Präsentation

Werbung
Wenn Marathon auf die Stimmung drückt –
psychische Risiken von „zu viel Sport“
Andreas Spengler
Wunstorf
28. Hamburger Tage
der Sport- und
Bewegungsmedizin
3.5.2014
Psychische Vorteile von viel Sport
Sport als zentrale Ressource für Gesundheit, Behandlung und Rehabilitation
Denkmodell: Positive Selektion, survival of the fittest, Vorbildfunktion Spitzenathlet
Selbstverständnis und Image: Gesundheit – Wohlbefinden – Leistung – Erfolg – Ansehen
Breite empirische Befundlage für positive Effekte von Ausdauersport
auf psychisches Befinden - bei Nichtsportlern
Therapeutischer und rehabilitativer Einsatz
Broocks / Sommer 2005 DZSM 56: 393 f
Gilt das uneingeschränkt auch für Marathonbelastungen ?
Gegenfragen:
Ausdauersport als Risiko?
Relation Trainingszustand und Belastung
Welche Erkenntnisse aus dem Spitzensport sind auf den Breitensport übertragbar?
Welche psychischen Risiken?
Risiken für wen?
Risiken wann und unter welchen Umständen?
Signalwirkung oder Spitze des Eisbergs ?
Suizide und depressive Erkrankungen bei Sportlern
Einzelfälle oder relevantes Vorkommen?
Outing (Obree, Deisler, Hannawald, u.v.a.m.)
Veröffentlichung (Enke u.a.)
Hintergrund
Steigende Aufmerksamkeit für psychische Störungen bei Sportlern
Bär K J, V Markser 2013: Eur Arch Psychiatr Clin Neurosci 263, 205-210
Depressive Erkrankungen
Angststörungen
Eßstörungen und anorexia athletica
Abhängigkeitsstörungen und Substanzmissbrauch (einschliesslich Doping)
traumatische Enzephalopathien
http://www.dgppn.de/sportpsychiatrie.html
Vorkommen und Tabuisierung
Vorkommen von Depressionen im Leistungssport, Tabuisierung
Stiftung Deutsche Sporthilfe (Hg) 2013 Breuer C, K Hallmann
Dysfunktionen des Spitzensports ..
Vorkommen und Tabuisierung
Vorkommen von Depressionen im Leistungssport, Tabuisierung, Psychosoziale Faktoren
Stiftung Deutsche Sporthilfe (Hg) 2013 Breuer C, K Hallmann
Dysfunktionen des Spitzensports ..
1150 Leistungssportler befragt, u.a. zu Doping, Gesundheitsgefährdung:
vor allem Jugendliche und junge Erwachsene
57 % „Existenzangst“
91 % subjektiv nicht auf weitere Lebensplanung vorbereitet
Thema depressive Erkrankungen: Antwortquote < 60 %
DAVON gaben 9,3 % an, an depressiven Erkrankungen zu leiden.
Hintergrund
Übertraining und Übertrainingssyndrome (ÜTS)*
Psychophysischer Prozess unter einer andauernd überhöhten Trainingsbelastung,
die nach Umfang und Intensität die individuelle Kapazität von Hyperkompensation und
Erholung überschreitet: Chronische Überlastung und psychophysische Erschöpfung
Leistungsstagnation und –Rückgang,
vegetative Symptome (Schlaf, Kreislauf, Bewegungsapparat/Verletzungen, Gewicht)
psychische Symptome (Angst, Depressivität, kognitive Einbußen)
oft unspezifisches Erscheinungsbild, indirekte Kommunikation „nur Stress“
„Dysfunktionalität und Fehlregulation bei chronisch unkontrollierbarem Stress“
O‘Connor PJ: Overtraining and Staleness, S. 145 ff In: Morgan WP (1997)
„..80 % of stale athleths .. clinically depressed „ Morgan ..1987
Komplexes prozesshaftes verhaltensinduziertes, biologisch-psychisch-sozial
ablaufendes Geschehen von Krankheitswert,
Vorstadium manifester psychischer Erkrankungen, gleitender Übergang
Deskriptive Arbeitsdefinition: Auch im Vergleich zum angloamerikanischen Raum ist die Terminologie bei Publikationen bis heute
uneinheitlich, vgl. Staleness, Overtraining Syndrome, Athlete-Burnout, Fatigue
Hintergrund
Enge Zusammenhänge Ausdauerbelastung und ÜTS
Morgan WP, SE Goldston (Eds) 1987: Exercise and Mental Health
Morgan WP (Ed) 1997: Physical Activity & Mental Health
Begel D, RW Burton (Eds) 2000: Sport Psychiatry
Konsensuskonferenzen USOC / ACSM 1999
Heterogene Verursachung, unspezifisches Erscheinungsbild von ÜTS
Erklärungsmodelle
genetisch
Neuroplastizität
neuro-endokrinologisch
neuro-immunologisch
hirnorganisch ?
