Ausübung des naturschutzrechtlichen

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VG Augsburg, Urteil v. 16.08.2012 – 2 K 11.1347
Titel:
Ausübung des naturschutzrechtlichen Vorkaufsrechts zu Gunsten eines Dritten Vereinbarkeit mit Art 14 GG
Normenketten:
BayNatSchG Art. 34, 39
GG Art. 14 I
BGB § 469
BayVwVfG Art. 28 I
Art. 34 BayNatSchG
BayNatSchG Art. 34, 39
GG Art. 14 I
BGB § 469
Art. 34 BayNatSchG
BayNatSchG Art. 34, 39
GG Art. 14 I
BGB § 469
Leitsatz:
1. Die Ausübung des naturschutzrechtlichen Vorkaufsrechts durch die Kreisverwaltungsbehörde
nach Art. 39 I BayNatSchG liegt im Rahmen einer zulässigen Inhalts- und Schrankenbestimmung
des Eigentums i. S. von Art. 14 I 2 GG, auch wenn die Vorkaufsrechtsausübung zugunsten eines
Dritten erfolgt. (amtlicher Leitsatz)
Orientierungsatz:
Zum Leitsatz vergleiche: BVerwG, Beschlüsse vom 07.11.2000 - 6 B 19/00 - Buchholz 406.48 Art. 34
BayNatSchG Nr. 1 und vom 07.03.1996 - 4 B 18/96 - NVwZ-RR 1996, 500; VGH München, Urteil vom
31.5.2001 - 9 B 99.2581 - BayVBl 2002, 729 und Beschluss vom 18.1.2000 - 9 B 95.31 -.
Schlagworte:
naturschutzrechtliches Vorkaufsrecht, Gewässergrundstück, Landschaftspflege, Entwässerungsgraben,
Naturhaushalt, Flurbereinigung, Baugebiet, Naturschutz, Drittbegünstigung
Fundstellen:
NuR 2013, 151
LSK 2013, 090298
Tenor
I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1 hat der
Kläger zu tragen.
III.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Beigeladene zu 2 ist Eigentümer des landwirtschaftlich genutzten Grundstücks Fl.Nr. ... Gemarkung ...
Mit notariellem Kaufvertrag vom 28. Juni 2011 veräußerte dieser das Grundstück an den Kläger zum Preis
von 4.000,00 EUR.
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Nach der Vorkaufsrechtsausübungsanfrage des beurkundenden Notars hörte das Landratsamt ... den
Kläger zur beabsichtigten Ausübung des Vorkaufsrechts an. Mit Schreiben vom 16. August 2011 wandte
sich dieser gegen die Vorkaufsrechtsausübung und wies darauf hin, dass in dem Kaufvertrag eine
Vereinbarung enthalten sei, die zu einer nachträglichen Zahlung an den Verkäufer führe, wenn das
Grundstück Baugebiet werde. Nur aufgrund dieses Zusatzes und wegen der langjährigen Freundschaft sei
der Kaufpreis relativ günstig gewesen. Ohne diese Zusatzvereinbarung wäre ein weitaus höherer Preis
angefallen, da das Grundstück an der Südseite unmittelbar an eine Bebauung angrenze.
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Mit Bescheid des Landratsamts ... vom 1. September 2011 wurde das naturschutzrechtliche Vorkaufsrecht
zugunsten der Beigeladenen zu 1 ausgeübt. An dem fraglichen Grundstück bestehe ein gesetzliches
Vorkaufsrecht, da sich darauf ein oberirdisches Gewässer befinde. Das Vorkaufsrecht sei ausgeübt worden,
da die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege die Ausübung rechtfertigten. Die Beigeladene
zu 1 benötige das Grundstück als Ausgleichsfläche.
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Hiergegen erhob der Kläger am 9. September 2011 Klage.
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Mit Beschlüssen vom 17. Oktober 2011 wurden die vorkaufsrechtsbegünstigte Stadt ... (Beigeladene zu 1)
und der Grundstücksverkäufer ... (Beigeladener zu 2) zum Verfahren beigeladen.
