NACHLESE “Hirnforschung”

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Die Kunst zwischen inneren und äußeren Lebenswelten in
Bewegung zu sein
Ideen aus Hirnforschung und hypno-systemischer Psychotherapie
Mag. Martina Gross
© Mag. Martina Gross
HYPNO Kongress Greenfield 2011
Die Kunst zwischen inneren und äußeren Lebenswelten in Bewegung zu sein
Ideen aus Hirnforschung und hypno-systemischer Psychotherapie zu diesem
kreativen Tanz
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Aus einem bestimmten Blickwinkel ist Fühlen, Denken, und Handeln immer sinnvoll
Die innere Welt aus der heraus KlientInnen nach Lösungen suchen und sich Ziele setzen hat
entscheidenden Einfluss darauf, welche Möglichkeiten sich ihnen eröffnen werden –
ähnliches gilt für TherapeutInnen
Auch wenn Klientinnen und wir uns Veränderung wünschen und auch Ziele gesetzt sind,
manche sog. Muster sind so stark gebahnt, dass sie sich durch Reden oder Tun nicht
verändern lassen
Um etwas zu erleben und zu leben – um innere Lebenswelten zu
schaffen und äußerer Lebenswelten wahrzunehmen – brauchen
wir
unseren Körper mit all seinen Sinnen und seinem
Gehirn als spezifischen Teil des Ganzen.
Erleben kann demnach beschrieben werden als das
Zusammenspiel des gesamten Körpers.
-Sinneswahrnehmungen (VAKOG)
-Körperbewegungen, -koordinationen
 Erleben als Ausdruck von Musterbildung
Von instabilen Verbindungen zu stabilen Bahnungen
In Abstimmung auf die jeweils vorgefundene Umwelt
„Das menschliche Gehirn und der restliche Körper bilden einen unauflöslichen Organismus,
integriert durch wechselseitig aufeinander einwirkende biochemische und neuronale
Regelkreise.“
„Der Organismus befindet sich als Ganzes in Wechselwirkung mit seiner Umwelt, in einem
Prozess den weder der Körper allein noch das Gehirn allein bestimmt.“
Antonio Damasio
Dinge, die wir im Zuge unserer Sozialisierung erfahren, erlebt und gelernt haben, wurden zu
einem Großteil implizit gespeichert – d.h. ohne unser bewusstes Zutun und mit emotionaler
Beteiligung.
Und sie wirken zu jeder Zeit auf unsere Sicht auf die Welt, unsere Gedanken und unser
Verhalten.
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HYPNO Kongress Greenfield 2011
Gehirnentwicklung
Embryonalzeit
Von labilen Verbindungen hin zu immer komplexeren
Schaltkreisen.
Die allerersten komplexen Verschaltungsmuster im Gehirn sind „innere Bilder“ von Vorgängen,
die im Körper ablaufen.
Bereits vor der Geburt ausgereift:
-Hirnstamm
-Teile des limbischen Systems
 Das Ergebnis dieses völlig unbewussten Informationsflusses bezeichnet Antonio Damasio
als „Protoselbst“
„Das Protoselbst besteht aus einer zusammenhängenden
Sammlung von neuronalen Mustern, die den physischen Zustand
des Organismus in seinen vielen Dimensionen fortlaufend
abbildet.“
Antonio Damasio
(2001)
Aus diesem Protoselbst entsteht dann das, was Damasio als „gefühltes Kernselbst“
bezeichnet.
Das gefühlte Kernselbst ist bewusstseinsfähig, aber es ist nicht an Sprache gekoppelt.
Es wird als Körpergefühl repräsentiert.
Das gefühlte Kernselbst bildet die unterste Ebene für Verankerungen selbst gemachter
Erfahrungen und dient als Referenzsystem für die Bewertung von eigenen Erfahrungen
auf der Basis von Körpersignalen.
Somatische Marker
Signalisieren, ob angesichts
-Einer bestimmten Situation
-Einer bestimmten Wahrnehmung
-Einer bloßen Vorstellung
-Einer Erinnerung
Eine Störung oder eine Stabilisierung der inneren Organisation des Organismus zu erwarten ist.
