Mutationen bei epigenetischen Faktoren

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Krebs-Gefahr aus der zweiten Reihe: Mutationen bei
epigenetischen Faktoren
Jede Krebserkrankung ist mit irreparablen genetischen Veränderungen der betroffenen Zellen
verbunden. Betroffen sind nicht nur Gene, die direkt in Stoffwechselprozesse eingreifen,
sondern auch Gene, die übergeordnet, also epigenetisch die Regulationsvorgänge
kontrollieren. Welche Rolle Mutationen epigenetischer Faktoren speziell bei Leukämie spielen,
untersuchen Biochemiker an der Universität Stuttgart.
Gene, die Gene kontrollieren, können aufgrund von Kaskadenwirkungen die zelluläre
Entwicklung massiv beeinflussen. Ein Beispiel sind Gene für DNA-Methyltransferasen. Das sind
Enzyme, die bestimmte Stellen an der DNA erkennen und dort Methylgruppen an
Nukleinbasen anhängen. Damit erzeugen sie ein Methylierungsmuster entlang der DNA, das
unter anderem Zeichen für die Übersetzungsmaschinerie setzt, wie stark das jeweilige Gen
abzulesen ist. Nun wirken die meisten bisher bekannten DNA-Methyltransferasen mehr oder
weniger global im gesamten Genom. Das heißt, sie sind nicht genspezifisch, sondern
methylieren an allen infrage kommenden DNA-Loci, in welchem Gen auch immer. Mutationen,
die zu fehlerhaften Methyltransferasen führen, könnten deshalb weitreichende Folgen haben,
wenn das Enzym seine Methylierungsarbeit nicht mehr oder nicht mehr korrekt ausüben kann.
Bei bestimmten Typen von Leukämien - und womöglich auch bei anderen, noch nicht darauf
untersuchten Krebsarten - ist eine Mutation besonders häufig: Rund 30 Prozent der Patienten
haben eine Mutation im Gen für die Dnmt3a-Methyltransferase. Dieses Enzym besteht aus
insgesamt 912 Aminosäuren und hängt normalerweise Methylgruppen an die Nukleinbase
Cytosin in der DNA an. Aufgrund der Mutation ist eine einzige bestimmte Aminosäure durch
eine andere ausgetauscht. Nun lässt die Häufigkeit der Mutation bei Leukämie -Patienten zwar
darauf schließen, dass sie für das Krebsgeschehen relevant ist. Die Frage ist jedoch, wie sich
diese Mutation auf das Enzym, seine Arbeitsweise und damit die Herstellung weiterer
Genprodukte auswirkt. Außerdem ist dies vielleicht nicht die einzige Mutation in einer
Methyltransferase, die bei Krebs eine Rolle spielt. Die Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Albert Jeltsch
vom Institut für Biochemie der Universität Stuttgart ist spezialisiert auf die Erforschung von
Methyltransferasen und verfügt über ein breites Repertoire hauseigener Testsysteme, um
diesen Fragen nachzugehen.
Schematische Darstellung des Methylierungsgrades der DNA verschiedener Zelllinien nach Clustern. Blau =
geringster Methylierungsgrad, Gelb = höchster. Bei Krebszellen und bei immortalisierten Zelllinien, die dadurch eine
Krebszell-ähnliche Entwicklung aufweisen (obere beide Streifen), ist der DNA-Methylierungsgrad im Vergleich zu
„normalen" Zelllinien (untere beide Streifen) insgesamt niedriger. An einigen Stellen (Striche) nimmt die Methylierung
jedoch zu. Welche Mechanismen dahinterstecken, erforschen die Stuttgarter Biochemiker. © Jeltsch, Universität
Stuttgart
Die Wirkungsketten epigenetischer Mutationen molekularbiologisch
aufklären
„Wir haben die Kristallstruktur der Dnmt3a-Methyltransferase mit aufgeklärt und die
molekularen Mechanismen des Enzyms detailliert untersucht. In den letzten beiden Jahren
haben wir bereits eine Vielzahl von Mutationen in Dnmt3a untersucht, für die wir bestimmte
funktionelle Änderungen des Enzyms zeigen konnten“, sagt Jeltsch zu den vorausgegangenen
Arbeiten. Die molekulargenetischen Auswirkungen von Dnmt3a-Mutationen in Leukämie Erkrankungen erforscht er nun seit dem Frühjahr 2014 mit Unterstützung der DFG: Sie fördert
die Stuttgarter Arbeiten in den nächsten drei Jahren mit rund 300.000 Euro.
