(MPTT) im multiprofessionellen Setting

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Forschungsergebnisse zur
Mehrdimensionalen Psychodynamischen
Traumatherapie (MPTT) im
multiprofessionellen Setting
Robert Bering, Andreas Horn, Ralf Spieß und Gottfried Fischer
Abgegeben von: Kerstin Ast
Wutke WS 2005-2006
Seminar:
Borderline-Persönlichkeitsstörungen
Einleitung
In meiner Hausarbeit geht es darum, wie sich ein bestimmtes Behandlungsverfahren, nämlich
die Mehrdimensionale Psychodynamische Traumatherapie (MPTT), im multiprofessionellen
Setting auf Menschen mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) auswirkt. Die
PTBS kann bei Menschen auftreten, die ein außergewöhnlich bedrohliches psychisches
Trauma erleben mussten (z.B. eine Vergewaltigung, wiederholte Gewalterfahrungen). Sie
kann unmittelbar nach dem Trauma oder erst mit wochen- bis monatelanger Verzögerung
einsetzen.
Dieser Text handelt vor allem von der MPTT und der PTBS, weshalb ich noch kurz den
Bezug zu unserem Thema herstellen möchte, nämlich der Borderline-Störung. Bis zu 50% der
Borderline-Patienten erfüllen auch die diagnostischen Kriterien für eine PTBS. Sie leiden also
an denselben Symptomen wie Menschen, die gerade oder vor ein paar Monaten ein Trauma
erlitten haben. Man kann also sehen, dass der Inhalt dieses Textes sehr gut zu unserem Thema
passt, obwohl ich darauf hinweisen möchte, dass nicht jeder Borderliner ein Trauma erlitten
haben muss und umgekehrt, dass nicht jede Traumatisierung zu einer Borderline-Störung
führt.
Das Alexianer-Krankenhaus in Krefeld hat nun im Auftrag der Landesverbände der
Krankenkassen ein Zentrum zur Behandlung der PTBS eröffnet. Dieses soll als
Modellprojekt dienen, um den Betroffenen von Gewaltverbrechen, Naturkatastrophen,
Unfällen und anderen schwerwiegenden Lebensereignissen schnelle Hilfe leisten zu können.
Und dort hat man auch eine Evaluation der MPTT im multiprofessionellen Setting
durchgeführt. Multiprofessionelles Setting bedeutet übrigens nichts anderes, als dass
berufsübergreifend gearbeitet wird, dass sich also Psycho-, Physio- und Ergotherapeuten
gegenseitig unterstützen.
Im Folgenden möchte ich darauf eingehen, was man unter der MPTT überhaupt versteht.
Die Mehrdimensionale Psychodynamische Traumatherapie (MPTT)
Die MPTT ist ein manualisiertes, psychoanalytisch und tiefenpsychologisch fundiertes
Verfahren, das die Folgen psychischer Traumatisierung fokussiert und Elemente aus anderen
Therapierichtungen integriert. Zu den komplementären Therapieformen gehören z.B.
Stabilisierungstechniken, Myoreflextherapie, Pharmakotherapie, verhaltenstherapeutische
Elemente, die Selbsthilfe und das integrierte EMDR (Eye Movement Desensitization and
Reprocessing ist eine von Dr. Francine Shapiro entwickelte neuartige psychotherapeutische
Behandlungsmethode für Traumaopfer, bei der man während der Traumabearbeitung
bilaterale Stimulation (z.B. Augenbewegungen, Fingerberührungen oder akustische Signale)
einsetzt, wodurch es möglich werden soll, unverarbeitete traumatische Inhalte zu verarbeiten.
Es soll eine Integration der mit dem Trauma verbundenen Emotionen und Empfindungen
erreicht werden.).
Die MPTT geht von einem Verlaufsmodell der psychischen Traumatisierung (von Fischer
und Riedesser (2003)) aus, das aus 4 Phasen besteht (siehe Abb.1.):
- Phase der prätraumatischen Antezendenzbedingungen (die Lebensgeschichte eines Menschen)
- Phase der traumatischen Situation (Darunter versteht man nicht nur die äusseren Umstände, die
letztlich bei den Betroffenen ein Trauma verursachen, sondern auch den Ereignis-Erlebnis-Zusammenhang.
