Wenn im Bauch eine Bombe tickt

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Münchner Merkur Nr. 163 | Montag, 18. Juli 2011
MEINE SPRECHSTUNDE
Prof. Dr. Christian Stief
Als Chefarzt im Münchner
Klinikum Großhadern erlebe ich täglich, wie wichtig
medizinische Aufklärung
ist. Meine Kollegen und ich
möchten den Merkur-Lesern
daher jeden Montag ein Thema vorstellen, das für ihre
Gesundheit von Bedeutung
ist. Im Zentrum der heutigen
Seite steht das Bauch-Aneurysma, eine gefährliche Erweiterung der Hauptschlagader. Der Experte des Beitrags ist Prof. Dr. Thomas
Koeppel. Er ist Chefarzt der
Gefäßchirurgie im Klinikum
Großhadern und im Klinikum Innenstadt der LudwigMaximilians-Universität.
Der Gefäßspezialist erklärt,
wann ein BauchaortenAneurysma zur Gefahr wird
und wie man es behandeln
kann.
Stichwort:
Die Aorta
Die Hauptschlagader, auch Aorta genannt, ist die größte Arterie des menschlichen Körpers.
Sie entspringt an der linken
Herzkammer, verläuft dann bogenförmig im oberen Brustkorb
nach oben und senkt sich dann
entlang der Wirbelsäule durch
den Brust- und Bauchraum. In
ihr fließt das sauerstoffreiche
Blut in den großen Körperkreislauf. Die Aorta ist ständig einem
großen Druckunterschied ausgesetzt. Ihre Wände sind daher
besonders elastisch. Beim gesunden Menschen hat sie einen
Durchmesser von 2,5 bis 3,5
Zentimetern. In ihrem Verlauf
durch den Körper zweigen immer wieder Gefäße ab. Vom
Aortenbogen aus versorgen Gefäße Kopf und Arme. Im Brustkorb verlaufen Arterien zum
Beispiel zur Speiseröhre, zum
Lungengewebe und zum Rückenmark. Die Aorta führt dann
durch das Zwerchfell. Ab hier
heißt sie Bauchaorta. Unterhalb
der Nierengefäße zweigen Gefäße ab, die die Beckenorgane
und den Darm versorgen. In der
Höhe des Nabels teilt sie sich
dann in die beiden großen Beckengefäße auf.
sog
Leben
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Wenn im Bauch eine Bombe tickt
Im Bauch von Peter Ries
tickte eine Bombe, die jeden Moment hochgehen
konnte. Die Schlagader
hatte sich erweitert und
drohte zu platzen. Eine
OP war nicht möglich.
Doch mit einem modernen Katheter-Verfahren
konnten Gefäßexperten
die Gefahr bannen.
VON SONJA GIBIS
Der Koffer ist gepackt – nur eine Woche nach dem schweren Eingriff. Peter Ries sitzt im
Aufenthaltsraum des Klinikums Großhadern. „Einen
Marathon laufen kann ich
noch nicht“, sagt er und lacht.
Doch ist er guter Dinge. Vor
einer Woche war sein Zustand noch lebensbedrohlich.
Die Hauptschlagader in seinem Bauch hatte sich gefährlich erweitert, konnte jeden
Augenblick reißen.
Passiert das, kann nur eine
Not-Operation das Leben retten. Doch die Hälfte der Betroffenen schafft es nicht in
die Klinik. Bereits Peter Ries’
Vater war an einem solchen
Riss eines Aneurysmas, wie es
die Ärzte nennen, gestorben.
Er war 74 Jahre alt. Peter Ries
hat ihn bereits um vier Jahre
überlebt – auch dank der modernen Medizin.
Der Münchner hatte zunächst nicht bemerkt, dass
seine Hauptschlagader im
Bauch erweitert war. „Das ist
bei den meisten Patienten so“,
sagt Professor Thomas Koeppel, der mit seinem Team Ries
im Klinikum Großhadern behandelte. Denn nur manchmal haben die Betroffenen
Schmerzen im Rücken oder
im Bauch, deren Herkunft sie
nicht klar deuten können. In
einigen Fällen lässt sich der
Sack, zu dem sich die Hauptschlagader erweitert hat, ertasten: Man spürt eine pulsierende Geschwulst. Doch
meist ahnen die Betroffenen
nicht, dass in ihrem Bauch eine Bombe tickt – bis sie
schließlich hochgeht.
