Review: Influenza

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Service für Ärzte / Infektiol. Zeitgeschehen
Review: Influenza
aus Heft 1/2005 (15. Jahrgang)
veröffentlicht am 11. 2. 2005
Aktuelle CME-Fragen
Hintergrund
Die Influenza oder "echte" Virus-Grippe wird durch Influenza-Viren der Typen A, B oder C hervorgerufen.
Plötzlicher Beginn mit hohem Fieber, schweres Krankheitsgefühl und Beteiligung der Atemwege sind die
drei klinisch herausragenden Kennzeichen der Infektion. Die Erreger sind speziell im Bereich ihrer
Oberflächen-Antigene variabel. Daher hat man selbst nach einer schweren Infektion im folgenden Jahr
nur eine geringe (Teil- oder Kreuz-) Immunität, Reinfektionen sind häufig. Da es für Influenza A-Viren
Tierreservoire gibt, ist eine Eradikation derzeit nicht möglich. Die nächste Influenzawelle steht vor der
Tür, die Fachjournale sind voll davon und selbst in der Laienpresse ist "die Grippe" zum Dauerbrenner
geworden. Das sind Gründe genug, auch ein Consilium-Heft dem Thema zu widmen.
Virologie und Immunologie
Aufbau
Influenza-Viren bilden die Familie der Orthomyxoviridae. Man unterscheidet drei antigene Gruppen, die
als Typ A, Typ B oder als Typ C bezeichnet werden. Die Typen A und B bestehen aus 8, Typ C aus 7
einsträngigen Gensegmenten, die für 9 (Typ C), 10 (Typ A) oder 11 (Typ B) Virus-Proteine kodieren. Der
Typ C lässt sich nur vom Menschen isolieren, Typ B vom Mensch und vom Schwein, Typ A von
Menschen, Schweinen, Vögeln, Pferden und sogar von Säugetieren, die im Wasser leben. Diese
Eigenschaft, sich in verschiedenen Tierspezies zu vermehren, erlaubt es dem Virus, noch mehr an
genetischer Variabilität zu entwickeln. Influenza-Virus Typen A und B haben zwei besonders relevante
Pathogenitätsfaktoren (Abbildung 1). Die Neuraminidase (abgekürzt NA) und das Hämagglutinin
(abgekürzt HA).
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Abb. 1: Struktur des Influenza A-Virus. Die entscheidenden Pathogenitätsfaktoren und Antigene sind die
auf der Hülle sitzende Neuraminidase (NA) und das Hämagglutinin (HA). In der Membran finden sich
Transportproteine (M2). Im Inneren tragen Ribonukleoproteine die Erbinformation, die aus dem
Nukleocapsidprotein (NP) und Polymeraseproteinen (PB1, PB2 und PA) bestehen.
Die wichtigsten Pathogenitätsfaktoren/Antigene
Während von Influenza B-Viren nur jeweils ein Subtyp von HA und NA bekannt ist, zeigen Influenza
A-Viren eine höhere Variabilität.
Das Hämagglutinin (HA) hilft dem Virus beim Haften an der Zelloberfläche. Es fördert außerdem die
Freisetzung der Virus-Erbinformation in die Wirtszelle. Bei Influenza A gibt es 15 Varianten (H1-H15).
Die Neuraminidase (NA) findet sich auf der Oberfläche des Virus und spaltet Sialinsäure von
menschlichen Zellen. Diese Aktivität verhindert, dass aus der Zelle freigesetzte Viren gleich wieder an
der Oberfläche der Wirtszelle anhaften und auf diese Weise inaktiviert werden. Bei Influenza A kennt
man 9 unterschiedliche Varianten der NA (N1-N9).
Beide Pathogenitätsfaktoren, NA und HA, induzieren eine protektive Immunität mit Nachweis
spezifischer Antikörper und auch einer Zell-vermittelten spezifischen Abwehr. Die WHO-Nomenklatur
bezeichnet Isolate mit Typ/Ort der Isolierung/Stamm-Nummer/Jahr der Isolierung, bei Influenza A
zusätzlich HA und NA-Typen. Beispiel: A/Sydney/5/97 (H3N2).
