§1 Die reellen Zahlen

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Mathematik für Physiker I, WS 2016/2017
Freitag 4.11
$Id: reell.tex,v 1.40 2016/11/04 13:54:14 hk Exp $
§1
Die reellen Zahlen
1.3
Die Anordnung der reellen Zahlen
Am Ende der letzten Sitzung hatten vier die vier Axiome für die Anordnung der reellen
Zahlen aufgelistet, diese waren
(R)
(A)
(T)
(L)
∀(x ∈ R) : x ≤ x
∀(x, y ∈ R) : x ≤ y ∧ y ≤ x ⇒ x = y
∀(x, y, z ∈ R) : x ≤ y ∧ y ≤ z ⇒ x ≤ z
∀(x, y ∈ R) : x ≤ y ∨ y ≤ x.
Die Transitivitätseigenschaft (T) wird dabei oft in der folgenden Form verwendet: Ist
a = x1 ≤ x2 ≤ x3 ≤ · · · ≤ xn = b
eine Kette von Ungleichungen, so ist auch a ≤ b. Die Symbole x1 , x2 , . . .“ und so
”
weiter sind dabei als reelle Variable gedacht, da es sich um eine unbestimmte Anzahl n
solcher handelt kann man diese schlecht c, d, e, f, . . . nennen und numeriert sie anstelle
dessen einfach durch. Dass obige Kettenaussage gilt ist leicht zu sehen. Zunächst haben
wir a ≤ x1 und x1 ≤ x2 , also liefert die Transitivität (T) auch a ≤ x2 . Da x2 ≤ x3
gilt liefert eine weitere Anwendung von (T) dann a ≤ x3 . So fortfahrend erhalten wir
schließlich a ≤ xn und dann a ≤ b. Eine weitere wichtige Folgerung aus (T) und der
Antisymmetrie (A) ist die folgende Aussage: Haben wir eine Kette von Ungleichungen
a = x1 ≤ x2 ≤ x3 ≤ · · · ≤ xn = a,
die bei einer reellen Zahl a ∈ R startet und endet, so sind überhaupt alle Elemente der
Kette gleich a, d.h. es ist x1 = · · · = xn = a. In der Tat, ist 1 ≤ i ≤ n gegeben, so
folgen aus
a = x1 ≤ · · · ≤ xi und xi ≤ xi+1 ≤ · · · ≤ xn = a
mit der obigen Transitivitätsaussage auch a ≤ xi und xi ≤ a, d.h. wir haben xi = a.
Neben der Kleiner-Gleich Relation definiert man die Echt-Kleiner Relation für x, y ∈ R
durch
x < y :⇐⇒ x ≤ y ∧ x 6= y.
Mit den vier Anordnungsaxiomen ergeben sich dann schnell entsprechende Aussagen für
Echt-Kleiner. Zunächst haben wir das sogenannte Trichotomieprinzip, dieses besagt das
für x, y ∈ R stets genau eine der drei Möglichkeiten x < y, y < x oder x = y gilt. Dies
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folgt sofort aus den beiden Anordnungsaxiomen (A) und (L). Weiter hat man auch eine
erweiterte Transitivitätseigenschaft, die besagt das für alle x, y, z ∈ R mit x < y ≤ z
oder x ≤ y < z stets auch x < z gilt. In der Tat, nach dem Transitivitätsaxiom (T) ist
zumindest x ≤ z und wäre x = z, so hätten wir x = y = z im Widerspruch zu x 6= y
oder y 6= z. Hieraus folgt weiter das im Fall einer Ungleichungskette
a = x1 ≤ · · · ≤ xi < xi+1 ≤ xi+2 ≤ · · · ≤ xn = b
in der mindestens ein Echt-Kleiner vorkommt, letztlich stets auch a < b gilt.
Schließlich kann man für x, y ∈ R dann auch noch die umgedrehten Ordnungssymbole einführen, also
x ≥ y :⇐⇒ y ≤ x und x > y :⇐⇒ y < x.
