1 Problemorientiertes, fallbasiertes und situatives

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1
Christof Daetwyler M.D. (IML
[email protected]
Dartouth
College
Medical
School)
chris-
Hintergrund
How can Computers assist the Students
in the learning of clinical Medicine?
Wie können Computer den Studenten in
seinem Bestreben unterstützen, klinische Medizin zu lernen?
Summary
Zusammenfassung
When Howard S. Barrows discovered
in 1969 that "medical students and
residents, for the most part, did not
seem to think at all",he introduced as
a consequence the "Problem Based
Learning". In 1984 he adopted together with Feltovich the "script" concept to medical education. These "Illness-scripts", which are mainly generated through reflection on patient
encounters, are supposed to be the
underlying structures of the clinical
reasonning processes.
Bereits 1969 kam Howard S. Barrows
zum Schluss, dass die klinische medizinische Ausbildung im argen liegt - und
begann als Konsequenz den problemorientierten Unterricht einzuführen.
1984 führte ebenfalls Barrows zusammen mit Feltovich den Begriff des "Illness-scripts" in die medizinische Ausbildung ein. Diese werden vor allem
durch reflektierte Patientenkontakte
erzeugt. Sie bilden die eigentliche
Grundlage der klinischen Entscheidungsfindung.
In this article, I'll show how and under what circumstances computer
assisted learning programs assist the
construction of those "illness scripts" and therefore could be a valuable aid
in the preparation of the students for
"real clinical life".
Im folgenden Artikel werden computerunterstützte Lernprogramme propagiert, mit deren Hilfe solche "Illnessscripts" erzeugt und vertieft werden
können, und die dadurch in der Lage
sein könnten, Studierende auf die
"wirkliche" Klinik vorzubereiten.
Seit mehr als 7 Jahren befasse ich mich mit der Realisation und Implementation von
computerunterstützten medizinischen Lernprogrammen. Ausgelöst wurde dieses noch
immer anhaltende Interesse durch das Programm „Laennec“ von Raphaël Bonvin1. In
diesem Programm wurde Theorie nicht bloss multimedial aufgemotzt elektronisch
dargestellt, sondern man konnte an „simulierten“ Patienten eine Anamnese abfragen,
Hypothesen aufstellen und diese überprüfen lassen – und schliesslich sogar eine simulierte Untersuchung mit dem Stethoskop ausführen. Mir wurde klar, dass dies der
Anfang einer neuen Art des Lernens und Lehrens sein konnte, denn mit diesem Programm vermochte ich zu lernen, was mir an der Universiät nicht hatte beigebracht
werden können: Das Heraushören und Interpretieren von Lungengeräuschen am Patienten mit einer klinischen Fragestellung im Hintergrund. Da ich damals gerade erst
das Medizinstudium abgeschlossen hatte, erwuchs der Wunsch in mir, in derselben
Art und Weise Programme zu entwickeln um dort zu substituieren, wo ich als Student
solche Lernwerkzeuge vermisst habe.
Warum aber sollte es für Studierende etwas bringen, Programme in der Form von
fallbasierten Simulationen zur Verfügung zu haben. Allein die Tatsache, dass es mir
gefällt und ich es eine wunderbare Sache finde genügt nicht, um diese Frage zu beantworten. Reichen die bekannten Lehrbücher, Tonbildschauen, Vorlesungen, Videos und
direkten Patientenkontakte denn nicht aus? Was rechtfertigt den Aufwand an personellen und finanziellen Mitteln, den eine solche Produktion bedeutet?
1 Problemorientiertes, fallbasiertes und
situatives Lernen
Bereits 1969 testete Howard S. Barrows Medizinstudenten der McMasters Universität:
„I discovered that medical students and residents, for the most part, did not seem to
think at all. Some gathered data ritualistically and then tried to add it up afterwards,
while others came up with a diagnosis based on some symptom or sign, never considering possible alternatives.“2 (Barrows H.R., Twomblyn R.M.; 1980) Ihm wurde deutlich,
dass die Ausbildung nicht das erbracht hatte, was von ihr erhofft wurde. Abhilfe wurde gesucht, indem das Curriculum problemorientiert gestaltet wurde, zudem wurden
Wissen und Fertigkeiten in ähnlicher Umgebung erlernt und geübt, in der sie dann
auch angewendet werden sollten. Der klinische Unterricht wurde anhand von Patienten problemorientiert durchgeführt mit dem Ziel, dadurch die klinischen Problemlösungsstrategien zu entwickeln. Die Mittel, die damals zur Verfügung standen, waren
echte Patienten und Papierfälle. Obwohl es für einen zukünftigen Arzt nichts motivierenderes gibt, als mit echten Patienten zu arbeiten und diese Art des Studiums durch
2
nichts zu ersetzen ist, haben auch die Papierfälle ihre Berechtigung. Überlegungen, die
hierzu anzustellen sind3 (Barrows H.R., Twomblyn R.M.; 1980):





Der „richtige“ Patient ist oft nicht dann zur Stelle, wenn das Curriculum danach verlangt.
Der „wirkliche“ Patient kann unkooperativ sein und/oder sich als blosses Versuchskaninchen für die Bedürfnisse der Lehre empfinden.
Viele ausbildungsrelevante Probleme sind zu heikel als dass Studierende damit üben könnten, da deren Dringlichkeit oder Komplexheit dies verbietet.
Geeignete Patienten werden manchmal so oft den Studierenden „vorgeführt“,
dass sie zu schlechten Schauspielern ihres eigenen Falles werden können.
Heutzutage kommt noch dazu, dass es immer mehr Studenten gibt für eine
bleibende Anzahl Patienten, deren Verweilzeit im Spital jedoch immer kürzer
wird, was zur Folge hat, dass deren Verfügbarkeit für die Ausbildung geringer
wird.
1.1 Die Wichtigkeit von Fallbeispielen
Charlin, Tardif und Boshuizen beschreiben in „Scripts and Medical Diagnostic Knowledge: Theory and Application for Clinical Reasoning Instruction and Research“ 4 im
Jahr 2000, wie Barrows bereits 1984 zusammen mit Feltovich5 den Begriff des „scripts“
(oder „illness scripts“) in die medizinische Ausbildung einführte. Dieser Begriff, der
aus der kognitiven Psychologie stammt, bezeichnet ein Konzept, welches erklärt, wie
medizinisches diagnostisches Wissen verarbeitet wird um diagnostische Problemlösungen zu ermöglichen. Dabei soll Wissen über die verschiedenen Kranheitsbilder
jeweilen als „Werte-Cluster“b für jeden Aspekt abgespeichert vorliegen. Bei der klinischen Diagnosefindung werden die vorgefundenen Werte mit diesen „WerteClustern“ verglichen und daraufhin untersucht, ob sie sich mit ihnen vertragen oder
nicht.
