VERTIEFUNG GRUPPENTHEORIE

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Universität Bielefeld
WS 2012/13
VERTIEFUNG GRUPPENTHEORIE
PHILIPP LAMPE
I NHALTSVERZEICHNIS
Vorlesung 1 vom 9. Oktober 2012 (Kurze Einführung)
2
Vorlesung 2 vom 11. Oktober 2012 (Definition der Gruppe, Beispiele und Nichtbeispiele)
2
Vorlesung 3 vom 16. Oktober 2012 (Gruppen von Abbildungen)
4
Vorlesung 4 vom 18. Oktober 2012 (Eigenschaften von Gruppen)
Vorlesung 5 vom 23. Oktober 2012 (Zur Geschichte der Gruppentheorie)
6
7
Vorlesung 6 vom 25. Oktober 2012 (Weitere Eigenschaften von Gruppen und Zahlentheorie)
9
Vorlesung 7 vom 30. Oktober 2012 (Modulare Arithmetik)
11
Vorlesung 8 vom 6. November 2012 (Additive Restklassengruppen)
Vorlesung 9 vom 8. November 2012 (Multiplikative Restklassengruppen I)
12
13
Vorlesung 10 vom 13. November 2012 (Multiplikative Restklassengruppen II)
14
Vorlesung 11 vom 15. November 2012 (Ordnung eines Gruppenelements)
15
Vorlesung 12 vom 20. November 2012 (Dezimalentwicklungen rationaler Zahlen)
Vorlesung 13 vom 22. November 2012 (Isomorphie und der chinesische Restsatz)
17
18
Vorlesung 14 vom 27. November 2012 (Simultane Kongruenzen)
20
Vorlesung 15 vom 4. Dezember 2012 (Beweis des chinesischen Restsatzes)
21
Vorlesung 16 vom 6. Dezember 2012 (Ebene und räumliche Objekte)
Vorlesung 17 vom 11. Dezember 2012 (Ebene Symmetrien)
22
25
Vorlesung 18 vom 13. Dezember 2012 (Symmetrietransformationen)
26
Vorlesung 19 vom 18. Dezember 2012 (Ebene Symmetriegruppen I)
29
Vorlesung 20 vom 20. Dezember 2012 (Ebene Symmetriegruppen II)
Vorlesung 21 vom 8. Januar 2013 (Platonische Körper)
30
32
Vorlesung 22 vom 10. Januar 2013 (Klassifikation platonischer Körper)
33
Vorlesung 23 vom 15. Januar 2013 (Das Ikosaeder)
34
Vorlesung 24 vom 22. Januar 2013 (Die Würfelgruppe)
Vorlesung 25 vom 24. Januar 2013 (Mehr zur Würfelgruppe)
35
36
Vorlesung 26 vom 31. Januar 2013 (Die Ikosaedergruppe)
38
Version vom 6. März 2013.
1
VORLESUNG 1
VOM
9. O KTOBER 2012 (K URZE E INF ÜHRUNG )
Was ist eine Gruppe? Eine präzise Definition kommt am Donnerstag, hier nur die Grundidee. Eine
Gruppe ist eine Menge G zusammen mit einer Verknüpfung, die zwei Elementen x, y in G (in
sinnvoller Weise) ein neues Element x · y in G zuordnet.
y
x
Gruppenverknüpfung
x·y
Beispiele solcher Verknüpfungen sind die gewöhnliche Addition + und die gewöhnliche Multiplikation · reeller Zahlen. Im Gegensatz zu diesen Verknüpfungen muss eine Gruppenverknüpfung
im Allgemeinen nicht kommutativ sein. Ein Beispiel einer nicht kommutativen Verknüpfung ist
die Hintereinanderausführung zweier Drehungen A und B um 90◦ um zwei verschiedene Achsen
eines Quaders. Dann gilt A ◦ B 6= B ◦ A.
A
B
In vielen Fällen beschreiben Gruppen Symmetrien von Objekten.
VORLESUNG 2 VOM 11. O KTOBER 2012 (D EFINITION DER G RUPPE , B EISPIELE UND
N ICHTBEISPIELE )
Nach der informellen Einführung in der letzten Vorlesung geben wir heute eine präzise Definition
des Begriffs Gruppe.
Definition 2.1 (Gruppe). Eine Gruppe (G, ·) ist eine Menge G zusammen mit einer Verknüpfung
·, die jedem Paar (x, y) ∈ G × G ein Element x · y ∈ G zuordnet, so dass folgende drei Eigenschaften gelten:
(i) (Assoziativitätsgestz) Für alle Elemente x, y, z ∈ G gilt (x · y) · z = x · (y · z).
(ii) (Existenz eines neutralen Elements) Es exisitiert ein Element e ∈ G, so dass für alle Elemente x ∈ G die Gleichung e · x = x = x · e gilt.
2
(iii) (Existenz eines inversen Elements) Für alle Elemente x ∈ G existiert ein Element y ∈ G,
so dass die Gleichung y · x = e = x · y gilt.
Ist (G, ·) eine Gruppe, so nennen wir e das neutrale Element und y das zu x inverse Element.
Häufig schreiben wir auch x−1 für das inverse Element y von x.
Beispiel 2.2. Die ganzen Zahlen Z = {. . . , −3, −2, −1, 0, 1, 2, 3, . . .} bilden zusammen mit der
gewöhnlichen Addition +“eine Gruppe. Warum? Die Addition ist konstruktionsbedingt assozia”
tiv. Das neutrale Element ist 0 ∈ Z, denn für alle n ∈ Z gilt 0 + n = n = n + 0. Für jede ganze
Zahl n ∈ Z gilt (−n) + n = 0 = n + (−n), daher ist −n das zu n inverse Element.
Nichtbeispiel 2.3. Die ganzen Zahlen Z = {. . . , −3, −2, −1, 0, 1, 2, 3, . . .} bilden zusammen
mit der gewöhnlichen Subtraktion −“keine Gruppe, da das Assozitivitätsgesetz nicht erfüllt ist.
”
Beispielsweise gilt (1 − 1) − 1 = −1 6= 1 = 1 − (1 − 1).
Nichtbeispiel 2.4. Die ganzen Zahlen Z = {. . . , −3, −2, −1, 0, 1, 2, 3, . . .} bilden zusammen mit
der gewöhnlichen Multiplikation ·“keine Gruppe. Zwar ist die Multiplikation konstruktionsbe”
dingt assoziativ und es existiert ein neutrales Element – nämlich die 1 ∈ Z – doch es exisitiert
beispielsweise kein zu 2 inverses Element.
Nichtbeispiel 2.5. Die natürlichen Zahlen N = {0, 1, 2, 3, . . .} bilden zusammen mit der gewöhnlichen Addition +“keine Gruppe. Zwar ist die Addition konstruktionsbedingt assoziativ und es
”
existiert ein neutrales Element – nämlich die 0 ∈ N – doch es exisitiert beispielsweise kein zu 1
inverses Element.
Beispiel 2.6. Die geraden ganzen Zahlen {. . . , −6, −4, −2, 0, 2, 4, 6, . . .} bilden zusammen mit
der gewöhnlichen Addition +“eine Gruppe. Warum? Die Addition ist konstruktionsbedingt asso”
ziativ. Das neutrale Element ist 0 ∈ Z, denn für alle n ∈ Z gilt 0 + n = n = n + 0. Für jede gerade
ganze Zahl n ∈ Z ist −n ∈ Z ebenfalls gerade und es gilt (−n) + n = 0 = n + (−n), daher ist
−n das zu n inverse Element.
Nichtbeispiel 2.7. Die ungeraden ganzen Zahlen {. . . , −5, −3, −1, 1, 3, 5, 7, . . .} bilden zusammen mit der gewöhnlichen Addition +“keine Gruppe. Warum? Die Addition + ist keine Ver”
knüpfung, die zwei ungeraden Zahlen n, m wieder eine ungerade Zahl zuordnet, beispielsweise ist
1 + 5 = 6 gerade. Man sagt auch: Die Menge der ungeraden Zahlen ist nicht abgeschlossen unter
der Addition.
Beispiel 2.8. Die durch 12 teilbaren ganzen Zahlen {. . . , −36, −24, −12, 0, 12, 24, 36, . . .} bilden
zusammen mit der gewöhnlichen Addition + eine Gruppe. Warum? Die Addition ist konstruktionsbedingt assoziativ. Das neutrale Element ist 0 ∈ Z, denn für alle n ∈ Z gilt 0 + n = n =
n + 0. Für jede durch 12 teilbare Zahl n ∈ Z ist −n ∈ Z ebenfalls durch 12 teilbar und es gilt
(−n) + n = 0 = n + (−n), daher ist −n das zu n inverse Element. Das Beispiel verallgemeinert
sich in natürlicher Art und Weise: Für jede natürliche Zahl k ist die Menge der durch k teilbaren
ganzen Zahlen zusammen mit der Addition + eine Gruppe.
Beispiel 2.9 (Uhrzeitarithmetik). Sei G = {0, 1, 2, 3, . . . , 11}. Wir definieren eine Addition +
auf G durch
(
x + y,
falls x + y ≤ 11
x+y =
x + y − 12, falls x + y ≥ 12
3
Beispielsweise ist 2 + 3 = 5, 10 + 5 = 3, 5 + 10 = 3 und 6 + 6 = 0. Dann ist (G, +) eine Gruppe.
Das Assoziativitätsgesetz vererbt sich von dem Assoziativitätsgesetz auf Z, das neutrale Element
ist 0 und die inversen Elemente sind in der folgenden Tabelle aufgelistet.
x
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
Inverses von x 0 11 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1
Definition 2.10. Eine Gruppe (G, ·), bei der wie im Beispiel 2.9 die Menge G nur endlich viele
Elemente hat, nennen wir eine endliche Gruppe.
n
: n, m ∈ Z, m 6= 0} bilden zusammen mit der
Beispiel 2.11. Die rationalen Zahlen Q = { m
gewöhnlichen Addition +“eine Gruppe. Warum? Die Addition ist konstruktionsbedingt assozia”
tiv. Das neutrale Element ist 0 ∈ Q, denn für alle q ∈ Q gilt 0 + q = q = q + 0. Für jede ganze
Zahl q ∈ Q gilt (−q) + q = 0 = q + (−q), daher ist −q das zu q inverse Element.
n
Beispiel 2.12. Die von 0 verschiedenen rationalen Zahlen Q× = { m
: n, m ∈ Z, m, n 6= 0} bilden
zusammen mit der gewöhnlichen Multiplikation · eine Gruppe. Die Multiplikation ist konstruktionsbedingt assoziativ. Das neutrale Element ist 1 ∈ Q× , denn für alle q ∈ Q gilt 1 · q = q = q · 1.
n
n
n
Für jede von 0 verschiedene rationale Zahl q = m
∈ Q+ gilt m
·m
=1= m
·m
, daher ist 1q = m
n
n
n
das zu q inverse Element.
n
Beispiel 2.13. Die positiven rationalen Zahlen Q+ = { m
: n, m ∈ Z, m, n 6= 0} bilden zusammen
mit der gewöhnlichen Multiplikation ·“eine Gruppe. Die Multiplikation ist konstruktionsbedingt
”
assoziativ. Das neutrale Element ist 1 ∈ Q+ , denn für alle q ∈ Q gilt 1 · q = q = q · 1. Für jede
n
n
n
von 0 verschiedene rationale Zahl q = m
∈ Q+ gilt m
·m
=1= m
·m
, daher ist 1q = m
das zu q
n
n
n
inverse Element.
In den Beispielen 1-8 und 11-13 ist die Gruppenverknüpfung die herkömmliche Addition bzw.
Multiplikation. Im Beispiel 2.9 ist sie in gewisser Weise von der herkömmlichen Addition induziert. Eine ganz andere Gruppenverknüpfung ist die Verkettung von Funktionen. Sei M eine
beliebige Menge und f : M → M und g : M → M Selbstabbildungen von M . Wir definieren eine
neue Funktion f ◦ g durch (f ◦ g)(m) = f (g(m)) für alle Elemente m ∈ M . Ist Beispielsweise
M = R und f (x) = x2 die Normalparabel und g(x) = x + 1 die lineare Funktion, so gilt
(f ◦ g)(x) = f (g(x)) = f (x + 1) = (x + 1)2 ,
(g ◦ f )(x) = g(f (x)) = g(x2 ) = x2 + 1.
Proposition 2.14. Die Verknüpfung ◦ ist assoziativ: Für alle Funktionen f, g, h : M → M gilt
(f ◦ g) ◦ h = f ◦ (g ◦ h).
Beweis. Für alle m ∈ M gilt ((f ◦g)◦h)(m) = (f ◦g)(h(m)) = f (g(h(m))) und (f ◦(g◦h))(m) =
f ((g ◦ h)(m)) = f (g(h(m))).
VORLESUNG 3 VOM 16. O KTOBER 2012 (G RUPPEN VON A BBILDUNGEN )
Beispiel 3.1. Sei f : R → R die Identitätsfunktion f (x) = x und sei g : R → R die Funktion
g(x) = −x. Dann gilt f ◦ f = f , f ◦ g = g, g ◦ f = g und g ◦ g = f . Also ist ({f, g}, ◦) eine
endliche Gruppe mit neutralem Element f . Das zu g inverse Element ist g selbst.
4
Die Funktion f aus dem Beispiel 3.1 nennt man auch die Identitätsfunktion auf R und schreibt
kurz f = idR .
Beispiel 3.2. Sei idR2 : R2 → R2 die Identitätsfunktion, d.h. es gelte idR2 ((x, y)) = (x, y) für alle
Punkte (x, y) ∈ R2 . Ferner sei g : R2 → R2 die Achsenspiegelung an der y-Achse, d.h. es gelte
g((x, y)) = (−x, y) für alle Punkte (x, y) ∈ R2 . Dann ist ({idR2 , g}, ◦) eine endliche Gruppe mit
neutralem Element idR2 . Das zu g inverse Element ist g selbst.
Beispiel 3.3. Sei idR2 : R2 → R2 die Identitätsfunktion und g : R2 → R2 die Punktspiegelung
am Ursprung (0, 0), d.h. es gelte g((x, y)) = (−x, −y) für alle Punkte (x, y) ∈ R2 . Dann ist
({idR2 , g}, ◦) eine endliche Gruppe mit neutralem Element idR2 . Das zu g inverse Element ist g
selbst.
Beispiel 3.4. Sei n eine positive ganze Zahl. Für k ∈ {0, 1, 2, . . . , n} sei fk : R2 → R2 die Drehung
◦
. Dann ist die Menge {f0 , f1 , f2 , . . . , fn−1 } zusammen mit
um den Ursprung mit dem Winkel k·360
n
der Verknüpfung ◦ eine Gruppe mit neutralem Element f0 . Für n = 1 erhält man Beispiel 3.3
zurück.
Beispiel 3.5 (Matratzengruppe). Die Funktionen f, g, h : R3 → R3 seien definiert durch
f ((x, y, z)) = (−x, −y, z)
g((x, y, z)) = (−x, y, −z)
h((x, y, z)) = (x, −y, −z)
Dann ist ({idR3 , f, g, h}, ◦) eine Gruppe mit vier Elementen. Es ist üblich, die Verknüpfung in
einer Verknüpfungstabelle zu notieren.
◦
idR3
f
g
h
idR3 f
g
h
idR3 f
g
h
f idR3 h
g
g
h idR3 f
h
g
f idR3
f
g
h
Definition 3.6. Seien A und B Mengen. Wir nennen eine Funktion f : A → B . . .
(i) injektiv, falls folgende Aussage gilt: Sind a1 und a2 Elemente von A mit a1 6= a2 , dann gilt
auch f (a1 ) 6= f (a2 ).
(ii) surjektiv falls für jedes Element b ∈ B ein Element a ∈ A existiert, so dass b = f (a) gilt.