Die Anordnung kann man dann zur Definition der sogenannten beschränkten Intervalle
verwenden:
Definition 1.4 (Beschränkte Intervalle)
Seien a, b ∈ R. Dann heißt die Menge
[a, b]
(a, b)
[a, b)
(a, b]
:=
:=
:=
:=
{x ∈ R|a ≤ x ≤ b}
{x ∈ R|a < x < b}
{x ∈ R|a ≤ x < b}
{x ∈ R|a < x ≤ b}
ein
ein
ein
ein
beschränktes,
beschränktes,
beschränktes,
beschränktes,
abgeschlossenes Intervall,
offenes Intervall,
rechts halboffenes Intervall,
links halboffenes Intervall.
Später in diesem Kapitel werden wir auch noch die unbeschränkten Intervalle definieren. Beachte das wir formal auch zulassen das linke und rechte Grenze falsch herum
sind, dann ist das entsprechende Intervall die leere Menge, zum Beispiel [2, 1] = ∅ oder
(1, 1) = ∅. Weiter ist für jedes a ∈ R auch [a, a] = {a}.
In der Literatur finden sie gelegentlich auch alternative Schreibweisen für die offenen
beziehungsweise halboffenen Intervalle, die Übersetzungstabelle ist
Standardschreibweise Alternative Schreibweise
(a, b)
]a, b[
[a, b)
[a, b[
(a, b]
]a, b]
ob der Randpunkt zum Intervall gehören soll oder nicht wird also durch eine sich
richtig herum schließende eckige Klammer beziehungsweise durch eine sich falsch herum
schließende eckige Klammer angedeutet.
So weit haben wir nur die Anordnungsaxiome verwendet. In den reellen Zahlen sind
die arithmetische Struktur, also Plus und Mal, und die Anordnungsstruktur natürlich
nicht unabhängig voneinander, sondern es gibt viele Rechenregeln die den Zusammenhang zwischen den beiden beschreiben. Zum Beispiel ist genau dann x ≤ y wenn
−y ≤ −x ist, das Produkt negativer Zahlen ist positiv, und vieles mehr. Genau wie
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bei den Rechenregeln für die Grundrechenarten, lassen sich all diese vielen Regeln auf
einige wenige Axiome zurückführen. Diese Axiome sind die sogenannten Axiome eines
angeordneten Körpers, sie umfassen zum einen die neun Körperaxiome dann die vier
Anordnungsaxiome und zusätzlich die folgenden beiden neuen Axiome:
Axiome eines angeordneten Körpers:
(O1) Für alle x, y, z ∈ R gilt
y ≤ z =⇒ x + y ≤ x + z.
(O2) Für alle x, y, z ∈ R gilt
x ≥ 0 ∧ y ≤ z =⇒ xy ≤ xz.
Wir definieren hier dabei nicht was ein angeordneter Körper“ ist, für uns ist die Be”
zeichnung Axiome eines angeordneten Körpers“ nur ein Name für die angegebene
”
Gruppe von Axiomen, genauso wie die Körperaxiome“ ein Name für die Gruppe der
”
neun arithmetischen Axiome ist. Aus den Axiomen eines angeordneten Körpers folgen alle üblichen Regeln für den Umgang mit der Kleiner-Gleich Relation. Wie für
die arithmetischen Regeln im letzten Abschnitt wollen wir dies nicht systematisch für
alle denkbaren Regeln vorführen, sondern es nur examplarisch an einigen Beispielen
demonstrieren.
1. Sind x, y, x0 , y 0 ∈ R mit x ≤ x0 und y ≤ y 0 , so ist auch x + y ≤ x0 + y 0 . Dies ergibt
sich durch zweimaliges Anwendung des Axioms (O1)
x + y ≤ x + y 0 = y 0 + x ≤ y 0 + x0 = x0 + y 0 ,
und anschließende Anwendung der Transitivität (T). Außerdem ist hier natürlich
noch die Kommutativität der Addition, also das Axiom (A2), verwendet worden,
aber die benutzten Körperaxiome wollen wir jetzt nicht mehr einzeln auflisten.
