HIV, Infektionsrisiken und Frühsymptome, H. Klinker 2008

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Verdachtsfall HIV: Erkrankungen und Symptome
Oft erst spät erkannt: die HIV-Infektion
Eine HIV-Infektion verläuft immer chronisch und führt ohne Behandlung bei
fast allen Patienten nach 8-10 Jahren zur Immunschwächekrankheit AIDS. Eine
rechtzeitige und adäquate antiretrovirale Therapie kann diesen Verlauf in den
allermeisten Fällen verhindern, sodass vielen Patienten mit HIV-Infektion heute
eine langfristige Lebensperspektive bei guter Lebensqualität eröffnet werden
kann.
Einer
frühzeitigen
Diagnosestellung
kommt
dabei
jedoch
eine
große
Bedeutung zu.
Dies ist nur durch die Kenntnis besonderer Risikokonstellationen sowie der
verschiedenen HIV-assoziierten Symptome und Erkrankungen möglich.
HIV/AIDS in Deutschland
In Deutschland lebten Ende 2007 ca. 59.000 Menschen (ca. 49.000 Männer und ca.
10.000 Frauen) mit einer HIV-Infektion, etwa 30.000-35.000 davon werden
antiretroviral behandelt. Die Anzahl der Neuinfektionen hat in den vergangenen
Jahren trotz aller Aufklärungs- und Präventionsanstrengungen deutlich zugenommen
und betrug im Jahr 2007 etwa 3.000.
Die wichtigsten Infektionswege der Neuinfektionen sind homosexuelle Kontakte bei
Männern (ca. 72%), heterosexuelle Kontakte (ca. 20%) und intravenöser
Drogengebrauch (ca. 7%). Etwa 1% der Neuinfektionen sind durch Mutter-KindÜbertragungen im Rahmen der Geburt bedingt.
Dank der Erfolge der hochaktiven antiretroviralen Therapie (HAART) ist die Anzahl
von AIDS-Erkrankungen in Deutschland zurückgegangen, liegt mit ca. 1.100 Fällen
im Jahr 2007 aber nach wie vor in einem hohen Bereich. Dabei entfallen zahlreiche
AIDS-Erkrankungen auf Menschen, bei denen die HIV-Diagnose erst zum Zeitpunkt
des Auftretens der ersten opportunistischen Infektion gestellt wird. In vielen Fällen ist
eine
HIV-Infektion
jedoch
auch
in
frühen
Stadien
aufgrund
bestehender
Infektionsrisiken sowie bei Auftreten von Allgemeinsymptomen oder wegweisender
Indikator-Erkrankungen diagnostizierbar.
Merke: In jeder allgemeinärztlichen oder internistischen Praxis sollte die
Differenzialdiagnose einer HIV-Infektion immer mit bedacht werden.
Wann ist an eine HIV-Infektion zu denken?
Infektionsrisiken
In Anbetracht der häufigsten Übertragungswege ist eine HIV-Infektion insbesondere
bei Menschen mit Risikoverhalten (homosexuelle und bisexuelle Kontakte bei
Männern, heterosexuelle Kontakte mit häufig wechselnden Partnern, Sextourismus,
Heroin- und Kokainkonsum) oder nach Migration aus Hochprävalenzländern (z. B.
Afrika, Asien, Karibik, Osteuropa) zu erwägen. Daneben wird grundsätzlich bei allen
Blutspendern
(Richtlinie
Hämotherapie),
bei
Patienten
vor
einer
Organtransplantation und bei Neugeborenen HIV-infizierter Mütter eine HIV-Testung
durchgeführt.
Weitaus die meisten der in Deutschland registrierten vertikalen HIV-Transmissionen
betreffen Kinder von Müttern, bei denen die HIV-Infektion zuvor nicht diagnostiziert
wurde. Dabei kann eine Übertragung des HI-Virus im Rahmen von Schwangerschaft
und Geburt heute durch eine antivirale Behandlung der HIV-infizierten Mutter, eine
primäre Sectio, Stillverzicht und die kurzzeitige antivirale Behandlung des
Neugeborenen effektiv verhindert werden.
Beachte: Es sollte deshalb bei allen Schwangeren, unabhängig von einer
vorliegenden Risikokonstellation, ein HIV-Test durchgeführt werden.
Die wichtigsten Indikationen zur Durchführung eines HIV-Antikörpertests sind in
Tabelle 1 zusammengefasst.
