Immuno-Metabolismus: ein neues Gebiet mit klinischen Konsequenzen

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Immuno-Metabolismus: ein neues Gebiet
mit klinischen Konsequenzen
Marc Y. Donath
Universitätsspital Basel
Quintessenz
• Durch das Eingreifen in die Pathogenese des Diabetes kann dessen
Verlauf verbessert werden. Somit ist die progrediente Abnahme der In­
sulinsekretion möglicherweise zu bremsen.
• Durch die multiplen Angriffspunkte von antiinflammatorischen Medika­
menten können nicht nur die Insulinproduktion und ­sensitivität gebessert,
sondern auch Komplikationen von Diabetes verhindert werden.
• Es stehen länger wirkende antiinflammatorische Medikamente wie
Antikörper zur Verfügung, die nur einmal jeden dritten Monat gegeben
werden müssen.
Verschiedene Systemerkrankungen sind durch eine
spezifische Entzündung bedingt. Dies erklärt auch die
Häufigkeit der Assoziation dieser Krankheiten unter­
einander. Wird das System und nicht die Krankheit be­
handelt, kann ein breiterer Effekt erzielt werden. Einige
Beispiele: Leidet ein Patient an Psoriasis, rheumatischer
Arthritis oder an einer Kolitis und gleichzeitig an Dia­
betes, kann ein TNF­Antagonist sowohl die Grund­
krankheit als auch gleichzeitig den Glukosestoffwechsel
verbessern. Bei Gicht ist IL­1β ein wichtiger pathogene­
tischer Faktor, und in Kombination mit Diabetes ist es
sinnvoll, IL­1β zu antagonisieren. Bei Gelenkbeschwer­
den und Diabetes ist Salsalate eine sinnvolle Therapie.
Nach Abschluss der entsprechenden Phase­III­Studien
wird sich auch zeigen, ob bei kardiovaskulärer Erkran­
kung und Diabetes das Vorgehen mit einem Anti­IL­1β
nützlich ist. Es ist zu bedenken, dass die Entzündung
eine komplexe Körperantwort mit multiplen Faktoren
ist, wobei es entsprechend sinnvoll sein kann, bei ge­
wissen Indikationen verschiedene antiinflammatorische
Medikamente zu kombinieren.
Metabolismus und Immunsystem
Marc Y. Donath
Der Autor gibt
Verbindungen zu
folgenden Firmen
an: AstraZeneca,
Bristol-Myers
Squib, Merck, Lilly,
Novartis, Novo
Nordisk,Roche,
Sanofi, Servier,
Takeda.
Traditionellerweise werden Metabolismus und Immuni­
tät als zwei verschiedene Entitäten mit verschiedenen
Funktionen wahrgenommen: Der Metabolismus reguliert
die Nahrungsverteilung, die Immunität ist für die Ab­
wehr zuständig. Dieses Konzept hat zu verschiedenen
spezialisierten Forschungsgebieten mit wenig Interak­
tion geführt. Klinisch kann jedoch eine klare Interaktion
zwischen den beiden Systemen gesehen werden. Steroid­
hormone als potente Immunsuppressoren sind auch für
ihre hyperglykämische Wirkung bekannt. Fieber führt
zu einer tiefen Veränderung im Metabolismus. In den
letzten Jahren wurde auch gezeigt, dass verschiedene
Marker der Akutphase­Immunantwort wie CRP, Inter­
leukin­6 oder Kortisol mit Typ­2­Diabetes und kardio­
vaskulären Erkrankungen assoziiert sind. Auch in der
Evolution sind bei primitiven Tierarten Fettzellen, häma­
topoetische Zellen und endokrine Zellen eng benachbart.
Parallel dazu sind verschiedene Forscher, die auf dem
Gebiet des metabolischen Syndroms und seinen Kom­
plikationen arbeiten, zur Schlussfolgerung gekommen,
dass wesentliche Aspekte durch eine pathologische Re­
aktion des Immunsystems bedingt sind. Dies trifft sowohl
für die Insulinresistenz und den Insulinsekretions­
defekt als auch für die Komplikationen des Typ­2­Dia­
betes wie kardiovaskuläre, renale und ophthalmologi­
sche Erkrankungen zu. Aus diesem Grund wird heute
der Typ­2­Diabetes auch als eine inflammatorische Er­
krankung betrachtet [1–4].
Neben diesem pathologischen Aspekt hat die Regulie­
rung des Metabolismus durch das Immunsystem primär
eine physiologische Rolle. Definitionsgemäss ist das Im­
munsystem eine biologische Struktur, die es dem Orga­
nismus erlaubt, sich vor Krankheiten und Stressoren
zu schützen mit dem Ziel, die Homöostase wieder zu re­
staurieren. Dies gilt für das Immunsystem im klassi­
schen Sinn, als Schutz vor Pathogenen, mechanischen
oder chemischen Stressoren. Das Gleiche trifft auch bei
einem metabolischen Stress zu, charakterisiert durch die
übertriebene Einnahme von Nahrungsmitteln. Primär
führt dies zu einem Versuch des Immunsystems, sich den
Gegebenheiten anzupassen. Wird das Immunsystem je­
doch zu lange oder zu ausgeprägt durch den metaboli­
schen Stress gereizt, führt dies zu einer pathologischen
Entzündung, die per se schädlich wird.
