloka, Janarloka, Tapoloka und Satyaloka und die sieben Unterwelten sind:
113
Tala, Vitala, Sutala, Mahatala, Talatala, Rasatala und Patala. Das Zimmer der Juwelen ist
das Sahasrara-cakra, wo Gott wohnt. Die Erde und das Feuer sind zwei von den fünf
Elementen. Der Körper beherbergt gegensätzliche Regungen, die mit den Heiligen und
Dieben, Menschen und Dämonen bzw. Nektar und Gift verglichen werden.
75
O (mein) Geist, erkundige dich zu allererst
über (deinen eigenen) Körper.
Wie soll die spirituelle Übung vollbracht werden,
Ohne die mystische Physiologie zu kennen?
Bereise die vierzehn Welten in (deinem) Körper,
Die sieben Himmel- und die sieben Unterwelten.
76
O (mein) Geist, suche die sieben HimmelUnd die sieben Unterwelten (im eigenen Körper),
Damit du den (darin versteckten)Juwel findest.
Beim Suchen und Weitersuchen
Wirst du den schönen (Ort) Vrindavan erreichen.
Fasse zu allererst die Wurzel in dem vierblättrigen Lotus
In dem sechsblättrigen Lotus treffen sie sich.
(Nun) werdet ihr zum Genießer.
Später, wenn ihr im Manikotha das Juwel findet,
Werdet ihr das Reichtum erlangen.“
(ibid, S. 713)
Erläuterung: Zeile Gott, das Juwel, wohnt im menschlichen Körper. Er hält sich versteckt.
Vrindavan ist der Ort, wo Krishna und seine Geliebte Radha gelebt haben. Der Verfasser
des Liedes meint, daß dieser göttliche Ort sich im menschlichen Körper verbirgt. Der
Gottsuchende findet ihn mit Hilfe der spirituellen Übungen und Tantrayoga (s. Kapitel 5).
Der vierblättrige und der sechsblättrige Lotus sind jeweils das Muladhara-cakra und
Svadhisthana-cakra (s. Kapitel 3). Das Manikotha ist das Manipura-cakra (s. Kapitel 3).
Das Wort Manipura bedeutet die Stadt der Juwelen.
Die vierundzwanzig Tattvas
77
O (mein) Geist, informiere dich zu allererst
Über deinen Körper.
Ohne die Tattvas zu erkennen,
Kann man keine Freude erlangen.
In (deinem) Körper befinden sich die sieben Himmel
Und die sieben Unterwelten.
Wandere durch (diese) vierzehn Welten.
In diesem Körper gibt es die vierundzwanzig Tattvas.
Aber du hast dich vom Guru
Nicht unterweisen lassen, und (sie) nicht gesehen,
Weil du ins Ich-Gefühl vernarrt bist.
114
Erläuterung: Die vierundzwanzig Tattvas sind: Die vyakta Prakriti, Buddhi (Intellekt), auch
Mahat genannt (der kosmische Intellekt), Ahankara (Ich-Bewußtsein), fünf Tanmatras
(Feinelemente des Geräusches, Tastens, Geruchs, der Form und Geschmacks), Manas
(Geist), fünf Jnanendriyas (Sinnesorgane: die Funktion vom Sehen, Hören, Riechen,
Schmecken und Berühren), fünf Karmendriyas (Tatenorgane: Zunge, Füße, Hände,
Ausscheidungsorgane und Reproduktionsorgane) und fünf Dhatus, auch Bhutas und
Mahabhutas genannt (Großelemente: Erde, Wasser, Feuer, Wind und Äther). Die
vierundzwanzig Tattvas mit Purusha (Bewußtsein) bilden den Körper (s. Kapitel 4).
78
Wenn die vierundzwanzigeinhalb Gurus
In deinem Körper sind,
(Welcher von denen) wird der Hauptguru?
Wessen Anweisungen folgst du?
Lerne die vierundzwanzigeinhalb Lieben,
Sei der Wagenlenker des Gurus,
Dessen Sitze der Weg des Dharmas
Und der Weg der Befreiung sind.
Erläuterung: Die vierundzwanzigundeinhalb Gurus sind die obengenannten vierundzwanzig
Tattvas und der Purusha. Warum der Purusha ein halbes Tattva genannt wird, konnten die
Bauls der Autorin nicht erklären.
79
Sie gehorchen mir, dem Herrn, nicht.
Sie haben mich ignoriert und weggeschickt.
Die sechs Bewohner des Palastes.
Sie sind keine einfachen Leute.
Sie erkennen mich nicht als ihren König
Und verbringen ihre Zeit mit sinnlosen Gesprächen.
Auf dem guten Acker
Tanzen sie mutwillig grob.
Erläuterung: Der Palast ist der menschliche Körper, in dem die sechs Ungehorsamen
wohnen. Dieses sind die sechs Feinde (ripus, s. 72). Der Baul möchte die Yogaübungen
durchführen, aber die sechs Feinde machen seine Bemühungen zunichte.
80
Du hast dich in die Betrüger
Bis zu den Ohren verliebt!
Die Tage vergehen,
Und du bleibst blind.
O, die Leidenschaft, der Zorn Die sechs Ripus - winken mir zu
(Und) führen mich zum falschen Weg.
81
Als ich nach Hugli fuhr,
Band ich das Boot an Kalnas Ufer fest.
Am Ufer hatte ich fest geankert.
115
(Aber) sechs Räuber taten sich zusammen,
(Und) plünderten das Lager im Boot.
Das dicke Seil schnitten sie in Stücke,
(Und) setzten das Boot in die Yamuna.
Erläuterung: Die drei Flüsse die die drei Menstruationstage einer Frau. Während der
Menstruation seiner Partnerin kann der Baul durch den Tantrayoga Gott erleben (s. Kapitel
5). Er muß aber bei der Übung sehr achtsam sein und sich nicht von der Sinnlichkeit oder
weltlichen Gedanken verleiten lassen. Die sechs Feinde sind die sechs Ripus (s. 72)
82
O (du mein) Geist, (du) Kaufmann,
Wenn (du) wach bleibst,
Geschieht kein Diebstahl in (deinem) Gebäude.
Sechs Räuber kommen,
(Und) nehmen mit Gewalt alles mit.
Wenn (du) wach bleibst,
Wird kein Diebstahl geschehen,
O (du mein) Geist, (du) Kaufmann.
83
Mein Geist ist das Boot.
Seine sechs Ruderer tun immer schlechte Taten.
In der Nähe des Ufers versenken
Sie mich heute.
84
Mit fünf Elementen (s. oben) ist dieses Haus gebaut.
An neun Türen (wachen) neun Torwächter.
Trotzdem haben sechs Mäuse alles zerstört.
O (mein) Geist, sag', was soll ich tun.
85
Dieser mein Körper ist das Boot.
Es hat neun Löcher.
Es fährt (dorthin,
Wohin) der Strom der Welt es trägt.
Es gibt sechs ungehorsame Ruderer.
Sie kümmern sich nicht um die Richtung.
Ich sterbe vor Angst,
Ob sie das Boot mitten im Ganges sinken lassen!
(Mein) Geist, der Steuermann,
Ist blind auf beiden Augen.
Er kann das Steuer nicht in die Gegenrichtung lenken.
Die (Ruderer) haben das Segel der Guru-bhakti zerrissen
Und meine Gedanken berauscht.
Der Zorn hat das Steuer aus Bhakti zerstört,
Und nun schwimme ich ohne Stütze.
(Aber) die zwei (weiteren) Ruderer Das Mitgefühl und die Rechtschaffenheit (dharma) -
116
Haben meinen Zweifel beseitigt.
(So) ist die Habgier (lobha) weggelaufen
Und die Verblendung (moha) am Ufer gestorben.
86
Nicht nur ein Loch, sondern neun Löcher gibt es.
Ohne die Lebenskraft ist das Innere gespalten.
Kein Tropfen Wasser bleibt erhalten,
Mag ich mit Klebstoff (die Löcher) reparieren,
Soviel wie ich will.
87
Sechs Mäuse nagen an meinem Haus.
Von vier Richtungen kommt der Wind herein,
Die neun Türen sind nicht fest verschlossen.
88
Die neun Türen des Hauses sind offen.
Drinnen im Hause wohnt der Mensch (d. h. Gott),
Der ein Genießer ist.
Nun halte deine Torwächter wach,
Wirf die Falle und fange den Menschen (d. h. Gott).
89
Dreiundsechzig Flüsse voller Saft (nari)
Fließen kräftig das Weltei (d. h. den Menschen) durchbohrend.
Hierin, in diesem Menschen,
Scheint ununterbrochen die Schönheit (d. h.Gott).
90
Mein Geliebter spielt im Manipura(-cakra).
Dreihundertundsechzig Flüsse voller Saft (nari)
Fließen durch dieses Weltei (d. h. den Körper).
Wenn man in diesem Fluß die Lebenskraft festbindet,
kann man den Menschen (d. h. Gott) fangen.
91
Die Grundlage des Hauses sind die drei Grundstöcke.
Wie (gut sind sie) geordnet!
Seile (d. h. Naris), die miteinander verknüpft sind,
Zählen dreieinhalb Millionen.
Das Haus hat neun Türen, es ist bewiesen.
Erläuterung: Die drei Grundstöcke sind die drei Gunas (s. Kapitel 4).
Die Kundalini-shakti und Cakras
92
O (mein) Geist, warum wanderst du noch draußen.
Komm doch zu dir selbst.
117
Der, den du da draußen suchst,
befindet sich ständig im Ajña-cakra.
Die Kulakundalini-shakti befindet sich im Muladhara(-cakra).
Wecke sie auf mit Liebe.
Wenn die Shakti aufwacht,
Empfindet man die vollkommene Freude.
Schau dir doch einmal dein wahres Wesen an,
Das die reine Glückseligkeit ist.
Links ist die Ira-nari, rechts die Pingala(-nari).
Sie spielen (versunken) im Raja- und Tama-guna.
In der Mitte befindet sich die Sushumna(-nari).
Warum hältst du dich nicht liebevoll fest an ihr?
(Tue es,) dann wird durch das Wissen
Die Wahrheit über dein (wahres) Wesen
In dir selbst aufgehen.
(Die Wahrheit,) die du draußen suchst.
93
Die sechs Feinde, das Kama und die anderen,
Sind freundlich geworden.
Sie haben die Betrügerei aufgegeben
Und sich vollständig
Den roten Füßen ergeben.
In der Blume mit zwei Blütenblättern,
Am heiligen Ort, wo die drei Flüsse sich treffen,
Sitzt Shashanka-shekhara mit Gauri auf (seiner) linken Seite.
Wenn ich dieses Radha-und-Shyam-(Bild) sehe,
Füllen sich meine Augen voller Freude mit Tränen.
Im Muladhara, im Lotus mit vier Blütenblättern,
Schlief die Schlange mit dem Kopf nach unten.
Geweckt und erschrocken durch heftiges Schaukeln,
Blickt sie liebevoll mit dem Kopf nach oben.
Erläuterung: Zeile 1-4: Der Baul hat die sechs Feinde (ripus, s. 72) besiegt. Sie stören ihn
nicht mehr beim Yoga. Zeile 5-9: Die Blume mit den zwei Blütenblättern ist das Ajña-cakra
(s. Kapitel 3), wo die drei Kanäle Ira-nari, Pingala-nari und Sushumna-nari (s. Kapitel 3),
die hier mit drei Flüssen verglichen werden, sich treffen. Im Ajña-cakra treffen sich Shiva
und Shakti bzw. Krishna und Radha (s. Kapitel 4). Shashanka-shekhara und Gauri sind
weitere Namen Shivas und Durgas. Shyam ist ein weiterer Name Krishnas. Der Verfasser
freut sich über das Treffen von Gott und seiner Shakti im Ajña-cakra, das er im Yoga
wahrnimmt. Zeile 10-13: Diese Zeilen sagen, daß der Baul mit seiner Yogaübung die
Kundalini-Shakti erweckt hat und daß sie jetzt nach Gott im Sahasrara-cakra (s. Kapitel 3
und 4) schaut.