2. Sind x, y, z ∈ R mit y < z, so ist auch x + y < x + z. Denn nach Axiom (O1)
ist zumindest x + y ≤ x + z und wegen y 6= z ist auch x + y 6= x + z, also
x + y < x + z. Analog zum Beweis der obigen Aussage folgt weiter, dass für alle
x, y, x0 , y 0 ∈ R mit x < x0 und y ≤ y 0 beziehungsweise x ≤ x0 und y < y 0 stets
auch x + y < x0 + y 0 gilt.
3. Sind x, y ∈ R mit x ≤ y, so ist −y ≤ −x. Dies ergibt sich direkt aus Axiom (O1).
Addieren wir beide Seiten von x ≤ y mit −x, so wird
0 = (−x) + x ≤ (−x) + y,
und addieren wir dann auch noch −y, so ergibt sich
−y ≤ (−x) + y + (−y) = −x.
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Weiter können wir auch auf −y ≤ −x die schon bewiesene Aussage anwenden
und erhalten
x = −(−x) ≤ −(−y) = y,
d.h. wir haben
∀(x, y ∈ R) : x ≤ y ⇐⇒ −y ≤ −x.
Ebenso ergibt sich auch
∀(x, y ∈ R) : x < y ⇐⇒ −y < −x.
4. Sind x, y, z ∈ R mit x < y und z > 0, so ist auch xz < yz. Denn nach Axiom
(O2) ist zumindest xz ≤ yz und wäre xz = yz, so hätten wir auch (x − y)z = 0
also x = y oder z = 0 im Widerspruch zu x 6= y und z 6= 0.
5. Sind x, y, z ∈ R mit x ≤ y und z ≤ 0, so ist yz ≤ xz. Denn zunächst ist nach
Schritt (3) auch −z ≥ 0 und Axiom (O2) ergibt −xz ≤ −yz, also yz ≤ xz wieder
nach (3). Ebenso folgt aus x < y und z < 0 dann auch yz < xz.
6. Für jedes x ∈ R ist x2 ≥ 0. Denn ist x ≥ 0, so folgt mit Axiom (O2) sofort
x2 = x · x ≥ 0 · x = 0 und ist x ≤ 0, so ergibt (5) auch x2 = x · x ≥ 0 · x = 0.
Insbesondere ist somit 1 = 12 > 0 und mit (3) auch −1 < 0.
Das soll an Beispielen für derartige Überlegungen wieder reichen. Wir führen in diesem
Abschnitt noch einen letzten wichtigen Begriff ein, den sogenannten Betrag einer reellen
Zahl. Dieser hat eine rein praktische Funktion, wir möchten eine bequeme Möglichkeit
haben davon zu sprechen, dass eine reelle Zahl x klein ist. Wir könnten beispielsweise
versuchen die Zahl x klein zu nennen wenn x ≤ 10−4 gilt. Dies erfüllt aber nicht ganz
den intendierten Zweck, den es ist ja zum Beispiel auch −400 ≤ 10−4 , aber −400 wollen
wir meist nicht als klein betrachten. Wir müssten unsere Bedingung also beispielsweise
in x ≤ 10−4 und x ≥ −10−4 umschreiben. Um diese zwei Bedingungen durch eine
einzige zu ersetzen, wird nun der erwähnte Betrag der reellen Zahl x eingeführt.
Definition 1.5 (Betrag und Vorzeichen reeller Zahlen)
Ist x ∈ R eine reelle Zahl, so heissen

(

x > 0,
1,
x,
x ≥ 0,
sign(x) := 0,
x = 0, das Vorzeichen und |x| := sign(x) · x =

−x, x ≤ 0

−1, x < 0
der Betrag von x.
