Essstörungen

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BAS-Website: „Nichtstoffgebundene Abhängigkeitserkrankungen“
Essstörungen
U. Buchner
02.09.2009
Essstörungen
1. Definition
Essstörungen gehören nicht im klassischen Sinn zu den Süchten. In Deutschland legen allerdings die Bezeichnungen Magersucht und Ess-Brech-Sucht eine Ähnlichkeit zu Abhängigkeitserkrankungen nahe. Da sich – wie seit vielen Jahren aus den Statistiken der Suchthilfe
hervorgeht – auch Menschen mit einer Essstörung an eine Suchthilfeeinrichtung wenden, ist
in diesem Bereich ein Bewusstsein für die Erkrankung sowie die Kenntnis der Diagnostik,
Komorbidität und des Gefährdungspotenzials der Krankheit notwendig.
Im DSM-IV werden die Essstörungen in einem gesonderten Kapitel erfasst. Dabei wird momentan primär zwischen zwei Subtypen – Magersucht (Anorexia Nervosa) und Ess-BrechSucht (Bulimia Nervosa) – unterschieden. Zudem wird in den Nicht näher bezeichneten Essstörungen als eine der sechs Untergruppen die Fresssucht (Binge-Eating-Störung) aufgeführt. Eine genauere Definition der Binge-Eating-Störung findet sich im Anhang des DSM-IV.
Hier werden die Forschungskriterien genannt, an denen sich die derzeitigen Untersuchungen
orientieren. Für die Neuauflage des DSM (voraussichtlich 2012) wird eine neue Eingruppierung der verschiedenen Essstörungen mit dem Ziel diskutiert, die Binge-Eating-Störung
gleichberechtigt neben Anorexia Nervosa und Bulimia Nervosa zu stellen.
Eine einfache Adipositas gilt nicht als Essstörung und wird im ICD-10 als medizinischer
Krankheitsfaktor geführt, da es bislang keinen Nachweis gibt, dass Adipositas regelmäßig
mit einem psychologischem oder einem Verhaltenssyndrom einhergeht.
2. Phänomenologie/ Begrifflichkeiten
Essstörungen sind kein neues Phänomen. Schon im antiken Rom gab es Berichte über Gelage mit künstlich herbeigeführtem Erbrechen. Im Mittelalter kamen Hungerkünstler oder
Wundermädchen auf, die durch ihr langes Fasten berühmt wurden. 1873 wurde die Magersucht erstmalig von dem französischen Arzt Ernest-Charles Laségue beschrieben. Ein Jahr
später veröffentlichte der Engländer William Gull Fallberichte zu magersüchtigen Patienten.
Seitdem haben sich Beschreibung und Einordnung der Krankheit immer wieder gewandelt.
So waren bspw. im DSM-III-R sowohl Anorexia wie auch Bulimia noch unter den Störungen
im Kindes- und Jugendalter enthalten.
Bei einer Essstörung liegt der Kernpunkt – wie aus der Bezeichnung der Krankheit hervorgeht – in einem gestörten Essverhalten. Bei der Magersucht steht das Bemühen im Vordergrund, primär durch Nahrungsverzicht ein möglichst niedriges Gewicht zu erreichen. Bei der
Ess-Brech-Sucht kommt es zu einem Kreislauf aus Hungerphasen und Fressattacken. Diesen Fressattacken wird in der Regel mit einem sog. „Purging“-Verhalten – gegensteuernde
Maßnahmen wie Erbrechen, Einnahme von Laxantien, Diuretika o.ä. – entgegengewirkt.
Während zunächst die Fressattacke im Vordergrund steht, verschiebt sich häufig der Fokus
im Verlauf der Erkrankung auf die Erleichterung, die bei der Durchführung der gegensteuernden Maßnahme entsteht. Bei der Fresssucht finden ebenfalls Fressattacken statt. Im
Gegensatz zur Ess-Brech-Sucht kommt es hier allerdings nicht zu gegensteuernden Verhaltensweisen.