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Der Kläger führte zur Begründung der Klage mit Schreiben vom 25. Oktober 2011 aus, dass an dem
Grundstück kein Vorkaufsrecht bestehe, da kein oberirdisches Gewässer dort zu finden sei. Es handele sich
lediglich um einen Entwässerungsgraben. Er beantragt sinngemäß,
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den Bescheid des Landratsamts ... vom 1. September 2011 aufzuheben.
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Das Landratsamt ... teilte mit Schreiben vom 15. November 2011 mit, eine Anfrage beim
Wasserwirtschaftsamt ... habe ergeben, dass sich auf dem Grundstück ein oberirdisches Gewässer dritter
Ordnung im Sinne der Wassergesetze befinde.
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Die Beigeladene zu 1 wandte sich mit Schriftsatz vom 22. Dezember 2011 gegen das Klagebegehren. Für
sie ist beantragt,
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die Klage abzuweisen.
11
Aus der Stellungnahme des Wasserwirtschaftsamts ... ergebe sich, dass auf dem Grundstück Fl.Nr. ...
Gemarkung ... ein oberirdisches Gewässer dritter Ordnung fließe.
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Mit Schriftsatz vom 1. März 2012 ergänzte die Beigeladene zu 1 ihr bisheriges Vorbringen und wies darauf
hin, dass sie ein erhebliches Interesse am Erwerb des Grundstücks als Ausgleichsfläche besitze. Im
Stadtteil ... finde zurzeit eine Flurbereinigung statt. Dabei sei von der Teilnehmergemeinschaft der Antrag
gestellt worden, der Stadt entlang der ... -Straße einen entsprechend breiten Streifen für den Bau eines
Radwegs nach ... zuzuteilen. Werde der Radweg gebaut, müssten Ausgleichsflächen zur Verfügung gestellt
werden. Hierfür biete sich das streitgegenständliche Grundstück an, weil es eine räumliche Nähe zum
Bauprojekt aufweise. Außerdem sei sie bestrebt, im Rahmen des Flurbereinigungsverfahrens angebotene
Flächen, vor allem solche entlang der Wasserläufe, zu erwerben, da für den von der
Teilnehmergemeinschaft vorgesehenen Wegebau ebenfalls Ausgleichsflächen zur Verfügung gestellt
werden müssten. Hierzu sei auf die Beschlussfassung im Stadtrat am 13. Dezember 2011 zu verweisen.
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Das Gericht hat am 3. Mai 2012 Beweis erhoben mittels Durchführung eines Augenscheins. Hinsichtlich des
Ergebnisses wird auf die Niederschrift und die gefertigten Fotoaufnahmen Bezug genommen.
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Die unter dem Aktenzeichen Au 2 K 11.1467 geführte Klage des Beigeladenen zu 2 gegen den Bescheid
des Landratsamts ... vom 1. September 2011 wurde am 25. Juli 2012 zurückgenommen und das Verfahren
durch Beschluss vom 26. Juli 2012 eingestellt.
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Am 16. August 2012 fand mündliche Verhandlung statt. Der am 12. Mai 2012 unter Hinweis auf die Folgen
des Ausbleibens mit Zustellungsurkunde ordnungsgemäß geladene Kläger hat ebenso wie der ebenfalls am
12. Mai 2012 mit Zustellungsurkunde geladene Beigeladene zu 2 an dieser nicht teilgenommen. Der
Vertreter des Beklagten und der Prozessbevollmächtigte der Beigeladenen zu 1 beantragten, die Klage
abzuweisen. Hinsichtlich der weiteren Ergebnisse der mündlichen Verhandlung wird auf die hierüber
gefertigte Niederschrift verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die vorliegenden Gerichts- und Behördenakten
sowie auf die Niederschriften über die Durchführung des Augenscheins und die mündliche Verhandlung
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Über die Klage konnte entschieden werden, obwohl der Kläger und der Beigeladene zu 2 zur mündlichen
Verhandlung nicht erschienen sind, da sie ordnungsgemäß geladen und dabei auf die Folgen eines
Ausbleibens hingewiesen wurden (§ 102 Abs. 2 VwGO).