Antigen-Variation: Bedeutung für Epidemien
Influenza-Viren haben als fundamentales Charakteristikum die Antigen-Variation. Diese Änderung der
Antigeneigenschaften der Influenza-Viren betrifft die beiden äußeren Glykoproteine HA und NA.
Man bezeichnet kleinere Änderungen als "antigen-drift", größere Änderungen als "antigen-shift".
Zur "antigen drift" kommt es praktisch jedes Jahr bei Influenza A- und B-Viren durch Punktmutation in
den Genen für HA, NA oder beide. Diese bewirken geringe Änderungen der Viren. In der Folge binden
die Antikörper von der Infektion des Vorjahres weniger gut, die Fähigkeit des Menschen zur
Neutralisation der Erreger sinkt. Diese schlechtere Immunität erlaubt es dem Virus, jedes Jahr aufs neue
empfängliche Wirte zu finden, um sich zu vermehren.
Ein "antigen shift" ist erheblich seltener und tritt nur bei Influenza A auf. Die Änderungen in HA und NA
sind deutlich größer, man findet plötzlich HA- und NA-Typen, die man in den Jahren zuvor nicht isoliert
hatte (Tabelle 1). Nach einer heute gängigen Theorie zirkuliert ein HxNx-Typ solange, bis er in der
Population praktisch kaum noch auf empfängliche Personen trifft. Taucht dann ein neuer Virus-Stamm
mit völlig anderen HA- und NA-Eigenschaften auf, ist ihm das Feld überlassen. Da es in der
Welt-Bevölkerung keine Immunität gibt, kann er sich ohne "Konkurrenz" ausbreiten (Abbildung 2).
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Abbildung 2: Nach einer Pandemie zirkuliert der entsprechende Stamm mit kleineren antigenen
Änderungen noch einige Jahre weiter und löst jährliche Epidemien aus. Die Immunität in der Population
steigt jedes Jahr, die Epidemien werden kleiner. Das Virus findet schließlich kaum noch empfängliche
Personen. Kommt jetzt ein neuer Stamm mit pandemischen Eigenschaften, trifft er auf eine vollständig
empfängliche Population und kann sich dort ohne Konkurrenz ausbreiten.
Jahr
Intervall zwischen Pandemien
Typen
Schwere der Pandemie
1889
-
H2N2
schwer
1901
12
H3N8
mittel
1918
29
H1N1
schwer
1957
39
H2N2
schwer
1968
11
H3N2
mittel
??
?
?
?
Tab. 1: Die letzten 6 Influenza A-Pandemien, interpandemisches Intervall, auslösende Influenza A-Typen
und Schwere der Pandemie. Aus: Treanor, 2000
Die genetische Differenz zwischen altem, "epidemischem" Stamm und neuem, "pandemischen" Stamm
liegt bei 30% - solche großen Änderungen sind durch Punktmutation nicht zu erklären.
Woher kommen dann die Pandemie-Viren?
Man fand signifikante Genhomologien zwischen Influenza-Pandemiestämmen des Menschen und
Influenza A-Viren von Vögeln. Nach einer gut belegten Theorie kommt es zur Infektion eines Menschen
mit einem Vogel-Influenza-Virus und gleichzeitig mit einem "menschlichen" Influenza-Virus. Beide
Stämme reassortieren in einem Wirt: Das Vogel-Influenza-Virus liefert die "neuen" HA- und NA-Typen für
eine effektive Infektion, das "menschliche" Influenza-Virus liefert die Gene für eine effiziente
Vermehrung im Menschen. Dieses Reassortment wird noch dadurch erleichtert, dass das Schwein beide,
Menschen- und Vogel-Influenza-Viren beherbergen kann und so als Reservoir für die Erregerausbreitung
dienen kann. In Südostasien leben Mensch, Geflügel und Rinder oft unter einem Dach – das könnte
erklären, weswegen Pandemien oft von hier ihren Ausgang nehmen.