Jedoch...


Papierfälle sind unrealistisch und abstrakta. Sie fördern keineswegs die Fähigkeiten der Anamneseerhebung und der körperlichen Untersuchung.
Sie steigern auch nicht die Fähigkeit, eigene Beobachtungen am Patienten zu
machen und daraus das weitere Vorgehen abzuleiten.
Die Nützlichkeit von Papierfällen ist also sehr beschränkt – und wirkt zudem nicht
sehr motivierend auf die Studierenden. Barrows erkannte dies und forderte „simulierte“ (bzw. standardisierte) Patienten. Dabei handelt es sich um Schauspieler, die eine
oder mehrere Krankheitsbilder darstellen können. Nun, wie wir wissen hat sich die
Prüfungsform des OSCE (Objectiv Structurated Clinical Exam) an den Universitäten
der USA und Canadas bereits seit längerem etabliert. Auch hier im deutschsprachigen
Europa möchten wir gerne OSCE einführen – nicht nur, um die Studierenden summativ zu evaluieren, sondern auch um ihnen während des Studiums ein Self-Assessment
ihrer Fähigkeiten zu ermöglichen. Leider fehlt uns jedoch dazu (noch) das Geld.
Der Sender einer Information will einen Empfänger errichen. Darüber sollte sich ein
Informatiker, der Software für Mediziner schreibt, klar sein und versuchen, die Informationen für Mediziner zugänglich darzustellen. Nach Piaget und Gardner gibt es ja
nicht nur eine Art der Intelligenz, sondern verschiedene Intelligenz-Schwerpunkte je
nach Person, Gruppe und Umfeld. Programme von Informatikern sind bezeichnenderweise oft etwas sehr textlastig und lassen sogar Bilder nur wenig Platz - da diese in
abstrakten Begriffen zu denken geübt sind. Auf der anderen Seite haben wir es bei den
Medizinern mit einer Zielgruppe zu tun, wovon sich nur 20% je im Bereich der Forschung bewegen - die grosse Mehrheit ist direkt in der Patientenversorgung tätig und
trainiert dementsprechend v.a. die Mustererkennung und die Interpretation taktiler
und auditiver Sensationen.
a
Abb 1: Abstrakte Darstellung dreier Illness-Scripts. Im ersten (obersten) Kriterium stimmen
alle drei Cluster überein. Im zweiten Kriterium nur der linke mit dem mittleren, im dritten
dann wieder der mittlere mit dem rechten.
Falls sie sich nicht vertragen, wird danach ein anderes Script aktiviert, wobei diese
Aktivierung beim Erfahrenen eigentlich unbewusst erfolgt, während sie der Unerfahrene noch rational deduktiv herbeiführen muss.6 Es findet also ein Reifungsprozess
statt. Dieser äussert sich modellhaft darin, dass Studenten, die nach einem Patientenkontakt gebeten werden, relevante Beobachtungen sinnvoll zu präsentieren, dies nicht
vermögen; für erfahrene Kliniker hingegen bildet dies in der Regel kein Problem.7
„Illness-scripts“ werden vor allem durch moderierte Patientenkontakte erzeugt4 und
verfeinert – und an dieser Stelle setzen nun die multimedialen, fallbasierten, interaktiven Lernprogramme ein. Denn mit Hilfe des Computers können Fallbeispiele geschaffen werden, die nicht statisch und auch nicht textbasiert sind.
Seit Mitte der 90er Jahre vermögen Computer sowohl Farbbilder als auch Film- und
Tonsequenzen in akzeptierbarer Geschwindigkeit wiederzugeben. Diese multimedia„Werte-Cluster“ bezeichnet hierbei ein Netzwerk verschiedener Parameter, die innerhalb bestimmter Werte liegen müssen, um für einen Script charakteristisch zu sein.
b
len Möglichkeiten - gekoppelt mit programmierten Feedback-Mechanismen - erlauben
es, Modellpatienten im Computer so nachzubilden, dass sie dem Studierenden audiovisuell und interaktiv entgegentreten.
1.2 Die Wichtigkeit der Lernumgebung
Wie effizient Lernen erfolgt, ist jedoch lange nicht nur abhängig von den didaktischen
Fertigkeiten des Lehrers bzw. Programmes, sondern in grossem Ausmass auch von der
Umgebung, wo Lernen stattfindet. Godden und Baddeley8 stellten dazu 1975 folgendes
Experiment an: Mitgliedern eines universitären Tauchclubs aus Schottland wurden
jeweilen 36 zwei- bis dreisilbige, aus einer Liste zufällig ausgewählte Wörter per Funk
vorgelesen - dabei befanden sich die Studierenden entweder 6 Meter unter Wasser
oder an Land (Taucherbrille offen, Füsse im Wasser). Das freie Erinnerungsvermögen
wurde dann 4 Minuten später unter Wasser und an Land getestet.
Tabelle 1: Darstellung der experimentellen Ergebnisse von Godden & Baddeley, wobei möglichst viele von 36 Wörtern zu erinnern waren.
Lern-Umgebung
Erinnerungs - Umgebung
An Land
Unter Wasser
An Land
13.5
8.6
Unter Wasser
8.4
11.4
Die Auswertung zeigte dabei deutlich, dass die Aufnahme von Inhalten unabhängig
vom Umfeld ista - deren Erinnerung jedoch wesentlich besser funktioniert, wenn sie im
gleichen Umfeld stattfindet, in dem die Inhalte gelernt wurden. In weiteren Experimenten wurden die Unterschiede der beiden Umgebungen immer mehr angeglichen,
bis es sich nur noch um verschiedene Räume im selben Gebäude handelte - sogar dann
blieben die Unterschiede signifikant.