5
(iii) bijektiv falls sie injektiv und surjektiv ist.
VORLESUNG 4 VOM 18. O KTOBER 2012 (E IGENSCHAFTEN VON G RUPPEN )
Beispiel 4.1 (Injektivität und Surjektivität).
(a) (Injektiv, aber nicht surjektiv) Die Quadratfunktion f : N → N mit f (n) = n2 für alle n ∈
N ist injektiv, denn f (n) = f (m) bedeutet n2 = m2 und impliziert durch Wurzelziehen
n = m. Sie ist nicht surjektiv, denn es gibt keine natürliche Zahl n ∈ N mit n2 = 2.
(b) (Surjektiv, aber nicht injektiv) Die Funktion f : N → N sei definiert durch f (0) = 0 und
f (n) = n − 1 für n ≥ 1. Dann ist f surjektiv, da für n ∈ N stets f (n + 1) = n gilt, aber
nicht injektiv, da f (0) = f (1).
(c) (Bijektiv) Die Funktion f : R → R mit f (x) = x − 1 für alle x ∈ R ist injektiv und
surjektiv und somit bijektiv.
(d) (Weder injektiv noch surjektiv) Die Funktion f : {1, 2, 3} → {1, 2, 3, 4} mit f (1) =
f (2) = 1 und f (3) = 4 ist weder injektiv und noch surjektiv
Definition 4.2 (Umkehrfunktion). Sei f : A → B eine bijektive Funktion. Wir nennen die Funktion g : B → A, die einem Element b ∈ B das existierende und eindeutig bestimmte Element
g(b) = a ∈ A zuordnet, für das f (a) = b gilt, die Umkehrfunktion von f . Es gilt g ◦ f = idA und
f ◦ g = idB . Beispielsweise ist die Funktion f : {1, 2, 3, 4, 5, 6} → {1, 2, 3, 4, 5, 6} mit
n
1 2 3 4 5 6
f (n) 6 3 1 4 2 5
bijektiv und die Umkehrfunktion g : {1, 2, 3, 4, 5, 6} → {1, 2, 3, 4, 5, 6} ist gegeben durch:
n
1 2 3 4 5 6
g(n) 3 5 2 4 6 1
Beispiel 4.3 (Symmetrische Gruppe). Sei n eine natürliche Zahl und M = {1, 2, 3, . . . , n}.
Dann bildet die Menge der bijektiven Funktionen f : M → M zusammen mit der Verkettung ◦
eine Gruppe. Die Abgeschlossenheit der Verknüpfung ist Übungsaufgabe 3.1, die Assoziativität
folgt aus Proposition 2.14, das neutrale Element ist idM und das inverse Elemente zu einer bijektiven Funktion f : M → M ist die Umkehrfunktion g : M → M . Die Gruppe heißt auch die
symmetrische Gruppe Sn , Elemente der symmetrischen Gruppe heißen auch Permutationen.
Wir haben nun den Begriff der Gruppe an verschiedenen Beispielen kennengelernt. Wir möchten
nun Eigenschaften aus den Gruppenaxiomen folgern. Im folgenden sei (G, ·) eine Gruppe mit
neutralem Element e.
Lemma 4.4 (Eindeutigkeit des neutralen Elements). Das neutrale Element von G ist eindeutig
bestimmt, d.h. es gibt kein zweites Element e0 ∈ G, so dass x · e0 = x = e0 · x für alle Elemente
x ∈ G gilt.
Beweis. Angenommen, es gäbe zwei neutrale Elemente e und e0 in G. Dann gilt e · e0 = e, da e0
ein neutrales Element in G ist. Auf der anderen Seite gilt e · e0 = e0 , da e ein neutrales Element in
G ist. Somit ist e = e0 .
Lemma 4.5 (Eigenschaften des inversen Elements).
6
(a) (Eindeutigkeit des inversen Elements) Sei x ∈ G ein beliebiges Element. Dann ist das zu
x inverse Element eindeutig bestimmt.
(b) (Symmetrie) Wenn y ∈ G das zu x ∈ G inverse Element ist, so ist auch umgekehrt x das
zu y inverse Element. In Formeln: Für alle x ∈ G gilt (x−1 )−1 = x.
Beweis. Angenommen, es gäbe zwei inverse Elemente y, y 0 ∈ G mit x · y = e = y · x und
x · y 0 = e = y 0 · x. Dann gilt nach den Gruppeneigenschaften:
x · y = x · y0
| · y von links
0
=⇒ y · (x · y) = y · (x · y )
=⇒ (y · x) · y = (y · x) · y
(Assoziativität)
0
(Inverses Element)
=⇒ e · y = e · y 0
(Neutrales Element)
0
=⇒ y = y .
Es folgt Teil (a). Teil (b) ist klar.
Lemma 4.7 (Kürzungslemma). Seien x, y, z ∈ G Elemente in G. Wenn x · y = x · z gilt, dann
gilt bereits y = z.
Beweis. Angenommen, x · y = x · z. Dann gilt:
| · x−1 von links
x·y =x·z
=⇒ x−1 · (x · y) = x−1 · (x · z)
−1
=⇒ (x · x) · y = (x
=⇒ e · y = e · z
=⇒ y = z.
−1
(Assoziativität)
· x) · z
(Inverses Element)
(Neutrales Element)
Entsprechend folgt aus y · x = z · x, dass y = z gilt.
Korollar 4.8. In einer Verknüpfungstabelle einer endlichen Gruppe (G, ·) kommt jedes Gruppenelement in jeder Spalte und in jeder Zeile genau einmal vor. Eine solche Tabelle nennt man auch
ein lateinisches Quadrat. Beispiel 3.5 für eine Illustration. Der Name lateinisches Quadrat geht
auf das Offiziersproblem von Leonhard Euler (1707-1783) zurück. Gegeben seien n Regimenter
(repräsentiert durch lateinische Buchstaben) und n militärische Ränge (repräsentiert durch griechische Buchstaben). Ist es möglich, die n2 Soldaten in einem Quadrat aufzustellen, so dass in
jeder Reihe und in jeder Spalte jedes Regiment und jeder Rang genau einmal vorkommt? Für den
Fall n = 4 ist eine solche Anordnung gegeben durch:
aα
bδ
cβ
dγ
bβ
aγ
dα
cδ
cγ
dβ
aδ
bα
dδ
cα
bγ
aβ
VORLESUNG 5 VOM 23. O KTOBER 2012 (Z UR G ESCHICHTE DER G RUPPENTHEORIE )
Die Erfinder der Gruppentheorie sind Niels Henrik Abel (1802-1829) und Évariste Galois (18111832). Die Hauptmotivation ist das Lösen von polynomiellen Gleichungen durch Wurzelausdrücke.
7
Seit der Antike kennen wir die Formel
x1,2
p
= ±
2
r
p2
−q
4
für die Lösungen einer quadratischen Gleichung x2 +px+q = 0 mit Diskriminante ∆ = p2√
−4q >
2
0. Beispielsweise
sind
die
Lösungen
der
Gleichung
x
−
2x
−
1
=
0
die
Zahlen
x
=
1
+
2 und
1
√
x2 = 1 − 2.
Allgemeiner existieren Formeln für die Lösungen der Gleichung x3 + ax2 + bx + c = 0 vom Grad
3 und für die Lösungen der Gleichung x4 + ax3 + bx2 + cx + d = 0 vom Grad 4. Die Formel für
den Grad 3 ist benannt nach Gerolamo Cardano (1501-1576).
Frage: Wie lautet eine allgemeine Formel für Gleichungen x5 + ax4 + bx3 + cx2 + dx + e = 0
vom Grad 5 (oder höher)?
Beantwortet haben die Frage Abel (für Parameter a, b, c, d, e) und Galois (für konkrete Zahlen
a, b, c, d, e).
Antwort: Es gibt keine solche Formel für den Grad 5 (oder höher).
Beweisidee: Betrachte die Gruppe der Symmetrien der Lösungen. Im Beispiel √
der quadratischen
2 : a, b ∈ Q}√→
Gleichung
√ von oben besteht die Symmetriegruppe aus zwei Abbildungen {a + b √
{a + b 2 : a, b ∈ Q}, nämlich der Identität und der Konjugationsabbildung a + b 2 7→ a − b 2.
Abel und Galois führten Begriffe ein – sogenannte auflösbare und einfache Gruppen –und zeigten, dass die Symmetriegruppe von Lösungen und die Symmtriegruppe von iterierten Wurzelausdrücken nicht übereinstimmen können.
Ein Beispiel für Reichweite der Galois-Theorie
ist die Unmöglichkeit der Würfelverdopplung, d.h.
√
die Nichtkonstruierbarkeit der Zahl 3 2 durch Zirkel und Lineal.
Es stellte sich heraus, dass viele bis dato bekannte Objekte die Struktur einer Gruppe tragen. Beispiele sind die von Carl-Friedrich Gauß (1777-1855) und Leonhard Euler (1707-1783) betrachteten (additiven und multiplikativen) Restklassengruppen. Multiplikative Restklassengruppen haben
heute in der Kryptographie (RSA-Verschlüsselung) große Bedeutung.
Später findet die Mathematikerin Emmy Noether (1882-1935) eine verblüffende Anwendung der
Gruppentheorie in der mathematischen Physik: Symmetrien physikalischer Systeme (beschrieben
durch ihre Symmetriegruppen) liefern Erhaltungsgrößen:
Homogenität der Zeit −→ Energieerhaltung
Homogenität des Raums −→ Impulserhaltung
Rotationsinvarianz −→ Drehimpulserhaltung
Ein großes Theorem ist Klassifikation aller endlichen einfachen Gruppen, ein Projekt auf 15000
Seiten durch über hundert Mitarbeiter in den Jahren 1955-2004. Die Universität Bielefeld ist durch
Bernd Fischer (1936-) vertreten.
8
VORLESUNG 6 VOM 25. O KTOBER 2012 (W EITERE E IGENSCHAFTEN VON G RUPPEN UND
Z AHLENTHEORIE )
Korollar 6.1 (Linksinvers gleich rechtsinvers). Sei x ∈ G. Angenommen, wir finden ein Element y ∈ G mit x · y = e, so können wir aus dem Kürzungslemma folgern, dass y = x−1 · e = x−1
das zu x inverse Element sein muss. Wir können x · y = e folgern.
Bemerkung 6.2. Assoziativität gilt nicht nur für Produkte mit drei Faktoren, sondern für beliebige
Produkte: Sind x1 , x2 , . . . , xn Elemente von G, so ist der Ausdruck x1 · x2 · . . . · xn unabhängig von
der Klammerung. Beispielsweise ist für n = 4:
((w · x) · y) · z
(w · x) · (y · z)
(w · (x · y)) · z
w · (x · (y · z))
w · ((x · y) · z)
Die allgemeine Aussage kann man durch vollständige Induktion beweisen.
Lemma 6.3 (Das Inverse eines Produkts). Seien x, y ∈ G. Dann gilt (x · y)−1 = y −1 · x−1 .
Beweis. Es gilt (x · y) · (y −1 · x−1 ) = x · ((y · y −1 ) · x−1 ) = x · x−1 = e.
Für ein Element x ∈ G und eine positive ganze Zahl n ∈ {1, 2, 3, . . .} nennen wir das n-fache
Produkt an = a·a·a·. . .·a auch die n-te Potenz von a. Nach Lemma 6.1 gilt stets (a−1 )n = (an )−1 .
Korollar 6.4. Ein Element x ∈ G ist genau dann zu sich selbst invers, wenn x2 = e gilt.
Definition 6.5 (Endlichkeit). Eine Gruppe (G, ·) heißt endlich, falls die Menge G endlich ist. In
dem Fall nennen wir die Anzahl der Elemente von G auch die Ordnung von G. Eine nicht endliche
Gruppe (G, ·) nennt man auch unendliche Gruppe.
Definition 6.6 (Kommutativität). Eine Gruppe (G, ·) heißt kommutativ oder abelsch, falls für alle
Elemente x, y ∈ G stets x · y = y · x gilt.
Beispiel 6.7. Beispiele 2.2, 2.6, 2.11, 2.12 und 2.13 sind Beispiele unendlicher Gruppen. Die
Gruppen aus den Beispielen 2.9, 3.1, 3.2, 3.3, 3.4 und 3.5 sind endliche Gruppen. Beispiele 2.2,
2.6, 2.8, 2.9, 3.2, 3.3, 3.4 und 3.5 sind Beispiele abelscher Gruppen. Die symmetrische Gruppe Sn
aus Beispiel 4.3 ist abelsch falls n = 1 oder n = 2 ist; sie ist nicht abelsch für n ≥ 3.
Bemerkung 6.8 In den Fällen, in denen wir die Gruppenverknüpfung + nennen, ist es üblich, das
neutrale Element e = 0 zu nennen. Anstatt x−1 schreiben wir in dem Fall auch −x.
9
Multiplikative Gruppe
Additive Gruppe
x · y Multiplikation
x + y Addition
e = 1 neutrales Element e = 0 neutrales Element
x−1 inverses Element
−x inverses Element
n
x Potenz
nx Produkt
xy −1
x−y
2
−3
x ·y
2x − 3y
Wir wiederholen nun wichtige Begriffe der Zahlentheorie, die notwendig sind, um Restklassengruppen einzuführen.
Definition 6.9. Eine Primzahl ist eine natürliche Zahl p ∈ N, die genau zwei Teiler hat. Die Menge
der Primzahlen bezeichnen wir auch mit P = {2, 3, 5, 7, 11, . . . , 1999, 2003, 2011, 2017, . . .}.
Satz 6.10. Jede natürliche Zahl n ∈ N besitzt eine eindeutige Primfakorzerlegung, d.h. eine Zerlegung n = pa11 pa22 · · · pakk mit paarweise verschiedenen Primzahlen p1 , p2 , . . . , pk und Exponenten
a1 , a2 , . . . , an ≥ 1. Die auftretenden Primzahlen und ihre Exponenten sind eindeutig bestimmt.
Beispiel 6.11. Beispiele für Primfaktorzerlegungen sind 2012 = 22 ·5031 und 2013 = 31 ·111 ·611 .
Definition 6.12. Seien m, n ∈ Z ganze Zahlen. Der größte gemeinsame Teiler ggT(m, n) ist die
größte natürliche Zahl, die sowohl m als auch n teilt. Zahlen m, n mit ggT(m, n) = 1 nennen
wir teilerfremd. Das kleinste gemeinsame Vielfache kgV(m, n) ist die kleinste natürliche Zahl, die
sowohl durch m als auch durch n teilbar ist.
Proposition 6.13. Seien m und n natürliche Zahlen und seien p1 , p2 , . . . , pk die Primzahlen, die
in der Primfaktorzerlegung von m oder n vorkommen. Wir schreiben m = pa11 pa22 · pakk und n =
pb11 pb22 · pbkk mit a1 , a2 , . . . , ak ≥ 0 und b1 , b2 , . . . , bk ≥ 0. Dann gilt:
min(a1 ,b1 ) min(a2 ,b2 ) min(a3 ,b3 )
p2
p3
ggT(m, n) = p1
kgV(m, n) =
min(ak ,bk )
· · · pk
max(a1 ,b1 ) max(a2 ,b2 ) max(a3 ,b3 )
p1
p2
p3
,
max(ak ,bk )
· · · pk
.
Beispiel 6.14. Es ist ggT(120, 700) = ggT(23 ·31 ·51 , 22 ·52 ·71 ) = 22 ·5 = 20 und kgV(120, 700) =
kgV(23 · 31 · 51 , 22 · 52 · 71 ) = 23 · 31 · 52 · 71 = 4200.
Definition 6.15. Seien m und n natürliche Zahlen und sei k ≥ 2. Wir sagen, m ist kongruent
zu n modulo k, falls m − n durch k teilbar ist. In dem Fall schreiben wir auch in Formeln m ≡
n (mod k).