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3. Diagnose/ Differentialdiagnostik
Magersucht (Anorexia Nervosa)
Die am längsten bekannte und am besten untersuchte Form der Essstörung ist die Magersucht. Als Prototyp berühmter (historischer) Persönlichkeiten mit einer Magersucht gilt bis
heute Franz Kafka, der in seiner Erzählung Der Hungerkünstler (1924) autobiographisch das
Erleben eines Magersüchtigen beschreibt. Der deutsche Begriff Magersucht spiegelt den
Kern der Erkrankung wider: Die PatientInnen weigern sich, ein Minimum des normalen Körpergewichts zu halten und haben große Angst vor einer Gewichtszunahme. Hinzu kommt
eine Störung der Wahrnehmung der eigenen Figur und des Körperumfangs (Körperschemastörung). Bei Frauen, bei denen die Periode bereits eingesetzt hatte (postmenarchale Frauen), bleibt zudem die Periode aus.
Diagnostische Kriterien für 307.1 (F50.00; F50.01) Anorexia Nervosa (DSM-IV-TR)
A.
Weigerung, das Minimum des für Alter und Körpergröße normalen Körpergewichts zu halten (z.B. der
Gewichtsverlust führt dauerhaft zu einem Körpergewicht von weniger als 85% des zu erwartenden Gewichts; oder das Ausbleiben einer während der Wachstumsperiode zu erwartenden Gewichtszunahme
führt zu einem Körpergewicht von weniger als 85% des zu erwartenden Gewichts).
B. Ausgeprägte Ängste vor einer Gewichtszunahme oder davor, dick zu werden, trotz bestehenden Untergewichts.
C. Störung in der Wahrnehmung der eigenen Figur und des Körpergewichts, übertriebener Einfluss des
Körpergewichts oder der Figur auf die Selbstbewertung, oder das Leugnen des Schweregrads des gegenwärtigen geringen Körpergewichts.
D. Bei postmenarchalen Frauen das Vorliegen einer Amenorrhoe, d.h. das Ausbleiben von mindestens drei
aufeinanderfolgenden Menstruationszyklen (Amenorrhoe wird auch dann angenommen, wenn bei einer
Frau die Periode nur nach Verabreichung von Hormonen, z.B. Östrogen, eintritt).
Bestimme den Typus:
Restriktiver Typus (F50.00): Während der aktuellen Episode der Anorexia Nervosa hat die Person keine
regelmäßigen „Fressanfälle“ gehabt und hat kein „Purging“-Verhalten (das heißt selbstinduziertes Erbrechen
oder Missbrauch von Laxantien, Diuretika oder Klistieren) gezeigt.
„Binge-Eating/Purging“-Typus (F50.01): Während der aktuellen Episode der Anorexia Nervosa hat die
Person regelmäßig Fressanfälle gehabt und hat „Purging“-Verhalten (das heißt selbstinduziertes Erbrechen
oder Missbrauch von Laxantien, Diuretika oder Klistieren) gezeigt.
Bei der Differentialdiagnose müssen zunächst andere mögliche Ursachen für den Gewichtsverlust ausgeschlossen werden, insbesondere bei atypischen Symptomen. Als andere Ursachen kommen etwa medizinischen Krankheitsfaktoren, z.B. gastrointestinale Erkrankungen,
Hirntumore, verborgene Malignitäten oder AIDS, in Frage. Auch bei anderen psychischen
Erkrankungen kann es zu einem erheblichen Gewichtsverlust kommen, etwa bei einer Major
Depression. Im Gegensatz zur Anorexia Nervosa ist die Gewichtsabnahme aber weder gezielt angestrebt noch ist eine Zunahme mit erheblichen Ängsten besetzt.
In einigen Teilbereichen weist eine Anorexia Nervosa Überschneidungen mit den Kriterien
der Sozialen Phobie, der Zwangsstörung oder der Körperdysmorphen Störung auf. Wenn
sich die sozialen Ängste nicht allein auf das Essverhalten beschränken, kann eine zusätzliche Diagnose der Sozialen Phobie in Betracht gezogen werden. Analog dazu sollte die
Diagnose der Zwangsstörung angedacht werden, wenn es sich um nicht nahrungsbezogene
Zwangshandlungen bzw. -gedanken handelt. Ebenso sollte die Diagnose der Körperdysmor-
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phen Störung nur vergeben werden, wenn sich die Störung nicht auf Figur und Körperumfang bezieht.