Nach einer zweiten Theorie kann sich das Influenza-Virus z. B. vom Schwein direkt an den Menschen
anpassen und sich nach Übertragung effizient in ihm vermehren. Es gibt Belege dafür, dass dieser
Mechanismus Ursache der Pandemie im Jahr 1918 war.
Epidemiologie
Auf der Südhalbkugel der Erde beobachtet man Influenza-Epidemien meist in der Zeit zwischen Mai und
September, auf der Nordhalbkugel meist zwischen Dezember/Januar bis Februar/März. Die Gründe für
diese Saisonalität sind wenig bekannt – man vermutet als Ursache Umweltfaktoren wie eine klimatisch
bedingte bessere Überlebensfähigkeit des Erregers oder aber auch spezifische menschliche
Verhaltensmuster, die eine Übertragung optimieren, wie etwa engere Kontakte und dichteres
Zusammenleben während der "kalten Jahreszeit".
Eine Influenza-Epidemie beginnt zunächst mit einem 2 Wochen andauernden rasanten Anstieg der
Fallzahlen, dann sieht man eine Gipfelphase und nach insgesamt 6-8 Wochen ist die "Saison" meist zu
Ende. Die ersten Fälle treten bei Kindern auf, es folgen die Infektionen der Erwachsenen. In der zweiten
Phase der Epidemie steigt die Zahl der Todesfälle vor allem bei älteren Menschen sprunghaft an
("excess mortality"; Übersterblichkeit). Die Morbiditäts-Alters-Kurve der Influenza hat eine U-Form –
betroffen sind vor allem alte Menschen, Säuglinge und Kleinkinder (Abbildung 3).
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Abb. 3: Mortalität, Hospitalisierungen und Arztkontakte ausgelöst durch Influenza. Nach: Glezen
Epidemiol Rev. 1996
In einer Untersuchung aus Kiel waren rund 24 % aller wegen Influenza eingewiesenen Kinder 0-1 Jahr,
23,5 % 1-2 Jahre, und ein Drittel 2-5 Jahre alt (s. Tab. 2). Kinder sterben zwar selten an einer Influenza
– man schätzt 2-3 Tote / 100.000 im Vergleich zu 30 bis 150 Todesfällen pro 100.000 für ältere Personen
– die Morbidität ist bei Kindern aber wenigstens gleich hoch wie bei alten Menschen. Je nach
Ausmaß der Epidemie suchen 6 % bis 29 % aller Kinder während einer Influenza-Saison einen Arzt auf.
Otitis media und Pneumonie sind dann Diagnosen, die zur Verordnung eines Antibiotikums führen – der
Verbrauch von Antibiotika erhöht sich während einer Influenza-Saison um 10 % bis 30 %. Ein erhöhtes
Hospitalisierungsrisiko haben vor allem Frühgeborene und Kinder mit kardialer oder pulmonaler
Grundkrankheit.
Ort
[Referenz]
Zeit
Inzidenz
pro 100.000
0 bis < 5 Jahre
Inzidenz
pro 100.000
5-16 Jahre
relatives Risiko
0 < 5/5-16
Houston
[Glezen 1993]
1985-90
427
5
85,0
Kalifornien
[Mullooly 1982]
1967-73
120
40
3,0
Kalifornien
[Izurieta 2000]
1993-97
136
19
7,2
Seattle
[Izurieta 2000]
1992-97
90
16
5,6
Kiel
[Weigl 2002]
1996-01
123
22
5,6
Kalifornien
[Mullooly 1982]
1967-72
470*
210
2,2
Tennessee
[Neuzil 2000]
1973-93
382**
40
9,6
Tabelle 2: Internationaler Vergleich der kumulativen Inzidenz Influenza-assoziierter Hospitalisierungen
bei Kindern. *Patienten mit Grundkrankheiten. **Patienten mit kardialen Grundkrankheiten. Nach: Weigl
et al. 2002.
Warum erkranken Kinder so schwer an Influenza?
Zum einen ist es häufig der Erstkontakt mit dem Erreger. Zum anderen führt die geringe Größe der
Atemwege dazu, dass die Infektion den Luftaustausch stärker behindert als bei Erwachsenen.