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Beispielsweise sind |4| = 4, | − 2| = 2 und |0| = 0.
Als Funktion von x hat der Betrag die nebenstehende
Gestalt. In anderen Worten ist |x| der nichtnegative Wert
unter den beiden Zahlen x und −x. In unserem obigen
Beispiel können wir die beiden Bedingungen x ≤ 10−4
und x ≥ −10−4 dann durch die eine Bedingung |x| ≤
10−4 ersetzen, und allgemein ist für jedes a ∈ R mit a ≥ 0
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y
|x|
x
[−a, a] = {x ∈ R : |x| ≤ a} und (−a, a) = {x ∈ R : |x| < a}.
Entsprechendes gilt auch für nicht bei Null zentrierte Intervalle, sind reelle Zahlen
a, ∈ R mit > 0 gegeben, so haben wir
{x ∈ R : |x − a| ≤ } = [a − , a + ].
In der Tat, ist x ≥ a, so ist x − a ≥ 0 und |x − a| = x − a, d.h. |x − a| ≤ bedeutet
x ≤ a + . Ist dagegen x ≤ a, so haben wir x − a ≤ 0 also |x − a| = −(x − a) = a − x
und genau dann ist a − x ≤ wenn − ≤ x − a also x ≥ a − gilt. Dass also die reelle
Zahl x um höchstens von der reellen Zahl a abweicht kann damit kurz als |x − a| ≤ notiert werden. Um letztere Bedingung rechnerisch zugänglich zu machen, benötigen
wir Rechenregeln für den Betrag und die wichtigsten dieser Regeln werden im folgenden
Lemma zusammengestellt.
Lemma 1.2 (Grundeigenschaften des reellen Betrags)
Für alle x, y, z ∈ R gelten:
(a) Es sind sign(−x) = − sign(x), |x| = | − x| ≥ 0 und x2 = |x|2 .
(b) Es gilt x ≤ |x|.
(c) Es sind sign(xy) = sign(x) · sign(y) und |xy| = |x| · |y|.
(d) Es gilt die Dreiecksungleichung |x + y| ≤ |x| + |y|.
(e) Es ist |x − y| ≥ |x| − |y|.
(f ) Es ist |x| − |y| ≤ |x − y|.
Beweis: (a) Nach der dritten Folgerung aus den Axiomen eines angeordneten Körpers
ist sign(−x) = − sign(x) und somit auch |−x| = |x|. Im Fall x = 0 ist x2 = 0 = |x|2 und
für x 6= 0 haben wir sign(x) ∈ {−1, 1}, also sign(x)2 = 1 und somit |x|2 = sign(x)2 x2 =
x2 .
(b) Ist x ≥ 0 so ist x = |x| ≤ |x| und im Fall x < 0 ist nach der dritten Folgerung aus
den Axiomen eines angeordneten Körpers auch −x > 0 also x < 0 < −x = |x| und
somit x < |x|.
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(c) Mit der vierten und der fünften Folgerung aus den Axiomen eines angeordneten Körpers folgt zunächst sign(xy) = sign(x) sign(y) und dies ergibt weiter |xy| =
sign(x) sign(y)xy = |x| · |y|.
(d) Es sind nach (a,b) x ≤ |x|, y ≤ |y|, −x ≤ | − x| = |x| und −y ≤ | − y| = |y|, also
auch
x + y ≤ |x| + |y| und − (x + y) = (−x) + (−y) ≤ |x| + |y|,
und da |x + y| eine der beiden Zahlen x + y oder −(x + y) ist, folgt |x + y| ≤ |x| + |y|.
(e) Mit Teil (d) rechnen wir
|x| = |(x − y) + y| ≤ |x − y| + |y|,
also |x − y| ≥ |x| − |y|.