Beispiel 6.16. Modulo 2 und 3 gelten folgende Kongruenzen:
−4 ≡ −2 ≡ 0 ≡ 2 ≡ 2 ≡ 4 ≡ 6 (mod 2)
−3 ≡ −1 ≡ 1 ≡ 3 ≡ 5 ≡ 7 ≡ 9 (mod 2)
−5 ≡ −2 ≡ 1 ≡ 4 ≡ 7 ≡ 10 ≡ 13 (mod 3)
−4 ≡ −1 ≡ 2 ≡ 5 ≡ 8 ≡ 11 ≡ 14 (mod 3)
−3 ≡ 0 ≡ 3 ≡ 6 ≡ 9 ≡ 12 ≡ 15 (mod 3)
10
VORLESUNG 7 VOM 30. O KTOBER 2012 (M ODULARE A RITHMETIK )
Für heute fixieren eine natürliche Zahl k ≥ 2.
Proposition 7.1 (Addition und Multiplikation modulo k). Seien m, m0 , n, n0 ganze Zahlen mit
m ≡ n (mod k) und m0 ≡ n0 (mod k). Dann gilt m + m0 ≡ n + n0 (mod k) und mm0 ≡
nn0 (mod k).
Beweis. Nach Definition existieren ganze Zahlen z und z 0 mit m = n+zk und m0 = n0 +z 0 k. Dann
sind (m+m0 )−(n+n0 ) = (z+z 0 )k und mm0 −nn0 = (n+zk)(n0 +z 0 k)−nn0 = (zn0 +z 0 n+zz 0 k)k
durch k teilbar.
Besipiel 7.2 (Teilbarkeitsregel). Eine Anwendung der obigen Proposition ist die Teilbarkeitsregel
für die Zahl 3: Eine Zahl ist genau dann durch 3 teilbar, wenn ihre Quersumme durch 3 teilbar ist.
Beispielsweise ist 2013 durch 3 teilbar, da 2 + 0 + 1 + 3 = 6 durch 3 teilbar ist. Für einen Beweis
betrachten wir eine Zahl n, die im Dezimalsystem durch die Ziffernfolge as · · · a2 a1 a0 geschrieben
wird. Dann gilt n = a0 +10·a1 +102 ·a2 +. . .+10s ·as und aufgrund der Beziehung 10 ≡ 1 (mod 3)
erhalten wir
n ≡ a0 + 10a1 + 102 · a2 + . . . + 10s · as
(mod 3)
≡ a0 + 1 · a1 + 1 2 · a2 + . . . + 1 s · as
(mod 3)
≡ a0 + a1 + a2 + . . . + as
(mod 3)
Die Rechnung zeigt mehr: Jede Zahl ist kongruent zu ihrer Quersumme modulo 3. Die gleichen
Überlegungen gelten für Teilbarkeit durch die Zahl 9.
Definition 7.3 (Division mit Rest). Sei n ∈ N eine ganze Zahl. Wir nennen eindeutig bestimmte
Zahl r mit 0 ≤ r ≤ k − 1, für die n ≡ r|(mod k) gilt, den Rest von n bei Division durch k. In dem
Fall schreiben wir auch n mod k für r. Noch kürzer schreiben wir auch n = n mod k.
Die Notation mag in Hinblick auf Definition 6.15 auf den ersten Blick verwirrend erscheinen. Die
Rechtfertigung für die Verwendung des gleichen Symbols mod in beiden Fällen ist, dass der Rest
von n bei Division durch k für alle ganzen Zahlen n kongruent zu n modulo k ist.
Der Rest einer Zahl bei Division durch 10 ist die letzte Ziffer der Zahl.
Definition 7.4 (Nebenklassen). Wir bezeichnen mit kZ = {. . . , −2k, −k, 0, k, 2k, 3k, . . .} die
Menge der durch k teilbaren ganzen Zahlen. Für jede ganze Zahl r bezeichnen wir mit r+kZ die
Menge r+kZ = {. . . , r − 2k, r − k, r, r + k, r + 2k, r + 3k, . . .}. Wir nennen die Menge r+kZ
auch eine Nebenklasse von kZ.
Die Bezeichnung r+kZ reflektiert die Tatsache r+k · Z = {r + kz : z ∈ Z}. In anderen Worten
ist r+kZ die Menge aller ganzen Zahlen r0 , die kongruent zu r modulo k sind. Für k = 17 gilt
beispielsweise 7+17Z = {. . . , −27, −10, 7, 24, 41, 58, . . .} = 24+17Z.
Aufgrund der Beziehung für alle r geltenden Beziehung r+kZ = (r + k)+kZ gibt es genau k
Nebenklassen, nämlich 0+kZ, 1+kZ, 2+kZ, . . . , (k − 1)+kZ. Es gilt 0+kZ = kZ.
11
VORLESUNG 8 VOM 6. N OVEMBER 2012 (A DDITIVE R ESTKLASSENGRUPPEN )
Sei wieder k ≥ 2 eine ganze Zahl.
Definition 8.1. Wir definieren Z/kZ = {0+kZ, 1+kZ, 2+kZ, . . . , (k − 1)+kZ}.
Definition 8.2 (Addition modulo k). Seien r, s ganze Zahlen. Definiere eine kommutative Verknüpfung + auf Z/kZ durch (r+kZ)+(s+kZ) = {r0 + s0 : r0 ∈ r+kZ, s0 ∈ s+kZ}.
Beispiel 8.3. Sei k = 5, r = 4 und s = 2. Dann ist
r+kZ = {. . . , −6, −1, 4, 9, 14, 19, . . .},
s+kZ = {. . . , −3, 2, 7, 12, 17, 22, . . .}.
Die folgende Tabelle zeigt mögliche Werte von r0 + s0 für r0 ≡ r (mod k) und s0 ≡ s (mod k). Wir
sehen (4+5Z)+(2+5Z) = 1+5Z.
+ -1 4 9
2
1 6 11
7
6 11 16
12 11 16 21
17 16 21 26
22 21 26 31
14
16
21
26
31
36
19
21
26
31
36
41
Wir sehen (4+5Z)+(2+5Z) = 1+5Z. Die nächste Proposition gibt eine allgemeinere Formel. Sie
zeigt insbesondere, dass (r+kZ)+(s+kZ) wiederum in Z/kZ liegt und dass die Verknüpfung +
kommutativ.
Proposition 8.4 (Abgeschlossenheit der Addition). Seien r, s ganze Zahlen. Dann gilt
(r+kZ)+(s+kZ) = (r + s)+kZ.
Beweis. Für die Gleichheit (r+kZ)+(s+kZ) = (r + s)+kZ zeigen wir (r+kZ)+(s+kZ) ⊆
(r + s)+kZ und (r+kZ)+(s+kZ) ⊇ (r + s)+kZ. Die erste Inklusion folgt aus Proposition 7.1.
Ist r0 ≡ r (mod k) und s0 ≡ s (mod k), dann gilt r0 + s0 ≡ r + s (mod k). Für die zweite Inklusion
sei n ≡ r + s (mod k). Dann ist n − s ≡ r (mod k), so dass n = (n − s) + s in (r+kZ)+(s+kZ)
liegt.
Satz 8.5. Die Menge Z/kZ bildet zusammen mit Verknüpfung + eine abelsche Gruppe.
Beweis. Da die Menge Z/kZ unter der Verknüpfung · abgeschlossen ist, müssen wir (nur) noch
zeigen, dass die drei definierenden Eigenschaften einer Gruppe gelten.
(i) Die Verknüpfung ist assoziativ, denn für alle r, s, t gilt [(r+kZ)+(s+kZ)]+(t+kZ) =
[(r + s)+kZ]+(t+kZ) = (r + s + t)+kZ und genau so (r+kZ)+[(s+kZ))+(t+kZ)] =
(r + s + t)+kZ.
(ii) Die Nebenklasse kZ = 0+kZ ist ein neutrales Element, da für jede Nebenklasse r+kZ gilt
(r+kZ)+(0+kZ) = (r + 0)+kZ = r+kZ = (0 + r)+kZ = (0+kZ)+(r+kZ).
(iii) Für jede ganze Zahl r ∈ Z ist (r+kZ)+(−r+kZ) = (r − r)+kZ = kZ und ebenso
(−r+kZ)+(r+kZ) = (−r+r)+kZ = kZ, also ist −r+kZ ein zu dem gegebenen Element
r+kZ inverses Element.
12
Die Kommutativität folgt aus Proposition 8.4.
VORLESUNG 9 VOM 8. N OVEMBER 2012 (M ULTIPLIKATIVE R ESTKLASSENGRUPPEN I)
Sei wieder k ≥ 2 eine ganze Zahl.
Beispiel 9.1. In Z/12Z gilt (2+12Z)+(11+12Z) = 1+12Z, (8+12Z)+(8+12Z) = 4+kZ und
(3+12Z)+(5+12Z) = 7+12Z.
Lemma 9.2 (Lemma von Bézout). Seien n, m ganze Zahlen mit ggT(n, m) = 1. Dann existieren
ganze Zahlen a, b mit an + bm = 1.
Beweis. Wir betrachten die Zahlen n, 2n, 3n, 4n, . . . , (m − 1)n, mn. Wir zeigen, dass es unter
diesen m Zahlen keine zwei Zahlen gibt, die kongruent zueinander modulo m sind. Angenommen,
es gelte k1 n ≡ k2 n (mod m) für zwei Zahlen 1 ≤ k1 < k2 ≤ m. Dann ist k2 n − k1 n = (k2 − k1 )n
durch m teilbar. Da n und m nach Voraussetzung teilerfremd sind, muss bereits k2 − k1 durch
m teilbar sein. Das ist aber nicht möglich, da 0 < k2 − k1 < m gilt. Also sind die m Reste von
n, 2n, 3n, 4n, . . . , (m−1)n, mn bei Division durch m paarweise verschiedenen. Da es bei Division
durch m nur m Reste gibt, muss jeder Rest genau einmal auftreten. Insbesondere gibt es ein a mit
an ≡ 1 (mod m), d.h. es existiert eine ganze Zahl b mit an = 1 + bm.
Korollar 9.3. Seien n, m ganze Zahlen. Dann existieren ganze Zahlen a, b mit an + bm =
ggT(n, m).
Beispiel 9.4. Eine Anwendung des Lemmas von Bézout besagt, dass man mit zwei Münzen vom
Wert n und m jeden beliebigen Betrag bezahlen kann, solange n und m teilerfremd sind und der
Gegenüber Wechselgeld herausgeben kann. Die Frage, welche Beträge man ohne Rückgabe von
Wechselgeld bezahlen kann, ist schwieriger, siehe Übungsaufgabe 1.4.
Bemerkung 9.5 (Euklidischer Algorithmus). Der Beweis von Lemma 9.2 ist nicht konstruktiv. Eine Möglichkeit, die Zahlen a und b zu finden, ist der euklidische Algorithmus. Ohne Einschränkung sei n ≥ m die größere der beiden Zahlen. Wir schreiben n = qm + r mit 0 ≤ r < m.
Dann gilt ggT(n, m) = ggT(m, r). Wir wiederdolen den Schritt mit dem kleineren Paar (m, r)
usw. Das Verfahren endet mit dem ggT sobald der Divisionsrest gleich 0 ist. Beispielsweise sei
n = 67 und m = 10:
67 = 6 · 10 + 7
10 = 1 · 7 + 3
7=2·3+1
3=3·1+0
Man sieht dass ggT(67, 10) = 1 ist (was man auch aus der Primfaktorzerlegung hätte ablesen
können). Wir finden die gesuchten Zahlen a und b, indem wir die obigen Gleichungen umstellen:
1 = 7 − 2 · 3 = 7 − 2 · (10 − 1 · 7) = 7 + 2 · 7 − 2 · 10 = 3 · 7 − 2 · 10
= 3 · (67 − 6 · 10) − 2 · 10 = 3 · 67 − 18 · 10 − 2 · 10 = 3 · 67 − 20 · 10.
Also ist a = 3 und b = −20. Allgemeiner formuliert: Angenommen, wir haben bereits ganze
Zahlen c und d gegeben mit cm + dr = 1, dann folgt 1 = cm + d(n − qm) = dn + (c − dq)m.
Dann wähle a = d und b = c − dq.
13
Eine Schwierigkeit bei der Konstruktion multiplikativer Restklassengruppen liegt darin, dass eine
multiplikative Version von Proposition 8.4 nicht gilt: Im Allgemeinen ist rs+kZ verschieden von
{r0 s0 : r0 ∈ r+kZ, s0 ∈ s+kZ}. Für k = 4 und r = s = 2 beispielsweise gilt 8 ∈ 4+4Z, aber
8∈
/ {r0 s0 : r0 ∈ r+kZ, s0 ∈ s+kZ}, da Zahlen der Form r0 s0 mit r0 , s0 ∈ 2+4Z niemals durch 8
teilbar sind (da weder r0 noch s0 durch 4 teilbar ist). Wir definieren:
Definition 9.6 (Multiplikation modulo k). Seien r, s ganze Zahlen. Definiere eine kommutative
Verknüpfung · auf Z/kZ durch (r+kZ)·(s+kZ) = rs+kZ.
Die Verknüpfung ist wohldefiniert nach Proposition 7.2, d.h. sie hängt nicht von der Wahl der
Vertreter r ∈ r+kZ und s ∈ s+kZ. Mit anderen Worten liefert jede andere Wahl ganzer Zahlen r0
und s0 mit r0 ≡ r0 (mod k) und s0 ≡ s (mod k) die gleiche Nebenklasse rs+kZ = r0 s0 +kZ.
Definition 9.7. Sei (Z/kZ)× die Menge (Z/kZ)× = {r+kZ : r ist teilerfremd zu k}.
Seien r und r0 ganze Zahlen mit r ≡ r0 (mod k). Dann gilt ggT(r, k) = 1 genau dann, wenn
auch ggT(r0 , k) = 1 gilt. Mit anderen Worten genügt es für die Überprüfung, ob eine gegebene
Nebenklasse r+kZ in (Z/kZ)× liegt, einen einzigen Vertreter r0 ∈ r+kZ auf Teilerfremdheit mit
k zu untersuchen.
Beispiel 9.8. Es gilt (Z/12Z)× = {1+12Z, 5+12Z, 7+12Z, 11+12Z}.
Beispiel 9.9 (Verknüpfungstabelle). Die Multiplikation · auf der Menge (Z/12Z)× sieht wie
folgt aus:
·
1+12Z 5+12Z 7+12Z 11+12Z
1+12Z 1+12Z 5+12Z 7+12Z 11+12Z
5+12Z 5+12Z 1+12Z 11+12Z 7+12Z
7+12Z 7+12Z 11+12Z 1+12Z 5+12Z
11+12Z 11+12Z 7+12Z 5+12Z 1+12Z
VORLESUNG 10
VOM
13. N OVEMBER 2012 (M ULTIPLIKATIVE R ESTKLASSENGRUPPEN II)
Beispiel 10.1 (Verknüpfungstabelle). Die Multiplikation · auf der Menge (Z/14Z)× sieht wie
folgt aus:
·
1+14Z 3+14Z 5+14Z 9+14Z 11+14Z 13+14Z
1+14Z 1+14Z 3+14Z 5+14Z 9+14Z 11+14Z 13+14Z
3+14Z 3+14Z 9+14Z 1+14Z 13+14Z 5+14Z 11+14Z
5+14Z 5+14Z 1+14Z 11+14Z 3+14Z 13+14Z 9+14Z
9+14Z 9+14Z 13+14Z 3+14Z 11+14Z 1+14Z 5+14Z
11+14Z 11+14Z 5+14Z 13+14Z 1+14Z 9+14Z 3+14Z
13+14Z 13+14Z 11+14Z 9+14Z 5+14Z 3+14Z 1+14Z
Satz 10.2. Für jedes k ≥ 2 bildet die Menge (Z/kZ)× zusammen mit der Multiplikation · eine
abelsche Gruppe.