In diesem Artikel wollen wir die physiologische und pa­
thologische Rolle des Immunsystems in der Regulation
des Metabolismus darstellen, was sich neuerdings auch
Immuno­Metabolismus nennt. Auch die therapeutische
Konsequenz ist ein Thema. Es soll ersichtlich werden,
dass sich durch die Zusammenarbeit von Immunologen
und Endokrinologen neue Horizonte eröffnen und die
neuen therapeutischen Indikationen teilweise nicht mehr
von den Symptomen, sondern von der Pathogenese dik­
tiert werden.
Die physiologische Rolle des Immunsystems
bei der Regulation des Metabolismus
Kleine repetitive Glukoseerhöhungen, wie sie postpran­
dial bei übergewichtigen Patienten mit einer Insulinre­
sistenz zu beobachten sind, stimulieren über die β­Zellen
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die Produktion einer niedrigen Konzentration von Inter­
leukin 1β (IL­1β). Diese kleinste Menge an IL­1β stimuliert
ihrerseits die Produktion von Insulin und die Prolifera­
tion der β-Zellen in den pankreatischen Zellen. Somit wird
der erhöhte Bedarf an Insulin über ein Zytokin signali­
siert.
Eine weitere Adaptation im ähnlichen Kontext ist jene
des IL­6. Dieses Interleukin wird vom Fettgewebe pro­
duziert und stimuliert sowohl in den L­Zellen des Darms
als auch in den pankreatischen α­Zellen das Inkretin­
Hormon GLP­1. Dabei werden die α­Zellen reprogram­
miert: Sie produzieren aus dem Proglucagon nicht mehr
Glucagon, sondern GLP­1. Dieser positive Effekt von
IL­6 wird auch während körperlicher Tätigkeit beob­
achtet. Dabei wird IL­6 vom aktiven Muskel in einer
physiologischen Art freigesetzt und fördert den Metabo­
lismus auf eine positive Art und Weise, indem GLP­1 pro­
duziert und dadurch die Insulinsekretion verbessert wird.
Pathologische Aktivierung
des Immunsystems
Die Entzündungsparameter sind bei Patienten mit ei­
nem metabolischen Syndrom erhöht. Diese Aktivierung
des Immunsystems ist multifaktoriell bedingt. Einer­
seits können freie Fettsäuren und Glukose über so­
genannte Inflammasoms eine Entzündungsreaktion im
Fettgewebe, in den Endothelzellen sowie in den pan­
kreatischen Inseln auslösen. Die Aktivierung führt zur
Freisetzung von IL­1β, die wiederum weitere Zytokine
und Chemokine freisetzen. Dies führt zur Rekrutierung
von Immunzellen. Diese Gesamtentzündung wird heut­
zutage als mitverantwortliche Ursache der Insulinresis­
tenz, des Fehlens von Insulinsekretion wie auch der
Arteriosklerose gesehen.
Weitere Faktoren, die zur Entzündung beitragen können,
sind zum Beispiel die Hypoxie, welche durch die rasche
Zunahme von Fettzellen mit inadäquater Zunahme der
Blutgefässe im Fettgewebe entstehen kann. Kürzlich
wurde auch der Darmflora eine grosse Rolle zugespro­
chen. Die Darmwand ist bei Patienten mit Übergewicht
und Diabetes weniger dicht; dadurch können bakterielle
Wandprodukte, sogenannte Lipopolysaccharide, sie bes­
ser durchdringen und Entzündungen in verschiedenen
Geweben verstärken. Die Zusammensetzung der Darm­
flora scheint dabei eine wesentliche Rolle zu spielen.
Klinische Translation
Basierend auf den multiplen Erkenntnissen durch prä­
klinische Studien sind zurzeit verschiedenste Modalitäten
zur Behandlung von Diabetes und seinen Komplikationen
durch Immunmodulation in Untersuchung.
TNF-α
1993 wurde erstmals beobachtet, dass TNF­α bei der
Entstehung von Insulinresistenzen eine Rolle spielen
könnte. Die ersten klinischen Studien waren jedoch ent­
täuschend, da eine Verbesserung der Insulinsensibilität
durch eine Blockade von TNF­α nicht belegt werden
konnte. Allerdings wurden die Studien in der Dauer der
Behandlung deutlich zu kurz und mit zu wenigen Patien­
ten durchgeführt, um eine klare Aussage machen zu
können. Wird ein TNF­Antagonist zur Behandlung von
anderen Krankheiten (z.B. rheumatischer Arthritis) ge­
geben, kann eine Verbesserung des Stoffwechsels beob­
achtet werden. Gerade deshalb ist es notwendig, durch
neue Studien prospektiv die Rolle von TNF­α nochmals
zu überprüfen.
