Thieme: Fallbuch Psychiatrie

Werbung
Abwehr auf Schmerzreize
–
–
–
–
–
ja – nein?
gezielt – ungezielt?
seitengleich – halbseitig – halbseitig gekreuzt?
Streck−/Beugesynergismen?
Tonus?
Meningismus
– Nackensteifigkeit? Cave: Nach Trauma bei Verdacht auf
Halswirbelsäulen−Instabilität nicht prüfen!
Pupillenweite
– Lichtreaktion?
– Isokorie – Anisokorie?
Bulbi
–
–
–
–
–
okulozephaler Reflex
– positiv – negativ?
~schwimmend“?
divergent?
konjugierte Blickwendung?
spontane vertikale Bulbusbewegungen?
Nystagmus?
Kornealreflex
– einseitig/beidseitig abgeschwächt oder aufgehoben?
Muskeleigenreflexe/
Fremdreflexe/
pathologische Reflexe
– Eigenreflexe seitendifferent, abgeschwächt, gesteigert?
– Babinski einseitig – beidseitig?
– Bauchhautreflex seitendifferent?
Fall
Therapie: Die Behandlung der akuten Bewusst−
seinsstörung richtet sich nach der zugrunde lie−
genden Ursache.
3
Psychopathologischer Befund
3.1 Begründen Sie anhand der Definitionen
der Begriffe Psychiatrie, Psychologie und Psy−
chopathologie, warum der Patient durch die
Polizei bei Ihnen vorgestellt wird!
K Definitionen:
– Psych−: griech. Seele, Gemüt
– Psychiatrie: griech. Seelenheilkunde
– Psychologie: Wissenschaft vom Verhalten
und Erleben der Seele bzw. des Menschen
– Psychopathologie: Beschreibung abnormen
Erlebens, Befindens und Verhaltens
K Begründung: Der Polizei war das Verhalten
des Patienten abnorm erschienen, so dass sie
ihn durch einen Experten für Seelenheilkunde
(Psychiater) untersuchen lassen wollte.
Fall 3 Seite 4
aus: Becker-Pfaff, u.a., Fallbuch Psychiatrie (ISBN 9783131401823) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
Antworten und Kommentar
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN
Glasgow−Coma−Scale
Pathologische Bulbusstellung zur Differenzialdiagnostik bei tiefem Koma
Therapie der akuten BewusstseinsstoÃrung entsprechend der AÃtiologie
Fall 3
71
3.2 Welche Bereiche des psychischen Erlebens
müssen Sie im Rahmen eines psychopatholo−
Bereich
gischen Befundes beschreiben? Nennen Sie für
die einzelnen Bereiche mögliche Abweichungen!
Mögliche Abweichungen
Äußere Erscheinung
Ungepflegt, verwahrlost, erschöpft, devot, abgebaut
Bewusstseinszustand,
Vigilanz
Wach, somnolent, soporös, komatös, delirant, umdämmert, fluktuie−
rend, überwach
Aufmerksamkeit,
Konzentration
Reduziert, desinteressiert, zerstreut, abgelenkt, wechselnd, fahrig, ge−
langweilt
Orientiertheit (Person, Unsicher orientiert, verwirrt, ratlos, lückenhaft, desorientiert, fehl−
Ort, Zeit, Situation)
orientiert, uninformiert
72
Fall
3
Kontaktaufnahme, In−
teraktion
Freundlich, angepasst, überangepasst, negativistisch, ablehnend, ver−
schlossen, introvertiert, extrovertiert, gehemmt, scheu, feindselig, ag−
gressiv, distanzlos, unkooperativ, vorsichtig, hilflos
Psychomotorik,
Antriebsverhalten
Stuporös, kataton, verlangsamt, umtriebig, manieriert, unruhig, getrie−
ben, impulsiv, erregt, stereotyp, ruhig
Sprechweise, Sprache
Mutistisch, leise, monoton, aphasisch, danebenredend, stotternd, ton−
los, gepresst, überlaut, logorrhoisch, neologistisch, konfabulierend
Kontrolle, Steuerung,