Beweis. Die Menge (Z/kZ)× unter der Verknüpfung · abgeschlossen, da ggT(rs, k) = 1 ist,
wenn sowohl ggT(r, k) = 1 als auch ggT(s, k) = 1 gilt. Ferner müssen wir zeigen, dass die drei
14
definierenden Eigenschaften einer Gruppe gelten. Das gleiche Argument wie im Beweis von Satz
8.5 zeigt, dass die Verknüpfung · assoziativ ist. Da für jedes k gilt ggT(1, k) = 1 ist, liegt 1+kZ
immer in (Z/kZ)× . Dieses Element ist offensichtlich ein neutrales Element. Sei r+kZ ∈ (Z/kZ)×
ein beliebiges Element. Wir möchten ein inverses Element konstruieren. Wir bemerken, dass r
und k teilerfremd sind, also existieren nach dem Lemma von Bézout hanze Zahlen a und b mit
1 = ar + bk. Wir sehen, dass a+kZ ein zu r+kZ inverses Element ist, da (a+kZ)·(r+kZ) =
(1 − bk)+kZ = 1+kZ gilt.
Bemerkung 10.3 (Eulersche phi-Funktion). Nach Konstruktion ist die Ordnung der Gruppe
(Z/kZ)× gleich der Anzahl der zu k teilfremden Zahlen aus dem Bereich 1, 2, 3, . . . , k − 1, k.
Diese Anzahl bezeichnen wir auch mit ϕ(k). Die Funktion ϕ nennt man Eulersche phi-Funktion.
Die folgende Tabelle zeigt Werte der Eulerschen phi-Funktion.
k
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
ϕ(k) 1 1 2 2 4 2 6 4 6 4
Ist p eine Primzahl, so gilt ϕ(p) = p − 1, da alle Zahlen r ∈ {1, 2, 3, . . . , p − 1} zu p teilerfremd
sind. Allgemeiner gilt für eine Primzahlpotenz ϕ(pa ) = pa − pa−1 , da die einzigen Zahlen aus dem
Bereich 1, 2, 3, . . . , pa , die nicht zu p teilerfremd sind, die Zahlen p, 2p, 3p, . . . , pa−1 p sind.
Bemerkung 10.4. Ist aus dem Zusammenhang klar, welches k wir meinen, so schreiben wir auch
kurz r für r+kZ.
Bemerkung 10.5. Sei k = 14. Wir rechnen in (Z/14Z)× :
n
n
1
n
3
n
11
n
13
1
1
3
11
13
2 3 4 5
1 1 1 1
9 13 11 5
9 1 11 9
1 13 1 13
6 7 8 9 10
1 1 1 1 1
1 3 9 13 11
1 11 9 1 11
1 13 1 13 1
Wir sehen, dass die Folgen periodisch mit Periodenlängen 1, 6, 3 und 2 sind.
VORLESUNG 11
VOM
15. N OVEMBER 2012 (O RDNUNG EINES G RUPPENELEMENTS )
Definition 11.1 (Ordnung). Sei (G, ·) eine Gruppe mit neutralem Element e und x ∈ G ein
Gruppenelement. Die Ordnung von x in G ist die kleinste positive ganze Zahl n mit xn = e, falls
eine solche Zahl existiert, und ∞ anderenfalls. Wir schreiben auch ordG (x).
Beispiel 11.2. Für G = (Z/14Z)× gilt nach der obigen Bemerkung ordG (1) = 1, ordG (3) = 6,
ordG (3) = 3 und ordG (13) = 2.
Beispiel 11.3. Für G = Z/14Z gilt wie man leicht sieht ordG (0) = 1, ordG (1) = 14, ordG (2) = 7,
ordG (3) = 14 und ordG (7) = 2.
Beispiel 11.4. Es gilt ordZ (2) = ∞, ordQ× (2) = ∞ und ordQ× (−1) = 2.
Beispiel 11.5. Seien f, g ∈ S3 die Permutationen mit f (1) = 2, f (2) = 1, f (3) = 3 und g(1) =
2, g(2) = 3, g(3) = 1. Dann gilt ordS3 (f ) = 2 und ordS3 (g) = 3.
15
Bemerkung 11.6. Ist x ∈ G ein Gruppenelement mit endlicher Ordnung, dann ist ordG (x) die
Periodenlänge der periodischen Folge x, x2 , x3 , x4 , . . .
Bemerkung 11.7 (Satz von Lagrange). Sei x ein Element einer endlichen Gruppe (G, ·). Dann
ist die Ordnung von G durch die Ordnung von x teilbar, d.h. es gilt ordG (x)| ord(G).
Beweis. Sei n = ordG (x). Für jedes Gruppenelement y ∈ G betrachten wir die n Gruppenelemente y, yx, yx2 , . . . , yxn−1 . Diese Elemente sind paarweise verschieden: Wäre nämlich yxa = yxb
für zwei Indizes 0 ≤ a < b ≤ n − 1, so folgt nach dem Kürzungslemma e = xa−b , was im
Widerspruch zu ordG (x) = n steht. Wir bezeichnen die Menge {y, yx, yx2 , . . . , yxn−1 } mit L(y).
Beispielsweise gilt für x = 11 ∈ (Z/14Z)× :
L(1) = L(9) = L(11) = {1, 9, 11},
L(3) = L(5) = L(13) = {3, 5, 13}.
Behauptung: Seien y1 , y2 ∈ G. Dann liegt y1 in L(y2 ) genau dann, wenn y2 in L(y1 ) liegt. In dem
Fall gilt L(y1 ) = L(y2 ).
Beweis der Behauptung: Sei y1 ∈ L(y2 ). Dann existiert ein Exponent a ∈ {0, 1, 2, 3, . . . , n − 1}
mit y1 = y2 xa . Wir erhalten y2 = y1 x−a = y1 · e · x−a = y1 xn x−a = y1 xn−a . Wir setzen b = n − a,
falls a 6= 0 ist, und b = 0 falls a = 0 gilt. Wir sehen y2 = y1 xb mit b ∈ {0, 1, 2, 3, . . . , n − 1},
also liegt y2 ∈ L(y1 ). Der Beweis der Rückrichtung verläuft analog. Es gelte nun y1 ∈ L(y2 ) und
y2 ∈ L(y1 ). Sei z = y1 xc ein Element in L(y1 ). Dann liegt z = y2 xc+a auch in L(y2 ).
(Beh.)
Nun liegt jedes Gruppenelement z in genau einer solchen Menge L(y), denn aus z ∈ L(y1 ) und
z ∈ L(y2 ) folgt L(y1 ) = L(z) = L(y2 ). Daher ist die gesamte Menge G eine disjunkte Vereinigung
von Mengen der Form L(y) mit y ∈ G der Kardinalität n. Somit ist ord(G) durch n teilbar.
Korollar 11.8 (Kleiner Satz von Fermat). Sei x ein Element einer endlichen Gruppe (G, ·). Dann
gilt xord(G) = e, da eine ganze Zahl k existiert mit xord(G) = xordG (x)k = (xordG (x) )k = ek = e gilt.
Sei nun p eine Primzahl. Angewandt auf die multiplikative Restklassengruppe (Z/pZ)× erhalten
wir für alle zu p teilfremden Zahlen den kleinen Satz von Fermat:
ap−1 ≡ 1 (mod p).
Eine interessante Anwendung des Konzepts der Ordnung sind Periodenlängen von Dezimalentwicklungen. Jede rationale Zahl besitzt eine Entwicklung als periodische Dezimalzahl. Beispielsweise hat:
1/3 = 0, 3333 . . . = 0, 3
Periode 1
1/7 = 0, 142857
Periode 6
1/11 = 0, 090909 . . . = 0, 09
Periode 2
1/13 = 0, 06666 . . . = 0, 06
Periode 1
1/91 = 0, 010989
Periode 6
1
Gauß macht eine Tabelle der Periodenlängen der Zahlen 11 , 12 , 31 , 14 , . . . , 1000
und stellt fest: Wenn
ggT(k, 10) = 1 ist, so ist die Periodenlänge der Dezimalentwicklung des Bruchs k1 gleich der Ordnung von 10 in der multiplikativen Restklassengruppe Z/kZ. Das Ergebnis ist nicht so frappierend
wie es auf den ersten Blick scheint, denn die Berechnung der Dezimalentwicklung entsteht durch
16
iterierte Multiplikation mit 10. Beispielsweise gilt für 1/7 = 0, 142857:
10 = 1 · 7 + 3
30 = 4 · 7 + 2
20 = 2 · 7 + 6
60 = 8 · 7 + 4
40 = 5 · 7 + 5
50 = 7 · 7 + 1
10 = 1 · 7 + 3
..
.
VORLESUNG 12
VOM
20. N OVEMBER 2012 (D EZIMALENTWICKLUNGEN RATIONALER
Z AHLEN )
Satz 12.1 (Periodenlänge einer Dezimalzahl). Sei n/m ein vollständig gekürzter Bruch und es
gelte ggT(m, 10) = 1. Dann ist die Periodenlänge seiner Entwicklung im Dezimalsystem gleich
der Ordnung ordG (10) von 10 in der multiplikativen Restklassengruppe Z/mZ.
Beweis. Wir konstruieren die Dezimalentwicklung wie im obigen Beispiel. Dazu schreiben setzen
wir r0 = n und schreiben r0 = mq0 + r1 mit ganzen Zahlen q0 , r1 mit 0 ≤ r1 < m. Dann ist
q0 die ganzzahlige Anteil von n/m, d.h. die Zahl vor dem Komma in der Dezimalentwicklung
von n/m. Für den Nachkommateil schreiben wir zuerst 10r1 = mq1 + r2 mit r2 < m, dann
10r2 = mq2 + r3 mit r3 < m, usw. Auf diese Weise erhalten wir iterativ zwei Zahlenfolgen
q1 , q2 , q3 , . . . und r1 , r2 , r3 , . . .. In jedem Schritt, d.h. für alle natürlichen Zahlen k > 0, gilt 10rk =
mqk + rk+1 mit ganzen Zahlen 0 ≤ rk+1 < m. Es folgt 0 ≤ qk < 10 und q0 , q1 q2 q3 . . . ist die
Dezimalentwicklung von n/m.
Es gilt r2 ≡ 10r1 (mod m), r3 ≡ 10r2 ≡ 102 r1 (mod m), r4 ≡ 10r3 ≡ 102 r2 ≡ 103 r1 (mod m),
usw. Demzufolge ist die Folge der Reste r1 , r2 , r3 , . . . periodisch mit Periodenlänge ordG (10).
Wir sehen, dass die Dezimalentwicklung von n/m periodisch mit Periodenlänge ordG (10), da die
Folge q1 , q2 , q3 , . . . durch die Folge r1 , r2 , r3 , . . . bestimmt ist.
Warum gibt es keine kürzere Periode (so wie sich die 6-Periodizität von 0, 474747 zu einer 2Periodizität 0, 47 vereinfacht)? Angenommen, es gäbe eine kürzere Periode p. Dann wäre die Folge
q1 , q2 , q3 , . . . (wegen des Kürzungslemma von Beginn an) periodisch mit Periode p, d.h. es gälte
q1 = qp+1 , q2 = qp+2 , usw. Sei r die Dezimalzahl q1 q2 . . . qp und sei s = 999 . . . 9 = 10p − 1 die
Dezimalzahl aus p Neunen. Ein Dreisatz ergibt 0, q1 q2 q3 . . . = (r/s) · 0, 999999 = r/s. Demnach
wäre n/m darstellbar als Bruch r0 /s mit Nenner s = 10p − 1. Da n/m vollständig gekürzt ist, folgt
m|10p − 1, d.h. p ≥ ordG (10).
Bemerkung 12.2. Die Periodenlänge in Satz 12.1 ist demnach ein Teiler von ϕ(m).
n
mit ggT(m, 10) 6=
Bemerkung 12.3. Periodenlängen für vollständig gekürzte Brüche der Form m
1 können auf den die Situation in Satz 12.1 durch eine geeignete Kommaverschiebung zurückgeführt werden. Zum Beispiel gilt 1/275 = 1/(52 · 11) = 22 /(22 · 52 · 11) = (1/100) · (4/11) =
1
· 0, 36 = 0, 0036.
100
17
VORLESUNG 13 VOM 22. N OVEMBER 2012 (I SOMORPHIE UND DER CHINESISCHE
R ESTSATZ )
Ziel der dieser und der nächsten Vorlesung ist es, den sogenannten chinesischen Restsatz zu formulieren und zu beweisen. Der Satz geht in der Tat auf antike chinesische Mathematiker zurück.
Er beantwortet Fragestellungen wie diese: Für welche Zahlen n gilt sowohl n ≡ 1 (mod 2) und
n ≡ 2 (mod 3)?
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17
X X X X X X X X X X X X X X X X X
Wir sehen, dass die Lösungen genau die Zahlen n ≡ 5 (mod 6) sind.
Der historischer Hintergrund solcher Fragestellungen liegt in Kalenderberechnungen. Die Frage,
an welchen Tagen im Jahr Vollmond ist, hat zu tun mit der Frage, welche Zahlen n kongruent zu
einer bestimmten Zahl modulo 29 und kongruent zu einer anderen Zahl modulo 365 sind.
Um den chinesischen Restsatz gruppentheoretisch formulieren zu können, führen wir zwei neue
Begriffe ein: die Isomorphie zweier Gruppen und das direkte Produkt zweier Gruppen .
Definition 13.1 (Isomorphie). Gegeben seien zwei Gruppen (G, ·G ) und (H, ·H ). Wir nennen
die Gruppen isomorph, falls sie bis auf Umbennung der Elemente die gleiche Struktur haben,
d.h. falls es eine Bijketion φ : G → H gibt, so dass für alle Elemente x, y ∈ G die Gleichung
φ(x ·G y) = φ(x) ·H φ(y) gilt. In dem Fall nennen wir die Abbildung φ einen Isomorphismus. Wir
schreiben auch G ∼
= H.
Beispiel 13.2. Die Gruppen Z/4Z und (Z/5Z)× sind isomorph. Es gibt mehrere Möglichkeiten,
diese Tatsache einzusehen. Eine Möglichkeit liegt in der Beobachtung (Z/5Z)× = {1, 2, 3, 4} =
2 3 4
{2, 2 , 2 , 2 }. Dann konstruieren wir einen Isomorphismus φ : Z/4Z → (Z/5Z)× durch φ(1) =
1
2
3
4
2 , φ(2) = 2 , φ(3) = 2 , und φ(4) = 2 .
Beispiel 13.3. Die Gruppe ({idR2 , g}, ◦) mit g((x, y)) = (−x, −y) aus Beispiel 3.3 ist isomorph
zur Gruppe (Z/2Z). Ein Isomorphismus φ ist gegeben durch φ(idR2 ) = 0 und φ(g) = 1 wie ein
Vergleich der Verknüpfungstabellen ergibt:
◦
g
idR2
+ 0 1
0 0 1
1 1 0
idR2
g
idR2
g
g idR2
Beispiel 13.4. Die Gruppe (Z, +) ist isomorph zur Gruppe (2Z, +). Ein Isomorphismus φ : Z →
2Z ist die Abbildung φ(n) = 2n.
