männliche fliegen mit frisiertem chromosom

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Im Zellkern eines jeden höheren Organismus ist das Erbmaterial DNA auf engstem Raum verpackt. Dank flexibler
Anpassung seiner Struktur bleibt es dennoch funktionsfähig. Für seine Arbeiten zur Dynamik der beteiligten Strukturen
erhielt Professor Peter Becker in diesem Jahr die höchste deutsche Auszeichnung in der Forschung, den Gottfried Wilhelm
Leibniz-Preis. Sein Forschungsgebiet ist auch für die Medizin interessant, weil bei Krankheiten wie Krebs das Erbmaterial
in anomalem Zustand vorliegen kann.
SUSANNE WEDLICH
männliche fliegen mit frisiertem chromosom
W
enn männliche Taufliegen kompensieren, hat das nichts mit Imponiergehabe oder ähnlichen Extravaganzen zu
tun. Die Tiere können stattdessen einen außergewöhnlichen genetischen Trick vorweisen. Damit wollen sie
allerdings weniger ihre weiblichen Artgenossen beeindrucken, als vielmehr mit diesen mithalten. Diese Anstrengung
ist überhaupt nur nötig wegen einer Ungleichverteilung im Erbgut der beiden Geschlechter: Während die Weibchen
über zwei so genannte X-Chromosomen verfügen, müssen die Männchen mit einem einzigen Exemplar sowie einem
Y-Chromosom auskommen. Das Erbgut höherer Tiere setzt sich aus mehreren DNA-Molekülen, den Chromosomen,
zusammen. Diese enthalten bestimmte Abschnitte, welche die Information zur Synthese von Proteinen kodieren.
Solche kodierenden Abschnitte nennt man auch Gene. Auf dem X-Chromosom der Taufliege Drosophila melanogaster
beispielsweise liegen etwa 2200 Gene, was ungefähr einem Siebtel aller Gene dieser Art entspricht. Rund 800 davon
gelten als essentiell. Anders als das X-Chromosom ist das Y-Chromosom sehr genarm und spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle.
Weil weibliche Taufliegen über zwei X-Chromosomen verfügen, sollten darauf kodierte Proteine also in doppelter
Dosis hergestellt werden. Wie sich gezeigt hat, findet sich bei den Taufliegen-Männchen aber dieselbe Proteinmenge.
Es muss also ein Regulationsmechanismus vorhanden sein, der die unterschiedliche Chromosomen-'Dosis' ausgleichen kann. „In männlichen Fliegen ist die Genaktivität auf dem X-Chromosom doppelt so hoch wie bei den
Weibchen“, erklärt Professor Peter Becker von der Abteilung für Molekularbiologie des Adolf-Butenandt-Instituts der
LMU. „Diese Anpassung ist sogar nötig für das Überleben der Tiere.“ Und hier kommt das eingangs erwähnte
Kompensieren ins Spiel, denn die männlichen Tiere erreichen dies dank so genannter 'Dosis Kompensation'. Dieser
Mechanismus macht das männliche X-Chromosom hyperaktiv, sodass die Erbinformation genau doppelt so stark
genutzt wird wie die entsprechenden DNA-Moleküle der Weibchen. Maßgeblich an diesem Vorgang beteiligt ist der
dosage compensation complex oder DCC, der sich aus sechs Proteinen und zwei so genannten RNAs zusammensetzt.
RNA ist ein dem Erbmolekül DNA verwandtes Molekül. „Es ist aber möglich, dass noch weitere Komponenten zum
DCC gehören“, meint Peter Becker. „Wenn diese Faktoren eher allgemeine Aufgaben erfüllen, sind sie nicht so leicht
zu entdecken. Überhaupt gibt es beim Vorgang der dosage compensation bei Drosophila noch mehr Fragen als
Antworten.“
Immerhin konnten einige Punkte bereits geklärt werden. So ist beispielsweise bekannt, dass einer der Bausteine des
DCC in den Taufliegen-Weibchen nicht produziert wird, sodass der vollständige Komplex auch nicht gebildet werden
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3 Weibliche Drosophila. Auf ihrem X-Chromosom liegen etwa 2200 Gene, was ungefähr einem
Siebtel aller Gene dieser Art entspricht.
kann. Bei den Männchen dagegen erscheint der erste komplette DCC etwa drei
Stunden nachdem das Ei gelegt wurde. Der Komplex bindet an das X-Chromosom.
