TEXT ZUR ANIMATION Das Hirn ist ein höchst komplexes Organ

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 TEXT ZUR ANIMATION
Das Hirn ist ein höchst komplexes Organ, das aus vielen verschiedenen Zelltypen
zusammengesetzt ist. Grob gesagt fallen diese Zellen in zwei Kategorien - Neuronen und
Gliazellen Das Rett-Syndrom wurde lange als eine Störung betrachtet, die durch dysfunktionale
Neuronen verursacht wird.
2009 zeigte die wissenschaftliche Beraterin des RSRT, Dr. Gail Mandel, dass auch Astrozyten,
ein Untertyp der Gliazellen, an der Krankheit beteiligt sind. Heute veröffentlichte Nature eine
von Dr. Jonathan Kipnis geleitete und von Noel Derecki, Jim Cronk und Kollegen verfasste
Studie, die starke Evidenz zeigt, dass noch ein weiterer Typ Gliazellen mit Namen Mikroglia,
eine bedeutende Rolle beim Rett-Syndrom spielt. Diese Arbeit wurde vom Rett Syndrome
Research Trust finanziert.
Obwohl Mikroglia im Hirn zu finden sind, werden sie nicht dort produziert, sondern im
Knochenmark. Dr. Kipnis, ein Neuroimmunologe am Fachbereich für Neurowissenschaften der
Universität Virginia, und seine Kollegen nahmen an, dass eine Neuverpflanzung von Mikroglia
durch eine Knochenmarktransplantation die Symptome möglicherweise lindern kann, wenn diese
Mikroglia beim Rett-Syndrom erkrankt sind.
Diese Annahme hat sich nun als wahr erwiesen.
Im ersten Experiment, das im erwähnten Nature-Artikel beschrieben wird, verwendete das Team
genmanipulierte männliche Mäuse, denen das MeCP2-Protein fehlt. Ohne Behandlung
entwickeln diese Tiere Symptome, die denen von am Rett-Syndrom leidenden Kindern und
Erwachsenen ähnlich sind: sie sind klein, untergewichtig, haben Atemstörungen mit häufiger
Apnoe, sie zittern, zeigen eine eingeschränkte Mobilität und abnorme Gangart, und wenn man
sie kopfüber hält, klammern sie mit ihren Hinterbeinen in unnatürlicher Weise.
Derecki und Mitverfasser verwendeten vier Wochen alte Mäuse, die gerade begannen Symptome
zu zeigen, und bestrahlten sie. Zweck der Bestrahlung ist eine Reinigung des Blutes, Hirns und
Immunsystems von mutierten Zellen. Nach der Bestrahlung erhielten die Mäuse eine
Knochenmarktransplantation von einer gesunden Spendermaus. Das Spendermark gedeiht im
Empfänger, lässt neues Blut entstehen, neue Immunzellen und sogar neue Hirnzellen.
Vier Wochen nach der Transplantation sahen die Mäuse bemerkenswert gut aus. Während die
unbehandelten Mäuse zu diesem Zeitpunkt sehr krank waren, bewegten sich die transplantierten
Mäuse an der Grenze zu normalem Gewicht und normaler Größe, auch in Bezug auf Hirn und
Milz. Sie zitterten nicht und ihre Gangart und Mobilität waren in etwa so gut wie bei typischen
Mäusen. Bemerkenswerterweise kam es zu einer enormen Verbesserung ihrer Atmung, die zuvor
durch häufige Apnoe charakterisiert war. Männliche Rett-Mäuse sterben normalerweise
innerhalb von 10 Wochen. Heute, ein Jahr nach der Transplantation, sind die ältesten der
behandelten Mäuse noch am Leben.
Die Wissenschaftler konnten ebenfalls Evidenz für ein neues Wachstum von Mikroglia finden,
nachdem sie die Gehirne der transplantierten Mäuse untersucht hatten. Das Spenderknochenmark
war mit grünem, fluoreszierenden Protein - dem so genannten GFP - durchsetzt. Entsprechend
konnten die Zellen nachverfolgt werden. Nach der Transplantation wurden viele Mikrogliazellen
im Hirn der Mäuse gefunden.
Das Kipnis-Labor wandte sich dann weiblichen Mäusen zu und unternahm das gleiche Verfahren
an 2 Monate alten Mäusen - Bestrahlung mit folgender Knochenmarktransplantation. Wie die
männlichen Tiere blieben die weiblichen Mäuse ebenfalls von der Entwicklung von RettSymptomen verschont.
Dann unternahmen die Wissenschaftler den Versuch, die Transplantate mittels Gentechnik zu
reproduzieren. Weil Mikroglia ein Teil des angeborenen Immunsystems sind, also jener Zellen,
mit denen wir alle geboren werden, züchteten sie Mäuse, die das MeCP2-Protein nur in
angeborenen Immunzellen exprimierten. Diese Mäuse machten wie die transplantierten Mäuse
einen wesentlich besseren Eindruck als die typischen Mausmodelle für Rett, die vollständig
MeCP2-defizitär sind. Im Gegensatz zu diesen sehr kranken Mäusen zeigten auch diese Mäuse
eine fast normale Größe, Mobilität, Atmung und Lebensspanne sowie ein fast normales Gewicht.
Dieses Experiment betont die Wichtigkeit der angeborenen Immunzellen im Zusammenhang mit
der Pathologie des Rett-Syndroms.
Eine Schlüsselfunktion der angeborenen Immunzellen ist die Verteidigung gegen ansteckende
Pathogene und die Wirkung als schützende Säuberungszellen. In einem „Phagozytose“
genannten Prozess verschlingen und verdauen angeborene Immunzellen wie Mikroglia fremde
Eindringlinge, totes Gewebe, Zellablagerungen und Bakterien.
Die Wissenschaftler verhinderten eine Phagozytose durch ein Medikament mit dem Namen
Annexin V, um zu sehen, was passiert. Sie verabreichten das Medikament an Mäuse, die nur in
angeborenen Immunzellen MeCP2 hatten. Bei Unterdrückung der Phagozytose sammelten sich
Ablagerungen im Hirn und die Rett-ähnlichen Symptome kehrten zurück.
Die Wissenschaftler schlossen daraus, dass MeCP2-defizitäre Mikroglia Ablagerungen nicht
ordentlich vernichten können und die Nervenzellen nicht länger richtig funktionieren, wenn sich
diese Ablagerungen ansammeln. Das langsame Aufbau von Ablagerungen und die damit
einhergehende neuronale Dysfunktion könnte zu dem verzögerten Beginn der Rett-Symptome
bei Kindern mit Rett-Syndrom beitragen.
Zusammenfassend sind die Erkenntnisse des Kipnis-Labors folgende:
1. Neues Wachstum von gesunden Mikroglia im Gehirn von weiblichen wie männlichen
Mäusen durch eine Knochenmarktransplantation blockierte die Entwicklung
schwerwiegender Rett-Symptome.
2. Mäuse mit MeCP2 in ausschließlich angeborenen Immunzellen wie Mikroglia und
Makrophagen sind viel gesünder als Mäuse, gar kein MeCP2 bilden. Dies verdeutlicht die
Wichtigkeit dieser besonderen Zellen bei der Pathologie des Rett-Syndroms.
3. Eingeschränkte Phagozytose durch schlecht funktionierende Mikroglia könnte zu den
tiefer liegenden Ursachen der Rett-Symptome beitragen.
Knochenmarktransplantation, um schlecht funktionierende Mikroglia durch gesunde Mikroglia
zu ersetzen, könnte ein viel versprechender therapeutischer Ansatz für Menschen mit RettSyndrom sein.
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