94
O (mein) Geist, warum suchst du ihn
Hier und da?
Schau dir dein Haus
Mit sieben Etagen an.
Im Haus selbst wirst du
118
Die Wahrheit finden.
Muladhara, Svadhisthana und Manipura
Folgen einander, wisse dies;
Anahata, Vishuddha und Ajña,
Diese sechs muß sie durchqueren.
Vom Muladhara steigt die Treppe hinauf,
In der Mitte befindet sich die Sushumna-nari
Auf die sechste (Etage) gestiegen,
Wirst du ihn oben sehen.
Du wirst die siebente Etage sehen,
Hier ist die Blume mit Tausend Blättern.
95
Wenn du in die entgegengesetzte Richtung gehen willst,
Dann sollst du deine Schätze pflegen.
Von diesen Schätzen wirst du ernten.
In deinem inneren Raum
Gibt es sieben Etagen,
Suche dir den Schüssel dafür.
Schließe das Schloß auf, gehe geradeaus
Und du wirst den Geliebten (d. h. Gott) finden.
Das Boot sollst du selbst rudern,
So wirst du die Zeit angenehm verbringen.
Wenn du gute Ware hast,
Wirst du im Lagerraum auf dem Aufsehersitz gut sitzen.
Die sechs Ruderer sind ungehorsam.
Die mußt du auf dem richtigen Weg halten.
Der demütige Phatik sagt: „Wenn sie unehrlich werden,
Töte sie mit dem Messer des Wissens“
Erläuterung: Der Baul geht die entgegengesetzte Richtung, da er seine Samen nicht verliert,
sondern ihn zurückhält (s. Kapitel 5). Der Samen ist sein Schatz, die gute Ware, der von der
sexuellen Liebe unbefleckt ist. Die sechs ungehorsamen Ruderer sind die sechs Feinde
(ripus, s. 72).
96
Wenn du Hari fangen willst,
Dann nimm die Hilfe von Shakti.
Parama-brahma(n) und Hari sind ein und derselbe.
Der Unfaßbare sitzt im Herzen der Menschen.
Im Muladhara ist die Mutter des Universums,
Im Sahasrara ist der Vater des Universums.
Wenn man diese beiden vereinigen kann,
Ist man frei von der Wiedergeburt und vom Tod.
97
Das Muladhara gehört dem Bewußten (d. h. Gott) selbst.
Sag nun, wer soll es denn aufwecken?
Das Muladhara gehört Gott selbst.
Wenn du weißt, wer du bist
119
Wirst du befreit.
In diesem Topf befinden sich alle Welten.
Warum suchst du sie draußen umsonst?
In diesem Körper, der vierzehn Poya groß ist,
Leben alle groben und feinen Lebewesen.
Sie haben in diesem Haus ihre Häuser gebaut.
Sie trinken Kondensmilch im Wasser.
Im Bewußtsein weilen der Schwan und die Schwänin.
Erde, Wasser, Feuer, Wind und Äther
Haben diesen Körper gebaut.
Vergiß niemals
Diese fünf Elemente
Und die fünfundzwanzig Sachen (gemeint sind die vierundzwanzig Tattvas + der Purusha).
Die mystische Kraft, die im Ajña-cakra wohnt,
Macht alles dunkel mit ihrer Zauberkraft.
Nur der menschliche Körper ist für den Mahayoga geeignet, daher ist die
Menschgeburt (manav-janma) wertvoll
98
Als Ergebnis welch (glücklichen) Schicksals,
Weiß ich nicht,
O (mein) Geist, hast du dieses
Menschenboot erlangt!
In diesem Menschen(körper)
Wird die spirituelle Übung
Für die Glückseligkeit durchgeführt.
Nur deshalb schuf Gott den Menschenkörper.
99
Der Wunsch nach Menschgeburt
Vieler Götter wird nicht erfüllt!
(O mein Geist,) der Barmherzige,
Hat dir eine so wertvolle Geburt geschenkt!
Warum willst du sie vergeuden?
Durch wieviele hunderttausend Geburten
(In der Tier- und Pflanzelwelt)
Bist du gewandert
(Bis du als ein Mensch geboren bist)!
O (mein) Geist, was machst du
Jetzt, wo du im Menschengeschlecht geboren bist?
100
Die Menschgeburt ist für einen ohne Nutzen,
Dessen Geist die Lehre nicht lernt.
Du bist durch achtmillionenundvierhunderttausend Geburten
Gewandert,
Und trotzdem, o Geist, nicht aufgewacht.
Als ein Baum bist du
Dreimillionenmal geboren.
120
Neunhunderttausendmal bist du
Als ein Insekt im Wasser geschwommen.
Eine Million Geburten hast du
In der Form einer Made verbracht.
Eine Million und hunderttausend Geburten
Bist du (als ein Vogel) am Himmel geflogen.
Zwei Millionen Geburten hast du
Unter Tieren verbracht.
Von einer Kalbgeburt hast du dich
Zu einer Menschgeburt hochgearbeitet,
Dies sagen die heiligen Schriften.
Vierhunderttausendmal bist du
Im Menschengeschlecht geboren,
(Und) immer noch hast du die Erleuchtung
Nicht erlangt!
101
Der menschliche Körper ist der Acker,
Den man sich nur wünschen kann!
Wird er gepflegt, erbringt er Juwelen.
Der Wunsch, weshalb man in diese Welt gekommen ist,
Wird erfüllt,
Wird (der Körper) zum günstigen Zeitpunkt beackert.
Halte den Pflug des Karma
Und beackere mit Hilfe von sechs Bullen.
Wurde zur rechten Zeit die Saat gesät,
Erntet man Juwelen, wenn die Zeit reif ist.
Erläuterung: Die sechs Bullen sind die sechs Feinde (ripus, s. 72). Der Baul muß sie zähmen
und für sich arbeiten lassen, allerdings wird in dem Lied nicht gesagt wie.
102
Gedanke, ich sehe keinen so dummen Bauern wie dich.
Dein Körper-Acker liegt brach, (du) hast ihn nicht bestellt!
Was machst du,
Wenn die Laufburschen des (Totengottes) Samana
Kommen,
Dich peinigen, dich an deinen Haaren fassen.
Wie willst du da die Rechnung begleichen?
Hast du dir Gedanken darüber gemacht?
Lieder über Gott
Gott als Krishna, die Muttergöttin Kali, Shiva, Vater und Gott anderer Religionen
Die beliebtesten Namen Krishnas in West Bengal sind: Gadadhara, Gopal, Govinda, Hari,
Kala, Kaliya, Kanai, Kanu, Krishna, Krishna-candra, Madan-mohan, Madhusudan, Mohan,
Mukunda, Murari, Nander nandan, Narayan, Rama, Shyam, Vanamali, Vraja-balak etc.
121
Die beliebtesten Namen von Kali in West Bengal sind: Annapurna, Bhadra-kali, Bhagavati,
Bhavani, Bhuvaneshvari, Camunda, Candi, Candika, Dasbhuja, Devi, Digambari, Elokeshi,
Gauri, Jagattarini, Kali, Kalika, Maha-kali, Mahamaya, Mahisha-mardini, Narayani,
Nrimunda-malini, Parbati, Shivani, Shyama, Tara und Uma.
Die beliebtesten Namen von Shiva in West Bengal sind: Bhairav, Candra-sekhar, Mahadeva,
Mahakala, Mahayogi, Maheshvar, Nataraj, Pasupati, Rudra, Shashanka-shekhar, Shiva etc.
103
(Krishna,) wen gibt es noch wie dich auf dieser Welt?
Wer kann so lieben wie du?
Wie die liebende Mutter des Universums
Trägst du die Welt in deinem Schoß.
Wie reichlich hast du die Welt
Mit Reichtum und Getreide versorgt,
Hast alles für die Lebewesen bereitgestellt!
Mit wieviel Liebe!
Du bist Gott zu Hause,
Der den Lauf aller (Dinge) bestimmt.
Du wohnst in jedem Haus.
Wie schön ist das! Du hast das Kind,
Den Alten und den Jugendlichen
Durch dieSchnur der Liebe miteinander verbunden.
Wie eine Mutter!
Ergebenst bitte ich dich, o du barmherziger Hari,
(Gib mir die Fähigkeit,) daß ich in Freude und Leid dich sehe;
Daß ich dich in meinem Herzen trage,
Daß ich dich mit Herzensfreude sehe
Und in deine Schönheit eintauche.
104
Der Anfang des Anfangslosen ist
Das Juwel Krishna,
Wo gab es da jemals wirklich ein Kuhhirtenspiel?
Als Brahman ist er unbeweglich.
Der Spielende ist seine Inkarnation.
Krishna, der Vollmond, ist der Meister im Genießen.
In seinem Körper erwacht die Shakti.
Zwischen Shakti und Kopf besteht
Die große Anziehungskraft.
Sie wird in den Veden und Agamas Vishnu genannt.
Die Weisen stützen sich auf die Wahrheit
Und verkünden in den Veden und Agamas:
„Das vollkommene Brahman ist
Das reine Bewußtsein und die Glückseligkeit.
(Für ihn) gibt es keine Geburt,
Keinen Tod auf dieser Welt.“
Aber trotzdem ist der Sohn von Nanda (d. h. Krishna)
Nicht das formlose Brahman.
122
Erläuterung: Hier wird auf die Inkarnationstheorie (Bhagavadgita IV, 7-8) zurückgegriffen.
Krishna, die Inkarnation Vishnus verbrachte seine Kindheit und Jugend als Kuhhirte. Der
Verfasser meint, da Krishna eigentlich das formlose Brahman ist, war sein Kuhhirtendasein
nur eine Erscheinung. In einem menschlichen Körper wohnt Shakti im Beckenplexus und
Krishna in der Fontanelle. Da sie sich treffen wollen, besteht eine Anziehungskraft im
menschlichen Körper (s. Kapitel 3 und 4). Der Verfasser meint, daß diese Anziehungskraft
in den heiligen Schriften Agamas0 Vishnu genannt wird. Hier darf erwähnt werden, daß
diese Ansicht nicht dem konventionellen Bild von Vishnu in Vishnu-purana entspricht. Zeile
11-18: Krishnas Pflegeeltern waren der Kuhhirte Nanda und seine Frau Yasoda. Krishna ist
zwar essentiell identisch mit dem formlosem Brahman, aber gleichzeitig ist der Körper
Krishnas keine reine Erscheinungsform, er ist real existent. Hier widerspricht der Verfasser
seiner Behauptung in den Zeilen 3-4.
105
Ich habe mit meiner Mutter (gemeint ist die Göttin Kali)
Großen Streit.
O! Sie hört allen zu,
Nur meinen Aussagen schenkt (sie) kein Gehör.
Sie liebt mich überhaupt nicht.
Erschöpft wandere ich stets durch die Straßen.
Sie versorgt jeden Haushalt mit Reis,
nur in meinem Haus habe ich keinen Reis.
Meine Mutter ist schwarz wie die Dunkelheit
Sie spendet der Welt Licht!
