leitfaden zum atemwegweiser für kälber und rinder

Werbung
Informationen für Rinderhalter
Leitfaden zum Atemwegweiser
für Kälber und Rinder
Die Enzootische Bronchopneumonie
130228 -D.August 2012 (005) 118
Autorin: Professor Dr. Kerstin Müller,
Klinik für Klauentiere, Berlin
www.msd-tiergesundheit.de
2 Leitfaden zum Atemwegweiser für Kälber und Rinder
Einleitung
Erkrankungen der Atemwege beim Kalb verursachen in Zucht- und Mastbetrieben
erhebliche wirtschaftliche Verluste. Je nach Betriebsrichtung (Aufzucht, Mast)
beträgt die Sterblichkeitsrate bei Kälbern bis zum Absetzen weltweit zwischen 3,6 %
und 8,8 %.1 Die größte Bedeutung haben Lungenentzündungen bei Kälbern und
Jungrindern. Diese „Enzootische Bronchopneumonie“ (abgekürzt EBP, enzootisch =
regional begrenzt auftretend) tritt in zwei Formen auf: die saisonale EBP wird vor
allem in den Herbstmonaten beobachtet und durch Virusinfektionen ausgelöst, die
die Abwehrmechanismen der Atemwege der Tiere schwächen. Die von der Jahreszeit unabhängige (asaisonale) Form der EBP tritt im Anschluss an Stresssituationen
auf, die zu einer Schwächung der Abwehr beitragen. Zu den stressauslösenden
Faktoren (Stressoren) gehören Tiertransporte und die Aufstallung von Tieren aus
Betrieben unterschiedlicher Herkunft. Daher auch der Name „Händlerhusten“.
Weitere Stressoren sind das Enthornen, das Umstallen, die Umstellung auf ein
automatisches Tränkesystem und das Absetzen.
Die Bezeichnung „Rindergrippe“ ist ein wenig irreführend, denn die Erreger ent­
sprechen nicht den Grippeviren des Menschen. Da der Begriff aber weit verbreitet
ist, wird er im Folgenden zusammen mit dem Begriff „EBP“ verwendet.
Abb. 1 Risikoperioden
Einstallen Holstein-Friesian
Geburt
7 Tage
14 Tage
Risikoperioden mit Stressbelastungen schwächen die Abwehr
Risiko
Risiko
Risiko
Gruppenhaltung
Enthornen
Einstallen Fleckvieh
6 Wochen
Aufwand und Kosten
Im Zusammenhang mit der EBP/Rindergrippe entstehen finanzielle Verluste
durch Behandlungskosten, den Mehraufwand für die Betreuung der Tiere, die
Tierverluste, das Kümmern von Tieren nach Abklingen der akuten Symptome
sowie Beanstandungen am Tierkörper anlässlich der Fleischbeschau. Außerdem
haben Rinder nach akuter und behandelter EBP/Rindergrippe nur noch ein
eingeschränktes Leistungspotential, welches sich langfristig in schlechteren
Wachstumsraten und einer schlechteren Milchleistung zeigt. Der finanzielle
Schaden wird bei leichtem Verlauf mit etwa 90 € veranschlagt, bei schwerem
Verlauf mit etwa 234 € pro Fall. 2
Ursachen und Verlauf
Die EBP/Rindergrippe ist eine Faktorenkrankheit und entsteht durch Wechselwirkungen zwischen dem Kalb sowie vielen belebten und unbelebten Komponenten,
die die verschiedenen Abwehrmechanismen der Tiere schwächen. Als „Stressoren“
lösen sie beim Tier eine messbare Stressreaktion aus.3 Schon zwei Tage nach einer
Stressbelastung werden in den Beständen die ersten Erkrankungsfälle beobachtet.