Reißt das erweiterte Gefäß,
kann es zu einer Blutung ins
Bauchfell kommen, die mehrere Tage unbemerkt bleibt.
Oft trifft es die Patienten aber
wie ein Schlag: Sie fühlen einen plötzlichen, heftigen
Schmerz im Bauch. Der Blutdruck fällt, sie erleiden einen
Schockzustand, werden bewusstlos. Oft verbluten sie
noch vor Ort.
Ein Schutz für erweiterte Gefäße: Prof. Thomas Koeppel zeigt seinem Patienten Peter Ries eine Gefäßstütze. Eine solche
sitzt jetzt auch in der Bauch-Schlagader des Münchner Rentners.
FOTO: OLIVER BODMER
Peter Ries kurz vor dem Katheter-Eingriff.
Dass es bei Peter Reis nicht
so weit kam, verdankt er auch
dem Zufall. Zum Arzt brachten ihn Probleme mit einer
Herzklappe. Sie schloss nicht
mehr richtig und musste ersetzt werden. Eine Untersuchung mit Ultraschall zeigte:
Nicht nur die Herzklappe,
auch die Aorta war krankhaft
verändert. Denn oft treten Erkrankungen im Gefäßsystem
gleichzeitig an mehreren Stellen des Körpers auf. Vor allem
KLINIKUM DER LMU
Arteriosklerose, die Arterienverkalkung, erhöht auch das
Risiko, dass sich die Hauptschlagader im Bauch bedrohlich erweitert. Männer sind
deutlich öfter betroffen als
Frauen. Eine Rolle spielt aber
auch eine genetische Veranlagung. Nicht selten leiden
mehrere Familienmitglieder
an einem Aneurysma – wie
auch im Fall von Peter Ries.
Nicht nur sein Vater, auch
sein Bruder war betroffen und
musste operiert werden.
Zunächst war die vier Zentimeter dicke Erweiterung bei
Peter Ries noch nicht bedrohlich. „Der Arzt sagte aber,
man muss es beobachten“, erzählt Ries. Die regelmäßigen
Untersuchungen zeigten: Das
Gefäß wurde immer weiter.
Ihre Wand wurde dabei immer dünner – wie bei einem
Fahrradschlauch, der aufgeblasen wird. Am Anfang ist die
Wand an der erweiterten Stelle noch recht stabil, die Blase
wird nur langsam größer.
„Doch je dünner sie wird, desto schneller bläht sie sich auf“,
erklärt Koeppel. Bis sie am
Ende platzt.
Peter Ries wusste, dass das
auch bei ihm passieren könnte. Und er wusste, was im
schlimmsten Fall passieren
kann. Er hat es bei seinem Vater erlebt. Dennoch: Angst habe er in der Zeit nicht gehabt,
sagt er. „Das ist Schicksal.“
Als sich die Schlagader dann
aber auf einen Durchmesser
von 5,7 Zentimeter vergrößert
hatte, gab der Facharzt Alarm.
Denn ab etwa fünf bis fünfeinhalb Zentimeter steigt das Ri-
siko, dass das Gefäß reißt,
drastisch an. Bei etwa 30 Prozent der Patienten mit einer
starken Erweiterung kommt
es innerhalb von zwei Jahren
zu einer bedrohlichen Blutung. Auch Gerinnsel können
sich bilden, die mit dem Blutstrom durch den Körper wandern und Gefäße verschließen, vor allem in den Beinen.
„Jetzt nicht zu handeln – das
hätte bedeutet, das Schicksal
herauszufordern“, sagt Ries.
Im Gefäßzentrum des Klinikums Großhadern kommt
er in die Sprechstunde von
Professor Thomas Koeppel.
Um ein Bauchaorten-Aneurysma, diese tickende Bombe,
zu entschärfen, nützen die
Chirurgen dort zwei Techniken: Eine offene OP mit großem Bauchschnitt oder einen
Eingriff mit Katheter.