Kinder spielen aber nicht nur wegen hoher Morbidität im Rahmen der jährlichen Epidemien eine
besondere Rolle, sie sind auch "das Feuer der Epidemie" ("fire of the epidemic"). Das Virus wird viel
länger und in höherer Keimzahl als bei Erwachsenen ausgeschieden. Kinder sind häufig in
Gemeinschaftseinrichtungen untergebracht und sie haben ein (noch) unzureichendes
"Hygienebewusstsein": Alles wird angefasst und erst einmal in den Mund gesteckt; Hände werden selten
gewaschen. Folglich breiten sich Influenza-Viren in dieser Gruppe sehr rasch und zuerst aus. Kinder
bringen dann das Virus mit zu ihren erwachsenen Kontaktpersonen (Eltern und Großeltern). Diese
erkranken meist leichter, scheiden wegen ihrer (Teil-) Immunität den Erreger nur über kürzere Zeit aus
und haben meist weniger Kontaktpersonen als Kinder.
Klinik
Krankheitsverlauf
Plötzlicher Beginn mit hohem Fieber, Symptome und Befunde einer schweren Allgemeinkrankheit und
wenigstens ein Symptom seitens der Atemwege, das sind während der Influenza-Saison die drei
führenden Symptome, die an eine Influenza denken lassen sollten.
Typische Klinik:
plötzlicher Beginn mit hohem Fieber
schwere Allgemeinkrankheit
Atemwegssymptom
Eine Prodromalperiode von 1-2 Tagen geht der Influenza oft voraus. Als Allgemeinsymptom klagen
ältere Kinder und Erwachsene über schweres Krankheitsgefühl und Myalgien. Säuglinge und Kleinkinder
fallen durch Nahrungsverweigerung und deren Folgen oder durch Apathie auf. Gelegentlich beobachtet
man Meningismus. Tabelle 3 stellt Influenza-Symptome bei Kindern und Erwachsenen gegenüber. Die
unkomplizierte Erkrankung dauert meist 1-2 Wochen, dieser Wert ist aber ausgesprochen variabel.
Kinder [%] Erwachsene [%]
Husten
86
90
Halsschmerzen
62
62
Heiserkeit
22
37
Sputum-Produktion
19
41
Coryza
57
82
Niesen
38
67
Plötzlicher Beginn
66
46
Fieber
93
71
< 38,8° C
29
58
> 38,8° C
60
29
Schüttelfrost
37
64
Kopfschmerzen
81
72
Anorexie
69
37
Malaise
68
67
Myalgien
33
62
Bauchschmerzen
31
0
Erbrechen
26
7
Übelkeit
34
4
Diarrhoe
2
0
Tab. 3: Vergleich der Symptome und Befunde bei Erwachsenen und bei Kindern mit Influenza. Nach:
Feigin Cherry
Komplikationen
Die Komplikationen der Influenza sind in Tabelle 4 zusammengefasst. Zahlenmäßig stehen
Komplikationen seitens der Atemwege im Vordergrund, bei Kindern die Otitis media, bei alten Menschen
die Lungenentzündung. Die Pneumonie durch bakterielle Superinfektion wird meist nach einem ersten
Fieberabfall und Besserung durch einen erneuten Fieberanstieg manifest. Die bakterielle Tracheitis ist im
Kindesalter ein Notfall, weil insbesondere Frühgeborene und Säuglinge die in der Trachea plötzlich
anfallenden Eitermassen nicht abhusten können. Erreger ist meist Staphylococcus aureus. Die akute
Myositis betrifft vornehmlich Kinder.
Atemwege
Primäre Influenza-Pneumonie
Superinfizierte bakterielle Pneumonie
Krupp (nur bei Kindern)
Exazerbation chronischer Lungenkrankheiten
(bakterielle) Tracheitis
Otitis media
Nervensystem
Reye Syndrom
Enzephalitis
Myelitis
Fieberkrampf
Guillain-Barré Syndrom (kausal?)