Bestimmten Ereignissen wird nicht per sé - unabhängig vom Individuum - eine traumatische Qualität
beigemessen, sondern es wird davon ausgegangen, dass realen Situationen zwar ein für alle Menschen
gleichartiges „traumatisierendes Potential“ beigemessen werden kann, dass jedoch die Wechselwirkung
zwischen realer Situation und psychischer Disposition bestimmt, ob es zu einer traumatischen Wirkung kommt.)
- Phase der Reaktion auf ein Trauma (Die traumatische Reaktion stellt auf psychologischer Ebene die
individuellen Abwehr- und Bewältigungsversuche dar, muss aber als psychophysiologische Gesamtreaktion
verstanden werden. Traumaforscher sind sich heute einig, dass die akuten Symptome von Traumastörungen nicht
nur aufgrund psychologischer Erklärungsmodelle verstanden werden können, sondern auch physiologische
Veränderungen als Ursache und Folge haben.)
- Phase des traumatischen Prozesses (Scheitert der Übergang in eine Erholungsphase dauerhaft, setzt
der traumatische Prozess ein, der unterteilt werden kann in die zeitnahe Einwirkungsphase (bis ca. 14 Tage bis 4
Wochen nach dem Trauma) und die Phase der Verfestigung.)
Dimensionen der Mehrdimensionalen Psychodynamischen Traumatherapie im Verlaufsmodell der
Psychotraumatisierung
Antezendente
Komponente
Situative
Komponente
Objektive
Situationsfaktoren
Subjektive
Bewältigunsmöglichkeiten
Kräfteparallelogramm von TKS und TS
Traumatische
Reaktion
Traumatischer
Prozess
Erholung
Dimension IV: Optimaler
Traumatische
Situation
Dimension III: Traumadynamik im
Therapieverlauf
Lebensgeschichte
Bewältigungsversuche, Auswirkungen
DimensionII
Dimension I (Zeitachse)
Abb. 1.: Die 4 Dimensionen der MPTT im Verlaufsmodell der Psychotraumatisierung (aus Bering et al., 2002a)
Vor diesem Hintergrund lassen sich nun die 4 Dimensionen der MPTT verstehen, die bei der
differentiellen und individualisierenden Planung und Durchführung der Therapie
berücksichtigt und aufeinander abgestimmt werden (siehe Abb. 1.):
Dimension I: natürlicher Verlaufsprozess der traumatischen Erfahrung – Zeitdimension
Man orientiert sich am bisherigen „natürlichen Traumaverlauf“ mit den 3 Phasen: 1) Schock/expositorische/peritraumatische Phase, 2) Einwirkungs-/postexpositorische Phase und
3) Erholungsphase bzw. – beim Ausbleiben derselben – traumatischer Prozeß. Man ordnet
den Erstkontakt, den man mit dem Patienten hat, einer dieser Phasen auf der Zeitachse zu.
Dimension II: traumatische Situation(-sfaktoren) - Situationsdimension
Bezieht sich auf die traumatischen Situationsfaktoren. Man ermittelt hierbei die Konstellation
sowohl der objektiven als auch der subjektiven Situationsfaktoren und berücksichtigt sie in
der Interventionsplanung.
Dimension III: Persönlichkeit und soziales Umfeld - Personendimension
Bezieht sich auf die Psychodynamik des Traumas vor dem Hintergrund des individuellen
Persönlichkeitsstils und der sozialen Umwelt. Man berücksichtigt beispielsweise protektive
und negative Faktoren im individuellen sozialen Umfeld, traumadynamische Konzepte sowie
die entsprechenden persönlichkeitstypischen Erlebniszustände/Stimmungslagen („states of
mind“ nach HOROWITZ (1979)), den individuellen Kontrollstil, die PersönlichkeitsStrukturkonzepte, Fähigkeiten zur Selbstberuhigung und Spannungstoleranz, den
individuellen Bindungstyp gemäß der Bindungstheorie und besondere Gefährdungen durch
Abhängigkeit von Alkohol, Medikamenten oder Drogen sowie Suizidgefährdung.
Insbesondere geht es bei dieser Dimension um das sog. Kräfteparallelogramm von
Traumaschema und traumakompensatorischem Schema.