In den folgenden drei bis vier Wochen kommt es zu einem sprunghaften Anstieg
der Anzahl erkrankter Tiere.4,5
10 Wochen
Risiko
Absetzen
Risiko
Risiko
tallen Fleckvieh
Verlust maternaler Antikörper
16 Wochen
Umstallen
9 Monate
Masttiere
Zuchttiere
4 Leitfaden zum Atemwegweiser für Kälber und Rinder
Deshalb sollte gerade in diesen Risikoperioden (Abb. 1) nach einer Stressbelastung
den Tieren besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden, um Krankheitsanzeichen
frühzeitig wahrnehmen zu können. Die einzelnen Faktoren der EBP/Rindergrippe
(Abb. 2) werden nun im Wei­teren besprochen und ihr jeweiliger Einfluss auf die
Lungengesundheit der Rinder dargestellt.
Abb. 2 Stressoren als Verursacher von Atemwegsinfektionen beim Kalb
Makro- und Mikroklima
•
Zugluft
• reizende Gase
• Temperatur
• Luftfeuchte
• zu geringer Luftaustausch
Management
Abkalbebereich
• Versorgung des
Neugeborenen
• Biestmilchgabe
• Fütterung
• Hygiene
• Umgang
Kalb
•
•
Genetik
Abwehrsystem
• Allgemeinbefinden
•
Mikroorganismen
schwächen die Abwehr / breiten
sich bei Abwehrschwäche aus
•
•
Viren
Bakterien
•
•
Parasiten
Pilze
Das Zusammenwirken verschiedener Faktoren bedingt Atemwegs­erkrankungen, denn Rindergrippe/EBP ist eine Faktorenerkrankung
Kalb
Die Lunge des Kalbes
Die Lunge führt dem Körper Sauerstoff zu und transportiert das durch Stoff­
wechselprozesse entstehende Kohlendioxid ab. Die Lunge des Rindes besitzt
Eigenschaften, die sie im Hinblick auf Atemwegserkrankungen anfällig machen.
Sie ist im Verhältnis zum Körpergewicht wesentlich kleiner als die Lunge des
Pferdes (Abb. 3). Zudem sind beim Rind die beiden Lungenhälften in zahlreiche
Untereinheiten gegliedert.5 Jede Untereinheit der Rinderlunge wird nur durch
einen einzelnen Bronchus, der sich dann innerhalb dieser Untereinheit verzweigt,
mit Luft versorgt. Bei einer Lungenentzündung kann zäher Schleim die Bronchien
verstopfen, so dass das hinter der Verstopfung liegende Lungen­gewebe nicht
mehr belüftet wird und für den Gasaustausch nicht mehr zur Verfügung steht.
Abb. 3 Vergleich Lungenvolumen und Sauerstoffbedarf bei Pferd und Rind
Lungenvolumen
SauerstoffBEDARF
250 %
100 %
100 %
30 %
Quelle: Pypendop et al. in Recent Advances in Anaesthetic management in large Doemstic Animals
6 Leitfaden zum Atemwegweiser für Kälber und Rinder
Die kräftige Bronchialmuskulatur des Rindes reagiert sehr empfindlich auf Sauerstoffarmut und Entzündungen, indem sie sich zusammenzieht und dadurch den
Querschnitt des Bronchus verkleinert. Somit gelangt weniger Luft in das krankhaft veränderte Lungengewebe. Die Blutzufuhr wird in den erkrankten Bezirken
der Lunge ebenfalls gedrosselt und den gesunden Anteilen der Lunge zugeführt.
Dieser an sich sinnvolle Mechanismus kann bei Kälbern mit schweren Lungen­ent­
zündungen zu einer erheblichen Belastung des Kreislaufs führen.
Erst ab einem Alter von einem Jahr ist die Rinderlunge vollständig ausgereift.