O! Obwohl ich so dicht am Licht mich befinde,
Verschwindet nicht die Dichte meiner Unwissenheit.
Erläuterung: Zeile 7 deutet auf den Namen Annapurna (reich an Speise) der Göttin Kali. Als
Annapurna ernährt sie die Welt.
106
Beschwere dich bei der Mutter.
Dazu brauchst du keine Zeugen
Oder Beweismaterialien.
Ihr ist alles bekannt,
Denn die beiden Augen der Mutter
Sind wie die Sonne und der Mond.
Sie brennen Tag und Nacht.
Um den bösen (Todsesgott) Samana zu besiegen,
Hat die Mutter noch ein Auge.
Nimm deinen Guru als deinen Anwalt.
Die Gerichtskosten zahlst du mit Tränen.
Shyama sitzt (auf ihrem Thron),
Um die Könige der Könige
Zu bestrafen.
107
Mutter, du selbst bist dein Ebenbild.
Wenn ich die Augen schließe, sehe ich
(Deine) bezaubernde Schönheit!
123
Deine unbegrenzte, unübertreffliche Form
Erscheint in der Welt der Beweglichen und Unbeweglichen.
Du bist in dem Vedanga und Vedanta.
Als das formlose Ebenbild,
Bist du vollständig formlos,
Als das Formvolle manifestierst du dich
Wiederum als die Welt,
Du existierst in dir selbst.
Mein verwirrter Gedanke beschreibt,
Mutter, deine Ebenbilder.
Wo besteht der Unterschied zwischen Uma
Und den anderen Göttern?
O du omnipräsente (Mutter)!
Du erscheinst selbst als Shiva.
In den Veden bist du das formlose Brahman,
In der Vielfalt das Ichbewußtsein.
Im Menschenkörper bist du das Bewußtsein.
Als die goldene Mutter bist du Mahishamardini,
Bei der Tötung von Nishumbha
Erscheinst du als Nrimundamalini.
Du existierst in dir selbst.
Erläuterung: Uma, Mahisamardini (Vernichterin des Büffeldämons) und Nrimundamalini
(Trägerin der Halskette aus Menschen-, eigentlich Dämonen-köpfen) sind weitere Namen
der Göttin Kali. Die Geschichten in Devi-mahatmya
108
O Menaka, verhülle dein Gesicht!
Nach solch sorgfältiger Auswahl
Hast du gerade den ewigen Nackten
Zu deinem Schwiegersohn gemacht!
Das goldene junge Mädchen
Hast du mit einem alten Mann verheiratet!
Beim Gehen fällt er um auf der Straße,
Bei (starkem) Wind wackeln seine Zähne,
O Menaka, das sieht toll aus!,
Wie die (niedliche) Kuhglocke am Hals eines Elefanten!
Er trägt an der Lende das Tigerfell.
Der Kerl ohne Eigenschaften raucht Hanf.
Er hält einen Dreizack in der Hand.
Er trägt verklettete Haare (als Frisur).
Er stellt sich an wie ein Bettler
(Er) wohnt im Krematorium,
Er ist der Herr der Gespenster.“
Der Vater der Welt sagt nach einigem Nachdenken:
„Menaka, du hast dich von der weißen Hautfarbe (Shivas)
Verblenden lassen!“
Erläuterung: Dies ist ein beliebtes Lied der Bauls. Die Autorin hat es auf mehreren Melas
(Treffen, s. Kaüpitel 5), an denen Bauls von verschiedenen Wohngemeinschaften
124
teilnahmen, gehört. Es erzählt von der Hochzeit von Göttin Parvati, auch Uma genannt, und
Gott Shiva. Zeile 1-6: Nach ihrem Freitod wurde Sati, die Gemahlin Shivas, als die Tochter
vom Himalaya und seiner Frau Menaka geboren. Sie hieß nun Parvati. Da der Ehebund auch
nach dem Tod gilt, war sie weiterhin mit Shiva verheiratet. Daher wollte sie auch in diesem
Leben Shiva heiraten, obwohl sie durch die Wiedergeburt jetzt wesentlich jünger war als
Shiva. Sie überzeugte ihre Eltern von ihrer Liebe zu Shiva und die Eltern verheirateten sie
mit ihrem Auserwählten. Zeile 7-10: Hier werden die Altersschwächen Shivas übertrieben.
Zeile 11-17: Diese Zeilen beschreiben Shivas Aussehen und Gewohnheiten im tieferen
Sinne. Shiva hat keine Eigenschaften, da er über den drei Eigenschaften (guna) der Prakriti
(s. Kapitel 4) steht. Diese Eigenschaften sind Reinheit (sattva), Aktivität (rajas) und
Trägheit (tamas). Alle Dinge, die wir wahrnehmen, beinhalten diese Eigenschaften. Er ist
der Herr aller Gespenster, d. h. er ist der Herr der Welt. Zeile 18-20: Der Verfasser nennt
Gott Brahma an dieser Stelle den Vater der Welt, da er der Schöpfer der Welt ist. Shivas
Hautfarbe ist weiß, was in Indien bekanntlich als schön gilt.
109
Shiva im Berg Kailasa ist ein Verrückter.
(Er ist) verrückt geworden,
Nachdem er (den Nektar der Liebe) getrunken hat
(Nun hat) er (auch noch den Saft von) Hanf und Datura Alba
bis aufs Letzte ausgetrunken!
110
Herr, unbeschreiblich ist
Deine Barmherzigkeit.
Wenn ich daran denke,
Fließen mir unaufhaltsam die Tränen.
Auch wenn ich Taten vollbringe, die dir nicht gefallen,
Liebst du mich.
Herr, ich vergesse dich,
Aber du vergißt mich nicht!
Herr, ich verliere dich aus meinen Augen,
Aber du behältst mich immer im Auge!
Du möchtest mir ein freudiges Leben schenken,
Aber ich bleibe undankbar!
111
O Vater des Universums,
Auf deinem großen Thron sitzend hörst du
Deine selbstverfaßte Hymne,
Das Lied des großen Universums.
Ich, der Unbedeutendste auf der Erde,
Bin gekommen mit meiner Stimme
An deine Tür
Ich habe nur einen Wunsch.
Ich bitte dich um Audienz,
Damit ich dir ein Lied vorsingen kann.
Ich bin gekommen, um dort in dem Hof
Wo die Sonne und der Mond (deine Glorie) singen,
In einer Ecke Platz zu nehmen.
125
Hier möchte dein Ergebener dein Loblied singen.
112
Er ist formlos. Er ist ohne Form.
Gelobt sei er in dieser Welt.
Er ist der Vater von allen - von Göttern,
Gandharvas und Menschen.
113
Kali, Krishna, God, Khoda In keinem Namen finde ich ein Hindernis.
Nur die Streitsüchtigen
Sehen hier einen Unterschied.
Laß' dich davon nicht beeinflussen.
O mein Herz, rufe Kali, Kali, God, Khoda.
Erläuterung: Die Christen in Indien nennen Gott nicht Ishvar oder Bhagavan, wie die
Hindus es tun, sondern in Anlehnung an Englisch God.
Über die Liebesbeziehung zwischen Gott und dem Menschen
114
Wenn es mich nicht gäbe, worauf wärest du denn stolz?
Nun sage mir, ich will es wissen, wer ist groß und wer ist klein?
Solange ich nicht da bin,
Wer spricht dich an als du?
Was soll (die Diskussion über) deine Existenz oder meine Existenz
Ohne mich gibt es dich nicht.
Wenn du sagst, du bist der Ursprung,
Dann werde ich sagen: ‘Du siehst die halbe Wahrheit.
Gibt es einen Baum, so gibt es auch seine Blumen
(Und) gibt es Feuer, so gibt es auch Asche.’
Wenn du mich eines Tages verläßt,
So werde ich sehen, wie du ohne mich existieren kannst.
Will ich dich loswerden, klammerst du dich an mich.
Nun bin ich verpflichtet, (dich zu lieben).
Gott wohnt im Menschenkörper, und ist daher dort zu suchen
115
In (diesem) Menschen weilt der (andere) Mensch (d. h. Gott).
Suche (Gott im eigenen Körper).
In einer Menschengeburt
Wird diese Wahrheit erkannt.
116
Das größte Juwel läßt du (ungeachtet) in deinem Hause, o du Narr,
(Und) suchst es draußen.
Du tanzst nach der Pfeife fremder Leute.
Im Tageslicht verhältst du dich wie ein Einäugiger
126
(Und) findest es nicht.
Du hättest es in deiner Nähe finden können,
Hättest du beim Suchen
Deine Augen aufgemacht!
117
Der andere Mensch (d. h. Gott) wohnt in diesem Menschen.
Wieviele Weisen suchen ihn seit vier Yugas draußen!
Wie wenn der Mond sich im Wasser spiegelt,
(Und) man will ihn dort fassen!
So sitzt er immer
Im Licht (und nicht im Spiegelbild).
Er wohnt in der unbekannten Blume (gemeint ist das Sahasrara-cakra).
In der Blume mit zwei Blütenblättern (gemeint ist das Ajña-cakra)hält er sich auf.
Wer die Blumen kennt,
Wird ihn ohne Schwierigkeit sehen.
Was bin ich nur verwirrt, o mein Herz,
Daß ich draußen meinen eigenen Schatz suche.
118
Man findet ihn im eigenen Körpertempel.
Dort spricht der Vater des Universums
Mit einer sehr süßen, angenehmen Stimme.
Er kennt das Versteckspiel gut.
Keiner sieht ihn.
Er ist formlos, geehrt von der Welt.
Er ist das Leben des Universums.
Er wohnt im Lotus mit tausend Blütenblättern (gemeint ist das Sahasrara-cakra).
Er verkehrt im Lotus am Nabel (gemeint ist das Manipura-cakra).
Man kann ihn nicht leicht fassen.
Augenblicklich zerstört er (alle Bemühung).
Lerne dich selbst kennen,
Sei wachsam Tag und Nacht.
Vielleicht wird dann der Schatz seine Gnade zeigen.
119
Glaube an diesen Menschen.
Wisse, daß dieser Mensch der Wohnort der Wahrheit ist.
Ohne diesen Menschen
Kann der reine Mensch (d. h. Gott)
Nicht erreicht werden.
In diesem Menschen wohnt
Der andere Mensch (d. h. Gott).
Seine Natur ist unerreichbar.
(Er ist) das tranzendentale Brahman,
Der höchste Purusha.
An diesem Menschen festhaltend wirst du
(Den Ozean der Wiedergeburten) überqueren.
127
120
Fünf Elemente
Haben diesen Bungalow gebaut.
Er steht (und) ist vierzehn Ellen lang.
O, dieses Haus hat neun Türen - Oh, ho, ho !
Der Bewohner ist kein Fremder.
Er wohnt da drinnen.
Die höchste Person
Ist hier immer anwesend.
121
Man findet ihn, wenn man ihn im eigenen Körper,
Der dem Tempel gleicht, sucht!
Dort spricht der Vater des Universums
In lieblichen Tönen!
Er kann sich gut verstecken,
So daß keiner ihn findet.
Er ist formlos, verehrungswürdig,
Das Leben der Welt.
122
Der andere Mensch
Lebt in diesem Menschen.
Die Weisen und Heiligen suchen ihn vergeblich
Seit vier Yugas dort draußen.
O mein Herz, ich bin dem Irrtum verfallen
Und suche den Schatz, der in mir steckt, draußen!
Das Sahasrara-cakra, der genaue Wohnort Gottes im menschelichen Körper
123
Das Haus ist kompakt (gebaut),
(Und) hat sechs Etagen.