Es ist aber nicht nur, dass die äussere Umgebung bei der Erinnerung eine Rolle spielt;
auch die innere Verfassung und Faktoren wie Hunger, Durst, Müdigkeit etc. spielen
eine Rolle: was hungrig gelernt wurde, wird hungrig am ehesten wieder erinnert.b
Eine Annäherung der Lernsituation an diejenige, wo das Wissen gebraucht wird, ist
also sehr günstig. Im Idealfall soll dort gelernt und geübt werden, wo das Wissen und
die Fertigkeiten gebraucht werden. In den Fällen, wo man nicht am Handlungsort
üben kann, stellt sich die Frage, welche Teile des Handlungsumfeldes - und auf welche Art - diese nachgestellt werden soll. Lynne Reder und Roberta Klatzky9 untersuchAngenommen, die Autoren wollten beweisen, dass man an Land besser lernt als
unter Wasser, wäre ihnen das gelungen - wenn sie beide Gruppen nur an Land auf die
Erinnerung getestet hätten. Dies sei ihnen natürlich nicht unterschoben - der Gedanke
aber reizte mich, anhand dieses Beispieles wieder einmal aufzuzeigen, wie vorsichtig
experimentelle Designs zu beurteilen sind.
b Eventuell lassen sich Prüfungsresultate verbessern, indem man beim Lernen und bei
der Prüfung Kaugummi kaut - natürlich beide male die selbe Geschmacksrichtung.
a
3
ten das Problem und versuchten die Elemente zu identifizieren, die notwendigerweise
identisch sein müssen, um den Transfer zu ermöglichen. Sie vermochten jedoch keine
Algorythmen zu bilden, welche die objektive Herleitung solcher kritischer Elemente
erlaubte. Ich selbst neige dazu, die lange Erfahrung und das Feingefühl eines guten
Lehrers dafür einzusetzen - und im Dialog mit ihm herauszuarbeiten, was wohl "simulationswürdig" ist und was nicht.
Ich kann leider nicht weiter auf diese sehr interessante Problemstellung eingehen, da
mir dazu das Wissen und die Erfahrung mangelt. Ich nehme jedoch daraus mit, dass es
nebst dem "was" sehr wohl eine Rolle spielt, "wie", "wann" und "wo" man etwas lernt.
Darauf möchte ich im nächsten Abschnitt eingehen.
2 Diskussion verschiedener Lernkategorien und der Möglichkeiten ihrer
Umsetzung
Tab 2: Folgende Tabelle10 veranschaulicht verschiedene Lernkategorien:
Kategorie
Behaviorismus
Kognitivismus
Konstruktivismus
Umsetzung
Drill & Practice
Tutoriertes Lernen
Fallbasiertes Lernen
Entdeckendes
Lernen
Apprenticeship
Reciprocal Teaching
Projektorientiertes
Lernen
Wissen
wird
abgelagert
verarbeitet
Konstruiert (situativ)
eine korrekte Input-/OutputRelation
Richtige Antworten
Korrekte kognitive
Konzepte,
formale
Operationen
richtige
Methoden
zur Antwortfindung
Beobachten
und helfen
Wissen ist
Lernziele
Strategie
lehren
Die Lehr- Autorität,
person ist
Instruktor
Tutor
Feedback
wird
extern vorgegeben
extern vorgegeben
mit einer Situation
operieren zu können
komplexe Situationen bewältigen
kooperieren
Coach, Spieler, Trainer
intern modelliert –
daher primär unkontrolliert - Wichtige
Rolle der Kommunikation!
4
2.1.1 Klassische Konditionierung: Drill & Practice
Mit der Methode des „Drill & Practice“ werden die Lernenden darauf dressiert, „richtig“ und schnell, am besten reflexartig, zu reagieren. Das zugrundeliegende Paradima
ist jenes der klassischen Konditionierung nach Pawlowa. Es gibt medizinische Fertigkeiten, die reflexartig beherrscht werden sollten – so zum Beispiel die notfallmässige
korrekte Behandlung von Unfallopfern. Diese Dinge müssen so lange geübt werden,
bis sie dem Übenden in „Fleisch und Blut“ übergegangen sind und sich quasi völlig
vom Neocortex losgelöst haben – wobei sie sich dabei auch der bewussten Auseinandersetzung entziehen können. Es ist sinnvoll, vorgegebene Abläufe mithilfe von Computern zu üben – dieser „ermüdet“ nicht, ein menschlicher Instruktor jedoch schon.
Die Möglichkeiten des durch Konditionierung Vermittelbaren sind jedoch eng gesetzt
und enden bei der Übertragung symbolischer Inhalte.
Beispiele für die Umsetzung in Lernprogrammen:
Vokabeltrainer (Fremdsprachen): Wörter werden angezeigt und müssen in der zu
lernenden Sprache eingegeben werden. Dies immer wieder, bis keine Fehler mehr
vorkommen.
Flugzeugerkennung (Militär): Nur Sekunden dauernde Filmsequenzen von Flugzeugen werden eingeblendet. Es muss zwischen eigen und fremd entschieden und der
Flugzeugtyp bestimmt werden. Auch hier geht die Übung solange, bis keine Fehler
mehr gemacht werden.
2.1.2 Tutoriertes Lernen
Beim tutorierten Lernen versucht das System einen Lehrer zu simulieren, der dem
Lernenden das zu vermittelnde Material nach didaktischen Gesichtspunkten präsentiert. Dabei wurden bisher zwei Wege eingeschlagen: In der üblichen Methode wird
eine Lernumgebung hergestellt, wo der Tutor als Coach das Lösen von Aufgaben hilfreich unterstützt, wogegen mit der Methode des „Sokratischen Dialoges“ dem Lernenden immer wieder Fragen gestellt werden und er so zur Analyse der eigenen Fehler
angehalten wird.11 Gerade weil das Konzept versucht, einen leibhaftigen Lehrer zu
simulieren, läuft es leicht in Gefahr, zur programmierten Lerneinheit zu verkommen,
die dann erfahrungsgemäss von den Studierendenb abgelehnt wird. Schuld daran ist,
Aldous Huxley schildert in seinem berühmten Roman „Brave new world“ eine Gesellschaft, die durch Konditionierung geformt wurde. Anthony Burgess schilderte in
seinem Roman „Clockwork Orange“, der von Stanley Kubrick verfilmt wurde, wie ein
brutaler Verbrecher dazu konditioniert wird, keinerlei Aggression mehr ausüben zu
können.
b Hierbei liegt die Betonung auf "Studierende". Gerade im Bankensektor wird programmiertes Lernen recht oft gebraucht - und zwar um schnell, effizient und nachkontrollierbar eine grosse Anzahl Mitarbeiter zu instruieren.
dass der Tutor, wenn er auf ein paar programmierbare Algorythmen und Paradigmen
zusammengeschrumpft wird, seines Wissens um die Struktur der Situation und die
Regeln der Lehrer-Schüler-Interaktion beraubt wird.12 Wird diese Gefahr jedoch berücksichtigt, so lassen sich bereits heute sehr „lebendige“ Tutorensysteme programmieren. Wie das gemacht werden kann, werde ich in der „Beispiel-Sektion“ dieses
Aufsatzes abhandeln. Auch der nebenstehende Artikel von Dino Carl Novak „InterSim: Ein selbstbestimmtes Lernsystem mit interaktiver Führung und Autorenkomponente“ geht auf die obengenannte Problematik ein.