Exkurs: Kräfteparallelogramm von Traumaschema (TS) und traumakompensatorischem
Schema (TKS)
Die Folgen eines Traumas und die Entwicklung psychischer Prozesse lassen sich in einem KräfteParallelogramm darstellen:
Abb. 2.: Kräfteparallelogramm von Traumaschema und Traumakompensatorischem Schema
Das traumakompensatorische Schema stellt einen unbewussten Selbstheilungsprozess des Betroffenen dar, das
Trauma neutralisieren zu wollen. Dies geschieht auf drei Ebenen:

ätiologisch: Der Betroffene glaubt, das Trauma sei nur passiert, weil er zu unaufmerksam war.

präventiv: Der Betroffene versucht, nun noch hellhöriger zu sein.

reparativ: Der Betroffene ist misstrauischer und vermeidet Situationen, die ihn an das Trauma erinnern.
Dieses Vermeidungsverhalten kann zu Phobien und Symptomen einer PTBS führen. Die therapeutische
Intervention setzt an der präventiven und reparativen Komponente des traumakompensatorischen Schemas
dialektisch an, indem der Selbstheilungsprozess positiv weitergeführt wird. Ziel ist es, das
traumakompensatorische System zu restrukturieren.
Das Traumaschema drängt zur Reproduktion des traumatischen Ereignisses in Form von Flashbacks und ist auf
Dauer schwer belastend. Auf der Diagonalen des Parallelogramms lassen sich die Symptome wie Schlaf- und
Konzentrationsstörungen, Alpträume und Reizbarkeit einordnen. Beide Schemata wirken als Kräftevektoren
gegeneinander, die der Betroffene dann versucht auszubalancieren.
MPTT versucht den Patienten in seinen eigenen Strategien und Möglichkeiten zu unterstützen und knüpft somit
an die natürliche Selbstregulation an.
Beispiel:
Eine Frau wurde von einem Mann, mit dem sie freundschaftlich verbunden und der zum Tatzeitpunkt
alkoholisiert war, vergewaltigt. Zehn Wochen nach dem Ereignis, nach dem Durchlaufen der Einwirkphase,
befindet sie sich in der Phase der Verfestigung des traumatischen Prozesses (Dimension I). Die
Situationsdynamik (Dimension II) ist gekennzeichnet vom subjektiven Erleben der Patienten, eine
vertrauensvolle Beziehung zum Täter aufgebaut zu haben. Auf der objektiven Seite jedoch wurde sie von ihm
vergewaltigt. Die Dynamik des Traumaschemas besteht daher aus der Diskrepanz dieser beiden
Situationsfaktoren. Man kann für das Kräfteparallelogramm die Formulierung „Vertrauen fassen vs.
Enttäuschung vorfinden“ verwenden. Nun setzt der Schutzreflex des Traumakompensatorischen Schemas ein mit
seinen drei Anteilen (Ätiologie, Prävention, Reparation).
Ätiologisch: Um sich erklären zu können, wie sie sich in ihrer Wahrnehmung so täuschen konnte, führt die
Patientin das Psychotrauma auf einen Ausnahmezustand des Täters zurück, indem sie ihn situativ für „verrückt“
erklärt und somit kann sie die guten Beziehungsanteile schützen.
Präventiv: Um nicht noch einmal Opfer einer Gewalttat zu werden, zieht sie sich in ihr häusliches Umfeld
zurück und meidet Beziehungen zu anderen Menschen (außer zu ihrer Tochter), damit sie nicht wieder
enttäuscht wird.
Reparativ: Die 4-jährige Tochter der Patientin ist Lebenssinn und Heilungstherapie gleichzeitig für ihre
seelischen Verletzungen. Sie erholt sich über ihr Selbstbild als „gute Mutter“.
Zwischen Spannungsfeld von Traumaschema und Traumakompensatorischem Schema entsteht die Symptomatik
der PTBS vom depressiven Verlauftypus (z.B. Schlafstörungen, Alpträume, Depressionen).