Nichtbeispiel 13.5. Die Matratzengruppe ({idR3 , f, g, h}, ◦) aus Beispiel 3.5 ist nicht isomorph
zur Gruppe Z/4Z da die Gruppe Z/4Z ein Element der Ordnung 4 enthält (nämlich die 1), die
andere Gruppe jedoch nicht, was unmöglich ist aufgrund der folgenden Bemerkung:
Bemerkung 13.6. Sei φ : G → H ein Isomorphismus von Gruppen und x ∈ G. Ferner seien eG
und eH die neutralen Elemente von G bzw. H. Dann gilt φ(eG ) = eH , da φ(eG ) ∈ H ein (und
nach Lemma 4.4 das) neutrales Element von H ist. Sei x ∈ G ein beliebiges Element von G. Wenn
xn = eG ist, dann gilt auch φ(x)n = φ(xn ) = φ(eG ) = eH . Umgekehrt impliziert φ(x)n = eH
18
(durch Anwendung der bijektiven Umkehrfunktion φ−1 : H → G) die Gleichung xn = eG . Es folgt
ordG (x) = ordH (φ(x)). Sind G und H endliche Gruppen, so gilt zudem aufgrund der Bijektivität
von φ die Gleichung ord(G) = ord(H).
Wir haben in der Vorlesung bereits viele Beispiele von Gruppen kennengelernt. Eine systematische
Konstruktion einer neuen Gruppe aus zwei gegebenen Gruppen ist das direkte Produkt zweier
Gruppen.
Definition 13.7 (Direktes Produkt). Gegeben seien zwei Gruppen (G, ·G ) und (H, ·H ). Wir definieren eine Menge G × H = {(g, h) : g ∈ G, h ∈ H)}. Für zwei Elemente (g1 , h1 ) ∈ G × H und
(g2 , h2 ) ∈ G × H setzen wir
(g1 , h1 ) · (g2 , h2 ) = (g1 ·G g2 , h1 ·H h2 )
( = (g1 g2 , h1 h2 ) in Kurzschreibweise).
Beispiel 13.8. Es gilt (Z/2Z) × (Z/2Z) = {(0, 0), (0, 1), (1, 0), (1, 1)}. Beispiele für die Addition
sind (0, 1) + (1, 0) = (1, 1) und (0, 1) + (0, 1) = (0, 0).
Proposition 13.9. Die Menge G × H bildet mit der Verknüpfung · eine Gruppe. Wir nennen die
Gruppe das direkte Produkt von (G, ·G ) und (H, ·H )
Beweis. Die Menge G × H ist konstruktionsbedingt abgeschlossen unter der Verküpfung ·. Die
Verknüpfung ist assoziativ, denn für drei Elemente (g1 , h1 ), (g2 , h2 ), (g3 , h3 ) ∈ G × H gilt
[(g1 , h1 ) · (g2 , h2 )] · (g3 , h3 ) = (g1 g2 , h1 h2 ) · (g3 , h3 ) = (g1 g2 g3 .h1 h2 h3 )
= (g1 , h1 ) · (g2 g3 , h2 h3 ) = (g1 , h1 ) · [(g2 , h2 ) · (g3 , h3 )].
Seien eG ∈ G und eH ∈ H die neutralen Elemente der Gruppen G bzw. H. Dann ist das Element
(eG , eH ) ∈ G × H offenbar ein neutrales Element der Verknüpfung ·. Sei (g, h) ∈ G × H. Man
sieht leicht, das dann (g −1 , h−1 ) ∈ G × H ein hierzu inverses Element bildet.
Sind n ≥ 3 Gruppen G1 , G2 , . . . , Gn gegeben, so ist das direkte Produkt G1 × G2 × . . . × Gn
entsprechend definiert.
Bemerkung 13.10. Sind G und H endliche Gruppen, so ist das direkte Produkt auch endlich und
seine Ordnung gleich dem Produkt der Ordnungen: ord(G × H) = ord(G) ord(H). Sind G und
H abelsche Gruppen, so ist auch das direkte Produkt G × H eine abelsche Gruppe.
Satz 13.11 (Chinesischer Restsatz). Seien k1 , k2 ≥ 2 ganze zueinander teilerfremde Zahlen, d.h.
es gelte ggT(k1 , k2 ) = 1. Dann sind folgende Gruppen isomorph:
(a) Z/k1 k2 Z ∼
= (Z/k1 Z) × (Z/k2 Z).
(b) (Z/k1 k2 Z)× ∼
= (Z/k1 Z)× × (Z/k2 Z)× .
Um den chinesischen Restsatz zu beweisen, formulieren wir ein hilfreiches Lemma, das unsere
ursprüngliche Fragestellung aufgreift.
Lemma 13.12 (Simultane Kongruenzen). Seien k1 , k2 ≥ 2 ganze Zahlen mit ggT(k1 , k2 ) = 1.
Sei k = k1 k2 . Ferner seien a1 und a2 beliebige ganze Zahlen. Dann existiert eine ganze Zahl a, so
19
dass eine Zahl n das Kongruenzgleichungssystem
n ≡ a1 (mod k1 )
n ≡ a2 (mod k2 )
genau dann erfüllt, wenn n ≡ a (mod k) gilt.
VORLESUNG 14
VOM
27. N OVEMBER 2012 (S IMULTANE KONGRUENZEN )
Heute möchten wir das Lemma 13.12 über simultane Kongruenzen beweisen.
Beweis (des Lemmas). Seien k1 , k2 , a1 , a2 derartige ganze Zahlen. Nach dem Lemma von Bézout
existieren ganze Zahlen m1 und m2 mit k1 m1 + k2 m2 = 1. Setze a = a2 k1 m1 + a1 k2 m2 .
Wir behaupten nun, dass die beiden Kongruenzgleichungen n ≡ a1 (mod k1 ) und n ≡ a2 (mod k2 )
genau dann gelten, wenn n ≡ a (mod k) gilt. Angenommen, die Zahl n ∈ Z erfüllt die beiden
Gleichungen. Dann gilt
n − a = (k1 m1 n + k2 m2 n) − (a2 k1 m1 + a1 k2 m2 )
= k1 m1 (n − a2 ) + k2 m2 (n − a1 ) ≡ 0 (mod k1 k2 ),
da k2 |n − a2 und k1 |n − a1 . Sei umgekehrt n ≡ a (mod k). Dann ist n − a = n − a2 k1 m1 − a1 k2 m2
durch k1 und k2 teilbar. Es folgt, dass n − a1 k2 m2 durch k1 teilbar ist. Aus der Beziehung m2 k2 ≡
1 (mod k1 ) folgt, dass n − a1 durch k1 teilbar ist. Entsprechend ist n − a2 durch k2 teilbar.
Die Beweisidee für den chinesischen Restsatz liegt nun darin, dem Paar (a1 , a2 ) ∈ (Z/k1 Z) ×
(Z/k2 Z) die sich dem Lemma über simultane Kongruenzen gegebene Restklasse a ∈ Z/kZ zuzuordnen.
Beispiel 14.1. Für den Fall k1 = 2 und k2 = 3 erhalten wir folgende Bijektion. Die Zuordnung
5 7→ (1, 2) ergibt sich aus dem Beispiel der letzten Vorlesung.
Z/6Z
0
1
2
3
4
5
(Z/2Z) × (Z/3Z) (0, 0) (1, 1) (0, 2) (1, 0) (0, 1) (1, 2)
Als Korollar aus dem chinesischen Restsatz erhalten wir die folgende hilfreiche Formel für die
Euler’sche phi-Funktion.
Korollar 14.2 (Die Euler’sche phi-Funktion ist multiplikativ). Seien k1 , k2 ≥ 1 teilerfremde
ganze Zahlen. Dann gilt ϕ(k1 k2 ) = ϕ(k1 )ϕ(k2 ). Insbesondere erhalten wir eine explizite Formel
für die Euler’sche phi-Funktion. Ist n = pb11 pb22 · . . . · pbrr die Primfaktorzerlegung einer ganzen Zahl
n, dann gilt mithilfe von Bemerkung 10.3:
ϕ(n) = ϕ(pb11 ) · ϕ(pb22 ) · . . . · ϕ(pbrr )
= (pb11 − pb11 −1 ) · (pb22 − pb22 −1 ) · . . . · (pbrr − pbrr −1 )
= (p1 − 1) · (p2 − 1) · . . . · (pr − 1) · pb11 −1 · p2b2 −1 · . . . · pbrr −1 .
Beispielsweise ist ϕ(2000) = ϕ(24 · 53 ) = 1 · 4 · 23 · 52 = 800.
20
VORLESUNG 15
VOM
4. D EZEMBER 2012 (B EWEIS DES CHINESISCHEN R ESTSATZES )
Beim letzten Mal haben wir gelernt, simultane Kongruenzen wie n ≡ 5 (mod 7) und n ≡
4 (mod 5) teilerfremder Moduli in eine Kongruenz n ≡ a (mod 35) umzuschreiben. Dazu schreiben konstruieren wir zuerst ganze Zahlen m1 , m2 ∈ Z mit 7m1 + 5m2 = 1; im obigen Beispiel
könnte man m1 = −2 und m2 = 3 wählen. Aus dem Beweis vom Lemma 13.2 sehen wir, dass
a = a2 k1 m1 + a1 k2 m2 ist; im Beispiel erhalten wir a = 4 · 7 · (−2) + 5 · 5 · 3 = −56 + 75 = 19 ist.
Beweis (des chinesischen Restsatzes). Seien k1 , k2 ≥ 2 teilerfremd. Wie oben sei k = k1 k2 und
m1 , m2 ∈ Z Zahlen mit k1 m1 + k2 m2 = 1.
Die Abbildung Φ : (Z/k1 Z)×(Z/k2 Z) → Z/kZ ordne jedem Paar (a1 , a2 ) diejeniege Nebenklasse
a ∈ Z/kZ mit a = a2 k1 m1 + a1 k2 m2 zu. Die Abbildung ist wohldefiniert, d.h. unabhängig
von der Wahl der Vertreter, da für jede andere Wahl von Vertretern a01 ∈ a1 = a1 +k1 Z und
a02 ∈ a2 ∈ a2 +k2 Z das Element a02 k1 m1 +a01 k2 m2 den gleichen Rest modulo k lässt. Die Abbildung
schränkt sich ein zu einer Abbildung Ψ : (Z/k1 Z)× × (Z/k2 Z)× → (Z/kZ)× , da ggT(a, k1 ) =
ggT(a, k2 ) = 1 genau dann gilt, falls ggT(a, k) = 1 ist.
Wir behaupten nun, dass Φ ein Isomorphismus von Gruppen ist. Seien (a1 , a2 ) und (b1 , b2 ) zwei
beliebige Elemente in (Z/k1 Z) × (Z/k2 Z). Dann gilt
Φ((a1 , a2 ))+Φ((b1 , b2 )) = a2 k1 m1 + a1 k2 m2 +b2 k1 m1 + b1 k2 m2
= a2 k1 m1 + a1 k2 m2 + b2 k1 m1 + b1 k2 m2
= (a2 + b2 )k1 m1 + (a1 + b1 )k2 m2
= Φ((a1 + b1 , a2 + b2 ))
= Φ((a1 , a2 )+(b1 , b2 )).
Es bleibt zu zeigen, dass Φ bijektiv ist. Warum ist die Abbildung injektiv? Angenommen, es gelte
Φ((a1 , a2 )) = Φ((b1 , b2 )) = a. Dann gilt a1 ≡ a ≡ b1 (mod k1 ) und a2 ≡ a ≡ b2 (mod k2 ). Somit
gilt (a1 , a2 ) = (b1 , b2 ). Die Abbildung ist surjektiv, denn für jedes a ∈ Z/kZ gilt Φ((a, a)) = a
(oder präziser Φ(a+k1 Z, a+k2 Z) = a+kZ um Doppeldeutigkeiten zu vermeiden), die n ≥ a eine
und damit die einzige Lösung des simultanen Kongruenzproblems ist.
Wir behaupten nun, dass Ψ ebenfalls ein Isomorphismus von Gruppen ist. Seien (a1 , a2 ) und
(b1 , b2 ) zwei beliebige Elemente in (Z/k1 Z)× × (Z/k2 Z)× . Dann gilt
Ψ((a1 , a2 ))·Ψ((b1 , b2 )) = a2 k1 m1 + a1 k2 m2 ·b2 k1 m1 + b1 k2 m2
= a2 b2 k12 m21 + a1 b2 k1 k2 m1 m2 + b1 a2 k1 k2 m1 m2 + a1 b1 k22 m22
= a2 b2 k12 m21 + a1 b1 k22 m22
= a2 b2 k1 m1 (1 − k2 m2 ) + a1 b1 k2 m2 (1 − k1 m1 )
= a2 b2 k1 m1 + a1 b1 k2 m2
= Ψ((a1 b1 , a2 b2 ))
= Ψ((a1 , a2 )·(b1 , b2 )).
Die Injektivität von Ψ folgt aus der Injektivität von Φ und die Surjektivität zeigt man mit dem
gleichen Argument wie oben.
Durch eine iterierte Anwendung des chinesischen Restsatzes erhalten wir das folgende Korollar.
21
Korollar 15.1 (Iteration). Ist k = pb11 · . . . · pbrr die Primfaktorzerlegung von k ∈ N, dann gelten
folgende Ismorphismen:
(a) Z/kZ ∼
= (Z/pb11 Z) × (Z/p2b2 Z) × . . . × (Z/pbrr Z).
(b) (Z/kZ)× ∼
= (Z/pb11 Z)× × (Z/pb22 Z)× × . . . × (Z/pbrr Z)× .
VORLESUNG 16 VOM 6. D EZEMBER 2012 (E BENE UND R ÄUMLICHE O BJEKTE )
Das nächste große Ziel der Vorlesung ist es, Symmetriegruppen ebener und räumlicher Figuren zu
beschreiben. Beispiele ebener Figuren sind das Quadrat, das (gleichseitige) Dreieck und der Kreis.
Beispiele räumlicher Figuren sind der Würfel, das (reguläre) Tetraeder und die Kugel.
A
A0
D
C
C
B0
D
D0
B
C0
A
B
René Descartes (1596-1650) schlägt vor, solche geometrischen Objekte zu beschreiben, indem
man sie in ein rechtwinkliges Koordinatensystem einbettet. Ein solches Koordinatensystem heißt
nach ihm kartesisches Koordinatensystem. Dabei fassen wir die Ebene als Menge R2 = R × R der
Paare (x, y) mit x, y ∈ R auf. Die Einträge x und y nennen wir auch die x- bzw. y-Koordinate.
Entsprechend fassen wir den dreidimensionalen Raum auf als R3 = R × R × R.
Beispiel 16.1 (Kreis). Die Menge der Punkte (x, y) ∈ R2 mit x2 + y 2 = 1 formt nach dem Satz
des Pythagoras einen Kreis mit Mittelpunkt (0, 0) und Radius 1.
22
1
y
x
Beispiel 16.2 (Quadrat). Die vier Punkte (0, 0), (1, 0), (0, 1) und (1, 1) bilden ein Quadrat. Im
Folgenden ist es oft hilfreich, wenn der Mittelpunkt des Quadrats im Ursprung (0, 0) liegt. Die
Punkte (1, 1), (−1, 1), (−1, −1) und (1, −1) bilden ein Quadrat. Ebenso bilden (1, 0), (0, 1), (−1, 0)
und (0, −1) ein Quadrat
Beispiel 16.3 (Kugel). Die Menge der Punkte (x, y, z) ∈ R3 mit x2 + y 2 + z 2 = 1 formt nach dem
Satz des Pythagoras einen Kugel mit Mittelpunkt (0, 0, 0) und Radius 1.
Beispiel 16.4 (Würfel). Die Punkte (0, 0, 0), (1, 0, 0), (0, 1, 0), (0, 0, 1), (1, 1, 0), (1, 0, 1), (0, 1, 1),
(1, 1, 1) bilden einen Würfel. Ebenso bilden die Punkte (−1, −1, −1), (1, −1, −1), (−1, 1, −1),
(−1, −1, 1), (1, 1, −1), (1, −1, 1), (−1, 1, 1) und (1, 1, 1) einen Würfel.