2.1.3 Fallbasiertes entdeckendes Lernen
Bei der Vorbereitung von Studenten darauf, komplexe (klinische) Situationen bewältigen zu können, bietet sich der Einbezug des „Entdeckenden Lernens“ an13. Dabei geht
es prinzipiell darum, dass der Lernende lernt, weil er die Welt verstehen und sich in
ihr bewähren möchte. Dieser Prozess erfolgt in dauerndem Austausch mit der Umwelt. Besonders wichtig ist dabei, dass Fehler nicht nur gemacht werden können, sondern sogar müssen – denn es wird auch gelernt, indem Fehler als solche erkannt und
vermieden werden.c Die Fehler werden dabei nicht aufgrund von falschen Assoziationend gemacht, sondern auf der Basis unrichtiger Annahmen. Diese werden nun verfeinert und korrigiert, indem sie an die „Wirklichkeit“ stossen.
Es ist offensichtlich, dass es im Falle der Medizin nicht statthaft ist, wenn ein Student
sein Wissen und Können nach der „Trial and Error“-Methode lernt, denn davon wären
reale Patienten betroffen. Dennoch ist dies heute bei der ärztlichen Ausbildung an
vielen Orten der Fall.
Es gibt bisher nur wenige Programme, die eine simulierte klinische Situation schaffen,
welche ein fallbasiertes und entdeckendes Lernen ermöglichen. Dies liegt sicher unter
anderem daran, dass es sehr aufwendig ist, ein solches Lernsystem zu schaffen. Neben
den simulierten Patienten müssen auch programmierte Tutoren geschaffen werden,
damit die Studierenden sich nicht in der Freiheit verlieren. Zudem muss ein akkurates
Self-Assessment sicherstellen, dass sich die konstruierten Konzepte innerhalb einer
gewissen Spannweite bewegene. Wie diesen Forderungen genüge getan werden kann,
versuche ich dann in der "Beispiel" Sektion aufzuzeigen.
2.1.4 Einbeziehung der psychischen Komponente
a
Der hier verwendete Begriff „Assoziation“ bezeichnet die durch eine Konditionierung erzeugte und nicht die sogenannt „freie Assoziation“.
e Vgl. dazu die obenstehende Tabelle, worin behauptet wird, dass der Feedback beim
konstruktivistischen Ansatz "Intern modelliert" wird.
d
5
Joe Henderson14 streicht heraus, dass Programme, die lediglich die Komponenten
„Wissen“ und „Fertigkeiten“ des Arztberufes vermitteln, keineswegs auf die wirkliche
Klinik vorbereiten, da hier vor allem die „Haltung“ gefragt ist. In der Zusammenfassung zu seinem Artikel über dieses Thema beschreibt er die herrschenden Zustände
folgendermassen:
"For the most part...practice is viewed as technically rational and mechanistic, addressable by
the application of theory-based facts and rules. This restricted model of health care largely ignores the psychosocial dimensions of health and illness. It does not prepare students to deal effectively with the real swamp of professional practice, particularly in the majority of cases where
the variability of human behaviour and human situations plays a role."
Aus dieser Feststellung folgert eine weitere Forderung an Programme, die fallbasiertes
Entdeckendes Lernen ermöglichen: Die simulierten Patienten sollten sich je nachdem,
wie der Lernende mit ihnen umgeht, entsprechend verhalten - eventuell sogar "launisch" sein und sich möglichst wie richtige Menschen benehmen, um dadurch dem
Studierenden die Möglichkeit zu geben, sich auf die Wirklichkeit vorzubereiten. Denn
was bereits durchdacht worden ist, hat die möglichen Verhaltensnormen verändert
und erweitert. Im fiktiven Beispiel kann das dann so aussehen, dass der Student gefragt wird, wie er die Mitteilung überbringen würde, dass der Patient todkrank ist und
wohl bald sterben wird. Als Möglichkeiten können wir uns vorstellen, dass der Patient
verharmlosend, sehr sachlich oder überaus mitfühlend über seine Krankheit informiert
wird. Wählt der Student nun die überaus mitfühlende Varianten, so bricht der Patient
vielleicht haltlos zusammen - bei der sehr sachlichen dagegen packt diesen die Wut
gegen die Krankheit und den "überbringenden" Arzt und reagiert aggressiv.
3 Beispiele
3.1 Computerunterstützte Umsetzung der Anamnese am Beispiel des Lern-programmes "Kopfschmerz interaktiv"
Unter der Anamnese verstehen wir das ärztliche Patientengespräch. Die Zielsetzungen
dabei beinhalten nebst der Kontaktaufname die Erkundung des aktuelle Leidens und
der medizinischen Vorgeschichte sowie das Erkennen eventuell vorhandener familiärer und sozialer prädisponierender oder mitwirkender Faktoren.
Es mag den medizischen Laien erstaunen, dass in ca. 80% der Fälle die richtige Diagnose bereits mit der Anamnese gestellt werden kann. Dabei muss bedacht werden,
dass zusätzlich zur anamnestisch erhobenen viele nicht verbalisierbare Informationen
dazukommen, die der erfahrene Arzt aus dem Gang, dem Geruch, dem Aussehen dem Gesamteindruck oder "Aspekt" also - erfahren kann.
Es gibt sogar Disziplinen in der Medizin, wo die Diagnose zu fast 100% durch eine
korrekte Anamnese gestellt werden kann. Dies ist zum Beispiel bei der Diagnose verschiedener Kopfschmerzleiden der Fall. Mit dem Programm "Kopfschmerz interaktiv"16 habe ich zusammen mit Marco Mumenthaler ein Modell erarbeitet, mit welchem
die Kunst der Anamneseerhebung computerunterstützt erlernt und geübt werden
kanna. Im folgenden möchte ich auf die mir wichtig scheinenden Aspekte etwas eingehen und diese auch illustrieren.
