SOZIALE STILE DES MITEINANDER

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SOZIALE STILE DES MITEINANDER-SPRECHENS. BEOBACHTUNGEN ZU FORMEN DER
KONFLIKTBEARBEITUNG IN ZWEI FRAUENGRUPPEN
Keim und Schwitalla untersuchen das sprachlich kommunikative Verhalten in zwei Frauengruppen daraufhin, wie sich in der Realisierung
bestimmter kommunikativen Muster bei der Bewältigung spezifischer Aufgaben, nämlich der Konfliktbearbeitung, die soziale Identität dieser
Gruppen zeigt.
Bastelgruppe
Literaturgruppe
Informationen der
Gruppen
25 Frauen; die meisten gehören zur deutschen
Stammbevölkerung aus einem alten, hohen Ausländeranteil
und Armut charakterisierten Stadtteil.
Das Ziel des Treffens ist Geselligkeit und Unterhaltung. Es
gibt eine lockere Teilnahmeregelung. Sie haben Kontakte mit
höherem sozialen Welten.
Konflikte, die aus einer
Störung des
Interaktionsziels
entstehen
Sie werden in der Regel schnell und problemlos durch
Ordnungsrufe mit formelhaftem Austausch bearbeitet.
Gelegentlich auftretende „Rücksichtslosigkeiten“ werden nach
kurzer Bearbeitung beigelegt.
Tabuhalten von Themen
Die ernste Bearbeitung von persönlichen Problemen ist in der
Gruppe nicht erwünscht. Sie werden trotzdem durch das
Erzählen amüsanter Geschichte mit sexueller bzw. allgemein
körperlicher Thematik behandelt. Die Mitglieder dulden es
nicht, dass persönliche Probleme, von denen alle wissen, zum
Tabuthema gemacht werden. Wenn diese Form verletzt wird,
wird die Betroffene in indirekter Weise durch hartes Frotzeln
blossgestellt.
9 Frauen: sie gehören zur tonangebenden Schicht eines
neuerbauten Stadtteils, der sozial gemischt ist.
Ziel des Treffens: Lesen und Besprechen von Romanen und
Erzählungen (offizieller Ziel) + über familiäre Probleme
auszutauschen. Es gibt einen impliziten Zwang zur Teilnahme.
Sie leiten andere Freizeitgruppen mit Teilnehmern aus anderen
sozialen Milieus.
Das offizielle Ziel steht in Konkurrenz zum inoffiziellen Zweck.
Deswegen haben die Frauen ein variantenreiches Repertoire
entwickelt, das durch:
- ironische Übertreibung, durch scherzhafte Bemerkungen
- das Spiel mit Formeln
- das Ablenken vom Tadel
die distanzwahrende Bearbeitung dieses Konflikts ermöglicht.
Mittel zum Ausdruck der Ironie sind: übertreibende Lexik und
übertrieben empörter, ernster Sprechton.
Die Bearbeitung persönlicher Probleme, die die Image gefährden
können, ist der inoffizielle Zweck der Treffen. Bei schweren
persönlichen Problemen wird eine gewisse Zurückhaltung der
Betroffenen respektiert, aber sie wird dazu eingeladen, ihr
Problem zu besprechen. Doch führt es zu Konflikten, wenn eine
Frau nicht in derselben Weise offen über familiäre Probleme
spricht wie die anderen. Die Durchführungsweise der
Konfliktbearbeitung ist dann ein argumentativer Disput, bei dem
zwar der zugrundeliegende Vorwurf nicht offen ausgesprochen
wird, jedoch die Betroffene sich mit Meinungen oder Deutungen
auseinandersetzen muss, die eine mögliche Gefährdung ihres
Ansehens, wie sie es vor der Gruppe handhabt, enthalten.
Konflikte, die
Divergenzen bezüglich
der Definition und
Bewertung von Statusoder Rollenkategorien
betreffen
Diese Konflikte treten in der Bastelgruppe oft auf und führen
häufig zu expedierten Normendebatten.
Die in der Gruppe übliche Ordnung nach Statuskategorien ist
dreigliedrig; in Relation zu „uns“ gibt es Statuskategorien
„oberhalb“ und „unterhalb von uns“.
Statuskategorie zwischen „uns“ und „oben“: es sind Leute, die
aus „unserer Mitte“ stammen, sich nach „oben“ orientieren
und sich von „uns“ distanzieren. Sie werden immer negativ
bewertet.
Potenziell
gruppensprechendes
Verhalten 
schwerwiegende Verstösse
gegen Gruppennormen
Zur Bearbeitung dieser Konflikte werden mehrere Formen
verwendet mit dem zunehmenden Zwang zur interaktiven
Beteiligung der Kritisierten:
- hartes Frotzeln
- indirekter Tratsch
- Streit
Im Streit werden Ärger und Aggression mit hoher
Expressivität und durch Beschimpfungen ausgedrückt. Als
Bestrafung für das konfliktauslösende Verhalten erfolgt die
Falschkategorisierung und die Zuordnung zu einer negativ
bewerteten sozialen Kategorie.
Das Ziel aller Bearbeitungsformen ist es, die Kritisierte zu
treffen und bei ihr eine Verhaltensänderung zu bewirken.
Negative Gefühle können offen gezeigt und bearbeitet werden.
Wo unterschiedliche Ansichten und Einstellungen zur
Lebenspraxis in den Gesprächen thematisch auftauchen, werden
sie auf eine Weise behandelt, die die Differenzen markiert, jedoch
den Willen zeigt, darüber nicht in einen Streit zu geraten, sondern
zu einem Konsens zu gelangen. Durchführungsmittel sind:
- argumentativer Diskurs
- die Zurücknahme einer negativen Wertung
- das Ausnützen sprachlicher Abschwächungsformen bei Kritik
- Andeutungen der Meinungsdivergenzen in frotzelnder, aber
nicht-aggressiver Form.
Hier entfallen überhaupt Konflikte, die man „gruppensprengend“
nennen könnte, Z.B.: eine Frau mit grossen persönlichen
Problemen, von der die Frauen befürchten, sie könnte damit die
Gruppe zu sehr belasten, wird nicht aufgenommen.
Die Frauen klatschen über solche aufdringlichen Leute, aber der
Klatsch ist auf Gruppenexterne beschränkt. Es wird auch nicht
über bestimmte Eigenschaften und Verhaltensweisen mit der
Absicht geklatscht, dass der Adressat die Kritik dem
Klatschobjekt zuträgt.
Äusserung negativer Gefühle wird vermieden.
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