Darüber gibt es noch eine Etage,
(Sie) heißt die Etage der Edelsteine,
Hier leuchten Tag und Nacht Edelsteine,
Der Hausherr wohnt hier.
Ananta denkt nach: „wie erfasse ich das Haus?
Obwohl ich in diesem Haus wohne,
Habe ich den Hausherrn
Nicht kennengelernt!“
124
Das Haus hat sieben Etagen
Sein Amtsgericht ist in Alipur.
Wenn du diesen Bau begriffen hast,
Wirst du ein vornehmer Herr werden.
128
Erläuterung: Der Ort Alipur liegt in der Nähe von Kalkutta. Das zuständige Amtsgericht
befindet sich hier. Das Sahasrara-cakra wird hier mit dem Amtsgericht, und damit Gott mit
dem Richter verglichen.
125
Wie schön ist der Lotus mit zwei Blütenblättern (gemeint ist das Ajña-cakra)!
Das Leuchten von einem Berg von Juwelen blitzt hier.
Dieser ewige Himmel ist wie die Nicht-Welt.
Hier existiert die ungeteilte Brahma-Welt.
Wenn der Lotus mit zwei Blütenblättern erkannt ist,
Ist alles erkannt.
126
Wie willst du ihn fangen?
Er transzendiert die Lehre der Veden
Über der siebten Etage.
In einem schwer begehbaren Zimmer wohnt Gott.
Der Mond und die Sonne haben hier keinen Zutritt.
Mit seinem eigenen Licht leuchtend
Sitzt er im Tempel.
Er hat keine Hände, kann (aber) fangen.
(Er hat) keine Augen, sieht (aber) alles.
(Er hat) keine Füße, kann (aber) gehen,
Wohin er will.
Leute die Cakras durchqueren können,
Könnten ihn möglicherweise fangen.
Candi sagt: „O du Ungläubiger,
Du hast (noch) nicht in das Zimmer eintreten können!“
127
Das Zimmer ist
Auf allen vier Seiten
Mit Spiegeln dekoriert.
In der Mitte sitzt der Vogel,
Und ist glückselig.
Brüder, schaut euch das an!
Man kann ihn nicht fangen
Mit der ausgestreckten Hand.
Wenn einer (ihn) sehen möchte,
Dann soll er den Guru erkennen
Und ihn (um die Führung) bitten.
Er wird ihm (den Weg) zeigen.
128
Er kennt das Verstecken gut.
Keiner kriegt ihn zu sehen.
Formlos (ist es), das von der Welt verehrte,
Das Leben der Welt!
Er wohnt im Lotus mit tausend Blütenblättern (d. h. Sahasrara-cakra)
Und bewegt sich in dem Lotus am Nabel (d. h. Manipura-cakra).
129
Über Gottes Vereinigung mit Shakti und den Mahayoga
129
In der Mündung der drei Flüsse
Kommt die Flut.
In dem Meer der Freude spielt der Mensch (d. h. Gott)
Sich vergessend.
Das Meer der Freude schwappt über.
Im Behälter ist der Nektar.
Im Wasser der Freude
Schwimmt er spielerisch.
Um die Menschen zu befreien,
Kommt der Mensch (d. h. Gott) und schwimmt.
Der Neumond (amavasya) ist hierfür ungeeignet.
Der Tag der Flut ist der richtige Zeitpunkt.
Der Neumond, der erste Tag nach dem Neumond
Und der zweite Tag nach dem Neumond,
Diese drei Tage sind (für das Ritual) vorgesehen.
O mein Herz, wenn du den Unfaßbaren Menschen (d. h. Gott) fassen willst,
So bleibe diese drei Tage neben dem Fluß.
Wenn die Ebbe die Flut ablöst,
Geht der Mensch (d. h. Gott) in das unbekannte Land (zurück).
Heimlich vergnügt (er sich) drei Tage lang,
Dann leuchtet seine eigene Natur
Und der Mensch (d. h. Gott) kehrt nach Goloka zurück.
Der Liebende
Sieht die Mündung der drei Flüsse.
Er faßt den Unfaßbaren
Und löst sich in seinen Füßen.
Sai Hiricada sagt: „Panja, Du suchst den Menschen (d. h. Gott)
Umsonst draußen.“
Erläuterung: Die drei Flüsse sind in diesem Zusammenhang die drei Menstruationstage,
sowie die drei Mondtage, Neumond (amavaysa), der erste Tag nach dem Neumond
(pratipada) und der zweite Tag nach dem Neumond (dvitiya). Nach dem indischen
Mondkalender ist der Neumond der Nullpunkt. Dieser Tag heißt Amavasya, = Finsternis.
Die Zählung fängt erst ab dem ersten Tag nach der Finsternis (amavasya) an. Goloka ist der
Himmel der Caitanya-Vaisnavs in West Bengal.
Das Muladhara-cakra der Frau wird für drei Tage der Menstruation mit dem
Zusammenfluß der Flüsse Ganges, Yamuna und Sarasvati veglichen (triveni). Gott
befindet sich zu dieser Zeit am Zusammenfluß und kann gefangen werden
130
In der jungen Frau treffen sich (die Flüsse) Ganges, Yamuna und Sarasvati.
In (regelmäßigen) Abständen kommt die Flut
Am Treffpunkt dreier Strömungen.
Wenn das Wasser im Fluß steigt, spielen drei Frauen.
Die erste ist dunkel, die zweite weiß und die dritte rot.
130
Wer kann da die Tugenden der Frauen beschreiben?
Mahesvara, Gott aller Wesen,
Trägt die erste auf dem Haupt,
Und die zweite auf der Brust.
Die dritte Frau ist die Genießerin
Und erlebt in ihrem eigenem Zimmer
Die ganze Welt.
Die treue Frau in Gokula ist ihre Zeugin.
Auch wenn sie einen Liebhaber hat,
Bleibt sie dennoch (ihrem Mann) treu.
Im nächsten Leben möchte ich als eine Frau geboren werden,
Damit ich (einfacher) die Gesellschaft Gottes genießen kann.
Der Diener Kamala sagt: „Er wird keinen Stammhalter mehr haben.“
Erläuterung: Zeilen 4-6: Die Ida-Nari, Pingala-Nari und Sushumna-nari werden mit drei
Frauen verglichen, die jeweils schwarz, weiß und rot sind. Die Farben deuten auf die
mystischen Farben des Blutes, die es an den verschiedenen Tagen erhält. Zeilen 7-9: Am
ersten und zweiten Tag kann Gott vom Baul nur äußerlich genossen werden, wie Gott
Shiva die Flüsse Ganges auf seinem Haupt, und Yamuna, auf seiner Brust trägt und so sie
äußerlich genießt. Zeile 10-12: Der dritte Fluß, die Sarasvati, vereinigt sich mit Gott und
genießt ihn innerlich. Damit will der Verfasser des Liedes sagen, daß er am dritten Tag Gott
spirituell genießen kann. Zeile 13-15: Gokula ist ein weiterer Name Vrindavans. Die Frau in
Gokula ist Radha, die Geliebte Krishnas. Ihr eigentlicher Mann war Krishna, dessen
weibliche Energie sie war. Sie war zwar mit dem Kuhhirten Aihan verheiratet, blieb aber
trotzdem ihrem eigentlichen Mann treu. Radha, die selbst Krishna erlebte, kann das
Gotteserlebnis der Sarasvati bezeugen. Zeile 16-17: Der Verfasser des Liedes möchte im
nächsten Leben als eine Frau geboren werden, damit er Gott während seines Besuches im
Muladhara-cakra automatisch ohne besondere Anstrengung im eigenen Körper erleben kann
(s. Kapital 4). Zeile 18: Mit der Aussage, daß er keinen Stammhalter mehr haben wird,
möchte der Verfasser Kamala sagen, daß er den Mahayoga mit Erfolg praktiziert und daher
den Samen nicht verliert.
131
Der Mensch (d. h. Gott) schwimmt
Im gewaltigen Fluß Narmada.
Auf seiner linken Seite ist
(Seine Shakti) Kula-kundalini.
Sie ist die Göttin des Yoga, (sie ist) Yoga selbst.
Sie spielt ununterbrochen
Das Spiel, das sie (früher einmal)
In Vraja gespielt hat.
Zum glückverheißendem Zeitpunkt für Yoga
Findet man den geeigneten Weg.
Man placiert sich in dieser Blume,
Die vier Blütenblätter hat (d. h. Muladhara-cakra).
Östlich der Blume befinden sich
Die weltliche Freude und die sexuelle Liebe (kama).
Sie versuchen einen abzulenken
Und die Konzentration zu schwächen.
Gehorche denen nicht, sondern sei aufmerksam.
131
Beherrsche die Sinnesorgane und übe Yoga mit Entschiedenheit.
Die Maschine läuft mit der Atemübung.
Die Atemübung ist das, was die Maschine zum Laufen bringt.
Wenn die Atemübung korrekt geübt wird,
Findet man den Menschen.
Erläuterung: Die Kundalini-shakti im Körper des Bauls wird mit Radha, der Geliebten
Krishnas, gleichgesetzt. Das Liebespaar par excellence, Krishna und Radha, haben in Vraja
ihre mystische Liebe erlebt.
Die Menstruation wird mit Blumen verglichen, in denen Gott sich befindet
132
In Vrindavan (gemeint ist der Körper der spirituellen Partnerin) blühen drei Blumen.
Sie sind blau, weißlich und weiß.
Bitte sage mir, in welcher Blume Krishna weilt
Und in welcher Radha.
Der Genießer (gemeint ist Gott) ist versunken
In der Blume.
(Auch) der Mensch (gemeint der Yogi) ist versunken
In der Blume.
Wenn ich dir die Sache mit den Blumen erkläre,
Wirst du nur verwirrt sein!
133
Mitten in dem farbigen (Fluß) blüht die Blume.
Diese formlose Blume ist wunderschön.
Die Wurzel der Blume und ihr Betrachter befindet sich oben.
Der Zeitpunkt des Treffens ist festgelegt,
Und der Erhalter der Welt paßt darauf auf.
Wer ist in der Lage,
Diese wunderschöne unbezahlbare Blume zu pflücken!
Auch der größte Yogi und Gott Indra halten sich
Außerhalb der Blume.
Nur die Hummel tanzt in der Blume.
Der Vollmond sitzt in der Blume.
Götter und andere haben
Über die Blume geschrieben.
Aber wer hat sie verstanden?
Auf allen vier Seiten der Blume ist Gift.
Wo wohnt der Yogi,
Der es verdauen kann?
Ich habe Angst.
In diesem Ort blühen zwölf Blumen
In zwölf Monaten.
134
Im großen See blüht die Blume.
In ihr befinden sich Gott Brahma, Gott Vishnu und Gott Shiva.
Wer die Einigkeit dieser drei Götter verstanden hat,
132
Der hat keine Sorgen.
135
Im Treffpunkt der drei Flüsse
Kommt die Flut des Nektars.
In diesem Ozean der Freude
Spielt der Mensch (d. h. Gott)
Sich selbst vergessend.
Der Ozean des Nektars tritt über die Ufer.
Hier gibt es nur den Nektar.
In diesem Ozean der Freude
Spielt und schwimmt er.“
Die Erscheinung Gottes während der Menstruation im Muladhara-cakra in einem
weiblichen Körper wird mit der Erscheinung des Vollmondes während der Erscheinung
des Neumondes verglichen
136
Der Vollmond versteckt sich hinter den Wolken.