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Gehirnbereiche und -systeme die für die Prozesse des Erfahrungssammelns zuständig sind:
Gedächtnis
-Explizit
-Implizites / Emotionales Gedächtnis / Furchtkonditionierung
-Motivationales System
„Wir sind unser Gedächtnis und ohne unser Gedächtnis sind wir nichts.“
Daniel Schacter
(1996)
Emotionales Ereignis
Amygdala
Implizite emotionale
Erinnerung
Hippokampus
explizite Erinnerung an
emotionale Situation
Deklaratives / Explizites Gedächtnis
- Episodisches Gedächtnis und autobiographisches Gedächtnis
- Wissens- und Faktengedächtnis
- Bekanntheits- und Vertrautheitsgedächtnis
Episodisches und autobiographisches Gedächtnis
Erinnern bezieht sich auf
- Inhaltlich
- Zeitlich
- Konkrete
Erlebnisse im Bezug auf die eigene Person
Wir wissen was wir wann, wo, wie und von wem erfahren oder gelernt haben.
Faktengedächtnis
Umfasst Wissen und betrifft:
- Personen- Ort- Zeit- und
- Kontextunabhängige Tatsachen
Wir wissen etwas, wissen aber in der Regel nicht, wann, wo und von wem wir es erfahren
haben.
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Bekanntheits- und Vertrautheitsgedächtnis
Wir wissen, ob uns ein bestimmtes Objekt oder ein bestimmtes
Geschehen bekannt bzw. vertraut ist.
Meistens müssen wir darüber nicht lange nachdenken.
Diese drei Gedächtnisse hängen hierarchisch miteinander zusammen:
Das autobiographische Gedächtnis baut auf dem Faktengedächtnis auf und dieses auf dem
Bekanntheitsgedächtnis:
Ich kann mich NICHT an bestimmtes Geschehen in meinem Leben erinnern, ohne, dass ich
bestimmte Fakten kenne und ohne, dass mir bestimmte Dinge bekannt vorkommen.
HIPPOKAMPUS
Organisator des deklarativen, bewusstseinsfähigen, berichtbaren
Gedächtnisses
Entscheidung:
Soll das, was unbewusst erlebt wird, bewusst werden oder nicht?
Entscheidungskriterien:
Neu / Alt
Wichtig / Unwichtig
Ort des expliziten Gedächtnisses = Isocortex (Assoziativer Cortex)
Innerhalb der Großhirnrinde werden die gleichen Orte abgerufen, egal ob es sich um
- Bewusste Wahrnehmungen
- Bewusste Erinnerungen
- Bewusste Vorstellungen handelt.
Konsolidierung und Rekonsolidierung haben Einfluss auf Gedächtnisinhalte.
Arbeitsgedächtnis
Das bewusste Denken ist limitiert.
Ich kann nur einen begrenzten Teil bewusst halten.
Das Gehirn ist nicht limitiert.
Im Gegenteil, es wird zum Teil nicht ausschöpfend genützt.
Je nachdem, wohin wir unsere Aufmerksamkeit wenden – diese Wahrnehmung, Vorstellung,
Erinnerung wird die geringe Kapazität des Arbeitsspeichers in Anspruch nehmen.
Andere Bereiche sind auch bewusstseinsfähig, nur im Moment nicht im Licht der
Aufmerksamkeit.
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Implizites, nicht deklaratives Gedächtnis
- Fertigkeiten
- Priming
Wirken ohne Beteiligung unseres Bewusstseins
Unabhängig von Kapazitäten des Arbeitsspeichers
Schneller und müheloser Ablauf (wenig Energieverbrauch)
Geringe Fehleranfälligkeit
Können gar nicht oder nur sehr schwer willentlich kontrolliert werden
Langsameres Lernen dann aber schwerer veränderbar
Wenn sie bewusst werden, dann nur grob und unscharf
Können im Detail nicht sprachlich berichtet werden
Einige implizite Prozesse könnten bewusst ablaufen, tun es aber nicht, weil
- Sie inzwischen automatisiert sind
- Die Aufmerksamkeit gerade nicht auf sie gerichtet ist
- Die Reizintensität zu gering ist
Einige implizite Prozesse bleiben unbewusst weil
- die Hirnareale, die an ihnen maßgeblich beteiligt sind, keine Verbindung zum Cortex
haben
- ihnen der Zugang zum Arbeitsgedächtnis verwehrt wird, weil sie mit den momentanen
Inhalten des Arbeitsspeichers nicht vereinbar sind.