Doch eine solch große Operation war bei Peter Ries nicht
möglich. Nach der Herzklappen-OP war das Risiko zu
groß. Für ihn kommt nur der
Eingriff mittels eines Katheters infrage. Über kleine
Schnitte in der Leiste gelangen die Gefäßspezialisten mit
biegsamen Drähten und Kathetern durch den erweiterten
Bereich der Schlagader. Unter
dem Röntgengerät sehen sie
zu jeder Zeit genau, wo sich
die Katheter befinden. In einer Untersuchung mit Kontrastmittel kann man die
Haupt- und Beckenschlagadern, aber auch die Bauchund Nierenschlagadern präzise darstellen. Unter Durchleuchtung führen sie dann eine Gefäßstütze, einen Stentgraft, ein. Dieser besteht aus
einem Metall-Geflecht mit
Kunststoffüberzug. In einer
speziellen Hülle ist er zunächst eng zusammengefaltet.
Sobald er in Position ist, wird
die Hülle zurückgezogen. Im
Blutgefäß spannt er sich dann
– fast wie ein Regenschirm –
von selbst auf und stützt die
Gefäßwand von innen.
Bei der Gefäßstütze gibt es
mehrere Arten, je nach der
Form des Aneurysmas. Erstreckt sich die Erweiterung
bis in die Beckenarterien hinein, wählen die Gefäßexperten oft einen mehrteiligen
Stent. Das Hauptteil ist unten
verzweigt wie ein auf den
Kopf gestelltes Y. Von dem
zweiten Beinchen fehlt allerdings zunächst das größte
Stück. Es wird dann über einen zweiten Katheter ergänzt
– auch bei Peter Ries.
OP oder Katheter:
Beide Verfahren sind
heute etwa gleich gut
Das Stent-Verfahren wurde
erstmals Anfang der 1990erJahre eingesetzt. Inzwischen
gibt es Erfahrungen mit vielen
tausend Patienten. „Die Ergebnisse der beiden Verfahren
sind inzwischen fast gleich
gut“, sagt Koeppel. Zwar bergen beide Risiken. In einem
spezialisierten Zentrum für
Erkrankungen der Hauptschlagader ist die Chance auf
Erfolg heute allerdings sehr
hoch. Dennoch: „Es ist ein
komplizierter Eingriff, bei
dem auch Patienten sterben
können“, sagt Koeppel.
Bei Peter Ries verlief alles
gut. „Einen Tag später konnte
ich schon wieder aufstehen“,
sagt er. Da kein großer Bauchschnitt gemacht wurde, erholte er sich rasch – und sieht
wieder eine Zukunft. Und die
kann heute auch für einen
78-Jährigen noch eine lange
Zeit dauern. „Altern“, sagt
Ries mit TV-Legende Blacky
Fuchsberger. „Das ist eben
nichts für Feiglinge.“
Bauch-Ultraschall – eine Untersuchung, die Leben retten kann
VON SONJA GIBIS
Es ist eine tickende Zeitbombe. Doch den meisten Betroffenen ist die Gefahr, in der sie
leben, nicht bewusst. Untersuchungen haben gezeigt: Etwa drei Prozent der Männer
über 65 Jahre haben eine erweiterte
Bauchschlagader.
Meist sitzt sie unterhalb der
Nierenarterien knapp oberhalb des Bauchnabels. Oft haben die Betroffenen keine Beschwerden – bis die Bauchaorta reißt. Dann sterben
neun von zehn Betroffenen.
Warum eine solche Erweiterung der Hauptschlagader
entsteht, ist im Einzelfall nicht
völlig klar. Fest steht: Menschen die unter Arteriosklerose, der Arterienverkalkung,
leiden, erkranken häufiger daran. Auch Vererbung spielt eine Rolle. Bei etwa 20 Prozent
der Patienten leiden mehrere
Familienmitglieder daran. Ein
deutlich erhöhtes Risiko haben zudem Raucher.
Gefäß-Experten raten vor
allem Menschen, die ein erhöhtes Risiko haben, zu einer
Untersuchung mit Ultraschall
(Sonografie), bei der sich die
Erweiterung früh erkennen
lässt. Zu den Risikopatienten
gehören generell Männer ab
65 Jahren. Vor allem aber,
wenn sie rauchen, geraucht
haben oder Herz-KreislaufErkrankungen haben. Frauen
leiden wesentlich seltener an
einer gefährlichen Erweiterung der Bauchschlagader.
Doch sollten sie sich ab 65
ebenfalls untersuchen lassen,
wenn sie rauchen oder Arteriosklerose haben. Hat es in
Raucher haben ein
deutlich erhöhtes
Risiko zu erkranken
der Familie bereits Fälle von
Bauchaorten-Aneurysmen
gegeben, sollten sich die Betroffenen schon deutlich früher untersuchen lassen.