Ess-Brech-Sucht (Bulimia Nervosa)
1979 beschrieb Gerald Russell in Psychological Medicine erstmals das klinische Bild einer
Bulimia Nervosa. Bereits 1980 wurde die Störung in das DSM-III-R mit aufgenommen.
Im Gegensatz zu den PatientInnen mit einer Magersucht sind die PatientInnen mit Bulimia
Nervosa in der Regel normalgewichtig. Es ist aber auch ein Unter- oder Übergewicht möglich. Auch hier beschreibt die deutsche Bezeichnung das Krankheitsbild: Die Betroffenen
geraten in einen Teufelskreis aus Fasten, Fressanfällen und Erbrechen bzw. einer anderen
gegensteuernden Maßnahme. Sie sind mit ihrem Körperbild unzufrieden und haben – wie
auch die Magersüchtigen – Angst vor einer Gewichtszunahme. Die Fressanfälle – früher
wurde die Bezeichnung Heißhungerattacken verwendet, der allerdings nicht das tatsächliche
Verhalten spiegelt – werden als nicht kontrollierbar erlebt und finden zumeist im Verborgenen statt. Bulimia Nervosa ist eine versteckte Erkrankung und für die Betroffenen zumeist mit
starker Scham besetzt.
Diagnostische Kriterien für 307.51 (F50.2) Bulimia Nervosa (DSM-IV-TR)
Wiederholte Episoden von „Fressattacken“. Eine „Fressattacken“-Episode ist gekennzeichnet durch beide
der folgenden Merkmale:
(1) Verzehr einer Nahrungsmenge in einem bestimmten Zeitraum (z.B. innerhalb einer Zeitraums von
2 Stunden), wobei diese Nahrungsmenge erheblich größer ist, als die Menge, die die meisten Menschen unter vergleichbaren Umständen essen würden.
(2) Das Gefühl, während der Episode die Kontrolle über das Essverhalten zu verlieren (z.B. das Gefühl,
weder mit dem Essen aufhören zu können, noch Kontrolle über Art und Menge der Nahrung zu haben).
F. Wiederholte Anwendung von unangemessenen, einer Gewichtszunahme entgegensteuernde Maßnahmen, wie z.B. selbstinduziertes Erbrechen, Missbrauch von Laxantien, Diuretika, Klistieren oder anderen
Arzneimitteln, Fasten oder übermäßige körperliche Betätigung.
G. Die „Freßattacken“ und das unangemessene Kompensationsverhalten kommen drei Monate lang im
Durchschnitt mindestens zweimal pro Woche vor.
H. Figur und Körpergewicht haben einen übermäßigen Einfluss auf die Selbstbewertung.
I. Die Störung tritt nicht ausschließlich im Verlauf von Episoden einer Anorexia Nervosa auf.
Bestimme den Typus:
„Purging“-Typus: Die Person induziert während der aktuellen Episode der Bulimia Nervosa regelmäßig erbrechen oder missbraucht Laxantien.
„Nicht-Purging“-Typus: Die Person hat während der aktuellen Episode der Bulimia Nervosa andere unangemessene, einer Gewichtszunahme gegensteuernde Maßnahmen gezeigt wie beispielsweise Fasten oder
übermäßige körperliche Betätigung, hat aber nicht regelmäßig Erbrechen induziert oder Laxantien, Diuretika
oder Klistiere missbraucht.
E.
Ein gestörtes Essverhalten kann auch bei bestimmten neurologischen oder medizinischen
Krankheitsfaktoren auftreten, allerdings fehlen dann die für die Bulimia Nervosa charakteristischen psychologischen Merkmale, wie die übermäßige Besorgtheit bezüglich der Figur und
des Körpergewichts. Bei der Major Depression Mit Atypischen Merkmalen ist das übermäßige Essen häufig, jedoch fehlen hier das unangemessene Kompensationsverhalten sowie die
Besorgtheit hinsichtlich der Figur und des Körpergewichts. Im Rahmen einer BorderlinePersönlichkeitsstörung ist im Kriterium für impulsives Verhalten das Fressanfall-Verhalten
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enthalten. Auch hier können, wenn die Kriterien für beide Störungen vollständig erfüllt sind,
beide Diagnosen vergeben werden.