Definition/Beispiel 16.5 (Reguläres Tetraeder). Ein reguläres Tetraeder ist eine dreiseitige Pyramide mit sechs gleich langen Kanten. Sei ABCDA0 B 0 C 0 D0 ein Würfel. Dann ist A0 BC 0 D ein
reguläres Tetraeder. Mit anderen Worten bilden die Punkte (−1, −1, −1), (1, 1,√−1), (−1, 1, 1) und
(1, −1, 1) ein reguläres Tetraeder. Ist a die Kantenlänge des Würfels, dann ist 2 die Kantenlänge
des Tetraeders.
Bemerkung 16.6 (Trigonometrie). Von den sechs Beispielen von oben bleibt das gleichseitige
Dreieck übrig, welches offenbar die schwierigste der sechs Aufgaben ist. Um den Fall (und allgemeiner den Fall von regulären Vielecken) behandeln zu können, wiederholen wir kurz Sinus und
Kosinus. Sei α ein spitzer Innenwinkel in einem rechtwinkligem Dreieck ABC mit Ankathete a,
Gegenkathete g und Hypotenuse h. Dann gilt
g
,
h
a
cos(α) = .
h
sin(α) =
Für stumpfe Winkel α definieren wir sin(α) und cos(α) über den Einheitskreis, indem wir Vorzeichen der entsprechenden Strecken in Bezug nehmen. Nach dem Satz des Pythagoras gilt stets
sin2 (α) + cos2 (α) = 1.
23
h
g
α
a
Beispiel 16.7 (Trigonometrie). Die folgende Tabelle zeigt Werte von sin(α) bzw. cos(α) an verschiedenen Stellen α.
◦
◦
◦
α
0◦ 30◦ 45
60
90◦ 120
180◦ 210◦ 270◦
√
√
√
2
3
3
sin(α) 0 √12
1
0
−√12
−1
2
2
√2
3
2
3
1
1
cos(α) 1
0
− 2 −1 − 2
0
2
2
2
Definition/Beispiel 16.8 (Reguläre Vielecke). Ein reguläres n-Eck ist ein n-Eck mit n gleich langen und n gleich großen Innenwinkeln. Somit ist ein Quadrat ein reguläres Viereck, eine Raute oder
ein Parallelogramm im allgemeinen allerdings nicht. Wir betten nun ein reguläres n-Eck in ein Koordinatensystem ein. Dazu zerlegen wir den Vollwinkel 360◦ in n gleich große Teile der Größe α =
360◦
. Die Endpunkte der Vektoren der Länge 1, die zu der x-Achse Winkel von α, 2α, 3α, . . . , (n −
n
1)α bilden, formen ein reguläres n-Eck. In Koordinaten ausgedrückt erhalten wir die Punkte
(cos(0◦ ), sin(0◦ )), (cos(α), sin(α)), (cos(2α), sin(2α)), . . . , (cos((n − 1)α), sin((n − 1)α)).
24
Beispielsweise bilden die Punkte
◦
√
1 3
),
(cos(60 ), sin(60 )) = ( ,
2 2
◦
◦
(cos(0 ), sin(0 )) = (1, 0),
√
1 3
(cos(120 ), sin(120 )) = (− ,
),
2 2√
1
3
),
(cos(240◦ ), sin(240◦ )) = (− , −
2
2
ein reguläres Sechseck.
◦
◦
◦
(cos(180◦ ), sin(180◦ )) = (−1, 0),
√
1
3
◦
◦
(cos(300 ), sin(300 )) = ( , −
)
2
2
Definition 16.9 (Vektorielle Sichtweise). Die Gruppenstruktur + auf R induziert eine Gruppenstruktur auf R2 durch komponentenweise Addition. Beispielsweise ist (2, 5) + (−4, 7) = (−1, 12)
und (8, 7) + (−2, −2) = (6, 5). Diese Addition hat eine geometrische Bedeutung. Zu einem Punkt
(x, y) ∈ R2 assoziieren wir den Vektor vom Urspung zum Punkt (x, y). Die Addition entspricht
dann der Parallelogrammbildung bzw. der Kräfteaddition in der Physik.
A+B
A
B
VORLESUNG 17 VOM 11. D EZEMBER 2012 (E BENE S YMMETRIEN )
Nachdem wir gelernt haben, Objekte in ein Koordinatensystem einzubetten, studieren wir nun ihre
Symmetrie. Das griechische Wort Symmetrie bedeutet Ebenmaß.
Beispielsweise werden die regulären n-Ecke immer symmetrischer, wenn n → ∞. (In der Tat
nähert sich die Folge immer mehr einem Kreis an, und Archimedes hat Approximationen eines
Kreis durch reguläre n-Ecke benutzt, um Näherungswerte für die Kreiszahl π zu bestimmen.)
Warum ist nun ein Quadrat symmetrischer“als ein gleichseitiges Dreieck? Die Grundidee ist, dass
”
ein Quadrat mehr Symmetrietransformationen besitzt. Mit Symmetrietransformationen meinen wir
Verschiebungen, Drehungen und Spiegelungen, die das Objekt in sich selbst überführen.
25
Das gleichseitige Dreieck hat sechs Symmetrietransformationen, nämlich die Drehungen um 120◦
bzw. 240◦ , drei Achsenspiegelungen sowie die Identität (die wir als Drehung um 0◦ auffassen).
Das Quadrat dagegen besitzt acht Symmetrietransformationen, nämlich vier Drehungen und vier
Achsenspiegelungen. (Man beachte, dass die Punktspiegelung am Ursprung gleich der Drehung
um 180◦ ist.)
Die Symmetrietransformationen eines geometrischen Objekts bilden zusammen mit Verkettung
von Abbildungen eine Gruppe, die sogenannte Symmetriegruppe. Die Ordnung der Symmetriegruppe ist ein Maß für die Symmetrie des Objekts.
Interessant sind auch Symmetriegruppen farbiger Objekte, d.h. wir färben Eckpunkte eines Objekts
in verschiedenen Farben und suchen Symmetrietransformationen, die jede Ecken auf eine Ecke
gleicher Farbe abbilden.
S1
S
S2
In den Beispielen erhalten wir eine Gruppe G1 = {idR2 , S} von Ordnung 2 und eine Gruppe
G2 = {idR2 , S1 , S2 , D180◦ } von Ordnung 4. Die Verknüpfungstabellen sehen wie folgt aus:
◦
idR2
S
VORLESUNG 18
id
S
idR2 S
S idR2
R2
VOM
◦
idR2
S1
S2
D180◦
idR2
S1
S2
D180◦
idR2
S1
S2
D180◦
S1
idR2 D180◦
S2
S2
D180◦ idR2
S1
D180◦
S2
S1
idR2
13. D EZEMBER 2012 (S YMMETRIETRANSFORMATIONEN )
Definition 18.1 (Verschiebung). Eine Verschiebung oder Translation um (a, b) ∈ R2 ist die Abbildung Ta,b : R2 → R2 mit Ta,b ((x, y)) = (x, y) + (a, b) = (x + a, y + b).
26
Proposition 18.2. Die Menge aller Verschiebungen {Ta,b : a, b ∈ R} bildet zusammen mit der
Verkettung eine abelsche Gruppe, die isomorph zu R2 ist.
Beweis. Man rechnet leicht nach, dass die Verschiebung um (a, b) ∈ R2 verknüpft mit der Verschiebung um (a0 , b0 ) ∈ R2 die Verschiebung um (a + a0 , b + b0 ) ist:
Ta,b ◦ Ta0 ,b0 = Ta+a0 ,b+b0 = Ta0 ,b0 ◦ Ta,b .
Daher ist die gegebene Menge abgeschlossen unter der Verknüpfung ◦. Die Assoziativität folgt aus
Proposition 2.14. Die Verschiebung T0,0 = idR2 ist ein neutrales Element. Gegeben eine beliebige
Verschiebung Ta,b , dann gilt Ta,b ◦ T−a,−b = T0,0 = T−a,−b ◦ Ta,b , d.h. T−a,−b ist ein inverses
Element. Die Kommutativität und die Isomorphie mit R2 folgen aus der obigen Formel.
Definition 18.3 (Drehung). Gegebenen sei ein Winkel α. Die Drehung oder Rotation um den
Ursprung um den Winkel α ist die Abbildung Rα : R2 → R2 , die einen Vektor um den Ursprung
gegen den Uhrzeigersinn unter Beibehaltung der Länge um den Winkel α dreht.
Rα (A)
A
α
Bemerkung 18.4 (Linearität). Da eine Drehung ein Parallelogramm auf ein Parallelogramm
abbildet, verträgt sich die Drehung gut mit der Vektoraddition auf dem R2 : für alle Punkte A, B ∈
R2 und alle Winkel α gilt
Rα (A + B) = Rα (A) + Rα (B).
Proposition 18.5 (Drehkoordinaten). Sei (x, y) ∈ R2 ein Punkt und sei α ein beliebiger Winkel.
Dann gilt folgende explizite Formel
Rα ((x, y)) = (x cos(α) − y sin(α), x sin α + y cos(α)).
Beweis. Wir zeigen die Formel zunächst für Vektoren der Form (x, 0) ∈ R2 . Für solche Vektoren
gilt aber nach Definition von Sinus und Kosinus Rα ((x, 0)) = (x cos(α), x sin(α)). Ebenso gilt
für Vektoren der Form (0, y) ∈ R2 nach Definition von Sinus und Kosinus stets Rα ((0, y)) =
(−y sin(α), y cos(α)).
Einen allgemeinen Vektor (x, y) ∈ R2 zerlegen wir in (x, y) = (x, 0) + (0, y) in eine Summe von
Vektoren, die parallel zu den Koordinatenachsen sind. Nach Bemerkung 18.4 gilt dann
Rα ((x, y)) = Rα ((x, 0)) + Rα (0, y)
= (x cos(α), x sin(α)) + (−y sin(α), y cos(α))
= (x cos(α) − y sin(α), x sin α + y cos(α)).
27
Rα (A) + Rα (B)
Rα (B)
A+B
A
Rα (A)
B
Bemerkung 18.6 (Additionstheoreme). Wir betrachten wir Rotationen Rα und Rβ um die Winkel
α bzw. β. Wir berechnen Rα ◦ Rβ an der Stelle (1, 0) durch Hintereinanderausführung der Formeln
für Rα und Rβ und erhalten
(Rα ◦ Rβ )((1, 0)) = Rα ((cos(β), sin β))
= (cos(α) cos(β) − sin(α) sin(β), sin(α) cos(β) + cos(α) sin(β)).
Die Gleichung Rα+β = Rα ◦ Rβ liefert die folgenden Formeln:
cos(α + β) = cos(α) cos(β) − sin(α) sin(β)
(CoCo-SiSi)
sin(α + β) = sin(α) cos(β) + cos(α) sin(β)
(SiCo+CoSi)
Proposition 18.7 (Drehgruppe). Die folgenden Mengen bilden mit der Verkettung von Abbildungen eine Gruppe.
(a) Die Menge R aller Drehungen Rα bildet zusammen mit der Verkettung von Abbildungen
eine unendliche abelsche Gruppe.
◦
. Dann bildet die Menge Rn = {Rkα : 0 ≤ k < n} aller
(b) Sei n ≥ 1 und sei α = 360
n
Drehungen, die das reguläre n-Eck aus Beispiel 16.8 festlassen, eine endliche abelsche
Gruppe der Ordnung n. Die Gruppe ist isomorph zur additiven Restklassengruppe Z/nZ.
Beweis. Die geometrische Anschauung sagt uns unmittelbar, dass für zwei beliebige Winkel α und
β stets die Gleichung
Rα ◦ Rβ = Rα+β = Rβ ◦ Rα .
gilt. Daher sind die in den Teilen (a) bzw. (b) gegebenen Mengen abgeschlossen unter der Verknüpfung ◦. Die Assoziativität folgt aus Proposition 2.14. Die Drehung R0◦ = idR2 ist ein neutrales Element und liegt in allen Rn . Gegeben eine beliebige Drehung Rα , dann gilt Rα ◦ R360◦ −α =
R360◦ −α ◦ Rα , d.h. R360◦ −α ist ein inverses Element. Es liegt in Rn , wenn Rα es tut. Die Kommutativität und die Isomorphie Rn ∼
= Z/nZ folgen aus der obigen Formel.
Definition 18.8 (Untergruppe). Sei (G, ·) eine Gruppe. Eine Untergruppe (H, ·) ist eine Teilmenge H ⊆ G, die bzgl. der Verknüpfung · eine Gruppe bildet.
28
Beispiele 18.9. Die folgenden Teilmengen einer gegebenen Gruppe bilden zusammen mit der
Gruppenverknüpfung eine Untergruppe.
(a) Die Gruppe (2Z, +) ist eine Untergruppe von (Z, +).
(b) Für jedes n ≥ 1 ist (Rn , ◦) eine Untergruppe von (R, ◦).
(c) Allgemeiner gilt: Sei (G, ·) eine Gruppe und x ∈ G ein Gruppenelement von endlicher
Ordnung n. Dann bildet {e, x, x2 , x3 , . . . , xn−1 } bzgl, der Verknüpfung ◦ eine Unterguppe,
die isomorph zu Z/nZ ist.
(d) Der Durchschnitt H1 ∩H2 zweier Untergruppen H1 , H2 ⊆ G einer Gruppe (G, ·) ist wieder
eine Untergruppe.
Definition 18.10 (Achsenspiegelung). Gegeben sei eine Gerade g in der Ebene R2 . Ohne Beschränkung der Allgemeinheit nehmen wir an, dass g eine Ursprungsgerade ist, d.h. durch den
Punkt (0, 0) geht. Dann bezeichnen wir mit Sg : R2 → R2 die Achsenspiegelung an g.
Sg (A)
·
·A
g
Die Menge der Achsenspiegelungen formt bezüglich der Verkettung ◦ keine Gruppe. Dennoch gilt
wie für Drehungen für alle A, B ∈ R2 und alle g die Formel Sg (A+B) = Sg (A)+Sg (B), da Sg ein
Parallelogramm auf ein Parallelogramm abbildet. Ferner gilt Sg ◦ Sg = idR2 . Wie für Drehungen
haben wir eine explizite Formel für Sg . Ist g0 die x-Achse, so gilt Sg0 ((x, y)) = (x, −y).
VORLESUNG 19 VOM 18. D EZEMBER 2012 (E BENE S YMMETRIEGRUPPEN I)
Wir haben verschiedene Symmetrietransformationen und Symmetriegruppen kennengelernt. Solche Symmetriegruppen, zum Beispiel Symmetriegruppen von Mustern oder Parkettierungen der
euklidischen Ebene, sind oft unendliche Gruppen. Leonardo da Vinci (1452-1519) macht die folgende bemerkenswerte Beobachtung: Es gibt nur zwei Arten von endlichen Symmetrien. Das
ist zum einen die Rotationsgruppe Rn der n Drehungen, die das reguläre n-Eck in sich selbst
überführen. Dazu kommt die Symmetriegruppe Dn aller Symmetrietransformationen eines regulären n-Ecks bestehend aus n Drehungen und n Spiegelungen. Die Gruppe Dn heißt auch Diedergruppe.
Sei n ≥ 2 eine natürliche Zahl. Die Drehungen, die das reguläre n-Eck aus Beispiel 16.8 in
◦
. Die Spiegelungen, die das resich selbst überführen sind die Drehungen Rn . Sei β = 180
n
guläre n-Eck in sich selbst überführen, sind die Spiegelungen Sg0 , Sg1 , . . . , Sgn−1 an den Geraden
g0 , g1 , . . . , gn−1 , die mit der x-Achse Winkel 0, β, 2β, . . . , (n − 1)β bilden.