Beachte: Vor der Testdurchführung sollte eine Aufklärung des Patienten über den
Test erfolgen
•
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•
•
•
•
•
Nach Risikoverhalten
Bei klinischem Verdacht auf eine HIV-Infektion
Bei Vorliegen sexuell übertragbarer Krankheiten (z. B.
Gonorrhö, Syphilis, Chlamydieninfektion, genitaler Herpes
simplex, Erkrankungen durch Humane Papilloma-Viren,
Genitalwarzen)
Bei Herkunft aus Endemiegebieten
Bei geplanter Schwangerschaft bzw. bei schwangeren Frauen
Wenn im Zeitraum zwischen ca. 1980 und 1985 eine
Transfusion erhalten wurde
Vor Organtransplantationen
Bei Neugeborenen HIV-positiver Mütter
Für im Gesundheitswesen Tätige wird ein HIV-Test angeboten
Bei Spendern von Blut- und Blutprodukten ist eine HIVTestung vorgeschrieben
Tabelle 1: Indikationen für die Durchführung eines HIV-Tests
Ein HIV-Antikörpertest ist zustimmungspflichtig. Im Aufklärungsgespräch bietet es
sich an, auch auf Maßnahmen zur HIV-Prävention hinzuweisen und über ggf.
vorhandene individuelle Risiken zu reden. Das Testergebnis sollte in jedem Fall in
einem persönlichen Gespräch mit dem Patienten/der Patientin besprochen und nicht
einfach telefonisch mitgeteilt werden.
HIV-assoziierte Krankheitsbilder
Die akute HIV-Infektion verläuft häufig asymptomatisch. Gelegentlich entwickelt sich
allerdings
auch
ein
Mononukleose-ähnliches
Krankheitsbild
mit
Fieber,
Lymphknotenschwellungen und einem makulopapulösen Exanthem. Hier ist
insbesondere bei anamnestischem Risikoverhalten immer auch eine HIV-Infektion in
Erwägung zu ziehen.
Jede HIV-Infektion nimmt einen chronischen Verlauf! An die Infektionsphase schließt
sich ein in der Regel mehrere Jahre andauerndes asymptomatisches Stadium der
HIV-Infektion an. Auch wenn in dieser Zeit keine Beschwerden auftreten, so erfolgt in
diesem Stadium bereits eine erhebliche HI-Virusreplikation. Entsprechend besteht
eine Infektiosität! Hohe Viruskonzentrationen finden sich im Blut, im Vaginalsekret
und im Sperma.
Unwissend bezüglich ihrer eigenen HIV-Infektion, können gerade Menschen mit
häufig wechselnden Sexualpartnern und ungeschützten Sexualkontakten die
Infektion in großem Umfang weiter verbreiten. Auch aus diesem Grund sollten alle
Anstrengungen unternommen werden, eine HIV-Infektion möglichst frühzeitig zu
diagnostizieren.
Im Laufe der Jahre kommt es unbehandelt bei persistierender Virusreplikation zur
Depletion CD4-positiver T-Lymphozyten („Helferzellen“), die eine zentrale Bedeutung
für ein funktionierendes Immunsystem haben. Bei abnehmender T-Helferzellzahl
können in Abhängigkeit vom aktuellen Immunstatus leichte, vom Patienten kaum
wahrzunehmende,
später
dann
aber
auch
schwerwiegendere,
auch
lebensbedrohliche opportunistische Erkrankungen auftreten.
Hinweisend auf eine fortschreitende HIV-Infektion können hier Mollusca contagiosa
(Abb. 1) bei einem Erwachsenen oder auch ein Mundsoor sein, wenn andere
prädisponierende
Faktoren
wie
eine
vorangegangene
Antibiotika-
oder
Korticosteroid-Therapie ausgeschlossen sind.
Abb 1: Mollusca contagiosa
Eine für eine HIV-Infektion fast pathognomonische Veränderung ist die orale
Haarleukoplakie (Abb. 2), die sich in nicht schmerzhaften, weißlichen, streifigen und
nicht abwischbaren Belägen vor allem an den seitlichern Zungenrändern äußert. Bei
einem derartigen Befund muss ein HIV-Test durchgeführt werden!
Abbildung 2: Orale Haarleukoplakie
Ein Herpes Zoster (Abb. 3) ist immer als Zeichen einer mangelnden Immunitätslage
zu werten und sollte gerade bei jüngeren Menschen und mehrsegmentaler und/oder
beidseitiger Ausprägung Anlass für einen HIV-Antikörpertest sein.