Deshalb sind vor allem Jungtiere anfällig für Atemwegserkrankungen. Die Lungengesundheit lässt sich über züchterische Maßnahmen sowohl positiv als auch negativ
beeinflussen.6
© Dr. Gelfert
Abwehrmechanismen
Angeborene Abwehrmechanismen
Da die Lunge fortwährend in Kontakt zur Außenluft steht, verfügt sie über
besondere Abwehrmechanismen. Ein Teil der Bronchialschleimhaut ist mit mikroskopisch kleinen, beweglichen Flimmerhärchen ausgestattet, auf denen sich ein
Flüssigkeits­film be­findet. Staubteilchen aus der Umgebungsluft, denen Bakterien
anhaften, können mit der Atemluft in die Bronchien gelangen. Sie werden von
dem Flüssigkeitsfilm umhüllt und mit Hilfe des Schlages der Flimmerhärchen kopfwärts transportiert, wo sie entweder abgehustet oder abgeschluckt werden. Im
Lungengewebe patrouillieren Zellen des Immunsystems. Sie spüren Eindringlinge auf, zerstören diese und setzen gleichzeitig Botenstoffe frei, die weitere
Entzündungszellen anlocken.7 Je schneller dieser Prozess vonstatten geht, desto
eher werden die eingedrungenen Keime unschädlich gemacht. Verzögert sich
die Einwanderung von Abwehrzellen in das Lungengewebe, vermehren sich die
Bakterien im Gewebe und lösen eine übermäßige Entzündungsreaktion aus, die
das Lungengewebe schädigt. Ein derart geschädigtes Gewebe heilt oft nicht vollständig aus, sondern wird durch Bindegewebe (Narbengewebe) ersetzt und fällt
für den Gasaustausch aus. Es können sich sogar Abszesse bilden, aus denen immer
wieder Bakterien in den Blutkreislauf gelangen und zu Fieber führen können. Tiere,
deren Lunge derart verändert ist, werden aufgrund des wiederkehrenden Fiebers
immer wieder mit Antibiotika behandelt, bleiben aber im Anschluss an die Lungen­
entzündung häufig in ihrer Entwicklung zurück. Neben den Antibiotika, die zur
Behandlung der bakteriellen Infektion dienen, stehen Arzneimittel (nichtsteroidale
Entzündungshemmer = NSAID) zur Verfügung, die eine übermäßige Entzündungsreaktion unterbinden, so dass Schäden am Lungengewebe begrenzt werden.
8 Leitfaden zum Atemwegweiser für Kälber und Rinder
Erworbene Abwehrmechanismen
Die Basis für die Lungengesundheit beim Kalb wird schon mit der Geburt gelegt.
Unzureichende Lungenreife, das Einatmen von Fruchtwasser, die zu späte oder ungenügende Versorgung mit Biestmilch /Kolostrum sowie die Hygiene bei der Kalbung
und im Kälberstall spielen eine wesentliche Rolle.8 Je später die Kälber Biestmilch
erhalten und je geringer die verabreichte Menge Biestmilch ist, umso größer ist das
Risiko, dass das Kalb noch vor dem Absetzen an einer Atemwegserkrankung leidet.
Zum Thema Kolostrum-Management hat Intervet* ein Informationsblatt erarbeitet,
das über den Tierarzt kostenlos angefordert werden kann. Mit der natürlichen
Abnahme der aus der Biestmilch stammenden Antikörper etwa 4 Monate nach
der Geburt, ist das Kalb auf seine eigene Immunabwehr angewiesen. In dieser Zeit
der immunologischen Lücke (Abb. 4) müssen die Tiere ihre eigene aktive Immun­
abwehr aufbauen und setzen sich dabei vermehrt mit Virusinfektionen auseinander,
in deren Folge dann Lungen­entzündungen entstehen können.9, 10
Vorsorgliche Impfungen können die Tiere schützen oder – im Falle eines Rindergrippe-Ausbruchs – dazu beitragen, dass die Krankheit milder verläuft. Impfstrategien
müssen auf den jeweiligen Betrieb zugeschnitten sein. Sie beruhen auf einer Ein­
schätzung des Risikos, ob unter den gegebenen Umständen mit einer Einschleppung
von bestimmten Viren zu rechnen ist.