Myokarditis / Perikarditis
Toxic shock-like syndrome (TSS)
Akute Myositis
(nachfolgend) Meningokokken-Infektionen
Tabelle 4: Komplikationen der Influenza
Diagnose
Während einer Epidemie ist die Diagnose "Influenza" durchaus mit einer Treffsicherheit von rund 85 %
(bei Erwachsenen) klinisch zu stellen, wenn die drei oben genannten Hauptsymptome vorliegen.
Gelegentlich läuft parallel eine Epidemie mit RS- oder anderen Viren ab (siehe Abbildung 6 weiter unten),
dann versagt diese Möglichkeit der Sicherung der Erregerdiagnose. Kommerziell verfügbare Schnelltests
haben nach unserer Erfahrung einen unzureichenden Vorhersagewert, speziell zu Beginn und am Ende
der Influenza-Saison, wenn es eigentlich auf die mikrobiologische Sicherung der Diagnose ganz
besonders ankommt. Für die Praxis sind sie mit rund ¤ 10.- pro Test auch vergleichsweise teuer. In
unseren Augen für die Erregerdiagnose am besten praktikabel ist die Kombination aus Kenntnis der
aktuellen Erreger-Epidemiologie (z.B. firmen-unabhängig im Internet unter www.PID-ARI.net für 19
Erreger einschließlich RSV) plus der klinischen Symptomatik (siehe oben). Im Einzelfall kann eine
Erreger-Diagnose mittels PCR sinnvoll sein. Die Serologie (Hämagglutination;
Komplement-Bindungs-Reaktion; idealerweise Nachweis eines Titeranstieges) dauert für das Einleiten
einer Therapie in der Regel zu lange, ebenso die Virus-Kultur.
Therapie
Es ist durchaus bemerkenswert und von den Fakten her kaum verständlich, dass eine Krankheit wie die
Influenza selbst bei schwerem Verlauf nur selten kausal behandelt wird. Kinder, die so schwer krank
sind, dass sie wegen einer Influenza stationär eingewiesen werden müssen, profitieren von einer
Therapie mit Amantadin oder neuerdings auch mit einem Neuraminidase- Hemmer. Bei Therapiebeginn
innerhalb von 48 Stunden ab Beginn der Erkrankung sind die Patienten meist innerhalb von 24 Stunden
wieder in einem deutlich gebesserten Allgemeinzustand.
Amantadin wirkt über eine Interaktion mit dem viralen M2-Protein, einem Ionen-Kanal, der nur bei
Influenza A vorkommt. Amantadin behindert so die Freisetzung der Virus-Erbinformation (uncoating).
Dosis: 5 mg/kg KG/d (max. 150 mg/d) in 2 ED für 10 Tage (als Saft: InfectoFlu® -Saft; als 100 mg
Filmtablette: Amantadin 100 von ct, ratiopharm und TEVA). Amantadin ist seit vielen Jahren verfügbar
und die Sicherheit der Anwendung bei Kindern ist seit Jahrzehnten gut belegt. Zu den – bei normaler
Nierenfunktion seltenen – Nebenwirkungen zählen Schläfrigkeit und Konzentrationsschwäche, besonders
bei älteren Personen. Krampfanfälle sind bei Personen mit einem Krampfleiden unter Amantadin bekannt
geworden, bei alten Menschen (Nierenfunktion!) sollte die Dosis reduziert werden.
Neuraminidasehemmer inhibieren hochselektiv die NA von Influenza A- und Influenza B-Viren. Aus
infizierten Zellen freigesetzte Viren "verklumpen" und werden inaktiviert. Von den beiden derzeit
verfügbaren Produkten ist Oseltamivir (Tamiflu ® ) neuerdings zur Therapie ab einem Alter von 1 Jahr
zugelassen. Außer gelegentlichen gastrointestinalen Beschwerden wird es meist gut vertragen. Erhältlich
sind Saft oder Kapseln à 75 mg; Dosierung: 2 x tgl. bis zu 2 mg/kg, maximal 2 x 75 mg/Tag jeweils für 5
Tage. Details siehe Fachinformation. Reduzierte Dosis bei Niereninsuffizienz.