Dimension III: Das Kräfteparallelogramm
Traumakompensatorisches
Schema
Ätiologisch: Mein Freund ist
verrückt
PTBS vom depressiven
Verlaufstyp mit all seinen
Symptomen
Präventiv: Rückzug in die
Wohnung,
Beziehungsmeidung
Reparativ: „gute Mutter
für Tochter“
Traumaschema: Vertrauen fassen vs.
Enttäuschung vorfinden
Abb. 3.: Kräfteparallelogramm von Traumaschema und Traumakompensatorischem Schema an einem Beispiel
Dimension IV: therapeutischer Verlaufsprozeß – Therapieverlaufsdimension.
Erstellung eines hypothetischen idealtypischen Verlaufsplans der therapeutischen
Traumaverarbeitung zu Therapiebeginn, der für die in den 3 anderen Dimensionen genannten
Aspekte jeweils optimale Interventionslinien festlegt. Diese basale Inteventionslinie orientiert
sich an dem Grundsatz, das sog. individuelle „traumakompensatorische Schema“ zu stärken.
Die MPTT basiert auf manualisierten Regeln für die Trauma-Akkuttherapie (d.h. bis zu 1-2
Monate nach dem Ereignis) und für die Therapie des mittel- und langfristigen traumatischen
Prozesses (komplexe posttraumatische Belastungsstörung im engeren Sinne).
Das vierschichtige Organisationskonzept des Zentrums für
Psychotraumatologie
Das Zentrum zur Behandlung der PTBS im Krefelder Krankenhaus ist nach dem
bedarfsorientierten Ansatz strukturiert. Man folgt dem Grundsatz: „Psychotraumatologische
Behandlung so wenig wie möglich bzw. so viel wie nötig.“ Um die Behandlungsbedürftigkeit
empirisch einzuschätzen, wird ein methodenübergreifendes Verfahren zur Diagnostik der
PTBS angewendet. Zudem hat sich die sog. „Zielgruppenorientierte Intervention“ zur
Früherkennung der PTBS etabliert; man weiß, dass nach Ereignissen von mittlerem
Schweregrad sehr unterschiedliche Risikogruppen zur Entstehung einer PTBS unter den
Betroffenen existieren. Diese Zielgruppenorientierten Interventionen sollten so frühzeitig wie
möglich nach dem traumatischen Erlebnis einsetzen.
Daraus ergibt sich nun das Problem, dass man so kurz nach einem erlebten Trauma (in der
sog. Einwirkphase, s.o.) noch gar nicht die Diagnose einer PTBS stellen kann, da dies erst ab
einem Monat nach dem Erlebnis möglich ist. Also kann man sich mehr oder weniger nur auf
eine Risikoeinschätzung verlassen, anhand derer eine Therapieplanung vorgenommen wird.
Berücksichtigt man nun noch, dass die Betroffenen anfangs meist in internistischen und
chirurgischen Fachabteilungen untergebracht sind (z.B. nach Unfällen und
Naturkatastrophen), wird klar, dass eine präventive qualifizierte psychotraumatologische
Behandlung bereits am Krankenbett erfolgen muss.
Dies stellt an die Psychotraumatologie folgende Anforderungen:
- Pychologische und ärztliche Hilfe sollte abgestuft und zielgruppenorientiert erfolgen.
- Eine fachspezifische Hilfe sollte nach Möglichkeit am Ort des Geschehens oder im
erstversorgenden Krankenhaus einsetzen.
- Das soziale Netzwerk des Patienten sollte nach Möglichkeit während der Behandlung
bestehen bleiben.
Dies ist die Basis für das vierschichtige Organisationskonzept des Alexianer-Krankenhauses
in Krefeld (siehe Abb. 4.):
1. Eine spezialisierte Psychotherapiestation.
2. Eine Ambulanz für Gewalt- und Unfallopfer.
3. Die Integrative Psychiatrische Behandlung (IPB-Traumatologie).
4. Eine Komplex-Liaison mit kooperierenden Krankenhäusern.
Die ersten beiden Behandlungseinheiten entsprechen eher dem klassischen Konzept, die
letzten beiden besonders dem oben beschriebenen Anforderungsprofil.