Du mußt die Wolken beseitigen,
Sonst kannst du den Mond nicht sehen.
Wenn die Wolken sich verziehen,
Erscheint der Mond.
Du wirst im Licht des Monds des Wissens sehen,
Daß die beiden Monde sich vereinigt haben.
Madan sagt: „Unwissend bin ich
In der Dunkelheit allein geblieben.
Nur der findet den Mond,
Dem der Guru seine Gnade
Schenkt.“
Erläuterung: Zeile 6-7: Die zwei Monde sind der Vollmond und der Neumond. Der
Vollmond repräsentiert Gott und der Neumond die Tage der Menstruation. In dieser Zeit ist
die sexuelle Liebe in der Frau dominant. Gleichzeitig ist dies die Zeit, in der Gott sich mit
seiner Shakti vereinigt. Deshalb sieht der Verfasser keinen Widerspruch zwischen Neumond
und Vollmond und meint, daß man durch das richtige Wissen die Vereinigung der beiden
erkennt.
137
Bei den Gottsuchenden herrscht die Freude.
Hier erscheint der Vollmond am Neumond.
Man braucht viel Glück, um den Mond zu finden.
Und hat man ihn gefunden,
So ist man vom Kreislauf der Wiedergeburten frei.
138
Bevor man darüber redet,
muß man die Gefühle (der Gottesliebe) kennen.
Am Neumond erscheint der Vollmond
Und der Neumond existiert im Vollmond.
133
Der Neumond ist der Zeitpunkt
Für die Erscheinung des Vollmondes.
Hat man dieses unmögliche Zusammentreffen
Erkannt,
So ist man vom weltlichen Leid befreit
Und man kommt in die Welt der Alleinheit.
Gott erscheint im Samen
139
Brahman, die Glückseligkeit,
Leuchtet im Sahasrara(-cakra).
Dies ist Brahmans Wohnort,
Der Ort der Freude, wo der Nektar fließt.
Das größte Yantra existiert in der Form eines Dreiecks(d. h. Muladhara-cakra),
Die wundervolle Darstellung der Wahrheit.
Hier leuchtet die Schönheit der Vereinigung von Mann und Frau,
Von Shivas und Shakti,
Von Samen und der Flüssigkeit.
(Der Baul) ist der Schwan. Er übt.
Sein Ziel ist die Erkenntnis seiner Identität mit Brahman.
In der Basis der (Sushumna-)nari
Sitzt Shiva auf seinem wunderschönen Sitz
Mit dem Dreizack in der Hand.
Die Mutter Shakti ist rot.
Ihre Schönheit ist unbeschreibbar.
Die Farbe des Purusha ist weiß.
Er lenkt die Vereinigung.
Erläuterung: Das Yantra, das in den tantrischen Büchern mit einem Dreieck gezeichnet
wird, symbolisiert Shakti in der Kundalini, die sich im Muladhara-cakra befindet. Im
Muladhara-cakra ist Shiva, dessen Hautfarbe weiß ist, jetzt als Samen anwesend. Die Farbe
der Shakti, die sich auch im Muladhara-cakra befindet, ist rot. Die Frabe charakterisiert die
Menstruation der spirituellen Partnerin. Gott wird hier als Shiva und Purusha bezeichnet,
deren Farbe weiß ist, wie die des Samens.
140
Im menschlichen Körper wohnt er als der Samen.
Er erfühlt das ganze Universum.
Er heißt Krishna. Man nennt ihn auch Purusha (Mann).
Er ist Radhas Ziel.
Der Samen und das Sekret der Frau werden jeweils mit dem Vater und der Mutter des
Universums verglichen
141
Lerne das Geheimnis des eigenen Körpers kennen.
In deinem Körper ist das höchste Gut versteckt.
Wie kannst du es draußen finden?
Das Blut und der Samen sind Mutter
134
Und Vater des Universums.
Der Samen ist der höchste Vater.
Warum verehrst du es nicht?
Nimm die Hilfe von Kundalini und ziehe den Atem hoch.
Mache die zehn Sinnesorgane zu deinen Schülern
Und fange ihn (d. h. Gott) mit der Angel des Wissens.
142
Hari wohnt in jedem Menschen als die Seele (atma).
Was rennst du draußen herum?
Siehst du ihn nicht in dir selbst?
Wem das Auge des Wissens aufgeht,
Nur der befreit sich von der Fessel.
Höre (auf deinen Guru)!
Aber das tust du nicht, hörst (auf ihn) nicht.
Wenn du die Wahrheit über den Samen,
Des Vaters des Universums nicht kennst,
Kannst du Hari nicht finden, nicht finden.
143
O mein Herz, sei ehrlich und versuche
Der Herr deiner Sinnesorgane zu sein,
Dies ist die Basis der spirituellen Übungen.
O mein Herz, ich warne dich immer wieder,
Sei vorsichtig,
Daß der Dieb dir das väterliche Erbe nicht stiehlt.
Bei der Übung müssen Mann und Frau
Wie die lebendigen Leichen sein.
Erläuterung: Das väterliche Erbe ist der Samen im menschlichen Körper. Daher ist der
menschliche Samen der Samen Gottes.
Der Mahayoga muß genau zum richtigen Zeitpunkt geübt werden
144
O mein Herz, wenn der Zeitpunkt verstrichen ist,
Kannst du nicht mehr (Yoga) üben.
Ohne Bemühung und Eifer
Wirst du das Juwel der Liebe nicht finden.
Wenn du zu spät (Yoga) übst,
Das ist so, als ob du den Deich baust,
Nachdem das Wasser abgeflossen ist.
Der Kluge baut den Deich,
Wenn das Feld voll Wasser ist.
145
Die Tage der Flut sind (für den Yoga) geeignet.
Der Tag des Neumondes, der erste und zweite Tag
Nach dem Neumond sind die Tage,
An denen (der Yoga) geübt werden muß.
135
O mein Herz, wenn du den unfaßbaren Menschen (gemeint ist Gott)
Fassen willst,
Mußt du diese drei Tage lang am Ufer des Flußes
Wache halten.
Wenn nach der Flut die Ebbe herrscht,
Kehrt der Mensch (d. h. Gott) ins unbekannte Land zurück,
Nachdem er drei Tage lang
Heimlich (die Vereinigung) genossen hat.
Am (dritten) Tag läßt der Mensch (d. h. Gott)
Seine eigentliche höchste Natur dominieren
Und kehrt ins Goloka zurück.
Wer Gott lieben will,
Soll das Erscheinungsbild der Triveni (s. Kapitel 3 und 4) beobachten.
In dieser Zeit kann er ohne große Schwierigkeiten
Den Unfaßbaren fassen
Und mit seinen Füßen verschmelzen.
Guru Hirucada sagt: „Panja,
Umsonst suchst du den Menschen ( d. h. Gott) dort draußen.“
Erläuterung: Goloka ist der Himmel Krishnas für die Caitanya-Vaisnavs in West Bengal.
146
Am Neumond erscheint das Gift.
Aber durch das Kommen Gottes wird der Tag wertvoll.
In dieser Zeit üben die Genießer vorsichtig.
Wenn der erste Tag nach dem Neumond zu Ende geht
Und der zweite Tag anfängt,
Findet man das Juwel,
Das sich in der Mischung der Säfte der drei Tage befindet.
Panja sagt: „Den, der das Juwel gefunden hat,
Faßt der Todesgott Shamana nicht an.“
147
Die Verehrung der Urexistenz (d. h. Gottes)
In seinem Hause (gemeint ist der menschliche Körper) ist schwierig.
Die Methode der Verehrung
Der Urexistenz
Kann nicht schriftlich
Festgehalten werden,
Denn sie ist viel schwieriger
Als die Lehre der Veden.
Sie ist schwierig zu verstehen.
Die Urexistenz muß
Durch die Fixierung der Augen verehrt werden.
Man muß in einer Leiche leben.
Nur mit dem Feuer
Kann Gott gefangen werden.
Erläuterung: Die Fixierung der Augen, Nehara genannt, ist ein Teil des Tantrayoga der
Bauls (s. Kapitel 5). Der Erfolg des Tantrayoga wird mit dem Leben in einer Leiche
136
verglichen, da der Körper des Bauls in diesem Falle leblos wird, während seine Seele
Glückseligkeit empfindet. Die aufgeweckte Kundalini-shakti, ohne die der Yogi Gott nicht
erreichen kann, erzeugt das Feuer im Körper des Übenden. Sie bewegt sich vom
Muladhara-cakra zum Ajña-cakra oder Sahasrara-cakra und erzeugt Hitze dort im Körper,
wo sie sich gerade befindet.
148
Siehe den Menschen (d. h. Gott)
Und fange ihn.
O (mein) Geist, verbinde deine Augen
Mit (seinen) Augen.
Durch Anschauen wird er gefangen.
Werde, sei eins.
Stelle Fallen
In vierundzwanzigeinhalb Distrikten,
Wohin soll er da weglaufen?
O (mein) Geist, sei schnell du Oberpolizist
Und nimm (ihn) fest
Im Tempel deines Herzens.
Erläuterung:Zeile 3-6: Der Verfasser deutet hier auf die Übung Nehara, Fixierung der
Augen, hin, die er während des Yoga praktiziert (s. Kapitel 5). Die vierundzwanzigeinhalb
Distrikte sind die Monde im eigenen Körper(s. Kapitel 3).
149
Der heilige Arzt, der König aller Genießer
Bereitet den Saft (des Genusses) auf natürlicher Weise.
Es gibt vierundzwanzigeinhalb Monde und elf Knospen.
Die acht Monde erscheinen manchmal.
Erläuterung: Die letzte Zeile deutet darauf hin, daß beim Tantrayoga auch mit einer Teilzahl
der Monde gearbeitet wird (s. Kapitel 5).
150
Bruder, bevor du die Schlange fassen willst,
Lerne den Mantra.
Ich hänge mir den Rosenkranz,
Um den Hals und gehe in den Garten.
Der Schatz liegt unter der Erde.
Die Schlange bewacht ihn.
Sechs Mäuse befinden sich unter der Erde.
Es gibt keine Erde zum Sitzen.
Der Frosch tanzt vor der Schlange.
Die Schlange versteckt sich unter dem Schatz.
Der Frosch wird zum Herrn,
Man kann ihn nicht fassen.
Schmiert man den Körper mit dem Gewürz der Namen,
Flieht die Schlange, wenn sie den Geruch riecht.
137
151
O mein Herz, wenn du mit dem Fahrrad
Fahren willst,
Dann binde deine Unterwäsche eng und fest
Und befreie dich von Falschheit.
Vergiß die Lehre der Veden.
Siehe geradeaus
Und lenke exakt mit dem Lenkrad.
O mein Herz, setze dich fest auf den Sattel.
Du darfst das Gleichgewicht auf keinen Fall verlieren.
Übe Kumbhaka und ziehe den Atem nach oben.
Sieh’ nicht nach rechts oder links
Und kümmere dich nicht um die sechs (Feinde)
Und die zehn (Öffnungen).
Rezitiere deinen Mantra und trete in die Pedale.
Konzentriere dich auf die richtige Richtung
Und laß’ dich nicht durch falsche Argumente ablenken.
Sei dein eigener Lehrer und fahre schnell.
Vereinige dein Äußeres mit deinem Inneren und sei ein Experte.
Klingele bei Bedarf mit dem Gewissen.
Svami Madhavananda sagt: „Bhavani, es ist dein schlechtes Karma,
Daß du gerade bei voller Geschwindigkeit plötzlich gebremst hast.
Nun bist du auf die Nase gefallen.