Fresssucht (Binge-Eating-Störung)
Bereits 1959 führte Albert Stunkard den Begriff der Binge-Eating-Störung ein. Über die genaue Einordnung der Störung in der Neuauflage des diagnostischen Manuals DSM-V wird
derzeit noch diskutiert. Eine Reihe von Untersuchungen sprechen dafür, die Störung gleichrangig neben der Magersucht und der Ess-Brech-Sucht einzuordnen.
Bei der Fresssucht leiden die Betroffenen unter für sie nicht kontrollierbaren Fressanfällen.
Dabei werden diese Fressanfälle analog denen der Ess-Brech-Sucht definiert. Auch bei der
Fresssucht setzen die Betroffenen in der Regel alles daran, ihre Erkrankung zu verheimlichen. Durch die übermäßige Nahrungsaufnahme ohne gegensteuernde Verhaltensweisen
entwickelt sich meist eine ausgeprägte Adipositas.
Da die Binge-Eating-Störung derzeit noch nicht als eigene Störung im DSM vorhanden ist,
gibt es auch noch keine diagnostischen Kriterien. Im DSM-IV finden sich allerdings Forschungskriterien, mit denen derzeit gearbeitet wird.
Forschungskriterien für die „Binge-Eating-Störung“ (DSM-IV-TR)
Wiederholte Episoden von „Fressanfällen“. Eine Episode von „Fressanfällen“ ist durch die beiden folgenden Kriterien charakterisiert:
(1) Essen einer Nahrungsmenge in einem abgrenzbaren Zeitraum (z.B. in einem zweistündigen Zeitraum), die definitiv größer ist als die meisten Menschen in einem ähnlichen Zeitraum unter ähnlichen
Umständen essen würden.
(2) Ein Gefühl des Kontrollverlustes über das Essen während der Episode (z.B. ein Gefühl, dass man mit
dem Essen nicht aufhören kann bzw. nicht kontrollieren kann, was und wie viel man isst).
B. Die Episoden von „Fressanfällen“ treten gemeinsam mit mindestens drei der folgenden Symptome auf:
(1) wesentlich schneller essen als normal,
(2) essen bis zu einem unangenehmen Völlegefühl,
(3) essen großer Nahrungsmengen, wenn man sich körperlich nicht hungrig fühlt,
(4) alleine essen aus Verlegenheit über die Menge, die man isst,
(5) Ekelgefühle gegenüber sich selbst, Deprimiertheit oder große Schuldgefühle nach dem übermäßigen
Essen.
C. Es besteht deutliches Leiden wegen der „Fressanfälle“.
D. Die „Fressanfälle“ treten im Durchschnitt an mindestens 2 Tagen in der Woche für 6 Monate auf.
Beachte: Die Methode zur Bestimmung der Häufigkeit unterscheidet sich von der, die bei Bulimia Nervosa benutzt wird; die zukünftige Forschung sollte thematisieren, ob die zu bevorzugende Methode für die
Festlegung einer Häufigkeitsgrenze das Zählen der Tage darstellt, an denen die „Fressanfälle“ auftreten
oder das Zählen der Episoden von „Fressanfällen“.
E. Die „Fressanfälle“ gehen nicht mit dem regelmäßigen Einsatz von unangemessenen kompensatorischen
Verhaltensweisen einher (z.B. „Purging-Verhalten“, fasten oder exzessive körperliche Betätigung) und sie
treten nicht ausschließlich im Verlauf einer Bulimia Nervosa auf.
A.
Übermäßiges Essen, das im Rahmen einer Major Depression beobachtet wird, beinhaltet
üblicherweise keine „Fressanfälle“. Wesentlich für die Diagnose einer Binge-Eating-Störung
ist das subjektive Gefühl der verminderten Kontrolle zusammen mit mindestens drei der Nebenmerkmale des Kriteriums B. Übermäßiges Essen an sich stellt keine Episode von „Fressanfällen“ dar.
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Nicht näher bezeichnete Essstörungen
Mit den Nicht näher bezeichneten Essstörungen wird eine sehr heterogene Gruppe bezeichnet. So finden sich hier die nicht voll ausgeprägten Varianten von Magersucht und Bulimie
ebenso wie die Binge-Eating-Störung. Es wird davon ausgegangen, dass etwa 3-5% der
Allgemeinbevölkerung betroffen sind; in Kliniken sind etwa 40% der Patienten mit Essstörungen aus dieser Gruppe.