<
Deutlich
geschädigte Lunge
nach einer
Erkrankung
(rote Bereiche)
Kälber mit
geschädigter Lunge
(wie im Bild links)
bleiben im
Wachstum zurück
(rechtes Kalb) >
* Ein Unternehmen der MSD Tiergesundheit
© Dr. Gelfert
Mikroorganismen
Viren
Mehr als 20 verschiedene Virusarten wurden im Zusammenhang mit Atemwegs­
erkrankungen bei Kälbern und Jungtieren nachgewiesen (Abb. 5). Vor allem das
Parainfluenza-3-Virus (PI-3-V), das Bovine Respiratorische Synzytial-Virus (BRSV),
das Bovine Herpesvirus-1 (BHV-1, IBR-Virus) und das Bovine Virus-Diarrhoe-Virus
(BVDV) haben eine besondere Bedeutung für die EBP/Rindergrippe. Die Rolle
von Adenoviren und Bovinen Coronaviren (BCV) ist noch nicht endgültig geklärt.
Die Viren schwächen die Immunabwehr und schädigen die Barrieren, die den
Atmungstrakt vor einer bakteriellen Infektion schützen.4, 10 Auf diese Weise er­füllen sie die Funktion eines Wegbereiters für die Bakterien.
Abb. 4 Übergang von der passiven zur aktiven Immunität
kalbeigene Antikörper nach Impfung
Antikörper-Konzentration
maternale Antikörper
Schutz-Level
immunologische Lücke
Zeit
10 Leitfaden zum Atemwegweiser für Kälber und Rinder
Bakterien
Mannheimia haemolytica, Pasteurella multocida, Histophilus somni
Die Nasenschleimhaut, die Mandeln und der Rachenraum des gesunden Kalbes
beherbergen zahlreiche Bakterien, die sich in einem natürlichen Gleichgewicht
befinden. Unter Einwirkung der Stressoren gewinnen Mannheimia haemolytica,
Pasteurella multocida und Histophilus somni die Oberhand, verdrängen die anderen
Arten und können mit der Atemluft in die Lunge gelangen.11 Daher werden diese
Erreger regelmäßig im Zusammenhang mit EBP/Rindergrippe-Ausbrüchen nach­
gewiesen. Die Lungen gesunder Rinder sind normalerweise entweder steril oder
es sind nur vereinzelt und vorübergehend Bakterien nachweisbar. Solange die
Ein­dringlinge mit Hilfe der beschriebenen Abwehrmechanismen wirkungsvoll
be­seitigt werden können, werden die Tiere nicht krank.
Das Bakterium Mannheimia haemolytica wird als bedeutendster Erreger der EBP/
Rindergrippe angesehen.12 Es kann ohne Mitwirkung anderer Komponenten
bereits sehr schwere Lungenschäden verursachen, während Pasteurella multocida
die Lunge erst bei einer bestehenden Abwehrschwäche und häufig gemeinsam mit
anderen Bakterien besiedelt. Bei der vorbeugenden Schutzimpfung sollte der Impfstoff optimalerweise auch die Bakterien (v.a. Mannheimia haemolytica) abdecken.
Dadurch besteht die Chance, den Antibiotikaverbrauch im Betrieb zu senken.