(f ) Mit Teil (e) haben wir |x| − |y| ≤ |x − y| und (e), (a) zusammen ergeben auch
|y| − |x| ≤ |y − x| = | − (x − y)| = |x − y|. Da |x| −
|y| aber
eine der beiden Zahlen
|x| − |y| oder −(|x| − |y|) = |y| − |x| ist, folgt auch |x| − |y| ≤ |x − y|.
Warum Aussage (d) hier als Dreiecksungleichung bezeichnet wird, ist an dieser
Stelle nicht gut zu sehen. Wir werden dies aber bei der Betrachtung des Betrags einer
komplexen Zahl später noch klären.
1.4
Das Vollständigkeitsaxiom
In den vorhergehenden Abschnitten haben wir jetzt insgesamt 15 Axiome an die reellen Zahlen zusammengestellt. Aber auch all diese Axiome reichen noch nicht aus die
reellen Zahlen vollständig zu beschreiben, es fehlt noch ein weiteres Axiom. Dies ist das
sogenannte Vollständigkeitsaxiom, und es bezieht sich ausschließlich auf die Ordnungsstruktur der reellen Zahlen und nicht auf die arithmetische Struktur. Wir benötigen
leider noch zwei vorbereitende Definitionen um das Vollständigkeitsaxiom überhaupt
aussprechen zu können.
Definition 1.6 (Obere und untere Schranken)
Sei M ⊆ R eine Teilmenge.
(a) Eine reelle Zahl a ∈ R heißt obere Schranke von M wenn x ≤ a für alle x ∈ M
gilt.
(b) Die Menge M heißt nach oben beschränkt wenn es eine obere Schranke a ∈ R von
M gibt.
(c) Ein Element a ∈ M heißt maximales Element von M , oder ein Maximum von
M , wenn x ≤ a für alle x ∈ M ist, wenn a also eine obere Schranke von M
ist. Beachte das es nur ein einziges maximales Element von M geben kann, denn
ist b ∈ M ein weiteres so haben wir b ≤ a und a ≤ b, also a = b. Gibt es ein
maximales Element a ∈ M von M , so können wir damit max M := a schreiben.
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(d) Eine reelle Zahl a ∈ R heißt untere Schranke von M wenn x ≥ a für alle x ∈ M
gilt.
(e) Die Menge M heißt nach unten beschränkt wenn es eine untere Schranke a ∈ R
von M gibt.
(f ) Ein Element a ∈ M heißt minimales Element von M , oder ein Minimum von M
wenn x ≥ a für alle x ∈ M ist, wenn a also eine untere Schranke von M ist.
Genau wie für maximale Elemente kann es höchstens ein minimales Element a
von M geben, und in diesem Fall schreiben wir min M := a.
(g) Die Menge M heißt beschränkt, wenn sie nach oben und nach unten beschränkt
ist.
Die Terminologie dieser Definition wird am klarsten wenn wir uns die reellen Zahlen wie
unten gezeigt als eine vertikal hingemalte Linie denken, wobei es unten nach −∞ und
oben nach ∞ geht. Eine obere Schranke einer Teilmenge M ⊆ R ist dann tatsächlich
eine reelle Zahl, die eben oberhalb von M liegt. Beachte das obere Schranken bei weitem
nicht eindeutig festgelegt sind, ist a eine obere Schranke von M , so ist auch jede andere
reelle Zahl b ∈ R mit b ≥ a ebenfalls eine obere Schranke von M .
Eine nach oben beschränkte Menge muss im allgemeinen kein Maximum besitzen, anschaulich haben wir zwar +∞
immer ein Element unmittelbar oberhalb M“, aber diea (obere Schranke)
”
se Zahl gehört eventuell nicht zu M . Beispielsweise sind
sup M
max[0, 1] = 1 und min[0, 1] = 0
M
aber das offene Intervall M = (0, 1) hat weder ein Maximum noch ein Minimum, da eben 0 und 1 hier nicht zu
M gehören. Für die Beschränktheit einer Menge M ⊆ R
gibt es eine oftmals nützliche Umformulierung in Termen
des Betrags reeller Zahlen
−∞
M ⊆ R ist beschränkt ⇐⇒ Es gibt c ∈ R mit c ≥ 0 und |x| ≤ c für alle x ∈ M .