Zanamivir (Relenza ® ) ist erst ab 12 Jahren zugelassen und es werden 2 x tgl. 5 mg über 5 Tage inhaliert.
Prophylaxe
Chemoprophylaxe
Zur Chemoprophylaxe der Influenza sind Amantadin und Neuraminidase-Hemmer zu rund 75 %-90 %
wirksam. Der Nachteil des Amantadins und auch des Oseltamivirs – wie neueste Studien aus Japan
zeigen – ist, dass mit der Dauer der Anwendung auch die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten
resistenter Stämme steigt. Daher verbietet sich meines Erachtens eine routinemäßige Dauerprophylaxe.
Für Hochrisiko- Kinder, die nicht geimpft werden können, ist die prophylaktische Gabe jedoch nach
individueller Abwägung von Nutzen und Risiken vertretbar. Amantadin kann ab 5 Jahren und Oseltamivir
ab 13 Jahren eingesetzt werden.
Impfung
Zweifellos ist die aktive Immunisierung die Methode der Wahl zur Prophylaxe der Influenza, obwohl
jährlich neu mit dem vermutlich zirkulierenden Stamm geimpft werden muss. Inaktivierte InfluenzaImpfstoffe sind seit rund 60 Jahren im Gebrauch. Sie werden auf embryonierten Hühnereizellen
gezüchtet – in Kürze möglicherweise auch auf Zellkulturen. Man unterscheidet inaktivierte
Ganzkeim-Impfstoffe, Spaltimpfstoffe, die neben HA und NA auch noch einige weitere Virusbestandteile
enthalten und subunit-Vakzinen, die nur noch aus gereinigtem HA und NA bestehen (Abbildung 5). Eine
aktuelle Weiterentwicklung hiervon sind virosomale Vakzine. Sie tragen die Antigene auf der Oberfläche
kugelförmiger Lipidteilchen. Aufgrund ihrer dem Virus ähnlichen Form und Größe werden sie als
"Virosom" bezeichnet. Verminderte Reaktogenität bei guter Immunität ist der Vorteil der Präparate, die
weniger Virusbestandteile enthalten.
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Abbildung 5: Influenza-Impfstoff-Typen: a) Ganzkeim-Impfstoff, b) Split-Impfstoff, c) subunit-Impfstoff
und d) Virosomen-Impfstoff.
Lebendimpfstoffe zur intranasalen Applikation sind in fortgeschrittenen Stadien der klinischen
Entwicklung, ein Produkt ist in den USA bereits für nicht immungeschwächte Personen zwischen 5 und
49 Jahren zugelassen. Es wird aber noch etwas Zeit in Anspruch nehmen, bis das derzeit bei -20° C zu
lagernde Produkt "Kühlschrank-fähig" ist und dann auch in Europa angewendet werden kann.
Inaktivierte Influenza-Impfstoffe werden als trivalente Produkte, zusammengesetzt nach den
Empfehlungen der WHO, angeboten. In diesem Jahr enthält der Impfstoff
A/New Caledonia/20/99 (H1N1)
A/Fujian/411/2002(H3N2)
B/Shanghai/361/2002
Die Wirksamkeit hängt auch vom "match" ab, also davon, wie ähnlich aktuell zirkulierendes Virus und
Impfstamm tatsächlich sind. In klinischen Studien werden Wirksamkeitsraten von ca. 60 bis 90 %
angegeben – je nach "match" und gewähltem Endpunkt der Untersuchung. Influenza-Impfstoffe sind
zugelassen für Kinder ab 6 Monate. Da Kinder in aller Regel noch keine Infektion mit Influenza-Viren
hatten, sind bis zum Alter von drei Jahren meist "zwei halbe Dosen" à 0,25 ml im Abstand von 4 Wochen
zu applizieren. Details sind dem Beipackzettel des jeweiligen Herstellers zu entnehmen.