© Dr. Stemme
Risikoperiode Einstallung
Holstein-Friesian: neue
Umgebung, neues Futter
bedeuten Stress für
die Kälber und erhöhtes
Risiko für Atemwegs­
erkrankungen
In den letzten Jahren haben Mykoplasmen im Zusammenhang mit Atemwegs­
erkrankungen bei Kälbern immer mehr an Bedeutung erlangt, allen voran
Mycoplasma bovis.13 Fütterung mykoplasmenhaltiger Milch führt zur Besiedelung
der Schleimhäute der oberen Atemwege. Über den Zukauf von Tieren werden
Mykoplasmen in Aufzucht- und Mastbetriebe eingeschleppt, wo in der zweiten
Woche nach Ankunft erste Symptome beobachtet werden.4 Neben ernsten
Lungen­entzündungen, die zu Rückfällen neigen, treten gehäuft Mittelohrent­
zündungen auf, so dass die Tiere den Kopf schräg halten. In Betrieben mit einem
durch Mykoplasmen verursachten Mastitisproblem wird die Pasteurisierung der
Vollmilch vor der Verfütterung empfohlen.14
Die Aussichten einer antibiotischen Behandlung, besonders bei nicht mehr
frischen Infektionen, sind begrenzt.
Abb. 5 Belebte Komponenten
Viren
schwächen die Immunabwehr und
zerstören die natürlichen Barrieren
der Atemwege
•
Parainfluenza-3-Virus (PI-3-V)
Bovines Respiratorisches Synzytial-Virus
(BRSV)
• Bovines Herpesvirus-1 (BHV-1, IBR-Virus)
• Bovines Virus-Diarrhoe-Virus (BVDV)
•
Bakterien
bewohnen oft die Nasenschleimhaut
und die Mandeln und nutzen eine
Abwehrschwäche, um sich in der Lunge
anzusiedeln und sich dort zu vermehren
• Mannheimia haemolytica
• Pasteurella multocida
• Histophilus somni
• Arcanobacter pyogenes
• Mykoplasmen (M. bovis, M. dispar)
• Chlamydien
12 Leitfaden zum Atemwegweiser für Kälber und Rinder
Makro- /Mikroklima und Management
Unbelebte Komponenten (Abb. 2), die das Auftreten der EBP/Rindergrippe
begünstigen, schließen die Aufstallung, das Stallklima, das Management und
die Mensch-Tier-Beziehung ein.
In Kälbermastbetrieben spielen neben dem Transport und der Aufstallung von
Tieren unterschiedlicher Herkunft vor allem Defizite hinsichtlich des Platzange­
botes, der Bodenbeschaffenheit, der Verfügbarkeit von Tränken, des Stallklimas
und der Möglichkeit zur Äußerung eines normalen Sozialverhaltens eine Rolle. In
der Kälberaufzucht werden vornehmlich Defizite beim Stallklima, der Hygiene
und der Fütterung festgestellt.1
Zahlreiche Empfehlungen und Richtwerte für die tiergerechte Haltung von Kälbern
stehen in Deutschland (Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung) und Österreich
(1. Tierhaltungsverordnung) zur Verfügung und sollten zur Verbesserung der Haltungsbedingungen herangezogen werden.15, 16, 17, 18 Neben den betriebseigenen
Daten zur Tiergesundheit können die baulichen Gegebenheiten und auch das
Tierverhalten als Indikatoren zur Beurteilung verwendet werden.
© Dr. Gelfert
Zu dunkel, zu dreckig,
schlechte Belüftung:
Atemwegserreger
haben hier ein leichtes
Spiel
Makro- und Mikroklima
Für neugeborene Kälber ist vor allem die direkte Umgebung der Tiere von
Bedeutung (Mikroklima). Die Fähigkeit, die Körpertemperatur bei wechselnden
Außenbedingungen konstant zu halten, ist bei den jungen Kälbern noch nicht
ausgeprägt. Vor allem in mit Stroh eingestreuten Ställen können sich die Tiere wie
in einem Nest mit Stroh umgeben. Auf diese Weise wird auch angesichts kühler
Außentemperaturen ein tiergerechtes Mikroklima gewährleistet.