3.1.1 Der Fallorientierte Einstieg
You have never a second chance for a first impression. So ist es auch bei Lernprogrammen. Der erste Eindruck, der erste "screen", gibt vor was folgen wird. Im Falle des
fallbasierten Kopfschmerz-Programmes bedeutet dies einen direkten Zugang über die
Portraits der Patienten:
Abb 2:
Dieser Bildschirm bildet den Eintstieg
in das fallbasierte Programm "Kopfschmerz interaktiv"
"Ein Pudding beweist sich beim Essen". Dieses Zitat nach Berthold Brecht dünkt mich von
zentraler Wichtigkeit. Durch die Tätigkeit des Essens wird dieser darauf reduziert, ob
er schmeckt oder nicht. Er wird zum "Ding an sich"15. In der Kunstgeschichte spricht
man von der "Genialität der Skizze", die oft den vielversprechenden Vorstufen noch
Anhaftet - auch wenn dann im eigentlich angestrebten Endprodukt auch rein gar
nichts mehr davon zu spüren sein kann.
In diesem Abschnitt geht es um konkrete Dinge - also um das, was aus den Träumen
geworden ist, als sie an der Wirklichkeit und Machbarkeit auskondensierten. Die im
folgenden dargestellten Problemlösungen können in zukünftigen Projekten vielleicht
nochmals gute Dienste leisten. Denn Ideen sollen bekannt gemacht und frei kopiert
werden können, dann werden sie überleben. Ich erlaube mir also, in diesem Abschnitt
anhand konkreter Beispiele darzustellen, welche Überlegungen zur computergerechten Umsetzung wir uns in den letzten sieben Jahren gemacht haben - und welche
Lösungen wir dabei gefunden haben.
"Kopfschmerz interaktiv" wurde dafür mit dem European Academic Software Award
2000 (EASA2000) in Rotterdam ausgezeichnet.
a
6
Die Anordnung der Patientenportraits im Oval erfolgt dabei in zufälliger Reihenfolge.
Somit wird auch ein Student, der immer oben rechts hinklickt, mit der Zeit alle Fallbeispiele öffnen.
3.1.2 Mehr als Text: Filme als Informationsträger
Abb 4:
Der Bildschirmaufbau von "Kopfschmerz interaktiv" wenn der Spezialist (Marco Mumenthaler, rechts)
den Hintergrund seiner Frage offenlegt.
Beim Filmen des Anamnesegespräch wurde dem erfahrenden Arzt direkt über die
Schulter gefilmt, als dieser die Patientenbefragung durchführte. Für den Studenten
erfolgt dadurch der Eindruck, dass er selbst am Gespräch teilnimmta. Diese Unmittelbarkeit hat eine starke motivierende Wirkung.
Abb 3:
Der Blick über die Schulter
des fragenden Arztes ermöglicht, dass die Patienten
direkt in die Kamera antworten und der Betrachter auf
diese Weise direkt in das
Geschehen involviert wird.
Die realistische filmische Wiedergabe der Patienten vermittelt zudem viele nichtverbale Information - wie zum Beispiel der Gesichtsausdruck von Menschen, die über
ihre Kopfschmerzanfälle sprechen und darob erschrecken, was sie durchgemacht haben.
3.1.3 Vom linearen Film zum interaktiven Meta-Film
Film ist ein lineares Medium - daher denken Personen, die damit zu tun haben, in der
Regel linear. Die klassische Lehrfilmdarstellung eines Anamnesegespräches sieht folgendermassen aus: Zuerst werden Arzt und Patient vorgestellt, dann wird das Gespräch gezeigt und schliesslich folgt ein Kommentar des Arztes. Es kann auch jede
einzelne Frage an den Patienten und dessen Antwort kommentiert werden, dass macht
den Film für einen fortgeschrittenen Studenten jedoch so langweilig, dass dieser kaum
bei der Sache bleiben wird. Der Computer erlaubt es nun, Kommentare jeweilen auf
Abruf zu zeigen. Damit wird die lineare Struktur durchstossen, da die Kommentarebene des Spezialisten parallel zur Darstellung des Patientengesprächs immer verfügbar ist.
Diese Technik wird "subjektive Kamera" genannt. Es gibt berühmte Filme, die über
grosse Strecken diese Technik benutzten, um eine subjektive Unmittelbarkeit zu schaffen. Vgl. dazu "Dark Passage" (1947) mit Humphrey Bogart und Lauren Bacall.
a
Im konkreten Beispiel wurde dies formal so gelöst, dass während der Film die Anamnese zeigt darunter die momentane Fragestellung auf einer Taste (engl. "Button") eingeblendet wird. Ist dem Studenten nun nicht klar, was diese Fragestellung genau bedeutet, so kann diese Taste anklicken worauf der Film gestoppt wird und der erfahrene
Arzt sein Spezialistenwissen preisgibt. Der Vorteil liegt auf der Hand: Der Anfänger
kann sich alle Kommentare anschauen wohingegen der Fortgeschrittene nur dann den
Spezialisten fragt wenn er Unsicher wird.
3.1.4 Wichtigkeit und Umsetzung des Self-Assessment
Das Ziel des Programmes ist es, dem Studierenden ein Vokabular an wichtigen Fragen
in die Hand zu geben - und eine Strategie aufzuzeigen, wie mit diesen Fragen ein genaues Bild des Leidens der Patienten gezeichnet werden kann. Ein Bild, das so klar ist,
dass dadurch fast alle bekannten Kopfschmerzformen deutlich unterschieden werden
können.
Abb 5:
Im Quiz-Modus können Fragen
eingegeben werden, worauf eine
Liste möglicher Fragen eingeblendet
wird, aus der durch Mausklick eine
Frage ausgewählt wird, die dann
direkt von der Patientin im Film
beantwortet wird.
In diesem Beispiel erzeugt die Volltexteingabe "seit wann" die Fragen
"Kopfschmerzvorgeschichte
und
Verlauf" und "Zeitliches Muster des
Auftretens".
