Wochenbettdepression – eine Erkrankung auch für Neonatologen

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Dr. Nicola Kaatsch, Hamburg
Wochenbettdepression – eine Erkrankung auch für
Neonatologen und Neugeborenenschwestern?
Emil Nolde
22. Arbeitstagung AG Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin Ruhr
Universitätsklinikum Bochum, 9. Juli 2011
Dr. Nicola Kaatsch, Hamburg
Kurz gesagt: JA!
Jede unerkannte und unbehandelte mütterliche Depression
hat schwerwiegende Folgen und bedarf daher frühzeitiger,
fachgerechter Diagnostik und Therapie
Längerfristige seelische Gesundheit der betroffenen Frauen
Innerfamiliäre und soziale Situation
Folgen für die Mutter-Kind-Beziehung
Langfristige Beeinträchtigungen der
kindlichen Entwicklung
Prognose ausgezeichnet bei früher Intervention
René Magritte
Dr. Nicola Kaatsch, Hamburg
Psychische Krisen in der Schwangerschaft und nach Geburt
Psychische Störungen in der Schwangerschaft
Vorkommen:
Symptome:
1. oder/und 3. Trimenon
Erstmanifestation eher selten protektiver Faktor Schwangerschaft
Konflikthafte Adaptation an die neue Lebensperspektive
Ambivalenzen gegenüber der Schwangerschaft und zukünftigen
Mutterrrolle
Geburtsängängste, Zunahme von Sorgen und Befürchtungen
Körperliche Beschwerden
Schwierigkeiten in der Partnerschaft oder in der sozialen Situation
(z.B. mangelnde Unterstützung durch den Partner, finanzielle Probleme)
Baby Blues, „Heultage“
Vorkommen:
Symptome:
Dauer:
Typischerweise zw. 3.-5. Tag nach der Entbindung,
(20) 50 - 80% aller Mütter
Allgemeines Stimmungstief
Traurigkeit, häufiges Weinen
Stimmungsschwankungen, Reizbarkeit
Ängstlichkeit
wenige Stunden bis zu wenigen Tagen
Dr. Nicola Kaatsch, Hamburg
Psychische Krisen in der Schwangerschaft und nach Geburt
Postpartale Depression (Wochenbettdepression)
Vorkommen:
Beginn in der Schwangerschaft oder nach Geburt (bis Ende 1. Lebensjahr)
10-12% (bis 15%), kulturübergreifend
Symptome:
Mangel an Responsivität
Passivität oder erhöhte Intrusion
Rückzug und Vermeidung
Zwiespältige Gefühle dem Kind gegenüber
Dauer:
Wochen bis viele Monate, unbehandelt hohes Risiko für Chronifizierung
Postpartale Psychosen, komorbide Störungen, u.a.
Vorkommen:
Beginn in den ersten Tagen nach Entbindung
0,2% (postpartale Psychosen), Komorbiditäten
Symptome:
Mütterliche Aggressionen
Vernachlässigung
Gedanken an Kindstötung und andere Zwangsgedanken
Entsprechende Tatansätze (Tötung 1:25000 Geburten)
Dauer:
Variabel
Dr. Nicola Kaatsch, Hamburg
Medizinische und psychosoziale Risikofaktoren für
depressive Symptome
Instrument: EPDS – Edingburgh Postnatal Depression Scale
24.-37. SSW
2-5 Tage postpartal
3-4 Monate postpartal
Drohende Frühgeburtlichkeit
Frühe Schwangerschaftswoche
bei der Geburt
Mangelnde soziale Unterstützung
Hypertone Schwangerschaftserkrankungen
Größere Angst vor der Geburt
Depressive Symptome in der
Schwangerschaft
Mangelnde soziale Unterstützung
Jüngeres Alter
Unerwünschte Schwangerschaft
2010 Graz, Universitätsklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe und für medizinische Psychologie und Psychotherapie
Dr. Nicola Kaatsch, Hamburg
Mütterlicher Stimmungslage und
gesundheitlicher Zustand des Kindes
Häufig bestehen Ängste um Behinderung des Kindes
Mütterliche Wahrnehmung und Stimmungslage war kaum beeinflußt von
medizinischen Komplikationen, jedoch von:
Dauer der medizinischen Behandlung (Chronizität)
Negativen Vorerfahrungen (Kumulation)
Atmosphäre der Intensivstation
Familiäre und außerfamiliäre Ressourcen
Mehrlingsgeburten
Dr. Nicola Kaatsch, Hamburg
Risiken frühkindlicher Entwicklung
Kindbezogene Faktoren
Belastete Schwangerschaft
Frühgeburtlichkeit mit med. Komplikationen
Störung der frühen Beziehungsaufnahme zur Mutter
Langer intensivmedizinischer Krankenhausaufentalt
Schwieriges Temperament
Frühkindliche Regulationsprobleme
Faktoren innerhalb der Eltern-Kind-Interaktion
Unbewältigte Traumatisierung in der eigenen Kindheit
Störungen der frühen Beziehungsaufnahme zum Kind (prä-, peri- und postnatal)
Ängste um das Überleben des Säuglings
Störung(en) im Aufbau von Selbstvertrauen in die eigenen intuitiven Kompetenzen
Überforderung in Erziehungsfertigkeiten durch Stressfaktoren
Negatives Erziehungs- und Pflegeverhalten
Dr. Nicola Kaatsch, Hamburg
Risiken frühkindlicher Entwicklung
Umgebungsfaktoren: familiär, sozial, gesellschaftlich