Moderne Influenza-Impfstoffe werden meist gut vertragen. Leichte lokale Reaktionen werden von 25 %
bis 50 % der Impflinge innerhalb der ersten 24 Stunden angegeben, rund 5 % haben mittelgradige bis
schwere Schmerzen an der Impfstelle. Allgemeinsymptome wie Myalgien oder Kopfschmerzen werden
nach Influenza- Impfung genauso häufig beobachtet wie nach Gabe von Plazebo. Die Reaktogenität ist
mit allen Produkten bei Erwachsenen in etwa gleich, nur Kinder haben nach Ganzkeim-Impfstoff häufiger
und höher Fieber als Erwachsene. Ein Guillain-Barré-Syndrom (GBS) ist in den USA mit dem Impfstoff
der Saison 1976 beobachtet worden in einer Häufigkeit von 1:100.000. Untersuchungen in den
Folgejahren ergaben keine erhöhte Inzidenz, wenn auch 1992/93 und 1993/94 ein leichter Anstieg an
GBS Fällen beobachtet worden war. Das Risiko für ein impf-assoziiertes GBS wird mit etwas höher als 1:
1 Million Impfdosen angegeben, ohne dass damit die Frage nach dem kausalen Zusammenhang
beantwortet wäre. Interessanterweise wird nach Influenza-Impfung kurzfristig der ELISA für HIV und
Hepatitis C falsch positiv, der Western Blot bleibt negativ.
Impfempfehlungen
In Deutschland ist die jährliche Influenza-Impfung von der STIKO empfohlen
für alle Personen ab 60 Jahren;
für Risiko-Personen mit einer Grundkrankheit (kardial, pulmonal, Leber-, Niere, Diabetes und andere
Stoffwechselkrankheiten, multiple Sklerose mit durch Infektionen getriggerten Schüben, Immundefekt
mit Restfunktion des Immunsystems, HIV-Infektion);
Bewohner von Alters- und Pflegeheimen;
Personen mit erhöhter Gefährdung (medizinisches Personal, umfangreicher Publikumsverkehr)
Kontaktpersonen zu Risikopatienten;
Wenn eine intensive Epidemie droht und der Impfstoff die neue Variante enthält.
Weiterhin gilt die STIKO-Regel:
"Für einen ausreichenden Impfschutz der von ihm betreuten Personen zu sorgen, ist eine
wichtige Aufgabe des Arztes. …"
(Epidemiologisches Bulletin 2004:30; 235)
Die Umsetzung der STIKO-Empfehlungen ist Sache der Länder. In Niedersachsen und
Baden-Württemberg wird derzeit die Grippeimpfung als Routineprophylaxe für alle Personen empfohlen.
In den USA ist die Influenza-Impfung aktuell auch für alle Kinder zwischen 6 und 24 Monaten empfohlen
– es gibt allerdings momentan nicht ausreichend Impfstoff, um diese Empfehlung umzusetzen. Die
amerikanische Empfehlung macht Sinn, weil Kinder eine wenigstens gleich hohe Influenza-Morbidität
haben wie Erwachsene, weil sie die relevante Quelle der Epidemie darstellen und weil z. B. für Japan
gezeigt wurde, dass ein Influenza-Impfung von Schulkindern einen effizienten Herdenschutz auch für
alte Menschen bietet. Kostenersparnis für die Eltern und die Gesellschaft sind weitere Argumente für
eine solche Empfehlung.
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Abbildung 6: zeitlicher Verlauf des Nachweises von 9 Erregern akuter Atemwegsinfektionen bei
hospitalisierten Kindern in Mainz, Kiel, Freiburg. Oberes Bild mit Influenza, unteres ohne Influenza:
Wegfall der Influenza führt nicht zu einer in der Praxis wahrnehmbaren Verringerung der Anzahl akuter
Atemwegsinfektionen. Zwischen Oktober 2002 und Oktober 2004 wurden in 6380 Proben insgesamt
4615 Erreger nachgewiesen – Influenza A steht mit 522 Nachweisen nur an dritter Stelle. Quelle: Dr.
Puppe, PID-ARI.net
Bei näherem Hinsehen ist aber speziell für Deutschland wenig gut belegt, dass Herdenimmunität zu
erwarten ist. Die Morbidität im ambulanten Bereich ist wenig dokumentiert, und vor allem dürfte die
Impfung von der Bevölkerung als wenig wirksam wahrgenommen werden. Die beiden folgenden
Abbildungen zeigen, dass akute Atemwegsinfektionen nur zu ca. 12 % durch Influenza-Viren ausgelöst
werden – gerade im Winter kommt es zu vielen Infektionen mit anderen Erregern. Ein
Influenza-Impfprogramm für ein ganzes Land oder alle seine Kinder setzt eine ausgezeichnete
begleitende Epidemiologie voraus, um den Erfolg der Anstrengungen für Ärzteschaft wie auch für die
Bevölkerung zu dokumentieren.