29
g2
g1
g3
g2
g1
g0
g0
Definition 19.1 (Diedergruppe). Sei
Dn = Rn ∪ {Sg0 , Sg1 , . . . , Sgn−1 }.
Satz 19.2 (Diedergruppe). Die Menge Dn der Symmetrietransformationen, die das reguläre nEck festlassen, bilden zusammen mit der Verkettung eine Gruppe der Ordnung 2n. Die Diedergruppe ist nicht abelsch, falls n ≥ 3 ist.
Um diesen Satz zu beweisen, formulieren wir zunächst zwei Lemmata.
Lemma 19.3 (Verkettungen von Spiegelungen). Seien g und h Geraden in der Ebene und Sg und
Sh die Achsenspiegelungen an g bzw. h.
(a) Sind g und h parallel, so ist Sh ◦ Sg die Verschiebung um einen Vektor, der senkrecht auf g
und h steht und dessen Länge der doppelte Abstand von g und h ist.
(b) Sind g und h nicht parallel und schneiden sich einem Punkt P unter einem Winkel α, so ist
Sh ◦ Sg die Drehung um P um den Winkel 2α.
VORLESUNG 20 VOM 20. D EZEMBER 2012 (E BENE S YMMETRIEGRUPPEN II)
Bemerkung 20.1 (Spiegelformel). Die Spiegelung Sg0 ist einfach zu beschreiben durch Sg0 ((x, y)) =
(x, −y). Sei g eine Urspungsgerade, die zur x-Achse einen Winkel α bildet. Eine Formel für die
Spiegelung Sg lässt sich auf die Formel zurückführen durch Sg = Rα ◦ Sg0 ◦ R−α :
Sg ((x, y)) = (Rα ◦ Sg0 ◦ R−α )((x, y))
= (Rα ◦ Sg0 )((x cos(−α) − y sin(−α), x sin −α + y cos(−α)))
= Rα ((x cos(α) + y sin(α), x sin α − y cos(α)))
= (x cos2 (α) + y sin(α) cos(α) − x sin2 (α) + y sin(α) cos(α),
x sin(α) cos(α) + y sin2 (α) + x cos(α) sin(α) − y cos2 (α))
= (x cos(2α) + y sin(2α), x sin(2α) − y cos(2α)).
Beweis von Lemma 19.3.
(a) Ohne Einschränkung seien g und h parallel zur y-Achse, g die y-Achse und h die Gerade
y = a ür ein a ∈ R. Dann ist Sg die Abbildung Sg ((x, y)) = (−x, y) und Sh = Ta,0 ◦ Sg ◦
T−a,0 , somit Sh ((x, y)) = (Ta,0 ◦ Sg )((x − a, y)) = Ta,0 ((a − x, y)) = (2a − x, y). Also ist
(Sh ◦ Sg )((x, y)) = Sh ((−x, y)) = (2a + x, y) = (2a, 0) + (x, y).
Alternativ kann man h an g spiegeln und eine Fallunterscheidung danach machen, in welchem der vier Gebiete der Punkt (x, y) liegt.
30
g
h0
h
(b) Auch kann man eine Gerade h0 als Spiegelung von h an g definieren und eine Fallunterscheidung danach machen, in welchem Bereich der Startpunkt liegt.
Alternativ kann man die Spiegelformel 20.1 anwenden. Ohne Einschränkung (das heißt
durch geschickte Wahl unseres Koordinatensystems) können wir annehmen, dass g die xAchse ist und h durch den Ursprung geht. Dann gilt
(Sh ◦ Sg )((x, y)) = Sh ((x, −y)) = (x cos(2α) − y sin(2α), x sin(2α) + y cos(2α)).
Aus der Formel 18.5 für die Drehung folgt, dass Sh ◦ Sg eine Drehung um den Urspung um
den Winkel 2α ist.
g
h0
h
Bemerkung 20.2 Insbesondere ist die Verkettung zweier Spiegelungen nicht kommutativ, denn
Sh ◦ Sg ist eine Drehung um P um α und Sg ◦ Sh ist eine Drehung um P um −α.
Lemma 20.3 (Verkettungen einer Spiegelung mit einer Drehung). Sei g eine Gerade, die durch
den Ursprung geht und zur x-Achse einen Winkel α bildet. Sei Sg die Achsenspiegelungen an g.
Ferner sei β ein Winkel und R2β die Drehung um den Ursprung um 2β.
(a) Dann ist R2β ◦ Sg eine Achsenspiegelung. Die Spiegelachse h ist eine Ursprungsgerade,
die zur x-Achse einen Winkel α + β bildet.
(b) Dann ist Sg ◦ R2β eine Achsenspiegelung. Die Spiegelachse h0 ist eine Ursprungsgerade,
die zur x-Achse einen Winkel α − β bildet.
31
Beweis. Wir wenden erneut unsere Formeln an. Für einen beliebigen Punkt (x, y) ∈ R2 gilt
(R2β ◦ Sg )((x, y)) = R2β ((x cos(2α) + y sin(2α), x sin(2α) − y cos(2α)))
= (x cos(2α) cos(2β) + y sin(2α) cos(2β) − x sin(2α) sin(2β) + y cos(2α) sin(2β)),
x cos(2α) sin(2β) + y sin(2α) sin(2β) + x sin(2α) cos(2β) − y cos(2α) cos(2β))
= (x cos(2α + 2β) + y sin(2α + 2β), x sin(2α + 2β) − y cos(2α + 2β)).
Die zweite Formel beweit man analog.
Beweis (von Satz 19.2). Nach Lemma 19.3 und 20.3 ist die Menge Dn abgeschlossen unter der
Verkettung ◦ ist. Die weiteren Eigenschaften folgen.
Beispiel 20.4 (D3 ). Die Verknüpfungstabelle der Gruppe D3 sieht wie folgt aus. (Wir kürzen
R0◦ = R0 , R120◦ = R1 und R240◦ = R2 ab.)
◦
R0
R1
R2
Sg0
Sg1
Sg2
R0 R1 R2
R0 R1 R2
R1 R2 R0
R2 R0 R1
Sg0 Sg2 Sg1
Sg1 Sg0 Sg2
Sg2 Sg1 Sg0
Sg0
Sg0
Sg1
Sg2
R0
R2
R1
Sg1
Sg1
Sg2
Sg1
R1
R0
R2
Sg2
Sg2
Sg0
Sg0
R2
R1
R0
VORLESUNG 21 VOM 8. JANUAR 2013 (P LATONISCHE K ÖRPER )
Im Folgenden möchten wir dreidimensionale Symmetrien gruppentheoretisch beschreiben. Eine
Quelle für solche Gruppen sind die Symmetriegruppen der platonischen Körper.
Definition 21.1 (Platonischer Köper). Eine platonischer Körper ist ein konvexes Polyeder mit
folgenden Eigenschaften:
(a) Alle Seitenflächen sind kongruente reguläre Vielecke.
(b) An jeder Ecke stoßen gleich viele Vielecke zusammen.
Beispiel 21.2 (Die fünf platonischen Körper). Das reguläre Tetraeder, der Würfel, das reguläre
Oktaeder, das reguläre Dodekaeder und das reguläre Ikosaeder sind platonische Körper. Ein Fussball ist kein platonischer Körper.
Definition 21.3. Gegeben sei ein platonischer Körper.
(a) Wir bezeichnen die Zahl der Ecken, Kanten und Seitenflächen mit E, K und F .
(b) Angenommen, der Körper werde durch p-Ecke begrenzt. Ferner sei q die Anzahl der Vielecke, die an einer Ecke zusammenstoßen. Dann ist das Paar {p, q} das Schläfli-Symbol.
Platonischer Körper E K F p
Tetraeder
4 6 4 3
Würfel
8 12 6 4
Oktaeder
6 12 8 3
Dodekaeder
20 30 12 5
Ikosaeder
12 30 20 3
32
q
3
3
4
3
5
VORLESUNG 22
VOM
10. JANUAR 2013 (K LASSIFIKATION PLATONISCHER K ÖRPER )
Satz 22.1 (Klassifikation). Es gibt fünf platonische Körper, nämlich Tetraeder, Würfel, Oktaeder,
Dodekaeder und Ikosaeder
Beweis. Sei ein P ein platonischer Körper. Ohne Einschränkung sei die Länge der Kanten gleich
1. Der Beweis verläuft über den Eulerschen Polyedersatz. Der Satz besagt dass in einem konvexen
Polyeder mit E Ecken, K Kanten und F Seitenflächen stets die Beziehung
E−K +F =2
gilt. Wir setzen den Satz ohne Beweis voraus.
Zählen wir nun die Kanten des platonischen Körpers. Jede Kante begrenzt genau zwei Seitenflächen. Daher ist 2K gleich pF , denn es gibt F Seitenflächen mit jeweils p Kanten.
Zählen wir nun die Kanten des platonischen Körpers auf eine andere Art und Weise. Jede Kante
begrenzt besitzt genau zwei Eckpunkte. Daher ist 2K gleich qE, denn es gibt E Ecken, an denen
jeweils q Kanten zusammenstoßen.
Wir stellen die Gleichung 2K = pF um zu F = 2K
. Entsprechend gilt E = 2K
. Wir setzen beide
p
q
Werte in die Eulersche Polyederformel ein. Es ergibt sich:
2K
2K 2K
1 1
1
1
2K
−K +
= 2 ⇐⇒
+
= K + 2 ⇐⇒
+ = + .
q
p
q
p
q p
2 K
Nun sind natürliche Zahlen mit p, q ≥ 3. Wenn sogar p, q ≥ 4 ist, dann ist
1 1
1 1
1
1
1
+ ≤ + = < + ,
p q
4 4
2
2 K
was nicht möglich ist. Daher ist mindestens eine der beiden Zahlen p, q gleich 3. Wir unterscheiden
die folgenden Fälle.
(1) Fall p = 3. Zu lösen ist die Gleichung
1 1
1
1
1
1
1
+ = +
⇐⇒
= + .
q 3
2 K
q
6 K
Wir unterscheiden die folgenden Unterfälle.
(1a) Fall q = 3. In dem Fall erhalten wir 1/3 = 1/6 + 1/K, also K = 6. Aus den obigen
Formeln folgt E = 4 und F = 4. In dem Fall muss P ein reguläres Tetraeder sein.
(1b) Fall q = 4. In dem Fall erhalten wir 1/4 = 1/6 + 1/K, also K = 12. Aus den obigen
Formeln folgt E = 6 und F = 8. In dem Fall muss P ein reguläres Oktaeder sein.
(1c) Fall q = 5. In dem Fall erhalten wir 1/5 = 1/6 + 1/K, also K = 30. Aus den obigen
Formeln folgt E = 12 und F = 20. In dem Fall muss P ein reguläres Ikosaeder sein.
(1d) Fall q ≥ 6. In dem Fall ist 1/6 = 1/6 + 1/K, was nicht möglich ist.
(2) Fall q = 3. Zu lösen ist die Gleichung
1 1
1
1
1
1
1
+ = +
⇐⇒
= + .
3 p
2 K
p
6 K
Wir unterscheiden die folgenden Unterfälle.
(2a) Fall p = 3. Der Fall ist identisch mit Fall (1a).
(2b) Fall p = 4. In dem Fall erhalten wir 1/4 = 1/6 + 1/K, also K = 12. Aus den obigen
Formeln folgt E = 8 und F = 6. In dem Fall muss P ein Würfel sein.
33
(2c) Fall q = 5. In dem Fall erhalten wir 1/5 = 1/6 + 1/K, also K = 30. Aus den obigen
Formeln folgt E = 20 und F = 12. In dem Fall muss P ein reguläres Dodekaeder
sein.
(2d) Fall q ≥ 6. In dem Fall ist 1/6 = 1/6 + 1/K, was nicht möglich ist.
Die fünf in Beispiel 21.2 genannten Polyeder sind also die einzigen platonischen Köper. Um ihre
Symmetriegruppen zu bestimmen, legen wir die Körper zunächst in ein dreidimensionales kartesisches Koordinatensystem. Das Tetraeder haben wir bereits in Beispiel 16.5 in ein Koordinatensystem eingebettet.
Bemerkung 22.2 (Einbettung des Okateders). Die sechs Mittelpunkte der Seitenflächen eines
Würfels bilden ein reguläres Oktaeder. Daher bilden die Punkte (±1, 0, 0), (0, ±1, 0), (0, 0, ±1)
die Eckpunkte eines regulären Oktaeders.
Bemerkung 22.3 (Dualität). Gleichermaßen bilden die Mittelpunkte der acht Seitenflächen eines
regulären Oktaeders einen Würfel. Wir sagen, der Würfel und das reguläre Oktader sind zueinander
duale Polyeder. Man sieht ebenso ein, dass das reguläre Dodekaeder und das reguläre Ikosaeder
zueinander dual sind, d.h. die Mittelpunkte der 12 Seitenflächen eines Dodekaeders bilden einen
Ikosaeder und umgekehrt. Das reguläre Tetraeder ist zu sich selbst dual.
Um das Ikosaeder in ein Koordinatensystem zu legen, betrachten wir den goldenen Schnitt.
Definition 22.4 (Goldener Schnitt). Ein Rechteck mit Seiten x < y heißt goldenes Rechteck,
wenn sich die kleinere Seite zur größen Seite verhält wie die große Seite zur Summe der beiden
Seiten:
y
x
=
.
y
x+y
In dem Fall nennen wir die Zahl ϕ =
y
x
den goldenen Schnitt.
Proposition 22.5 (Wurzelform des goldenen Schnitts). Es gilt
√
1+ 5
ϕ=
.
2
Beweis. Es gilt xy = y+x
= 1 + xy . Es folgt ϕ = 1 + ϕ−1 und ϕ2 = ϕ + 1. Die Behauptung folgt
y
aus der p, q-Formel für die Lösungen einer quadratischen Gleichung.
Bemerkung 22.6. Der goldene Schnitt spielt eine Rolle in Ästhetik und Architektur. Beispielsweise sind viele Postkarten goldene Rechtecke.
Proposition 22.7 (Postkartenkonstruktion des Ikosaeders). Die zwölf Punkte (±ϕ, ±1, 0),
(±1, 0, ±ϕ) und (0, ±ϕ, ±1) bilden die Eckpunkte eines regulären Ikoseaders.
VORLESUNG 23 VOM 15. JANUAR 2013 (DAS I KOSAEDER )
Beweis. Wir betrachten die konvexe Hülle der zwölf Punkte. Sie ist ein Polyeder, das durch zwei
Arten von Kanten begrenzt wird: Postkartenkanten“und Nichtpostkartenkanten“. Es ist zu zei”
”
gen, dass beide Kanten gleich lang sind. Postkartenkanten wie zum Beispiel (ϕ, 1, 0) − (ϕ, −1, 0)
34
haben die Länge 2. Nichtpostkartenkanten wie (ϕ, 1, 0) − (1, 0, ϕ) haben die Länge
p
p
p
(ϕ − 1)2 + 12 + ϕ2 = 2ϕ2 − 2ϕ + 2 = 2ϕ + 1 − 2ϕ + 2 = 2.
Bemerkung 23.1. Die Koordinaten der Eckpunkte eines regulären Dodekaeders erhalten wir aus
denen des Ikosaeders über Dualität.
Wir sind nun bereit, die Symmetriegruppen der platonischen Körper zu berechnen. Aufgrund der
Dualität genügt es, die Symmetriegruppen des regulären Tetraeders, des Würfels und des regulären
Ikosaeders zu bestimmen. Wir beginnen mit dem Würfel. Der Würfel sei in ein kartesisches Koordinatensystem eingebettet wie in Beispiel 16.4.
H
G
E
F
D
C
A
B
Die folgenden Drehungen bilden den Würfel auf sich selbst ab:
(a) Die 3 · 3 = 9 Drehungen um eine Koordinatenachse um jeweils 90◦ , 180◦ und 270◦ .