Das Behandlungskonzept
KomplexLiaison
Psychotraumastation
PTBSSprechstunde
Ambulanz
PsychotraumaIPB
Abb. 4.: Behandlungsangebot des Zentrums für Psychotraumatologie
1. Psychotraumastation
In der Psychotraumastation werden Patienten mit einer besonders schweren PTBS
stationär behandelt. Darunter fallen Menschen mit einer aktuellen oder aktualisierten
psychotraumatischen Belastung aus der Kindheit. Hierzu steht ein multiprofessionelles
Team zur Verfügung, dass aus den speziell ausgebildeten psychologischen und
ärztlichen Psychotherapeuten, dem Fachpflegepersonal, Ergotherapeuten,
Krankengymnasten und Sozialarbeitern besteht. Geht es den Betroffenen besser,
haben sie die Möglichkeit einen tagesklinischen Platz zu bekommen, wodurch ihnen
ein schrittweiser Übergang in ihr soziales Umfeld erleichtert werden soll.
2. Ambulanz für Gewalt- und Unfallopfer
Dieser Bereich ist eine Spezialambulanz für Patienten zur Früherkennung und
Behandlung einer manifesten PTBS, die den Auftrag der Sachverhaltsaufklärung und
Diagnostik hat. Dies kann bedeuten, dass den Betroffenen eine Psychotherapie
empfohlen wird, die jedoch an anderer Stelle geleistet wird, weshalb die Ambulanz als
Schnittstelle dient zwischen dem stationären und ambulanten Versorgungssystem der
niedergelassenen Ärzten und Psychotherapeuten.
3. Die psychotraumatologische Integrative Psychiatrische Behandlung
Die IPB-Traumatologie ist eine Krankenhaus-Akutbehandlung ohne Krankenhausbett.
Ein mobiles multiprofessionelles Team, das für Notfälle rund um die Uhr zur
Verfügung steht, führt eine spezifische psychotraumatologische Behandlung zum Teil
im häuslichen Umfeld des Patienten durch. Daraus ergibt sich eine ungemeine
Flexibilität dieser Behandlungseinheit, die es ermöglicht besonders auf das
chronifizierte Vermeidungsverhalten eines Patienten einzugehen. Denn für viele stellt
ihre eigene Wohnung seit vielen Jahren eine sichere Rückzugsmöglichkeit dar, was
das mobile Behandlungsteam bei ihrer Arbeit mitberücksichtigt und wodurch ihr
ressourcenorientiertes Vorgehen erst möglich wird, denn dieser Behandlungsbereich
kann auf die präventiven Strategien des traumakompensatorischen Schemas (z.B.
Rückzug in die Wohnung, „wer keine Beziehungen eingeht, wird nicht enttäuscht“
(siehe „Beispiel“ oben)) in besonderer Weise eingehen.
4. Psychotrauma-Komplex-Liaison-Behandlung
Eine Komplex-Liaison-Behandlung ist eine Sonderform der IPB-Traumatologie und
zeichnet sich dadurch aus, dass eine spezifische Behandlung zeitnah zum Ereignis und
parallel zur somatischen Behandlung beginnen kann, wobei man, wie bereits oben
erklärt, nach der Verfahrensweise der Zielgruppenorientierten Intervention auf eine
Risikoeinschätzung angewiesen ist. Ist diese erfolgt, steht dem somatischen,
psychiatrisch komorbiden Patienten das gesamte multiprofessionelle psychiatrischpsychotherapeutische Diagnose- und Behandlungsspektrum am Krankenhausbett zur
Verfügung. Dadurch will man erreichen, dass mach Abschluss der somatischen
Behandlung, falls es zu einer Verlegung in die Psychiatrie kommt, die Verweildauer
dort reduziert wird.
Erste Evaluationsergebnisse der MPTT im multiprofessionellen Setting
einer Krankenhausbehandlung
Stichprobe: 61 Patienten, die im Zentrum für Psychotraumatologie mit der Hauptdiagnose
einer PTBS behandelt wurden.
Behandlungsstatus: - 80%: stationäre Behandlung
- 13%: IPB-Traumatologie
- 8%: Tagesklinik
- Patienten mit Komplex-Liaison-Behandlung wurden wegen der
kurzen Liegezeit ausgeschlossen.
- Interne Verlegungen blieben unberücksichtigt, um Doppelerhebungen
zu vermeiden.