Gelockerte oder aufgehobene Impulskontrolle, impulsiv, gelockert, ge−
spannt, verkrampft, hartnäckig, ziellos
Antworten und Kommentar
Denkabläufe (formales Gehemmt, gesperrt, verlangsamt, verworren, inkohärent, perseverie−
Denken)
rend, weitschweifig, ideenflüchtig, sprunghaft, zerfahren, eingeengt,
grüblerisch, gedrängt
Denkinhalte (inhaltli−
ches Denken)
Wahnhaft (hypochondrisch, misstrauisch, zwanghaft, paranoid, de−
pressiv), bizarr, überwertige Ideen
Intelligenz, intellek−
tuelles Niveau
Hochbegabt, im unteren oder oberen Normbereich, minderbegabt, de−
bil
Mnestische Funktio−
nen (Alt−, Neu−
gedächtnis)
Zerstreut, lückenhaft, vergesslich, retrograd oder anterograd amne−
stisch, verfälscht
Gestimmtheit, Affekti− Bedrückt, depressiv, pessimistisch, ratlos, parathym, ängstlich, gereizt,
vität
misstrauisch, feindselig, verzweifelt, läppisch, dysphorisch, heiter, ge−
hoben, hyperthym, euphorisch, ekstatisch
Affektive Resonanz
Eingeengt, verflacht, verarmt, bewegt, blockiert, affektlabil, affektin−
kontinent, überschießend
Wahrnehmung
Sensitiv, situationsverkennend, verzerrt, unwirklich, gesteigert, Hallu−
zinationen (z. B. optische, akustische, zönästhetische, olfaktorische)
Ich−Erleben
Fremdbeeinflussung, Gedankenentzug, −eingebung, −ausbreitung, De−
realisation, Depersonalisation
Gesamtpersönlichkeit, Motivation, Ich−Stärke, Belastbarkeit, Tagesrhythmik, Aggravation, Si−
Charakterzüge
mulation, Sexualität
Hinweise auf
Drogeneinnahme
Einstichstellen, Abszesse, vegetative Symptome, Foetor alcoholicus
Krankheitsgefühl,
Krankheitseinsicht
Leidensdruck, Krankheitseinsicht, Behandlungseinsicht, Compliance,
Freiwilligkeit der Behandlung
Suizidalität
Ruhe− oder Todeswünsche, Suizidgedanken, Suizidimpulse, Hand−
lungsrelevanz
Fall 3 Seite 4
aus: Becker-Pfaff, u.a., Fallbuch Psychiatrie (ISBN 9783131401823) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
3.3 Welche Psychopathologie koÃnnen Sie bei
dem Patienten beschreiben?
K Äußere Erscheinung: leicht ungepflegtes Äu−
ßeres; witterungsinadäquat bekleidet
K Bewusstseinszustand: wach
K Aufmerksamkeit und Konzentration: soweit
beurteilbar ungestört
K Kontaktaufnahme: vorsichtig, freundlich, hilf−
los
K Psychomotorik: ruhig
K Antrieb: leicht angetrieben
K Sprache: Perseverationen des Wortes Alexan−
der
K Affektivität: freundlich, etwas parathym
K Hinweise auf Drogeneinnahme: leichte Alko−
holisierung
K Nicht beurteilbar sind wegen Verständnis−
schwierigkeiten: Orientierung, Gedächtnis, in−
haltliches Denken, Sinnestäuschungen, Ich−
Störungen, formales Denken, Intelligenz, Per−
sönlichkeitsmerkmale, Krankheitsgefühl und
Krankheitseinsicht
3.4 Was tun Sie?
K Anruf beim Bekannten des Patienten und
Überprüfung seiner Angaben
K Bei Verifizierung Entlassung
KOMMENTAR
Definition: Der psychophathologische Befund
dient der Beschreibung der psychischen Funk−
tionen, der Symptomatik und der Syndromato−
logie eines Patienten. Dabei kann eine standardi−
sierte Liste von psychischen Merkmalen hilfreich
sein, um einen lückenlosen Status zu erheben. Die−
ser dient maßgeblich der Diagnostik und der (häu−
fig symptomorientierten) Therapie.