(b) Die 4 · 2 = 8 Drehungen um eine Raumdiagonale um jeweils 120◦ und 240◦ .
(c) Die 6 Drehungen um 180◦ durch Achsen, die durch die Mittelpunkte gegenüberliegender
Kanten gehen.
(d) Die identische Abbildung (= Drehung um 0◦ ).
VORLESUNG 24 VOM 22. JANUAR 2013 (D IE W ÜRFELGRUPPE )
Wir zeigen, dass die Drehungen, die den Würfel auf sich selbst abbilden, eine Gruppe bilden. Dazu
ist es hilfreich, die Abbildungen konkret in Koordinaten zu schreiben. Die Eckpunkte des Würfels
haben folgende Koordinaten:
A : (−1, −1, −1)
B : (1, −1, −1)
C : (1, 1, −1)
D : (−1, 1, −1)
E : (−1, −1, 1)
F : (1, −1, 1)
G : (1, 1, 1)
H : (−1, 1, 1)
(a) Die Koordinatendarstellungen der drei Drehungen um die z-Achse um 90◦ , 180◦ bzw. 270◦
ergeben sich aus den entsprechenden zweidimensionalen Koordinatendarstellungen. Wir
35
erhalten:
90◦ :
(x, y, z) 7→ (−y, x, z),
◦
180 :
(x, y, z) 7→ (−x, −y, z),
270◦ :
(x, y, z) 7→ (y, −x, z).
Die Drehungen um die anderen Achsen ergeben sich analog.
(b) Die Drehung um die Raumdiagonale AG um 120◦ bildet den Vektor (1, 0, 0) ab auf (0, 0, 1).
Entsprechend schickt sie (0, 1, 0) 7→ (1, 0, 0) und (0, 0, 1) 7→ (0, 1, 0). Aufgrund der Linearität erhalten wir für alle Vektoren (x, y, z) ∈ R3 die Zerlegung (x, y, z) = x(1, 0, 0) +
y(0, 1, 0) + z(0, 0, 1) 7→ x(0, 0, 1) + y(1, 0, 0) + z(0, 1, 0) = (y, z, x). Für die Drehung um
240◦ gilt Entsprechendes. Wir erhalten zusammengefasst:
120◦ :
(x, y, z) 7→ (y, z, x),
◦
(x, y, z) 7→ (z, x, y).
240 :
Die Drehungen um die weiteren Raumdiagonalen ergeben sich entsprechend.
(c) Entsprechende Koordinatenüberlegungen ergeben die Darstellungen der Drehungen durch
Verbindungen von Mittelpunkten. (Hierbei steht M für Mittelpunkt.)
MAD MF G :
(x, y, z) 7→ (z, −y, x),
MAB MCD :
(x, y, z) 7→ (−x, z, y),
MBC MEH :
(x, y, z) 7→ (−z, −y, −x),
MCD MEF :
(x, y, z) 7→ (−x, z, −y),
MAE MCG :
(x, y, z) 7→ (y, x, −z),
MBF MDH :
(x, y, z) 7→ (−y, −x, −z).
(d) Die identische Abbildung ist gegeben durch (x, y, z) 7→ (x, y, z).
VORLESUNG 25
VOM
24. JANUAR 2013 (M EHR ZUR W ÜRFELGRUPPE )
Sei W die Menge der 24 Drehungen des dreidimensionalen Raums, die den Würfel auf sich selbst
abbilden.
Satz 25.1 (Würfelgruppe). Die Menge (W, ◦) ist eine Gruppe, die sogenannte Würfelgruppe.
Beweis. Wir zeigen zunächst, dass die Menge W abgeschlossen unter der Verknüpfung ◦ ist. Sei
W 0 die Menge der Abbildungen f : R3 → R3 der Form f ((x, y, z)) = (±σ(x), ±σ(y), ±σ(z))
ist für eine Permutation σ der Menge {x, y, z} und gewisse Vorzeichen ±. Es gibt insgesamt 6
Permutationen und 23 = 8 mögliche Vorzeichenwahlen, d.h. die Menge W 0 enthält 48 = 6 · 8 Elemente. Betrachten wir die unsere expliziten Formeln. Wir stellen fest, dass jede der 24 Drehungen
in Koordinaten geschrieben eine Abbildung dieser Form ist, d.h. es gilt W ⊂ W 0 . Mit anderen
Worten liegt die Hälfte der Elemente von W 0 in W .
Welche Hälfte? Drehungen lassen eine erhalten bestimmte Orientierung, die sogenannte DreiFinger-Regel der rechten Hand: Gegeben seien zwei Vektoren u und v im R3 der Länge 1, die
senkrecht zueinander stehen. Dann existieren genau zwei Vektoren der Länge 1, die senkrecht sowohl auf u als auch auf v stehen. Richten wir den Daumen unserer rechten Hand in Richtung u,
den Zeigefinger derselben Hand in Richtung v, gibt der Mittelfinger eine der beiden (entgegengesetzten) Richtungen w an, die senkrecht auf u und v steht. Ein so orientiertes Koordinatensystem
u, v, w nennen wir positiv orientiert, das andere Koordinatensyste u, v, −w negativ orientiert. Die
36
Hälfte der Abbildungen aus W 0 bilden das Koordinatensystem (1, 0, 0), (0, 1, 0), (0, 0, 1) auf ein
positives Koordinatensystem ab. Diese Menge stimmt mit W überein, da jede Drehung die Orientierung erhält. Daher ist W abgeschlossen unter ◦.
Die Assoziativität folgt aus Proposition 2.14. Die identische Abbildung idR3 bildet ein neutrales
Element. Für jede Drehung R ∈ W um eine Achse g um den Winkel α ist die Drehung um g um
den Winkel 360◦ − α wieder ein Element in W und R invers.
Satz 25.2. Die Würfelgruppe W ist isomorph zur symmetrischen Gruppe S4 .
Es ist hilfreich, den vier Raumdiagonalen Namen zu geben. Setze a = AG, b = BH, c = CE und
d = DF . Jede Symmetrietransformation bildet eine Raumdiagonale wieder auf eine Raumdiagonale ab.
Beweis. Die Gruppe S4 ist isomorph zur Menge der Permutationen der Menge {a, b, c, d}. Jede
Abbildung aus W permutiert die vier Raumdiagonalen des Würfels. Keine zwei Drehungen R1
und R2 permutieren die Raumdiagonalen auf die gleiche Art und Weise: Aus
R1 (a) = R2 (a),
R1 (b) = R2 (b),
R1 (c) = R2 (c),
R1 (d) = R2 (d).
folgen für die Drehung R = R1−1 ◦ R2 die Gleichungen
a = R(a),
b = R(b),
c = R(c),
d = R(d).
Wenn a unter der Drehung R festbleibt, muss a die Drehachse sein, wenn b unter der Drehung
R festbleibt, muss b die Drehachse sein. Widerspruch. Auf der anderen Seite gibt es bloß 24 Permutationen der Menge {a, b, c, d}, also kann jede Permutation der Menge {a, b, c, d} durch eine
Drehung realisiert werden. Die Bijektion zwischen W und S4 ist offenbar ein Gruppenisomorphismus.
Bemerkung 25.3 (Volle Würfelgruppe). Die Menge W 0 (definiert im Beweis von Satz 25.1) bildet zusammen mit der Verkettung eine Gruppe. Wir nennen die Gruppe die volle Würfelgruppe.
Sie enthält neben den Drehungen Spiegelungen an einer Ebene wie die Spiegelung (x, y, z) 7→
(x, y, −z) an der x-y-Ebene und die Spiegelung (x, y, z) 7→ (−y, −x, z) an der Ebene durch
BF DH sowie die Punktspiegelung (x, y, z) 7→ (−x, −y, −z) am Ursprung. Elemente, die weder Spiegelung noch Drehung sind, sind die Verkettung einer Drehung und einer Spiegelung und
heißen Rotospiegelung.
Bemerkung 25.4 (Oktaedergruppe). Aufgrund der Dualität von Würfel und Oktaeder sind die
Abbildungen R3 → R3 , die den Würfel auf sich selbst abbilden, genau die Abbildungen, die das
eingebettete Oktaeder in sich selbst überführen. Die Mengen W und W 0 können wir daher auch
als Symmetriegruppen des regulären Oktaeders auffassen.
Bemerkung 25.5 (Tetraedergruppe). Die vier Punkte ACF H und BDEG bilden jeweils ein
reguläres Tetraeder. Eine Drehung bildet das Tetraeder ACF H auf das Tetraeder BDEG ab. Daher
gibt es Mengen T ⊆ W und T 0 ⊆ W 0 , die jeweils genau halb so viele Elemente enthalten, und das
Tetraeder ACF H auf sich selbst abbilden. Die Mengen T und T 0 bilden bzgl. ◦ eine Gruppe, die
sogenannte Tetraedergruppe bzw. volle Tetraedergruppe.
Satz 25.6. Die volle Tetraedergruppe T 0 ist isomorph zur symmetrischen Gruppe S4 .
Beweis. Für je zwei Ecken des Tetraeders ACF H (zum Beispiel A und C) existiert eine Ebenenspiegelung (zum Beispiel die Spiegelung an F HDB), die die beiden Ecken (A und C) vertauscht
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und die beiden anderen Ecken (F und H) fixiert: A ←→ C bzw. a ←→ c. Verkettungen solcher
Abbildungen erzeugen die symmetrische Gruppe S4 .
VORLESUNG 26 VOM 31. JANUAR 2013 (D IE I KOSAEDERGRUPPE )
Heute betrachten wir die Ikosaedergruppe. Die folgenden 60 Drehungen bilden ein reguläres Ikosaeder auf sich selbst ab. Die Menge all dieser Drehungen bezeichnen wir mit I.
(a) Die 2 · 10 = 20 Drehungen um Achsen durch die Mittelpunkte gegenüberliegender Seitenflächen um 120◦ bzw. 240◦ .
(b) Die 1 · 15 = 15 Drehungen um Achsen durch die Mittelpunkte gegenüberliegender Kanten
um 180◦ .
(c) Die 4·6 = 24 Drehungen um Achsen durch gegenüberliegender Eckpunkte um 72◦ , 144◦ , 216◦
bzw. 288◦ .
(d) Die identische Abbildung idR3 .
In einer vorigen Vorlesung haben wir die Postkartenkonstruktion des regulären Ikosaeders kennengelernt. Eine solche Konstruktion zeichnet 6 der 30 Kanten des Ikosaeders als Postkartenkanten
aus. Es gibt also insgesamt 30/6 = 5 solche Postkartenkonstruktionen. Wir erhalten also eine
Partition der Kanten in fünf Teilmengen
K = K1 ∪ K2 ∪ K3 ∪ K 4 ∪ K5 .
Jede Drehung führt ein Postkartengestell in ein Postkartengestell über. Daher permutiert jede Drehung die Mengen K1 , · · · , K5 . Zuweilen ist es hilfreich, Permutationen in Zykel zu zerlegen. Für
die oben betrachteten Drehungen gilt beispielsweise:
(a) Eine Drehungen um die Achsen durch die Mittelpunkte zweier gegenüberliegender Seitenflächen um 120◦ bzw. 240◦ verschiebt die drei anliegenden Kantenmengen zyklisch und
fixiert die beiden anderen Mengen. Ein Beispiel ist K1 → K2 → K3 → K1 , K4 → K4
und K5 → K5 .
(b) Eine Drehungen um Achsen durch die Mittelpunkte gegenüberliegender Kanten um 180◦
fixiert das anliegende Postkartengestell und vertauscht jeweils zwei weitere Postkartengestelle, zum Beispiel K1 → K1 , K2 → K3 → K2 und K4 → K5 → K4 .
(c) Die 4 · 6 = 24 Drehungen um Achsen durch die Mittelpunkte gegenüberliegender Eckpunkte um 72◦ , 144◦ , 216◦ bzw. 288◦ permutiert die fünf Mengen in zyklischer Weise. Ein
Beispiel ist K1 → K2 → K3 → K4 → K5 → K1 .
(d) Die identische Abbildung idR3 induziert die identische Permutation.
Insbesondere induzieren alle 60 Drehungen des Ikosaeders paarweise verschiedene (!) Permutationen der Menge {K1 , K2 , K3 , K4 , K5 }. Wie man durch Abzählen feststellt, erhält man durch diese
Drehungen alle Permuationen dieser Zyklenstrukturen. Um genauer fassen zu können, welche Permutationen auftreten, definieren wir gerade und ungerade Permutationen. Im Folgenden sei n ≥ 2
eine natürliche Zahl und Sn die symmetrische Gruppe.
Definition 26.1 (Gerade und ungerade Permutationen). Ein Fehlstand einer Permutation σ ∈
Sn ist die Anzahl der Paare (i, j) mit 1 ≤ i < j ≤ n, für die σ(i) > σ(j) gilt. Die Permutation
σ ∈ Sn heißt gerade, falls die Anzahl der Fehlstände gerade ist, und ungerade anderenfalls.
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Im Folgenden schreiben wir eine Permutation σ ∈ Sn in Matrixschreibweise:
1
2
3
4
···
n
σ(1) σ(2) σ(3) σ(4) · · · σ(n)
Beispiel 26.2. Die 3!
folgende Parität.
1 2
1 2
1 2
1 3
1 2
2 1
1 2
2 3
1 2
3 1
1 2
3 2
= 6 Permutationen der Gruppe S3 haben die folgende Fehlstände und die
3
3
3
2
3
3
3
1
3
2
3
1
X
gerade
{2, 3}
ungerade
{1, 2}
ungerade
{1, 2}, {1, 3}
gerade
{1, 3}, {2, 3}
gerade
{1, 2}, {1, 3}, {2, 3}
ungerade
Proposition 26.2. Die Teilmenge An ⊆ Sn der symmetrischen Gruppe der geraden Permutationen
bildet eine Untergruppe, die sogenannte alternierenden Gruppe An .
Beweis. Man sieht leicht ein, dass eine Permutation σ ∈ Sn genau dann gerade ist, wenn
Y σ(j) − σ(i)
>0
j−i
1≤i<j≤n
ist. Seien σ, τ ∈ An . Dann gilt
Y σ(τ (j)) − σ(τ (i))
Y τ (j) − τ (i)
Y σ(τ (j)) − σ(τ (i))
=
·
> 0,
j−i
τ (j) − τ (i)
j−i
1≤i<j≤n
1≤i<j≤n
1≤i<j≤n
da sowohl σ als auch τ gerade sind und τ eine Permutation ist. Also ist die Menge An abgeschlossen unter der Verknüpfung ◦. Da auch die identische Permutation gerade ist und in An liegt, ist die
Menge An eine Untergruppe. Die zweite Behauptung folgt, da es genau gleich viele gerade wie
ungerade Permutationen gibt.
Satz 26.3. Die Ikosaedergruppe I ist isomorph zur alternierenden Gruppe A5 .
Beweis. Die Ikosaedergruppe I 0 induziert 60 paarweise verschiedene Permutationen der Menge
{K1 , K2 , K3 , K4 , K5 }. Man kann anhand der Zyklenstruktur überprüfen, dass all diese Permutationen gerade Permutationen sind. Diese 60 Permutationen sind aus Kardinalitätsgründen eine
vollständige Liste aller geraden Permutationen.
Bemerkung 26.4. Die volle Ikosaedergruppe I 0 hat 120 Elemente und enthält neben den Drehungen aus I Spiegelungen, die Punktspiegelung P am Ursprung und Rotospiegelungen. Jedes
Element f ∈ I 0 ist von der Form f = D oder f = DP für ein D ∈ I. Auf diese Weise erhalten
wir einen Gruppenisomorphismus I 0 ∼
= A5 × (Z/2Z). Warnung: Es gilt I 0 6∼
= S5 , obwohl beide
Gruppen 120 Elemente enthalten.
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