600 Millionen Jahre alte Eier und Embryonen?

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nzz
11.04.07
Nr. 83
Seite 59
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Teil 01
600 Millionen Jahre alte Eier und Embryonen?
Streit um die Interpretation von Funden in Südchina
Bällchenförmige Mikrostrukturen aus
Sedimenten Südchinas sollen die ältesten
Eier und Embryonen von Tieren der
Erdgeschichte darstellen. Nachdem diese
These im Januar unter Beschuss gekommen ist, weil Forscher behaupteten,
es handle sich nur um riesige Schwefelbakterien, wird sie nun wieder durch
neue Funde gestützt.
Die Gesteinsschichten der sogenannten Doushantuo-Formation in Südchina, besonders die
Phosphat-Schichten in diesem Gebiet, sind berühmt für ihre vielen Fossilien. Sie enthalten auch
etwa 600 Millionen Jahre alte bällchenartige
Strukturen, die Eier und Embryonen von Tieren
darstellen könnten. Die Organismen müssten entsprechend bereits mehrzellig gewesen sein und
aus Zellen mit einem Zellkern bestanden haben.
Die Fossilien wären damit die ersten Zeugen der
Entwicklung von Tieren.
Ein Eldorado für Paläontologen
Die Doushantuo-Formationen sind für Paläontologen geradezu ein Eldorado. Kurz bevor diese
Sedimente abgelagert wurden, muss es in der
Welt der Mikroorganismen zu einer entscheidenden Wende gekommen sein. Nachdem während
Jahrmilliarden auf der Erde Bakterien vorgeherrscht haben, die keinen Zellkern besitzen,
dominieren in der Doushantuo-Formation nämlich auf einmal Organismen aus Zellen mit Zellkernen.
Dazu werden von manchen auch die nun zur
Diskussion stehenden fossilen Bällchen gezählt –
sie sollen die ersten mehrzelligen Organismen
überhaupt darstellen. Sie sind seit 1995 bekannt,
doch erst 1998, als Shuhai Xiao vom Virginia
Polytechnic Institute in den USA neue strukturiertere Exemplare fand, konnte eine Verbindung
zu frühen Embryonalstadien von Tieren hergestellt werden. In den folgenden Jahren machten
weitere Arbeiten diese Interpretation immer
wahrscheinlicher, bis dann im Januar dieses Jahres Jake V. Bailey von der University of Southern
California, Los Angeles, und sein Team aufgrund
ihrer Untersuchungen erklärten, dass es sich bei
diesen Fossilien wahrscheinlich nicht um heranreifende Tiere handle, sondern um gigantische
einzellige Schwefelbakterien.1
Täuschend ähnliche Bilder
Die Bilder in ihrer Publikation, in der neben
«Embryonen» der Doushantuo-Formation heutige Schwefelbakterien aus dem Golf von Mexiko
gezeigt werden, weisen tatsächlich eine verblüffende Ähnlichkeit auf. Bailey und sein Team sind
der Ansicht, dass der mehrzellige Eindruck der
vermeintlichen Embryonen daher komme, dass
die Schwefelbakterien im Stadium der Zellteilung
als Fossilien fixiert worden seien und deshalb eine
embryonenähnliche Zellgruppe bildeten. Dass
sich bei den vermeintlichen Embryonen keine
unterschiedlichen Entwicklungsstadien finden
liessen, stützte ihre Theorie.
Genau solche Funde stellte dann knapp einen
Monat später aber Xiao zusammen mit weiteren
Wissenschaftern vor: zwei gleichartige Strukturen, die nach ihrer Ansicht unterschiedliche Entwicklungsstadien repräsentieren.2 Dies spräche
laut den Forschern eindeutig für Embryonen. Die
neuen Funde zeigen spiralförmig gewundene
kugelige Fossilien, die Xiao und sein Team als ein
weiter fortgeschrittenes Entwicklungsstadium der
Embryonen einer bereits bekannten Art interpretieren. Laut den Wissenschaftern weisen nämlich
sowohl die Grösse und die Oberflächenstruktur
als auch das Vorkommen beider Formen innerhalb derselben Gesteinsschicht auf eine Verwandtschaft hin.
Ein weiterer neuer Fossilienfund, der nun vergangene Woche in der Fachzeitschrift «Nature»
vorgestellt worden ist, scheint Embryonen zu zeigen, die bis zu sechzehn Zellen aufweisen und von
einer organischen Hülle umgeben sind.3 Solche
Hüllen sind Mikrofossilien, die insbesondere aus
der frühen Erdgeschichte bekannt sind. Sie werden unter dem Begriff Acritarchen zusammengefasst und stellen eine Gruppe dar, die man vereinzelt noch bis ins Quartär, das heutige Erdzeitalter, findet und die sich biologisch nicht klar zuordnen lässt. Die nun entdeckten Acritarchen der
Gattung Tianzhushania, die offenbar Eier und
Embryonen umgeben, werden von Leiming Yin
vom Nanjing Institute of Geology and Palaeontology in China und seinem Team als Ei-Zysten
interpretiert. Die Wissenschafter sind der Ansicht, dass es sich um Embryonen in einer frühen
Zellteilungsphase handelt; sie hätten sich in der
Ei-Zyste wahrscheinlich in einer Ruhephase befunden, ein Phänomen, das von anderen TierEntwicklungsstadien bekannt sei.
Yin und sein Team sehen ihre Funde als Stärkung der Embryo-Hypothese und als Widerlegung der Schwefelbakterien-Theorie. Sie weisen auf eindeutige Unterschiede zwischen dem
von Bailey beschriebenen Schwefelbakterium
und den Doushantuo-Embryonen hin. So hätten
Bakterien zum Beispiel keine komplex strukturierten Hüllen mit kleinen hohlen nadelartigen
Strukturen, wie man diese bei den fraglichen Fossilien finde. Auch heben sie hervor, dass es die von
Xiao beschriebenen unterschiedlichen Entwicklungsstadien bei Bakterien gar nicht gebe.
Schliessen von Wissenslücken
Dass es sich bei den Acritarchen der Gattung
Tianzhushania um Hüllen von Eiern und Embryonen handeln könnte, wird zwar schon länger
vermutet. Bis anhin fand man diese jedoch fast
ausschliesslich leer vor. Yin und seinem Team
scheint neben dem Nachweis frühester mehrzelliger Organismen sowie der Entdeckung einer weiteren Entwicklungsstufe des Embryonalstadiums
nun mit ihrem einzigartigen Fund auch die Bestätigung der Theorie gelungen zu sein, dass Acritarchen Eier und Embryonen umhüllten. Eventuell
könnten die Acritarchen der Gattung Tianzhushania, die weltweit in Gesteinen leer aufgefunden wurden, sogar den Stand der tierischen Entwicklung am jeweiligen Fundort anzeigen.
Auch wenn das letzte Wort im Streit um die
Embryonen-These noch nicht gesprochen sein
wird, ist jede neu entdeckte Entwicklungsstufe
bei als Fossilien erhaltenen Tieren wichtig. Bis
anhin fehlen noch immer eindeutige Verbindungsglieder zwischen den vermeintlichen Eiern
und Embryonen der Doushantuo-Formation und
später auftretenden Organismen, wie etwa der sogenannten Ediacara-Fauna oder der sich wie aus
dem Nichts entfaltenden Tierwelt im Erdzeitalter
des Kambriums vor 542 Millionen Jahren, die
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Teil 02
schon Charles Darwin fast verzweifeln liess.
Simone Ulmer
Nature 445, 198–201 (2007); Geology 35, 115–118 (2007);
Nature 446, 661–663 (2007).
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