IL-1β
Wie im Jahr 2007 gezeigt wurde, kann eine reine Immun­
intervention die Insulinsekretion und somit den Gluko­
sestoffwechsel bessern. Dabei wurde die Wirkung von
IL­1β mit dem IL­1­Rezeptor­Antagonisten IL­1Ra blo­
ckiert. In der Zwischenzeit haben mehrere Studien die­
se erste Beobachtung bestätigt. Das Ausmass der Ver­
besserung des Blutzuckers scheint je nach Ausgangswert
des HbA1c von 0,2 bis 0,85% zu variieren. Obwohl diese
Studien noch präeliminär sind, bestätigen sie die Be­
einflussung des Stoffwechsels durch die Regulierung
des Immunsystems. Eine grössere Phase­III­Studie mit
rund 172 00 Patienten ist zurzeit im Gang. Dabei wird
ein Antikörper gegen IL­1β verwendet, der nur jeden
dritten Monat verabreicht werden muss. Der Primär­
endpunkt dieser Studie liegt im kardiovaskulären Be­
reich, da dies bei neuer Indikation für Diabetes so ver­
langt wird. Unterstudien, die mehr Nachweise zum
Effekt der IL­1β­Blockade auf die Insulinsekretion und
­sensibilität liefern sollen, werden in diesem Rahmen
ebenfalls durchgeführt.
Salicylate (Salsalate)
Salsalate ist eine Vorstufe der Salizylsäure und inhibiert
das NF­κB und somit das IL­1­System. Mehrere Studien
zeigten die Verbesserung des Glukosestoffwechsels
durch Salsalate ähnlich wie bei IL­1­Antagonisten.
Während der IL­1­Antagonist vor allem auf die β­Zellen
und somit auf die Insulinproduktion wirkt, verbessert
Salsalate die Insulinsensibilität. Der Unterschied könnte
durch den anders gewählten Fokus der verschiedenen
Forscher zustande gekommen sein. Solange jedoch
kein Direktvergleich durchgeführt wird, kann nicht ein­
deutig gesagt werden, wo der Unterschied der beiden
Medikamente prinzipiell liegt.
Antiinflammatorische Medikamente mit unklaren
Mechanismen
Diacerein ist ein Medikament, das häufig wegen seines
antiinflammatorischen Effekts bei Gelenkbeschwerden
eingesetzt wird. Diacerein senkt sowohl TNF­α als auch
IL­1β über unbekannte Mechanismen. Die Behandlung
von Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 zeigte einen
tiefgreifenden Effekt auf den Glukosemetabolismus.
IL-6
IL­6 hat multiple Effekte. Einerseits stimuliert es
GLP­1, andererseits könnte es bei der Insulinresistenz
eine Rolle spielen, wobei noch unklar ist, ob es diese sti­
muliert oder senkt. Wegen dieser teilweise wider­
sprüchlichen Effekte ist weder eine Stimulierung noch
eine Antagonisierung von IL­6 zu empfehlen.
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Medikamente mit antiinflammatorischen Effekten
off-target
Verschiedene Medikamente, die bei Patienten mit
Typ­2­Diabetes indiziert sind, könnten durch ihre anti­
inflammatorische Wirkung auch bei anderen Indikatio­
nen ihren positiven Effekt teilweise erklären. So wird
zum Beispiel Aspirin als Thrombozytenaggregations­
hemmer eingesetzt, doch durch seinen antientzünd­
lichen Effekt wirkt es sich auch positiv auf das kardio­
vaskuläre System aus. Das sehr gut dokumentierte
Wirkprofil der Statine, die zur Lipidsenkung gegeben
werden, könnte durch eine Abnahme der Entzündung
erklärt werden. Weiter sind auch ACE­Hemmer stark
antiinflammatorische Medikamente. Interessanterweise
scheint auch die Inhibition von Dipeptidyl­peptidase­4
eine Wirkung auf die Entzündung zu haben.
Schlussfolgerung und erste praktische
Umsetzung
systems einen positiven Effekt auf den Verlauf von Dia­
betes und seinen Komplikationen haben kann. Diese neue
Art der Behandlung hat multiple Vorteile.
Korrespondenz:
Dr. Marc Y. Donath
Universitätsspital Basel
Petersgraben 4
CH-4031 Basel
marc.donath[at]usb.ch
Literatur
1 Donath MY, Shoelson SE: Type 2 diabetes as an inflammatory disease.
Nat Rev Immunol. 2011;11:98–107.
2 Gregor MF, Hotamisligil GS: Inflammatory mechanisms in obesity.
Annu Rev Immunol. 2011;29:415–45.
3 Donath MY, Dalmas E, Sauter NS, Boni­Schnetzler M: Inflammation in
obesity and diabetes: islet dysfunction and therapeutic opportunity.
Cell Metab. 2013;17:860–72.
4 Donath MY: When metabolism met immunology. Nat Immunol.
2013;14:421–2.
Durch die Forschung auf dem Gebiet des Immuno­Meta­
bolismus ist nun klar, dass die Modulierung des Immun­
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