Wie kann man so dumm, so unaufmerksam sein!“
Erläuterung: Zeile 13-14: Die sechs Feinde und die zehn Öffnungen sind jeweils die Ripus
(s. 72) und die Körperöffnungen. Die Öffnungen sind: die Ohren, Augen, Nasenlöcher, der
Mund, die Fontanelle, das Geschlechtsorgan und der Anus. Die meisten Lieder zählen nur
eine Öffnung für das Geschlechtsorgan.
152
Wie kannst du an das Ziel kommen,
Wo du doch auf dem Weg der Liebe
Dich unehrlich verhältst?
In Vrindavan( gemeint ist der menschliche Körper), in der Stadt der Freude
Wird Gott geliebt.
Hier muß man das Wasser von der Milch trennen
Mit großer Konzentration.
In diesem Ort sind die Frauen die Könige
Und die Bauls, die Genießer, das Volk.
Der gierige, von sexueller Liebe befangene Dieb wird hier bestraft.
Nun wohnt der Schwan im (Muladhara-)cakra
Und die sexuelle Liebe entwickelt sich zur Gottesliebe.
Man findet die Freude,
Indem man das Gut ins Feuer wirft
Und beide vereinigt.
In diesem Lande herrscht eine andere Sitte.
Nicht dem Mann passiv treu bleiben,
Sondern die Treue üben ist das Prinzip dieses Landes.
Hier gibt es keine egoistische Freude,
138
Und daher ist der Bewohner (dieses Landes) immer glücklich.
Zwei Gestalten üben Liebe,
Ohne sich ineinander zu verstricken.
Im Herzen,
In der Strömung der Freude
Spielt der Unfaßbare,
Der höchste Samen.
153
Du redest immer von der Übung daher!
So einfach ist die Übung nicht.
Wie viele Weise und Seher
Haben vor der Übung zurückgeschreckt,
Als sie sich näher damit befaßten!
Die Tagelöhner
Berauben mich des väterlichen Erbes.
Wenn ich es geschafft habe,
Auch nur etwas davon zu behalten,
Kann auf dem Boden die Pflanze der Liebe gedeihen.
Wenn aber das Gesparte verlorengegangen ist,
Kann man den Verlust nur beweinen.
Fange ihn schnell, solange er mit dem Liebesspiel beschäftigt ist.
Übe Yoga zusammen mit deiner Partnerin,
Mit ihrer Hilfe.
Du leidest unter Magenkrankheit,
Was willst du da noch Gehaltvolles?
Reinige zunächst den Magendarmtrakt
Mit der bitteren Medizin.
Töte zunächst die falschen Wünsche.
Ich verrate dir die Regeln der Übung.
Nimm dir die treue Partnerin
Und gehe mit ihr den Weg des Feuers.
Gemeinsam müßt ihr es tun,
Wenn ihr es überhaupt schaffen wollt!
Wenn du dann den Menschen, (d. h. Gott) gefunden hast
Und seine Gesellschaft genießt,
Hast du den Krieg gewonnen.
Gosai Atalacãd sagt: „Naran,
Umsonst suchst du ihn draußen in der Welt!“
Erläuterung: Der Baul betrachtet seinen Samen als das Erbgut, das er von Gott, seinem
Vater, geerbt hat, denn der menschliche Samen ist gleichzeitig der Samen Gottes, der die
Welt erschuf. Die Tagelöhner sind die sechs Feinde (ripus, s. 72). Sie machen die
Sinnesfreude stark und schwächen die Konzentration des Yogis, so daß er seinen Samen
nicht mehr zurückhalten kann. Der Übende darf ihn aber nicht verlieren. Um die Yogaübung
zu üben benötigt der Baul eine willige Frau. Nur mit ihrer Hilfe kann er Gott fangen.
154
Alle reden von ihm,
Vom Menschen (d. h. von Gott) (ohne ihn zu kennen).
139
Nur der, welcher den Menschen fangen kann,
Kann ihn erleben.
Wenn man es nicht schafft, in einer Leiche zu leben,
Wird Caitanya nicht gnädig.
Da Gott während seiner Vereiniguing mit der Shakti ein Mann ist, muß der Baul sich
für den Mahayoga wie eine Frau fühlen und ihn als den Geliebten lieben
155
O mein Geist, verwandle dich
In eine Frau (Prakriti).
Nimm die Natur einer Frau an, trainiere dich,
So wird die Liebe nach oben steigen.
und du wirst mit ihr
An Krishnas Weilort ankommen.
Diese Frau ist eine Genießerin.
Sie hat ein attraktives Aussehen.
Sie schenkt dem Lebewesen
Die schönste Liebe
Und läßt es dadurch Krishna
Als Ehemann gewinnen.
156
In deinem Herzen mußt du dich
Wie eine Gopi fühlen.
Rezitiere den Namen Gaur (d. h. Caitanya),
So wird der Samen der Liebe
In deinem Herzen sprießen.
Und du wirst die Liebe in Vraja (d. h. Vrindavan) genießen.
157
Der Gottsuchende versucht wie die Gopis zu sein.
Er versucht, sich wie die Gopis zu fühlen
Und Caitanya zu verehren.
Er will die Liebe zwischen Gott und Shakti genießen
Und nicht in Brahman aufgehen.
158
O mein Herz, sei eine Frau.
Lege dir die Eigenschaften einer Frau auf,
Und übe die spirituellen Übungen.
So wird deine Liebe nach oben (zum Sahasraracakra) steigen.
Der Geschlechtsverkehr während des Mahayoga ist keine sexuelle Liebe
159
Nicht wenn Frau und Mann sich
(Sexuell) vereinigen,
Sondern wenn die Seele (des Mannes)
Sich mit der Seele (der Frau) vereinigt,
140
Wird er Genießer genannt.
160
Wie, wenn trotz des Vorhandenseins des Mundes
Das Wort nicht ausgesprochen wird,
Trotz der Augen
(Man) blind ist.
Kein Geruch von der sexuellen Liebe (kama)
Im Gedanken.
Durch reines Prem wird er diesmal
(Den Ozean der Wiedergeburten) überqueren.
161
Wie willst du ins Zimmer der Liebe (raga)
Eintreten,
Wenn du die Liebe
Nicht kennst?
Der Gierige, Sinnenfreudige
Kann dort nicht hinein.
Er wandert herum
Sein Leben lang.
(Nur) der Liebende findet (vor sich)
Das Schloß der Tür zum Zimmer der Liebe offen.
Durch des Gurus Mitgefühl ohne große Mühe
Tritt er ein ins Zimmer des Formvollen und fängt ihn.
Beschreibung des Gotteserlebnisses, das die Bauls Leben in einer Leiche nennen
(jyante mara, jiyante mara)
162
Nach drei Tagen, hinter drei Eigenschaften
Im Wasser ist die Figur der Göttin versunken.
Der Zustand am zehnten Tag
Ist der des vollkommenen Gleichgewichts.
Ich kann es mit Wörtern nicht beschreiben.
Parvati ist zum Kailash zurückgekehrt.
Sati ist in den Mann auf dem Berg eingegangen.
Welches Ich ist jenes, das Freude und Leid,
Gefahr und Gefahrlosigkeit erfährt?
Dieses Ich bin nicht ich.
Wenn der Wunsch erfüllt ist,
Erreicht man die Vollkommenheit.
Nun hat die Glückseligkeit die höchste Stufe erreicht.
Man sieht keinen Unterschied zwischen Gut und Böse
Und fühlt sich weder geschmeichelt noch beleidigt.
Der Zustand, den man am Ende der Übung erreicht,
Kann nicht mit Worten beschrieben werden.
Die Übenden verstehen es jedoch,
Wenn ich sage, daß am Tag des Sieges der Sieg errungen
Und der Wunsch erfüllt sind.
141
Erläuterung: Zeile 1-12: Die drei Eigenschaften sind Reinheit (sattva), Aktivität (rajas) und
Trägheit (tamas) der Prakriti, auch Maya genannt, ohne die die Welt nicht entstehen kann.
In allen Dingen, die wir wahrnehmen, sind diese Eigenschaften vorhanden. Brahman steht
über Maya. Der Verfasser des Liedes vergleicht den Tantrayoga mit dem Fest Durgapuja.
Die Muttergöttin Durga, die Frau Shivas, wird jedes Jahr im Monat Ashvin (SeptemberOktober) drei Tage lang mit großer Feierlichkeit verehrt. Für diese Zwecke wird kurz vor
dem Fest aus Stroh und Lehm die Durga-Figur hergestellt. Nach dreitägiger Verehrung wird
die Figur der Göttin in den Fluß geworfen. Dies symbolisiert die Vergänglichkeit aller
Dinge. Der Tag, an dem die Figur ins Wasser geworfen wird, ist der zehnte Tag nach
Vollmond. Der Baul erlebt Gott in der letzten Phase des dreitägigen Tantrayoga. Der
Verfasser nennt diesen Zeitpunkt in Anlehnung an die Durgapuja den zehnten Tag. Am
zehnten Tag nach Vollmond kehrt Durga, die auch Parvati und Sati genannt wird, zu ihrem
Mann Shiva, der auf dem Berg Kailasa im Himalaya wohnt, zurück und vereinigt sich mit
ihm. Der Baul vereinigt sich mit Gott am dritten Tag der Menstruation seiner Partnerin.
Wahrscheinlich vereinigt sich der Verfasser dieses Lieds am Ende des dritten Tages, also am
Anfang des vierten Tages, mit Gott, und zieht daher die Parallele zur Durgapuja. Ein Yogi,
der Gott erlebt hat, steht Gut und Böse gleichgültig gegenüber, da er in beiden Gott sieht.
Er lebt in der Glückseligkeit. Zeile 13-20: Diese Zeilen beschreiben den Zustand nach dem
erfolgreichen Yoga, der das vollkommene Glück ist.
Da alle Menschen Prakritis Manifestation sind, sind alle Menschen, auch Männer,
Frauen
163
O (mein) Gedanke, bist du ein Mann oder eine Frau?
Trotz Nachdenken finde ich (die Antwort) nicht.
Dies ist eine erstaunlich lustige Sache.
Die Heiligen sagen, da der Purusha ohne Gunas ist,
Hat die Prakriti aus sich selbst die Welt erschaffen.
Deshalb sage ich, keiner von denen, die in dieser Welt leben,
Ist ein Mann.
(Alle Lebewesen)sind in ihrer Natur weiblich.
Es gibt einen Purusha. Der ist gleichmütig, der Genießer.
O du Armer, übe Yoga und erkenne dich voller Freude als eine Frau.
Dann wirst du das Ziel erreichen.
O, du wirst deinen Ehemann finden.
Du wirst die treue Ehefrau sein.
(Und) du wirst die Freundin von Radha.
Lieder über den Guru
164
Ohne des Gurus Hilfe
Wird es nicht klappen.
Nur mit des Gurus Gnade
Wird deine Suche nach Krishna erfolgreich!
142
165
Nur derjenige, auf den des Gurus Gnade fällt,
Kommt ans Ufer als Sieger.
Er hat keine Zweifel mehr und lebt in Harmonie.
Der unsterbliche Mensch (d. h. Gott) leuchtet in ihm.
166
Derjenige, welcher seinen Guru nicht achtet,
Aber Govinda (d. h. Krishna) verehrt,
Wird nicht gerettet.
Der hat für das Leben jenseits des Flusses
Nicht vorgesorgt.
Der Guru ist das unbezahlbare Juwel.
Des Gurus Worte sind die heiligen Schriften.
Der Guru ist Krishna selbst.