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Der Bescheid des Landratsamtes ... vom 1. September 2011, mit dem das naturschutzrechtliche
Vorkaufsrecht zugunsten der Beigeladenen zu 1 ausgeübt wurde, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger
nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Gegen die Gültigkeit der Regelung über das naturschutzrechtliche Vorkaufsrecht in Art. 39 des Bayerischen
Naturschutzgesetzes (BayNatSchG) als zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums
bestehen keine Bedenken, auch wenn die Vorkaufsrechtsausübung nicht für den Freistaat Bayern, sondern
zugunsten eines Dritten - hier der Beigeladenen zu 1 - erfolgt (vgl. z. B. BVerwG vom 7.11.2000 Buchholz
406.48 Art. 34 BayNatSchG Nr. 1; vom 7.3.1996 NVwZ-RR 1996, 500; BayVGH vom 31.5.2001 BayVBl.
2002, 729; vom 18.1.2000 Az. 9 B 95.31 <juris> RdNr. 21; Postel, Das naturschutzrechtliche Vorkaufsrecht,
NuR 2006, 555 m. w. N.).
21
Nach Art. 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayNatSchG steht u. a. dem Freistaat Bayern und den Gemeinden ein
Vorkaufsrecht zu beim Verkauf von Grundstücken, auf denen sich oberirdische Gewässer einschließlich von
Verlandungsflächen, ausgenommen Be- und Entwässerungsgräben, befinden oder die daran angrenzen.
Die Voraussetzungen dieser Norm liegen hier vor. Am 28. Juni 2011 schlossen der Beigeladene zu 2 als
Eigentümer des landwirtschaftlich genutzten 1.600 qm großen Grundstücks Fl.Nr. ... Gemarkung ... und der
Kläger einen notariellen Kaufvertrag und vereinbarten u. a. einen Kaufpreis in Höhe von 4.000 EUR.
Gründe, die gegen die Wirksamkeit des notariellen Kaufvertrags sprechen könnten, wurden weder
vorgetragen, noch sind solche ersichtlich. Der Umstand, dass zwischen den Kaufvertragsparteien unter Ziff.
XV.B) des Vertragswerks ein Anspruch des Verkäufers auf eine nachträgliche Erhöhung des Kaufpreises für
den Fall des Entstehens von Baurecht vereinbart wurde und der Preis nach den Angaben des Klägers
wegen persönlicher Freundschaft der Vertragschließenden als besonders günstig einzustufen sei, vermag
keine Zweifel an der Wirksamkeit des notariellen Kaufvertrags zu begründen. Insbesondere wird damit
keine Über- oder Unterverbriefung geltend gemacht (s. hierzu z. B. BayVGH vom 18.1.2000, a. a. O., RdNr.
28 ff.).
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Die Ausübung des Vorkaufsrechts erfolgte rechtzeitig innerhalb der Zwei-Monats-Frist des Art. 39 Abs. 7
Abs. 1 BayNatSchG. Der Lauf der Frist beginnt gemäß Art. 39 Abs. 7 und Abs. 3 Satz 3 BayNatSchG i. V.
m. § 469 BGB mit der Mitteilung des Vertragsinhalts gegenüber der Kreisverwaltungsbehörde und nicht
schon mit der bloßen Mitteilung eines Kaufvertragsabschlusses. Die Mitteilung des Kaufvertragsinhalts
erfordert regelmäßig die Vorlage der Kaufvertragsurkunde (vgl. BayVGH vom 8.12.2011 Az. 14 BV 10.559
<juris> RdNr. 23 = MittBayNot 2012, 246; vom 26.7.2006 Az. 9 ZB 05.1233 <juris> RdNr. 14). Hier ging der
Kaufvertrag am 8. Juli 2011 bei der Kreisverwaltungsbehörde ein. Die Vorkaufsrechtsausübung durch
Bescheid vom 1. September 2011 erfolgte daher fristgerecht.