4. Komorbidität und Folgen
Essstörungen treten häufig mit weiteren komorbiden psychischen Erkrankungen auf. Meist
handelt es sich dabei um
Depressionen, z.T. mit Suizidgedanken/-versuchen,
Angststörungen, soziale Phobien,
Substanzmissbrauch,
Zwangsstörungen,
Persönlichkeitsstörungen, besonders auch Borderline-Persönlichkeitsstörungen,
Selbstverletzungen sowie
ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung).
Bei allen Formen der Essstörung kann es neben den psychischen Beeinträchtigungen zu
gravierenden körperlichen Folgen kommen.
Bei einer Magersucht tritt definitionsgemäß eine Amenorrhoe auf. Daneben kommt es häufig
zu Verstopfung, Bauchschmerzen und Kälteunverträglichkeit. Als häufigster körperlicher Befund finden sich Auszehrung, Hypotension, Hypothermie (Unterkühlung), Hauttrockenheit,
Lanugobehaarung (feine, flaumige Körperbehaarung), Bradykardie sowie periphere Ödeme.
Durch die Mangelernährung kann es außerdem zu normochromen, normozytischen Anämie,
verschlechterte Nierenfunktion verbunden mit chronischer Dehydrierung und Hyperkaliämie,
kardiovaskuläre Störungen (extrem niedriger Blutdruck, Arrhytmien), Zahnprobleme und Osteoporose kommen.
Bei einer Bulimia Nervosa führt das häufige Erbrechen zu erheblichem und dauerhaften
Zahnschmelzabbau. Die Zähne wirken ungepflegt und die Häufigkeit von Löchern in den
Zähnen ist erhöht. Durch das mechanische Auslösen des Erbrechens entstehen häufig auch
Narben oder Schwielen an den Händen. Bei manchen Betroffenen sind die Speicheldrüsen,
insbesondere die Ohrspeicheldrüsen, erheblich vergrößert. Die aus dem Purging resultierenden Schwankungen des Flüssigkeits- und Elektrolythaushalts können ernsthafte medizinische Folgen haben. Außerdem können Risse der Speiseröhre oder des Magen-DarmTraktes sowie Herzarrhytmien auftreten. Weitere Folgen können sein: akute Magendilatation
mit der Gefahr der Magenruptur, gastronintestinaler Reflux und Oesophagitis (Speiseröhrenentzündung), Durchfälle, chronische Verstopfung bis hin zur Darmlähmung. Tachykardien
und Schwitzen sowie chronische Heiserkeit und Halsschmerzen.
Bei der Binge-Eating-Störung verlieren die Betroffene jegliches Gefühl für Hunger. Als Folge
der Fressanfälle kann es zu akuter Magendilatation mit der Gefahr der Magenruptur kommen. Die Störung kann außerdem zu starkem Übergewicht mit allen seinen Nebenwirkungen
führen, z.B. kann es in der Folge zu stärkerem Schwitzen oder Atemproblemen, wie Kurz-
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atmigkeit, kommen. Als Folgeerkrankungen können außerdem verschiedene Herzkrankheiten, Gelenkabnutzungen, Stoffwechselstörungen, Schlafstörungen, ein erhöhtes Krebsrisiko (u.a. für Dickdarm-Krebs, Brust-Krebs und Gebährmutterhals-Krebs) sowie psychische
Belastungen auftreten.
5. Ätiologie
Es wird davon ausgegangen, dass verschiedene Fakoren die Entwicklung von Essstörungen
bedingen. Connors (1996) fasst die Risikofaktoren in ihrem Zwei-Komponenten-Modell zusammen:
Abbildung: Zwei-Komponenten-Modell von Essstörungen (nach Connors, 1996)
Risikofaktoren
für die Unzufriedenheit
mit dem eigenen Körper
Kontextbedingungen
Risikofaktoren
für Probleme mit der
Selbstregulation
Körperliche
EntwicklungsVeränderungen bedingungen
Negatives Körperbild
Sorge um das Gewicht
Diätverhalten
Diätverhalten aus „normaler Unzufriedenheit“
Elterliche Psycho- Trauma
pathologie
Temperament
und biologische
Vorbedingungen
Affektive Dysregulation
Niedriger Selbstwert
Unsicheres Bindungsverhalten
Essstörung
Andere Psychopathologie
Es gibt Belege für einzelne prädisponierende sowie aufrechterhaltende Faktoren, bislang
existieren allerdings noch wenige empirisch abgesicherte Erkenntnisse (Shaw, 2001).