psychologisch - psychiatrisch
sozial
Genese von ÜTS und Depression weitgehend überlappend
Befunde
21 % ÜB / ÜTS
Davon 59 % ÜT
Risikofaktor:
Psychosozialer Stress
Depressivität und Depression
Depressivität als Befindlichkeit >>> >>> manifeste Störung
Bis heute werden viele Erkrankungen nicht erkannt > 1/3
und nicht fachgerecht behandelt < 1/10
Punktprävalenz behandlungsbedürftige Depression Deutschland ca. 5 %
Lebenszeitprävalenz 16-20 %
Suizidmortalität 15 %
Heterogene Störungsbilder und Verläufe
Vgl. ICD-10, vgl. Anhang
Problembegriff „Burnout“ (populäres Etikett, Befindlichkeit, Risikozustand, keine
Diagnose) lediglich ein Unterpunkt ICD-10 Z 73 (Probleme Lebensführung…)
Vgl. Nationale Versorgungsleitlinie Depression 2011
http://www.buendnis-depression.de
http://www.deutsche-depressionshilfe.de
http://www.depression-leitlinien.de
Depression
http://www.dimdi.de
Einzelbefunde
Einnahme von Schmerzmitteln vor sportlicher Belastung
Medikamentöse Ausschaltung der Warnfunktion von Schmerz unter Breitensportlern:
50-60 % der Teilnehmer von Marathonläufen
Brune, Niederweis, Küster, & Renner, 2009 Zit.n. Stiftung Deutsche Sporthilfe (Hg) 2013
Siegmund-Schultze 2013, Dtsch Arztebl; 110(29-30): A-1422 / B-1248
Sportverletzungen und Trainingspause
Zwischen 10-20 % Depressionen nach Sportverletzungen
Brewer et al. 1995; Kleinert, 2003, Zit.n. Stiftung Deutsche Sporthilfe (Hg) 2013
Signifikanter Zusammenhang mit Depressivität
Spengler A et al. 2010
Obsessive Sportbetätigung erhöht Risiko von ÜTS
Gustafsson,H. et al 2011. European Journal of Sport Science, 2011, 11(6), 387-395
http://www.dshs-koeln.de/psi/mentalgestaerkt/forschung.html
Eigene Erfahrungswerte: Ergebnisse WHO-5 www.who-5.org
Spengler A, G Schneider, EP Schröder 2010, 2013 DZSM 64: 65-68
N = 150, Rohwert 15,6 (SD = 4,7, range 3-25)
Leistungs- und Breitensportler (n.s.), davon 72 % Ausdauersportler
Screeningeinsatz bei Cut-off
< 13
25 %
depressive Befindlichkeit, unspezifisch
hochsignifikant herabgesetzt bei Trainingspause und „Stress“
< 10
15 %
spezifischere Aussage, Abklärung erforderlich
<6
5%
dringende Verdachtsfälle
30
20
10
0
3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25
Hoch auffällige Werte für subjektiv schwer beeinträchtigte Lebensqualität
Depressivität bei Breitensportlern ebenso häufig wie bei Leistungssportlern
Vorkommen
Fallbeispiele psychische Störungen im Leistungssport
Schneider F 2013 Depressionen im Sport, München
Grobe statistische Indizien: Depressive Erkrankungen
im Leistungssport und Breitensport nicht seltener als in der Allgemeinbevölkerung
Schwere depressive Erkrankungen: Beobachtungen in der sportmedizinischen Praxis
MSG Hannover 2000-2013, Martinsen 2000 pers.Mitt.
Hypothese: ÜTS, Depressivität und Sport-assoziierte psychische Erkrankungen
sind im Ausdauerbereich ebenso bei Breitensportlern zu erwarten
Risikoerhöhungen bei Breitensportlern ?
Weniger sportmedizinische Überwachung
Sportmedizin ohne gezielten Blick auf die Psyche
Höhere Altersgruppen
Mehr sonstige Risiken und regelhafte Doppelbelastung
Sport neben Hauptberuf
Unbefriedigende Datenlage, naheliegende Forschungsansätze
Störungsmodell
Multifaktorielle Genese, prozesshafte, individuelle Abläufe
z.B. Individuelle Vulnerabilität für Depression u.a.