Gibt es nämlich ein c ∈ R mit c ≥ 0 und |x| ≤ c für alle x ∈ M , so ist auch −c ≤ x ≤ c
für alle x ∈ M , d.h. −c ist eine untere und c ist eine obere Schranke von M . Damit ist
M nach oben und unten beschränkt, also insgesamt beschränkt. Nun sei M umgekehrt
beschränkt. Dann gibt es sowohl eine untere Schranke a von M als auch eine obere
Schranke b von M , und wir setzen c := max{|a|, |b|} ≥ 0. Für jedes x ∈ M haben wir
dann x ≤ b ≤ |b| ≤ c und x ≥ a, also auch −x ≤ −a ≤ |a| ≤ c, und da |x| eine der
beiden Zahlen x oder −x ist bedeutet dies |x| ≤ c.
Wie schon bemerkt muss eine nach oben beschränkte Menge keinesfalls ein Maximum haben. Aber selbst wenn eine nach oben beschränkte Menge M ⊆ R kein
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Maximum besitzt, so gibt es trotzdem ein Zahl gerade oberhalb von M“, diese ist so”
zusagen die bestmögliche obere Schranke von M . Explizit gesagt handelt es sich gerade
um die kleinstmögliche obere Schranke von M , und diese wird auch als das Supremum
der Menge M bezeichnet.
Definition 1.7 (Supremum und Infimum)
Sei M ⊆ R eine Teilmenge. Dann heißt eine reelle Zahl a ∈ R ein Supremum von M
wenn a eine kleinste obere Schranke von M ist, d.h. a ist eine obere Schranke von M
und für jede andere obere Schranke b ∈ R von M gilt stets a ≤ b. Analog heißt eine
reelle Zahl a ∈ R ein Infimum von M wenn a eine größte untere Schranke von M ist,
d.h. a ist eine untere Schranke von M und für jede andere untere Schranke b ∈ R von
M gilt stets b ≤ a.
In dieser Definition reden wir noch vorsichtig von einem Supremum einer Menge M ⊆
R, da es zunächst ja auch mehrere Suprema geben könnte. Dies ist aber nicht der Fall,
es kann höchstens ein Supremum von M geben. Seien nämlich a, b ∈ R zwei Suprema
der Menge M ⊆ R. Dann ist b eine obere Schranke von M und da a andererseits eine
kleinste obere Schranke von M ist, folgt a ≤ b. Ebenso ist auch b ≤ a und wir haben
insgesamt a = b. Analog kann es auch höchstens ein Infimum einer Menge M ⊆ R
geben. Da Supremum und Infimum somit eindeutig festgelegt sind, können wir sie
auch mit einem Symbol bezeichnen. Man schreibt für M ⊆ R
sup M := Das Supremum von M ,
inf M := Das Infimum von M ,
natürlich nur falls das fragliche Supremum oder Infimum existiert.
Wir hatten das Supremum einer Menge M ⊆ R als die kleinste obere Schranke von
M definiert, sofern eine solche überhaupt existiert. Dieser Begriff ist mit dem Begriff
des Maximums der Menge M verwandt, aber er ist nicht dasselbe. Wir wollen uns den
Zusammenhang der beiden Begriffe kurz einmal klar machen.
Zunächst nehme an, dass M ein Maximum a = max M besitzt. Dann ist a insbesondere eine obere Schranke von M und ist b ∈ R eine beliebige obere Schranke von M ,
so gilt wegen a ∈ M auch a ≤ b. Damit ist a die kleinste obere Schranke von M , d.h.
das Supremum von M . Gibt es also ein Maxiumum von M , so ist dieses auch gleich
dem Supremum.