Symptombelastung der Stichprobe: Im Folgenden werden die verwendeten
Symptomskalen, die Symptombelastung und die Therapieeffekte beschrieben.
1. Beschreibung der Symptomskalen:
Impact of Event Scale-Revised (IES-R):
Die Impact of Event Scale-Revised umfasst 3 Subskalen (Intrusion, Avoidance,
Hyperarousal) und erfragt die Symptomausprägungen der Patienten in den letzten drei Tagen.
Posttraumatic Symptom Scale, 10 Items (PTSS-10):
Diese Skala ist ein standardisierter Selbstbeurteilungsfragebogen und fragt nach dem
momentanen Befinden der Patienten und nach typischen Reaktionen, die nach einem
traumatischen Erlebnis gehäuft auftreten und für eine PTBS als charakteristisch gelten.
Peritraumatic Dissociative Experiences Questionnaire (PDEQ):
Dies ist ein standardisierter Selbstbeurteilungsfragebogen, mit dem man rückblickend das
dissoziative Erleben während eines traumatischen Ereignisses erfassen möchte.
Beck Depressions-Inventar (BDI) :
Das Beck Depressions-Inventar ist ein Standardtest, der zur Erfassung depressiver
Begleitstörungen, die bei psychisch Traumatisierten auftreten können, dient. Er weist eine
gute Reliabilität und Validität auf und ist international weit verbreitet.
Symptom-Checkliste (SCL-90-R) :
Dieser Fragebogen umfasst die Skalen Somatisierung, Zwanghaftigkeit, Unsicherheit im
Sozialkontakt, Depressivität, Ängstlichkeit, Aggressivität, Phobie, paranoide Gedanken und
Psychotizismus mittels 90 Items. Er bezieht sich auf die letzten 7 Tage.
2. Das Zeitkriterium (Dimension I) und die Symptomstärke:
Bei diesem Punkt bezieht man sich auf die Dimension I der MPTT (Wie viel Zeit ist zwischen
dem traumatischen Ereignis und der stationären Aufnahme vergangen? Befindet sich der
Patient beim ersten Kontakt im Krankenhaus z.B. in der Einwirkphase oder schon in der
Verfestigungsphase?).
Dazu bildete man 5 Kategorien, in die man die Betroffenen einteilen konnte:
- Einwirkphase: bei 11% der Patienten vergingen bis zu 4 Wochen nach dem Erlebnis
- 1-6 Monate: 21% der Patienten zählt man in diese Kategorie
- 6-12 Monate: für 8% der Teilnehmenden verging so viel Zeit nach dem
psychotraumatologischen Primärereignis
- über 12 Monate: in dieser Gruppe befinden sich 39% der Patienten
- Kindheit: zu dieser Gruppe zählen 20% der Patienten, die in ihrer Kindheit Schlimmes
erlebt haben und diese Erlebnisse durch eine erneute Traumatisierung wieder aktuell
wurden.
Betrachtet man sich im Prä-Test die Mittelwerte und das Konfidenzintervall (95%) des PTSS10 in Abhängigkeit zu den eben erläuterten Zeitkategorien, stellt man fest, dass der Mittelwert
in allen Kategorien um den Grenzwert eines hochgradigen Verdachts einer PTBS streut, was
auch zu erwarten war, da bei allen Patienten eine PTBS diagnostiziert wurde. Jedoch gab es
keinen Hinweis auf einen signifikanten Unterschied der Untergruppen (Einfaktorielle
ANOVA; F 0,92; p=0,59).
3. Symptomstärken in Relation zur Traumatischen Situation (Dimension II):
Man unterteilte die Stichprobe nun nach unterschiedlichen Ausprägungen der Art des
Psychotraumas:
- Negative Intimität: 39% der Patienten hatten unter irgendeiner Form der sexualisierten
Gewalt gelitten
- Unfälle: 26% hatten einen Verkehrs- oder Arbeitsunfall
- Gewaltkriminalität: 20% waren Opfer von häuslicher Gewalt, Raub oder der tätlichen
Androhung von Gewalt
- Andere: 15% waren beispielsweise vom Krieg traumatisiert oder hatten eine
nahestehende Person, einen Angehörigen verloren
Auch hier erhält man ein ähnliches Ergebnis wie oben. Man hat sich wieder die Mittelwerte
und das Konfidenzintervall des PTSS-10 betrachtet, diesmal in Abhängigkeit der
unterschiedlichen Arten der Traumatisierung, und hat erneut festgestellt, dass der Mittelwert
negative Intimität, Gewaltkriminalität und Unfälle um den Grenzwert von 35 Punkten streut.