Literatur:
Connors M E (1996). Developmental Vulnerabilities for Eating Disorders. In: Smolak L, Levine M P, StriegelMoore R (Hrsg.): The Developmental Psychopathology of Eating Disorders. Implications for Research, Prevention, and Treatment. Mahwah, New Yersey, USA: Lawrence Erlbaum Associates.
Shaw, R (2001). Essstörungen. In: Tretter F, Müller A (Hrsg.): Psychologische Therapie der Sucht. Göttingen:
Hogrefe.
6. Epidemiologie
Prävalenzstudien an Frauen in der späten Adoleszenz und im jungen Erwachsenenalter zeigen, dass etwa 0,5-1,0% dieser Gruppe alle Kriterien einer Magersucht erfüllen und 1-3% die
Kriterien einer Bulimie. Die Kriterien einer Nicht Näher bezeichneten Essstörung werden weitaus häufiger erfüllt, je nach Methodik liegen die Zahlen hier bei 5-35% für selbstinduziertes
Erbrechen und 30-80% für Fressattacken (Shaw, 2001). Von einer Magersucht sind etwa zu
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80% Frauen betroffen, bei Bulimie sind es über 90%. In den letzten Jahren scheinen die Fälle bei Männern zuzunehmen.
Die Langzeitmortalität beträgt bei in Universitätskliniken eingewiesenen Betroffenen 10%.
Die häufigsten Todesursachen sind dabei Verhungern, Suizid oder Elektrolytungleichgewicht.
7. Selbsthilfe/ Therapie
Aufgrund der schwerwiegenden körperlichen Auswirkungen, die Essstörungen mit sich bringen können, ist eine neurologische und internistische Abklärung bei Behandlungsbeginn
dringend zu empfehlen. Bei lebensbedrohlichem Untergewicht bei einer Magersucht muss
unter Umständen über eine Sondenernährung nachgedacht werden. Ausgeprägt kachektische Patienten sind aufgrund der sekundären Folgen des Hungerns, wie kognitive Einengung, durch psychotherapeutische Maßnahmen nur sehr begrenzt zu erreichen.
Bei körperlich stabilisierten Patienten sind verhaltenstherapeutische Maßnahmen wichtiger
Bestandteil der meisten Behandlungsprogramme. Häufig werden diese Maßnahmen durch
Psychoedukation, Ernährungsberatung, Selbstsicherheitstrainings sowie Elemente aus körperorientierten Verfahren und Entspannungstechniken ergänzt.
8. Literatur
Verwendete Literatur:
Connors M E (1996). Developmental Vulnerabilities for Eating Disorders. In: Smolak L, Levine M P, Striegel-Moore R (Hrsg.): The Developmental Psychopathology of Eating Disorders. Implications for Research, Prevention, and Treatment. Mahwah, New Yersey, USA:
Lawrence Erlbaum Associates.
Saß H, Wittchen H-U, Zaudig M (1998). Diagnostische Kriterien des Diagnostischen und Statistischen Manuals Psychischer Störungen DSM-IV. Huber: Göttingen. 2. Auflage. 1998.
Shaw, R (2001). Essstörungen. In: Tretter F, Müller A (Hrsg.): Psychologische Therapie der
Sucht. Göttingen: Hogrefe.
Weiterführende Literatur:
Bruch H (2004). Der goldene Käfig: Das Rätsel der Magersucht. Frankfurt: Fischer. 18. Auflage.
Bruch H (2004). Essstörungen. Frankfurt: Fischer. 9. Auflage.
Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS). Essstörungen. Suchtmedizinische Reihe,
Band 3. 1. Auflage 2004.
Fichter M (2008). Magersucht und Bulimie: Mut für Betroffene, Angehörige und Freunde.
Freiburg: Karger.
Smolak L, Levine M P, Striegel-Moore R (Hrsg.) (1996). The Developmental Psychology of
Eating Disorders. Implications for Research, Prevention, and Treatment. Mahwah, New Jersey, USA: Lawrence Erlbaum Associates.
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