Pandemie
Eine Influenza-Pandemie ist rein statistisch alle 27 Jahre zu erwarten – die nächste steht demnach vor
der Tür. Legt man die Angaben der Pandemie von 1918 zugrunde, so ist weltweit innerhalb von 1-2
Jahren mit 150 bis 300 Millionen Todesfällen zu rechnen. Nach anderen Modellrechnungen kommt es
"nur" zu 2 bis 7,4 Millionen Todesfällen.
Damit eine Pandemie entstehen kann, müssen 3 Voraussetzungen erfüllt sein:
1. Es muss ein neues Influenza A-Virus auftauchen, gegen das die Bevölkerung keine Immunität
besitzt;
2. dieses "neue" Virus muss sich im Menschen vermehren können und
3. es muss effizient von Mensch zu Mensch übertragbar sein.
Von diesen drei Bedingungen erfüllt derzeit das "Vogel-Influenza-Virus" vom Typ H5N1 bereits die ersten
beiden. Es stellt daher eine ernste Bedrohung dar. Das für Geflügel hoch-virulente Virus hat sich in den
letzten Monaten in sieben Ländern Asiens ausgebreitet, seit Juli auch in China, Thailand, Vietnam,
Indonesien und Malaysia. Auch Schweine in China beherbergen mittlerweile H5N1-Stämme.
Die WHO hat 1999 ihren Pandemie-Plan vorgestellt , einzelne Länder folgten. Der wichtigste Eckpfeiler
im Kampf gegen eine Influenza Pandemie sind Impfstoffe. Mit konventionellen Techniken würden aber
wenigstens 8 Monate vergehen, bis sie zur Verfügung stehen. Noch schlimmer: Vogel-Influenza-Viren
lassen sich nicht mit konventionellen Methoden anzüchten. Gentechnisch hergestellte Produkte wären
die Alternative. Leider: die Patente für die neue Technik liegen in verschiedenen Händen, es gibt
Sicherheitsbedenken und der Preis für das Endprodukt ist für viele Länder vielleicht zu hoch. Es ist auch
noch zu klären, wie der Impfstoff weltweit verteilt wird. Die USA hatten 1976 die heimische Produktion
an Influenza-Impfstoff beschlagnahmt und vom Ausland bereits bezahlte Ware nicht geliefert, um die
eigene Bevölkerung schützen zu können.
Die Chemoprophylaxe löst das Problem ebenfalls nicht . Amantadin scheint gegen H5N1-Stämme
unwirksam zu sein, für die Neuraminidase-Hemmer gibt es nicht einmal einen annähernd ausreichenden
Vorrat oder eine adäquate Produktionskapazität.
Es ist dargelegt worden, dass die Gefahr durch eine Influenza-Pandemie höher und konkreter ist
als die durch Bioterrorismus – dementsprechend sollten wir auch darauf reagieren.
Literatur beim Verfasser
Ein Influenza-Pandemieplan wurde vom RKI gerade publiziert:
www.rki.de/infekt/influenzapandemieplan/pandemieplan_teil1.pdf
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Infektiologischen Zeitgeschehen.
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Prof. Dr. med. Heinz-Josef Schmitt
Dr. Andreas Rauschenbach
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Redaktion
Dr. Andreas Rauschenbach
Erscheinungsweise: 4-mal jährlich
Inhalt:
Prof. Dr. med. Heinz-J. Schmitt
Kinderklinik, Johannes-Gutenberg-Klinik,
Langenbeckstr. 1, 55101 Mainz
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