 Implizite Gedächtnisinhalte Prozesse sind durch Lernerfahrungen geprägt.
Fertigkeiten
Wir wissen, dass wir es können, haben aber keine Kenntnis über die Details z.B.
Radfahren
Klavierspielen
Hohes Maß an Aufmerksamkeit am Beginn - dann aber immer weniger Konzentration möglich
Nicht mehr „verlernbar“
Priming
Auch der Lernvorgang ist uns hier nicht bewusst.
Diese Art des Lernens vollzieht sich ununterbrochen. Das Gehirn kann gar nicht anders.
„Wahrnehmen ist das Verifizieren voraus geträumter Hypothesen“
Wolf Singer
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AMYGDALA
Wirkt bei Prozessen der unwillkürlichen Aufmerksamkeit mit.
Bewertet die Bedrohlichkeit eines Reizes und leitet die Reaktionen des Gehirns ein, die eine
intensive Verarbeitung des bedrohlichen Reizes ermöglichen.
Zuständig für emotionale Konditionierung
Angeborene und erlernte Gefahrenreize lösen das Furchtsystem aus und dieses regiert dann mit
einer Schutzreaktion.
Dies geschieht völlig unbewusst – ohne Zugang zur Sprache!
 Das System ist durch Erfahrung formbar!
Bewusste Furchtkonditionierung
Ein Ereignis kommt vom Thalamus zur Amygdala zunächst völlig neutral
In der basalen Amygdala bekommt es eine emotionale Färbung = Empfindung
= Somatischer Marker = Angenehm / unangenehm
Über Verschaltungen werden diese beiden Ereignisse miteinander verknüpft =
Hebb´sche Plastizität
Verschaltung mit dem Hippokampus bringt den Kontext mit hinein.
 Sowohl Amygdala als auch Hippokampus greifen auf frühere Erfahrungen zurück.
Stress / Angst entsteht, wenn wichtige Ziele bedroht sind.
Ziele beziehen sich hier zumeist auf unsere Grundbedürfnisse
Diese Reaktion kann durch
- tatsächliche,
- erwartete oder
vorgestellte Bedrohung ausgelöst werden.
Motivationales System
= die neuronale Aktivität
Zu Zielen und wünschenswerten Objekten hinzustreben und uns anzustrengen, sie zu erlangen
Von Situationen und Objekten wegzustreben, die uns Furcht einflößen und uns zu bemühen sie
zu vermeiden oder ihnen zu entkommen.
 Unser Gehirn berechnet kontinuierlich voraus, was demnächst eintreffen wird
- Tritt das Erwartete ein, wird es nicht weiter verarbeitet - das dazugehörende implizite
Wissen ist bereits vorhanden
- Wenn jedoch etwas passiert: Besser als erwartet
Dopamin und
Körpereigene Opioide werden ausgeschüttet
= Anpassung an die individuelle Umwelt
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Biologischer Cocktail der Motivation
Dopamin
Körpereigene Opioide
Oxytozin
dopaminerges System:
zuständig für Antrieb und Motivation
hirneigene Opioide:
zuständig für Belohnung und Wohlbefinden
(körperlich und seelisch)
Oxytozin
lässt uns Verbundenheit mit Menschen fühlen
Dopaminerges System
Verleiht den Dingen und Ereignissen um uns herum ihren Sinn
= Wofür wir etwas tun
Dopamin im frontalen Cortex führt zu besserer Klarheit im Denken
Dopamin im Nucleus accumbens führt zur Produktion von körpereigenen Opioiden
 Gelernt wird immer dann, wenn positive Erfahrungen gemacht werden!