Fall 3 Seite 4
aus: Becker-Pfaff, u.a., Fallbuch Psychiatrie (ISBN 9783131401823) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
73
3
Antworten und Kommentar
Klassifikationssysteme: Aufgrund der Komplexi−
tät psychischer Erkrankungen und deren Phäno−
menologie wurden unterschiedliche Diagnosesys−
teme und diagnostische Kriterien entwickelt (z. B.
die unterschiedlichen Definitionen der Schizo−
phrenie durch Bleuler und Schneider). Um eine
internationale Vergleichbarkeit und eine einheitli−
che Kommunikationsform zwischen Ärzten und
anderen Institutionen des Gesundheitswesens zu
ermöglichen, wurden Klassifikationssysteme ent−
wickelt. Die derzeit aktuellsten sind die ICD−10
(International Classification of Diseases, 10. Revi−
sion, verbindliches Klassifizierungssystem der
WHO) und das DSM−IV (Diagnostic and Statistical
Manual of mental Disorders, 4. Revision, haupt−
sächlich in den USA eingesetzt). Diese beschreiben
detailliert die notwendigen psychopathologi−
schen Befunde sowie Schweregrade und Zeit−
dauern, die erfüllt sein müssen, um eine be−
stimmte Diagnose stellen zu können. Dadurch
sind sie in der Psychiatrie viel bedeutsamer als in
den somatisch−orientierten Fachgebieten, wo eine
Pneumokokken−Pneumonie eben eine Pneumo−
kokken−Pneumonie ist. Eine Depression ist aber
eben nicht nur eine Depression, sondern kann
leicht oder schwer ausgeprägt sein, als Reaktion
auf ein Trauma oder ohne erkennbaren Grund auf−
treten. Kritiker führen an, dass dabei Psychodyna−
mik und Ätiologie in diesen Klassifikationssyste−
men häufig nicht berücksichtigt werden und es
nur eine scheinbare Klassifikation des Einzel−
schicksals geben kann. Bei strikter Anwendung
der Klassifikationen und daraus abzuleitender Be−
handlungsstrategien droht die Individualität des
Patienten und die seiner Erkrankung verloren zu
gehen, was die Behandlung um einen entscheiden−
den, individuellen Faktor schmälert.
Fall
Bedeutung: Seltene Fälle wie dieses Fallbeispiel
veranschaulichen zum einen, welch wichtiges
Werkzeug die Sprache für die Psychiatrie ist, zum
anderen die Bedeutung des psychopathologischen
Befundes. Die Ankündigung eines verwirrten 29−
jährigen Mannes durch die Polizisten lässt den im
psychiatrischen Diagnostizieren Geübten schnell
an eine Intoxikation, eine Psychose oder eine
schwere körperliche Erkrankung denken, was mas−
sive Maßnahmen zur Folge hätte. Trotz der Verwir−
rung während der Untersuchung sind psychopa−
thologische Hinweise zu gewinnen. Auch in der
Nichtbeurteilbarkeit einiger wesentlicher Punkte
liegen Hinweise, denn die jeweiligen Pathologien
können zumindest nicht ausgeprägt vorliegen.
Auch ein nicht sprechender Patient kann seine
Desorientierung zeigen, wenn er sich situationsin−
adäquat verhält. Dieser Patient vermittelt jedoch
nur seine Hilflosigkeit, die dann aufgeklärt werden
kann. Der psychopathologische Befund dient ne−
ben der objektiven Dokumentation dem Ordnen
der oft komplexen psychiatrischen Situationen. Er
ist wie ein Puzzle, mit dem man das psychische
Verhalten und Erleben eines Patienten sehr detail−
liert zusammensetzen kann. Diese Beschreibung
ist als Grundlage für jede psychiatrische Diagnos−
tik unentbehrlich. Ein Puzzlestein kann eine kom−
plette Diagnose verändern: So kann eine Sinnes−
täuschung in Verbindung mit einer akuten Des−
orientiertheit auf ein Delir hinweisen, während
die Sinnestäuschung in Kombination mit einem
Erleben des Gedankenentzugs wichtiger Hinweis
auf eine schizophrene Erkrankung ist. Je genauer
der psychopathologische Befund beschrieben wird,
umso besser kann die Erkrankung des Patienten
diagnostiziert und behandelt werden.
ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN
Unterschiedliche Definitionen von Symptom, Syndrom und Erkrankung
Definitionen der einzelnen Beschreibungen psychopathologischer Befunde
Weitere Aspekte der psychiatrischen Untersuchung (z. B. neuropsychologische Untersu−
chung)
Anamneseerhebung in der Psychiatrie/Explorationsmethoden
Fall 4
74
Fall
4
Wahnhafte Störung
4.1 Beschreiben Sie die inhaltlichen Denk−
störungen der Patientin!
