Ist genveränderte Nahrung sicher?

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K A R R I E R E , KÖ P F E & KO N Z E P T E
Meinungsbild
Ist genveränderte Nahrung sicher?
WILFRIED WACKERNAGEL
UNIVERSITÄT OLDENBURG
ó Gentechnisch veränderte (GV) Nutzpflanzen stehen gegenwärtig auf etwa einem Prozent der weltweit verfügbaren Agrarfläche.
Flächenanteil und Vielfalt der Pflanzen nehmen zu, insbesondere in Schwellen- und
Drittweltländern. In Deutschland werden seit
dem Verbot der Maislinie MON810 im Jahr
2009 kommerziell keine GV-Pflanzen mehr
angebaut. Zugrunde liegen in großen Teilen
Europas verbreitete Vorbehalte in Hinblick
auf deren Sicherheit für Gesundheit und
Umwelt.
Ein zentrales Thema sind in diesem
Zusammenhang die in die GV-Pflanzen eingebrachten Fremdgene. Tatsächlich hatte die
Wissenschaft schon vor 30 Jahren, also vor
dem ersten Ausbringen von GV-Pflanzen, auf
die Möglichkeit hingewiesen, dass Gene der
GV-Pflanzen durch horizontalen Gentransfer
unkontrolliert in Bakterien des Bodens, der
Gewässer oder tierischer Verdauungstrakte
weitergegeben werden könnten. Der Austausch von Genen durch horizontalen Gentransfer, auch über Artgrenzen hinweg, ist
Teil der Lebens- und Evolutionsstrategie von
Mikroorganismen.
Eine intensive Erforschung dieser Problematik setzte ein. Es zeigte sich zum einen,
dass DNA aus Pflanzen oder deren Produkten
abgegeben wird, und zum anderen, dass DNA
in den verschiedenen bakteriellen Lebensräumen eine begrenzte Zeit überdauern und
dort auch aktiv von einer Reihe von Bakterien wieder aufgenommen werden kann. Die
Chance auf Weitergabe gilt demnach für jedes
Gen einer Pflanze – einschließlich der Fremdgene, also auch für Antibiotikum-Resistenzgene (AR-Gene), die in diversen GV-Pflanzen
als genetische Marker vorliegen. „GM food
endangers meningitis in children“, titelte die
britische Presse vor einigen Jahren besorgt.
Bezug genommen wurde auf das AmpicillinResistenzgen in einer Maislinie, das, so spekulierte man, nach Verzehr im Kinderkörper
auf die Erreger der Hirnhautentzündung übertreten und die Therapie mit Penicillin dann
versagen könnte. Für einen solchen GV-nahrungsspezifischen Ablauf gibt es keinerlei
˚ Der Weizen Triticum spec. ist weltweit
eine der bedeutendsten Nutzpflanzen, wird
jedoch häufig von Pilzkrankheiten wie dem
Mehltau befallen. Eine gezielte gentechnische Übertragung von Resistenzgenen, wie
z. B. dem Pm3-Gen, soll den Ertrag und auch
die Qualität der Nahrung verbessern.
(Bild: Gerd Spelsberg, www.biosicherheit.de)
Hinweise. Wissenschaftlich werden seit Langem Bakterien aus Böden, Gewässern, Abwässern, Lebensmittel etc. auf ihre Resistenzen
hin überprüft. Ein Großteil der Isolate, bisweilen über 90 Prozent, besitzt AR-Gene
gegen verschiedene Antibiotika [1]. Der mögliche Eintrag von AR-Genen durch GV-Pflanzen ist demgegenüber so niedrig, dass er nicht
messbar ist. Die hohe Verbreitung von ARGenen in der Umwelt rührt vermutlich vom
Selektionsdruck durch den noch immer steigenden Einsatz von Antibiotika in der Humanund Tiermedizin sowie Landwirtschaft.
Der Transfer eines Gens in ein Bakterium
bleibt wirkungslos, wenn dieses Gen nicht
exprimiert und stabil vererbt werden kann.
Die Forschung zeigt, dass für ein Gen aus
einer GV-Pflanze, das für ein Bakterium „neu“
ist (z. B. ein AR-Gen), die Transfer- und Integrationshäufigkeit unter optimierten Laborbedingungen 10–13 pro Zelle beträgt. Im natürlichen Lebensraum sinkt der Wert auf 10–22
und ist damit ohne Bedeutung gegenüber dem
ständigen natürlichen horizontalen Gentransfer zwischen Bakterien in der Umwelt
von 10–1 bis 10–8 [1].
Gegenwärtig sind etwa 60 verschiedene
Gene in auf dem Markt befindlichen und für
Freisetzungen vorgesehenen GV-Pflanzen ent-
halten [1]. Die Gene stammen aus Bakterien,
Pflanzen und Viren. Diese Gene konnten
schon immer in der Natur direkt aus den
ursprünglichen Organismen abgegeben werden und in den mikrobiellen horizontalen
Gentransfer gelangen. Die GV-Pflanzen stellen hier keinen neuen Pfad dar. Außerdem
steht fest, dass die mit der Nahrung aufgenommenen Gene keine genetische Wirkung
auf den Konsumenten selbst haben.
Insgesamt besteht eine extrem niedrige
Transferchance für ein Gen aus einer GVPflanze, bei gleichzeitig hoher natürlicher
Verbreitung dieser Gene. Dennoch ist es klug,
die strengen Zulassungsverfahren für GVPflanzen beizubehalten. Diese beruhen auf
dem Stand der Wissenschaft zu genetischen,
gesundheitlichen und ökologischen Aspekten. Die „Sicherheitsforschung“, in Deutschland bisher in rund 300 Projekten gefördert,
darf nicht nachlassen oder behindert werden.
Die Blockade und Zerstörung entsprechender
Versuchsanlagen, die bereits in zwei Hochschulen zur Aufgabe der Forschung geführt
hat, ist nicht akzeptabel.
ó
Literatur
[1] Brigulla M, Wackernagel W (2010) Molecular aspects of
gene transfer and foreign DNA acquisition in prokaryotes
with regard to safety issues. Appl Microbiol Biotechnol
86:1027–1041
Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. Dr. h. c. Wilfried Wackernagel
Institut für Biologie und Umweltwissenschaften
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Ammerländer Heerstraße 114–118
D-26111 Oldenburg
Tel.: 0441-798-3298
Fax: 0441-798-5606
[email protected]
BIOspektrum | 02.12 | 18. Jahrgang
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