Es muss dem Studierenden unbedingt die Möglichkeit gegeben werden, sich selbst zu
prüfen ob er nun fähig sei, eine korrekte Anamnese zu erheben oder nicht. Mit Hilfe
eines Quiz-Moduls, welches eine simulierte Anamnese erlaubt, wird diesem Anspruch
Genüge getan. Das Quiz-Modul funktioniert so, dass der Student die Frage, die er dem
Patienten stellen möchte, in ein Feld schreibt. Das Programm durchsucht dabei jedes
Wort der Eingabe auf typische Elemente. Werden solche typische Elemente gefunden,
so zeigt das Programm in einer Liste die dazugehörigen ausformulierten Fragen a an,
welche der Student nun aktivieren kann, indem er darauf klickt. Als Reaktion wird
genau die Sequenz des Anamnesegesprächs gezeigt, wo der Patient die besagte Frage
beantwortet.
Der Student versucht dabei, möglichst alle relevanten Fragen zu stellen. Wenn er jedoch nicht mehr weiterkommt, hilft ihm der erfahrene Arzt als "Coach" dabei, die
fehlenden Fragen herauszufinden. Somit wird der Student nicht gleich ob seines anfänglichen Unvermögens frustriert - dies muss unbedingt durch ein geeignetes Hilfesystem verhindert werden, denn ein frustierter Student ist ein schlechter Lerner, der
die Übung abbrechen wird.17
3.2 Umsetzung der körperlichen Untersuchung
dargestellt anhand des Lernprogrammes "Neurologie interaktiv"18
Bei der körperlichen Untersuchung macht sich der Arzt ein Bild von der Erkrankung
des Patienten indem er quantifizierbare Werte durch standardisierte Untersuchungen
erhebt. Diese Werte werden in bestimmten zeitlichen Abständen wiederholt erhoben
und geben dadurch Auskunft über den Verlauf der Erkrankung. Nebst dieser offensichtlichen Funktion existiert eine wohl ebenso wichtige zweite Ebene, die dadurch
ermöglichte Herstellung eines Arzt-Patienten-Kontaktes. Durch ihn erst wird der Arzt
zum wirklichen Arzt. Instrumente, die dieser dabei gebraucht sind bezeichnenderweise zu Insignien ärztlicher Tätigkeit geworden wie z.B. das Stethoskop b oder der
Reflexhammer.
Durch bildgebende Untersuchungen wie z.B. dem Röntgen, der Magnetresonazuntersuchung oder dem Ultraschall sind viele Untersuchungstechniken verdrängt worden.
Es entspricht der immer stärker werdenden visuellen Gewichtung unserer Zeit, dass
man dem am ehesten glaubt, was man sieht - und dazu sind die bildgebenden Untersuchungsmethoden idealerweise geeignet. Das Wissen um die körperliche Untersuchung geht daher immer mehr verloren. Viele Ärzte beklagen sich darüber, dass sie
mehr und mehr zu Managern ihrer Patienten geworden sind und die "eigentlichen"
Das Programm versucht also nicht erst, die Volltexteingabe bestmöglich zu interpretieren und weicht damit den Gefahren geschickt aus, die eine Textinterpretation beinhalten.
b Momentan (2001) grassiert eine Inflation von TV-Serien mit Inhalten aus Spital- oder
Notfall/Rettungswesen. Darin zeichnen sich die Fernsehärzte dadurch aus, dass sie
das Stethoskop dauernd locker um den Hals geschwungen tragen - ob sie nun eines
brauchen oder nicht.
a
7
ärztlichen Tätigkeiten in den Hintergrund geraten sind. Eine gut durchgeführte körperliche Untersuchung könnte dabei für alle Beteiligten von grossem Nutzen sein.
3.2.1 Umsetzung der körperlichen Untersuchung
Am Anfang dieses Aufsatzes beschrieb ich die Fasziniation, welche Raphaël Bonvin's
1994 entstandene "Laennec CD-ROM - Lernprogramm der Pneumologie"1 auf mich
ausübte. Hier erkannte ich zum ersten mal, wie der Computer eine klinische Problemlösung vermitteln konnte, nämlich die der Auskultation. Dazu gebrauchte Bonvin
die bildliche Darstellung von Patienten, die man intuitiv drehen konnte, um mit dem
Mauszeiger, der über "sensiblen" Regionen zu einem Stethoskop wurde, die entsprechenden Lungengeräusche aufzurufen. Das bedeutete, dass der Student selbst Informationen zusammentragen und diese auswerten musste - und dass die verwendeten
Informationen dabei von der gleichen Art waren wie beim wirklichen Patientenkontakt.c Die Voraussetzungen waren also vorhanden, um computerunterstützte, interaktive, fallbasierte Medien für die Ausbildung in klinischer Medizin zu schaffen.
Zu dieser Zeit machte ich mich zusammen mit Marco Mumenthaler an die Arbeit, ein
computerunterstütztes Lernmodul für die klinische Neurologie zu entwickeln. Das
vordringlichste Problem, das sich dabei stellte, war das Bereitstellen von 11 verschiedenen Untersuchungsinstrumenten, die am ganzen Körper angewendet werden konnten. Auf Aktionen des "Untersuchers" sollte der simulierte Pateint adäquat reagieren.19
Bei hörbaren oder gesprochenen Reaktionen (Herzschlag, Lungengeräusche, Antworten etc.) stellte dies kein Problem dar - hier konnte einfach der passende Ton eingespielt werden - anders jedoch war bei sichtbaren Reaktionen (Gangbild, Augenbeweglichkeit, Finger-Nase-Versuch etc.) keine direkte Simulation möglich. Wir entschieden
uns dafür, entsprechend Filme einzuspielen in denen der Patient auf die simulierte
Untersuchung reagiert.20
Abb 6: In der simulierten neurologischen Untersuchung muss der ganze Mensch von Kopf bis
Fuss für die verschiedenen Werkzeuge erreichbar sein. Die Reaktion des simulierten Patienten
besteht teils aus Simulation, teils aus Illustration.
Bonvin's "Laennec" wurde 1994 mit dem "European Academic Software Award" ausgezeichnet.
c
8
Betrachten Sie das Gangbild
Prüfen Sie den Achilles- und Patellarsenenreflex
Prüfen Sie die Berührungssensibiltät an den Beinen
Suchen Sie nach Druckdolenzen im Ischiadicus-Verlauf
Prüfen Sie das "Bragard"-Zeichen
Untersuchen Sie die Wirbelsäule auf Statik und Beweglichkeit
Prüfen Sie den 'Lasegue' (zuerst am gesunden Bein)
Prüfen Sie die Kraft der Grosszehen beim Auszuführen der Dorsalextension.
