Christoph- Mathias Mueller - Göttinger Symphonie Orchester

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Interview mit dem Chefdirigenten des Göttinger Symphonie Orchesters
Christoph- Mathias Mueller
Worin liegt der Reiz, die Faszination und der künstlerische Wert dieses Projektes,
immerhin eine Welturaufführung?
Das Faszinierende und auch das Außergewöhnliche an diesem Projekt ist, dass wir die Möglichkeit in
die Hand bekommen, etwas Realität werden zu lassen, was Claude Debussy als Konzept in seinem
Kopf hatte. Er hatte den Auftrag der Metropolitan Opera in New York, zwei Kurzopern basierend auf
Texten von Edgar Allan Poe zu schreiben, und das hat ihn bis zu seinem Lebensende beschäftigt. Uns
gelingt es nun das erste Mal, diese zwei Kurzopern so aufzuführen, wie Debussy das ursprünglich
konzipiert hatte. Wir können jetzt zwar nur spekulieren, ob Debussy seinerzeit wirklich so empfunden
hat, aber ich glaube wir können uns mit diesem Projekt Debussys Ideen und seiner Geisteswelt
nähern, als er 1908 diesen Auftrag der Met bekam, diese zwei Kurzopern zu komponieren.
Worin unterscheidet sich die Musik dieser beiden Spätwerke Debussys etwa von der
Musik seiner Oper „Pelléas et Mélisande“?
Da sich Claude Debussy schon sehr früh mit den Texten von Edgar Allan Poe beschäftigt hat, ist es
vielleicht etwas irreführend, hier von Spätwerken zu sprechen. Mit Poes Kurzgeschichte „Untergang
des Hauses Usher“ hat sich Debussy schon seit den 1890ern befasst, an der Komposition vom „Teufel
im Glockenturm“, dem zweiten Stück, hat er von 1902 – 1912 bearbeitet. Für den „Usher“ hat er die
Kompositionsskizzen dann von 1908 – 1917, also bis kurz vor seinem Tod angefertigt. Rein musikalisch
unterscheiden sich diese zwei Werke sehr deutlich. Das eine, der „Untergang des Hauses Usher“, ist in
einem Stil geschrieben, der sich annähert an diesen Spätstil von Debussy, harmonisch zum Teil sehr
schwer zu fassen und vergleichbar mit „Jeux“. Es ist auch vom Rhythmischen sehr komplex, da gibt es
keinen durchgehenden Puls. Die Musik vom „Teufel im Glockenturm“ hat eine frühere DebussyFärbung, zu vergleichen etwa mit seinen Klavierwerken aus den 1890er Jahren. Das liegt natürlich auch
an der im Gegensatz zum „Usher“ ganz anderen Geschichte. Und deshalb birgt diese
Zusammenstellung der beiden Werke auch eine große Spannung in sich. Aber mit „Pelléas“ sind sie
nicht zu vergleichen. Denn dessen musikalischer Stil steht etwa in der Mitte zwischen dem „Teufel im
Glockenturm“ und dem „Haus Usher“ als späterem Werk.
DAS SymphonieOrchester Niedersachsens
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Beide Kurzopern lagen nach Debussys Tod nur als Fragmente vor. Robert Orledge hat
sie komplettiert und orchestriert – welche Bedeutung hat seine Arbeit?
Es gibt grundsätzlich einmal sehr viel fragmentarisches Material von Werken Debussys. Und Robert
Orledge, einer der herausragenden Spezialisten der französischen Musik dieser Epoche, ist es
gelungen, aus diesem Material zwei Kurzopern zusammenzustellen, die dann abendfüllend sind. Damit
lässt sich auch ein Aspekt von Debussys Arbeit zeigen, der nicht so bekannt ist. Gerade das Makabre,
Witzige und Groteske in der Komposition vom „Teufel im Glockenturm“ zeigt uns eine weitgehend
unbekannte Seite von Debussys Schaffen. Und das ist der Arbeit von Robert Orledge zu verdanken.
Wieso findet diese erstmalige Aufführung der beiden Kurzopern gerade in Göttingen statt?