Herkunft aus zerütteten familiären Verhältnissen
(Generationübergreifende Instabilität, fehlendes Mutterbild)
Psychische Auffälligkeiten der Eltern
Chronische familiäre Schwierigkeiten
• Aktuell belastete Beziehung zum Partner
• Belastete Beziehung zur Herkunftsfamilie
Niedriges Bildungsniveau der Eltern
Ökonomische Schwierigkeiten, Arbeitslosigkeit
Fehlen einer sozial unterstützenden Matrix
• Wohnortswechsel
• Neigung zum sozialen Rückzug
• Soziale Desorganisation
Werte- und Normvorstellungen
Erwartungshaltung
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Intuitives Elternverhalten
Dr. Nicola Kaatsch, Hamburg
Der „kompetente“ Säugling
Kompetenzen:
Sehen Nachahmen
Geruchssinn und Geschmackswahrnehmung
Hören Operantes Lernen
Soziales Lächeln positives Temperament
Essentielle Grundbedürfnisse:
Lebenserhaltende physiologische Bedürfnisse
Sicherheit und Bindung
Sensorische Stimulation und Erkundung
Vermeidung von Schmerzreizen
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Frühe Kommunikation
Dr. Nicola Kaatsch, Hamburg
Mutter-(Eltern)-Kind-Beziehung
Zusammenspiel
Blickzuwendung
Kindliche Interaktionbereitschaft
Intuitives elterliches Verhalten
Regulatorische Abstimmung
• Fit und Misfit (R. Largo)
Wechselseitige Bezogenheit
•„Engels- und Teufelskreise“ (M. Papoušek)
Empfänglichkeit der Mutter für kindliche Bedürfnisse
• Feinfühligkeitsskala (M. Ainsworth)
Emotionale Verfügbarkeit
Balance zwischen wachstumsförderndem Frustrationstraining
und vollkommener Verwöhnung
Gustav Klimt
Dr. Nicola Kaatsch, Hamburg
Frühe Kommunikation
Dr. Nicola Kaatsch, Hamburg
Frühe Kommunikation
Aus: Das Wunder der ersten Lebenswochen; Marshall & Phyllis Klaus
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Bindung
John Bowlby (1907-1990)
„Bindung ist das gefühlsgetragene Band, das eine Person
zu einer anderen spezifischen Person anknüpft und das
über Raum und Zeit minteinander verbindet“
Dr. Nicola Kaatsch, Hamburg
Bindung
Bindungsqualitäten
Sicher (ca. 60%)
Unsicher (vermeidend ca. 20%, ambivalent ca. 10%)
Desorganisiert (beginnende Psychopathologie ca. 5-10%)
Bindungsstörung (ca. 3-5%)
Bindungssicherheit
Holen sich Hilfe
Zeigen mehr gemeinschaftliches, prosoziales Verhalten
Empathifähigkeit besser ausgeprägt
Lernen, Flexibilität und Kreativität funktionieren viel besser
Dr. Nicola Kaatsch, Hamburg
Frühgeborene, behinderte Kinder und Risikokinder
benötigen eine besonders sensitive Anpassung der Eltern
Elterliche Verarbeitung des Traumas (Trauer!) fördert eine sichere Bindung
Elterliche Reaktionen:
Überängstlich
Angst machend, drohend
Hilflos
Wechselnde, unvorhersehbare Interaktionen
Über- und/oder Unterstimulation
Dr. Nicola Kaatsch, Hamburg
Langfristige Bedeutung für die Entwicklung der Kinder
von postpartal depressiven Müttern
Dauerhafte Beeinträchtigungen individueller
Entwicklungschancen
Beeinträchtigung der sozial-emotionalen Entwicklung
Häufiger Verhaltensprobleme und
psychische Auffälligkeiten
Kinder:
Jugendliche:
hyperaktiv, oppositionell, aggressiv
Teenageschwangerschaft,
jugendliche Delinquenz
Weniger Bewältigungsmöglichkeiten zur Lösung
von Problemen
Schlechtere kognitive Leistungen mit Lernstörungen
Psychiatrische Auffälligkeiten
(Motorische Beeinträchtigungen)
Modifiziert durch Risiko- und Schutzfaktoren
Pablo Picasso
Dr. Nicola Kaatsch, Hamburg
Prävention
Mythos entlarven
Berücksichtigung der emotionalen Seite der Mutterschaft
Rolle der Hebammen
Frühzeitige Diagnose
Routinemäßige Anwendung des EPDS
Netzwerke aufbauen
Elternkurse, Pränatales Interview, Abbau eigener Ängste
Öffentlichkeitsarbeit
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Therapie
Ressourcenorientierte Eltern-Säuglings-/Kleinkind-Beratung oder –
Psychotherapie (u.a. Papoušek, Münchener Schreibaby-Ambulanz)
ambulant – teilstationär – stationär
www.schatten-und-licht.de
Ergänzt durch:
Psychiatrische Betreuung der Mutter
Psychopharmaka – sorgfältige Nutzen-Risiko-Analyse
Psychoedukation
Bewährte Eltern-Trainingskurse (SAFE®, STEEP®, Circle of Security®)
Familiäre und soziale Unterstützung und Entlastung
Maßnahmen der Jugendhilfe
Dr. Nicola Kaatsch, Hamburg
Dr. Nicola Kaatsch, Hamburg
Um ein Kind zu erziehen
braucht man ein ganzes Dorf
(Afrikanisches Sprichwort)
Dr. Nicola Kaatsch
Zentrum für Kindesentwicklung, SPZ Hamburg
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