Die Bindung des DCC an das X-Chromosom wird vermutlich durch Erkennen von
spezifischen DNA-Sequenzen vermittelt. Die Suche nach diesen Bindungsdeterminanten gehört zu den spannendsten Projekten der Wissenschaftler um Peter
Becker. Allerdings konnten bislang noch keine eindeutig erkennbaren Codewörter,
die eine Bindung des DCC vermitteln, nachgewiesen werden. Solche Codewörter
sollten immer wieder auf dem X-Chromosom zu finden sein, aber nicht in den
übrigen Chromosomen der Taufliege auftauchen. „Es sind Mechanismen am Werk,
die sehr global auf ein ganzes Chromosom wirken“, so Peter Becker. „Wir wissen aber noch nicht, wie dies zu solch
einer subtilen Veränderung führen kann, dass die betroffenen Gene nur genau doppelt so aktiv sind. Diese Feinheiten
zu erklären haben wir uns zur Aufgabe gemacht.“
EIN PROBLEM – VIELE UNTERSCHIEDLICHE LÖSUNGEN
Auch bei anderen Arten findet sich eine entsprechende XX- versus XY-Verteilung der Chromosomen auf die
Geschlechter. Interessant ist, dass das Problem damit ähnlich ist, die Lösungen aber sehr unterschiedlich aussehen
können. Beim Menschen etwa ist immer eines der beiden X-Chromosomen in weiblichen Körperzellen stillgelegt, so
dass die Gene nicht aktiv werden können. Beim Fadenwurm Caenorhabditis elegans gibt es zwar keine Weibchen,
aber Hermaphroditen mit zwei X-Chromosomen. Die Aktivität der darauf liegenden Gene ist je um die Hälfte reduziert,
sodass auch hier ein Ausgleich stattfindet zu den Männchen mit nur einem X-Chromosom. Anders als bei Drosophila
ist aber in beiden Fällen die Genaktivität in den männlichen Zellen der Standard, dem sich die weiblichen Artgenossen
anpassen müssen – was auch die unterschiedliche Regulation erklären könnte. Trotzdem gibt es eine zugrundeliegende
Gemeinsamkeit der Dosis Kompensation bei Fliege, Wurm und Mensch: Die Anpassung der Genaktivität wird durch
eine Veränderung der Strukur erreicht, in der das Erbmaterial im Zellkern vorliegt.
Die DNA ist im Zellkern dicht verpackt. Dazu ist sie wie ein Faden um molekulare Spulen gewickelt, die aus jeweils
acht Histon-Proteinen bestehen. Eine solche Einheit aus Histonen und aufgewickelter DNA bildet ein Nukleosom.
Auf dieser Ebene ähnelt das Erbmaterial einer langen Kette aufgefädelter Perlen. Eine Vielzahl weiterer Proteine faltet
diese Kette dann in übergeordnete Strukturen. Die Gesamtheit aus DNA und Protein nennt man Chromatin. Die dichte
Verpackung der DNA ist nötig, weil das Erbmaterial sonst nicht im Zellkern unterkommen würde: Aneinandergelegt
messen die Chromosomen rund zwei Meter, während der Zellkern im Schnitt nur etwa sechs Mikrometer, also
Millionstel Meter, groß ist. „Das lässt sich sehr einfach veranschaulichen“, meint Peter Becker. „Wenn der Zellkern
die Größe eines Fußballs hätte, dann wäre die DNA ein sehr dünner Faden mit einer Länge von 1000 Kilometern.“
Aufgewickelt in den Nukleosomen passt die DNA zwar in den Zellkern, es stellt sich aber ein anderes Problem.