Es wurde für uns offensichtlich, dass die filmische Darstellung der Reaktionen der
Patienten auf die Interventionen des Untersuchers - obwohl aus der Not geborena einen Glücksfall darstellten. Dies unter anderem deswegen, weil darin nicht nur die
direkte Reaktion des Patienten dargestellt wird, sondern auch die Arzt-PatientInteraktion mit zum tragen kommt - und das digitalisierte Video bereits von ausreichender Qualität war, dass auch die Feinheiten der Bewegung und des Ausdrucks
vermittelt werden konnte, wodurch der simulierte Patient "sehr lebendig" wurde.
3.2.2 Hilfe bei der Konstruktion von Illness-Scripts
Je höher der Freiheitsgrad des Lernens, desto weniger profitieren die schüchternen
Studenten davon15. Mit einem geeigneten Hilfesystem kann dieses Manko ausgeglichen werden. Dabei musste eine Hilfestellung derart angeboten werden, dass die Neugier des Lernenden dabei nicht zerstört wird. Eine mögliche Lösung dieses Problems
fanden wir, indem wir einen "simulierten Oberarzt" schufen, den man nach Belieben
herbeirufen kann. Die Hilfe, die dieser Tutor leistet besteht dabei nicht darin, das Geschehen, die Krankeit oder das Vorgehen des Studenten zu kommentieren sondern in
der Erteilung einfacher Ratschläge, welche Untersuchung nun unternommen werden
könnte, um weiter zu kommen.
Abb 7:
Wenn man nicht mehr weiter weiss,
kann man einen erfahrenen Tutor
rufen, der weiter hilft. Dies, indem er
zu wichtigen Unter-suchungen rät,
die bisher noch nicht unternommen
wurden, jedoch für die Diagnosestellung wichtig wären.
Die dahinterliegende Modell entspricht dem des "Illness-scripts". Marco Mumen-thaler
definierte hierzu für jeden der simulierten Patienten das deren Krankheit repräsentierende klinische Script. Daraus formulierten wir dann Aufforderungen, die der Tutor an
den Studierenden richtet, wenn er um Hilfestellung angegangen wird.
Die Reihenfolge der Liste mit Aspekten des "Illness-scripts", welche ja als Grundlage
für die Hilfeleistung des Tutors dient, ist dabei jedesmal eine andere b. Zudem wird bei
jeder Untersuchung, die der Student bereits gemacht hat, das entsprechende Item aus
der Liste entfernt, so dass der Tutor nur zu Untersuchungen rät, die noch nicht gemacht wurden, jedoch von grosser Wichtigkeit sind.
3.2.3 Der Lösungsweg als Diskussionsgrundlage
Die neuen Technologien sollten in verschiedenen Lernsettings eingesetzt werden können, unter anderem auch in tutorierten Gruppen. Dies könnte so aussehen, dass jeweilen mehrere Studierende in Gruppenarbeitsräumen vor oder nach dem Patientenkontakt die multimedialen Fälle diskutierend durcharbeiten. Wenn wir uns nochmal
Barrows Betrachtung von 1969 in's Gedächtnis rufen „... some gathered data ritualistically and then tried to add it up afterwards, while others came up with a diagnosis
based on some symptom or sign, never considering possible alternatives.“21, dann wird
klar, dass das Vorgehen der Studierenden bei der Problemlösung die Grundlage bildet,
auf welcher eine Diskussion geführt werden kann und die dann als Feedback in ihr
Problemlösungsvermögen positiv einfliessen soll.
Im Programm "Neurologie interaktiv" wird daher das Vorgehen der Studierenden für
jeden Fallpatienten einzeln erfasst.
Tabelle 4: Beispieltabelle, die erzeugt wurde, als ich den Fallpatienten mit der Diskushernie
untersuchte
strength of dorsal extension (big toe right)
achilles tendon reflex (ankle jerk) (Achilles' tendon right)
achilles tendon reflex (ankle jerk) (Achilles' tendon left)
Lasegue's sign (straight-leg-raise) (lateral part of right lower leg)
Lasegue's sign (straight-leg-raise) (lower leg left)
gait (beside the patient)
Tabelle 3: Aufforderungen des Tutors zum Beispiel des Patienten mit Diskushernie.
"Aus der Not geboren" deshalb, weil wir zuerst einen künstlichen Patienten schaffen
wollten, der entsprechend seiner Erkrankung und als folge definierter Algorithmen
reagiert. Diese Umsetzung war uns aus technischen, finanziellen und personellen Mitteln nicht möglich.
a
Das ist darum wichtig, weil wir erreichen möchten, dass sich die Studenten nach
einigen Durchgängen des Programmes an möglichst alle diese Items erinnern - und
nicht nur an die paar ersten und letzten wie das der Fall wäre, wenn die Reihenfolge
der Liste starr wäre.
b
Die aufgelisteten Daten beinhalten dabei die Untersuchung und der Ort, wo diese
durchgeführt wurde. Damit wird das Vorgehen transparent - und dadurch diskutierund modulierbar.
Nebst einer Auflistung der unternommenen Untersuchungen werden noch weitere
Listen erzeugt, die von den Studierenden aufgerufen werden können. Diese weiteren
Listen sind so konzipiert, dass sie den speziellen Anforderungen der verschiedenen
Lernsettings möglichst optimal entsprechen. So gibt es zum Beispiel für das Setting des
selbständig Lernenden eine Liste, wo die zu erhebenden Befunde für jede unternommene Untersuchung mit den dazugehörigen pathophysiologischen Erklärungen aufgelistet werden.
Tabelle 5: Je nach Bedürfnis sind verschiedene Auflistungen verfügbar. Diese hier nennt nebst
der Untersuchung und dem Ort auch die korrekterweise zu erhebenden Befunde und gibt zudem pathophysiologische Hinweise (Hier am Beispiel des 1. Items der Tabelle 4 demonstriert).
Examination
Findings
Meaning
strength of dorsal ex- decreased on The long extensor muscle of the big toe
tension (big toe right)
the right side is mainly innervated throught the L5root.
Lasegue's sign
(straight-leg-raise)
(lower leg left)
60 Degree
The elevation of the straightened leg
pulls upon the roots of the sciatic
nerve. These are mainly L5 and S1.