Solche Screening-Untersuchungen könnten viele Leben
retten. Doch werden sie zurzeit noch nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung
bezahlt. Die Kosten für eine
Untersuchung sind dabei aber
vergleichsweise gering.
Wird festgestellt, dass die
Hauptschlagader erweitert ist,
sollten sich die Betroffenen
regelmäßig untersuchen lassen. Vor allem wenn das
Aneurysma rasch wächst, besteht die Gefahr, dass es reißt.
Ist dieses Risiko deutlich größer als das bei einem medizinischen Eingrif, raten Mediziner dem Patienten in der Regel zu einem solchen.
Im Jahr 2009 wurde dieser
Eingriff bei etwa 5700 Patienten in Deutschland minimalinvasiv mit einem Katheter
durchgeführt. Etwa 8000 Patienten wurden offen operiert.
Experten gehen davon aus,
dass die Zahlen inzwischen
ausgeglichen sind. Bei der offenen OP gelangt der Chirurg
durch einen großen Bauchschnitt an das Aneurysma. Bei
der Operation wird zunächst
die Schlagader im Bauch freigelegt, abgeklemmt und im erweiterten Bereich aufgeschnitten. Die Gefäßchirurgen nähen dann eine Gefäßprothese aus Kunststoffgewebe ein. Gerinnsel und Ablagerungen werden entfernt, das
Blutgefäß um das Kunstgefäß
herumgelegt und dann wieder
verschlossen.
A: Beim Einführen ist die Gefäßstütze noch zusammengefaltet.
B: Nach dem Einsetzen fließt das gesamte Blut durch den Stent.
Bei dem Katheter-Verfahren sind dagegen nur kleine
Schnitte in der Leiste nötig.
Über diese gelangt der Gefäßexperte mit dem Katheter bis
in die Bauchschlagader. Dort
wird eine Gefäßstütze, ein so-
genannter Stentgraft, entfaltet. Das Blut fließt dann durch
diesen und übt keinen Druck
mehr auf die schwach gewordene Gefäßwand aus.
Doch ist die Methode nicht
für jeden Patienten geeignet.
Entscheidend ist vor allem die
Form des Aneurysmas. So
müssen oberhalb und unterhalb der Erweiterung ausreichend lange Bereiche vorhanden sein, in denen das Gefäß
nicht erweitert ist. Nur so
kann sich die Prothese dort
dicht an die Gefäßwand anlegen, dass kein Blut mehr in
das Aneurysma fließt.
„Eine optimale Planung
und Vorbereitung der Operation ist ein ganz entscheidender Erfolgsfaktor für das Gelingen der Operation“, sagt
Dr. Rolf Weidenhagen, leitender Oberarzt der Gefäßchirurgie Großhadern. Die Daten
der Untersuchung im Computer-Tomografen werden als
dreidimensionales Bild aufbereitet. „So lassen sich die Größen- und Längenverhältnisse
exakt einschätzen.“ Doch
auch die Beckenarterien können Probleme bereiten. Sind
diese sehr verschlängelt oder
verkalkt, lässt sich der Katheter schwer einführen.
Sind die Voraussetzungen,
um einen Stent einzusetzen,
ungünstig, kann in manchen
Fällen aber dennoch eine wenig invasive Behandlung
durchgeführt werden. „In solchen Fällen können wir mit
einer maßgeschneiderten Prothese die Anatomie des Patienten überlisten“, sagt Prof.
Thomas Koeppel, Chefarzt
der Gefäßchirurgie am Klini-
Maßgeschneiderte
Prothesen überlisten
schwierige Anatomie
kum der Universität München. Die Patienten erholen
sich nach dem Einsetzen eines
Stents deutlich schneller als
nach einer offenen OP. Doch
müssen sie regelmäßig zur
Nachuntersuchung.
„Das oberste Gebot ist die
Sicherheit der Patienten“, sagt
Koeppel. Daher haben die
Herz- und Gefäßspezialisten
am Klinikum Großhadern die
„Aortenallianz München“ gegründet. Eine fachübergreifende Zusammenarbeit soll
die bestmögliche Behandlung
von Patienten mit Erkrankungen der Aorta ermöglichen.
Leserfragen an die Experten:
wissenschaft@merkur-online
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