Genetik, Epigenetik, Frühe Störungen, Neurosen
Entwicklungsaspekte
Sport als verinnerlichte Bewältigungsstrategie, Autonomisierung,
positiver Bestandteil des Selbst, „zweite Natur“,
Entwicklung eines stützenden Umfeldes
Sport als Teil eines falschen Selbst
Verstärkung durch einseitig motivierendes oder
belastendes Umfeld
Störungsmodell
Multifaktorielle Genese, prozesshafte, individuelle Abläufe
Struktureller Verlauf
Sport als zunächst erfolgreiches Verhalten
Symptom anderer Problembereiche, psychische Überlebensstrategie
Chronische Selbstüberforderung unter Erfolgsdruck
Vorbestehende psychische Erkrankung
Auslösung
Entwicklung unerkannter ÜTS
Obsessive Übertreibung, einseitige Fixierung, soziale Isolierung
Krisen bei Sportverletzungen, Trainingspause
Psychische Belastungen und Traumata durch weitere negative live events
(Familie, Beruf, Gesundheit, Wohlstand)
Erkrankungsdynamik
Übergang in manifeste Störung, Chronifizierung und Verschlimmerung
Störungsmodell
Risiken, Teufelskreise
Einseitiges Bewältigungskonzept „noch mehr Training“
einseitige Fixierung auf sportliche Leistung
Subjektive Belastung Trainingspause, Verletzung
traumatisierende Bedeutung von Misserfolg und Leistungseinbruch
Belastung durch persönlichen und öffentlichen Bedeutungsverlust
Verschlimmerung, Chronifizierung von ÜTS und Depression
Verharmlosung, Vermeidung, Verleugnung, Schweigen
fehlende Information, fehlende Störungseinsicht, Selbststigmatisierung
störungsspezifische Angst vor Veränderung
Depressionen sind den Betroffenen und Angehörigen oft nicht bewusst
Mangelndes Problembewußtsein im sportlichen Umfeld
Schwellenangst, keine Diagnose, keine Behandlung,
Problem Suche nach kompetenten Hilfeangeboten: Entmutigung
Bausteine zur Früherkennung, Prävention, Therapie und Reha
Screening
Befindlichkeitsstörungen und Depressivität z.B. WHO-5
Sportmedizinische Praxis / Leistungszentren
Epidemiologie: Breitensportveranstaltungen
Aufklärung, Fortbildung bei Multiplikatoren
Medien, Breitensportveranstaltungen, Modellfunktion von Spitzenathleten
Tabuisierung durch Sportinstitutionen, Vermarktung in den Medien
Diagnose- und Behandlungsangebote
Universitäres Netzwerk „DGPPN-Zentren für seelische Gesundheit im Sport"
http://www.dgppn.de/sportpsychiatrie.html, Expertenliste
Individuelle Behandlung und Rehabilitation
Krisenintervention, Suizidprävention, Psychotherapie, Pharmakotherapie,
Reorientierung und Rehabilitation, Abstimmung der Zusammenarbeit mit
Trainern und Vereinen gemeinsam mit den Betroffenen
Votum
Die Risiken sind ernst zu nehmen, unabhängig vom Leistungsniveau
Ohne Früherkennung keine wirksame Erkennung schwerer Erkrankungen und
keine Prävention gegen Verschlimmerung, Chronifizierung , Komorbidität, Suizid
V.a. Unterschätzung der Probleme im Breitensport
Spitzensport als Modell für Breiten- und Freizeitsportler ?
Interdisziplinäre Zusammenarbeit vs. Abgrenzung
Sportmedizin, Sportpsychologie und Sportpsychiatrie
Zielgruppenspezifische Fortbildung
Behandlung ernster Erkrankungen nicht ohne fachärztliche Kompetenz
Prof. Dr. Andreas Spengler
www.andreas-spengler.de
[email protected]
Anhang: WHO-5, Folien zu Ess-Störungen u.a.
WHO-5 german: Fragebogen zum Wohlbefinden (Version 1998)
Vgl. www.who-5.org
Störungen
Eßstörungen und anorexia athletica
13-20 % bei Leistungssportlerinnen, F > M > Nichtsportler, Gefahr für Jugendliche
vor allem bei ästhetischen Sportarten, gewichtslimitierten Sportarten
erhöhtes Vorkommen auch bei Ausdauersport, Langstreckenläuferinnen, LL, Tria, u.a.
Calhoun et al 1998, zit.n. Bär/Markser 2013
Lebenstedt et al 2004, BIS (Hg), Ess-Störungen im Leistungssport
Verhaltensmuster wie bei Eßstörungen, dabei exzessives Trainieren
„absichtliche“ Verringerung des Körpergewichts
Symptomatik z.B. bulimisch, z. B. übermäßiges Entwässern
Gefahr Chronifizierung und Verschlimmerung bis zur Anorexie
Triade: low energy availability, functional hypothalamic amenorrhoea and osteoporosis
Verzögerte Menarche, psychische Begleitsymptomatik ähnlich ÜTS!
Clasing D et al 1997, Dt Ärztebl 94: A-1998-2002
CAVE: BMI fällt oft zu „harmlos“ aus, Kriterium ungeeignet (Muskelmasse >> Fett)
Motivation und Genese: sportinduziert vs. individuelle psychische Problematik
Aufklärungsdefizite, Störungseinsicht gering, Behandlung oft stark erschwert
Störungen
Sonstige sport-assoziierte Störungen
Angststörungen, insbesondere Panikstörung und GAD
Zwangsstörungen
Anpassungs- und Belastungsstörungen, i.e.Belastungsstörung akut / PTBS
Somatoforme Störungen
Ess-Störungen
Psychosen
Stoffgebundene Störungen
Hirnverletzungen
Problembereich Suizidrisiko
Fallbeispiele: Schneider F 2013 Depressionen im Sport
Herunterladen