Einen ganz anderen Weg bei der Darstellung des Vorgehens beschreitet die Gruppe
"Instruct" mit dem Programm "CASUS", welches von Martin Fischer et al. ebenfalls in
dieser Nummer der ZSfHD eingehend erläutert wird. Kurz Zusammengefasst wird
dabei das eigene Vorgehen reflektiert und in einer interaktiven Graphik bildhaft umgesetzt.
4 Schlussfolgerungen
Es wurde aufgezeigt, dass klinisches Wissen und Fertigkeiten am besten fallbasiert am
Krankenbett erlernt werden können (illness-scripts). Hierbei ist ein coachender Tutor
eine sehr wertvolle Hilfe.
Im Sinne der Schonung von Patienten und einem möglichst sinnvollen Aufbau des
Curriculums ist es vorteilhaft, computerunterstützte, fallbasierte Lernhilfen anzubieten
(eventuell sogar selbst zu entwickeln, wenn noch nicht vorhanden).
Den Lernprogrammen muss ein klarer Stellenwert im Curriculum zugewiesen werden
und dieser muss von der Fakultät kommuniziert werden. Nur so werden die Lernprogramme "richtig" genutzt und die für die Erstellung notwendigen Investitionen verpuffen nicht ungenutzt.
9
Die Lernprogramme sollten - wann immer möglich - dort zur Verfügung gestellt werden, wo das Gelernte dann abrufbar bzw. anwendbar sein soll. In spezifischen Lernumgebungen sollten die verschiedenen Lernsettings berücksichtigt werden, so dass
Studierende auch in Gruppen und diskutierend mit Computern lernen können.
Methoden wurden bereits entwickelt, die es erlauben, klinische Inhalte mit Hilfe der
neuen Technologien zu transportieren und den Transfer zu überprüfen. Dieser Band
der ZSfHD zeigt etliche solcher Techniken auf.
An dieser Stelle möchte ich mich schliesslich bei Prof. Rolf Schulmeister herzlich dafür
bedanken, dass er - trotz Zeitmangels - das Manuskript durchgelesen und die nötigen
Korrekturen angebracht hat.
Ich wünsche Ihnen viel Freude und Erkenntnis bei der Lektüre der folgenden Artikel.
Referenzen:
1 Bonvin R; „Laennec CD-ROM: Interaktives Lernprogramm in der Pneumologie“;
Springer Verlag 1994; Order-number 32015
2 Barrows H.R., Twomblyn R.M.; „Problem-Based Learning“ – An Approach to Medical Education; Springer Series on Medical Education Vol.1 1980; Page xi (Preface)
3 Barrows H.R., Twomblyn R.M.; „Problem-Based Learning“ – An Approach to Medical Education; Springer Series on Medical Education Vol.1 1980; Page 58
4 Charlin B., Tardif J., Boshuizen H.P.A.; „Scripts and Medical Diagnostic Knowledge:
Theory and Application for Clinical Reasoning Instruction and Research“; Acad. Med.
2000;75:182-190
5 Feltovich P.J., Barrows H.S.; „Issues of generality in medical problem solving. In:
Schmidt HG, De Volder ML (eds). Tutorials in Problembased Learning: A new Direction in Teaching the Health Professions. Assen, The Netherlands: Van Gorcum, 1984
6 Bordage G, Lemieux M.; „Some cognitive characteristics of students with and without
diagnostic rasoning difficulties“; Proceedings of the 21st Annual Conference on Research in Medical Education of the American Association of Medical Colleges, Washington DC, 1986:171-176
Bordage G, Lemieux M.; „Structuralism and medical problem solving“ Int. Semiotic
Spectrum, 1987:3-4
7 Barrows H.R., Twomblyn R.M.; „Problem-Based Learning“ – An Approach to Medical Education; Springer Series on Medical Education Vol.1 1980
8 Godden D.R., Baddeley A.D.; "Context-dependent memory in two natural environments: On land and under water"; British Journal of Psychology, 66: 325-331
9 Reder L., Klatzky R.L.; "The Effect of Context on Training: Is Learning Situated?";
School of Computer Science, Carnegie Mellon University, Pittsburg, Pennsylvania,
1994; PDF download at http://citeseer.nj.nec.com/reder94effect.html
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Abgeändert von Schulmeister R. und Daetwyler C. nach Eberle F.; „Didaktik der
Information“; Sauerländer Verlag 1996; ISBN 3794141571; gefunden unter
http://beat.doebe.li/bibliothek/b00139.html
11 Schulmeister R.; „Grundlagen hypermedialer Lernsysteme“ 2. Auflage; Verlag
Oldenburg; Seite 186
12 Schulmeister R.; „Grundlagen hypermedialer Lernsysteme“ 2. Auflage; Verlag
Oldenburg; Seite 187
13 Schulmeister R.; „Grundlagen hypermedialer Lernsysteme“ 2. Auflage; Verlag
Oldenburg; Seite 72
14 Henderson J.V.; "The Virtual Practicum: Correcting Descartes' Error With Computers?": ZSfHD
15 Brecht B.; "Über das Ding an sich"; Frankfurt/Main Bd. 20 der Gesamtausgabe
16Mumenthaler M., Daetwyler C.: "Kopfschmerz interaktiv"; AUM 2001; ISBN 3908619-14-9
17 Cooper C, Taylor R; "Personality and performance on a frustrating cognitive task";
Percept Mot Skills 1999 Jun;88(3 Pt 2):1384
18 Mumenthaler M., Daetwyler C.: "Neurologie interaktiv"; Thieme Verlagsgruppe
1998; ISBN 3-13-115691-0 (english Version: AUM 2000; ISBN 3-9086-19-13-0)
19 Daetwyler C.; "Neurology Interactive - an Interactive CD-ROM to Supplement Clinical Experience"; Proceedings "ED-Media & ED-Telecom 10th World Conference" ISBN
1-880094-30-4 S. 1609 - 1610
20 Daetwyler C.; "Die Videodokumentation von Patienten im Hinblick auf deren Verwendung in Lernmedien"; Proceedings "Computer Based Training in der Medizin";
München 1998; ISBN 3-8265-3673-8
21 Barrows H.R., Twomblyn R.M.; „Problem-Based Learning“ – An Approach to Medical Education; Springer Series on Medical Education Vol.1 1980; Page xi (Preface)
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