Zunächst einmal ist anzumerken, dass Robert Orledge die eine Oper, das „Haus Usher“, bereits bei
den Bregenzer Festspielen im Jahr 2006 aufgeführt hat. Bei uns wird es jetzt noch einige ergänzende
Korrekturen geben. Dazu kommt dann der „Teufel im Glockenturm“, der in dieser Form noch nie
aufgeführt worden ist. Und in der Kombination ist es weltweit das erste Mal, dass man hört, wie
Debussys ursprüngliches Konzept, beide Opern an einem Abend zur Aufführung zu bringen, hätte
klingen können. Robert Orledge hat uns die Möglichkeit zu dieser Uraufführung durch sehr gute
persönliche Beziehungen gegeben, die ich im Zusammenhang mit einer Arbeit an Werken von
Koechlin knüpfen konnte, und die Folge war dann ein intensiver Meinungsaustausch über e-mail,
Telefonate usw. Wir freuen uns außerdem sehr, dass Robert Orledge bei den beiden Aufführungen
auch anwesend sein wird.
Debussy trifft Poe! Wie brisant und dramatisch ist diese Begegnung?
Claude Debussy hat sich schon seit den 1890er Jahren mit Edgar Allan Poe befasst und das kommt
nicht von ungefähr, da Poe ein ganz wichtiger Schriftsteller vor allem für die französischen Symbolisten
gewesen ist. Charles Baudelaire war quasi der Entdecker von Poe in Frankreich, er hat fast das gesamte
Werk von Poe übersetzt, und Baudelaire war dann mit seinen „Fleur du mal“ ein ganz wichtiger
Impulsgeber für die Symbolisten, etwa Mallarmé, der übrigens auch Werke von Poe übersetzt und ihm
auch Gedichte gewidmet hat. Und Debussy war natürlich in diese ganze Gedankenwelt eingebunden.
Deswegen sehe ich darin auch eine enorme Bereicherung des Bildes, welches wir von Claude Debussy haben.
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Noch unbekannter als die Oper „Der Fall des Hauses Usher“ ist das zweite Werk
„Der Teufel im Glockenturm“. Ist dieses mit seiner Ironie und seiner musikalischen
Ausgelassenheit ein Kontrapunkt zur düsteren Szenerie der „Usher“-Oper?
Spannend ist in diesem Zusammenhang vor allem die Reihenfolge, mit der Debussy gearbeitet hat. Er
wollte zunächst das düstere Stück, den „Usher“ haben, und dann erst das weitaus skurrilere Werk, den
„Teufel im Glockenturm“. Der Tragik des Untergangs dieses Roderick Usher wird eine Art Parabel
gegenübergestellt, die auch heute noch anwendbar ist. Wir sehen eine Dorfgemeinschaft, deren Leben
in absolut geregelten Bahnen verläuft, und dann tritt etwas total Ungewöhnliches ein: Die Uhr schlägt
plötzlich nicht mehr zwölf Mal, sondern durch den Teufel bedingt dreizehn Mal. Und das ganze Dorf
verliert die Contenance und sämtliche Ordnung, alles zerfällt. Am Schluss aber wird das Dorf gerettet
durch ein junges Liebespaar. Das ist ein sehr romantischer und zum Teil auch lustiger Ansatz, und ich
bin gespannt, wie das Publikum darauf reagieren wird.
Die konzertante Aufführung der beiden Debussy-Opern wird zusammen mit
Videoinstallationen erfolgen. Wie muss man sich das vorstellen?
Da für eine Opernaufführung Atmosphäre sehr wichtig ist und eine rein konzertante Aufführung das
nicht immer leicht vermitteln kann, haben wir uns dafür entschieden, mit der jungen Video-Künstlerin
Lyoudmila Milanova aus Köln zusammen zu arbeiten, die die Aufführung mit Videoinstallationen
bereichern wird. Interessant dabei ist, dass sich Frau Milanova in gewisser Hinsicht unabhängig von der
eigentlichen Handlung der beiden Werke Gedanken für die visuelle Gestaltung gemacht hat. Es geht
also einerseits schon um die Schaffung einer Atmosphäre, andererseits auch um eine Interpretation
der Werke, sodass man bildlich Ideen verfolgen kann, die musikalisch nicht unbedingt stark
hervortreten. Etwa die Mischung zwischen realen und surrealen Elementen, die im „Untergang des
Hauses Usher“ sehr stark hervortreten, sodass sich dadurch auch eine wesentliche Vertiefung der
beiden Opernstoffe erreichen lässt.
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