Größere Werte als 35 wertet man als dringenden Verdacht auf eine PTBS. Ebenso hat man
keinen Hinweis auf einen Unterschied zwischen den Gruppen gefunden (F 1,29; Signifikanz
p=0,25).
4. Therapieeffekte:
Um den Therapieeffekt zu messen, führte man eine Psychometrische Diagnostik vor und nach
der Behandlung durch, wobei zwischen T1 und T2 ca. 40 Behandlungstage lagen. Mittels
eines t-Tests für gepaarte (abhängige) Stichproben (p<0,001) konnte man zeigen, dass
Therapieeffekte im Prä-Post-Vergleich erzielt werden konnten. Man sah sich die
Symptomstärken, also die Mittelwerte, zusammen mit dem Konfidenzintervall (95%) auf den
einzelnen Symptomskalen (PTSS-10, IES, BDI und GSI, SCL-90) zu den zwei Zeitpunkten
T1 und T2 an und stellte folgendes fest:
- PTSS-10: Bei dieser Skala sinkt der Mittelwert von 36 Punkten (T1) auf 27 Punkte
(T2) ab.
- Depressionsskala von Beck: Hier ging die Symptomatik von 25 Punkten
(= mittelschwere depressive Symptomatik) auf 17 Punkte (= leichte depressive
Symptomatik) zurück.
- SCL-90-R: Im GSI des SCL-90 zeigt sich ein Rückgang der Symptome von 1,54 auf
1,1.
- IES-R: Für die Subskalen dieses Test (Hyperarousal, Intrusion, Vermeidung) hat man
festgestellt, dass es auch hier einen signifikanten Symptomrückgang gegeben hat.
Die Prä-Post-Effektstärken der einzelnen Symptomskalen, die gemäß der Konvention von
Cohen festgelegt wurden (großer Effekt = d≥0,8; mittlerer Effekt = d≥0,5; kleiner Effekt =
d≥0,2), liegen nach einer ca. 6-wöchigen Krankenhausbehandlung zwischen d=0,50 (GSI des
SCL-90-R), d=0,63 (PTSS-10), d=0,79 (BDI) und d=0.85 (IES), also im mittleren bis großen
Bereich.
Fazit
Abschließend kann man sagen, dass man mit Hilfe der MPTT im multiprofessionellen Setting
gute Erfolge erzielen kann bei der Behandlung der Folgen schwerer Psychotraumata und zwar
bereits innerhalb von ca. 6 Wochen. Es verbessert sich nicht nur die Symptomatik einer
PTBS, sondern auch das Allgemeinbefinden der Patienten.
Man kann sagen, dass die MPTT aufgrund ihrer Systematik, inneren Methodenvielfalt und
Flexibilität in besonderer Weise geeignet scheint, eine integrierte Krankenhausbehandlung zu
unterstützen, wobei berufsgruppenübergreifend gearbeitet werden sollte, um die besten
Therapieerfolge erreichen zu können. In diesem Sinne hat das Alexianer- Krankenhaus in
Krefeld Modellcharakter für noch anstehende Reformen unseres Gesundheitssystems, damit
man sich beispielsweise von der Trennung der klassischen ambulanten und stationären
Behandlung löst oder man auch unterschiedliche Therapierichtungen integriert und sie nicht
mehr voneinander getrennt sieht.
Literaturangaben:
- Bering, R., Horn, A., Spieß, R. & Fischer, G. (2004). Forschungsergebnisse zur
Mehrdimensionalen Psychodynamischen Traumatherapie (MPTT) im multiprofessionellen
Setting. Zeitschrift für Psychotraumatologie und Psychologische Medizin, 4, S. 45-58.
- Internet
- Niklewski, G., Rieke-Niklewski, R. (2003). Leben mit einer Borderline-Störung, Trias.
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