Weist das Klima im gesamten Stall (Makroklima) hohe Staubbelastung, eine
Luftfeuchtigkeit < 50 % bzw. > 80 %, Temperaturschwankungen von über 10 °C
zwischen Tag und Nacht, Belastungen durch Schadgase und hohe Keimzahlen in
der Luft (Anwendung des Dampfstrahlgerätes bei Anwesenheit der Tiere) auf,
führt das zu einer Schädigung der Abwehrmechanismen des Kalbes und begünstigt
das Entstehen von Atemwegserkrankungen.3 Über eine Erhöhung der Luftwechselrate (in Außenklimaställen 6 Mal pro Stunde) lassen sich solche Fehler vermindern.
In Warmställen muss der Luftwechsel über eine Zwangslüftung erfolgen. Dabei
muss Zugluft (Strömungsgeschwindigkeit der Luft > 0,2 m/s) generell vermieden
werden.
© Dr. Gelfert
Die Aufstallung der jungen
Kälber in Einzeliglus beugt
Atemwegserkrankungen vor
14 Leitfaden zum Atemwegweiser für Kälber und Rinder
Management
Zahlreiche Studien untermauern die Bedeutung des Betriebsmanagements
und der Mensch-Tier-Beziehung im Zusammenhang mit der Kälbergesundheit.
Seit langem ist bekannt, dass Tiertransporte eine Stressreaktion auslösen, die
die Immunabwehr der Tiere nachteilig beeinflusst. Die Art des Umgangs mit den
Kälbern übt einen Einfluss auf die Tiergesundheit aus, der unterschätzt wird.
Schon das Enthornen oder das Umstallen an sich oder die Umstellung auf einen
Tränke­automaten ist mit einer messbaren Stressreaktion verbunden, die sich
noch verstärkt, wenn gleichzeitig mehrere Stressoren auf die Tiere einwirken oder
ruppig mit den Tieren umgegangen wird. Deshalb sollten vermeidbare Stressoren
abge­stellt und eine Häufung unvermeidbarer Stressoren vermieden werden.
Die Ernährung der Kälber spielt eine große Rolle. Tränkemengen von 15 % des
Körpergewichtes werden als zu gering angesehen, da Kälber, die bei der Mutter
bleiben, bis zu 16 l Milch pro Tag aufnehmen.1 Die Erhöhung der Tränkemenge
und der Anzahl der Mahlzeiten führt zu einer Leistungssteigerung bei der
späteren Milchkuh.15 Bei Verwendung eines Milchaustauschers sollten dessen
Qualität und die Art der Zubereitung überprüft werden, da die Vorschriften
auf den Sack­anhängern nicht selten zu Missverständnissen Anlass geben.
© Dr. Gelfert
Risikoperiode Einstallung Fleckvieh:
zusammengekauft
aus verschiedenen
Herkünften und
transportiert in eine
fremde Umgebung:
eine typische Stresssituation mit hohem
Risiko für Atemwegserkrankungen
Erkennung, Behandlung und Aussichten
Die rechtzeitige Erkennung von Atemwegserkrankungen durch den Tierhalter
und die sofortige Hinzuziehung des Tierarztes im Verdachtsfall tragen erheblich
zum Erfolg der Behandlung bei. Besonders in Risikoperioden mit erhöhtem
Stress (Abb. 1) sollten die Tiere gut beobachtet werden. Die Tränke- bzw. Futter­
aufnahme ist als alleiniger Indikator für Krankheiten ungeeignet. Da die Tränke­
aufnahme in der Anfangsphase der EBP/Rindergrippe beim Kalb meist noch
erhalten ist, wird die Erkrankung häufig zu spät erkannt und die Aussichten auf
vollständige Heilung werden ungünstig.