„Es geht nicht nur um die geordnete Verpackung“, erläutert der Forscher weiter. „Die Zugänglichkeit der Information
ist genauso wichtig.“ Vor der Zellteilung etwa muss die gesamte DNA zuverlässig verdoppelt werden. Zudem wird
das Erbmolekül auch permanent nach Schäden abgesucht, die repariert werden. In all diesen Fällen müssen molekulare
Maschinen an oft hoch spezifische Stellen der DNA binden können. Dies umso mehr bei einem Vorgang namens Transkription, bei dem die in den Genen niedergelegte Erbinformation abgelesen wird. In der Sequenz von Genen,
also der Abfolge ihrer Bausteine, steckt die eigentliche Information zum Bauplan der dazugehörigen Proteine. „Wenn
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Male
Female
also ein bestimmtes Protein benötigt wird, muss die Zelle das entsprechende Gen innerhalb von Sekunden oder
Minuten finden können“, berichtet Peter Becker. „Es leuchtet ein, dass die dichte Packung der DNA in Chromatin
einer Nutzung der Information entgegensteht, da bestimmte Bereiche des Erbmoleküls im Nukleosom durch die
Histone blockiert werden können. Allerdings wird in einer Zelle nur eine relativ geringe Zahl so genannter HaushaltsGene ununterbrochen genutzt.“ Für die meisten anderen Gene gilt, dass sie nur bei Bedarf aktiv werden, weil die
durch sie kodierten Proteine nur gelegentlich hergestellt werden müssen. Daher muss die Struktur des Chromatins
sehr dynamisch sein. „Gefordert ist ein geregeltes Auspacken jener DNA-Bereiche, deren Information genutzt werden
soll“, so der Molekularbiologe. „Die strukturellen Ebenen des Chromatins und die Prinzipien, die durch Änderung
der Verpackung eine Nutzung des Genoms ermöglichen, sind bisher aber nur in Umrissen verstanden.“
WIE TAUFLIEGENMÄNNCHEN KOMPENSIEREN
Einige Mechanismen sind bereits bekannt, die einen Umbau der Chromatin-Struktur erlauben. Oft sind die Histone
Angriffspunkt dieser Regulationen. Durch bestimmte chemische Modifikationen der Proteine können deren
Eigenschaften verändert werden. Das aber beeinflusst die Chromatin-Struktur und damit auch die Zugänglichkeit der
DNA. Ein Beispiel dafür ist eben die Dosis Kompensation in den männlichen Taufliegen: Damit die Gene auf deren
X-Chromosom doppelt so aktiv sein können, wird das Histon H4 modifiziert. Diese so genannte Acetylierung des
Proteins lässt sich im gesamten männlichen X-Chromosom nachweisen und spielt deshalb wohl eine wichtige Rolle
bei der Dosis Kompensation. Wie das Becker-Labor vor einigen Jahren zeigen konnte, sind aber auch die Nukleosomen
selbst Zielpunkt eines Mechanismus zur Strukturveränderung von Chromatin. Vorangegangen waren Experimente,
in denen verpackte DNA unter bestimmten Bedingungen plötzlich wieder zugänglich wurde. „Ein Hinweis auf die
Natur dieser mysteriösen Auflösung von Nukleosomen war, dass sie mit dem Verbrauch chemischer Energie
einherging“, berichtet Peter Becker. „Die Suche nach einem Energie verbrauchenden Faktor, der ein Nukleosom
beeinflussen kann, führte zur Isolierung des Chromatin Accessibility Complex, kurz CHRAC. Dabei handelt es sich
um eine molekulare Maschine, die aus vier Protein-Untereinheiten besteht. Deren Identität konnten wir in den letzten
Jahren aufklären.“ Die Münchener Wissenschaftler konnten zeigen, dass CHRAC die Verschiebung von Nukleosomen
entlang der DNA bewirkt. Kernstück dieses Vorgangs ist der Motor des Komplexes, das Energie verbrauchende Enzym
ISWI. „Uns gelang der Nachweis, dass CHRAC nicht etwa das Nukleosom abbaut und an anderer Stelle wieder aufbaut“, so Peter Becker. „Vielmehr wird die intakte Einheit auf der DNA verrutscht.“ Die DNA und einzelne Histone
sind durch eine Reihe schwacher chemischer Interaktionen aneinander gebunden. Weil aber eine Vielzahl derartiger
Verbindungen besteht, sind das Erbmolekül und die Proteine nur unter Energieverbrauch voneinander zu lösen. In
einem ersten Schritt wird dabei ein Stück DNA von der Oberfläche des Nukleosoms abgelöst, das dann als eine Art
Schlaufe um das Nukleosom herumwandert. Dieses Stück DNA wäre der neue so genannte Linker – das ist die
Region zwischen zwei Nukleosomen. Das Nukleosom selbst wäre um ein Stück auf der DNA verschoben.