Komplexer systematisierter Wahn mit Aspekten
eines
K paranoiden Wahns: Verfolgung durch Rechts−
anwalt und Sozialarbeiterin
K Beziehungswahns: verstrickte Beziehungen
zwischen den einzelnen in den Wahn einge−
bundenen Personen, die alle in Beziehung zu
der Patientin stehen
K Liebeswahns: Verliebt sein des Rechtsanwalts
in die Patientin
K sexuellen Wahns: Vergewaltigung durch den
Rechtsanwalt
K Größenwahns: adlige Eltern und großes zu er−
bendes Vermögen
Antworten und Kommentar
4.2 Definieren Sie den Begriff Wahn!
Inhaltliche Denkstörung mit extremer Fehlbeur−
teilung der Realität, die mit weitgehend erfah−
rungsunabhängiger Gewissheit vertreten wird,
auch wenn sie im Widerspruch zur Wirklichkeit
der Mitmenschen steht.
4.3 Welche verschiedenen Arten des Wahn−
erlebens kennen Sie?
K Wahnstimmung: subjektive Stimmung, in der
etwas anders, seltsam, fremd, bedeutungsvoll
oder vieldeutig ist; häufig resultiert große Ver−
ängstigung
K Wahnwahrnehmung: realistische Wahrneh−
mung bekommt wahnhafte Bedeutung (z. B.
wird tatsächlicher Zigarettenrauch zum Gift−
angriff)
K Wahneinfall: plötzlicher wahnhafter Gedanke
K Systematisierter Wahn: Wahnsystem, das
dem Patienten in sich schlüssig und logisch
erscheint und in dem sich häufig Wahneinfälle
mit Wahnwahrnehmungen verknüpfen
K Wahnthemen: Beziehungs−, Verfolgungs−,
Größen−, Eifersuchts−, Schuld−, Verarmungs−,
Liebes−, Dermatozoenwahn, Hypochondrie,
Nihilismus
K Cave: Abzugrenzen ist die ~überwertige Idee“:
inhaltliche Denkstörung ohne das Kriterium
der Unkorrigierbarkeit
4.4 Grenzen Sie die wahnhafte Störung von
einer paranoid−halluzinatorischen Schizophre−
nie ab! Welche Diagnose stellen Sie bei dieser
Patientin?
K Wahnhafte Störung: Wahnerleben des Pati−
enten dominierend, andere psychopathologi−
sche Befunde wie formale Denkstörungen oder
Affektstörungen im Hintergrund; oft jahrelang
unbehandelt, da das Funktionieren im Alltag
häufig nicht sehr beeinträchtigt ist
K Paranoid−halluzinatorische Schizophrenie:
größere und deutlichere Vielfalt psychopatho−
logischer Symptome v. a. in den Bereichen for−
male Denkstörungen (z. B. Denkbeschleuni−
gung, Denkhemmung, Denkzerfahrenheit),
inhaltliche Denkstörungen (Wahn), Sinnestäu−
schungen und Ich−Störungen (z. B. Derealisa−
tion, Depersonalisation, Gedankenausbrei−
tung); häufig sehr auffällig und schnell in
Behandlung
K Verdachtsdiagnose: Wahnhafte Störung (nach
ICD−10: F22.0), weil sich andere psychopatho−
logische Symptome in der Fallbeschreibung
nicht finden.
4.5 Würden Sie der Patientin ein Antidepres−
sivum verordnen? Begründen Sie Ihre Ansicht!
Nein; Begründung:
K Psychose− und wahnfördernde Wirkung der
Antidepressiva
K Unterstützung der Verleugnung der Realität
durch die Patientin
K Antidepressiva erst bei Entwicklung eines de−
pressiven Syndroms nach erfolgter neurolepti−
scher Therapie indiziert
KOMMENTAR
Definition: Die wahnhafte Störung (altes und
missverständliches Synonym: Paranoia, paranoide
Psychose) ist eine psychotische Erkrankung, die
unterschiedlich definiert wird. Einige Autoren
zweifeln die Existenz der wahnhaften Störung an,
da bei sorgfältiger Untersuchung doch häufig Epi−
soden von Denkstörungen und Störungen des Ich−
Erlebens exploriert werden können und damit die
Fall 4 Seite 5
aus: Becker-Pfaff, u.a., Fallbuch Psychiatrie (ISBN 9783131401823) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
Herunterladen