Die Kälber sollten einmal täglich aus der Entfernung beobachtet werden, wobei
auf die folgenden Erscheinungen geachtet werden sollte: Husten, Absondern von
der Gruppe, Trägheit, verstärkte Atmung. Verdächtige Tiere müssen aus der Nähe
betrachtet werden, wobei auf die Haltung des Kopfes (aufrecht, gesenkt, schräg),
den Stand der Ohren (waagerecht, ein oder beide Ohren hängen herab), die
Art der Atembewegungen (gerade eben sichtbar, angestrengt, Flankenschlagen),
die Augen und ihre Umgebung (sauber, Sekretstraßen, Krusten, eitrig verklebt),
das Flotzmaul und die Umgebung der Nasenöffnungen (kein, wässriger, wolkiger
oder eitriger Nasenausfluss) geachtet sowie die Körpertemperatur gemessen
werden sollte. Temperaturen im Bereich 39,5 bis 40,5 °C sind verdächtig, bei noch
höheren Temperaturen ist höchste Eile geboten. Der herbeigerufene Tierarzt wird
die verdächtigen Kälber oder mehrere Tiere aus der Gruppe verdächtiger Tiere
untersuchen. Die Untersuchung gibt Aufschluss über die Art und Ausdehnung
der Erkrankung und liefert wertvolle Hinweise für die Einschätzung der Heilungs­
aussichten und die zu erwartende Behandlungsdauer.
Erkrankte Tiere sind sofort und ausreichend zu behandeln. Gleichzeitig gilt es,
noch gesund erscheinende Tiere, die zeitgleich ein erhöhtes Risiko für eine Atem­
wegs­erkrankung haben (Gruppenmitglieder erkrankter Kälber), durch eine
geeignete Metaphylaxe vor Erkrankungen zu bewahren.
16 Leitfaden zum Atemwegweiser für Kälber und Rinder
Ein nicht unerheblicher Anteil Antibiotika wird Kälbern verabreicht, die unter
verschleppten Atemwegserkrankungen leiden und später entweder euthanasiert
werden oder nicht das Ende der Mast- bzw. Aufzuchtperiode erreichen.
Im Sinne eines verantwortungsvollen Umganges mit Antibiotika ist festzuhalten,
dass mangelhafte Haltungsbedingungen nie über die Anwendung von Antibiotika
kompensiert werden können. Der Ausbruch der Rindergrippe muss vielmehr Anlass
sein, die Schwachstellen im Betrieb systematisch aufzuspüren und zu beseitigen.
Das Ziel ist ein Rückgang der Erkrankungsrate und damit eine Verminderung des
Einsatzes von Antibiotika.
In Zusammenarbeit mit Frau Prof. K. Müller,
Berlin, hat Intervet , ein Unternehmen der
MSD-Tiergesundheit, ein anschauliches und
informatives Stallposter zur Früherkennung
der Rindergrippe entwickelt.
Dieser „Atemweg­weiser für Kälber und Rinder“
fasst die wichtigsten Informationen zu Risiko­
perioden und äußeren Symptomen für den
Tierhalter zusammen. Das Stallposter steht
unter www.msd-tiergesundheit.de/rindergrippe
zum Download bereit oder kann über Ihren Tier­
arzt bei Intervet kostenlos angefordert werden.
Literatur
1. Rushen, J., de Pasillé, A.M., von Keyserlingk, M.A.G., Weary, D.M. (2010): The Welfare of Cattle. Springer Verlag,
Dordrecht, Niederlande: 181 - 253
2. Lührmann, B. (2009): Krank und teuer, DLZ 7/2009
3. Lago, A., McGuirk, S.M., Bennett, T.B., Cook, N.B., Nordlund, K.V. (2006): Calf respiratory disease and pen
microenvironment in naturally ventilated calf barns in winter. J. Dairy. Sci. 89: 4014 - 4025
4. Pardon, B., De Bleecker, K., Dewulf, J., Callens, J., Boyen, F., Catry, B., Deprez, P. (2011): Prevalence of respiratory
pathogens in diseased, non-vaccinated, routinely medicated veal calves. Vet. Rec. 169: 278