Abbildung 3: Herpes Zoster
Eine Übersicht über Befunde, die mit einer HIV-Infektion assoziiert sein können, gibt
Tabelle 2.
Konstitutionelle Syndrome
Fieber unklarer Genese
Unklarer Gewichtsverlust
Chronische Abgeschlagenheit und Müdigkeit
Unklare generalisierte Lymphadenopathie
Mononukleoseartige Erkrankung ohne Nachweis einer akuten EBV-Infektion
Hautveränderungen
Ausgeprägte seborrhoische Dermatitis
Unklare Exazerbation einer Psoriasis
Wiederholte Staphylokokken-Furunkulosen
Herpes Zoster
Kaposi-Sarkome
Mollusca contagiosa
Mundhöhle
Soor
Orale Haarleukoplakie
Rezidivierende schwere aphtöse Ulcerationen
Kaposi-Sarkom
Aggressive Peridontitis
Lunge
Rezidivierende Pneumokokken-Pneumonien
Pneumocystis carinii Pneumonie
Tuberkulose
Gastrointestinaltrakt
Hochsitzende Ösophagus-Ulcerationen
Unerklärte, v. a. chronische Diarrhö
Lokalisierte Lymphome im GI-Trakt
Hepatitis B/C
Kaposi-Sarkom im GI-Trakt
Blutbildveränderungen
Lymphopenie
Neutropenie
Anämie
Unklare persistierende Thrombozytopenie
Tabelle 2: Befunde, die mit einer HIV-Infektion assoziiert sein können
Beweisend für eine HIV-Infektion sind Kaposi-Sarkome im Bereich der Haut oder
Schleimhaut, die auch bei noch nicht sehr weit fortgeschrittenem Immundefekt
auftreten können.
Auch bei schnell wachsenden Lymphknotenschwellungen, die histologisch als NonHodgkin-Lymphom klassifiziert werden, ist an eine zugrundeliegende HIV-Infektion
zu denken.
Opportunistische Infektionen
Im Spontanverlauf einer HIV-Infektion vergehen durchschnittlich 8-10 Jahre vom
Beginn der Infektion bis zur manifesten AIDS-Erkrankung. Patienten, die sich ihrer
HIV-Infektion nicht bewusst sind, kommen häufig erst in diesem Stadium mit den
Symptomen einer opportunistischen Infektion zum Arzt. Oft sind es Krankheitsbilder,
die unerkannt rasch lebensbedrohlich werden oder mit schweren, z. T. auch
irreversiblen Gesundheitsschäden einhergehen. Im Sinne einer schnellen Diagnose
sollte deshalb jeder Arzt die wichtigsten Leitsymptome und die Diagnostik dieser
Erkrankungen kennen. In aller Regel liegt zu diesem Zeitpunkt bereits ein
fortgeschrittener Immundefekt mit T-Helferzellzahlen weit unter 200/µl vor.
Die Pneumocystis-carinii-Pneumonie (PCP) ist die häufigste AIDS-definierende
opportunistische Infektion bei unbehandelter HIV-Infektion. Fieber, eine zunehmende
Belastungs- und schließlich Ruhedyspnoe mit trockenem Husten sind die
Leitsymptome.
Der
Auskultationsbefund
ist
typischerweise
unauffällig,
die
Inspirationstiefe jedoch erkennbar eingeschränkt, die Atemfrequenz erhöht. Im
Röntgen-Thorax finden sich milchglasartige Trübungen mit Bevorzugung der Mittelund Unterfelder, laborchemisch zeigt sich eine isolierte Erhöhung der LDH, in der
Blutgasanalyse eine respiratorische Partialinsuffizienz.
Am zweithäufigsten tritt eine cerebrale Toxoplasmose auf. Sie ist charakterisiert
durch
Kopfschmerzen,
Krampfanfälle.
In
der
fokal-neurologische
cerebralen
Ausfälle,
Bildgebung
Fieber,
finden
sich
Paresen
oder
Fokalläsionen,
typischerweise mit ringförmiger Kontrastmittelaufnahme und perifokalem Ödem.