Umgekehrt muss ein Supremum aber kein Maximum sein, ist zum Beispiel M =
(0, 1), so ist sup M = 1 aber wegen 1 ∈
/ M ist 1 kein Maximum von M . Haben wir
allerdings eine Menge M ⊆ R mit a = sup M ∈ M , so ist a ∈ M insbesondere eine
in M liegende obere Schranke von M , also ein Maximum von M . Entsprechendes gilt
dann auch für das Minimum und das Infimum einer Menge M ⊆ R. Zusammenfassend
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haben wir für M ⊆ R also die folgenden Implikationen:
a = max M
a = sup M ∧ a ∈ M
a = min M
a = inf M ∧ a ∈ M
=⇒
=⇒
=⇒
=⇒
a = sup M,
a = max M,
a = inf M,
a = min M.
Sei M ⊆ R gegeben. Gibt es dann ein Supremum a ∈ R von M , so ist a insbesondere
eine obere Schranke von M , d.h. M ist nach oben beschränkt. Ist b ∈ R eine reelle
Zahl mit b < a, so kann b keine obere Schranke von M mehr sein, da sonst ja a ≤ b
gelten müsste, und dies bedeutet das es ein x ∈ M mit x > b gibt. Insbesondere muss
M 6= ∅ sein. Diese Beobachtung können wir jetzt zu einer äquivalenten Definition des
Supremums umformulieren.
Lemma 1.3 (Charakterisierung von Supremum und Infimum)
Seien M ⊆ R eine Teilmenge und a ∈ R.
(a) Genau dann ist a ein Supremum von M wenn a eine obere Schranke von M ist
und es für jedes b ∈ R mit b < a stets ein Element x ∈ M mit x > b gibt.
(b) Genau dann ist a ein Infimum von M wenn a eine untere Schranke von M ist
und es für jedes b ∈ R mit b > a stets ein Element x ∈ M mit b > x gibt.
Beweis: (a) ”=⇒” Dies haben wir bereits oben eingesehen.
”⇐=” Keine reelle Zahl b ∈ R mit b < a ist eine obere Schranke von M , und damit
muss für jede obere Schranke b von M stets b ≥ a gelten. Damit ist a ein Supremum
von M .
(b) Analog zu (a).
Die Existenz von Supremum oder Infimum kann über die Axiome eines angeordneten
Körpers nicht bewiesen werden, und das noch ausstehende Vollständigkeitsaxiom der
reellen Zahlen fordert diese Existenz einfach.
Vollständigkeitsaxiom (V):
Jede nach oben beschränkte, nicht leere Teilmenge ∅ 6= M ⊆ R der reellen
Zahlen besitzt ein Supremum.
Dieses ist das letzte noch fehlende Axiom für die reellen Zahlen, man sagt auch das R
ein vollständig angeordneter Körper ist. Hierdurch sind die reellen Zahlen in gewissen
Sinne auch eindeutig festgelegt, aber dies wollen wir hier nicht näher ausführen. Da
wir jetzt den vollständigen Satz an Axiomen für die reellen Zahlen zusammen haben,
können wir auch noch einmal auf Redundanzen zwischen diesen eingehen. Schon im
ersten Abschnitt hatten wir bemerkt, dass die Kommutativität der Addition (A2) nicht
gefordert werden muss, sie folgt aus den restlichen acht Körperaxiomen. Weiter hatten
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wir im vorigen Abschnitt festgestellt das die Reflexivität (R) in der Linearität (L) der
Anordnung enthalten ist. Mit dem Vollständigkeitsaxiom (V) kann man jetzt auch das
Kommutativgesetz (M2) der Multiplikation streichen, dieses läßt sich auch aus den
anderen Axiomen herleiten. Da dies allerdings schon etwas komplizierter ist und für
unser Thema keine Rolle spielt, wollen wir dies hier nicht weiter behandeln.