Der Guru ist der (größte)Vishnu-Verehrer.
Der Guru ist der unvergängliche Schatz.
Nimm Asyl an des Gurus Füßen
Und überquere den weltlichen Ozean.
Wer seinen Guru nicht achtet
Aber die Namen Haris rezitiert,
Begießt die Äste, nachdem er die Pflanze entwurzelt hat.
Dein Körper ist der Acker, auf dem der Guru gesät hat.
Ohne deinen Guru,
Der dir die Initiation erteilt hat und dich unterrichtet
Kannst du nicht ernten.
167
Er bringt (seinem Schüler) zuerst den ersten Teil bei,
Und macht ihn mit der sexuellen Liebe (kama) vertraut.
Ist die Liebe reif geworden,
Lehrt er ihn die Gleichgültigkeit.
Dann brandmarkt er sein Herz mit der Weltentsagung
Und lehrt ihn die Lehre der Gottesliebe.
Wenn der Schüler das Alphabet gut gelernt hat,
Sieht er in der Welt keine Zweiheiten mehr.
Er lebt nun in der Ekstase, daß die ganze Welt
Krishnas Manifestation ist.
168
Wenn der Schüler
Die Lehre des Gurus begriffen hat,
(Weiß er), daß seine Seele (atma)
Mit der des Gurus identisch ist.
Wer die Wahrheit erkannt hat, weiß,
Daß der höchste Atman (paramatma)
Sich in beiden manifestiert hat.
143
169
Wenn der Guru und Schüler eins sind,
Enthüllt sich die Wahrheit.
170
Guru, in welcher Form
Schenkst du der Welt deine Gnade!
Unendlich, unzählig sind deine Spiele.
Wer kennt deine Größe!
Du bist Radha, du bist Krishna.
Du gabst mir den Mantra. Du bist Gott.
171
Der Guru ist Krishna, die ewige Existenz, Gott.
Der Guru ist Brahman. In ihm existiert die Welt.
Der Guru ist Brahman, der Guru ist Shiva.
Der Guru existiert in allem.
Über die spirituelle Partnerin
172
Die Frau ist nichts Gewöhnliches.
Sie erleuchtet die ganze Welt.
Millionen Monde bescheinen die Füße
Der Frau.
Ohne die Frau kann man Gott nicht suchen,
Kann man den Yoga nicht üben.
173
Die geheime Lehre von Radha und Krishna ist
In Vrindavan versteckt.
Ohne sich der Gopi unterzuwerfen,
Kannst du sie nicht begreifen.
Erläuterung: Hier wird der menschliche Körper mit dem Ort Vrindavan verglichen, wo
Krishna und Radha ihre göttliche Liebe erlebten. Die Gopis, die Kuhhirtinnen, waren die
Freundinnen Radhas, die ebenfalls Krishna liebten und von ihm geliebt wurden. Der
Verfasser vergleicht seine Partnerin mit den Gopis.
174
Wem soll ich die Schuld geben?
Meine eigene Natur ist am Scheitern schuld!
Die Vernunft und gute Eigenschaften
Habe ich verworfen.
Mein Gedanke hat sich
Die Gewohnheiten eines Raben angeeignet.
Er hat den Nektar weggeworfen
Und berauscht sich an geschmacklosen Fruchtsorten.
144
175
Der Guru sagt wiederholt:
„Höre Lalan, ich sage es dir,
Es ist nicht die Schuld deiner Partnerin!
Du suchst bei ihr nur die sexuelle Liebe (kama).
Wie willst du da die Gottesliebe erreichen?“
176
Die weibliche Energie (shakti)
Ist der unbezahlbare Schatz.
Das weiß Nandas Sohn (d. h. Krishna).
Deshalb singt er die Glorie Radhas,
Faßt ihr die Füße.
Dann ist er (gemeint ist Krishna)
In Nariya (als Caitanya) geboren.
Hier warf er sich auf den Boden
Und weinte nach Radha.
Und siehe, Mahesvara
Trägt die Füße Shaktis auf seiner Brust
Die Menschen verstehen diese Liebe nicht
Sie suchen die sexuelle Liebe
Und drehen sich im Kreise der Wiedergeburten.
177
Beleidige deine Partnerin nicht.
Das wäre so, als ob du deinen Guru beleidigtest.
Gosai Caitanya hat sie
Die Ahladini genannt.
Erläuterung: Die Vaisnavs im Bundesstaat West Bengal glauben, daß Krishna drei Shaktis
(weibliche Energien) hat. Diese sind: Svarupa-shakti, Samvita-shakti und Hladini bzw.
Ahladini-shakti. Die drei Shaktis entsprechen den drei Eigenschaften Brahmans nämlich, Sat
(Existenz), Cit (Bewußtsein) und Ananda (Glückseligkeit). Die Hladini-shakti, die höchste
Shakti von allen dreien, wird mit Radha, der Geliebten Krishnas, gleichgesetzt. Da Caitanya
die spirituelle Partnerin pauschal Ahladini nannte, wird die Partnerin des Verfassers
automatisch mit Ahladini-shakti gleichgesetzt. Allerdings war Caitanya ein Asket und hatte
keine Partnerin (s. Kapitel 2).
145
Index zu den Baul-Liedern
Alle in dieser Welt fragen 20
Alle reden von ihm 154
Alle wollen nur das Geld 23
Als ich nach Hugli fuhr 81
Als Ergebnis welch (glücklichen) Schicksals 98
Als es keinen Himmel, Wind und keine Wolken gab 42
Am Neumond erscheint das Gift 146
Bei den Gottsuchenden herrscht die Freude 137
Beleidige deine Partnerin nicht 177
Beschwere dich bei der Mutter 106
Bevor man darüber redet 138
Brahman, die Glückseligkeit 139
Brüder, bevor du die Schlange fassen willst 150
Brüder, seht euch nur den Markt an 26
Bruder, wen verwirfst du 16
Das größte Juwel läßt du (ungeachtet) in deinem Hause, o du Narr 116
Das Haus hat sieben Etagen 124
Das Haus ist kompakt (gebaut) 123
Das Muladhara gehört dem Bewußten (d. h. Gott) selbst 97
Das Volk stirbt erbarmungslos 28
Das Zimmer ist 127
Der andere Mensch 122
Der andere Mensch (d. h. Gott) wohnt in diesem Menschen 117
Der Anfang des Anfanglosen ist 104
Der Gottsuchende versucht wie die Gopis zu sein 157
Der Guru ist Krishna, die ewige Existenz, Gott 171
Der Guru sagt wiederholt 175
Der heilige Arzt, der König aller Genießer 149
Der Mensch (d. h. Gott) schwimmt 131
Der menschliche Körper ist der Acker 101
Der modebewußte Herr Raya 25
Der Vollmond versteckt sich hinter den Wolken 136
Der Wunsch nach Menschgeburt 99
Derjenige, welcher seinen Guru nicht achtet 166
Die anstrengende Pilgerfahrt 14
Die Frau ist nichts Gewöhnliches 172
Die geheime Lehre von Radha und Krishna ist 173
Die Grundlage des Hauses sind die drei Grundstöcke 91
Die heiligen Schriften beinhalten 9
Die Liebe zu Krishna ist wie der Ozean des Nektars 58
Die Menschgeburt ist für einen ohne Nutzen 100
Die Natur (der Liebe der Gopis) in Vraja war rein 64
Die neun Türen des Hauses sind offen 88
Die Regierenden meinen mit Stolz 29
Die sechs Feinde, das Kama und die anderen 93
Die Tage der Flut sind (für den Yoga) geeignet 145
Die Veden kennen 4
146
Die Veden lehren nicht 5
Die Verehrung der Urexistenz (d. h. Gottes) 147
Die weibliche Energie (shakti) 176
Dieser mein Körper ist das Boot 85
Dreiundsechzig Flüsse voller Saft (nari) 89
Du bist gekommen in diese Welt 72
Du hast dich in die Betrüger 80
Du hast die lebendige Kali in deinem Hause, (gemeint ist die spirituelle Partnerin) 12
Du hast die vier Veden, die vierzehn heiligen Schriften 3
Du redest immer von der Übung daher 153
Durch welche spirituellen Übungen kann ich 11
Er bringt (seinem Schüler) zuerst den ersten Teil bei 167
Er ist formlos. Er ist ohne Form 112
Er kennt das Verstecken gut 128
Freundin, ich habe es nicht geschafft zu lieben 69
Fünf Elemente (panca bhuta) 120
Gedanke, ich flehe dich an und fasse deine Füße 71
Gedanke, ich sehe keinen so dummen Bauern wie dich 102
Glaube an diesen Menschen 119
Gott Hari hat sich als Mensch manifestiert 2
Gott Hari manifestiert sich in mir 7
Guru, in welcher Form 170
Hari, wann habe ich denn Zeit 22
Hari wohnt in jedem Menschen als die Seele (atma) 142
Haris Name (hari-nama) ist prima, paff, paff 57
Heil, heil Jayadeva 68
Herr, unbeschreiblich ist 110
Hier habe ich dieses Glück erlangt 6
Ich habe mit meiner Mutter (gemeint ist Kali) 105
Ich möchte den Zucker kosten 53
Im großen See blüht die Blume 134
Im menschlichen Körper wohnt er als der Samen 140
Im Treffpunkt der drei Flüsse 135
In deinem Herzen mußt du dich 156
(In dem Zimmer) mit der siebten Tür sitzt der König 55
In der jungen Frau treffen sich Ganges, Yamuna und Sarasvati 130
In der Mündung der drei Flüsse 129
In (diesem) Menschen weilt der (andere) Mensch (d. h. Gott) 115
In erster Linie ist der Mensch ein Mensch 15
In Vrindavan blühen drei Blumen 132
In Vrindavan hat Nandas Sohn 62
Jagannatha, Gott des Dharma 21
Kali, Krishna, God, Khoda 113
Komm, gehen wir zur Gaurngas Schule 37
Komme, o Gaur-candra (d. h. Caitanya) 35
Kommt, schaut es euch an 39
Könnte der Unfaßbare erfaßt werden 44
Krishna, den sogar der größte Yogi und der größte Asket 65
(Krishna,) wen gibt es noch wie dich auf dieser Welt 103
Lerne das Geheimnis des eigenen Körpers kennen 141
147
Man findet ihn im eigenen Körpertempel 118
Man findet ihn, wenn man ihn im eigenen Körper 121
Man hat das Kastensystem erschaffen 17
Maya schluckt die Lebewesen der Welt 47
Mein Gedanke hat den Maya-Wein getrunken 49
Mein Gedankenvogel wird nicht zahm 70
Mein Geist ist das Boot 83
Mein Geliebter spielt im Manipura 90
Mein Zopf bleibt so 45
Mit fünf Elementen ist dieses Haus gebaut 84
Mitten in dem farbigen (Fluß) blüht die Blume 133
Mutter, du selbst bist dein Ebenbild 107
Nach drei Tagen, hinter drei Eigenschaften 162
Nicht alle kennen die (wahre) Liebe 63
Nicht nur ein Loch, sondern neun Löcher gibt es 86
Nicht wenn Frau und Mann sich 159
Nur derjenige, auf den des Gurus Gnade fällt 165
Nur mit reinem ungeteiltem Geist 36
Nur weil (Indien) mit dem Kastensystem 19
O Brüder, warum habt ihr euch fortwährend so verändert 27
O du Kanai, warum bist du als Gaur geboren 33
O (du mein) Geist, (du) Kaufmann 82
O du mein goldenes Bengal 31
O du unaufmerksam gewordene Hausfrau 46
O Gaur, fahre mich zum Ufer dieser Welt 41
O (mein) Gedanke, bist du ein Mann oder eine Frau 163
O (mein) Geist, erkundige dich zu allererst 75
O (mein) Geist, informiere dich zu allererst 77
O (mein) Geist, suche die sieben Himmel- 76
O mein Geist, verwandle dich 155
O (mein) Geist, warum suchst du ihn 94
O (mein) Geist, warum wanderst du noch draußen 92
O mein Herz 59
O (mein) Herz, (alles ist) Einbildung 51
O mein Herz, du weißt nicht 66
O mein Herz, lasse dich nicht vom Kastensystem 18
O mein Herz, sei ehrlich und versuche 143
O mein Herz, sei eine Frau 158
O mein Herz, warum suchst du ihn 73
O mein Herz, wenn der Zeitpunkt verstrichen ist 144
O mein Herz, wenn du mit dem Fahrrad 151
O mein vernarrtes Herz 43
O Menaka, verhülle dein Gesicht 108
O Vater des Universums 111
Ob Gaur jemals wieder 40
Ob Gaur noch einmal geboren wird 34
Ohne Gurus Hilfe 164
Sechs Mäuse nagen an meinem Haus 87
Sie gehorchen mir, dem Herrn, nicht 79
Siehe den Menschen (d. h. Gott) 148
148
Shiva im Berg Kailasa ist ein Verrückter 109
Shyam (d. h. Krishna), mache dich nicht lächerlich 61
Trinke nicht unnötig den Maya-Wein 50
Übe nicht die Liebe mit wilder Hast 67
Um ihn zu erlangen 13
Warum leidest du unnötig 60
Was für eine Sitte hat Gaur 38
Was wissen die Veden vom tiefen Sinn 8
Welche Lebensart wird als 1
Wem gehörst du 48
Wemm soll ich die Schuld geben 174
Wenn der Guru und Schüler eins sind 169
Wenn der Schüler 168
Wenn die vierundzwanzigeinhalb Gurus 78
Wenn du Hari fangen willst 96
Wenn du in die entgegengesetzte Richtung gehen willst 95
Wenn es mich nicht gäbe, worauf wäresr du denn stolz 114
Wer außer Krishna nichts anderes begehrt 54
Wer den Weg der Gottesliebe geht 56
Wer hat dieses Haus gebaut 74
Wer weiß, was unser Karma fruchtet 24
Wie kannst du an das Ziel kommen 152
Wie schön ist der Lotus mit zwei Blütenblättern 125
Wie soll ich den unerfaßbaren Menschen 52
Wie, wenn trotz des Vorhandenseins des Mundes 160
Wie willst du ihn fangen 126
Wie willst du ins Zimmer der Liebe (raga) 161
Wir sind die Bauls aus (West) Bengal 32
(Wisse,) daß heilige Schriften (sastra) 10
Wohin bist du gegangen, Ramamohana 30
149
Lieder von Candidas über die Liebe zwischen Krishna und
Radha
1
Die gefährliche Flöte kann ich nicht beschreiben.