Es ist wahrscheinlich, dass derartige Nukleosomen-Verschiebungen nicht nur bei Bedarf geschehen, sondern eine
permanente Umstrukturierung des Chromatins ermöglichen: DNA-erkennende Faktoren müssen so nur auf eine
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7 Aufbau des Dosis Kompensations-Komplexes (DCC). Im Fliegenmännchen (links) bewirkt die Expression von MSL2 die Stabilisierung der anderen Komplexkomponenten und koordiniert den Zusammenbau der Protein- und RNA-Untereinheiten zu einem stabilen
X-chromosomalen Komplex. Im Fliegenweibchen (rechts) wird das Protein sex-lethal (SXL) exprimiert, das die Produktion von MSL2
verhindert. Ohne MSL2 werden MSL1, MSL3 und roX in nur sehr geringen Mengen gebildet (hier durch Transparenz angedeutet),
sodass sich der Komplex nicht ausbildet.
'Chance' warten, bis eine geeignete Bindestelle zugänglich wird. „Der Proteinkomplex CHRAC ist nur einer von
mehreren Proteinkomplexen, die unter Energieverbrauch die Struktur von Nukleosomen verändern“, so Peter
Becker. „Sie alle ermöglichen die Beweglichkeit von Nukleosomen und leisten damit einen wesentlichen Beitrag zur
Chromatindynamik. Das wiederum ist notwendig für Veränderungen der Chromatinstruktur – die Grundlage jedweder
Genregulation.“ Diesen Mechanismen, die auf molekularer Ebene chemische Energie einsetzen, um Nukleosomenstrukturen zu verändern, sind die Forscher um Peter Becker auf der Spur. Für seine Arbeit an der Verbindung der
Chromatinstruktur und Genregulation erhielt der LMU-Forscher in diesem Jahr den Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis.
Diese höchste Auszeichnung in der Wissenschaft wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) verliehen
und ist mit 1,55 Millionen Euro verteilt über fünf Jahre dotiert. „Wir verstehen immer mehr die Bedeutung der
Chromatin-Organisation für die Genaktivität“, sagt Peter Becker. „Deshalb erstaunt es uns auch nicht, dass eine
Deregulation auf dieser Ebene zu Erkrankungen führen kann, vor allem zu bösartigem Zellwachstum, also Krebs.
Immer mehr Forschungsergebnisse öffnen den Weg zu einem besseren Verständnis des Zusammenhangs zwischen
Chromatinstruktur und Tumorerkrankungen.“ Erste klinische Tests werden bereits durchgeführt mit Substanzen, die
auf dieser Ebene wirken, berichtet er. „Die Rolle von Chromatin in allen Facetten zu verstehen, hat also nicht nur in
der Grundlagenforschung, sondern auch im biomedizinischen Sektor Priorität.“
Prof. Dr. Peter Becker leitet seit 1999 den Lehrstuhl für Molekularbiologie am
Adolf-Butenandt-Institut der Medizinischen Fakultät der LMU. Er ist gewähltes
Mitglied der European Molecular Biology Organisation (EMBO) und erhielt 2005
den Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
[email protected]
http://molekularbiologie.web.med.uni-muenchen.de/
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