Am Vollständigkeitsaxiom fällt auf das hier das Supremum vor dem Infimum ausgezeichnet wird, während wir die beiden bisher als völlig analoge Spiegelbilder zueinander behandelt haben. Diese Auszeichnung des Supremums ist auch nur eine optische
Täuschung, die Existenz des Infimums werden wir gleich beweisen. Umgekehrt hätte
man genauso gut fordern können, dass jede nicht leere, nach unten beschränkte Menge
reeller Zahlen ein Infimum hat, und könnte dann die Existenz des Supremums beweisen.
Lemma 1.4 (Existenz des Infimums)
Jede nicht leere, nach unten beschränkte Menge ∅ =
6 M ⊆ R reeller Zahlen hat ein
Infimum.
Beweis: Sei ∅ 6= M ⊆ R nach unten beschränkt, d.h. M hat eine untere Schranke.
Dann ist die Menge
N := {a ∈ R|a ist eine untere Schranke von M } ⊆ R
aller unteren Schranken von M nicht leer N 6= ∅. Ist a ∈ M , so gilt für jedes x ∈ N
stets x ≤ a, da x ja eine untere Schranke von M ist, d.h. a ist eine obere Schranke von
N . Damit ist jedes Element von M eine obere Schranke von N . Wegen M 6= ∅ gibt es
insbesondere überhaupt eine obere Schranke von N , d.h. die Menge N ist nach oben
beschränkt. Nach dem Vollständigkeitsaxiom existiert das Supremum
a := sup N ∈ R,
und wir behaupten das a auch das Infimum von M ist. Ist x ∈ M so ist x eine obere
Schranke von N , also a ≤ x. Damit ist a überhaupt eine untere Schranke von M . Ist
jetzt b ∈ R eine beliebige untere Schranke von M , so ist b ∈ N und damit auch b ≤ a.
Folglich ist a die größte untere Schranke von M , d.h. a = inf M .
Wir werden im Laufe des Semesters sehr viele Anwendungen von Supremum und
Infimum sehen, tatsächlich handelt es sich bei diesen beiden Begriffen um zwei der
mit Abstand wichtigsten technischen Hilfsmittel der gesamten Analysis. Hier wollen
wir jetzt nur noch eine allererste kleine Anwendung vorführen, und die sogenannte
archimedische Eigenschaft der reellen Zahlen beweisen. Diese besagt im wesentlichen
das die natürlichen Zahlen unter den reellen Zahlen beliebig groß werden und um dies
zu beweisen benötigt man tatsächlich das Vollständigkeitsaxiom (V), die Axiome eines
angeordneten Körpers reichen hierzu nicht aus.
Auch der Beweis dieses Lemmas ist hier für uns von besonderem Interesse, er ist
das erste Beispiel eines sogenannten Widerspruchsbeweises in dieser Vorlesung.
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Lemma 1.5 (Die archimedische Eigenschaft von R)
Sind a, b ∈ R mit a > 0 so existiert eine natürliche Zahl n ∈ N mit na > b.
Beweis: Wir beweisen dies per Widerspruchsbeweis. Gäbe es kein solches n ∈ N mit
na > b, so wäre na ≤ b für alle n ∈ N, d.h. b ist eine obere Schranke der Menge
M := {na|n ∈ N} ⊆ R.
Damit ist M nach oben beschränkt und wegen 0 ∈ M ist auch M 6= ∅. Nach dem
Vollständigkeitsaxiom existiert das Supremum s := sup M von M . Wegen s − a < s
gibt es nach Lemma 3.(a) ein x ∈ M mit x > s − a, und nach Definition von M gibt
es weiter ein n ∈ N mit na = x > s − a. Damit ist auch (n + 1)a ∈ M mit
(n + 1)a = na + a > s − a + a = s,
aber andererseits ist auch (n + 1)a ≤ s da s eine obere Schranke von M ist. Dies ist
ein Widerspruch und das Lemma ist bewiesen.
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