Struktur-Ausschnitt der Methyltransferase Dnmt3a mit einem Stück DNA (grün). Rote und orange Kugeln
kennzeichnen Mutationen des Enzyms in Tumoren. © Jeltsch, Universität Stuttgart
Ob Mutationen in epigenetischen Faktoren wie den Methyltransferasen Krebs auslösen oder
„nur“ das Krebswachstum befördern, ist dabei eine Frage, die Jeltsch so nicht stellen will. „In
einem Tumor findet eine Zell-Evolution statt. Am Ende spiegelt der Tumor die Summe aller
Veränderungen wider. Welche davon das ursprünglich auslösende Ereignis war, lässt sich
schwerlich bestimmen. Wir wissen jedoch seit rund zehn Jahren, dass einige Mutationen das
Metastasierungspotenzial steigern.“ Diese Mutationen betreffen Zellzyklus-regulierende
Faktoren, DNA-Reparaturenzyme und epigenetische Enzyme als dritte große Gruppe. Seit
Längerem bekannt ist auch, dass Änderungen in der DNA-Methylierung dafür sorgen, dass die
Produktion bestimmter regulatorischer Proteine hoch- oder runterreguliert wird. Als Beispiel
nennt Jeltsch Tumorsuppressor-Gene. Ihre Produkte halten Zellen davon ab, sich zu teilen,
wenn spezifische genetische Schäden auftreten. Wenn das Tumorsuppressor-Gen aufgrund
überschießender Methylierungen jedoch außer Funktion gesetzt wird, kann sich die schadhafte
Zelle weiter teilen und die Tumorentwicklung wird begünstigt.
Eines ist sich Jeltsch gewiss: Die besagte Mutation , die zum Aminosäure-Austausch in der
Tumoren machen eine Art Evolution durch
Dmnt3a-Methyltransferase führt, muss ein relativ früher Schritt in der Leukämieentwicklung
sein. Das Tumorgeschehen ist von Patient zu Patient zwar durchaus unterschiedlich. Wenn
jedoch fast ein Drittel der Patienten die gleiche Mutation aufweist, muss diese ursprungsnah
sein. „Diese Mutation ist ein starker Treiber für das Tumorgeschehen. Wir haben quasi eine
‚Tumorautobahn’. Die Zellen bauen ihre weitere Entwicklung als sich schnell und unkontrolliert
teilende Tumorzellen darauf auf“, bringt es Jeltsch auf den Punkt. Für ihn ist die Erkenntnis,
dass Tumoren das Ergebnis einer Mikroevolution im Patienten sind, mit die wichtigste, wenn
man Krebs verstehen und neue Therapien entwickeln will.
„Wenn die Physiologie eines Tumors derart stark auf eine Mutation baut, wenn sie quasi zum
Fundament des Tumors gehört, müsste es den Tumor schädigen, wenn man das mutierte
Enzym hemmt - so wie ein Haus einstürzen kann, wenn ein Stein an einer sensiblen Stelle im
Fundament entfernt wird“, erklärt Jeltsch. Die Tumorzellen könnten deshalb auf eine
medikamentöse Hemmung der Methyltransferase sensitiver reagieren als das umliegende
gesunde Gewebe. Hier sieht Jeltsch einen möglichen visionären Ansatzpunkt zur Entwicklung
neuartiger Therapien, die vielleicht auch weniger Nebenwirkungen mit sich bringen. „Die
toxischen Auswirkungen wären eventuell geringer, da ein Methyltransferase-Hemmer nicht
unbedingt zytotoxisch sein muss“, so Jeltsch.
Noch steht die Erforschung der Effekte von epigenetischen Faktoren bei Krebs ziemlich am
Anfang, sie könnte jedoch wesentliche Impulse in Richtung personalisierter Medizin liefern.
Wenn sich die Relevanz epigenetischer Mutationen erhärtet und mehr über die Mechanismen
bekannt ist, könnten die individuellen Mutationsmuster als Grundlage zur Entwicklung ebenso
individueller Hemmstoff-Cocktails dienen. „Generell korrelieren Mutationsmuster deutlich mit
klinischen Prognosen, deshalb ist das durchaus ein realistischer Weg“, sagt Jeltsch.
Forschungsprojekte wie das in Stuttgart könnten dafür die Basis liefern.
Fachbeitrag
26.05.2014
leh
BioRegio STERN
© BIOPRO Baden-Württemberg GmbH
Weitere Informationen
Prof. Dr. Albert Jeltsch
Lehrstuhl für Biochemie
Universität Stuttgart
Pfaffenwaldring 55
70569 Stuttgart
Tel.: 0711 / 685-64390
E-Mail: albert.jeltsch(at)ibc.uni-stuttgart.de
Der Fachbeitrag ist Teil folgender Dossiers
Krebserkrankungen – Grundlagenforschung, Erfolge und Trends
Epigenetik – Vererbung ohne Änderung der DNA-Sequenz
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