23
Die Ausübung des Vorkaufsrechts zugunsten der Beigeladenen zu 1 als Gemeinde ist in Art. 39 Abs. 1 Satz
1, Abs. 3 Satz 4 BayNatSchG gesetzlich geregelt und rechtlich nicht zu beanstanden. Die Beigeladene zu 1
hat die Ausübung des Vorkaufsrechts zu ihren Gunsten gegenüber dem Landratsamt ... mit Schreiben vom
28. Juli 2011 verlangt. Damit war der Beklagte zur Ausübung des Vorkaufsrechts verpflichtet (Art. 39 Abs. 3
Satz 4 BayNatSchG).
24
Auch sonst bestehen keine Bedenken im Hinblick auf die formelle Rechtmäßigkeit der
Vorkaufsrechtsausübung. Insbesondere wurden die Beteiligten gemäß Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG vor Erlass
des Verwaltungsakts gehört (s. BayVGH vom 18.1.2000 a. a. O. RdNr. 33).
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Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Ausübung des Vorkaufsrechts gemäß Art. 39 Abs. 1 Satz
1 Nr. 1, Abs. 2 BayNatSchG sind gegeben. Bei der streitgegenständlichen Fläche handelt es sich um ein
Grundstück, auf dem sich ein oberirdisches Gewässer befindet, das keinen bloßen Be- oder
Entwässerungsgraben darstellt. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts aus dem Ergebnis des
Augenscheins und der dabei eingeholten fachlichen Stellungnahme des Vertreters des
Wasserwirtschaftsamts ... Bei dem auf dem Grundstück befindlichen Bach handelt es sich um ein im
Geodatensystem kartiertes Gewässer dritter Ordnung und nicht lediglich um einen Be- bzw.
Entwässerungsgraben. Das Gewässer ist nach den Angaben des Vertreters des Wasserwirtschaftsamts
Gegenstand des vom zuständigen Zweckverband erstellten Gewässerentwicklungsplans. Dieser sieht die
Anlegung von Uferrandstreifen und die Stärkung der Eigendynamik des Gewässers durch das Einbringen
von Strukturelementen vor. Es weist einen Einzugsbereich von über 50 ha auf und besitzt eine wichtige
Funktion im dortigen Naturhaushalt. Dass die Gewässersohle frei von Bewuchs vorgefunden wurde, spricht
darüber hinaus für eine ganzjährige und nicht lediglich temporäre Wasserführung des Gewässers und damit
ebenfalls gegen das Vorliegen eines bloßen Be- bzw. Entwässerungsgrabens.
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Da zukünftige Belange des Naturschutzes oder der Landschaftspflege oder das Bedürfnis der Allgemeinheit
nach Naturgenuss und Erholung in der freien Natur die Ausübung des Vorkaufsrechts rechtfertigten, lagen
auch die materiell-rechtlichen Voraussetzungen nach Art. 39 Abs. 2 BayNatSchG vor. Die Beigeladene zu 1
beabsichtigt, das vorkaufsrechtbetroffene Grundstück - für das sowohl im Flächennutzungsplan der
Beigeladenen zu 1, als auch im Gewässerentwicklungsplan bereits Darstellungen für naturschutzfachliche
und gewässerwirtschaftliche Aufwertungsmaßnahmen enthalten sind - als Ausgleichsfläche zu verwenden.
Dies genügt den gesetzlichen Anforderungen (BayVGH vom 22.5.1995 NuR 1995, 554; OVG Saarl vom
29.4.2010 NuR 2010, 592; Fischer-Hüftle in Engelhardt/Brenner/Fischer-Hüftle/Egner/Messerschmidt,
Naturschutzrecht in Bayern, RdNr. 18 ff. zu Art. 34 BayNatSchG a. F.).
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Die Klage konnte daher keinen Erfolg haben.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 161 Abs. 1, § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der
Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1 dem Kläger aufzuerlegen, da sie sich durch
eine Antragstellung einem Kostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. z. B. BayVGH vom 29.1.1991 BayVBl. 1991,
477; Kopp/Schenke, VwGO, 18. Aufl. 2012, RdNr. 23 zu § 162).
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m.
§§ 708 ff. ZPO.
30
Gründe, die Berufung gegen das Urteil zuzulassen, liegen nicht vor (§§ 124, 124a VwGO).
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