- Positive Sozialkontakte
- Positive Worte
- Netter Blick
- Gemeinschaftliches Handeln
- Angenehm empfundene Musik
Annäherungsziele
Gelernt wird das, was positive Konsequenzen hat
Vermeidungsziele
Gelernt wird eine bedrohliche Situation zu vermeiden
Bevor etwas in den Arbeitsspeicher kommt – für einen Moment unserm Bewusstsein zugänglich
wird erleben wir ein körperliches Gefühl.
= Somatische Marker
= Emotionales Erfahrungsgedächtnis
= Felt Sense
= erste Hinweise in welche Richtung die „Lösung“ gehen könnte
Je offener das Arbeitsgedächtnis für dieses körperliche Empfinden ist
Umso einfacher können implizite und explizite Funktionssysteme in Einklang gebracht werden.
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Literaturempfehlungen
Literatur, die meine Neugier geweckt hat:
Bauer, J. (2004), Das Gedächtnis des Körpers. Piper Verlag
Bauer, J. (2005), Warum ich fühle, was du fühlst. Heyne Verlag
Bauer, J. (2006), Das Prinzip Menschlichkeit. Hoffmann und Campe
Fuchs, T.(2008), Das Gehirn – ein Beziehungsorgan. Verlag W. Kohlhammer
Hanson, R., Mendius, R. (2010), Das Gehirn eines Buddha. Arbor Verlag
Hüther, G. (1997), Die Biologie der Angst. Vandenhoeck & Ruprecht
Hüther, G. (1999), Die Evolution der Liebe. Vandenhoeck & Ruprecht
Hüther, G. (2004), Die Macht der inneren Bilder. 3. Auflage, Vandenhoeck & Ruprecht
Hüther, G. (2006), Bedienungsanleitung für das Gehirn. 6. Auflage. Vandenhoeck & Ruprecht
Singer, W. (2003), Ein neues Menschenbild? Suhrkamp
Storch, M., Krause, F. (2005), Selbstmanagement – ressourcenorientiert. Huber Verlag
Storch, M., Cantieni, B., Hüther, G., Tschacher, W. (2006), Embodiment. Huber Verlag
Grundlagenwissen:
Bonney, H. (2004), Neurobiologie – Ende der Psychotherapie? In Familiendynamik, 29. Jahrgang,
Heft 4. Klett-Cotta
Damasio, A. (1995), Decartes´ Irrtum. List Verlag
Damasio, A. (2000), Ich fühle, also bin ich. List Verlag
Fischer, H.R. (2004), Neurobiologie und Psychotherapie – Lost in Translation? In
Familiendynamik, 29. Jahrgang, Heft 4. Klett-Cotta
Goldberg, E. (2002), Die Regie im Gehirn. VAK Verlag
Grawe, K. (2000), Psychologische Therapie. Hogrefe
Grawe, K. (2004), Neuropsychotherapie. Hogrefe
Heintel, P., Broer, K. (2004), Welche Gehirnforschung für die Psychotherapie. In
Familiendynamik, 29. Jahrgang, Heft 4. Klett-Cotta
Kurthen, M. (2004), Kognitive Neurowissenschaft und Psychotherapie. In Familiendynamik, 29.
Jahrgang, Heft 4. Klett-Cotta
LeDoux, J.E. (2001), Das Netz der Gefühle. Deutscher Taschenbuch Verlag
LeDoux, J.E. (2006), Das Netz der Persönlichkeit. Deutscher Taschenbuch Verlag Ruprecht
Lux, M. (2007), Der Personzentrierte Ansatz und die Neurowissenschaften. Ernst Reinhardt
Verlag
Roth, G. (2003), Denken, Fühlen, Handeln. Suhrkamp
Roth, G. (2000), Das Gehirn und seine Wirklichkeit. Suhrkamp
Rüegg, J.C. (2007), Gehirn, Psyche und Körper. Schattauer Verlag
Schmidt, G. (2004), Liebesaffären zwischen Problem und Lösung. Carl-Auer
Schmidt, G. (2005), Einführung in die hypnosystemische Therapie und Beratung. Carl-Auer
Spitzer, M. (2006), Lernen. Spektrum Akademischer Verlag
Spitzer, M. (2006), Nervenkitzel. Suhrkamp
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