5. Mc Laughlin, R.F., Tyler, W.S., Canada, R.O. (1961): A study of the subgross pulmonary anatomy in various
mammals. Am. J. Anat. 108: 149 -158
6. Lekeux, P. (1993): Pulmonary function in healthy, exercising and diseased animals. Vlaams Diegeneesk. Tijdschr.
Special issue
7. Soethout, E.C., Müller, K.E., Rutten, V.P.M.G. (2002): Neutrophil migration in the lung, general and bovine-specific
aspects. Vet. Immunol. Immunopathol. 87: 277 - 285
8. Stokka, G.L. (2010): Prevention of respiratory disease in cow/calf operations. The Vet. Clin. North Am. Food Anim.
Pract. 26: 229 - 241
9. Thiry, E. (2007): Clinical Virology of Ruminants. Les Éditions du Point Vetèrinaire, Paris, France
10. Larsen, L.E. (2000): Bovine Respiratory Syncytial Virus (BRSV). A review. Acta vet. scand. 41: 1 - 24
11. Confer, A.W. (2009): Update on bacterial pathogenesis in BRD. Anim. Health Res. Rev. 10 (2): 145 -148
12. Ewers, Ch., Lübke-Becker, A., Wieler, L.H. (2004): Mannheimia haemolytica und die Pathogenese der Enzootischen
Pneumonie. Berl. Tierärztl. Wschr. 117: 97 -115
13. Caswell, J.L., Archambault, M. (2008): Mycoplasma bovis pneumonia in cattle. Animal Health Research Reviews 8:
161 -18
14. Butler, J.A., Sickles, S.A., Johanns, C.J., Rosenbusch, R.F. (2000): Pasteurization of discard Mycoplasma mastitic milk
used to feed calves: thermal effects on various Mycoplasma. J. Dairy Sci. 83: 2285 - 2288
15. Whay, H.R., Main, D.C.J., Green, L.E., A.J.F. Webster (2003): An animal-based welfare assessment of group-housed
calves on UK dairy farms. Animal Welfare 12: 611 - 617
16. Richter, Th., Karrer, M. (2006): Grundsätze der Nutztierhaltung. In: Krankheitsursache Haltung (Th. Richter, Hrsg.),
Enke Verlag, Stuttgart: 15 - 63
17. Schäffer, D., von Borell, E., Richter, Th. (2007): Kritische Kontrollpunkte (CCP) in der Kälberhaltung.
Züchtungskunde 79: 363 - 393
18. Welfare Quality Consortium (2009): Assessment protocol for cattle. ASG Veehouderij BV, Lelystad,
The Netherlands
18 Leitfaden zum Atemwegweiser für Kälber und Rinder
Äußere Symptome*
OK
Alarm
munteres Kalb
sondert sich ab, reagiert auf Reize
normal
Nasenausfluss wässrig, klar
normal
Tränenstraßen
normal
Kopf gesenkt, Ohren hängen etwas herab
Verhalten
sonde
Nase
Augen
Kopfhaltung
Na
ze
herab
höchster Alarm
bleibender Schaden
sondert sich ab, ist träge und teilnahmslos
liegt fest oder steht nur mit Mühe auf
Nasenausfluss fadenziehend, wolkig
Nasenausfluss eitrig
eingetrocknete Krusten
eitrig verkrustet
* Modifiziert nach
McGuirk, S.M. 2009.
Univ. of WisconsinMadison, School of
Veterinary Medicine
Kopf gesenkt und schräg
Kopf gesenkt, beide Ohren hängen herab
130228 -D.August 2012 (005) 118
Praxisstempel
Intervet Deutschland GmbH
Feldstraße 1a
D-85716 Unterschleißheim
www.msd-tiergesundheit.de
Intervet GesmbH
Siemensstraße 107
A-1030 Wien
www.msd-tiergesundheit.at
Intervet Deutschland GmbH jetzt ein Unternehmen der MSD Tiergesundheit
Herunterladen