Mit ihrem Ruf holt sie die ehrbare Frau (aus dem Hause) heraus.
Der Ruf faßt mich am Haar und zerrt mich zu Shyam,
Wie wenn die durstige Rehkuh in Schwierigkeit gerät.
Freundin, wenn ich die Melodie der Flöte höre,
Vergesse ich meinen Haushalt und mein Herz wird unruhig.
Die treue Gattin vergißt ihren Gatten, der Asket vergißt sein Gelübde,
Die Pflanzen und die Kletterpflanzen freuen sich,
Wenn sie (die Melodie) der Flöte hören.
Was soll dann das schwache Geschlecht tun, das natürlich und einfach ist?
Candidas sagt: „Kala ist der Meister aller Liebhaber.“
2
Freundin, wer hat mir den Namen Shyam zugeflüstert?
Durch das Ohr ist er in mein Innerstes eingedrungen
Und hat mein Herz unruhig gemacht.
Ich weiß nicht, welche Freude der Name Shyam in sich verbirgt!
Das Rezitieren des Namens macht mich regungslos.
Wie bekomme ich ihn?
Wenn die Berührung mit (seinem) Namen
Mich in diesen Zustand versetzt hat,
Was wird geschehen, wenn ich seinen Körper berühre?
Wo ich doch seinen Weilort gesehen habe,
Wie kann ich denn dann noch meine jugendliche Unschuld bewahren?
Ich möchte ihn berühren, aber (er) läßt (sich) nicht berühren.
Was soll ich nun tun?
Brahmane Candidas sagt: „Die Frau aus dem guten Hause
Verwirft ihren guten Ruf,
(Und) erprobt ihre Jugend.“
3
Ah! Was für einen Schmerz empfindet Radha!
Sie sitzt in einem menschenleeren Ort
Und hört niemandem zu.
Meditierend schaut sie in die Wolken.
Ihre Pupillen bewegen sich nicht.
Sie hat keinen Appetit und zieht sich das rote Gewand an,
Als ob sie eine Asketin ist
Sie macht ihren Zopf auf und läßt die Haare fallen,
Und sie betrachtet sie.
Lächelnd schaut sie zum Mond hinauf,
Streckt (ihre beiden) Hände hoch und redet mit ihm.
Sie stellt einen männlichen und einen weiblichen Pfau zusammen
Und betrachtet ihre Hälse.
150
Candidas sagt: „Die Bekanntschaft mit dem geliebten Kaliya ist neu.“
Erläuterung: Zeile 6: Mit dem roten Gewand meint der Verfasser das Gewand der Mönche,
dessen Farbe von gelb bis rot sein kann. Zeile 14: Kaliya, der Dunkle, ist ein weiterer Name
Krishnas.
151
Wort- und Namensindex
Die Wörter sind ohne Deklination angegeben worden. Sie können sowohl einzeln als auch in
Komposita vorkommen
Ãcla: 10, 13
Advaitacarya: 25, 28, 30, 31, 32, 62, 63,
80
Ajña od. Ajña-cakra: 41, 43, 44, 45, 46,
49, 52, 73
Akhra: 14, 19, 20
Barayi: 50, 51
Bhagavadgita:24, 42, 50, 80
Bhagavan: 33, 48, 53
Biraha-macchab: 75
Cakra: 36, 43, 44, 45, 46, 49, 52, 81
Caitanya: 7, 9, 10, 14, 17, 20, 21, 24,
25, 26, 27, 28, 29, 30, 31, 32, 34, 35,
41, 46, 47, 50, 51, 53, 54, 56, 57, 58,
59, 60, 61, 62, 63, 64, 66, 68, 69, 73,
74, 77, 78, 80, 82, 83, 84
Caitanya-tattva: 69
Candidas: 36, 46, 50, 54
Candra od. Cãd: 46
Cari-candra: 68, 83
Caryapada:
Darja od. Duyar: 41
Deha-tattva: 36, 47
Dharmashastra:8, 9, 20, 21, 22, 24, 64,
65, 66, 69, 75
Diksha: 25, 73, 74, 76
Ektara: 12, 22
Gitagovinda: 36, 82
Gõsai: 15, 29, 30
Gotra: 14, 15, 66
Granthi: 45
Grihi: 10, 20
Guna: 40, 41, 81
Guru: 13, 15, 16, 17, 28, 54, 58, 63, 64,
65, 66, 68, 71, 73, 74, 75, 76, 77
Hathayoga-pradipika: 43, 44, 71
Ira: 43, 44, 71
Ishvar: 33, 45, 46, 47, 48, 53
Jagannatha: 25, 27
Jayadeva: 36, 50, 54, 55, 56, 58, 82
Jiyante od. jyante mara: 70
Kada-macchab: 75
Kali: 48, 49, 53
Kama: 35, 70, 71
Kartabhaja: 57, 58, 59, 82, 83
Kistidhari: 10, 13, 21, 79
Krishna: 25, 26, 27, 28, 29, 31, 34, 35,
36, 46, 49, 51, 53, 55, 56, 57, 60, 62,
69, 71, 73, 77, 80, 81, 82
Krishnadas Kabiraj:7, 25, 30, 35, 51
Krishna-prem: 8
Kundalini: 42, 44, 45, 46, 70, 81
Kundalini-shakti:
Macchab od Mahotsab: 18, 19, 29, 32,
60, 61, 83:
Mahanirvana-tantra: 50, 72
Mahaprabhu: 10, 31, 60, 62, 68
Mahasukh: 70
Mahayoga: 22, 69, 70, 71, 72, 73, 78
Maithun: 62, 72
Malsa-bhog: 62, 63, 64, 66, 73, 74, 75
Mahotsab: s. Macchab
Maluidhari: 10, 21, 79
Mantra: 25, 26, 64, 66, 71, 73, 74, 80
Manusmriti: 22, 65, 69, 75, 84
Maya: 34, 35, 41, 47, 81
Mela: 11, 18, 54, 55, 57, 58
Mukta-beni: 43
Muladhara: 41, 42, 43, 44, 45, 72, 81,
82
Nabadvip: 25, 60, 61
Nadriya: 25, 30
Nari: 36, 37, 42, 44, 45, 81
Nityananda: 14, 15, 25, 28, 29, 31, 32,
60, 63, 80
Pañca-tattva: 62, 63, 72
Pingala: 43, 44, 71
Prakriti: 40, 41, 52
Prem: 31, 35, 47, 70, 71
Purana: 24, 36, 37, 38, 39, 40, 48, 50,
53, 82
Puri: 30, 80
152
Purnadas od. Purnacandradas Baul: 6,
10, 11, 12, 14, 15, 16, 17, 19, 55, 59,
62, 82
Purusha: 40, 52, 53
Radha: 15, 35, 36, 46, 50, 51, 55, 56,
57, 60, 62, 69, 71, 77, 80, 81, 82
Raja: 40, 41
Ray Ramananda: 27, 31, 32
Ripu: 41
Sadhana-sangini: 15, 16, 67, 77
Sahasrara: 43, 44, 45, 46, 49, 50, 52,
70, 72, 73, 81
Shakti: 24, 34, 35, 41, 44, 45, 46, 49,
50, 51, 53, 70, 77, 81, 82
Sankirtan: 26, 27, 29, 59
Sharira-tattva: 36, 47
Sharada-tilaka-tantra: 42, 45
Sattva: 40, 41
Shiva: 38, 42, 48, 49, 50, 53
Shiva-samhita: 42
Shri-krishna-kirtan: 50
Shri-shri-caitanya-caritamrita: 7, 25, 26,
29, 30, 31, 32, 35, 51
Shudra: 4, 9, 16, 20, 23, 24, 25, 27, 28,
79, 80, 82, 83, 84
Sushumna:43, 44, 45, 48, 49, 66, 70, 75
Tama: 40, 41
Tantra od. tantrisch od. Tantrik: 11, 29,
32, 36, 42, 46, 47, 49, 50, 53, 54, 63,
65, 72, 73, 74, 75, 77, 78, 79, 81, 83, 84
Tattva: 40, 81
Tulsi: 10, 13, 62, 63, 66, 73
Udasi: 10, 20
Vaishnava od. Vaishnavismus: 7, 17, 20,
21, 24, 26, 27, 28, 31, 32, 34, 35, 36,
41, 50, 51, 56, 57, 58, 59, 60, 61, 62,
63, 64, 68, 69, 74, 77, 78, 80, 82, 84
Vishnu: 24, 45, 48, 50, 56, 62, 80
Vrindavan: 25, 28, 30, 50, 56, 57, 77,
81
Yukta-beni: 43
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