Eine wichtige opportunistische Infektion bei ausgeprägter T-Helferzell-Verminderung
stellt die Reaktivierung einer Zytomegalievirus- (CMV-) Infektion dar. Die CMVRetinitis kann innerhalb kurzer Zeit zur Erblindung führen. Sie imponiert mit einer
Visus-Beeinträchtigung in Form von „Schneetreiben“ oder Gesichtsfeldausfällen. In
diesen Fällen muss unverzüglich eine augenärztliche Untersuchung veranlasst
werden.
Eine weitere, komplizierende Erkrankung der fortgeschrittenen HIV-Infektion ist die
Tuberkulose.
Merke: Bei jeder Tuberkulose, insbesondere bei Patienten aus HIVHochprävalenzländern, sollte ein HIV-Antikörpertest durchgeführt werden!
Bei
weit
entwickelter
Immundefizienz
werden
gehäuft
auch
atypische
Mykobakteriosen beobachtet. Diese in der Regel generalisierten Infektionen führen
zu uncharakteristischen, aber sehr beeinträchtigenden
Allgemeinsymptomen in
Form von Fieber, Diarrhoen, Nachtschweiß und Gewichtsabnahme, häufig finden
sich auch Lymphknotenschwellungen.
Seltenere, jedoch ebenso typische Komplikationen einer fortgeschrittenen HIVInfektion stellen die drei folgenden opportunistischen Infektionen dar.
Die Infektion mit Kryptosporidien oder Mikrosporidien führt zu profusen, wässrigen
Durchfällen mit oft 10-20 Stuhlentleerungen pro Tag und der Gefahr einer
lebensbedrohlichen Exsikkose.
Die
führenden
Symptome
einer
Kryptokokkose,
einer
Pilzinfektion,
sind
meningitische Zeichen mit Fieber, Kopfschmerzen und Verwirrtheitszuständen. Die
Diagnose kann durch eine Liquoruntersuchung mit Nachweis von Cryptococcus
neoformans meist rasch gesichert werden.
Eine progressive multifokale Leukencephalopathie (PML) geht mit vielfältigen
neurologischen Symptomen einher. Häufig kommt es parallel zu Paresen,
Sehstörungen, kognitiven Störungen und psychischen Auffälligkeiten.
Trotz der Verfügbarkeit zahlreicher - derzeit sind in Deutschland 26 Medikamente
aus
sechs
unterschiedlichen
Wirkstoffklassen
zugelassen
-
und
potenter
antiretroviraler Medikamente ist bei bereits vorliegendem AIDS-Vollbild mit
entsprechend starker Verminderung der T-Helferzellen bei vielen Patienten eine
adäquate Immunrekonstitution nur schwer zu erreichen.
Bei frühzeitiger HIV-Diagnose und adäquater und konsequenter antiviraler Therapie
lassen sich dagegen der HIV-assoziierte Immundefekt und viele der genannten
opportunistischen Infektionen langfristig vermeiden.
Deshalb sollte neben der HIV-Prävention der Erkennung von HIV-Infektionen, am
besten im noch asymptomatischen Stadium, hohe Priorität eingeräumt werden!
Autor:
Prof. Dr. med. Hartwig Klinker
Internist/Gastroenterologe/Infektiologe
Schwerpunkt Infektiologie
Zentrum Infektiologie DGI
Medizinische Klinik und Poliklinik II
Universitätsklinikum Würzburg
Josef Schneider-Str. 2
97080 Würzburg
Tel.: 0931/201-36020
Fax: 0931/201-36022
E-Mail: [email protected]
Literatur:
HIV-Arbeitskreis Südwest (2003) HIV und AIDS – Ein Leitfaden für Ärzte, Apotheker,
Helfer und Betroffene. 5. Aufl., Springer Verlag, Berlin – Heidelberg – New York
Hoffmann C, Rockstroh JK, Kamps BS (2007) HIV.NET. Steinhäuser Verlag,
Wuppertal-Beyenburg
Klinker H (2002) Ambulante Therapie der HIV-Infektion: Kooperation zwischen
Schwerpunktambulanz und niedergelassenem Arzt. Der Bayerische Internist 22: 294302
Robert Koch Institut (2008) HIV-Infektionen und AIDS-Erkrankungen in Deutschland.
Epidemiologisches Bulletin Sonderausgabe A/2008, 1-16
Rockstroh JK, Spengler U (1999) Opportunistische Infektionen und Tumore im
Verlauf der HIV-Infektion. 1. Aufl., UNI-MED Verlag, Bremen
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